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Texte aus den in die Vergriffenheit entlassenen Büchern "Quitten ...

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Leseprobe <strong>aus</strong>:Max Goldt<strong>Texte</strong> <strong>aus</strong> <strong>den</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Vergriffenheit</strong><strong>entlassenen</strong> Büchern "<strong>Quitten</strong>" und"Kugeln"Mehr Informationen zum Buch f<strong>in</strong><strong>den</strong> Sie auf rowohlt.de.Copyright © 2005, 2009 by Rowohlt Verlag GmbH, Re<strong>in</strong>bek bei Hamburg


InhaltHyppytyyny huomiseksi (Ich b<strong>in</strong> begeistertund verbitte mir blöde Begründungen.) .. .. .. .. 7<strong>Quitten</strong> für <strong>die</strong> Menschen zwischen Em<strong>den</strong>und Zittau . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 13Immerzu Bratwurstereignisse, doch Katizieht Flunsch .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 21Die Mittwochsmemmen .. .. .. .. .. .. .. .. .. 27Berl<strong>in</strong>er Befremdlichkeiten .. .. .. .. .. .. .. .. 32Ich bee<strong>in</strong>druckte durch e<strong>in</strong> seltenes KZ .. .. .. .. .. 38Das unwillkommene Antanzen vonLachi und Schmunzel<strong>in</strong>chen .. .. .. .. .. .. .. 43Rille ralle ritze ratze (Harte Haare) .. .. .. .. .. .. 48Dekorationstext zu zwei Fotos über <strong>den</strong> Mangelan bürgerlicher Qualität . .. .. .. .. .. .. .. .. 53Das Diskretionsteufelchen undder Motivationsfisch . .. .. .. .. .. .. .. .. .. 60Geme<strong>in</strong>e Gentechniker wollen Ute Lemperwegen der Hitze <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Euterpflegecreme-Fabrik auf Helgoland verwandeln .. .. .. .. .. .. 68Worte wie Heu .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 75Der Pond-Parabel-What-o’-clock-Knopf oder:Sektquirle können nicht schuppen . .. .. .. .. .. 83Wer <strong>die</strong>s liest, war vielleicht schon malim Harz .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 91Ich war auf ke<strong>in</strong>em Bauernhofaußerhalb der USA .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 98Warum Dagmar Berghoff so st<strong>in</strong>kt .. .. .. .. .. .. 107Lieder s<strong>in</strong>d geschmolzene Stadthallen oder:Früher war alles gelb . .. .. .. .. .. .. .. .. .. 115Die brutale Welt des Helmut Schmidt .. .. .. .. .. 123


E<strong>in</strong> Flugzeug voller Nashi-Birnen,e<strong>in</strong> Jesus voller Amseln .. .. .. .. .. .. .. .. .. 133Zwickender Wirrwarr .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 142Kennen Sie das Wort «Mevulve»? . .. .. .. .. .. .. 148Herr Kosmos ist von <strong>den</strong> Menschen enttäuscht . .. .. 157Volkstrauertag <strong>in</strong> Neustadt am Rübenberge,Bürstengeschäft: Pustekuchen .. .. .. .. .. .. .. 167Ich wünschte, man büke mir e<strong>in</strong>en Klöben .. .. .. .. 176Der Sonderoscar für prima Synchronisationgeht <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Jahr an <strong>den</strong> Film‹Fünf stattliche Herren und e<strong>in</strong>Flockenquetschen-Selbstbau-Set› .. .. .. .. .. .. 185Dank Bügelhilfe fühlt man sich wie e<strong>in</strong>geisteskranker König . .. .. .. .. .. .. .. .. .. 194Man muß sich ganz schön abstrampeln,um akzeptiert zu wer<strong>den</strong> .. .. .. .. .. .. .. .. 204Bomben gegen Bananen im Mund? Niemals! .. .. .. 213Lotsa lotsa leggggggs .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 222Ich will wissen, ob <strong>die</strong> Schwester vonClaudia Schiffer schwitzte (<strong>in</strong> Unterhosegeschrieben) .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 233Okay, Mutter, ich nehme <strong>die</strong> Mittagsmasch<strong>in</strong>e .. .. .. 242Der schlimme Schal oder: Der Unterschiedzwischen Wäwäwäwäwä undWäwäwäwäwäwäwä .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 250Zehn M<strong>in</strong>uten weniger Gelegenheit zurZwiesprache mit höheren Wesen (<strong>in</strong>klusive«Üble Beläge») .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 259Editorische Notiz .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 268


