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Morphologische Grundtermini

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Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel<strong>Morphologische</strong> <strong>Grundtermini</strong>• Wörter können einfach oder komplex aufgebaut sein.• Einfache Wörter (Simplizia, Sg.: Simplex) lassen sich nicht mehr in kleinere Einheiten mitbestimmter Lautung und Bedeutung zerlegen, z.B. Tür, schön, bei, ging.• Komplexe Wörter weisen hingegen eine interne Struktur auf und lassen sich in kleinere,sinnvolle Einheiten segmentieren, z.B. unbrauchbar (un+brauch+bar), Kinder (Kind+er),lernt (lern+t), schöner (schön+er), Gartenmöbel (Garten+Möbel).Morpheme und Morphemtypen• Die kleineren, sinnvollen Einheiten, in die sich komplexe Wörter zerlegen lassen, nenntman Morpheme.oSo besteht das Wort unbrauchbar aus den drei Morphemen un, brauch und bar,das Wort lernt aus den zwei Morphemen lern und t.• Die einfachen Wörter, die Simplizia, bestehen aus einem einzigen Morphem: Tür, schön,bei.... Diese nennt man auch Wurzeln oder Wurzelmorpheme.• Grundsätzlich wird zwischen zwei Morphemtypen unterschieden: den freien und dengebundenen Morphemen:ooFreie Morpheme: Morpheme, die isoliert vorkommen können. Wurzeln sind inder Regel freie Morpheme. Freie Morpheme bilden die Basis, an die gebundeneMorpheme angehängt werden können, z.B. brauch, Kind, lern, schön.Gebundene Morpheme: sind in ihrem Vorkommen nicht frei. Sie können nichtisoliert auftreten, sondern müssen immer an ein freies Morphem angehängtwerden. Affixe bilden den größten Teil gebundener Morpheme, z.B. -bar inbrauchbar, -er in Kinder, -t in lernt, -er in schöner.• Neben den freien (Wurzeln) und den gebundenen Morphemen (Affixen) gibt es zweiweitere Sondertypen von Morphemen: die unikalen Morpheme und die Konfixe.oUnikale Morpheme: sind Morpheme, die in einem einzigen Wort auftreten, z.B.Brom in Brombeere, Heidel in Heidelbeere, Schorn in Schornstein, (i)gall in Nachtigall.Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 1


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said SaheloKonfixe: sind Morpheme, die nicht frei vorkommen können. Sie unterscheidensich aber von den unikalen Morphemen darin, dass sie in mehreren Wortkontextenauftreten können und eine isolierbare Bedeutung haben. Bei den Konfixenhandelt es sich vorwiegend um aus dem Lateinischen oder Griechischen entlehnteEinheiten. Beispiele für Konfixe sind: bio- in Biomüll, geo- in geostrategisch, fanat-in fanatisch, -thek in Videothek, phil(o)- in Philosemit, -phil in Bibliophil. Esgibt auch einige nativ deutsche Konfixe, z.B. schwieger- in Schwiegervater, stief-inStiefsohn.• Zusätzlich zur Eigenschaft, dass Affixe nur gebunden vorkommen, sind sie in Bezug aufdie Basis positionsfest. Je nach ihrer Stellung zur Basis werden Affixe in Präfixe und Suffixeeingeteilt: Präfixe gehen der Basis voraus: un- in unschön, ver- in verkauf(en), ab- inAbsturz, vor- in vorgestern.ooPräfixe gehen der Basis voraus: un- in unschön, ver- in verkauf(en), ab- in Absturz,vor- in vorgestern.Suffixe folgen der Basis nach: - lich in königlich, -heit in Schönheit, -ung in Buchung,-st in steigst.Morphem-Definition: Das Morphem ist die kleinste lautliche oder graphische Einheit, die typischerweiseaber nicht notwendigerweise eine Bedeutung oder eine grammatische Funktion hat.Weitere Termini• Stamm: bezeichnet die sprachliche Einheit, an die Flexionsmorpheme treten können. Eineinmorphemischer Stamm ist gleichzeitig eine Wurzel, da er morphologisch nicht weitersegmentierbar ist:König: Stamm = Wurzelköniglich: Stamm mit der Wurzel KönigKönigspalast: Stamm mit den Wurzeln König und PalastMorphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 2


