Partnerschaft & Teilhabe
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Partnerschaft & Teilhabe
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FGQ<br />
FÖRDERGEMEINSCHAFT DER QUERSCHNITTGELÄHMTEN IN DEUTSCHLAND e.V.<br />
<strong>Partnerschaft</strong> &<strong>Teilhabe</strong>
Das passende Hilfsmittel...<br />
Pflege erleichternde Hilfen,<br />
Wund- und Schmerzmanagement,<br />
Medizinische Nahrungsergänzung<br />
Orthopädietechnik, Inkontinenzund<br />
Stomaversorgung,<br />
Therapiehilfsmittel<br />
…ist der wichtige Baustein für mehr Lebensqualität. Wir möchten Ihnen helfen, Ihre Selbstbestimmtheit zu<br />
erhalten, Stärken zu fördern und Ihre Defizite auszugleichen. Alle Standorte sind für die individuelle Anpassung und<br />
Erprobung mit dem neuesten Stand der Technik auf Sie eingerichtet, inkl. Montage- und Werkstattservice vor Ort.<br />
Bei der Erledigung der Formalitäten sind wir Ihnen gerne behilflich. Rufen Sie uns an oder besuchen Sie uns:<br />
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Druckentlastung und für das Stehtraining
Mitten im Leben<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
in der Politik gibt es Begriffe, die<br />
viele nicht verstehen und oft auch<br />
als Geschwätz einordnen. Viele<br />
behinderte Menschen haben z.B.<br />
das Wort „Integration“ für wertlos<br />
gehalten. Das könnte auch inhaltliche<br />
Gründe gehabt haben. Ein Freund<br />
von mir sagte gern, er wolle gar nicht<br />
integriert sein. Ich wusste genau was<br />
er meinte. Integriert sein heißt sich anzupassen,<br />
so zu funktionieren, dass man das übliche Spiel<br />
mitspielen kann. Übersetzt heißt es für behinderte<br />
Menschen, dass sie klaglos die Barrieren überwinden<br />
müssen und zusätzliche Kräfte aufwänden, um eine<br />
Leistung (z.B. im Arbeitsleben) zu erbringen wie alle<br />
anderen auch.<br />
„Inklusion“ ist ein sperriges Wort, hört sich auch<br />
irgendwie merkwürdig an. Aber der Gedanke<br />
dahinter ist richtig. Die UN-Konvention über die<br />
Rechte von Menschen mit Behinderungen, die jetzt<br />
auch in unserem Land gilt, verlangt, dass unsere<br />
Bedürfnisse lebenslang in staatliche Planungen<br />
mit einbezogen werden, dass eine schulische<br />
Ausbildung ohne Aussonderung genauso möglich<br />
ist wie eine Teilnahme am regulären Arbeitsmarkt.<br />
Dass sich das Recht auf <strong>Partnerschaft</strong>, letztendlich<br />
auch auf Sexualität, nicht individuell einklagen lässt,<br />
liegt allerdings auf der Hand. Grundsätzlich gilt das<br />
Recht auf <strong>Teilhabe</strong> aber umfassend von politischen<br />
Grundsätzen bis hin zu privatesten Bereichen.<br />
Wir versuchen mit dieser Broschüre einen großen<br />
Bogenzuschlagen.EssindsehrvieleThemenbereiche,<br />
die eine Rolle dabei spielen, wenn es darum geht,<br />
z.B. Menschen mit einer Querschnittlähmung zu<br />
befähigen ein selbstbestimmtes Leben mitten in der<br />
Gesellschaft zu führen. Einer Gesellschaft, die immer<br />
kälter und materialistischer wird, in der es immer<br />
Editorial<br />
mehr ums Geld und immer weniger um den Wert<br />
des menschlichen Lebens geht.<br />
Es wird also schwerer, unmöglich ist es nicht. Viele<br />
Menschen mit einer Querschnittlähmung behaupten<br />
sich auch in diesen Zeiten, leben ein integriertes und<br />
aktives Leben mit einem intakten Umfeld, einer<br />
<strong>Partnerschaft</strong>, mit gemeinnützigem Engagement<br />
oder einer erfolgreichen Berufstätigkeit.<br />
Es kann aber auch nicht schaden, dass die<br />
internationale Politik z.B. mit der UN-Konvention,<br />
aber auch mit Diskriminierungsverbot im<br />
Grundgesetz oder Gleichstellungsgesetzen die<br />
Bürgerrechte behinderter Menschen fordert. Wir<br />
sollten diese Rechte nutzen und sie vor Gericht<br />
und in der öffentlichen Diskussion einklagen. Denn<br />
Papier allein ist nur zu geduldig. Wir werden alle<br />
daran mitarbeiten müssen unsere Rechte aus den<br />
Gesetzen in die Lebenswirklichkeit zu holen. Meine<br />
Lebenserfahrung sagt mir: Ohne teils auch erbitterte<br />
Kämpfe wird es nicht funktionieren …<br />
Die vollwertige <strong>Teilhabe</strong> der Betroffenen am<br />
Leben war und ist immer noch das Ziel der<br />
Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten in<br />
Deutschland e.V. (FGQ), unserem bundesweiten<br />
Selbsthilfeverein mit jahrzehntelanger Erfahrung.<br />
Wenn Sie einen Rat brauchen oder wissen möchten,<br />
welche Erfahrungen andere mit dieser Behinderung<br />
bereits gemacht haben, kommen Sie zu uns. Wir<br />
wissen wie man mit Querschnittlähmung lebt. Und<br />
wenn Sie zu uns kommen wollen, um Ihre gemachten<br />
Erfahrungen an andere weiter zu geben – herzlich<br />
willkommen. Kontaktadressen finden Sie am Ende<br />
dieser Broschüre.<br />
Peter Mand, FGQ Schriftführer<br />
3
4<br />
6<br />
9<br />
14<br />
18<br />
24<br />
30<br />
34<br />
39<br />
Inhalt<br />
Editorial 3<br />
Bestandsaufnahme:<br />
Mehr Rechte statt Almosen<br />
Integration durch Technik:<br />
Auto-Mobilität<br />
Unterstützung bei der <strong>Teilhabe</strong>:<br />
Ergotherapie – Training für den Alltag<br />
<strong>Partnerschaft</strong> & Sexualität<br />
Das Wunder des Lebens<br />
44 Wohnen für alle<br />
50<br />
Schadensersatzforderungen –<br />
Behindertengerechtes Wohnen<br />
Mitten im Leben<br />
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen:<br />
Die Freiheit der Selbstbestimmung<br />
Gesetz und Wirklichkeit:<br />
Mit dem Rolli zur Schule<br />
Inkontinenz beherrschen<br />
mit dem „Blasenstimulator“
56<br />
Zuzahlungen in der Gesetzlichen<br />
Krankenversicherung<br />
62 Befreiung von den Rundfunkgebühren<br />
65 Arbeitsgemeinschaften<br />
66 FGQ / Impressum<br />
Markt<br />
Titelfoto<br />
www.emanuelbloedt.de<br />
11<br />
22<br />
36<br />
43<br />
47<br />
48<br />
Inhalt<br />
Kleine Schule des guten Stehens<br />
KADOMO sucht nach der besten Lösung:<br />
Autoumrüstung – einfach gut<br />
Richtig selbst katheterisieren:<br />
So lassen sich Infekte vermeiden<br />
Auszeichnung für PARAVAN-Chef<br />
Roland Arnold<br />
Kathetersysteme<br />
R-Klasse mit besonderem Umbau<br />
5
6<br />
Bestandsaufnahme:<br />
Mehr Rechte statt Almosen<br />
Es fehlt in Deutschland nicht grundsätzlich an Hilfen für behinderte Menschen. Doch in<br />
Skandinavien und USA gibt es weniger Ausgrenzung als hierzulande.<br />
In den USA war es kein Problem, dass zwei<br />
Präsidenten mit dem Namen Roosevelt<br />
sichtbar schwer behindert waren: Franklin D.<br />
war durch Kinderlähmung Rollstuhlfahrer und<br />
Theodore wegen Asthma deutlich geschwächt.<br />
Daneben gab es den nach einem Attentat<br />
querschnittgelähmten Gouverneur von Ala-<br />
bama, George Wallace. Der blinde britische<br />
Innenminister David Blankett, galt bis zu<br />
seinem Rücktritt als erfolgreichstes Mitglied<br />
im Kabinett von Tony Blair.<br />
Bei diesen Menschen zählten die Fähigkeiten<br />
und Leistungen, wobei die Behinderung eine<br />
untergeordnete Rolle spielte. Leider ist das in<br />
Deutschland nicht so der Fall. Hier werden<br />
Menschen mit Behinderungen gern in eine<br />
bestimmte Ecke gedrängt und von vornherein<br />
als leistungsgemindert eingestuft.<br />
1997 stelle der Stern nach einem Interview mit<br />
Wolfgang Schäuble auf dessen Wunsch folgen-<br />
de Frage: „Ein Krüppel als Bundeskanzler?“ Der<br />
1990 durch ein Attentat querschnittgelähmte<br />
damalige Fraktionschef wurde als Nachfolger<br />
von Helmut Kohl gehandelt. (Anm.d.Red.:<br />
Die auf einem Zitat Schäubles beruhende o.e.<br />
Formulierung wurde 2010 erneut benutzt,<br />
um am Stuhl des vorübergehend erkrankten<br />
Finanzministers zu sägen. Dadurch wurde<br />
nicht nur seine Behinderung als Waffe gegen<br />
ihn benutzt, sondern gleich eine ganze<br />
Bevölkerungsgruppe beleidigt.)<br />
Immer noch Ausgrenzung<br />
Es gibt laut Gesetzgeber keine Krankheit, die<br />
das „Aus-dem-Verkehr-ziehen“ rechtfertigt,<br />
aber das scheint in das Bewusstsein vieler<br />
Menschen noch nicht vorgedrungen zu sein.<br />
Ängste und Missverständnisse bestimmen noch<br />
für viele die Begegnung mit körperlichen,<br />
geistigen und seelischer Behinderung. Jede<br />
Abweichung vom „Normalen“ wird als eine Art<br />
Makel betrachtet. Auch wenn es keiner nach<br />
außen hin zugeben mag, findet eine gewisse<br />
gesellschaftliche Ausgrenzung statt.<br />
Aus diesem Grunde war es für Behinderte in<br />
Deutschland – im Gegensatz zu Skandinavien
und den USA – mit vielen Schwierigkeiten<br />
verbunden, ihre Interessen bei den Einrich-<br />
tungen in öffentlichen Gebäuden und Ver-<br />
kehrsmitteln durchzusetzen. Über viele Jahre<br />
gab es in der Bahn weder geeignete Abteile<br />
noch Toiletten. Nach vielen Protesten wurden<br />
behindertengerechte Abteile und Toiletten<br />
angeschafft. Da aber automatische Ein- und<br />
Ausstieghilfen fehlten, können Rollstuhlfahrer<br />
ohne fremde Hilfe weder ein- noch aussteigen.<br />
In einem Teil der Nahverkehrszüge setzt<br />
die Bahn AG inzwischen Rampen ein, die<br />
auf Knopfdruck ein- und ausfahren, aber<br />
immer noch werden Fahrgäste im Rollstuhl<br />
mit primitiven Handkurbelkonstrukten in<br />
hypermoderne Fernzüge verladen.<br />
Hilfe bekamen die deutschen Behinderten<br />
von den behinderten Regierungsvertretern der<br />
Präsidenten Bill Clinton und George W. Bush.<br />
Auf seinen Reisen durch die Bundesrepublik<br />
erläuterte der Behindertenbeauftragte<br />
beider Präsidenten, der Rollstuhlfahrer Justin<br />
Dart, die Vorzüge des weltweit als Vorbild<br />
geltenden US-Antidiskriminierungs- und<br />
Gleichstellungsgesetzes behinderter Menschen<br />
„The Americans with Disabilities Act“ vom<br />
Juli 1990. Die konsequente Anwendung<br />
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das allround toiletten system<br />
Einsetzbar als<br />
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Armlehnen abschwenkbar.<br />
Sitzposition und Fußrasten<br />
verstellbar. Faltbarer Rahmen<br />
aus rostfreiem Edelstahl.<br />
Umfangreiches Zubehör!<br />
hat den behinderten Menschen in den USA<br />
Gelegenheit gegeben, am gesellschaftlichen<br />
Geschehen teilzuhaben, und dadurch viele<br />
Dollar zusätzlicher Einnahmen in den Wirt-<br />
schaftskreislauf gespült.<br />
In USA haben Menschen mit Behinderung<br />
einklagbare Bürgerrechte, mit denen sie<br />
Barrieren einreißen können. Allerdings ist es<br />
mit den sozialen Zuwendungen und einer<br />
umfassenden Sozialversicherung im Vergleich<br />
zur Bundesrepublik nicht gerade zum Besten<br />
bestellt. Hier gibt es diese Leistungen. Trotz<br />
Benachteilungsverbot im Grundgesetz und<br />
Gleichstellungsgesetzen müssen die Behin-<br />
derten bei uns aber noch um Beseitigung von<br />
Hindernissen und Diskriminierungen ringen.<br />
Länderübergreifendes<br />
Bewusstsein schaffen<br />
In Bundesministerien, Behörden und gesetz-<br />
lichen Krankenkassen müssten die Internet-<br />
seiten seit Januar 2006 für Menschen mit und<br />
ohne Behinderungen gleichermaßen zugäng-<br />
lich sein. Das Allgemeine Gleichbehand-<br />
lungsgesetz vom 17. August 2006 verbietet<br />
Diskriminierung der Menschen auch wegen<br />
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ihrer Behinderung. Betroffene sollten sich<br />
darauf verlassen können, dass sie nicht länger<br />
wegen ihres Handikaps aus Restaurants und<br />
Läden ausgeschlossen werden und dass<br />
Banken, Versicherungen, Reiseanbieter, Haus-<br />
und Wohnungsvermittler ihnen Verträge nicht<br />
verweigern.<br />
Aber kaum ein Gesetz hat zu der Beseitigung<br />
von Mauern zwischen Menschen mit und<br />
ohne Behinderungen beigetragen. So<br />
bewerteten einige Urlauber die Anwesenheit<br />
von Behinderten in Ferienhotels wiederholt als<br />
„Urlaubsfreuden mindernd“. Es wurde ihnen<br />
sogar Schadenersatz zugesprochen.<br />
Immer noch müssen Städteplaner, Architekten,<br />
Verkehrsbetriebe und Ladenbesitzer mühsam<br />
davon überzeugt werden, dass ebenerdige<br />
Aufzüge, über eine Rampe erreichbare Läden,<br />
Bahnen und Busse mit automatisch ein- und<br />
ausfahrbaren Rampen und stufenlosen Zugang<br />
nicht nur den Mobilitätsbeeinträchtigten zu<br />
Gute kommen, sondern auch kleinen Kindern<br />
und Müttern mit Kindern das Leben erleichtern<br />
würden.<br />
Integration in Europa?<br />
In den USA haben die auf Pflege und Assistenz<br />
angewiesenen Menschen mit Unterstützung<br />
durch den obersten Gerichtshof ihreEinweisung<br />
in Pflegeheime verhindert. Die Richter haben<br />
den Wohnkommunen aufgegeben, mit<br />
ambulanten Hilfen diesen Menschen das<br />
Verbleiben in den eigenen vier Wänden zu<br />
ermöglichen. In Deutschland bevorzugen<br />
die Sozialhilfe und Pflegeversicherung den<br />
Heimaufenthalt. Aus diesem Grunde streiten<br />
sich die Betroffenen, die in den eigenen vier<br />
Wänden leben und als Arbeitgeber selbst<br />
ihre Hilfskräfte anstellen möchten, mit den<br />
Sozialämtern vor Verwaltungsgerichten.<br />
Im zusammenwachsenden Europa sollten die<br />
Staaten voneinander lernen und das über-<br />
nehmen, was sich bei den Nachbarn be-<br />
währt hat. Durch die Überzeugungskraft<br />
des blinden Abgeordneten David Blankett<br />
hat England nach US-Vorbild ein Antidis-<br />
kriminierungs- und Gleichstellungsgesetz be-<br />
schlossen. Zusammen mit der Reform der<br />
Sozialsysteme wird es dem Menschen mit<br />
Behinderungen in wenigen Jahren die<br />
vollkommene berufliche und gesellschaftliche<br />
Integration ermöglichen, ist das Europäische<br />
Behindertenforum in Brüssel überzeugt.<br />
Text: Heike Stüvel<br />
Foto: www.emanuelbloedt.de
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen:<br />
Die Freiheit der Selbstbestimmung<br />
Das seit März auch in Deutschland geltende Abkommen verlangt eine möglichst große<br />
<strong>Teilhabe</strong> an der Gesellschaftohne Ausgrenzung. Auch der neue Behindertenbeauftragte<br />
der Bundesregierung Hubert Hüppe fordert radikale Veränderungen in Schulen<br />
und Behörden. Er will zur Umsetzung der UN-Konvention über Menschen mit<br />
Behinderungen bald einen Beirat einsetzen. Darin sollen Betroffene die Mehrheit<br />
haben. Denn für Hüppe gilt der Grundsatz: „Nichts über uns – ohne uns“ (– der aus<br />
der Behindertenbewegung von 1981 stammt; Anm.d.Red.)<br />
Deutschland hat eine UN-Konvention unter-<br />
zeichnet, die zwingend vorschreibt, dass be-<br />
hinderte Kinder auf die dieselben Schulen<br />
gehen dürfen wie nicht behinderte Kinder<br />
und das Schulsystem umgebaut werden muss.<br />
Eines der Hauptanliegen der Behinderten-<br />
Verbände ist der gemeinsame Unterricht von<br />
behinderten und nicht behinderten Kindern.<br />
Deutschland ist hier europäisches Schlusslicht:<br />
Nur 15,7 Prozent der behinderten Kinder be-<br />
suchen eine Regelschule. Von mehr als 400 000<br />
an Förderschulen (den früheren Sonderschulen)<br />
unterrichteten Kindern verlassen mehr als<br />
77 Prozent die Schule ohne Abschluss.<br />
Der gemeinsame Unterricht für behinderte<br />
und nicht behinderte Kinder nützt beiden:<br />
Die soziale Kompetenz wächst und Vorurteile<br />
werden abgebaut. Zudem werden behinderte<br />
Kinder herausgefordert, ihren nicht behin-<br />
derten Mitschülern zu zeigen, was sie alles<br />
können. Wichtig dafür ist qualifiziertes Perso-<br />
nal an den Regelschulen. Es müssen ent-<br />
sprechende Rahmenbedingungen geschaffen<br />
werden, denn 30 Schüler und eine Lehrkraft,<br />
das ist kaum befriedigend. Hüppe ist davon<br />
überzeugt, dass gemeinsames Lernen nicht<br />
Gleichmacherei bedeutet, sondern die<br />
Leistungsfähigkeit der Schüler steigert. Er er-<br />
wartet noch in diesem Jahr von allen Län-<br />
dern, dass Maßnahmen ergriffen werden,<br />
um behinderten Kindern den Besuch der<br />
Regelschule zu ermöglichen, wie es die<br />
UN-Konvention will.<br />
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass<br />
die Leistungen der Schüler umso schlechter<br />
sind, je früher sie auf eine Förderschule<br />
gehen und je länger sie dort verweilen.<br />
Schüler wachsen mit den Ansprüchen, die<br />
man an sie stellt. Wenn ständig speziell dafür<br />
ausgebildete Pädagogen ihre Hand schützend<br />
über die Schüler halten, gibt es kaum<br />
Herausforderungen, und es entsteht keine<br />
Atmosphäre, an der ein Kind wachsen kann.<br />
Ein Leistungsgefälle ist nötig, um den Ehrgeiz<br />
der Schüler anzuspornen.<br />
Auf Augenhöhe<br />
Auf dem Papier scheint Deutschland ein<br />
sehr behindertenfreundliches Land zu sein<br />
und hat einige positiv klingende Gesetze<br />
verabschiedet in den vergangenen Jahren. Es<br />
gibt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz,<br />
das Behindertengleichstellungsgesetz und das<br />
Sozialbuch mit der Nummer IX, ein Regelwerk,<br />
das Selbstbestimmung und <strong>Teilhabe</strong> verspricht.<br />
Auch im Grundgesetz sind die Rechte Behin-<br />
derter inzwischen verankert: „Niemand darf<br />
9
10<br />
-Anzeige-<br />
wegen seiner Behinderung benachteiligt<br />
werden“, steht seit 1994 in Artikel 3, Absatz<br />
3. Aber wie sieht es in der Realität aus?<br />
Behinderte besuchen in der Regel immer<br />
noch nicht nur besondere Schulen, sondern<br />
arbeiten oft auch in besonderen Betrieben<br />
wie Behindertenwerkstätten. Sie werden<br />
ausgegrenzt, werden aus Unsicherheit häufig<br />
höflich übersehen, angestarrt oder nur<br />
verstohlen beäugt. Man weiß nicht genau,<br />
wie man sich natürlich gegenüber einem<br />
Behinderten verhalten soll, weil der Anblick<br />
dieser Menschen ein Tabu berührt. Es ist die<br />
Unsicherheit gegenüber dem Fremden und<br />
das Unbekannte, was den Leuten Angst<br />
macht. Menschen mit Behinderungen werden<br />
immer noch häufig in Heimen untergebracht.<br />
Es gibt aber auch gute Beispiele wie in der<br />
Autoindustrie, wo schon mehr behinderte<br />
Mitarbeiter beschäftigt sind als die fünf<br />
Prozent, die das Gesetz vorschreibt. Aber<br />
mehr als drei Viertel aller privaten Betriebe<br />
in Deutschland, die mehr als 20 Mitarbeiter<br />
beschäftigen, kommen dieser Vorschrift nicht<br />
in dem gewünschten Maße nach. Bei ungefähr<br />
30 000 Unternehmen arbeitet kein einziger<br />
Schwerbehinderter…<br />
(Anm.d.Red.: Querschnittgelähmte arbeiten<br />
selten in der Schwerindustrie, auch in den<br />