Hyppytyyny huomiseksi(Ich b<strong>in</strong> begeistert und verbitte mirblöde Begründungen.)Ch<strong>in</strong>esen. F<strong>in</strong>nen. Spanier. Völker gibt es viele. Ist es abers<strong>in</strong>nvoll, sie alle <strong>in</strong> Augensche<strong>in</strong> zu nehmen? E<strong>in</strong>e Bekannte,<strong>die</strong> e<strong>in</strong>ige Zeit <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a war, berichtete mir im Vertrauen,daß sie während ihrer Reise das erste Mal <strong>in</strong> ihrem Lebenverstan<strong>den</strong> habe, wie man auf <strong>den</strong> Gedanken kommen kann,e<strong>in</strong> anderes Volk zu unterdrücken. Sie sagte <strong>die</strong>s durch<strong>aus</strong>bedauernd.Das exotischste Land, das ich je besuchte, war vor e<strong>in</strong>igenJahren Tunesien. Es war fast unmöglich, sich <strong>die</strong> jungenMänner vom Leibe zu halten, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>em, je nach Landesteil,Badeschwämme, angebliche Ausgrabungsfunde, Teppicheoder Geschlechtsverkehr andrehen wollten. Seither habeich derlei Reisen vermie<strong>den</strong>, <strong>aus</strong> lauter Angst, daß mir <strong>die</strong>E<strong>in</strong>heimischen zu sehr auf <strong>die</strong> Nerven gehen könnten. Ichb<strong>in</strong> zwar nicht stolz darauf, e<strong>in</strong> Deutscher zu se<strong>in</strong>, aber dochsehr zufrie<strong>den</strong> damit, und ich pfeife darauf, <strong>in</strong> entlegeneWeltregionen zu fliegen und <strong>die</strong> Menschen, <strong>die</strong> im Gegensatzzu mir dort h<strong>in</strong>gehören, zu belästigen oder mich vonihnen belästigen zu lassen. Ich habe nicht <strong>den</strong> E<strong>in</strong>druck, daßich hier kontroverse Denkvorgänge auftische. Das rührseligeOne-World-Getue der achtziger Jahre ist längst als Heuchelstrategietrendversessener Tanzmusikmanager entlarvt, undwer je Urlaubsheimkehrer Erkenntnisse von der Qualität hatverbreiten hören, daß Spanien recht teuer gewor<strong>den</strong> sei oderdaß <strong>in</strong> In<strong>die</strong>n noch viel Armut herrsche, wird mit mir übere<strong>in</strong>stimmen,daß Reisen weit weniger bildet als gehaltvollesDaheimbleiben. Alle modernen Menschen ab 30, <strong>die</strong> ich7


kenne, s<strong>in</strong>d der Auffassung, daß Fernreisen prolo, un-ökound gestrig s<strong>in</strong>d. Man reist national oder grenznah. Es gibtzu H<strong>aus</strong>e viel zu entdecken. Die Zeiten, da nur Japaner undD<strong>in</strong>kelsbühler wußten, wo D<strong>in</strong>kelsbühl liegt, dürften vorbeise<strong>in</strong>. Man schaut dem Franken <strong>in</strong> <strong>den</strong> Topf, der Spreewälder<strong>in</strong>unter <strong>den</strong> Rock, sagt «Kuckuck, hier b<strong>in</strong> ich!» imBergischen Land; man t<strong>aus</strong>cht Adressen ruhiger Pensionenund macht auch mal dem Schwaben <strong>den</strong> Reißverschluß auf.Lediglich der Jugend wird man das Privileg e<strong>in</strong>räumen, e<strong>in</strong>malim Leben via Interrail das europäische Eisenbahnnetzmit Keksen vollzukrümeln. Dabei lernt man durch<strong>aus</strong> etwas.In Ermangelung e<strong>in</strong>es Löffels versuchte ich <strong>in</strong> Italien e<strong>in</strong>mal,e<strong>in</strong>en Joghurt mit e<strong>in</strong>em Taschenmesser zu essen. DieAbteilmit<strong>in</strong>sassen starrten verkrampft auf <strong>die</strong> Landschaft,um <strong>die</strong>ses unwürdige Sch<strong>aus</strong>piel nicht mit ansehen zu müssen.Seitdem habe ich auf Bahnreisen immer e<strong>in</strong>en Löffeldabei. Schließlich hat man <strong>in</strong> der Eisenbahn immer Lust,Joghurt zu essen.Wenn ich an me<strong>in</strong>e eigene Interrailreise <strong>den</strong>ke (1983, nurvier Länder), fallen mir vor allem <strong>die</strong> Gespräche mit <strong>aus</strong>ländischenInterrailern e<strong>in</strong>. Es gab nur zwei Themen: Popgruppenund Sprachen. Unverzichtlicher Bestandteil derSprachen-Gespräche war stets F<strong>in</strong>nisch. Darüber wußtejeder was. Daß es fünfzehn Fälle hat und irgendwie mit demUngarischen verwandt ist, obwohl man das ja kaum glaubenkönne. Auch wenn weit und breit ke<strong>in</strong> F<strong>in</strong>ne war, F<strong>in</strong>nischwar ständiges Top-Thema, und immer war jemand dabei,der auf f<strong>in</strong>nisch bis fünf zählen konnte.Yksi, kaksi, kolme, neljä, viisi. So geht das. Während me<strong>in</strong>erF<strong>in</strong>nlandreise, <strong>die</strong> ich im letzten Monat trotz me<strong>in</strong>ergenerellen Unlust auf weite Reisen unternahm, wurde me<strong>in</strong>Wortschatz im wesentlichen um zwei Ausdrücke erweitert,8