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel• Lexem: abstrakte Basiseinheit des Lexikons, die in verschiedenen grammatischen Formenrealisiert werden kann. Ein Lexem ist hinsichtlich grammatikalischer Merkmaleneutral. Ein Lexem wird in Großbuchstaben notiert, z.B. TISCH.• Wortform: konkrete Realisierung eines Lexems. Eine Wortform ist grammatisch spezifiziert.So ist z.B. die Wortform Tisches hinsichtlich Numerus (Singular) und Kasus (Genitiv)spezifiziert. Somit ist die Wortform Tisches die konkrete Realisierung des abstrakten LexemsTISCH in Genitiv Singular.Morph vs. Morphem• Als Morph bezeichnet man die rein graphische oder lautliche Einheit. Ein Morph ist hinsichtlichseiner Funktion nicht spezifiziert.• Ein Morphem ist hinsichtlich seiner Funktion spezifiziert. So ist das Suffix -er ein Morphdes DeutschenoooIm Wort Kinder hat das Suffix -er die Funktion des Plurals: Es ist ein Plural-Morphem;im Wort schöner hat es die Funktion der Komparation undim Wort Taucher ist es ein Derivationssuffix, mit Hilfe dessen Substantive ausVerben abgeleitet werden können.Allomorphie• Ein Morphem kann im Deutschen durch mehrere Morphe realisiert werden. Man sprichthier von Allomorphie. Realisierungsvarianten eines Morphems, nennt man Allomorphe.• Stämme mit derselben lexikalischen Bedeutung können durch verschiedene Morphe realisiertwerden: [haȚs] in Haus vs. [haȚz] in Hauses oder [haȚs] in Haus vs. [hǤǺs.lǺç] in häuslich.• Affixe mit derselben grammatischen Funktion können durch verschiedene Morphe realisiertwerden. So wird das Pluralmorphem im Deutschen durch vier verschiedene Morpherealisiert: -e wie in Tische, -er wie in Kinder, -s wie in Autos und -(e)n wie in Schwesternbzw. Frauen.Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 3


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said SahelDas Nullmorphem• Typisch für das Deutsche als flektierende Sprache ist, dass es kein 1:1 Verhältnis zwischeneinem Morphem, also einer Funktion, und seiner formalen Realisierung gibt.• So wird oft ein Morphem, also eine Funktion bzw. eine Flexionskategorisierung, formalgar nicht realisiert. In diesen Fällen nehmen einige Linguisten "ein Null-Morphem (Ø)"an.SingularPluralaber:SingularPluralTischTisch-eWagenWagen-ØFrauFrau-enZettelZettel-ØKindKind-erMusterMuster-ØFlexionWortbildung vs. Flexion• Die Morphologie lässt sich in zwei Großbereiche einteilen: Wortbildung und Flexion.•Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 4


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel• Durch die Wortbildung entstehen neue Lexeme.• Durch die Flexion entstehen verschiedene Wortformen eines Lexems.• Durch die Affigierung von Präfixen oder Suffixen an Wurzeln oder Stämme entstehen, jenach dem ob es sich um Derivations- oder Flexionsaffixe handelt, entwederooneue Lexeme (Wortbildung) oderverschiedene Wortformen eines Lexems (Flexion).Flexionskategorisierungen• Die Wortformen eines Lexems unterscheiden sich in ihren grammatischen Merkmalen.• Diese Merkmale nennt man Flexionskategorisierungen.• Eine Flexionskategorisierung ist eine Menge (mindestens zwei) von Kategorien, von denenin einer Wortform nur jeweils eine realisiert werden kann.FlexionskategorisierungKASUS:NUMERUS:GENUS:FlexionskategorienNominativ, Genitiv, Dativ, AkkusativSingular, PluralMaskulinum, Femininum, NeutrumPERSON:: 1., 2., 3.TEMPUS:Präsens, Präteritum, (Perfekt),(Plusquamperfekt), (Futur)MODUS:GENUS VERBI:Indikativ, Konjunktiv, ImperativAktiv, PassivMorphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 5


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel• Die Wortformen oder Flexionsformen eines Lexems werden in 'Listen' zusammengestellt;diese werden Flexionsparadigmen genannt.Das Flexionsparadigma des Substantivs Tisch:SingularPluralNominativ Tisch TischeGenitiv Tisches TischeDativ Tisch TischenAkkusativ Tisch TischeDas Flexionsparadigma des Verbs halten (Präsens):SingularPlural1. Person halte halten2. Person hälst haltet3. Person hält haltenSynkretismus• Flexionsparadigmen des Deutschen sind durch Synkretismus gekennzeichnet; mit Synkretismusbezeichnet man den Zusammenfall von Flexionsformen mit verschiedenenFlexionskategorisierungen in eine Form.Wortarten• Die Zuordnung von Wörtern zu einer bestimmten Wortart beruht auf der Annahme, dassdiese Wörter bestimmte Eigenschaften teilen. Dabei können diese Eigenschaften morphologischer,syntaktischer oder semantischer Natur sein.Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 6