behindertenwerkstätten sind sie eine kleine<br />
Minderheit. Aber das grundsätzliche Problem<br />
gilt für sie auch: Wenn Gewinnmaximierung<br />
der einzige Maßstab ist, haben Menschen<br />
mit einem Handikap in der Wirtschaft kaum<br />
Chancen. Dabei geht Potential verloren –<br />
wer mit einer Behinderung leben lernt, hat<br />
Fähigkeiten erworben, die durchaus erwarten<br />
lassen, dass er auch schwierigste Aufgaben und<br />
härtesten Bedingungen lösen kann …)<br />
Noch viel zu oft leben und arbeiten Menschen<br />
mit Behinderungen in Sondereinrichtungen.<br />
Artikel 19 der UN-Menschenrechtskonvention<br />
legt das Recht auf unabhängige und<br />
selbstbestimmte Lebensführung verbindlich<br />
fest. Der Staat soll mit Hilfe gemeindenaher<br />
Unterstützungsdienste und persönlicher<br />
Assistenz allen Menschen mit Behinderung<br />
ein Leben in der Wohnung ihrer Wahl und<br />
an einem Ort ihrer Wahl ermöglichen. Die<br />
Beseitigung von Barrieren aller Art soll das<br />
vorurteilsfreie Zusammenleben aller erreichen.<br />
Der Traum von einem selbstbestimmtem Leben<br />
und der Integration hinsichtlich Arbeit, Beruf<br />
und Gesellschaft, könnte bald wahr werden.<br />
Text: Heike Stüvel
Kleine Schule des guten Stehens<br />
Als ich vor 17 Jahren als Physiotherapeutin in der Klinik mit querschnittgelähmten<br />
Patienten zu arbeiten begann, lernte ich gerade noch die „alte Schule“ des Stehens<br />
mit Hilfsmitteln kennen: Sobald ein Patient ausreichend Armkraft hatte, um sich in<br />
den Stand hochzudrücken, wurden ihm „Schienenschellenapparate“ angefertigt und<br />
los ging es! Mit Hilfe dieser Schienen wurde verhindert, dass die Kniegelenke im<br />
Stand einknickten. Selbst bei komplett gelähmter Rumpfmuskulatur erlernte auf<br />
diese Weise jeder Patienten im Gehbarren das Stehen und Gehen ohne Rücksicht<br />
auf die unphysiologisch starke Belastung vieler Gelenke. Seitdem hat sich die<br />
Philosophie des Stehens zum Glück erheblich verändert.<br />
„Nicht um jeden Preis“ ist heute die Devise.<br />
Es wird darauf geachtet, dass beim Stehen<br />
Folgeschäden durch Überlastung von<br />
Gelenken, Bändern und anderen passiven<br />
Strukturen vermieden werden. Die besondere<br />
körperliche Belastung im Alltag eines<br />
Querschnittgelähmten ist sehr hoch und sehr<br />
einseitig. Entsprechend verantwortungsvoll<br />
sollte mit den körperlichen Ressourcen<br />
umgegangen werden, aber auch nichts<br />
ungenutzt bleiben. In diesem Beitrag möchte<br />
ich das Stehtraining aus orthopädischer Sicht<br />
beleuchten.<br />
Durch die einseitige sitzende Position für<br />
Rollstuhlfahrer ist die Stehfunktion eine wich-<br />
tige Ausgleichsposition fürdie Muskelelastizität,<br />
Gelenkbelastung und Elastizität des Kapsel-<br />
Bandapparates der Gelenke im Sinne der<br />
Kontrakturprophylaxe (Vorbeugung gegen<br />
Muskelverkürzung). Besonderes Augenmerk<br />
ist auf die Beckeneinstellung zu legen. Die<br />
Beckenposition bildet die Basis und definiert<br />
die Wirbelsäuleneinstellung in der Stehposition.<br />
In der Sitzposition eines Rollstuhlfahrers sind<br />
die hüftbeugenden Muskelgruppen ange-<br />
nähert. Das natürliche Bestreben eines Mus-<br />
Markt<br />
kels ist es, sich zusammenzuziehen. Schon<br />
bald nach dem Ereignis einer Querschnitt-<br />
lähmung/Bewegungsverlustes beginnen sich<br />
diese Muskelgruppen zu verkürzen, wenn<br />
sie nicht regelmäßig täglich durch eine Ver-<br />
änderung der Ausgangsstellung in Form des<br />
Stehtrainings verlängert bzw. gedehnt wer-<br />
den. Muskelverkürzungen treten besonders<br />
dann auf, wenn nur eine Funktion der hüft-<br />
beugenden Muskulatur besteht, aber der Ge-<br />
genspieler zur Hüftstreckung nicht aktiv ist.<br />
Moderne Sitz- / Stehtrainer sind so konzipiert,<br />
dass sie von der sitzenden Position in den Stand<br />
führen. Das Becken ist als Schlüsselpunkt durch<br />
die Sitzbeine auf der Sitzfläche verankert.<br />
Unterhalb des Beckens bilden die Oberschenkel<br />
einen Abstützpunkt und oberhalb die<br />
Brustpelotte – über die Wirbelsäule. Im Sitzen<br />
sind die Abstützpunkte winklig einander<br />
zugeordnet. Während des Aufrichtens kommt<br />
es zur zunehmenden lotrechten Ausrichtung.<br />
Das Aufstehen aus dem Sitz entspricht prinzi-<br />
piell dem natürlichen Verhalten von Fuß-<br />
gängern und die Zuordnung der Abstütz-<br />
punkte beschreibt räumlich den gleichen Weg.<br />
Der Unterschied liegt allerdings in der<br />
11
12<br />
Markt<br />
Stehen ohne ... ... und mit Entlordosierung<br />
Beckendrehbewegung bzw. Kippung nach<br />
hinten. Bei einem Fußgänger ist das Becken<br />
frei für diese entscheidende kleine Drehung<br />
um die Querachse und das führt zu dieser<br />
Rückkippung des Beckens. Sie wird automa-<br />
tisch muskulär geführt und findet kurz vor<br />
Erreichen des Standes statt. Die Lenden-<br />
wirbelsäule wird so natürlich gestreckt.<br />
Schwächstes Glied der Kette<br />
Wenn ein Rollstuhlfahrer mit einem Stehgerät<br />
in den Stand wechselt, drückt die Sitzfläche<br />
das Becken ebenso nach vorne. Aber die<br />
in die Sitzfläche eingetauchten Sitzbeine<br />
verhindern diese Rückkippung des Beckens,<br />
also die Drehung um die Querachse. Die<br />
Lendenwirbelsäule wird in ein starkes<br />
Hohlkreuz gezwungen – im Fachjargon<br />
auch „Hyperlordose“ oder „übertriebenes<br />
Hohlkreuz“ genannt. Die übrige Wirbelsäule<br />
stellt sich wie ein zu scharf gebogenes „S“ ein.<br />
Diese Hyperlordose führt zu einer Kompression<br />
in den Wirbelgelenken und längerfristig zur<br />
Lockerung der Bandstrukturen und anderen<br />
Sekundärproblemen. Normal wäre aber<br />
ein lang gestrecktes, abgeflachtes „S“. Zur<br />
Vermeidung dieser Hyperlordose müsste eine<br />
„entlordosierende“ Bewegung durch das<br />
Becken über eine Bewegung der Sitzfläche<br />
bewirkt werden.<br />
Wenn nun Verkürzungen der Hüftbeuger auch<br />
nur im geringsten Maße noch hinzukommen,<br />
wird der Effekt der Beckenrückkippung oder<br />
„Entlordosierung“ zusätzlich behindert. Eine<br />
Hüftstreckung wird trotz der Stehposition<br />
nicht erzielt und somit auch kein Aufdehnen<br />
der Hüftbeuger. Es geben also die vielen<br />
Gelenke der Wirbelsäule nach und werden<br />
zum schwächsten Glied der Kette.<br />
In unserer Physiotherapieabteilung haben<br />
wir verschiedene Systeme von allen<br />
marktführenden Stehgeräteherstellern. Nach<br />
individueller Auswahl und optimaler Anpassung<br />
können die Patienten die Systeme während des<br />
Klinikaufenthaltes im eigenverantwortlichen<br />
Training erproben. Für die häusliche Versorgung<br />
wird nach einer längerfristigen Erprobung, eine<br />
auf die individuellen Bedürfnisse ausgerichtete<br />
Stehversorgung verordnet.<br />
Becken richtig stellen<br />
In den vielen Jahre meiner Arbeit mit<br />
querschnittgelähmten Patienten ergab<br />
sich allerdings bei der Anpassung der<br />
Stehversorgungen immer wieder die<br />
Problematik der Beckenpositionierung.<br />
Bei den bisherigen Stehgeräten am<br />
Markt besteht nicht die Möglichkeit der<br />
physiologischen Beckenpositionierung im<br />
Sinne der Rückkippung zur Entlordosierung<br />
der Lendenwirbelsäule. Dies lässt sich nur<br />
unter therapeutischer Hilfestellung korri-<br />
gieren, wodurch die Selbstständigkeit und<br />
Eigenverantwortlichkeit stark eingeschränkt
wird. Es bedarf eines Entlordosierungssystems,<br />
die den Schlüsselpunkt „Becken“ an den<br />
Sitzbeinen in die Rückkippung führt. Weiterhin<br />
sollte der Abstand der Abstützpunkte oberhalb<br />
und unterhalb des drehenden Beckens um<br />
die Querachse durch die mobile Sitzfläche<br />
nicht zu groß sein. Statt einer Brustpelotte,<br />
die zu viele bewegliche Gelenke inkludiert,<br />
ist eine Abstützung durch eine Bauchpelotte<br />
erheblich günstiger zur Entlordosierung der<br />
Lendenwirbelsäule. Mit einem solchen System<br />
wäre eine Entlastung der passiven Strukturen<br />
zur verbesserten Wirbelsäuleneinstellung zu<br />
erreichen.<br />
Gemeinsam mit der Firma EasyStand habe<br />
ich Lösungen zu dieser biomechanischen<br />
Problematik erarbeitet, worauf hin das<br />
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Ihr markenunabhängiger<br />
Fahrzeugumrüster.<br />
SICHER<br />
ZUVERLÄSSIG<br />
PREISGÜNSTIG<br />
EINFACH MOBIL SEIN.<br />
Bild zeigt: Neue 6-Wege-Sitzverstellung für Kleinbusse.<br />
DIE MOBILITÄTSMANUFAKTUR<br />
Behindertengerechter Fahrzeugumbau zum Anfassen!<br />
oben beschriebene Entlordosierungssystem<br />
entwickelt wurde, um eine optimale Becken-<br />
einstellung in den EasyStand Stehtrainern zu<br />
erzielen.<br />
Mit dem neu entwickelten „Entlordosierungs-<br />
system“ ist eine entscheidende Verbesserung<br />
für das Stehtraining Querschnittgelähmter und<br />
neurologisch betroffener Patienten gefunden<br />
worden, welche nahezu jedem Patienten<br />
die Möglichkeit gibt, seine Gesundheit und<br />
Lebensqualität in Eigentherapie zu schützen<br />
oder zu verbessern!<br />
MoSo-GmbH / Remscheid, info@easystand.eu,<br />
www.easystand.eu.<br />
®<br />
KADOMO<br />
BEHINDERTENGERECHTE FAHRZEUGE<br />
Markt<br />
Text: Annette Ocker, Physiotherapeutin<br />
KADOMO GmbH • Bundesweiter Service • Beratung unter: 02173-2044600 • www.KADOMO.de<br />
Ihre<br />
Ansprechpartner:<br />
Frank Rösner<br />
Tel. 02173-2044620<br />
Hakki Yavuzyasar<br />
Tel. 02173-2044617<br />
Udo Späker<br />
Tel. 02173-2044615
14<br />
Gesetz und Wirklichkeit:<br />
Mit dem Rolli zur Schule<br />
Seit Anfang 2009 gilt auch in Deutschland die UN-Behindertenkonvention. Sie fordert<br />
so genannte „inklusive Schulen“, in denen Kinder mit und ohne Behinderungen<br />
gemeinsam miteinander und voneinander lernen. Um solche Schulen zu unterstützen,<br />
wurde im letzten Jahr der „Jakob Muth-Preis für inklusive Bildung“ als ein Projekt<br />
der Bertelsmann-Stiftung ausgeschrieben und zum ersten Mal verliehen.<br />
Djamal und seine Mutter müssen häufig gemeinsam<br />
Hindernisse überwinden.<br />
Gleich drei Schulen sind die gleichberechtigten<br />
Preisträger: die Erika-Mann-Grundschule (Ber-<br />
lin), die Integrierte Gesamtschule Linden<br />
(Hannover) und die Sophie-Scholl-Schule<br />
(Gießen). Für ihren vorbildlichen gemeinsamen<br />
Unterricht von behinderten und nicht be-<br />
hinderten Kindern erhalten die drei Schulen<br />
jeweils ein Preisgeld von 3 000 EURO.<br />
Es gibt sie also doch, die empfehlenswerten<br />
Schulen, die sich auf den Weg gemacht haben,<br />
um inklusive Schulen zu werden. Das tröstet<br />
ein wenig. In normalen Schulen ist der Alltag<br />
für Kinder im Rollstuhl nämlich nicht unbedingt<br />
empfehlenswert. Der 11-jährige Djamal aus<br />
Potsdam zum Beispiel erfährt gerade, dass<br />
er als Rollstuhlfahrer nicht so einfach von der<br />
Grundschule auf das Gymnasium wechseln<br />
kann. Bisher geht er als Integrationskind in<br />
die evangelische Grundschule der Hoffbauer-<br />
Stiftung. Die meisten seiner Freunde werden<br />
im Sommer in das Gymnasium der Stiftung<br />
wechseln, das nur ein paar Kilometer entfernt<br />
auf der Halbinsel Hermannswerder liegt. Ein<br />
schönes altes Gebäude, das leider unter<br />
Denkmalschutz steht. Ein behindertengerechter<br />
Umbau ist offenbar nicht möglich oder<br />
jedenfalls von den Kosten her nicht realisierbar.<br />
Schulen haben andere<br />
Prioritäten<br />
Also machten Djamal und seine Mutter Karin<br />
Lehnert sich auf die Suche nach Alternativen.<br />
Im Ortsteil Kirchsteigfeld gibt es zwar eine<br />
barrierefreie Gesamtschule, aber die beiden<br />
fühlten sich in dem dortigen Umfeld spontan<br />
nicht richtig wohl.Das nächsterollstuhlgerechte<br />
Gymnasium liegt in Kleinmachnow, einer zu<br />
Berlin gehörenden Gemeinde. Die Schule
ist bestens für Rollstuhlfahrer geeignet und<br />
„einfach cool“, wie Djamal zugibt. Vor allem<br />
gefällt dem Technikfreak die Ausstattung<br />
mit Notebooks, SMART Boards und höhen-<br />
verstellbaren Tischen.<br />
Andererseits würde ein Schulbesuch in<br />
Kleinmachnow für Djamal bedeuten, dass er<br />
sehr früh vom Fahrdienst abgeholt werden<br />
müsste. Noch wichtiger ist vielleicht, dass<br />
der Kontakt zu den bisherigen Freunden<br />
wahrscheinlich abbrechen würde. Das alles<br />
ließe sich durch den Bau eines Aufzuges<br />
vermeiden, eine eigentlich relativ einfache<br />
Angelegenheit. „Das Problem betrifft ja nicht<br />
nur uns“, beschreibt Djamals Mutter. „Es<br />
gibt doch auch Eltern im Rollstuhl, die zum<br />
Beispiel Elternsprechstunden besuchen wollen.<br />
Aber die Schulen haben leider einfach andere<br />
Prioritäten“.<br />
-Anzeige-<br />
Was ist Inklusion?<br />
Bei den Schulen, die den „Jakob Muth-<br />
Preis für inklusive Bildung“ erhalten haben,<br />
ist das anders. Für den Preis haben sich<br />
144 Schulen beworben. Bei ihnen steht der<br />
Integrationsgedanke an erster Stelle. Hier<br />
wird Kindern vermittelt, dass sie mit ihren<br />
Bedürfnissen nicht unwichtig sind, auch<br />
wenn sie im Rollstuhl sitzen oder andere Be-<br />
sonderheiten haben. Im Gegenteil: das ge-<br />
meinsame Lernen steht hier an erster Stelle.<br />
Seit Anfang 2009 ist die UN-Behinderten-<br />
konvention auch in Deutschland verbindlich.<br />
Sie fordert in Artikel 24 ein inklusives<br />
Schulsystem, eine Schule, in der Kinder mit<br />
und ohne Behinderung wohnortnah und ge-<br />
meinsam gemäß ihrer individuellen
16<br />
Die Erika Mann-Grundschule Berlin arbeitet „inklusiv“.<br />
Bedürfnisse unterrichtet werden. Mit Inklusion<br />
ist etwas anderes gemeint als mit der in<br />
Deutschland bekannten Integration. Bei der<br />
Integration soll sich der behinderte Mensch<br />
anpassen, um in Schule und Gesellschaft mit<br />
dabei sein zu können. Eine inklusiveGesellschaft<br />
grenzt behinderte Menschen mit ihren<br />
Bedürfnissen gar nicht aus, sondern bezieht<br />
sie von Anfang an ein. Sie geht nicht von der<br />
so genannten Normalität aus, sondern von der<br />
Individualität und Vielfalt der Menschen.<br />
Die Forderung nach einem inklusiven<br />
Schulsystem ist damit rechtlich verbindlich.<br />
Deutschland ist von diesem Ziel allerdings noch<br />
weit entfernt: Bei uns finden nur 15 Prozent<br />
der jungen Menschen mit Behinderungen<br />
einen Platz in einer allgemeinen Schule. Vor<br />
allem in Gymnasien und Realschulen sind<br />
behinderte Jungen und Mädchen selten,<br />
„nahezu unbekannt“, wie Marianne Demmer,<br />
stellvertretende Vorsitzende und Schulexpertin<br />
der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />
es ausdrückt. Djamal hat mit seinem Bedürfnis<br />
nach einem barrierefreien Gymnasium schon<br />
dafür gesorgt, dass er nicht mehr unbekannt<br />
ist. In Potsdamer Zeitungen wurde viel über<br />
ihn und die Notwendigkeit von Aufzügen<br />
geschrieben. Ein erster Schritt in Richtung<br />
Inklusion?<br />
Text: Ruth Auschra<br />
Fotos: Auschra, Ulfert Engelkes
18<br />
Integration durch Technik:<br />
Auto-Mobilität<br />
Während bei den meisten der Autokäufer Spritverbrauch, PS oder Komfort Ent-<br />
scheidungskriterien sind, stehen bei Autofahrern mit Mobilitätseinschränkungen<br />
ganz andere Fragen im Vordergrund. So unterschiedlich wie die Wünsche und<br />
Vorstellungen dieser Autokäufer, sind oftmals die körperlichen Beeinträchtigungen.<br />
Für die technische Umsetzung der individuellen Umrüstlösungen arbeiten einige<br />
Autohäuser mit Spezialfirmen wie „Paravan“ zusammen. Ford forciert Spezialfahr-<br />
zeug-Verkäufe. Starke Wettbewerber auf dem Markt sind auch Opel, Volkswagen,<br />
Fiat und der französische Konzern PSA (Citroen, Peugeot).<br />
Erik Stelzer, Arnold Schnelle, Michael Süfke,<br />
Erich Mundolf, Nedjet Muran, Siegmund<br />
Neumann und Sven Markgraf kämen niemals<br />
auf die Idee, sich der Spezialeinbauten zu<br />
schämen, die in die Papiere eingetragen<br />
wurden. Sie haben ihre Behinderung<br />
angenommen und genießen in ihrem speziellen<br />
Auto die Freiheit der Mobilität.<br />
Erik fährt einen Zafira Nivo 1.9 CDTI, der<br />
als Absenkauto konzipiert ist: Über die<br />
hinteren Stoßdämpfer kann der 110 kW/150<br />
PS starke Kompaktvan abgesenkt und eine<br />
Ford C-Max, u.a. mit Joystick Lenkung.<br />
Rampe ausgeklappt werden. Der sehr flache<br />
Steigungswinkel ermöglicht eine bequeme<br />
Einfahrt mit dem Rollstuhl ins Fahrzeug.<br />
Arnold fährt einen Ford C-Max mit Joystick<br />
Lenkung und einem „Blibber“ (Knopf für den<br />
linken Fuß, mit dem er Blinken, Aufblenden<br />
und Scheibenwischen kann). Ohne fremde<br />
Hilfe kann er aus dem Fahrersitz in den<br />
Rollstuhl wechseln. Erich bedient sich in seinem<br />
C-Max des Rollstuhlverladesystems durch eine<br />
Schwenktür, welche die normale Hintertür auf<br />
der Fahrerseite ersetzt. Ohne Hilfe kann er<br />
aus dem Fahrersitz in den Rollstuhl wechseln.<br />
Nedjet schwört auf seinen Focus Turnier mit<br />
Handbedienung für Gas und Bremse, Dreh-<br />
knopf für die Lenkung und einem ortho-<br />
pädischen Recaro-Fahrersitz.<br />
Michael fährt einen Mondeo-Diesel mit<br />
Handgas und -bremse sowie Lenkdrehknopf<br />
und verfügt über einen Lifter, der den<br />
Rollstuhl auf dem Dach verstaut. Siegmund<br />
steuert einen Tourneo Connect, der über eine<br />
Auffahrtsrampe mit Bodenverankerung für<br />
seinen Rollstuhl verfügt und Sven freut sich<br />
über seinen Ford Fusion, bei dem er mit der<br />
Hand Gas, Bremse und Lenkung bedienen
kann. Er nutzt von der Fahrertür aus eine<br />
Verladehilfe, die den Rollstuhl vollautomatisch<br />
hinter dem Fahrersitz verstaut.<br />
Zuschüsse für Kauf und Umbau<br />
Ford beschränkte sich im behindertengerech-<br />
ten Tagungszentrum Pforzheim-Hohenwart<br />
nicht nur auf die Präsentation von bei Ford<br />
gebauten behindertengerechten Fahrzeugen,<br />
sondern lieferte auch Beratung, was die<br />
Finanzierung eines solchen Autos angeht.<br />
„Die Bundesagentur und Rentenversicherung<br />
unterstützen Behinderte bei der Anschaffung<br />
und dem Umbau eines Fahrzeugs“, so<br />
Günter Sührer, Leiter des Technischen<br />
Beratungsdienstes von der Bundesagentur<br />
für Arbeit. Jeglicher Zuschuss zum Kauf<br />
oder zum Umbau eines Autos für einen<br />
Behinderten muss nach den Vorschriften der<br />
KfzHV (Kraftfahrzeughilfeordnung) vor der<br />
Anschaffung beantragt werden, da es sonst<br />
kein Geld gibt. Folgende Voraussetzungen<br />