huomiseksi und hyppytyyny. Das erste Wort erwarb ich imSchaufenster e<strong>in</strong>es Fachgeschäftes für Gärtnerbedarf <strong>in</strong>Hels<strong>in</strong>ki. In der Auslage befand sich e<strong>in</strong>e grüne Plastikgießkanneund darunter e<strong>in</strong> Schild mit dem Wort huomiseksi.Me<strong>in</strong>e Gedanken darüber, was man als Homosexueller <strong>aus</strong>gerechnetmit e<strong>in</strong>er Gießkanne anfangen soll, leiteten <strong>den</strong>Bollerwagen me<strong>in</strong>er Phantasie auf e<strong>in</strong>en äußerst schlammigenPfad. Die Achse brach, ich war ratlos. Später klärte miche<strong>in</strong> F<strong>in</strong>ne auf, daß huomiseksi nichts mit Sex zu tun habe,sondern für morgen bedeute. Das half mir wenig. Was sollich als Homosexueller <strong>den</strong>n morgen mit e<strong>in</strong>er Gießkanne?Ich lasse mir nicht gerne nachsagen, ich sei nicht immerh<strong>in</strong>theoretisch mit allen Spielarten der körperlichen Liebe vertraut,aber ich habe gestern ke<strong>in</strong>e Gießkanne gebraucht, undmorgen brauche ich auch ke<strong>in</strong>e.Verwirrt fuhr ich 900 km nach Nor<strong>den</strong>, nach Sodankylä.Das ist e<strong>in</strong>e längliche Straße voller Supermärkte und Tankstellen,wo <strong>die</strong> Bewohner von ganz Lappland h<strong>in</strong>fahren, umzu tanken, zu tanzen und Pizza zu essen. Alljährlich f<strong>in</strong>detdort im Juni das Midnight Sun Film-Festival statt, welchessich brüstet, das nördlichste der Welt zu se<strong>in</strong>. Die Filme s<strong>in</strong>dvöllig egal. Die meisten s<strong>in</strong>d uralt und etwa von der Art, wiesie das ZDF am zweiten Weihnachtsfeiertag um 14.45 zeigt.Man zeigte z. B. e<strong>in</strong>e italienische Gaunerkomö<strong>die</strong> von 1950,im Orig<strong>in</strong>al mit schwedischen Untertiteln und f<strong>in</strong>nischerLive-Übersetzung. Ich sah auch e<strong>in</strong>en hübschen K<strong>in</strong>derfilmüber das Auf und Ab <strong>in</strong> der Karriere e<strong>in</strong>es f<strong>in</strong>nischenAkkordeonspielers. Dar<strong>in</strong> gab es e<strong>in</strong>e gute Szene: E<strong>in</strong> Mannsitzt am Klavier und spielt Chop<strong>in</strong>. Da kommt der Akkordeonspielerzur Tür here<strong>in</strong> und holt e<strong>in</strong>e Salami <strong>aus</strong> se<strong>in</strong>emKoffer. Der Pianist ruft begeistert: «Braunschweig!» undbeg<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong>en Tango zu spielen. Dazu muß man wissen, daß9