müssen für die Unterstützung erfüllt sein: Der<br />
Behinderte darf nicht nur vorübergehend auf<br />
die Benutzung seines Fahrzeugs angewiesen<br />
-Anzeige-<br />
sein. Der Antragsteller benötigt das Fahrzeug,<br />
um zu seinem Arbeits- bzw. Ausbildungs-<br />
platz zu kommen.<br />
Auch für Nichtberufstätige ist es möglich,<br />
durch einen entsprechenden Antrag finanzielle<br />
Unterstützung beim Kauf eines Autos zu<br />
bekommen. (Allerdings handelt es sich um<br />
„Kann-Bestimmungen“, angesichts leerer<br />
Kassen steht eine Bewilligung eher in den<br />
Sternen; Anm.d.Red.) Voraussetzung ist<br />
dabei immer, dass der Betroffene durch Art<br />
und Schwere des Handikaps zwingend auf<br />
ein Auto angewiesen ist, um überhaupt am<br />
öffentlichen und kulturellen Leben teilnehmen<br />
zu können. Außerdem muss gewährleistet<br />
sein, dass der behinderte Mensch entweder<br />
selbst fahren kann, oder dass jemand anders<br />
als Fahrer fungiert. Der Kaufpreis des Autos<br />
(ohne behindertengerechte Ausstattung) wird<br />
mit maximal 9 500 € bezuschusst, wobei<br />
das Einkommen berücksichtigt wird. Die<br />
behindertengerechte Ausstattung wird in voller<br />
Höhe übernommen. Finanzielle Unterstützung<br />
gibt es auch zum Erreichen der Fahrerlaubnis.<br />
Der Antrag auf Kostenbeteiligung und zur<br />
NACHHALTIGKEIT IST DAS GRUNDPRINZIP UNSERES SAUBEREN HANDELNS.<br />
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19
20<br />
Erlangung der Fahrerlaubnis muss vor-<br />
her gestellt werden. Eine mögliche Steuer-<br />
befreiung beziehungsweise die Höhe einer<br />
Steuerermäßigung für das persönlich genutzte<br />
Fahrzeug richtet sich nach dem Vermerk im<br />
Schwerbehindertenausweis.<br />
Auch wer noch keinen Führerschein hat,<br />
kann ihn trotz körperlicher Einschränkungen<br />
in Angriff nehmen. Durch den „Antrag auf<br />
Fahrerlaubnis“ wird geprüft, wer unter welchen<br />
Bedingungen am Straßenverkehr teilnehmen<br />
darf. Ratsam ist aber, diese Aufgabe der<br />
Fahrschule zu übergeben, da sie über das<br />
nötige Hintergrundwissen verfügt und schon im<br />
Vorfeld klären kann, ob bestimmte Gutachten<br />
und Tests notwendig sind.<br />
Ausführliche Informationen zur Rechtslage,<br />
Führerscheinerwerb, Voraussetzungen der<br />
Kostenübernahme sowie nötigen Gutachten<br />
finden sich auch in der Opel-Broschüre „Mehr<br />
Mobilität. Mehr Möglichkeiten.“ Diese und<br />
weitere Infobroschüren liegen bei den Opel-<br />
Handelspartnern für alle Interessierten bereit.<br />
Selbstständigkeit und<br />
Unabhängigkeit<br />
Mobil heißt weit mehr als bloße<br />
Ortsveränderung von A nach B. Es bedeutet,<br />
aktiv am Leben teilnehmen zu können, einen<br />
Beruf auszuüben, soziale Kontakte zu pflegen,<br />
etwas mit der Familie zu unternehmen und<br />
kulturelle Kontakte zu pflegen. Mobilität<br />
bedeutet nicht zuletzt Selbstständigkeit und<br />
Unabhängigkeit. Ein Instrument für diese<br />
Verwirklichungen ist das Auto.<br />
Die Gruppe der Autofahrer mit Mobilitäts-<br />
einschränkungen umfasst in Deutschland ca.<br />
1,6 Mio. Aufgrund umfangreicher Forschungs-<br />
Opel Insignia Sportstourer.<br />
aktivitäten, beispielsweise zur Ergonomie, ist<br />
Fords Modellfamilie nach eigenen Angaben<br />
bestmöglich auf die Bedürfnisse dieses Perso-<br />
nenkreises zugeschnitten. Alle Modelle sollen<br />
sich für behindertengerechte Umbauten eig-<br />
nen, für die das Unternehmen einige Part-<br />
ner anbietet. Interessenten kaufen bei Ford<br />
ihr Fahrzeug und lassen es dann umbauen.<br />
2008 hat das Unternehmen 4 700 Behin-<br />
dertenfahrzeuge verkauft und will diese<br />
Menge im Jahre 2009 auf 5400 erhöhen. Dabei<br />
erfreut sich der Focus der größten Beliebtheit.<br />
Mit einem großen Produktangebot und<br />
individuellen Umbaumöglichkeiten für alle<br />
gängigen Fahrzeugmodelle sämtlicher Her-<br />
steller bietet der Spezialist REHA Group<br />
Automotive Menschen mit Bewegungsein-<br />
schränkungen jeglicher Art kompetente Hilfe<br />
an. Die Kooperation mit Opel macht es dem<br />
Betroffenen noch einfacher, sein Wunschfahr-<br />
zeug bedarfsgerecht auszustatten. Ob Pkw<br />
oder Nutzfahrzeug – das Hildener Unter-<br />
nehmen realisiert Umbauten für die gesamte<br />
Opel Modellpalette.<br />
Neben der bereits intensiven Beratung zu<br />
Umbaumöglichkeiten der Fahrzeuge und den<br />
allgemeinen rechtlichen Bestimmungen und<br />
Voraussetzungen haben die REHA-Experten<br />
einen speziellen Kfz-Schutzbrief für behinderte<br />
Menschen entwickelt, der für eine erweiterte
Mobilität sorgt. Sowohl das Auto als auch der<br />
Kunde selbst werden direkt zum jeweiligen<br />
Spezialumbauer gebracht – unabhängig von<br />
dessen Standort – und nicht nur zum nächst-<br />
gelegenen Händler. Zudem wird eine Fahrzeug-<br />
Versicherung angeboten, die eine kostenfreie<br />
Mitversicherung des Fahrzeugumbaus bis zu<br />
150 000 € einschließt. Bei weitergehenden<br />
Rechtsfragen konnte der Verein „Mobil durchs<br />
Leben“ gewonnen werden. Fachkundige An-<br />
wälte bieten damit für Behinderte eine<br />
Interessenvertretung. Durch diese Bausteine<br />
erhält der Kunde bei der REHA-Group<br />
Automotive sein individuelles Produkt sowie<br />
Dienstleistungen aus einer Hand.<br />
Das schwäbische Unternehmen Paravan baut<br />
Fahrzeuge so um, dass man seinen genau<br />
auf die eigene Behinderung abgestimmten,<br />
„Maßanzug“ auf Rädern bekommt. Welches<br />
Fahrzeug gewählt wird, ist nur eine Frage<br />
des Geschmacks und des Geldbeutels. Den<br />
Löwenanteil des Umsatzes erzielt das Unter-<br />
nehmen damit, dass Vans auseinandergesägt<br />
und mit einem besonderen Unterbau bestückt<br />
werden, so dass Rollstuhlfahrer über eine<br />
Rampe ins Fahrzeug gelangen. Auch können<br />
Querschnittgelähmte, Einarmige, Menschen<br />
ohne Beine oder Kleinwüchsige, mit einem Joy-<br />
stick ihre individuelle elektronische Steuerung<br />
für das Auto bekommen. Diese Technologie<br />
kommt aus dem Flugzeugbau. Paravan hat<br />
sie sich unter dem Namen „Space Drive“<br />
patentieren lassen. Tobias Schönleber, Leiter<br />
für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit bei<br />
Paravan: „Wer damit fahren will, muss ziemlich<br />
umdenken, aber Paravan bietet auch einen<br />
Verkehrsübungsplatz zum Austesten an.“<br />
Text: Heike Stüvel<br />
Fotos: Hersteller<br />
-Anzeige-
22<br />
Markt<br />
KADOMO sucht nach der besten Lösung:<br />
Autoumrüstung – einfach gut<br />
Rollstuhlfahrer nutzen ihre Hände, um ihr Auto zu lenken, beschleunigen oder<br />
abzubremsen. Laut Führerschein sollen sie auch noch blinken und hupen können<br />
ohne das Lenkrad loszulassen.<br />
Die Firma KADOMO („…und Du KAnnst DOch<br />
MObil sein“) aus dem rheinischen Monheim<br />
verwendet zur Lösung dieses Problems einen<br />
am Handbediengerät befestigten „Plug<br />
& Play Commander“, der alle Licht- und<br />
Wischerfunktionen auf Fingertipp ausführen<br />
kann, ohne dass man das Steuer oder die<br />
Bremse aus der Hand geben muss. Die einfach<br />
zu installierende Technik bietet gleich mehrere<br />
Vorteile: Zur Zeitersparnis beim Einbau, die<br />
für den Endkunden weniger Kosten verur-<br />
sacht, kommt noch der je nach Fahrzeug-<br />
modell geringe bis ausbleibende Eingriff in<br />
die Kfz-Verkabelung.<br />
Die junge Umrüstfirma, die erst Anfang 2009<br />
gegründet wurde, hat schon jetzt eine hohe<br />
Kundenbindung. Das liegt an der Erfahrung<br />
der Mitarbeiter des Unternehmens, immerhin<br />
zwei von ihnen selbst querschnittgelähmt,<br />
einer davon Marketing-Mann Udo Späker.<br />
Soziales Gewissen<br />
Am Anfang einer Pkw-Umrüstung steht oft der<br />
Kundenwunsch: „Ich will selbst Auto fahren.“<br />
KADOMO siehtsich hier in derBeratungspflicht,<br />
will auch dem Betroffenen helfen, notwendige<br />
Voraussetzungen zu klären: Wie ist es z.B. um<br />
die körperliche Fähigkeiten bestellt, etwa die<br />
Sitzstabilität oder die Greiffunktion. Dann gilt<br />
es einen Weg aufzuzeigen, um die gewünschte<br />
Mobilität zu erreichen. Wichtig ist es nun in alle<br />
Richtung zu informieren und die verschiedenen<br />
technischen Möglichkeiten abzuwägen. Auch<br />
wenn das bedeutet, nicht jeden EURO aus<br />
dem Auftrag heraus zu holen, gilt: „Die<br />
beste Lösung ist meist nicht die teuerste“,<br />
betont Udo Späker. Auch Fragen nach einem<br />
evtl. Kostenträger z.B. bei Berufstätigen,<br />
evtl. aber auch bei regelmäßig gemeinnützig<br />
engagierten Kunden wollen geklärt werden,<br />
eine Rechtsberatung ist allerdings nicht<br />
zulässig. Gerade Menschen, die eigentlich<br />
nicht genug Geld für ein eigenes Auto haben,<br />
können Zuschüsse z.B. von Stiftungen helfen.<br />
KADOMO begreift sich als Firma mit sozialer<br />
Verantwortung, erläutert Späker.<br />
So gibt es auch für die wachsende Gruppe<br />
der Selbstzahler günstige Lösungen. Selbst<br />
Menschen mit ganz kleinem Geldbeutel<br />
soll Mobiliät ermöglicht werden, z.B. mit<br />
günstigen, einfach aber gut und sinnvoll<br />
konstruierten Handbedienungen für Gas und<br />
Bremse. Udo Späker nennt ein Beispiel: Ein<br />
Paraplegiker wollte die Handbedienung aus<br />
seinem alten Auto mitnehmen, hatte bereits<br />
ablehnende Antworten von anderen Anbietern<br />
bekommen. Mit etwas Geschick und geringen<br />
Modifikationen war der Umbau letztlich doch<br />
kostengünstig realisierbar.<br />
„Klarheit und Transparenz“<br />
So lautet das Prinzip der „Mobilitäts-<br />
manufaktur“, wie sich KADOMO auch nennt.<br />
Eine großzügige Verglasung zur Werkstatt hin<br />
symbolisiert diesen Anspruch. Bescheidenheit<br />
gehört auch zum Stil, man will nicht der
Firmensitz in Monheim.<br />
Größte sein, nicht überall der Beste, sondern<br />
ein zuverlässiger Partner, wo man gern wieder<br />
hingeht. Zusammenarbeit mit allen Anbietern<br />
von Umrüstlösungen, auch Mitbewerbern,<br />
sowie die Verwendung von gebrauchten Teilen<br />
istdie Voraussetzung für optimale Flexibilität. So<br />
lassen sich Gesamtlösungen zusammenstellen,<br />
die für den Kunden die besten sind. Oft<br />
entsteht dabei eine familiäre Verbindung, Nähe<br />
erleichtert die Kommunikation. Es ist schließlich<br />
von Vorteil, wenn man dem Autoumrüster<br />
nicht erst erklären muss, dass z.B. eine auf<br />
den ersten Blick nicht sichtbare verdrehte<br />
Wirbelsäule ein Spezial-Polster erfordert.<br />
Stolz ist man bei KADOMO auf einige<br />
Spezialumrüstungen. So wurde in einem<br />
Opel-Insignia-Kofferraum ein elektrisch heraus<br />
fahrbarer Boden mit einem Kran für einen<br />
„Minitrac“ konstruiert und installiert. Eine<br />
andere Besonderheit ist die Auswahl von<br />
fünf kompakten Elektrorollstühlen, mit denen<br />
Tetraplegiker direkt hinters Lenkrad fahren<br />
können, um ihr Fahrzeug selbst zu steuern.<br />
Ein weiteres Beispiel ist der Kleinbus für eine<br />
Mutter mit zwei querschnittgelähmten Kindern:<br />
Zwei Sitze links und rechts schwenken aus dem<br />
Fahrzeug und bewegen sich elektrisch auf und<br />
ab, damit sie die beiden nicht ständig selbst<br />
heben muss. Inzwischen ist KADOMO auch<br />
Hersteller. Ganze 10 Produkte gibt es ohne<br />
Markt<br />
Zwischenhandel direkt beim Produzenten<br />
– kostengünstig für Endkunden und ohne<br />
Verzicht auf Qualität.<br />
Als Lob empfindet die Firma auch die Zerti-<br />
fizierungen, z.B. „ISO 9001.2008“ durch<br />
den TÜV Nord. Dafür müssen strenge<br />
Anforderungen erfüllt werden, etwa repro-<br />
duzierbare Prozesse, stetige Verbesserung,<br />
Dokumentation, Kundenbefragungen, Entwick-<br />
lungen. Auch die Qualitätsanforderungen des<br />
französischen Herstellers „Agrément Carrossier<br />
Renault“ wurden erfüllt. Zu guter Letzt wurden<br />
die Monheimer jetzt auch noch „Qualified<br />
Partner Van Mercedes-Benz“.<br />
Text: Peter Mand<br />
Fotos: KADOMO<br />
Kontakt:<br />
Mobilitätsmanufaktur<br />
KADOMO GmbH<br />
Am Kieswerk 2<br />
40789 Monheim am Rhein<br />
Tel.: 0 21 73-20 44 600<br />
E-Mail:<br />
u.spaeker@kadomo.de<br />
www.kadomo.de<br />
KADOMO-Marketing-Mann<br />
Udo Späker.<br />
23
24<br />
Unterstützung bei der <strong>Teilhabe</strong>:<br />
Ergotherapie – Training für den Alltag<br />
„Ergotherapie“ stammt von dem griechischen Wort „ergon“ ab und bedeutet tun,<br />
handeln, arbeiten. Damit umreißt die Bezeichnung das wesentliche Merkmal des<br />
Berufsbildes: Jemanden dazu befähigen, zu handeln und damit so selbstbestimmt<br />
wie möglich seinen Alltag zu gestalten. Die Wiedergewinnung von Selbstständigkeit,<br />
Lebensqualität sowie die <strong>Teilhabe</strong> am Leben in der Gesellschaft sind wesentliche Ziele<br />
der Rehabilitation.<br />
Ergotherapie wird vom behandelnden Arzt<br />
verordnet und er entscheidet, wann sie be-<br />
ginnen kann. Insgesamt gilt auch hier: Je<br />
eher, desto besser. Die Befundaufnahme und<br />
Therapie kann bereits bei einem frisch ver-<br />
letzten Querschnittgelähmten auf der Intensiv-<br />
station starten.<br />
Rehabilitation bedeutet Teamarbeit: Ergo-<br />
therapeuten arbeiten eng mit allen Berufs-<br />
gruppen zusammen, die auch mit der Reha-<br />
bilitation des Querschnittgelähmten zu tun<br />
haben. Es finden regelmäßige fachliche<br />
Austausche statt, um gemeinsam das Optimale<br />
für den Betroffenen zu bewirken. So erfolgt<br />
eine Abstimmung der Therapie z.B. mit dem<br />
behandelnden Arzt, dem Pflegepersonal,<br />
dem Physiotherapeuten, Logopäden, Sozial-<br />
arbeitern und dem Psychologen. Auch mit der<br />
Orthopädie- und Medizintechnik, dem Archi-<br />
tekten, dem Arbeitsamt, einem Handicap-<br />
Fahrlehrer sowie externen Spezialfirmen<br />
werden die Behandlungsschwerpunkte koor-<br />
diniert. Nur mit einer guten Teamarbeit ist<br />
das primäre Rehabilitationsziel, das Wieder-<br />
erlangen der größtmöglichen Selbstständig-<br />
keit im Alltag zu erreichen.<br />
Am Anfang der Therapie wird immer eine<br />
intensive Befundaufnahme durchgeführt. Ge-<br />
meinsam mit dem Patienten werden Nah-<br />
und Fernziele besprochen. Es werden ver-<br />
lorengegangene Fähigkeiten wieder trainiert<br />
oder Ersatzstrategien zur Kompensation er-<br />
arbeitet. Häufig ist der Einsatz von Hilfsmitteln<br />
notwendig, deren Anwendung intensiv ein-<br />
geübt wird. Die Therapie kann sowohl in<br />
Einzel- als auch Gruppentherapie stattfinden.<br />
Die Behandlungen können in der Klinik, in<br />
einer ergotherapeutischen Praxis oder beim<br />
Patienten zuhause stattfinden. Die Behand-<br />
lungsdauer beträgt ca. 45 Minuten. Nach<br />
Möglichkeit sollten die Angehörigen in die<br />
ergotherapeutische Behandlung mit einbe-<br />
zogen werden. Bei der Beratung und der<br />
Anleitung sollen auch sie unterstützt werden<br />
mit der neuen Situation umzugehen und<br />
den querschnittgelähmten Patienten nicht zu<br />
bevormunden.<br />
Therapieziele<br />
Wichtige Voraussetzungen sind das Erreichen<br />
einer Sitzbalance, die Fähigkeit zum Lage-<br />
wechsel und das Greifen und Loslassen von<br />
Gegenständen auf verschiedene Art und<br />
Weise. So ist zum Beispiel bei einer Lähmung<br />
der Hand- und Fingerfunktion entscheidend,<br />
dass die Hände von Anfang an richtig mit<br />
Lagerungsschienen gelagert werden. Die
Gelenke werden mobilisiert und eine Funk-<br />
tionshand ausgebildet. Ist die Läsion unter-<br />
halb von (Halswirbel) C 6 kann eine aktive<br />
Funktionshand trainiert oder die Handha-<br />
bung der Funktionsschienen gezeigt werden.<br />
Es werden außerdem Sinnes- und Körper-<br />
wahrnehmung geschult, krankhafte Bewe-<br />
gungsmuster gehemmt und normale Bewe-<br />
gungsabläufe erarbeitet.<br />
Aktivitäten des täglichen<br />
Lebens<br />
Das Wiedererlangen der Kontrolle über die<br />
primären Aktivitäten des täglichen Lebens<br />
ist ein zentrales Ziel in der Rehabilitation<br />
von querschnittgelähmten Patienten. Schon<br />
in der Klinik übt der Ergotherapeut mit dem<br />
Patienten:<br />
-Anzeige-<br />
•die Selbsthilfe im Badezimmer: Hierzu zählt<br />
zum Beispiel die Körperpflege wie Zähne<br />
putzen, waschen, Haare kämmen, rasieren<br />
und eincremen<br />
•das An- und Ausziehen<br />
•Ess- und Schlucktraining<br />
•Übung von sicheren Transfers in und aus<br />
dem Rollstuhl und seine Handhabung<br />
Hilfsmittel, die bei diesen Verrichtungen des<br />
Alltags helfen können, sind u.a. die sogenannte<br />
Tetraschlaufe, eine Rückenbürste, ein Dusch-<br />
oder Toilettenrollstuhl, das Rutschbrett, die<br />
Sockenanziehhilfe, eine Greifzange und in-<br />
dividuell adaptiertes Besteck. Im Rahmen der<br />
Ergotherapie wird der Patient über Hilfsmittel<br />
beraten und deren Anwendung trainiert.<br />
Individuelle Kompensationsbewegungen wer-<br />
den erarbeitet.<br />
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26<br />
Vorbereitung auf den Alltag<br />
zuhause<br />
Anpassung von der Wohnung/dem Haus und<br />
der Wohnumgebung: Bevor die Entlassung aus<br />
der Klinik in das häusliche Umfeld stattfindet,<br />
informiert sich die Ergotherapeutin über die<br />
individuelle Wohn- und Lebenssituation des<br />
Patienten. Hierzu zählt z.B. die Abklärung,<br />
ob es sich im Fall einer Wohnung um eine<br />
Eigentums- oder Mietwohnung handelt. In<br />
dem Gespräch sollte mit einem Architekten,<br />
dem Betroffenen, dessen Angehörigen sowie<br />
dem Wohnungseigentümer eine Abklärung<br />
der Wohnsituation vor Ort stattfinden. Hierbei<br />
werden die baulichen Gegebenheiten wie<br />
zum Beispiel der Hauszugang, die Türbreiten,<br />
Schwellen, Treppen, die Höhe der Steckdosen<br />
und Schalter und der Wenderadius in den<br />
Räumen begutachtet.<br />
Der Ergotherapeut kennt die funktionellen<br />
Fähigkeiten des Patienten und kann dessen<br />
künftige Möglichkeiten abschätzen. Er kann<br />
vor Ort sehen, welche Hilfsmittel und welche<br />
Umbaumaßnahmen voraussichtlich notwendig<br />
sind, um die individuellen Bedürfnisse des<br />
Patienten zu erfüllen (z.B. Treppenlift, Ram-<br />
pen, Haltegriffe). Diese sind auch abhängig<br />
von den Tätigkeiten des Querschnittgelähmten<br />
im Alltag. Auch Aspekte wie das Alter, kultu-<br />
relle und finanzielle Gegebenheiten werden<br />
bei der Besichtigung und Bedarfsabklärung<br />
mit einbezogen. Dadurch soll sichergestellt<br />
werden, dass alle notwendigen Maßnahmen<br />
Auch die Bewältigung des<br />
Haushalts kann trainiert werden.
getroffen werden und der Patient seine<br />
Tätigkeiten im häuslichen Umfeld wieder so<br />
selbstständig wie möglich ausführen kann<br />
und so wenig wie möglich auf die Hilfe von<br />
anderen angewiesen ist.<br />
Bei der Begutachtung wird neben der Woh-<br />
nung bzw. dem Haus auch die Wohnumge-<br />
bung betrachtet. Neben dem Zurechtkommen<br />
in den eigenen vier Wänden ist es auch<br />
wichtig, möglichst problemlos zu ihr zu<br />
gelangen. Aspekte wie der Bodenbelag vor<br />
dem Eingang (Kies, Sand, Plattenbeläge), die<br />
Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel und<br />
die Parkmöglichkeit mit dem Auto zählen<br />
hierzu.<br />
Koch- und Haushaltstraining: Beim Kochtrai-<br />
ning wird das Zubereiten einer Mahlzeit, das<br />
Transportieren einer heißen Pfanne und das<br />
Kochen am Herd aus einer neuen Perspektive<br />
erlernt. Im Rahmen der Ergotherapie werden<br />
Kompensations-, und Trickbewegungen als<br />
auch Hilfsmittel wie der Knietisch vorgestellt<br />
und zusammen mit dem Patienten praktisch<br />
erprobt. Zusätzlich zur Einzeltherapie wird<br />
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z.T. auch Kochen in einer Gruppe angeboten.<br />
Der gegenseitige Erfahrungsaustausch und das<br />
Lernen voneinander sind auch für die Psyche<br />
gut.<br />
Sehr wichtig ist auch das Haushaltstraining,<br />
bei dem Tätigkeiten wie das Staubsaugen<br />
und Bügeln sowie der Umgang und Gebrauch<br />
mit Alltagshilfen erarbeitet oder verbessert<br />
werden. Neben Trickbewegungen sind auch<br />
bei diesen Tätigkeiten Hilfsmittel erhältlich wie<br />
z.B. ein bananenförmiges Bügelbrett. Bereits<br />
im Klinikalltag wird der Patient auf die für<br />
ihn notwendigen Tätigkeiten im Haushalt<br />
vorbereitet. Dadurch soll vermieden werden,<br />
dass er mit der Komplexität der Anforderungen<br />
zu Hause überfordert wird. Fensterputzen und<br />
Vorhänge abnehmen erfordert aber immer die<br />
Hilfe einer Drittperson.<br />
In manchen Reha-Zentren gibt es eine<br />
Übungswohnung, in der die Benutzung von<br />
Badezimmer und Küche geübt werden kann<br />
und ersichtlich wird, welche Hilfsmittel in der<br />
Anschaffung sinnvoll sind. Notwendig kann<br />
z. B. der Einsatz von höhenverstellbaren<br />
27
28<br />
Wandschränken, unterfahrbaren Küchenmö-<br />
beln (Kochfeld, Spüle etc.) werden oder die<br />
Anschaffung neuer Haushaltsgeräte (Wäsche-<br />
trockner).<br />
Einkaufen und Stadttraining: Für viele Roll-<br />
stuhlfahrer ist Einkaufen eine Herausforderung:<br />
Die Einkaufswägen sind zu hoch, durch die<br />
engen Gänge zu manövrieren fällt schwer<br />
und schmale Türen, hohe Schwellen oder<br />
Stufen machen den alltäglichen Einkauf zum<br />
unüberwindbaren Hindernis. Im Rahmen der<br />
Ergotherapie kann auch ein Einkaufs- und<br />
Stadttraining stattfinden. Beim Einkaufen wird<br />
u.a. das Transportieren von Lebensmitteln, das<br />
sichere Manövrieren auf engstem Raum im<br />
Rollstuhl und das Einladen der Lebensmittel in<br />
den Kofferraum geübt. Behindertenparkplätze<br />
sind vor vielen Supermärkten vorhanden.<br />
Die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Selbst-<br />
hilfe Behinderter Rheinland- Pfalz hat damit<br />
begonnen, Zielvereinbarungen mit Lebensmit-<br />
telmärkten zu schließen. Mittlerweile exis-<br />
tieren in Rheinland- Pfalz vier Supermärkte<br />
mit besonders breiten Gängen. Sie haben<br />
Einkaufswagen für Rollstuhlfahrer, Rollatoren<br />
für Gehbehinderte und Lupen für Sehbehin-<br />
derte zum Anstecken an den Einkaufswagen.<br />
Beim sogenannten Stadttraining wird die<br />
Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln,<br />
das Überwinden von Treppenabsätzen und<br />
Bordsteinkanten, Steigungen und Neigungen<br />
und das Befahren von Kopfsteinpflastern<br />
geübt. Auch ist das Befahren einer Rolltreppe,<br />
mit und ohne Begleitperson hilfreich, denn<br />
nicht immer ist ein Aufzug in der Nähe.<br />
Da unsere Umwelt häufig nicht rollstuhlgerecht<br />
ist, gehört auch das Fragen um Hilfe, das<br />
Annehmen von Unterstützung durch Fremde<br />
und deren Anleitung zum Training dazu.<br />
Besteht der Wunsch selber Auto zu fahren,<br />
ist zunächst ein Gutachten vom behandeln-<br />
den Arzt erforderlich. Die Motorisierungs-<br />
abklärungen und die damit verbundene Auto-<br />
anpassung sind ein Teil der ergotherapeuti-<br />
schen Arbeit. Zum Beispiel stehen in der<br />
Praxis für Ergotherapie am Klinikum Wolfs-<br />
burg Therapie-Fahrzeuge zur Verfügung, die<br />
mit speziellen Einbauten ausgestattet sind.<br />
Hierzu gehören ein Lenkraddrehknauf, Gas-<br />
kombihebel oder ein Dreh-Schwenksitz. Die<br />
Abwicklung der Umrüstung des eigenen<br />
Fahrzeuges entsprechend der Behinderung<br />
findet in Zusammenarbeit mit Spezialfirmen<br />
und der Fahrschule statt. Neben Übungs-<br />
und Vorbereitungsfahrten sollte die Be-<br />
hindertenfahrschule Hilfe im Umgang mit den<br />
Behörden anbieten und bei der Abwicklung<br />
der Eignungsfeststellung beim TÜV helfen. Für<br />
viele stellt die Motorisierung einen weiteren<br />
wichtigen Schritt zur Selbstständigkeit und<br />
Wiedereingliederung in das gesellschaftliche<br />
Leben dar.<br />
Schule, Studium, Beruf &<br />
Freizeit<br />
Zusammen mit dem Patienten und dem<br />
Arbeitsamt werden Möglichkeiten zur beruf-<br />
lichen Wiedereingliederung erarbeitet. Der<br />
bisherige oder auch zukünftige Arbeitsplatz<br />
sollte bei Bedarf barrierefrei angepasst wer-<br />
den. Befindet sich der Patient in der Schule<br />
oder im Studium, werden der Zugang zu den<br />
Gebäuden, die Lage der Unterrichts-, bzw.<br />
Vorlesungsräume und die Zugänglichkeit zur<br />
Toilette abgeklärt. Außerdem wird darauf<br />
geachtet, ob das Gebäude für den Patienten<br />
mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist.<br />
Der Ergotherapeut geht auf die individuellen<br />
Fertigkeiten des Patienten ein und berät<br />
diesen bei Bedarf, welche Hilfsmittel ihm bei
der Arbeit behilflich sein können. Dies wären z.B. ein elek-<br />
trisch verstellbarer Arbeitstisch, spezielle Computeradap-<br />
tionen, Blattwendegeräte oder Hilfsmittel zur Tele-<br />
kommunikation.<br />
Auf dem Gebiet der Freizeit klärt der Ergotherapeut, wel-<br />
che Freizeitaktivitäten der Patient wieder durchführen<br />
möchte. Für Sportarten gibt es viele Hilfsmittel, wie das<br />
Handbike, verschiedene Sportrollstühle, Monoskiing mit<br />
individuell angepasster Sitzschale bis hin zum angepassten<br />
Segelboot und Wasserski. Im kreativen Bereich existieren<br />
Hilfsmittel für Tetraplegiker wie der sog. Vertikaltisch<br />
und eine Pinselhalterung. Auch das Suchen nach einem<br />
passenden Verein in der Umgebung kann durch den<br />
zuständigen Ergotherapeuten stattfinden.<br />
Häufig bieten Kliniken auch einen Raum an, in dem mit<br />
Ergo-, oder Kunsttherapeuten gestalterische Tätigkeiten<br />
durchgeführt werden. Für Pferde-, und Hundefreunde gibt<br />
es auch tiergestützte Therapien wie das therapeutische<br />
Reiten.<br />
Es gibt verschiedene Gesetze, auf die man sich berufen<br />
kann, damit man Leistungen zur <strong>Teilhabe</strong> erhält. Hierzu<br />
zählen u.a. Gesetze des Sozialgesetzbuches (z.B. das SBG IX<br />
„Gleichberechtigte <strong>Teilhabe</strong> am Leben in der Gesellschaft“)<br />
sowie das Behindertengleichstellungsgesetz (BGB).<br />
Fazit: Ergotherapie unterstützt Menschen mit einer Quer-<br />
schnittlähmung bei der Durchführung für sie bedeu-<br />
tungsvoller Betätigungen. Hierbei dienen spezifische Akti-<br />
vitäten, Umweltanpassung und Beratung dazu, dem Men-<br />
schen Handlungsfähigkeit im Alltag, gesellschaftliche<br />
<strong>Teilhabe</strong> und eine Verbesserung seiner Lebensqualität zu<br />
ermöglichen.<br />
(Die Autorin, Ergotherapeutin seit 2008; Bachelor of<br />
Health (NL) seit 2010, ist schwerpunktmäßig im Bereich<br />
Neurologie & Pädiatrie tätig.)<br />
Text: Evi Spreth<br />
Foto: www.emanuelbloedt.de<br />
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30<br />
<strong>Partnerschaft</strong> & Sexualität<br />
Grundsätzlich unterscheiden sich Menschen mit einer Behinderung in ihren Bedürfnisse<br />
nicht von anderen. Auch sie wollen geliebt werden. Am Beispiel Querschnittlähmung<br />
lässt sich gut zeigen, welcher Zusammenhang besteht zwischen der vollständigen<br />
Annahme der eigenen Person einschließlich des Körpers und der Fähigkeit einen<br />
anderen Menschen zu lieben.<br />
Liebe ist lebensverlängernd.
Ist die Behinderung noch frisch, das Trauma,<br />
die Erschütterung, scheinen die Grundlagen für<br />
eine Beziehung zu fehlen. Oft genug wird der<br />
eigene Partner weggeschickt, weil nacheigener<br />
Einschätzung die Grundlage der <strong>Partnerschaft</strong><br />
künftig fehlt. Rehabilitanden fühlen sich nicht<br />
mehr als Männer oder Frauen. Die Reaktionen<br />
auf diese vorübergehende Verwirrung sind<br />
unterschiedlich, aber viel geweint wird in<br />
Männer- und Frauenzimmern. Der Gedanke an<br />
Selbstmord ist weit verbreitet, 80 % fassen ihn,<br />
realisiert wird er fast nie, die Krise geht vorüber.<br />
Es stellt sich heraus, ob die <strong>Partnerschaft</strong> der<br />
Belastung gewachsen ist, dass sich eine Partei<br />
völlig neu wieder definieren muss – nicht nur<br />
als geschlechtliches Wesen.<br />
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Schon in der Klinik wird Sex wenigstens bei<br />
den Männern relativ offen schnell wieder<br />
Thema Nr. 1, im Speisesaal und auf den<br />
Fluren. Ratlosigkeit herrscht vor. Der eigene<br />
Körper ist fremd geworden, muss erst wieder<br />
in Besitz genommen werden, um damit leben<br />
zu können. Es gibt eine verbreitete Neigung<br />
zu überstürzt aufgenommenen Liebschaften,<br />
denen keine große Zukunft beschieden sein<br />
wird. Irgendwann ändert sich das Bewusstsein,<br />
mit großer Verspätung dämmertdie Erkenntnis,<br />
dass ein anderes Leben begonnen hat. Den<br />
eigenen Körper wieder zu mögen, sich darin<br />
zu Hause und geborgen zu fühlen, wenigstens<br />
zeitweise, bringt unsereinen wieder näher an<br />
die Liebe.<br />
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31
32<br />
Partner finden<br />
Nur eine kleine Minderheit nicht behinderter<br />
Menschen ist bereit einen behinderten<br />
Partner ernsthaft in Erwägung zu ziehen.<br />
Nur zählt diese kleine Minderheit eben<br />
immer noch nach Millionen. Und in der<br />
Realität kann auch ein liebessehnsüchtiger<br />
behinderter Mensch einen Mann oder eine<br />
Frau finden für eine kurze Liebschaft oder<br />
für länger. In Betrieben, in Universitäten, im<br />
Freundeskreis oder bei Freizeitaktivitäten lässt<br />
sich Zweisamkeit erreichen. Rollstuhlsport- und<br />
Selbsthilfegruppen sind wichtig für die Identität,<br />
aber wenig geeignet als Mittel gegen drohen-<br />
de Einsamkeit. Und Einsamkeit ist ungesund.<br />
Sie verschlechtert nicht nur die seelische, son-<br />
dern nachweislich auch die körperliche Konsti-<br />
tution. Hingegen sind Menschen mit einer<br />
Beziehung insgesamt gesünder und zufrie-<br />
dener. Warum sollte das für Querschnitt-<br />
gelähmte nicht gelten?<br />
Frauen, die sicheinen Mann wünschen, der dem<br />
gängigen Rollenmuster nicht entspricht, landen<br />
vielleicht bei einem mit Handikap. Nicht dass<br />
es keine Machos auf Rädern gäbe. Ein kluger<br />
Mann im Rollstuhl wird auf diesem Gebiet aber<br />
weniger als andere zu Übertreibung neigen.<br />
Die Mehrheit der Menschen aber folgt nach wie<br />
vor (bedauerlicherweise) alten Rollenmustern,<br />
gebrochen höchstens durch einen guten Anteil<br />
Verunsicherung. Das bedeutet, dass auch der<br />
behinderte Mann Stärke vermitteln soll. Es<br />
gibt behinderte Männer, die als Rentner den<br />
Haushalt besorgen. Dass es diese Rolle nicht<br />
einfacher macht, gesellschaftlich akzeptiert<br />
zu werden, können auch Nichtbehinderte<br />
bestätigen.<br />
Gerade starke behinderte Frauen beklagen<br />
häufig, dass sie bei der Partnerwahl<br />
benachteiligt seien. Es scheint so zu sein,<br />
dass ihr Kampfesmut ihre Attraktivität in<br />
den Augen der potenziellen Partner mindert.<br />
Schade eigentlich, es gibt schließlich keinen<br />
Grund, vor ihnen Angst zu haben. Mir<br />
geht es häufig so, dass ich mit behinderten<br />
Frauen <strong>Partnerschaft</strong>sprobleme auf einer<br />
Ebene austauschen kann. In diesem Fall<br />
ist die Behinderung verbindender als das<br />
Geschlecht. Das hört natürlich auf, wenn<br />
in einer Beziehung beide behindert sind. In<br />
einer solchen Verbindung ist das Handikap<br />
das Verbindende, aber gleichzeitig auch das<br />
doppelt Belastende.<br />
Erfüllte Sexualität<br />
Querschnittgelähmte Frauen wurden immer<br />
schon schwanger, auch ohne ärztliche Hilfe.<br />
Als zeugungsfähig gilt heute die Mehrheit der<br />
betroffenen Männer, wenn auch meist nur mit<br />
Hilfe medizinischer Techniken, die sich zum Teil<br />
auch zu Hause anwenden lassen.<br />
Potenz muss nicht, aber kann ein<br />
Problem behinderter Männer sein. Bei<br />
Querschnittgelähmten gibt es meist lediglich<br />
eine Reflex-Erektion (durch Berührung aus-<br />
gelöst, nicht durch etwa optische Reize), die<br />
auch nicht immer für den Beischlaf ausreicht.<br />
Nun hat es sich ja herumgesprochen, dass<br />
es noch andere, für beide Seiten durchaus<br />
befriedigende Möglichkeiten gibt. Allerdings<br />
kann die Potenz zu einer Frage des männlichen<br />
Selbstbewusstseins, gar der Identität werden.<br />
Viele betroffene Männer nutzen Viagra©.<br />
Zwar sollte der Einsatz von Medikamenten<br />
kritisch gesehen werden, wenn er nicht<br />
gesundheitlich notwendig ist. Aber eine (auch
subjektiv) erfüllte Sexualität gehört zu einer<br />
vollständigen Gesundheit.<br />
Gewalt entsteht da, wo Kräfte nicht im<br />
Gleichgewicht sind. Manche Pflegebedürftige<br />
werden misshandelt, das ist keine Neuigkeit.<br />
Auch Frauen misshandeln, wenn sie stärker<br />
sind, auch Männer sind Opfer, wenn sie sich<br />
nicht wehren können. Bei einer Trennung zählt<br />
oft das Gesetz der Stärkeren. Es kommt vor,<br />
dass Frauen das Auto oder die rollstuhlgerecht<br />
umgebaute Immobilie aus der Ehe mitnehmen<br />
– die für den behinderten Partner umgerüstet<br />
und bezuschusst worden sind.<br />
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Mediziner, Psychologen und Therapeuten<br />
haben zum Thema „Behinderte Sexualität“<br />
sicher in den letzten Jahren viel dazu gelernt.<br />
Besonders hilfreich kann ihre Unterstützung<br />
sein, wenn sie sich erstens auf die Erfahrungen<br />
Betroffener bezieht und zweitens die<br />
Selbstbestimmung ihrer Patienten nach Kräften<br />
fördert – was sie im Idealfall nach einiger Zeit<br />
entbehrlich macht ...<br />
Text: Peter Mand<br />
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33
34<br />
Das Wunder des Lebens<br />
Dem Wunsch nach Kindern und einer eigenen Familie steht auch für Frauen im<br />
Rollstuhl nahezu nichts im Wege. Denn es gibt gute Möglichkeiten zur Entbindung<br />
querschnittgelähmter Schwangerer – wie im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke.<br />
Seit 1987 besteht am Gemeinschaftskran-<br />
kenhaus Herdecke die Abteilung für Rücken-<br />
markverletzte, und seit 15 Jahren bringen<br />
hier querschnittgelähmte Frauen ihre Kinder<br />
zur Welt. Ein fachübergreifendes Ärzteteam<br />
aus Paraplegiologen, Gynäkologen, Pädiatern,<br />
Urologen und Anästhesiologen berät und<br />
betreut die werdenden Mütter. Die Ärzte<br />
arbeiten darüber hinaus vertrauensvoll mit<br />
den Hebammen, den Säuglingsschwestern<br />
der Milchküche, Ergo- und Physiotherapeuten<br />
sowie Sozialarbeitern zusammen. „Mit diesem<br />
ganzheitlichen Konzept entbinden wir hier<br />
regelmäßig Mütter mit Querschnittläsionen –<br />
darunter gab es auch schon Zwillingsgeburten“,<br />
freut sich Dr. Susanne Föllinger, Oberärztin<br />
in der Querschnittabteilung des Gemein-<br />
schaftskrankenhauses Herdecke.<br />
Meist unkomplizierte<br />
Geburten<br />
Die Geburtsvorbereitung im Gemeinschafts-<br />
krankenhaus Herdecke beginnt auf Wunsch<br />
der Querschnittgelähmten meist schon in<br />
einem frühen Stadium der Schwangerschaft<br />
mit einem Beratungsgespräch. Darauf folgt<br />
ein ambulanter Untersuchungstermin. Je nach<br />
Verfassung wird die Schwangere zwei bis vier<br />
Wochen vor dem errechneten Geburtstermin<br />
stationär aufgenommen und entsprechend<br />
behandelt. „In der Regel verlaufen Geburten<br />
von Frauen mit Rückenmarkläsion spontan und<br />
unkompliziert – auch ohne die Möglichkeit<br />
der Mutter mit zu pressen“, erläutert Dr.<br />
Susanne Föllinger. „Denn die Wehentätigkeit<br />
wird überwiegend hormonell, also unabhängig<br />
vom Rückenmark, ausgelöst und gesteuert.<br />
Auch die Indikation für einen Kaiserschnitt<br />
unterscheidet sich nicht von der bei gesunden<br />
Frauen.“<br />
Selbstverständlich dürfen der Vater oder<br />
vertraute Personen im Kreißsaal dabei sein.<br />
Damit sich die neue Familie von Anfang<br />
an wohl fühlt, legte die Klinik in Herdecke<br />
Wert auf eine ansprechende Gestaltung der<br />
Geburtsräume: Warme Farben, eine individuell<br />
einstellbare Beleuchtung und die mitgebrachte<br />
Lieblingsmusik sorgen für eine entspannte<br />
Atmosphäre während der Geburt.