«Braunschweig» das f<strong>in</strong>nische Wort für e<strong>in</strong>e bestimmte Salamisorteist und daß ohne Akkordeon <strong>in</strong> F<strong>in</strong>nland gar nichtsläuft. Das Fernsehen überträgt stun<strong>den</strong>lange Akkordeonwettbewerbe.K<strong>in</strong>der spielen Volkslieder, <strong>die</strong> alle so kl<strong>in</strong>genwie ‹My bonnie is over the ocean›, und <strong>die</strong> Erwachsenenpflegen ihre Tango-Tradition.S<strong>in</strong>n des Festivals ist, daß <strong>die</strong> Menschen um Mitternacht<strong>aus</strong> dem K<strong>in</strong>o getaumelt kommen, <strong>die</strong> Augen zukneifenund feststellen, daß tatsächlich <strong>die</strong> Sonne sche<strong>in</strong>t. Wennman aber nicht dort ist, um Fotos für e<strong>in</strong>en romantischenWandkalender zu machen, hält <strong>die</strong> Fasz<strong>in</strong>ation nicht langevor; geduldig reiht man sich <strong>in</strong> <strong>die</strong> Schlange vor e<strong>in</strong>er derwenigen Bierschwemmen e<strong>in</strong>, wo man auf Gedeih und Verderbdem nach dem deutschen Wort «Wachtmeister» Vahtimestarigenannten Türsteher <strong>aus</strong>geliefert ist, der alle fünfM<strong>in</strong>uten <strong>die</strong> Türe öffnet und <strong>den</strong> Warten<strong>den</strong> erklärt, daßdas Lokal voll sei und es auch ke<strong>in</strong>en Zweck habe zu warten,obwohl jeder durch das Fenster ganz genau sieht, daßes ganz leer ist. Man tut wie der F<strong>in</strong>ne und fügt sich; jederweiß, daß nach e<strong>in</strong>er Stunde sowieso jeder re<strong>in</strong>darf. Wennman dann dr<strong>in</strong> ist, bestellt man so viele Biere, wie man haltenkann (0,5 l : 12 DM), und tr<strong>in</strong>kt sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zuge <strong>aus</strong>,<strong>den</strong>n nach e<strong>in</strong>er Stunde wird man wieder h<strong>in</strong><strong>aus</strong>geschmissen.Dann tut man wieder wie der F<strong>in</strong>ne und läßt sich <strong>in</strong>e<strong>in</strong>e Pfütze fallen, um dort e<strong>in</strong>ige Stun<strong>den</strong> zu ruhen. NurLangweiler fragen nach dem S<strong>in</strong>n <strong>die</strong>ser <strong>aus</strong> unserer Sichtetwas demütigen<strong>den</strong> Behandlung. E<strong>in</strong> altes Sprichwort sagt:Das Warum tanzt nicht gerne mit dem Weil, anders gesagt:Man möge sich Mysterien genußvoll fügen. Fragen s<strong>in</strong>d oftviel <strong>in</strong>teressanter als <strong>die</strong> dazugehörigen Antworten. Würdeman sich <strong>die</strong> Mühe machen herumzufragen, warum derF<strong>in</strong>ne Salami Braunschweig nennt, fände man sicher jeman-10


Gasse «Kommunikation» <strong>in</strong>Bran<strong>den</strong>burg<strong>den</strong>, der e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> gebrochenem Deutsch e<strong>in</strong>e fade Anekdoteerzählt. Schon dreimal habe ich gehört oder gelesen,warum <strong>die</strong> Österreicher zu <strong>den</strong> Deutschen «Piefke» sagen,aber <strong>die</strong> Geschichte ist so langweilig, daß ich sie jedesmalsofort wieder vergessen habe. Ich will auch nicht wissen,warum e<strong>in</strong>e stille, enge Gasse <strong>in</strong> der Altstadt von Bran<strong>den</strong>burga. d. Havel Kommunikation heißt. Ich b<strong>in</strong> begeistertund verbitte mir blöde Begründungen. Woher haben <strong>die</strong>F<strong>in</strong>nen ihren Tango-Fimmel? Ist doch egal! Warum habensie so viele Äs <strong>in</strong> ihren Wörtern? Darum! E<strong>in</strong>mal entdeckteich sogar e<strong>in</strong> Wort, das zu 50 Prozent <strong>aus</strong> Ypsilonen bestand.Es befand sich auf e<strong>in</strong>em Zirkusplakat unter der Abbildunge<strong>in</strong>es Zeltes, welches e<strong>in</strong>e Art Riesenmatratze be<strong>in</strong>haltete,auf der K<strong>in</strong>der herumhopsten. Das Wort heißt hyppytyyny,11


<strong>Quitten</strong> für <strong>die</strong> Menschen zwischenEm<strong>den</strong> und ZittauIm Postskriptum me<strong>in</strong>er vorletzten Kolumne bemerkteich mit der lakonischen Beiläufigkeit, <strong>die</strong> uns waschechtenMelancholikern eigen ist, daß ich mich mit dem Gedankengetragen hätte, e<strong>in</strong>en Artikel über unbeliebtes Obst, <strong>in</strong>sbesondereüber <strong>Quitten</strong>, zu schreiben. Nicht nur das Leserechowar überwältigend – vierzehn Zuschriften s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>enOff-Broadway-Autor geradezu Waschkorbdimension –,auch <strong>die</strong> Augen all der Menschen, <strong>den</strong>en ich <strong>in</strong> U-Bahnen,Straßen und Spelunken begegne, <strong>in</strong> <strong>den</strong>en ich mich befördernlasse bzw. me<strong>in</strong>e Wampe lüfte bzw. me<strong>in</strong>en von Alterund Entbehrung gezeichneten Leib mit <strong>den</strong> Segnungen desAlkohols versorge, sche<strong>in</strong>en zu sagen: Ja, besorg’s uns, sonderbarerHerr, besorg’s uns mit e<strong>in</strong>em <strong>Quitten</strong>artikel!Bevor ich nun aber <strong>die</strong> Quitte <strong>in</strong> das ver<strong>die</strong>nte Sche<strong>in</strong>werferlichtder Leserneffen- und -nichtenaufmerksamkeitschiebe, e<strong>in</strong>ige Bemerkungen über <strong>die</strong> Guave: Auch <strong>die</strong>segenießt wenig Ansehen unter uns Deutschen. Hand aufsHerz: Rümpfen wir nicht alle bisweilen <strong>in</strong>nerlich <strong>die</strong> Naseoder runzeln <strong>die</strong> Brauen, wenn wir im Fe<strong>in</strong>kostla<strong>den</strong> unvermittelte<strong>in</strong>er Guave gegenüberstehen? In Brasilien immerh<strong>in</strong>ist Guavenmus («Goijabada») mit Käse e<strong>in</strong>e Art Nationalgericht,welches auch «365» genannt wird, weil man es 365 Tageim Jahr verspeist, so beliebt ist es, aber von ihrem Herumgetanzeund ihrer ewigen Lebensfreude s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Leute dortja ganz schwirr im Schädel und merken gar nicht, was sieda Ödes verzehren. Bei unseren längst nicht so von Sambaund Straßenraub zerätzten Gaumen konnte <strong>die</strong> Guave nochnicht reüssieren, und mit Fug und Recht haben wir sie13


zusammen mit ähnlich langweilig süßlichen Tropenflops <strong>in</strong>jene sämigen, stark chemisch riechen<strong>den</strong> Fluten versenkt,welche skrupellose Geschäftemacher <strong>in</strong> Flaschen gefüllt alsMultivitam<strong>in</strong>trünke auf <strong>den</strong> Markt werfen, und zwar umunsere Ehen zu zerstören. Es ist nämlich so: Der unnatürlicheGeruch, welcher uns <strong>aus</strong> der Multivitam<strong>in</strong>saftflascheentgegenströmt, rührt von Substanzen <strong>aus</strong> dem Vitam<strong>in</strong>-B-Komplex. Diese jedoch st<strong>in</strong>ken leider nicht nur selbst, sondernerzeugen über<strong>die</strong>s auf der Haut der Safttr<strong>in</strong>ker unangenehmeAusdünstungen, wie Knoblauch, nur schlimmer.Noch ahnt niemand, wie oft es schon vorgekommen se<strong>in</strong>mag, daß e<strong>in</strong> Partner se<strong>in</strong>e Partner<strong>in</strong> oder se<strong>in</strong>en Partneroder auch e<strong>in</strong>e Partner<strong>in</strong> ihren Partner bzw. ihre Partner<strong>in</strong>mit schmiegen<strong>den</strong> Absichten an sich zog, dann aber das ansich ja geliebte Wesen jäh von sich stieß, weil er oder sie «esnicht mehr riechen konnte». Die Räume unserer Gerichtsgebäude,<strong>in</strong> <strong>den</strong>en Scheidungen vollzogen wer<strong>den</strong>, s<strong>in</strong>dförmlich erfüllt vom ständigen Widerhall jenes dubiosenGeräusches, welches beim Öffnen e<strong>in</strong>er Vitam<strong>in</strong>saftflascheerkl<strong>in</strong>gt. Vielen wird <strong>die</strong>s unbekannt gewesen se<strong>in</strong>, und vonFlensburg bis Passau und neuerd<strong>in</strong>gs ja auch von Wismarbis Weimar, von Usedom bis an <strong>die</strong> Unstrut ahne ich Hände,<strong>die</strong> mir dankend entgegengestreckt wer<strong>den</strong>. Aber ich wehre<strong>die</strong>s beschei<strong>den</strong> ab und sage: Ne<strong>in</strong>, ihr braucht nicht zu dankenund zu wallfahren. Ich b<strong>in</strong> älter und erfahrener als ihr,und wenn me<strong>in</strong> Wissen euch auf eurem weiteren Lebenswegvor Scha<strong>den</strong> und Scheidung bewahren kann, dann hatme<strong>in</strong> Herz nicht ganz umsonst geschlagen, wenn es, e<strong>in</strong>eskirchenglockengrauen Tages, e<strong>in</strong>fach nicht mehr schlagenmag.Nun endlich zum unbeliebtesten heimischen Obst, derQuitte. Indes wird der Leser gewiß Verständnis dafür haben,14