Auch nach der Entbindung ist für die junge<br />
Familie bestens gesorgt. Sind Mutter und<br />
Kind wohlauf, werden beide schnellst möglich<br />
auf die Querschnittstation verlegt. „Für die<br />
Neugeborenen haben wir ein spezielles<br />
Bettchen entwickelt, dass den Rollstuhl-<br />
Müttern den Umgang mit ihren Kleinen<br />
erleichtert“, so Dr. Susanne Föllinger weiter.<br />
Das Bett ist 100 x 50 Zentimeter groß und<br />
hat an einer der Längsseiten eine Flügeltür.<br />
Die Konstruktion erlaubt es der Mutter, mit<br />
dem Rollstuhl das Bettchen zu unterfahren, um<br />
zum Beispiel das Baby zu wickeln. Das Bett der<br />
Querschnittgelähmten und das Kinderbettchen<br />
werden auf gleiche Matratzenhöhe gebracht,<br />
so dass die Mutter ihr Neugeborenes ganz<br />
leicht zu sich herüberholen kann. Zur Sicherheit<br />
wird nachts die Flügeltür geschlossen und auf<br />
der anderen Seite das Gitter heruntergelassen.<br />
Für jeden Fall gerüstet<br />
Gibt es bei einer Geburt jedoch einmal<br />
Komplikationen oder gehört das Kind zu einer<br />
Risikogruppe, beispielsweise Frühchen oder<br />
Zwillinge, ist hierfür bestens vorgesorgt. Rund<br />
um die Uhr stehen Narkose- und Kinderärzte<br />
bereit, die speziell für die Behandlung<br />
von Frühchen oder anderen Risikokindern<br />
ausgebildet sind. Außerdem verfügt das<br />
Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke über<br />
die neuesten technischen Möglichkeiten. „Uns<br />
liegt sehr am Herzen, dass Mutter und Kind<br />
nicht getrennt werden“, erklärt Dr. Susanne<br />
Föllinger. Muss ein Säugling vorübergehend<br />
auf der Neugeborenen-Intensivstation über-<br />
wacht werden, kann die kleine Familie dort<br />
ein spezielles Mutter-Vater-Kind-Zimmer be-<br />
ziehen und so auch die ersten Tage gemein-<br />
sam verbringen.<br />
Zu einer umfassenden Betreuung gehört auch<br />
eine gut strukturierte Nachsorge. Hierfür<br />
arbeiten das Personal der Wochenbettstation<br />
und die Säuglingsschwestern in Herdecke eng<br />
zusammen. „Wie fast jede andere Mutter<br />
wollen auch die meisten querschnittgelähmten<br />
Frauen stillen“, weiß Dr. Susanne Föllinger. „Im<br />
Allgemeinen gibt es dabei keine Probleme.<br />
Trotzdem nehmen wir uns Zeit für eine<br />
ausführliche Stillanleitung. Falls die Muttermilch<br />
in den ersten Tagen noch nicht ausreicht,<br />
bekommen die Neugeborenen Fencheltee oder<br />
Stutenmilch. Mütter, die nicht stillen, versorgen<br />
ihre Babys mit Säuglingsnahrung.“<br />
Durch die Pflege ihres Kindes kommen auf<br />
querschnittgelähmte Frauen neue körperliche<br />
Belastungen und Herausforderungen beim<br />
Umgang mit dem Rollstuhl zu. Von den<br />
Ergotherapeuten erhalten die Mütter wichtige<br />
Ratschläge, wie sie ihr Kind richtig halten<br />
und tragen, um Schultergürtel und Rücken zu<br />
entlasten. Die Physiotherapeuten helfen bei<br />
der Rückbildungsgymnastik und zeigen den<br />
Frauen, wie sie ihr Baby sicher im Rollstuhl<br />
mitnehmen. Vor der Entlassung stehen die<br />
üblichen Abschlussuntersuchungen für Mutter<br />
und Kind an. Und danach geht es für die neue<br />
Familie nach Hause.<br />
Text: OÄ Dr. med. Susanne Föllinger<br />
Foto: GKH Herdecke<br />
Weitere Informationen<br />
Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke<br />
Gerhard-Kienle-Weg 4<br />
58313 Herdecke<br />
Dr. Susanne Föllinger<br />
Sekretariat: Marlis Mielke<br />
Tel.: 0 23 30-62 34 25<br />
E-Mail:<br />
querschnitt@gemeinschaftskrankenhaus.de<br />
35
36<br />
Markt<br />
Richtig selbst katheterisieren:<br />
So lassen sich Infekte vermeiden<br />
Das selbstständige Katheterisieren der Harnblase, im Fachjargon als intermittierender<br />
Selbstkatheterismus (ISK) bezeichnet, erleichtert das Leben Betroffener erheblich: Ein<br />
großes Maß an Eigenständigkeit und Mobilität kehrt zurück, wenn man gelernt hat,<br />
unabhängig von pflegerischer Hilfe die Blase zu entleeren. Etwas Sachkenntnis und<br />
penible Sorgfalt sind allerdings vonnöten, um das Risiko von Harnwegsinfekten gering<br />
zu halten.<br />
Normalerweise herrscht im Harntrakt des<br />
Menschen eine klare Einbahnstraßenregelung:<br />
Über die Harnleiter fließt der Harn aus den<br />
Nieren in die Blase, von dort aus wird er über die<br />
Harnröhre ausgeschieden. Die Gegenrichtung<br />
ist nicht vorgesehen – aus gutem Grund,<br />
denn insbesondere der Harnröhrenausgang<br />
ist von vielen Keimen besiedelt, die dort zwar<br />
ungefährlich sind, im Körperinneren jedoch<br />
Entzündungsreaktionen hervorrufen können.<br />
Typische Symptome dafür sind Blut im Harn,<br />
erhöhte Körpertemperatur und gegebenenfalls<br />
Schmerzen im Unterbauch; schlimmstenfalls<br />
kann eine Blasenentzündung sogar zur<br />
dauerhaften Schädigung der Nieren führen.<br />
Nun kommt man allerdings nicht umhin,<br />
mit einem Katheter den Weg „nach<br />
oben“ einzuschlagen, wenn die natürliche<br />
Blasenentleerungsfunktion zum Beispiel durch<br />
eine Querschnittslähmung gestört ist, denn nur<br />
so kann der Harn aus der Blase herausgeleitet<br />
Intelligentes Prinzip: Der<br />
Katheter mit Vorlaufspitze<br />
(Simplycath®) schützt<br />
die eigentliche Katheterspitze,<br />
die erst nach<br />
Einführung in die Harnröhre<br />
Richtung Blase<br />
vorgeschoben wird und<br />
deshalb mit der keimbelastetenHarnröhrenöffnung<br />
nicht in Berührung<br />
kommt.<br />
werden. Wie schafft man es trotzdem,<br />
Blasenentzündungen zu verhindern?<br />
Unverzichtbar: gründlichste Hygiene<br />
An erster Stelle steht sicherlich die gründliche<br />
Hygiene. Jedes Katheterisieren beginnt mit<br />
einer gründlichen Reinigung des Intimbereichs<br />
und der Hände. Die deutsche Gesellschaft für<br />
Urologie empfiehlt zudem eine Desinfektion<br />
der Schleimhäute mit einem geeigneten Mittel.<br />
Speziell bei Frauen liegen After und Harnröhre<br />
sehr nah beieinander, sodass Keime leicht in die<br />
Nähe des Harntrakts gelangen. Jeder Kontakt<br />
des Katheters mit der Anal- und Genitalregion<br />
muss sorgfältig vermieden werden, deshalb<br />
sind eine gründliche Vorbereitung des<br />
Katheterisierens und eine ruhige Atmosphäre<br />
so wichtig. Der Einmalkatheter sollte erst direkt<br />
vor dem Gebrauch aus der Folienverpackung<br />
genommen werden und auch tatsächlich nur<br />
einmal zur Anwendung kommen.<br />
Dazu, dass möglichst aseptische Bedingungen<br />
erreicht werden, kann auch der Katheter<br />
selbst viel beitragen. In der Regel sind die für<br />
den intermittierenden Selbstkatheterismus<br />
hergestellten Katheter mit einem sterilen<br />
Gleitmittel überzogen. So gelingen das Ein-<br />
führen in die Harnröhre und das Vorschieben<br />
leicht. Abgerundete Katheteraugen schonen<br />
die empfindliche Harnröhreninnenhaut und
eugen Verletzungen vor, die wiederum das<br />
Infektionsrisiko nach oben treiben. Einen be-<br />
sonders intelligent konstruierten und dabei<br />
einfach anzuwendenden ISK-Katheter bie-<br />
tet UROMED, eines der führenden Unter-<br />
nehmen für urologische Instrumente in<br />
Deutschland. Der Simplycath ® ist mit einer<br />
Vorlaufspitze ausgestattet, die das Risiko der<br />
Keimeinschleusung erheblich reduziert. Der<br />
Grund: Die meisten Keime befinden sich auf<br />
den ersten 1,5 Zentimetern des Harnröhren-<br />
eingangs, und mit diesem Bereich kommt die<br />
eigentliche Katheterspitze des Simplycath ®<br />
dank der Vorlaufspitze nicht in Berührung.<br />
Katheterschutz = Infektionsschutz<br />
Wie eine Art Schutzhülse wird die<br />
Vorlaufspitze in die Harnröhre eingeführt,<br />
bis nach 1,5 Zentimetern ein kleiner Teller<br />
die Harnröhrenöffnung berührt und das<br />
System an der richtigen Position hält. Nun<br />
wird die innenliegende Katheterspitze weiter<br />
vorgeschoben, bis sie in der Blase ankommt<br />
und der Harn fließt. Das Herausziehen nach<br />
der Blasenentleerung erfolgt wie gewohnt.<br />
Mehrere internationale Studien konnten<br />
nachweisen, dass sich bei Menschen, die<br />
Katheter dieses Prinzips benutzten, die Zahl der<br />
Harnwegsinfekte deutlich verringerte.<br />
Die Beachtung wichtiger Hygieneregeln und die<br />
Benutzung eines idealen Katheters sind zwei<br />
von drei Faktoren, mit denen der Anwender<br />
sein persönliches Infektionsrisiko positiv<br />
beeinflussen kann. Das dritte Drittel gehört dem<br />
richtigen Trink- und Ernährungsverhalten. Wer<br />
konsequent daran denkt, täglich ausreichend<br />
Wasser zu trinken – bei einem durchschnittlich<br />
großen und schweren Erwachsenen sind es<br />
mindestens zwei Liter –, sorgt für eine gute<br />
Durchspülung der Harnorgane, sodass eventuell<br />
vorhandene Keime zumindest nicht allzu lange<br />
in Kontakt mit der Schleimhaut der Blase oder<br />
Markt<br />
der Harnröhre kommen. Auch bewirkt ein<br />
möglichst saurer Harn, dass sich Bakterien nur<br />
schwer vermehren können. Die Aminosäure L-<br />
Methionin, die als Nahrungsergänzungsmittel<br />
erhältlich ist, kann dafür unterstützend ein-<br />
gesetzt werden.<br />
Als sanfter und sogar wohlschmeckender In-<br />
fektionsschutz hat sich die Cranberry bewährt,<br />
die amerikanische Verwandte der Preiselbeere.<br />
Sie ist reich an Vitamin C und stärkt damit<br />
allgemein die Abwehrkräfte. Darüber hinaus<br />
hemmen einige ihrer Substanzen nachweislich<br />
die Ansiedlung von Keimen an der Blasenwand.<br />
Die Cranberry-Wirkstoffe gibt es als Kapseln<br />
zum Einnehmen, für Genießer empfehlen sich<br />
die frischen oder getrockneten Früchte pur, in<br />
diversen Gerichten oder gepresst als leckerer<br />
Saft.<br />
Die meisten Bakterien (hier gelb gekennzeichnet) befinden<br />
sich im Bereich der äußeren 1,5 Zentimeter der<br />
Harnröhre. Ein Katheter mit Vorlaufspitze minimiert das<br />
Risiko, dass Keime mit der Katheterspitze in die Blase<br />
transportiert werden.<br />
So lassen sich Harnwegsinfekte vermeiden:<br />
•Gründliches Händewaschen mit Wasser und<br />
Seife<br />
•Reinigung und Desinfektion des Intim-<br />
bereichs<br />
•Ruhige, überlegte Vorgehensweise<br />
•Einmalkatheter unbedingt nach dem Ge-<br />
brauch entsorgen<br />
•Katheter mit Vorlaufspitze bevorzugen<br />
•Auf genügende Trinkmenge achten<br />
•Über Nahrungsergänzungsmittel für ein ge-<br />
sundes Harnmilieu sorgen<br />
www.simplycath.de<br />
37
Ich möchte »B-Kids«, das Journal<br />
für junge Körperbehinderte und ihr Umfeld, abonnieren.<br />
4 Ausgaben jährlich für 15 € (Ausland 20 E) inkl. Porto & Versand.<br />
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ausgefüllt an uns senden:<br />
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Welche Ausgabe von »B-Kids« liegt Ihnen vor?<br />
B-Kids –<br />
Journal für junge Körperbehinderte<br />
und ihr Umfeld<br />
Es gibt etwa 266 000 schwerbehinderte Menschen unter<br />
25 Jahren in Deutschland. Fast ebenso viele Familien sind<br />
von den Problemen mit betroffen, die ein Leben mit<br />
Handikapmit sich bringt.<br />
Noch immer gibt es viele Schulen,andenen behinderte<br />
Schüler nicht gern gesehen sind. Hilfsmittelversorgung<br />
und Pflege sind weitere Beispielefür Themen,über die wir<br />
sprechenwollen.<br />
Auch die schönen Seiten des Lebens sollen nicht zu kurz<br />
kommen, Lebensfreude ist nicht vom Grad der Behinderung<br />
abhängig.<br />
Unsere Autoren wissen, wovon sie reden.<br />
Wir zählen auf Ihre Unterstützung –abonnieren Sie B-Kids!<br />
Ständige Themen:<br />
Schule Integration ist machbar.<br />
Alltag Grau bis bunt?<br />
Unterwegs Dem Alltag entfliehen.<br />
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für Querschnittgelähmte in Deutschland<br />
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Inkontinenz beherrschen mit dem<br />
„Blasenstimulator“<br />
Laien sprechen vom „Brindley-Stimulator“, einer „Blasenstimulator-OP“ oder gar<br />
vom „Blasenschrittmacher“. Der letztgenannte Ausdruck ist unzutreffend, denn es<br />
handelt sich nicht um einen Schrittmacher mit einer eigenen Energiequelle wie z. B.<br />
ein Herzschrittmacher. Die anderen Begriffe berücksichtigen nicht den wichtigsten<br />
Teil dieses Behandlungsverfahrens, die sakrale Deafferentation.<br />
Die gesunde Harnblase hat zwei Funktionen:<br />
Speichern (Reservoir) und Entleeren (Miktion).<br />
99 % der Zeit ist die Blase ein Reservoir. Die<br />
Miktion ist eine kurzdauernde Funktions-<br />
phase mit Druckerhöhung, die max. 1 % der<br />
Tageszeit andauert. Das funktioniert durch<br />
ein fein aufeinander abgestimmtes Steue-<br />
rungssystem in Zentren des Gehirn und des<br />
Rückenmarks. Dabei kommt es während der<br />
Blasenentleerung zu einer Kontraktion (Zu-<br />
sammenziehung) der Blasenmuskulatur mit<br />
Öffnung des Blasenhalses und gleichzeitiger<br />
Entspannung des äußeren Schließmuskels, so<br />
dass eine koordinierte, zügige und restharn-<br />
freie Entleerung stattfindet.<br />
Anders die gelähmte Harnblase: Nach Über-<br />
winden des spinalen Schocks mit schlaffer<br />
Lähmung aller Körperfunktionen ändert sich<br />
je nach Schädigungshöhe des Rückenmarks<br />
das Blasenlähmungsbild. Bei Schädigungen<br />
etwa vom ersten Lendenwirbel und darunter<br />
entwickelt sich eine schlaffe Blasenlähmung.<br />
Bei Schädigungen oberhalb kommt es zu<br />
einer spastischen Blasenlähmung. (Misch-<br />
formen sind möglich.) Bei kompletter Läh-<br />
mung ist die Steuerung über das Blasen-<br />
reflexzentrum vollständig ausgefallen. Für die<br />
genaue Klassifizierung der Blasenlähmung ist<br />
die Video-Urodynamik das wichtigste diag-<br />
nostische Werkzeug. Dies ist eine Kombi-<br />
nation aus Blasendruckmessung und Rönt-<br />
gendarstellung der Harnblase mit Kontrast-<br />
mittel.<br />
Eine spastische Blasenlähmung führt zur<br />
Reflexharninkontinenz. Dabei besteht ein<br />
erhöhtes Risiko von Harnwegsinfektionen<br />
(HWI) und längerfristig das Risiko der<br />
Schädigung der Nierenfunktionen. Es kommt<br />
zur spastischen Kontraktion des äußeren<br />
Schließmuskels (externer Sphinkter), so dass<br />
die Harnentleerung durch den Aufbau<br />
eines hohen Entleerungswiderstandes behin-<br />
dert oder sogar verhindert wird (Detrusor-<br />
Sphinkter-Dyssynergie). Bei Querschnittläh-<br />
mungen oberhalb von Th 6 können autono-<br />
me Dysreflexien auftreten, d. h. es kommt<br />
durch die spastische Aktivität der Harnblase<br />
zu abrupten heftigen krisenhaften Blutdruck-<br />
steigerungen, meist verbunden mit Schwitzen<br />
und heftigsten Kopfschmerzen. Je nach<br />
Lebensalter bedeutet das ein erhöhtes<br />
Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Dies<br />
ist eine lebensbedrohende Situation. Solch<br />
eine autonome Dysreflexie gilt in der Neuro-<br />
Urologie als ein Notfall.<br />
Die Operationsmethode<br />
Brindley forschte 1969–1978 an der Entwick-<br />
lung eines Implantates und der externen<br />
39
40<br />
Steuerung zur Sakralwurzelstimulation, um so<br />
eine Implantat gesteuerte Blasenentleerung<br />
zu erreichen. Zu Beginn wurden die sakralen<br />
Vorder- und Hinterwurzeln soweit möglich<br />
nur voneinander getrennt, u. a. S 2 und S 3.<br />
Sauerwein war der erste Operateur, der die<br />
sensiblen Hinterwurzeln von S 4 und wenn<br />
notwendig auch von S 5 separieren konnte<br />
und durchtrennte, ohne dabei die motorischen<br />
Vorderwurzeln zu verletzen (Sept.1986). Die<br />
vollständige Separation und Durchtrennung<br />
der sensiblen Hinterwurzeln S 2 bis S 5 wird<br />
als sakrale Deafferentation bezeichnet (SDAF).<br />
Heute ist die SDAF und die SARS ein etab-<br />
liertes Verfahren. Nach erfolgreicher SDAF<br />
von S 2 bis S 5 auf beiden Seiten wird die<br />
spastische Harnblasenreaktion vollständig<br />
ausgeschaltet (Prof. D. Sauerwein). Damit<br />
wird die Reservoirfunktion der Harnblase<br />
wieder hergestellt und Harnkontinenz<br />
erreicht. Durch das Einlegen von Elektroden<br />
in den offenen Wirbelkanal, in die die<br />
motorischen Vorderwurzeln gelegt werden,<br />
wird eine kontrollierte Blasenentleerung<br />
durch Elektrostimulation (SARS) möglich. Die<br />
angeschlossenen Elektroden werden hierzu<br />
mit einem unter die Haut platzierten Emp-<br />
fänger verbunden. Die Harnblasenentleerung<br />
erfolgt durch Auflegen des Senders auf die<br />
Haut exakt über dem implantierten Emp-<br />
fänger, der über die Kabel zu den Elektroden<br />
mit den Sakralnerven in Verbindung steht.<br />
Die Elektrostimulation erfolgt über ein<br />
Steuergerät. Die Programmierung findet nach<br />
der Operation und nach abgeschlossener<br />
Wundheilung statt. Die Blasenentleerung<br />
durch Triggern ist dann nicht mehr möglich.<br />
Unabhängig von der Vorderwurzelstimulation<br />
bleibt dem Querschnittgelähmten die<br />
Möglichkeit der Harnblasenentleerung durch<br />
intermittierenden Katheterismus (ISK) erhalten<br />
(z. B. für Notfälle, bei Defekt des Steuergerätes<br />
oder Funktionsverlust des Implantates).