daß es der <strong>in</strong>neren Dramaturgie <strong>die</strong>ses Aufsatzes bekömmlichist, wenn ich erst noch e<strong>in</strong>ige Bemerkungen über unserzweitunbeliebtestes Obst, <strong>den</strong> Kürbis, mache. Diesen liebt jaschier niemand. In Nordamerika ist es üblich, im OktoberKürbisse vor se<strong>in</strong>e H<strong>aus</strong>tür zu legen, um <strong>den</strong> Autofahrern zusignalisieren, daß es Oktober ist. Zu Halloween holt man siedann <strong>in</strong>s H<strong>aus</strong> und läßt sie unter Anteilnahme der ganzenFamilie feierlich verfaulen («Pumpk<strong>in</strong>s go<strong>in</strong>g bad»). Nurnoch e<strong>in</strong>ige Traditionalisten machen sich <strong>die</strong> Mühe, Kürbistorte(«pumpk<strong>in</strong> pie») zu backen, welche dann, <strong>in</strong> Alum<strong>in</strong>iumfoliegewickelt, <strong>in</strong> <strong>den</strong> Kühlschrank gegeben wird, ume<strong>in</strong>ige Wochen später mit großem Hallo und Igitt gleichfalls<strong>in</strong> <strong>den</strong> Abfall zu wandern. Verständlich ist, daß der Menschsich Gedanken darüber gemacht hat, ob e<strong>in</strong> so ansehnlicherGegenstand wie der Kürbis für <strong>den</strong> Verzehr etwas tauge.Wer von uns hat nicht e<strong>in</strong> Poster über dem Bett hängen, aufdem steht: «So e<strong>in</strong> Kürbis ist schon e<strong>in</strong> prachtvolles D<strong>in</strong>g.»In e<strong>in</strong>igen Regionen, z. B. der Steiermark, macht man <strong>aus</strong>se<strong>in</strong>en Kernen e<strong>in</strong> gutes Salatöl. Darüber h<strong>in</strong><strong>aus</strong> ist es aberunbegreiflich, daß <strong>die</strong> Menschheit nach all <strong>den</strong> qualvollenJahrt<strong>aus</strong>en<strong>den</strong> des Sichekelns und des Kürbisgerichte-<strong>in</strong>s-Klo-Gießens partout nicht zu der Erkenntnis gelangen will,daß e<strong>in</strong> Kürbis das Aroma e<strong>in</strong>er ungelüfteten Umkleidekab<strong>in</strong>ehat und daß es unmöglich ist, <strong>die</strong>ses mit noch so großenMengen von Starkschmeckern wie Curry oder Essig zuübertünchen. Ich hoffe, mit me<strong>in</strong>em harten Urteil ke<strong>in</strong>enKürbisverehrer vor <strong>den</strong> Kopf gestoßen oder ihm psychischenScha<strong>den</strong> zugefügt zu haben. Das täte mir weh. Vielleichtkann ich etwas wiedergutmachen, wenn ich noch e<strong>in</strong>mal<strong>aus</strong>drücklich auf <strong>die</strong> Schönheit des Kürbisses h<strong>in</strong>weise.Über <strong>die</strong>se herrschen bei uns ja kaum Kontroversen. Selbstim Ausland, wo <strong>die</strong> Hitzköpfe gern mal ane<strong>in</strong>andergeraten,15


ebenso wie e<strong>in</strong>e gute Köch<strong>in</strong> noch <strong>aus</strong> e<strong>in</strong>em Stiefel e<strong>in</strong>Festmahl bereiten kann, so kann e<strong>in</strong> guter Kolumnist auch<strong>aus</strong> e<strong>in</strong>er Quitte e<strong>in</strong>e Delikateß-Kolumne zaubern. Talenthabe ich ja welches. Me<strong>in</strong> Interesse hat <strong>die</strong> Quitte durch<strong>den</strong> Umstand gewonnen, daß ich e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> <strong>den</strong> Auslagenjedes besseren Obstla<strong>den</strong>s <strong>Quitten</strong> <strong>in</strong> stattlicher Anzahl aufgebahrtf<strong>in</strong>de, andererseits aber noch nie <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Lebenjeman<strong>den</strong> e<strong>in</strong>e Quitte habe kaufen sehen. Um <strong>die</strong>sen Verhaltkreist auch der e<strong>in</strong>zige mir bekannte akzeptable <strong>Quitten</strong>witz.Es ist ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong> besonders gelungener Witz, doch beie<strong>in</strong>em so raren Genre wie Humor mit direktem <strong>Quitten</strong>bezugdarf man nicht wählerisch se<strong>in</strong>: E<strong>in</strong> Mann kommt zumObsthändler und sagt: Ich hätte gern e<strong>in</strong>en Doppelzentner<strong>Quitten</strong>. (Das war jetzt noch nicht der ganze Witz, wennauch schon ziemlich komisch: Was will der Mann <strong>den</strong>n mitderartig vielen <strong>Quitten</strong>? Und wie will er <strong>die</strong> <strong>den</strong>n ganz alle<strong>in</strong>tragen? Aber weiter im Witz.) Der Obsthändler packt ihmdarauf <strong>die</strong> <strong>Quitten</strong> e<strong>in</strong>. (Auch wieder witzig: Welcher Obsthändlerhat <strong>den</strong>n schon so große Tüten?) Der Mann zahltund fragt <strong>den</strong> Händler: Kann ich bitte e<strong>in</strong>e Quittung haben?(Ende des Witzes.)Der im Vergleich zu ihren nahen Verwandten, dem Apfelund der Birne, ungeme<strong>in</strong> hohe Unbeliebtheitsgrad derQuitte beruht weniger auf ihrer von Sorte zu Sorte verschie<strong>den</strong>stark <strong>aus</strong>geprägten, oft auch fehlen<strong>den</strong> glaswolleartigenBehaarung als auf ihrer Unverzehrbarkeit <strong>in</strong> rohem Zustand.Ihr Fruchtkörper besteht <strong>aus</strong> sogenannten Ste<strong>in</strong>zellen undist daher hart wie Ste<strong>in</strong>. Me<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong> Nikola berichtetemir jedoch, daß sie als junges D<strong>in</strong>g durch<strong>aus</strong> rohe <strong>Quitten</strong>gegessen habe, welche ihr dann allerd<strong>in</strong>gs wie Ste<strong>in</strong>e imMagen gelegen seien. Zum Zerteilen und Schälen der Quittebe<strong>die</strong>ne man sich der Erzeugnisse der Firma Black & Dek-17