Indikationen<br />
➜Drohender, fortschreitender Verlust von<br />
Nierenfunktion und/oder<br />
• Reflexharninkontinenz<br />
• häufig wiederkehrende, insbesondere fie-<br />
berhafte Harnwegsinfektionen<br />
• strukturelle Schädigungen des unteren<br />
Harntraktes (z.B. Christbaumblase) und/<br />
oder des oberen Harntraktes (z. B. Harn-<br />
stauung, Reflux)<br />
• autonome Dysreflexie (Bluthochdruckkrisen)<br />
➜Fehlschlag konservativer Therapiemaßnah-<br />
men (anticholinerge Therapie und inter-<br />
mittierender Katheterismus)<br />
➜Fehlschlag minimalinvasiver Behandlungen<br />
(Schließmuskeleinkerbung bei querschnitt-<br />
gelähmten Männern, Botulinum-Toxin-A-<br />
Injektionen (Botox®) mit intermittierendem<br />
Katheterismus)<br />
Patientenauswahl<br />
➜Motorisch und sensibel komplette Quer-<br />
schnittlähmung, (in Ausnahmefällen auch<br />
inkomplette Läsionen nach einer detaillier-<br />
ten neurologischen Untersuchung)<br />
➜Intakter sakraler Reflexbogen S2–S5: spas-<br />
tische Blasenlähmung<br />
➜Intakte Blasenmuskelfunktion:<br />
• normale Dehnungsfähigkeit der Harnblase<br />
• kein bindegewebiger Umbau der Blasen-<br />
wand (Fibrosierung)<br />
• keine myogene Schädigung (keine Über-<br />
dehnungsschädigung)<br />
➜Sicheres Langzeitkonzept der medizinischen<br />
und sozialen Versorgung des Querschnitt-<br />
gelähmten<br />
Komplikationen<br />
Diese Darstellung kann und will nicht das<br />
notwendige Beratungsgespräch mit einem<br />
erfahrenen Neuro – Urologen ersetzen.<br />
Deshalb wird hier nur auf einige wichtige<br />
Komplikationsmöglichkeiten eingegangen.<br />
Frühkomplikationen:<br />
➜Infektion<br />
• Trotz Beachtung von makellosen Hautver-<br />
hältnissen, einer voroperativen Ganzkör-<br />
perdesinfektion und einer perioperativen<br />
antibiotischen Prophylaxe sind bakterielle<br />
Infektionen im Operationswundgebiet und<br />
am Implantat nicht zu 100 Prozent zu<br />
verhindern.<br />
• Wenn es zu einem solchen Ereignis<br />
kommt, muss das Implantat entfernt wer-<br />
den, um Folgeerkrankungen, wie Hirn-<br />
hautentzündung, Gehirnentzündung oder<br />
Knochenentzündung zu vermeiden.<br />
• Die Entfernung des Implantates führt<br />
zum Verlust der SARS, aber die Wirkung<br />
der SDAF wird nicht aufgehoben. Die<br />
Blasenentleerung muss dann durch Ein-<br />
malkatheterismus stattfinden.<br />
• Nach Ausheilung der Infektion ist eine<br />
Neueinpflanzung eines Implantates mög-<br />
lich.<br />
➜Liquorfistel<br />
• Das Gehirn und das Rückenmark sind<br />
innerhalb der Hirnhäute schwimmend vor<br />
Stößen geschützt im Hirnwasser (Liquor)<br />
gelagert.<br />
• Die Elektrodenkabel werden durch eine<br />
Art “Schornstein“ hindurch aus dem Wir-<br />
belkanal ausgeleitet. Um den “Schornstein“<br />
herum werden die Hirnhäute durch eine<br />
wasserdichte Naht verschlossen.<br />
• Kommt es hier zu einer Heilungsstörung,<br />
tritt Liquor aus (Liquorfistel). Eine Zweit-<br />
operation, um diese Fistel zu verschließen,<br />
kann erforderlich werden, sofern Kopftief-<br />
lagerung nicht zu einem Spontanver-<br />
schluss führt.<br />
41
42<br />
Spätkomplikationen:<br />
➜Implantatdefekte (Spätkomplikation):<br />
• Defekte am Empfänger oder Kabelbrüche.<br />
• Geeignete Untersuchungen lassen Defekte<br />
des Steuergerätes und des Implantates<br />
unterscheiden.<br />
• Bei plötzlichem Funktionsausfall muss<br />
durch Einmalkatheterismus eine Überdeh-<br />
nungsschädigung der Blasenmuskulatur<br />
vermieden werden. (Volumen kleiner als<br />
500 ml!)<br />
• Je nach Art des Defektes kann durch<br />
Austausch des Empfängers, durch Kabel-<br />
reparatur oder durch Einsetzen eines<br />
kompletten neuen Implantates die Funk-<br />
tion wieder hergestellt werden.<br />
➜Überdehnungsschädigung<br />
• Der Blasenfüllungszustand wird von Quer-<br />
schnittgelähmten nicht oder nur durch<br />
sehr unbestimmte Signale wahrgenom-<br />
men. So kann es zur Überfüllung der<br />
Harnblase mit Überdehnung der Blasen-<br />
muskulatur kommen und die Blasenent-<br />
leerung mittels SARS kann versagen.<br />
• Dann Einmalkatheterismus bis sich die<br />
Harnblase von der Überdehnung erholt<br />
hat. Dies kann Tage aber auch Wochen<br />
dauern.<br />
Nachsorge<br />
Die erste Nachsorge findet 6 Monate nach<br />
der Operation statt. Meistens müssen<br />
die Stimulationsparameter sowohl für die<br />
Blasenentleerung als auch für die Stuhl-<br />
regulierung nachjustiert werden. Im wei-<br />
teren Verlauf sind regelmäßige jährliche<br />
Nachsorgeuntersuchungen anzuraten, um<br />
die vollständige SDAF und die regelrechte<br />
Funktion der SARS zu überprüfen und je<br />
nach Notwendigkeit Korrekturen vorzuneh-<br />
men. Harnwegsinfektionen sind in aller Regel<br />
nur noch ein seltenes Problem.<br />
Es gibt in der Medizin leider keine Erfolgs-<br />
quote von 100 %. Nach der letzten Auswer-<br />
tung der Bad Wildunger Ergebnisse in 2007<br />
gelang eine vollständige Deafferentation<br />
in 95,2 % (464 Operationen). Die mittlere<br />
Blasenkapazität lag danach bei 476 ml. Bei<br />
83 % der Patienten bestand Kontinenz.<br />
95 % der Patienten nutzten die SARS für<br />
die Blasenentleerung und 91 % für die<br />
Stuhlregulierung. Die HWI-Rate fiel von 6,3<br />
Infektionen pro Jahr vor Durchführung der<br />
SDAF auf 1,2 HWIs pro Jahr nach der Opera-<br />
tion.<br />
Von allen Behandlungsmethoden bei spasti-<br />
scher Blasenlähmung infolge einer erwor-<br />
benen Querschnittlähmung ist die SDAF und<br />
SARS die dauerhaft verlässlichste. Für eine<br />
erfolgreiche Diagnostik, Patientenauswahl,<br />
Durchführung der Operation und Nachbe-<br />
handlung sowie auch für die Beherrschung<br />
von möglichen Komplikationen ist ein er-<br />
fahrenes Team Voraussetzung. Der Autor<br />
und sein chefärztlicher Partner Dr. med. B.<br />
Domurath sowie das ganze Mitarbeiterteam<br />
stehen gerne zur weiteren Beratung zur<br />
Verfügung.<br />
Text:<br />
Dr. med. J. Kutzenberger<br />
Facharzt für Urologie<br />
Chefarzt Klinik für Neuro-Urologie<br />
An der Werner Wicker Klinik<br />
34537 Bad Wildungen<br />
E-Mail:<br />
jkutzenberger@werner-wicker-klinik.de
Markt<br />
Auszeichnung für PARAVAN-Chef<br />
Roland Arnold<br />
Im festlichen Ambiente des Neuen Schloss zu Stuttgart wurde PARAVAN-Gründer<br />
und Inhaber Roland Arnold mit der Wirtschaftsmedaille in Gold für herausragende<br />
Leistungen und Verdienste für die baden-württembergische Wirtschaft ausgezeichnet.<br />
Besonders beeindruckt zeigte sich die hoch-<br />
karätige Jury, die auf Anregung und der<br />
Expertise des ehrenbeurkundeten Gerichts-<br />
sachverständigen des Öffentlichen Rechts,<br />
Oliver Raach, das Prüfverfahren durchführte,<br />
von Arnolds Innovationsstreben zum Wohle<br />
aller mobilitätseingeschränkten Menschen.<br />
Evolutionäre Produkte, alles aus einer Hand,<br />
erleichtern den Einstieg in eine unbegrenzte<br />
Mobilität für behinderte Menschen enorm.<br />
Von der neuen, bereits viel bestaunten Roll-<br />
stuhl-Familie PR 10, PR 30 und PR 50, über<br />
die hautnah der Behinderung angepassten<br />
Automobile bis hin zum weltweit ersten<br />
straßenzugelassenen Joysticklenksystem SPACE<br />
DRIVE auf drive-by-wire Basis mit doppelter<br />
Sicherheit. Sogar für Menschen ohne Arme<br />
und ohne Beine ermöglicht der mit 28 Staats-<br />
und Innovationspreisen ausgezeichnete Mo-<br />
bilitätspark das Autofahren.<br />
„Die PARAVAN Produkte sind perfekte Be-<br />
gleiter für mobilitätseingeschränkte Men-<br />
schen im Alltag, in der Freizeit und bei der<br />
Arbeit“, so der Wirtschaftsminister Pfister bei<br />
seinem Unternehmensbesuch. Auch Bundes-<br />
kanzlerin Angela Merkel und die SPD-Be-<br />
hindertenbeauftragte Silvia Schmitt zeigten<br />
sich von Firmengründer Roland Arnold und<br />
seinem PARAVAN-Team in Berlin beeindruckt.<br />
Auf der neuen Internetpräsenz kann man<br />
bereits erste Eindrücke des Unternehmens<br />
sammeln. Ein Besuch auf der Schwäbischen<br />
Alb ist jedoch durch nichts zu ersetzen. „Was<br />
hier geboten wird, ist faszinierend“, so der<br />
einhellige Tenor der PARAVAN Kunden und<br />
Interessenten. Innovativ, kompetent, freundlich<br />
und zuvorkommend. So sind die sympathischen<br />
Paravaner.<br />
„Sie, Herr Roland Arnold, sind ein Vorbild<br />
für andere Unternehmer. Unsere Wirtschaft<br />
ist heute mehr denn je auf leistungsstarke<br />
Unternehmerpersönlichkeiten wie Sie ange-<br />
wiesen. Setzen Sie dieses ideenreiche und<br />
rührige Wirken sowie den konsequenten<br />
und löblichen Weg auch in Zukunft fort. Ich<br />
habe nunmehr die Ehre, Ihnen, lieber Herr<br />
Arnold, die Wirtschaftsmedaille des Landes<br />
Baden-Württemberg zu überreichen“, so der<br />
Wirtschaftsminister in seiner Laudatio.<br />
Weitere Informationen gibt es auf<br />
www.paravan.de<br />
43
44<br />
Wohnen für alle<br />
Anfang des Jahres hatten wir eine Wohnung zu räumen, weil deren langjährige<br />
Bewohnerin mit fast neunzig Jahren in ein Seniorenheim umziehen musste.<br />
Beeindruckend wurde dabei deutlich, dass „Wohnen“ mehr ist, als nur „behaust sein“.<br />
Wohnen ist Leben, und das Leben hinterlässt seine Spuren – auch in einer Wohnung.<br />
Sich eine Wohnung teilen, heißt auch stets Teil zu haben am Leben der anderen.<br />
Niemand soll ausgegrenzt werden vom gemeinsamen (Er-)Leben in den eigenen<br />
vier Wänden, weder ganz noch teilweise, dauernd oder auch nur vorübergehend.<br />
Das haben inzwischen auch die Architekten<br />
und Bauträger, Mietervereine und Woh-<br />
nungsunternehmen kapiert und in der Fol-<br />
ge damit begonnen, neue Wohnformen zu<br />
entwickeln: Wohngruppen, Wohngemein-<br />
schaften oder so genannte Generationen-<br />
häuser wollen Lebensraum bieten für die<br />
verschiedensten Bewohner mit den unter-<br />
schiedlichen Bedürfnissen und Vorausset-<br />
zungen. Doch auch im privaten Wohnungs-<br />
bau und sogar in der kleinen Mietwohnung<br />
lassen sich Wohnsituationen entwickeln, bei<br />
denen niemand ausgegrenzt werden muss –<br />
ob behindert oder nicht, alt oder jung, gesund<br />
oder krank.<br />
Dass es dabei keine Patentlösungen gibt,<br />
weil eben jeder Mensch anders ist, ist eine<br />
Binsenweisheit. Doch auch eine einmal<br />
gefundene Lösung muss nicht für immer gültig<br />
sein. Menschen werden älter und verändern<br />
sich, und mit ihnen ihre Bedürfnisse. „Das<br />
biologische Alter – ob 50 plus, 60 plus oder<br />
70 plus – ist kein guter Indikator für das Ver-
halten“, meint Gundolf Meyer-Hentschel,<br />
Gründer und Inhaber eines Forschungsinsti-<br />
tuts für Seniorenmarketing in Saarbrücken,<br />
„sicher ist aber eines: Je älter Menschen wer-<br />
den, desto unterschiedlicher werden sie.“<br />
Aber auch wenn die Menschen sich im Alter<br />
heute durchschnittlich zehn Jahre jünger<br />
fühlen als sie tatsächlich sind, so ändern<br />
sich mit zunehmendem Alter doch objektiv<br />
Verhalten und Wahrnehmung und es stellen<br />
sich Defizite ein. Das können sein:<br />
• Verminderte Fingerfertigkeit<br />
• Einschränkung der Beweglichkeit<br />
• Kraftverlust<br />
• Hörstörungen<br />
• Blendempfindlichkeit<br />
• Änderung des Farbempfindens<br />
Schon ab ca. 35 Jahren verschlechtert sich<br />
das Blickfeld eines Menschen. Mit 60 Jahren<br />
empfängt die Netzhaut nur noch 45 Prozent<br />
des Lichts im Vergleich zu der eines 20<br />
jährigen. Darauf sollte man bei der Gestaltung<br />
von Wohn- und Geschäftsräumen unbedingt<br />
Rücksicht nehmen, umso mehr natürlich wenn<br />
sich Behinderte und Nichtbehinderte eine<br />
gemeinsame Wohnung teilen müssen.<br />
Normen gegen Barrieren<br />
Treppen, Schwellen und Stufen bilden oft<br />
Barrieren für alle und ganz besonders für<br />
diejenigen, die durch physische Ursachen,<br />
Gepäck oder andere Lasten geh- oder be-<br />
wegungsbehindert sind. In unserem Wohn-<br />
umfeld, am Arbeitsplatz, im Öffentlichen<br />
Nahverkehr und auch in der Freizeit und<br />
auf Reisen sind Zugänge, Aufgänge oder<br />
Übergängeoft erst über eine Stufezuerreichen.<br />
Wenn diese Tatsachen schon Hindernisse<br />
für nichtbehinderte Menschen darstellen,<br />
sind es besonders für alte und behinderte<br />
Menschen unüberwindbare Barrieren. Für<br />
deren Bedürfnisse gibt es die entsprechen-<br />
den Bauvorschriften der Länder und<br />
-Anzeige-<br />
45
46<br />
natürlich die DIN-Normen<br />
18025 Teil 1und 2„Barrierefreie<br />
Wohnungen“ und DIN 18024,<br />
Teil 2 „Öffentlich zugängige<br />
Gebäude und Arbeitsstätten“<br />
mit detaillierten Vorgaben<br />
über Wegegestaltung, Breite<br />
von Türen und Durchgängen,<br />
Gestaltung von Bedienungs-<br />
einrichtungen usw. Die Vor-<br />
schriften sollen im Laufe des<br />
Jahres 2010 von der DIN-<br />
Norm 18030 abgelöst werden, über die schon<br />
seit Jahren gestritten worden ist, und in der<br />
jetzt neu festgelegt werden soll, was einen<br />
barrierefreien Lebensraum ausmacht. Viele der<br />
Einrichtungen für Rollstuhlfahrer kommen na-<br />
türlich allen Bewohnern eines barrierefreien<br />
Wohnraums zugute.<br />
Vorhandene Sachkenntnis<br />
nutzen<br />
In der AG Bauen und Umwelt der FGQ<br />
stehen mit Dirk Michalski und Frank Opper<br />
zwei kompetente Ansprechpartner bei der<br />
Vorbereitung von Wohnungsum- und Neu-<br />
bauten zur Verfügung, die auf langjährige<br />
Erfahrung im barrierefreien Wohnungsbau<br />
zurückgreifen können und die den Begriff<br />
„barrierefrei“ großzügig auslegen: „Der Be-<br />
griff ‚barrierefrei’ sollte sich auf alle Behin-<br />
derungen beziehen und allen Menschen<br />
gleichermaßen zugute kommen.“. Die AG<br />
Bauen und Umwelt möchte deshalb in<br />
erster Linie einem häufig bestehenden In-<br />
formationsdefizit bezüglich barrierefreiem<br />
Planen und Bauen entgegen treten. „Es hat<br />
sich gezeigt, dass die vorhandenen Infor-<br />
mationen und Ressourcen (Fachplaner) häufig<br />
aus Unkenntnis nicht abgerufen werden.“<br />
Wie durch baulich-technische<br />
Maßnahmen bestehende Woh-<br />
nungen an die Bedürfnisse<br />
älterer oder behinderter Men-<br />
schen angepasst werden kön-<br />
nen, beschreibt unter an-<br />
derem auch die Artikelserie<br />
„Barrierefrei Planen – Bauen –<br />
Wohnen“ seit 2006 in den<br />
Zeitschriften des zur FGQ ge-<br />
hörenden HUMANIS Verlages<br />
(bis Ende 2008 im „B-Journal“<br />
und seit Anfang 2009 im „Paraplegiker“).<br />
Wer ältere Artikel über bestimmte Gewerke<br />
nachlesen möchte, findet diese in der<br />
„REHADAT“-Datenbank des Institut der deut-<br />
schen Wirtschaft in Köln unter der URL<br />
www.rehadat.de.<br />
Kontakt: AG Bauen & Umwelt (siehe S. 65)<br />
Text: Raimund Artinger<br />
Fotos: Schwörerhaus
Kathetersysteme<br />
Der SafetyCat® Sicherheitskatheter verfügt<br />
über innen und außen weich abgerundete<br />
Katheteraugen. Die abgerundeten Augen<br />
schützen die sensible Harnröhrenschleimhaut<br />
und minimieren das Verletzungsrisiko erheb-<br />
lich. Der flexible und dennoch stabile Ergo-<br />
than-Katheterkopf passt sich der Anatomie<br />
der Harnröhre optimal an. Damit bietet der<br />
SafetyCat® Sicherheitskatheter alle Voraus-<br />
setzungen für eine sanfte und schonende<br />
Katheterisierung.<br />
Medical Service bietet gelbasierte und<br />
hydrophile Kathetersysteme an. Das hydro-<br />
phile Kathetersystem Liquick® Base ermög-<br />
licht eine einfache Anwendung bei gleich-<br />
zeitig bewährter Sicherheit. Das integrierte<br />
Sachet lässt sich leicht öffnen und die<br />
Kochsalzlösung gelangt sofort in den<br />
Katheterkanal. In wenigen Sekunden ist das<br />
Kathetersystem gebrauchsfertig. Mit Hilfe der<br />
praktischen Schutzhülle kann der Katheter<br />
berührungsfrei aus der Packung entnommen<br />
werden, um ihn in die Blase einzuführen.<br />
Liquick® Base ermöglicht eine leichte und<br />
schnelle Anwendung, da die Kochsalzlösung<br />
bereits im System integriert ist.<br />
Das gelbasierte Kathetersystem Libero Plus<br />
bietet durch den integrierten Urinauffang-<br />
beutel ein ideales System für unterwegs. Aber<br />
auch zu Hause garantiert er eine sichere und<br />
aseptische Katheterisierung. Das integrierte<br />
Sachet kann durch leichten Druck geöffnet<br />
Markt<br />
Medical Service stellt seit über 20 Jahren hochwertige urologische Medizinprodukte<br />
her, die Menschen mit neurogener Blasenfunktionsstörung mehr Mobilität garantieren.<br />
Das Basisprodukt der Kathetersysteme ist der SafetyCat® Sicherheitskatheter. Er hat<br />
besondere Merkmale, die eine sanfte und schonende Katheterisierung garantieren.<br />
werden. Das austretende Gleitmittel benetzt<br />
den SafetyCat® Sicherheitskatheter der Länge<br />
nach. Anschließend kann der Katheter leicht<br />
aus dem Auffangbeutel herausgeschoben<br />
werden und die Katheteroberfläche wird<br />
durch die Dosierhülse gleichmäßig mit Gleit-<br />
mittel benetzt. Der integrierte Auffangbeutel<br />
sammelt den Urin sicher. Anhand der Füll-<br />
mengenangabe kann die Urinmenge kon-<br />
trolliert werden. Nach der Katheterisierung<br />
kann der Urinbeutel dicht verschlossen und<br />
problemlos entsorgt werden.<br />
Nähere Informationen zu verschiedenen Ka-<br />
thetersystemen unter www.medical-service.de.<br />
Medical Service GmbH<br />
A Teleflex Medical Company<br />
Luisenstraße 8, 75378 Bad Liebenzell<br />
Tel.: 0 70 52-403-100, info@medical-service.de<br />
www.medical-service.de<br />
www.teleflexmedical.com<br />
47
48<br />
Markt<br />
R-Klasse mit besonderem Umbau<br />
Die Fa. Sodermanns in Wassenberg (www.handicapfahrzeuge.eu) ist der erste Um-<br />
rüster für Behinderten gerechte Fahrzeugumbauten, der in einen Mercedes R 350 4Matic<br />
einen Ladeboy S2 Maxi eingebaut hat.<br />
Dieter Ehinger hat nach umfangreicher und<br />
detaillierter persönlicher Beratung durch Frank<br />
Sodermanns den Auftrag erteilt in seinen<br />
Mercedes R 350 4Matic einen Ladeboy S2 Maxi<br />
sowie einen Multifunktionslenkraddrehknauf<br />
einzubauen. Das Besondere daran ist, dass es<br />
sich zum einen hierbei um den ersten Umbau<br />
dieser Art in einen Mercedes Typ R-Klasse<br />
handelt und dass zum zweiten die Ausführung<br />
in Perfektion und optischer Anpassung ihres<br />
gleichen sucht.<br />
So wurden alle technischen Raffinessen und<br />
Feinheiten genutzt, um den Rollstuhl Sopur<br />
Easy Load 300 mit einem Gewicht von 36 kg<br />
inklusive Fußstützen verladen zu können und<br />
die serienmäßige Optik so weit wie möglich<br />
bei zu behalten. Die serienmäßige hintere<br />
Tür, die zur Schiebe-Kipptür umfunktioniert<br />
wurde, stimmt in Spaltmaßen exakt mit der<br />
Serie überein. Die Türverkleidung mit Holz-<br />
bzw. Carbonoptik wurde zu 80 % erhalten, der<br />
gesamte Bodenbereich, an dem verschiedene<br />
Halter und Verstrebungen montiert wurden,<br />
blieb mit Teppichboden bzw. Kunstleder<br />
versehen und passt perfekt in die Ästhetik und<br />
Optik des Fahrzeugs. Insgesamt stehen auch<br />
nachdemUmbaunochviervollwertigeSitzplätze<br />
zur Verfügung. Die Einbindung des Multifunk-<br />
tionslenkraddrehknaufes zur Bedienung der<br />
wichtigsten Sekundärfunktionen wie Blinker,<br />
Hupe, Licht etc. in das vorhandene elektro-<br />
nische Can-Daten-Bus-Bordnetz war eine be-<br />
sondere Herausforderung, wurde aber eben-<br />
falls perfekt gelöst.<br />
Die Übergabe beinhaltete selbstverständlich<br />
eine fahrzeugspezifische Bedienungsanleitung,<br />
die nicht nur die Anwendung und Bedienung<br />
beschrieb, sondern ebenfalls mit Fotos aus-<br />
gestattet die einzelnen Einbauorte der wich-<br />
tigsten Gerätschaften, besonders der Siche-<br />
rungen darstellte. Diese detaillierten Beschrei-<br />
bungen sind bei Sodermanns für jeden Um-<br />
bau selbstverständlich, um dem Qualitäts-<br />
sicherungssytem ISO 9001/9002 gerecht zu<br />
werden, eine einwandfreie Bedienung zu ge-<br />
währleisten, und um bei<br />
einem eventuellen Ausfall<br />
einem „fremden“ Techniker<br />
eine entsprechende Grund-<br />
lage zu liefern.<br />
Info:<br />
Fa. Sodermanns<br />
www.handicapfahrzeuge.eu<br />
Tel.: 0 24 32-2 01 04<br />
E-Mail: info@autohaus-sodermanns.de
PARAPLEGIKER –<br />
Zeitschrift für Menschen mit<br />
Körperbehinderung<br />
Das offizielle Nachrichtenmagazin der Fördergemeinschaft<br />
der Querschnittgelähmten erscheint jetzt im vereinseigenen<br />
HUMANIS Verlag.<br />
Menschen mit Körperbehinderung haben viele gemeinsame<br />
Interessen, deshalb sollte der Blick auch über den Zaun der<br />
eigenen Betroffenheit hinausgehen.<br />
der „Para“ bietet einen Mix aus Information, Kultur, Politik und<br />
Unterhaltung.<br />
Ständige Themen:<br />
Hilfsmittel Rollstuhl & Co – Test the Best<br />
Pflege Organisation, Finanzierung und Hilfsmittel<br />
Urlaub In Nah und Fern<br />
Auto Solange es rollt – Vom kleinen Flitzer bis<br />
zum großen Van<br />
Recht Tipps vom Anwalt<br />
Menschen Portraits, Sport und Spiel, Beruf<br />
Planen und<br />
Bauen Barrierefrei und alltagstauglich<br />
Zu unserem Programm gehören auch<br />
»B-Kids« für behinderte junge Menschen<br />
»K« -Journal Mensch und Krebs<br />
»FGQ-Info« Informationsbroschüre der Fördergemeinschaft<br />
für Querschnittgelähmte in Deutschland<br />
Bei Interesse fordern Sie bitte ein Probeheft an<br />
oder informieren Sie sich telefonisch beim Verlag.<br />
Humanis<br />
Verlag für Gesundheit GmbH<br />
Silcherstraße 15<br />
67591 Mölsheim<br />
e-mail: fgq-mölsheim@t-online.de<br />
www.fgq.de<br />
oder faxen an: 0 62 43 - 90 35 69<br />
Abotelefon: 0 62 43 - 90 07 04<br />
Ich möchte »PARAPLEGIKER«, die Zeitschrift für Menschen<br />
mit Körperbehinderung abonnieren,<br />
4 Ausgaben jährlich für 15 € (Ausland 20 E) inkl. Porto & Versand.<br />
Vorname:<br />
Name:<br />
Straße / Hausnummer:<br />
PLZ / Ort:<br />
Ihr Rücktrittsrecht: Diese Bestellung kann innerhalb von 8Tagen (Poststempel) schriftlich widerrufen<br />
werden. Diesen Hinweis habe ich zur Kenntnis genommen und bestätige dies durch meine<br />
2. Unterschrift.<br />
bargeldlos durch Bankeinzug<br />
Konto-Nr.:<br />
BLZ<br />
Name und Sitz der Bank:<br />
gegen Rechnung (bitte Rechnung abwarten)<br />
Unterschrift<br />
Beantworten Sie bitte noch diese Fragen bevor Sie die Abo-Karte<br />
ausgefüllt an uns senden:<br />
Wo haben Sie den »PARAPLEGIKER« kennengelernt?<br />
Welche Ausgabe des »PARAPLEGIKER« liegt Ihnen vor?