ker. Die zerteilten Früchte koche man anschließend mite<strong>in</strong>em Süßungsmittel und Gewürznelken. Wenn man nundas <strong>Quitten</strong>kompott ißt, wird e<strong>in</strong>em sofort e<strong>in</strong> immenserUnterschied zwischen der Unbeliebtheit des Kürbisses undjener der Quitte deutlich: Die Unpopularität des Kürbisses istberechtigt, ähnlich wie zum Beispiel <strong>die</strong> Freude der Mehrheitvon uns Deutschen über <strong>die</strong> 1990 nach vierzig Jahren endlicherrungene staatliche E<strong>in</strong>heit, während <strong>die</strong> Unbeliebtheit derQuitte so unberechtigt ist wie <strong>die</strong> Forderung «Freie Fahrtfür freie Bürger», mit der der ADAC oder ähnliche Organisationen,<strong>die</strong> es sich zur Aufgabe gemacht haben, das Böseim Menschen <strong>in</strong> <strong>den</strong> Rang e<strong>in</strong>es Grundrechts hochzudemokratisieren,anständige Menschen an <strong>den</strong> Rand des Wahns<strong>in</strong>nstreiben und zu Terroristen machen. Das Aroma derQuitte ist e<strong>in</strong>fach himmlisch, wenn nicht sphärisch, wennnicht schönen Liedern <strong>aus</strong> besseren Zeiten gleichend, wennnicht im Wert <strong>den</strong> Worten der Bibel <strong>die</strong> Hände reichend. E<strong>in</strong>Löffel <strong>Quitten</strong>kompott ist wie e<strong>in</strong> Schaumbad <strong>in</strong> siebent<strong>aus</strong>endsüßen Sün<strong>den</strong>, er ist e<strong>in</strong> betörendes Gift, e<strong>in</strong> Aphrodisiakum– ich gebe zu, bei <strong>die</strong>sem Wort eben <strong>die</strong> automatischeRechtschreibkontrolle me<strong>in</strong>es neuen Personal WordProcessors aktiviert zu haben, und es bl<strong>in</strong>kt nichts, sche<strong>in</strong>talso richtig zu se<strong>in</strong> –, e<strong>in</strong> Glas <strong>Quitten</strong>saft, welchen mancheBiolä<strong>den</strong> anbieten, läßt e<strong>in</strong>en wie e<strong>in</strong>en eleganten Pantherdurch <strong>die</strong> Straßen gehen, me<strong>in</strong> Blick wird verlangend, <strong>die</strong>Nüstern beben, und <strong>die</strong> Augen der Frauen <strong>in</strong> der U-Bahnsche<strong>in</strong>en zu sagen: Besorg’s mir, sonderbarer Herr, besorg’smir, aber nicht mit e<strong>in</strong>em <strong>Quitten</strong>artikel, sondern «<strong>in</strong> alterManier», du weißt schon, was ich me<strong>in</strong>e, sonderbarer Herr.(Interessant wäre es zu erfahren, ob <strong>die</strong> automatische Rechtschreibkontrolleauch schwe<strong>in</strong>ische Wörter umfaßt, 236 000Wörter s<strong>in</strong>d gespeichert, da müßte doch was bei se<strong>in</strong>. Die18