50<br />
Schadensersatzforderungen –<br />
Behindertengerechtes Wohnen<br />
Rollstuhlfahrer haben andere Bedürfnisse an das Wohnumfeld als Fußgänger – das ist<br />
klar. Fraglich ist jedoch immer, in welchem Umfang sich eine Haftpflichtversicherung<br />
nach Unfall oder Kunstfehler an den Umbaukosten zu beteiligen hat.<br />
Zunächst vorab aber ein Hinweis. Kein Unfall-<br />
opfer muss ins Pflegeheim! Nach dem<br />
deutschen Schadenersatzrecht hat jeder be-<br />
hinderte Mensch das Recht auf behinder-<br />
tengerechte Unterbringung in den eigenen<br />
vier Wänden, es sei denn die Kosten über-<br />
stiegen die Kosten einer alternativen Heim-<br />
unterbringung derart exorbitant, dass dies<br />
völlig unvertretbar sei. Mir ist kein Fall aus<br />
dem letzten Jahrzehnt bekannt, in dem ein<br />
Gericht zu diesem Ergebnis gekommen wäre.<br />
In den meisten Fällen hat der Geschädigte<br />
sogar Anspruch darauf, in unmittelbarer Um-<br />
gebung seiner bisherigen Wohnung zu blei-<br />
ben, da sich dort meist auch der Lebens-<br />
mittelpunkt befindet (z.B. die Kinder in die<br />
Schule gehen oder der Ehepartner in der<br />
Nähe arbeitet) und muss sich nicht in eine<br />
billigere Wohngegend verweisen lassen.<br />
Dennoch sind bei der Wahl der behin-<br />
dertengerechten Wohnung oder beim Um-<br />
fang des behindertengerechten Neubaus die<br />
Grundsätze des Schadenersatzrechts natür-<br />
lich anzuwenden. Von besonderer Bedeu-<br />
tung ist hier der Grundsatz, dass der Ge-<br />
schädigte durch die Schadenersatzleistung<br />
nicht besser gestellt sein darf als vorher. Er-<br />
setzt wird also das notwendige und nützliche,<br />
nicht aber der Luxus.<br />
Grundsätzlich ist die Schadenersatzzahlung<br />
am Einzelfall zu bemessen, jedoch kann man<br />
was die notwendige Mehrfläche anlangt,<br />
auch als Einstieg auf Anlage zu den so<br />
genannten „Gemeinsamen Richtlinien der<br />
Verbände der Unfallversicherungsträger über<br />
Wohnungshilfe“ zurückgreifen.<br />
Wohnflächen in m² üblich rollstuhlgerecht Mehrfläche<br />
Freisitz/<br />
Mehrfläche<br />
1 Personenhaushalt 48,50 69,00 20,50 4,50/0,50<br />
2 Personenhaushalt 62,00 80,00 18,00 4,50/0,50<br />
3 Personenhaushalt 76,00 98,00 22,00 6,00/1,00<br />
4 Personenhaushalt 95,00 111,00 16,00 8,00/1,00<br />
5 Personenhaushalt 113,50 136,00 22,50 9,00/1,00<br />
6 Personenhaushalt 124,00 144,50 20,50 11,00/1,00
Einschlägig sind hier folgende Vorschriften:<br />
2.2.1 Behindertenbedingte Mehrfläche<br />
(Grundbedarf)<br />
Beim Wohnungsmehrbedarf ist zur Ermitt-<br />
lung der behindertenbedingten Mehrwohn-<br />
flächen (für rollstuhlbedingte Bewegungs-<br />
flächen, einschließlich Sanitätsraum) von fol-<br />
genden Flächenwerten auszugehen:<br />
Richtgrößen für Wohnungen mit 1 Rollstuhl-<br />
fahrer (unter Einbeziehung der DIN 18025<br />
Teil 1)<br />
siehe Tabelle<br />
-Anzeige-<br />
BEHINDERTENGERECHTE FAHRZEUGUMBAUTEN<br />
PARAVAN auf der RehaCare<br />
Rollstuhl: Halle 4 Stand E16 / Fahrzeuge: Halle 6 Stand C71<br />
Individueller Lifestyle trifft perfekt angepasste Mobilität<br />
•<br />
•<br />
In 2.2.2 findet sich dann zusammengefasst<br />
folgendes: Ist eine zusätzliche Wohnfläche<br />
als Individualraum aus rehabilitativen Grün-<br />
den notwendig, sind weitere 15 m² anzu-<br />
setzen. Weiterhin können Mehrflächen für<br />
einen Pkw-Stellplatz von 6 m² (Differenz aus<br />
der behindertengerechten Abmessung von<br />
21 m² zur Standardabmessung von 15 m²)<br />
und als Aufzugsgrundfläche 3,2 m² je er-<br />
forderlicher Etage in Frage kommen. Wenn<br />
ein besonderer Raum als Schlafraum für<br />
eine Pflegeperson benötigt wird, sind wei-<br />
tere bis zu 15 m² anzusetzen.<br />
Hat man nunmehr auf diese Weise den<br />
Mehrflächenbedarf ermittelt, so ist es re-<br />
lativ einfach, gegenüber einer Haftpflicht-<br />
Unbegrenzte Freiheit und Selbstständigkeit<br />
Der Partner für Ihre individuelle Freiheit<br />
PARAVAN® GmbH . Paravan-Straße 5-10 . 72539 Pfronstetten-Aichelau . Telefon +49 (0)7388 9995 91 . info@paravan.de<br />
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51
52<br />
versicherung oder konsequenterweise auch<br />
gegenüber einem Gericht begründen zu<br />
können, weswegen ein Umzug in eine<br />
barrierefreie, aber auch größere Wohnung<br />
notwendig ist. Aus der Notwendigkeit resultiert<br />
dann auch logischerweise die Pflicht der<br />
Haftpflichtversicherung die Differenz zwischen<br />
alter und neuer Miete zu übernehmen.<br />
Gleiches gilt auch für den Neuerwerb. Ein<br />
guter Architekt kann stets Auskunft darüber<br />
geben, wie teuer 1 m² bebaute Fläche in der<br />
Gegend, in der gebaut werden soll, kostet.<br />
Alternativ bietet sich für Eigentümer, deren<br />
Wohnung/Haus nicht umbaubar ist und die<br />
deswegen umziehen müssen, auch ganz<br />
einfach folgende Berechnung an:<br />
Kosten behindertengerechter Neubau ./. Wert<br />
der alten Wohnung/des alten Hauses = Mehr-<br />
bedarf.<br />
Will ein Mieter nunmehr (beispielsweise un-<br />
ter zu Hilfenahme des Schmerzensgeldes)<br />
Wohneigentum begründen, kann man auch<br />
folgendes Berechnungsmodell wählen:<br />
Kosten behindertengerechter Neubau ./. Ka-<br />
pitalwert der bisherigen Miete auf Lebenszeit<br />
anhand einschlägiger Kapitalisierungstabellen<br />
(zu finden u.a. in Gerhard Küppersbusch,<br />
Ersatzansprüche bei Personenschaden, 10. Auf-<br />
lage 2009).<br />
Besonders in Fällen, in denen aus einer<br />
Mietwohnung in ein eigenes Haus umgezogen<br />
wird, wird stets erbittert um die Notwendigkeit<br />
von Gartenflächen (welche ja in der Wohnung<br />
nicht vorhanden waren) gestritten. Insoweit<br />
kann damit argumentiert werden, dass es für<br />
einen Rollstuhlfahrer wesentlich aufwändiger
ist, einen Ausflug ins Grüne zu machen als für<br />
einen Fußgänger. Der Rollstuhlfahrer ist also<br />
umso mehr auf ein schnell und ohne große<br />
Verladeaktionen zu erreichendes Stück Natur,<br />
also den eigenen Garten angewiesen.<br />
Kosten für Umbauten<br />
Während in vielen Fällen ein Umzug<br />
unumgänglich ist, sind manche frischverletzte<br />
Rollstuhlfahrer in der glücklichen Lage, dass ihre<br />
bisherige Wohnung (meist ein Haus auf dem<br />
Land) umbaubar ist. Hier stellt sich natürlich<br />
ebenso wie beim Umzug die Frage, welche<br />
Kosten auf die Behinderung zurückzuführen<br />
sind und welche Kosten einen effektiven<br />
Mehrwert darstellen.<br />
Stets behinderungsbedingt und daher<br />
regelmäßig übernommen werden die Kosten<br />
von Aufzügen. Insoweit sollte, falls möglich,<br />
der Aufzug immer an das Haus angebaut<br />
werden, Treppenlifte o.ä. sind anderen<br />
Familienmitgliedern oft im Weg und nehmen<br />
unnötig Platz weg, oft zerstören sie auch den<br />
Charme eines Hauses.<br />
Zusammen mit dem Anbau des Liftes sollte<br />
auch an einen generellen Anbau gedacht<br />
werden, da Rollstuhlfahrer normalerweise einen<br />
Therapieraum benötigen. Ein Therapieraum<br />
erklärt sich von selbst, irgendwo muss die<br />
Krankengymnastik und Physiotherapie auch<br />
stattfinden, irgendwo müssen Motomed,<br />
Stehtrainer und die verschiedenen Rollstühle<br />
auch gelagert werden.<br />
Für den Fall, dass Pflegepersonen im Haushalt<br />
untergebracht werden sollen, brauchen diese<br />
einen eigenen Rückzugsbereich mit Wasch-<br />
und Kochgelegenheit, dieser kann im Anbau<br />
untergebracht werden.<br />
Auch für ein eigenes Bad gibt es gute<br />
Argumente, die ein Gericht überzeugen:<br />
Bekanntermaßen verbringen viele Rollstuhl-<br />
fahrer viel mehr Zeit im Bad als Fußgänger,<br />
allein schon wegen der verschiedenen<br />
zeitaufwändigen Methoden des Abführens.<br />
Nichts kann in einer Familie zu mehr Reibe-<br />
reien führen, als ein andauernd belegtes<br />
Bad. Das Bad selbst ohne Duschwanne ist<br />
auch von Fußgängern nicht so gut benutz-<br />
bar und benötigt nach Benutzung auch<br />
mehr Reinigungsaufwand als ein normales Bad.<br />
Natürlich sind auch die Außenanlagen roll-<br />
stuhlgerecht umzubauen, auch der Garten<br />
soll wieder für den Betroffenen voll nutzbar<br />
sein, umso mehr als der Garten oft die ein-<br />
zige einfache Möglichkeit darstellt, schnell<br />
und unkompliziert ins Grüne zu kommen.<br />
Großes Augenmerk sollte auch darauf gelegt<br />
werden, dass ein überdachter Stellplatz, am<br />
besten eine Garage, zur Verfügung steht, die<br />
vom Haus aus direkt oder auf überdachten<br />
Wegen – wichtig v.a. bei Eis und Schnee – zu<br />
erreichen ist.<br />
Diese Punkte werden alle regelmäßig un-<br />
problematisch von Haftpflichtversicherungen<br />
übernommen, sofern eine ordentliche Pla-<br />
nung (inklusive Ausschreibung) stattfindet<br />
– hier sollte auf jeden Fall ein Architektur-<br />
büro für behindertengerechtes Bauen ein-<br />
gesetzt werden – und die Qualität der Um-<br />
baumaßnahmen sich am Lebensstandard des<br />
Betroffenen vor Unfall orientiert. D.h., dass<br />
nur wer vorher in einem Schloss gewohnt<br />
hat, einen fürstlichen Umbau bekommt, ein<br />
eher armer Geschädigter wird sich indes<br />
mit einem einfacheren funktionalen Umbau<br />
begnügen müssen.<br />
53
54<br />
Anspruch auf Privatsphäre<br />
Problematisiert werden allerdings meistens<br />
die folgenden Punkte. Insbesondere bei<br />
schwerstbehinderten Tetraplegikern, die je-<br />
denfalls rund um die Uhr eine Pflegeper-<br />
son im Haus haben, wird oft argumentiert,<br />
dass aufwändige Umweltsteuerungssysteme<br />
und eine behindertengerechte Küche nicht<br />
benötigt werden, da Dinge wie Kochen und<br />
Mobilität jedenfalls regelmäßig von Dritten<br />
übernommen werden. Hier ist darauf zu<br />
verweisen, dass auch noch ein Rest Privat-<br />
sphäre vorhanden sein sollte und es ins-<br />
besondere aus psychischen und rehabilitati-<br />
ven Gesichtspunkten heraus sinnvoll ist, wenn<br />
sich der Betroffene jedenfalls im Einzelfall<br />
selbst helfen kann.<br />
Oft wenden Versicherer auch ein, dass das<br />
Haus durch die Umbauten ja einen Mehrwert<br />
bekommen würde, der vom Betroffenen<br />
selbst zu tragen sei. Den Mehrwert bei<br />
behindertengerechten Umbauten kann ich<br />
nicht erkennen. Oft ist ein barrierefreies<br />
Haus mit Aufzug und entsprechendem Bad<br />
nicht marktüblich zu verkaufen, weil einfach<br />
keine Interessenten da sind.<br />
Auch das oft gebrachte Argument, dass<br />
teilweise Dinge einfach neu zu machen seien,<br />
wenn sich beim Teilentkernen herausstellt,<br />
dass irgendwo die Mauersubstanz oder der<br />
Dachstuhl nicht mehr gängigen Standards<br />
entsprach und so ein Renovierungsmehrwert<br />
entstünde, greift nicht, da es sich ja (wenn<br />
denn überhaupt) um eine aufgedrängte<br />
Bereicherung handelt, also eine Aufwendung,<br />
die der Betroffene den normalen Verlauf der<br />
Dinge betrachtet überhaupt nicht getätigt<br />
hätte.<br />
Wartungskosten<br />
Nicht vergessen sollte man auch, dass die<br />
behindertengerechten Umbauten – hier<br />
vor allem der Aufzug – Strom verbrauchen<br />
und Wartungskosten verursachen und dass<br />
der Anbau auch zu heizen ist. All dies sind<br />
Positionen, die regelmäßig anfallen und vom<br />
Haftpflichtversicherer in Rentenform oder<br />
Kapitalabfindung zu ersetzen sind.<br />
Ebenso muss auch klar sein, dass Menschen,<br />
die im Kindesalter verunfallen, einen Anspruch<br />
auf einen weiteren Umbau bei Volljährigkeit<br />
haben, nämlich dann, wenn sie nach dem<br />
gewöhnlichen Verlauf der Dinge das elterliche<br />
Haus verlassen hätten.<br />
Anmerkung zum Autor: Der Rechtanwalt<br />
und Fachanwalt für Verkehrsrecht Oliver<br />
Negele, Mitarbeiter der AG-Recht der FGQ,<br />
bearbeitet derzeit ca. 30 Fälle aus dem Bereich<br />
Großpersonenschaden im Jahr.<br />
Foto: www.emanuelbloedt.de<br />
Kontakt:<br />
RA Oliver Negele<br />
Bgm.-Fischer-Str. 12<br />
86150 Augsburg<br />
Tel.: 08 21-32 79 88 10<br />
E-Mail: kontakt@arge-recht.de
56<br />
Zuzahlungen in der Gesetzlichen<br />
Krankenversicherung<br />
Inzwischen haben sich die Patienten daran gewöhnt, dass viele Leistungen der<br />
Krankenkassen nur noch zur Verfügung stehen, wenn sie aus dem eigenen Geldsäckel<br />
etwas beisteuern. Unklarheiten gibt es aber immer noch. Der Hinweis von Sanitätshaus<br />
oder Apotheke, dass individuelle Fragen mit der Krankenkasse zu klären sind, führt<br />
aber noch lange nicht immer zur gewünschten Klarheit. Darum hier einiges im<br />
Klartext, speziell für Menschen mit einem Stoma und bei Inkontinenz, aber auch mit<br />
anderen Behinderungen. Sie sind „chronisch krank“ im Sinne des Gesetzes (SGB V).<br />
Deshalb gilt für sie die reduzierte Belastungsgrenze von 1 % des Familieneinkommens<br />
statt 2 % (allgemeine Belastungsgrenze).<br />
Was heißt „chronisch kranke Menschen“? Die<br />
Krankheit muss ein volles Jahr lang bestehen<br />
und in dieser Zeit von einem Arzt mindestens<br />
einmal pro Quartal behandelt worden sein.<br />
Darüber hinaus muss eines der folgenden<br />
Kriterien erfüllt sein:<br />
• Der Patient ist pflegebedürftig nach<br />
Pflegestufe II oder III.<br />
• Der Patient ist aufgrund seiner Erkrankung<br />
mindestens zu 60 Prozent erwerbsgemin-<br />
dert oder behindert. Die Erwerbsminde-<br />
rung beziehungsweise Behinderung muss<br />
durch diese Erkrankung begründet sein.<br />
• Wegen der Krankheit ist eine kontinuier-<br />
liche medizinische Versorgung erforderlich,<br />
ohne die nach ärztlicher Einschätzung<br />
eine lebensbedrohliche Verschlimmerung<br />
der Erkrankung zu erwarten ist oder eine<br />
Verminderung der Lebenserwartung oder<br />
eine dauerhafte Beeinträchtigung der Le-<br />
bensqualität.<br />
• Bei Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe II<br />
oder III in der gesetzlichen Pflegever-<br />
sicherung (SGB XI) wird nach Ablauf<br />
eines Jahres seit dem Beginn der Pflege-<br />
bedürftigkeit nach einer dieser Pflegestu-<br />
fen das Vorliegen einer Dauerbehand-<br />
lung unterstellt.<br />
Entsprechende Bescheinigungen stellen die<br />
Hausärzte aus, Formulare liegen dort vor.<br />
Wenn mindestens ein – auch als Familien-<br />
mitglied – gesetzlich versicherter Angehöriger<br />
des Familienhaushalts schwerwiegend chro-<br />
nisch krank ist, reduziert sich die Zuzah-<br />
lungsgrenze für alle Angehörigen des<br />
Familienhaushalts auf 1 Prozent der jährlichen<br />
Familienbruttoeinnahmen im Kalenderjahr.<br />
Die Absenkung der Grenze gilt ab dem<br />
1. Januar des Kalenderjahres, in dem die<br />
Behandlung der chronischen Erkrankung ein<br />
Jahr andauert. Sollte der chronisch Erkrankte<br />
nicht bei der Krankenkasse versichert sein,<br />
die einen Befreiungsausweis (für ein anderes<br />
Familienmitglied) erstellen soll, benötigt diese<br />
eine Kopie des Bescheids der Krankenkasse, bei<br />
der er versichert ist.<br />
Beispiel: Der Patient befindet sich seit 11. Juni<br />
2008 wegen einer Querschnittlähmung in
Behandlung. Wenn er bis zum 10. Juni 2009<br />
wenigstens einmal im Quartal wegen dieser<br />
Krankheit in ärztlicher Behandlung war, liegt<br />
eine Dauerbehandlung vor. Die einprozentige<br />
Zuzahlungsgrenze gilt dann rückwirkend ab<br />
dem 1. Januar 2009.<br />
Einkommen<br />
Dazu zählen alle Einnahmen, also auch Ren-<br />
ten, Mieterträge und Zinserträge. Nicht dazu<br />
zählen Renten nach dem BVG und Pflegegeld<br />
(Pflegeversicherung, Landespflegegeld, Hilfe<br />
zur Pflege nach SGB XII). Sind Angehörige<br />
zu berücksichtigen, werden vom Einkommen<br />
Freibeträge von 4599 E für den Partner bzw.<br />
6024 E je Kind abgesetzt. Diese setzen sich<br />
zusammen aus 3864 E Freibetrag nach SGB V<br />
und dem gesetzlichen Freibetrag für Betreu-<br />
ung, Erziehung und Ausbildung von 2160 E<br />
je Kind bei zusammen veranlagten Ehepart-<br />
nern (BSG-Urteil vom 30.6.2009 AZ B 1 KR<br />
17/08 R). Bei Alleinerziehenden berücksich-<br />
tigt die Krankenkasse für das erste Kind den<br />
höheren Freibetrag, der sonst für den Ehe-<br />
gatten oder Lebenspartner gelten würde, also<br />
4536 E und 1080 E,als gesetzlichen Freibe-<br />
trag für Betreuung, Erziehung und Ausbil-<br />
dung je Kind, insgesamt also 5616 E für das<br />
-Anzeige-<br />
erste und 4 944 E für jedes weitere Kind<br />
(Stand Februar 2010). Dieser Freibetrag von<br />
2160 bzw. 1080 E kann bei der Krankenkasse,<br />
wie übrigens jede Zuzahlungserstattung, auch<br />
noch rückwirkend geltend gemacht werden.<br />
Denn Ansprüche im Sozialrecht verjähren<br />
erst nach vier Jahren, beginnend mit dem<br />
Ende des Jahres, in dem sie entstanden sind.<br />
Erstattungen sind in 2010 also noch rückwir-<br />
kend für die Jahre 2006 bis 2009 möglich. Bei<br />
einer vierköpfigen Familie sind das immerhin<br />
86,40 E (bei „chronisch Kranken“ die Hälfte,<br />
also 43,20 E) pro Jahr. Für Alleinerziehende<br />
reduziert sich der mögliche Erstattungsbetrag<br />
auf die Hälfte.<br />
Für Familien gilt: Nach § 62 SGB V Abs. 2<br />
werden die Zuzahlungen und die Brutto-<br />
einnahmen gemeinsam ermittelt, d. h. sobald<br />
die Zuzahlungen aller Familienangehörigen<br />
insgesamt 1 % erreichen, kann ein Befreiungs-<br />
nachweis von der Krankenkasse angefordert<br />
werden. Mit dem Befreiungsausweis, den<br />
die Krankenkasse dann zuschickt, sind keine<br />
Zuzahlungen mehr zu leisten. Das gilt auch<br />
für Ehepartner und familienversicherte Kin-<br />
der. Evtl. schon geleistete Überzahlungen<br />
erstattet die Kasse, meist auf Antrag, manch-<br />
mal auch unaufgefordert.<br />
57
58<br />
Als Angehörige gelten der Ehepartner bzw.<br />
der Lebenspartner nach dem Lebenspartner-<br />
schaftsgesetz (gleichgeschlechtliche Paare)<br />
und darüber hinaus die ebenfalls im ge-<br />
meinsamen Haushalt lebenden Kinder. Kin-<br />
der von getrennt lebenden oder geschie-<br />
denen Ehepartnern werden bei dem Eltern-<br />
teil berücksichtigt, bei dem sie wohnen,<br />
unabhängig davon, bei wem die Familien-<br />
versicherung besteht. Selbst versicherte Kin-<br />
der gehören nicht dazu. Umgekehrt ist ihr<br />
Einkommen auch nicht zu berücksichtigen.<br />
Bei Empfängern von Hilfe zum Lebensunter-<br />
halt nach SGB XII („Sozialhilfe“, nicht Hilfe<br />
zur Pflege!), von Arbeitslosengeld II und<br />
von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbs-<br />
minderung, wird jeweils nur der Regelsatz<br />
des Haushaltsvorstands als Bruttoeinkommen<br />
für die gesamte Bedarfsgemeinschaft gezählt,<br />
das heißt der jährliche Zuzahlungsgesamtbe-<br />
trag beträgt (2009) bei chronisch Kranken<br />
43,08 E, allgemein 86,16 E.<br />
Belege: Immer dann, wenn eine Zuzahlung<br />
zu leisten ist, gibt es eine Quittung, auf der<br />
auch der Name des Zahlers vermerkt sein<br />
muss. Das ist wichtig weil die Krankenkasse<br />
die Belege sonst nicht anerkennt. Manche<br />
Kassen und Apotheken verschenken auch<br />
kleine Büchlein, in denen die Zahlungen<br />
quittiert werden. Damit spart man das Bele-<br />
ge sammeln. Keine Angst, zusätzliche Belege<br />
kann man trotzdem mit dem formlosen<br />
Begleitbrief einreichen, mit dem man um die<br />
Befreiung von der Zuzahlung und die Rück-<br />
überweisung schon zu viel gezahlter Beträge<br />
bittet.<br />
Fast alle Krankenkassen bieten ab dem<br />
zweiten Jahr der Befreiung zum Jahresan-<br />
fang ihren Mitgliedern die Möglichkeit, durch<br />
Zahlung eines Betrages, der auf dem<br />
Familieneinkommen des Vorjahrs basiert,<br />
direkt den Nachweis zur Befreiung für das<br />
laufende Jahr zu bekommen, so dass keine<br />
Belege mehr gesammelt und möglicherweise<br />
überzahlte Beträge zurück überwiesen wer-<br />
den müssen. Die übliche Praxis ist, dass nach<br />
Jahresende dann trotzdem ein Einkommens-<br />
nachweis verlangt wird. Dieser gilt dann aber<br />
nicht zur nachträglichen Verrechnung des<br />
abgelaufenen Jahres sondern als Grundlage<br />
für eine Zahlung, die dann für das folgende<br />
Jahr die Befreiung bewirkt. Eine rückwirkende<br />
Verrechnung wäre unwirtschaftlich. Umge-<br />
kehrt ist mit dieser Praxis der Nachteil<br />
verbunden, dass auch keine Rückerstattung<br />
erfolgt z. B. wenn man weniger als erwartet<br />
verdient hat oder wenn eine versicherte Per-<br />
son im Laufe eines Jahres verstorben ist. Die<br />
Vorteile für beide Seiten, Krankenkasse und<br />
Mitglied rechtfertigen diese Handhabung<br />
aber. Ob die Krankenkassen das BSG-Urteil<br />
(siehe oben) zum Anlass nehmen, von<br />
sich aus rückwirkend die Beträge von zu<br />
43,20 E bzw. 21,60 E je Kind zu erstatten,<br />
ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Es lohnt<br />
sich auf jeden Fall, das zu beantragen und<br />
vor allem im kommenden Jahr weniger pau-<br />
schale Zuzahlungen zu akzeptieren.<br />
Wofür gelten Zuzahlungen?<br />
Verschreibungspflichtige Arzneimittel:<br />
Bis zur Belastungsgrenze keine Sonder-<br />
regelungen. Nicht verschreibungspflichtige<br />
Arzneimittel müssen voll bezahlt werden.<br />
Ausnahme: Nicht verschreibungsfähige Arz-<br />
neimittel, die bei bestimmten Krankheiten<br />
als „anerkannter Therapiestandard“ gelten,<br />
können wie bisher auch mit Angabe der<br />
Diagnose auf der Verordnung weiter zu<br />
Lasten der Kassen verordnet werden.