Pharisäer sollen bloß still se<strong>in</strong>. Wer hat nicht schon <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erfrem<strong>den</strong> Stadt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ö<strong>den</strong> Hotelzimmer gelangweilt imTelefonbuch geblättert, um nachzuschauen, ob da vielleichtLeute mit unanständigen Nachnamen wohnen? Natürlichnur, um anschließend entrüstet zu se<strong>in</strong> über <strong>die</strong>se Bürger,<strong>die</strong> ke<strong>in</strong>e Anstalten machen, das behördlich ändern zu lassen.Ich schreib jetzt mal was Schockierendes absichtlichfalsch: Spermarylpsende Arschfodse. Oh, wie erschütternd:Bei bei<strong>den</strong> Wörtern bl<strong>in</strong>kt und piept es! Ist es nicht empörend,auf <strong>die</strong>se Weise zu erfahren, daß «spermarülpsend»zu <strong>den</strong> 236 000 gebräuchlichsten Wörtern unserer Muttersprachezählt? Ich be<strong>die</strong>ne hier also e<strong>in</strong>en Schreibcomputer,der von Ferkel<strong>in</strong>genieuren für Ferkelschriftsteller entwickeltwurde. Der Firma Panasonic werde ich e<strong>in</strong>en geharnischtenBrief schreiben, oder ich werde das Gerät zurückgeben undder Verkäufer<strong>in</strong>, <strong>die</strong> eigentlich <strong>den</strong> E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>er Damemachte, vor <strong>die</strong> Füße werfen, sie «Dirne!» schelten und siefragen, ob sie es mit ihrem Gewissen vere<strong>in</strong>baren könne, mitGeräten zu dealen, «handeln» könne man das nicht mehrnennen, <strong>die</strong> «spermarülpsend» im Speicher haben.)Zurück zur Quitte. Leider besteht <strong>die</strong> Unsitte, <strong>aus</strong> <strong>Quitten</strong>sogenannten <strong>Quitten</strong>speck herzustellen. Hier möchteich auf <strong>den</strong> Leser Christoph <strong>aus</strong> Köln zurückgreifen, dermir e<strong>in</strong>en langen, jungenhaft-jovialen Brief über <strong>den</strong> <strong>Quitten</strong>baumse<strong>in</strong>er Oma schrieb, <strong>in</strong> welchem er u. a. formulierte,daß ihm «<strong>Quitten</strong> immer wieder unangenehm <strong>in</strong> <strong>die</strong>Quere» kommen. Dies fand ich niedlich, und es er<strong>in</strong>nertemich daran, daß ich neulich <strong>die</strong> Stadt Xanten besuchte, dortaber ke<strong>in</strong> Xylophon kaufte. Christoph zum Thema <strong>Quitten</strong>speck:«… we<strong>in</strong>gummiähnlich gelierte <strong>Quitten</strong>stücke, <strong>die</strong>dadurch erzeugt wer<strong>den</strong>, daß <strong>Quitten</strong>mus auf e<strong>in</strong>er Platteerkaltet und dann <strong>in</strong> akkurate Rhomben geschnitten wird,19


<strong>die</strong> schließlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Blechbüchse wandern, wor<strong>in</strong> sieauch gerne gelassen wer<strong>den</strong>.» <strong>Quitten</strong>speck hat ebensowie <strong>Quitten</strong>gelee meist <strong>den</strong> Nachteil, Unmengen von Zukkerzu enthalten, der <strong>den</strong> irisieren<strong>den</strong> Eigengeschmack derQuitte nicht unterstreicht, sondern tötet. Deswegen solltenwir Deutschen unsere gesamte Kraft darauf verwen<strong>den</strong>, <strong>die</strong>Quitte <strong>den</strong> an Gelierzuckersäcke genagelten Hän<strong>den</strong> unsererGroßmütter zu entreißen und sie <strong>in</strong> <strong>die</strong> Sparte des eigenständigenGenußmittels h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zuemanzipieren. Laßt uns durch<strong>die</strong> Straßen ziehen und skan<strong>die</strong>ren: «Kompott ja, Saft ja,Speck ne<strong>in</strong> und Gelee nur bed<strong>in</strong>gt!» So ungewöhnlich wäredas nicht. Schon Hanns Eisler soll bei e<strong>in</strong>er Demonstration<strong>in</strong> der jungen DDR e<strong>in</strong> Transparent mit sich geführt haben,auf dem zu lesen war: «Nieder mit dem Quartsextakkord!»Die Quitte hätte ähnliches Engagement ver<strong>die</strong>nt. Schon imalten Griechenland galt sie als Symbol des Glücks, der Liebeund der Fruchtbarkeit. Bei der Hochzeit brachte <strong>die</strong> Griech<strong>in</strong>e<strong>in</strong>e Quitte <strong>in</strong> das H<strong>aus</strong> des Ehemannes, und zwar als –jetzt kommt das schöne Wort <strong>aus</strong> der erlaubten Strophe desDeutschlandliedes – Unterpfand e<strong>in</strong>er glücklichen Ehe.Schließen möchte ich mit dem H<strong>in</strong>weis e<strong>in</strong>es anderenLesers, der mir davon schrieb, daß sich DDR-Bürger leereGetränkedosen als westliche Statussymbole <strong>in</strong>s Wohnzimmerregalgestellt haben. Dies war mir bekannt, neu war miraber <strong>die</strong> Information, daß <strong>die</strong>se Dosen im Leipziger Raumals <strong>Quitten</strong> bezeichnet wur<strong>den</strong>. Ich hatte ke<strong>in</strong>e Gelegenheit,<strong>die</strong>s nachzuprüfen, und würde mich daher über Bestätigungoder Kopfschütteln <strong>aus</strong> <strong>den</strong> neuen Ländern freuen.Nachbemerkung:Es erreichte mich Kopfschütteln.20

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