Dazu gehören u. a. auch bei neurogener<br />
Darmlähmung (wie bei Querschnittlähmung)<br />
Abführmittel, Mittel gegen Verstopfung,<br />
Desinfektionsmittel bei ISK (Katheterisieren)<br />
oder methioninhaltige Medikamente zur<br />
Vorbeugung von Nierensteinen (Harnan-<br />
säuerung) und manche Vitamine. Besonder-<br />
heiten: Harn- und Blutteststreifen sind stets<br />
zuzahlungsfrei. Für Trink- und Sondennah-<br />
rung sowie Verbandmittel bemisst sich die<br />
Zuzahlung am Wert pro Verordnungszeile.<br />
Hilfsmittel aller Art:<br />
Hier müssen 10 % Zuzahlungen geleistet<br />
werden; mindestens 5 E, maximal 10 E, je-<br />
doch nie mehr als das Hilfsmittel selbst kostet.<br />
(z. B. Rollstühle, Bettschutzeinlagen usw.)<br />
Auch hier sind einige Besonderheiten zu<br />
berücksichtigen:<br />
• Bei Hilfsmitteln, die zum Verbrauch be-<br />
stimmt sind (z. B. Katheter) beträgt die<br />
maximale Zuzahlung insgesamt 10 E /<br />
Monat, egal wieviel und welche Hilfsmittel<br />
dafür benötigt werden. Auch bei zwei<br />
unterschiedlichen Indikationen (z. B. Ka-<br />
theterisierung und Stoma wird dieser Be-<br />
trag nur einmal fällig.<br />
-Anzeige-<br />
• Reparaturen von Hilfsmitteln/Ersatzteile<br />
sind keine eigenständigen Hilfsmittel. Es<br />
ist deshalb keine Zuzahlung zu leisten.<br />
• Auch Pflegehilfsmittel nach SGB XI (bei<br />
festgestellter Pflegestufe in der Pflege-<br />
versicherung) wie Einmalhandschuhe, Un-<br />
terlagen etc. fallen nicht unter dieses<br />
Gesetz. Es ist keine Zuzahlung zu leisten.<br />
• Es gibt auch Hilfsmittel, die sowohl zum<br />
Verbrauch bestimmte Hilfsmittel als auch<br />
Pflegehilfsmittel sein können je nach Indi-<br />
kation. Beispiele: Einmal-Bettschutzein-<br />
lagen, Einmalhandschuhe.<br />
Heilmittel (KG, MTT, Ergotherapie):<br />
Es sind 10 E / Verordnung und 10 % / Leis-<br />
tung zu zahlen. Das heißt, bei Verordnungen<br />
für 3 oder 6 mal Krankengymnastik ist es<br />
teurer als vor 2004, bei der Verordnung von<br />
20, 30 oder 50 Behandlungen – „außerhalb<br />
des Regelfalls“ – ist die Zuzahlung jetzt<br />
niedriger. (Anmerkung: Die heiß diskutierte<br />
„Unterbrechung“ von 6 oder 12 Wochen ist<br />
bei Verordnungen außerhalb des Regelfalls –<br />
„V.a.d.R.“ – nicht vorgesehen. Diese werden<br />
auch nicht auf das Arztbudget angerechnet.<br />
Das sollte jeder Arzt wissen!)<br />
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59
60<br />
Fahrtkosten:<br />
Nach den „Krankentransport-Richtlinien“ über-<br />
nehmen die Kassen die Kosten nicht nur<br />
für Personen, die einen Schwerbehinder-<br />
tenausweis mit den Merkzeichen „aG“, „Bl“<br />
oder „H“ haben oder in der Pflegeversiche-<br />
rung in die Pflegestufe II oder III eingestuft<br />
sind, sondern auch für Menschen, die „mit<br />
einem durch die Grunderkrankung vorge-<br />
gebenen Therapieschema behandelt werden,<br />
das eine hohe Behandlungsfrequenz über<br />
einen längeren Zeitraum aufweist“. Dazu<br />
zählen z. B. (aber nicht nur) Bestrahlungen,<br />
Chemobehandlungen oder Dialyse, wenn die<br />
Behandlung mindestens einmal wöchentlich<br />
erfolgen soll (das ist neu ab 2009 – BSG-<br />
Urteil, früher mindestens zweimal pro<br />
Woche). Auch hier werden Zuzahlungen<br />
fällig und zwar 10 % pro Fahrt, mindestens<br />
5 E, maximal 10 E. Fährt man mit dem<br />
privaten PKW und es ergibt sich dabei Kilo-<br />
metergeld, das unter der Zuzahlungsgrenze<br />
liegt, sollte man diese Fahrten trotzdem nach-<br />
weisen, weil diese Beträge bei der Ermitt-<br />
lung der Belastungsgrenze mit berücksichtigt<br />
werden. Das gleiche gilt für Fahrten mit<br />
öffentlichen Verkehrsmitteln. Da reichen die<br />
Fahrscheine aus.<br />
Krankenhausbehandlung, AHB, Kuren:<br />
Bei einer vollstationären Krankenhausbehand-<br />
lung sind 10 E je Kalendertag für maximal<br />
28 Tage im Kalenderjahr zu entrichten. Das<br />
gleiche gilt für eine Anschlussheilbehand-<br />
lung unter Einbeziehung vorheriger Kranken-<br />
hausaufenthalte. Anders sieht es bei stationä-<br />
ren Vorsorge- und Rehabilitationskuren aus<br />
(gilt auch für Mütter-Kind-Kuren): Bei ihnen<br />
sind zeitlich unbegrenzt pro Tag 10 E Zuzah-<br />
lung fällig. Bei ambulanten Kuren fallen als<br />
Zuzahlung 10 % der Kosten für Heilmittel<br />
sowie 10 E je Verordnung an, wie auch sonst<br />
bei Heilmitteln.<br />
Zuhause:<br />
Für häusliche Krankenpflege sind 10 % der<br />
Kosten zu übernehmen, begrenzt auf 28 Tage<br />
je Kalenderjahr, außerdem zusätzlich 10 E je<br />
Verordnung. Für eine Haus-haltshilfe beträgt<br />
die Zuzahlung zeitlich un-begrenzt 10 % der<br />
täglichen Gesamtkosten, mindestens 5 Eund<br />
höchstens 10 E pro Ka-lendertag,<br />
Praxisgebühr:<br />
Auch die Praxisgebühr von 10 E / Quartal<br />
zählt zu den anrechenbaren Zuzahlungen<br />
und ist bei einer Befreiung nicht mehr zu<br />
zahlen.<br />
Kinder bis zum vollendeten 18. Lebensjahr:<br />
Sie sind von allen Zuzahlungen befreit,<br />
damit auch von den Praxisgebühren. Einzige<br />
Ausnahme: Zu den Fahrkosten muss auch bei<br />
ihnen eine Zuzahlung geleistet werden.<br />
Was man nicht anrechnen kann: Der Eigen-<br />
anteil bei einer zahnärztlichen Versorgung<br />
lässt sich ebenso wenig geltend machen wie<br />
(bis auf ganz seltene Ausnahmen) die Kosten<br />
für Brillen, Kontaktlinsen und die Pflegemittel<br />
dazu.<br />
Die „wirtschaftliche<br />
Aufzahlung“ …<br />
... ist der Betrag, den man aus eigenem<br />
Portemonnaie zahlen muss, wenn man nicht<br />
das Arzneimittel oder das Hilfsmittel haben<br />
möchte, das die Krankenkasse in voller Höhe<br />
übernehmen würde, weil man glaubt, dass<br />
die teurere Alternative den Zweck besser er-<br />
füllt oder (z. B. ein Rollstuhl) besser aussieht.
Ob man bereit ist, dafür Geld auszugeben,<br />
muss jeder selbst entscheiden. Allerdings<br />
sollte man sich dann nicht abwimmeln<br />
lassen, wenn die Kasse die Zahlung ganz<br />
verweigert. Den anteiligen Betrag, den das<br />
von der Kasse vorgeschlagene Hilfsmittel<br />
oder Medikament gekostet hätte, muss diese<br />
auch übernehmen. Manchmal kommt es<br />
auch zu einer wirtschaftlichen Aufzahlung,<br />
weil ein Sanitätshaus oder eine Apotheke<br />
anders kalkuliert als andere Anbieter. Dann<br />
sollte man überlegen, ob dieser Lieferant<br />
so wichtig oder so viel zuverlässiger ist als<br />
andere, dass einem der Aufpreis das wert ist<br />
oder ob man zur Konkurrenz wechselt.<br />
Einen „Musterpatienten“ gibt es nicht. Ein<br />
Gesetz ohne Auslegungsprobleme noch viel<br />
weniger. Deshalb kann dieser Artikel nur<br />
wichtige Punkte (Stand Februar 2010) erläu-<br />
tern und klarstellen. Er soll zur Information<br />
selbst betroffener Menschen (und Familien)<br />
-Anzeige-<br />
dienen, um ihnen in Gesprächen mit ihren<br />
Krankenkassen mehr Sicherheit zu geben,<br />
wenn diese, aus welchem Grund auch immer,<br />
einen Anspruch anders beurteilen. Und das<br />
geschieht immer wieder. Denn Kranken-<br />
kassen sind genauso parteiisch wie ich.<br />
Kontakt:<br />
Herbert Müller<br />
Freiherr-vom-Stein-Str. 47<br />
56566 Neuwied-Engers<br />
Tel.: 0 26 22-8 89 6 32<br />
Fax: 0 26 22-889 636<br />
E-Mail:<br />
h.mueller@engers.de<br />
Herbert Müller,<br />
FGQ-Sozialrechtsexperte.<br />
61
62<br />
Befreiung von den Rundfunkgebühren<br />
Früher wurde meist in den Schwerbehindertenausweis zu den Stempeln aG, H, B<br />
auch noch RF für die Rundfunkgebührenbefreiung gestempelt. Das hat sich schon seit<br />
einiger Zeit geändert und die ausstellenden Behörden streiten vor den Gerichten um<br />
die Vergabe dieses Merkzeichens vehement.<br />
Seit dem 1.4.2005 wurde der Rundfunk-<br />
gebührenstaatsvertrag geändert. Seitdem<br />
sind nicht mehr die Länder und Kommunen<br />
für die Befreiung von den Gebühren zustän-<br />
dig. Anträge sind jetzt generell bei der GEZ<br />
(Postfach 11 03 63, 50403 Köln) zu stellen.<br />
Der Antrag muss grundsätzlich schriftlich<br />
gestellt werden. Formulare kann man bei<br />
der GEZ anfordern. Das ist auch im Internet<br />
unter www.GEZ.de möglich. Dort kann man<br />
sogar ein PDF-Formular online ausfüllen und<br />
ausdrucken. Man sollte dem Antrag eine<br />
beglaubigte Kopie des Bewilligungsbescheides<br />
für die Hilfe zur Pflege nach dem BHSG oder<br />
für Landespflegegeld beifügen.<br />
Befreit werden können der Haushaltsvor-<br />
stand, dessen Ehegatte und andere Haus-<br />
haltsangehörige für von ihnen selbst zum<br />
Empfang bereit gehaltene Geräte.<br />
Die Voraussetzungen für eine Befreiung sind<br />
bundeseinheitlich in zehn Punkten neu gere-<br />
gelt:<br />
1.) Empfänger von Sozialhilfe (Hilfe zum<br />
Lebensunterhalt nach SGB XII) oder von<br />
Leistungen nach § 27a oder 27 d des<br />
Bundesversorgungsgesetzes.<br />
2.) Empfänger von Grundsicherung im Alter<br />
oder bei Erwerbsminderung (Grundsiche-<br />
rungsgesetz).<br />
3.) Empfänger von ALG II und Sozialgeld ein-<br />
schließlich Leistungen nach § 22, aber<br />
nur dann, wenn keine Zuschläge nach<br />
§ 24 SGB II gezahlt werden.<br />
4.) Empfänger von Leistungen nach dem<br />
Asylbewerberleistungsgesetz.<br />
5.) BAFÖG-Empfänger, die nicht bei den<br />
Eltern leben.<br />
6.) Sonderfürsorgeberechtigte nach § 27 e<br />
des Bundesversorgungsgesetzes.<br />
7.) a) Blinde oder nicht nur vorübergehend<br />
wesentlich sehbehinderte Menschen mit<br />
einem GdB von mindestens 60 % alleine<br />
wegen der Sehbehinderung<br />
b) Hörgeschädigte Menschen, die gehör-<br />
los sind oder denen eine ausreichende<br />
Verständigung über das Gehör auch mit<br />
Hörhilfen nicht möglich ist.<br />
8.) Behinderte Menschen mit einem GdB<br />
von wenigstens 80 %, die deshalb an<br />
öffentlichen Veranstaltungen ständig<br />
nicht teilnehmen können. Wann das der<br />
Fall ist, bleibt nach wie vor umstritten<br />
und gehört zu den Fragen, die in der<br />
Vergangenheit oft von den Gerichten zu<br />
entscheiden waren – und daran wird sich<br />
voraussichtlich in der Zukunft auch nichts<br />
ändern.<br />
9.) Empfänger von Hilfe zur Pflege nach<br />
dem Siebten Kapitel SGB XII oder von<br />
Hilfe zur Pflege als Leistung der Kriegs-
opferfürsorge oder von Pflegegeld nach<br />
den landesgesetzlichen Vorschriften.<br />
10.) Empfänger von Pflegezulagen nach § 267<br />
Absatz 1 des Lastenausgleichsgesetzes<br />
oder Personen, denen wegen Pflege-<br />
bedürftigkeit nach § 267 Absatz 2 Satz<br />
1 Nr. 2 Buchstabe c dieses Gesetzes ein<br />
Freibetrag zuerkannt wird.<br />
Daneben gibt es noch besondere Härtefälle<br />
wegen persönlicher oder sachlicher Unbilligkeit,<br />
auf die hier aber nicht eingegangen wird,<br />
weil die Bedingungen nur für sehr spezielle<br />
Sonderfälle gelten. Geringes Einkommen ist z.<br />
B. kein Befreiungsgrund.<br />
-Anzeige-<br />
Gepflegt Radiohören<br />
Neben der Information für Leistungsemp-<br />
fänger nach Hartz IV und nach dem<br />
Grundsicherungsgesetz, für die das jetzt<br />
eindeutig geregelt wurde, ist Punkt 9 der<br />
Auflistung besonders interessant:<br />
a) Empfänger von Hilfe zur Pflege nach<br />
dem BSHG können jetzt erfolgreich die<br />
Befreiung beantragen, auch wenn für sie<br />
Punkt 8 nicht zutrifft. Das gilt auch für<br />
diejenigen, die diese Leistung wegen der<br />
Besitzstandswahrung beim Inkrafttreten<br />
der Pflegeversicherung zum 1.1.1995 ne-<br />
ben Leistungen der Pflegeversicherung<br />
weiterhin bekommen.<br />
63
64<br />
-Anzeige-<br />
b) Mancher erhält weiterhin als Besitz-<br />
standsleistung Pflegegeld nach den Vor-<br />
schriften des jeweiligen Bundeslandes,<br />
entweder weil keine Pflegestufe festge-<br />
stellt wurde oder weil das Landespflege-<br />
geld den Betrag der Pflegestufe I in<br />
Höhe von 205 Euro überstiegen hat/<br />
übersteigt. Auch er/sie kann die Be-<br />
freiung von den Rundfunkgebühren be-<br />
antragen. Da es keine Ausschlusstat-<br />
bestände gibt, gilt das auch in den<br />
Bundesländern wie Rheinland-Pfalz oder<br />
Brandenburg, in denen Landespflege-<br />
geld nicht vom Einkommen abhängig ist.<br />
Stempel kostet nichts<br />
Dem Antrag ist eine beglaubigte Kopie des<br />
Bewilligungsbescheides für die Hilfe zur<br />
Pflege nach dem BHSG oder für Landes-<br />
pflegegeld beizufügen. Was viele nicht<br />
wissen: eine Kopie kann von jeder „Siegel<br />
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führenden“ Stelle beglaubigt werden, also<br />
auch vom Ortsbürgermeister, vom Ortsbeirat,<br />
von der Polizei, der Schule oder auch von<br />
den Krankenkassen. Dieser Stempel kostet<br />
nichts. Diese Stellen sind verpflichtet, eine<br />
Beglaubigung vorzunehmen, können das<br />
also nicht ablehnen. Meistens ist dort auch<br />
ein Kopiergerät vorhanden. Notfalls macht<br />
man die Kopien selbst im Copy-Shop oder<br />
mit dem Scanner über den PC. Nur mit ein-<br />
fachen Faxgeräten, die mit hitzeempfind-<br />
lichem Papier arbeiten, geht das nicht. Solche<br />
Kopien verblassen zu schnell und sind nicht<br />
„registraturfähig“.<br />
Text: Herbert Müller<br />
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Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten<br />
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HUMANIS<br />
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