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said SahelKlassifikation von Wortarten• Es gibt für das Deutsche keine einheitliche Klassifikation der Wortarten. Dies zeigt sichdarin, dass in den Standardgrammatiken die Zahl der angenommen Wortarten z.T. erheblichvariiert.oooGlinz (1970 3 ): fünf Wortarten (Verb, Substantiv, Pronomen, Adjektiv und Partikel)Admoni (1982 4 ): dreizehn Wortarten (Verb, Substantiv, Artikel, Adjektiv, Pronomen,Numerale, Adverb, Konjunktion, Präposition, Interjektion, Negation, Modalverb,Partikel).Helbig/Buscha (1999 19 ): zwölf Wortarten (Verb, Substantiv, Adjektiv, Adverb, Artikel,Pronomen, Präposition, Konjunktion, Partikel, Modalwort, Negation, Satzäquivalent)• Diese Unterschiede hängen u.a. mit den unterschiedlichen (morphologischen, syntaktischen,semantischen) Kriterien zusammen, die den verschiedenen Klassifikationen derWortarten zugrunde liegen sowie mit den Abgrenzungsproblemen der einzelnen Wortarten.<strong>Morphologische</strong> Kriterien• Die morphologische Klassifikation beruht auf dem Kriterium der Flektierbarkeit. Wörterwerden eingeteilt in solche, die flektierbar (deklinierbar, konjugierbar, komparierbar)sind, und solche, die nicht flektierbar sind.•(Nach Duden 2005: 133)Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 7


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel• Innerhalb der flektierbaren Wortarten kann wiederum durch die Heranziehung von Flexionskategorisierungenzwischen den einzelnen Wortarten unterschieden werden. Demnachwäre z.B. das Substantiv die Wortart mit festem Genus, das Adjektiv hingegen dieWortart mit dem variablen Genus.Syntaktische Kriterien• Hier spielen vor allem die Kriterien: syntaktische Eigenschaft und Distribution eine wichtigeRolle. Diese Kriterien werden vor allem bei der Einteilung der nicht-flektierbarenWortarten herangezogen.ooSyntaktische Eigenschaft: Auf der Basis dieses Kriteriums lassen sich z.B. Präpositionenvon Junktionen (Konjunktionen und Subjunktionen) unterscheiden: Erstereregieren einen festen Kasus, letztere haben keine Kasusrektion.Distribution: Auf der Basis dieses Kriteriums lassen sich z.B. Adverbien von Partikelnunterscheiden: Adverbien sind vorfeldfähig, Partikeln nicht.Wortbildung• Durch die Wortbildung entstehen neue Lexeme, die das Lexikon erweitern.• Diese Lexeme können dann Gegenstand der Flexion sein, d.h. sie können flektiert werden.• Die Wortbildung ist also ein morphologischer Prozess, mit Hilfe dessen neue Lexeme(Wurzeln oder Stämme) aus anderen (bereits existierenden) Lexemen (Wurzeln oderStämmen) abgeleitet werden.• Es wird zwischen mehreren Wortbildungsarten unterschieden:Derivation• Derivation ist die Ableitung eines Lexems aus einer (bereits vorhandenen) Wurzel bzw.einem (bereits vorhandenen) Stamm mit Hilfe eines Derivationsaffixes.• Das resultierende Lexem nennt man Derivatum (Pl. Derivata).• Die Basis für die Derivation kann ein Substantiv, ein Adjektiv ein Verb oder ein Adverbsein:Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 8


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said SahelKönig ---------> königlichdunkel ---------> Dunkelheitess- ---------> essbarjetzt ---------> jetzig• Das Darivatum kann seinerseits ein Substantiv, ein Adjektiv oder ein Verb sein:trocken ---------> TrockenheitKind ---------> kindischAngst ---------> ängstig(en)Derivationsaffixe• Derivationsaffixe werden, abhängig von der Wortart, die sie bilden, in Nominal-, Adjektiv-und Verbalaffixe unterschieden. Dabei überwiegen:ooobei den Nominalaffixen (den Derivationsaffixen, mit Hilfe derer Substantive gebildetwerden) die Suffixe, z.B. -ung, -keit, -heit, -nis,bei en Adjektivaffixen (den Derivationsaffixen, mit Hilfe derer Adjektive gebildetwerden) die Suffixe, z.B -ig, -lich, -isch, -bar, undbei den Verbalaffixen (den Derivationsaffixen, mit Hilfe derer Verben gebildetwerden) die Präfixe, z.B. be-, ent-, ver-, zer-.• Abhängig von der Wortart der Basis, mit der sich ein Derivationsaffix verbindet, wirdzwischen deverbalen, denominalen und deadjektiven Präfixen bzw. Suffixen unterschieden.• Deverbale Derivationsffixe verbinden sich mit Verben, denomimale Derivationsffixe mitSubstantiven und deadjektive Derivationsffixe mit Adjektiven.Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 9


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said SahelV--->N deverbale Nominalsuffixe, z.B. -ung, -ertrau-lehr---->--->TrauungLehrerA--->Ndeadjektive Nominalsuffixe, z.B.-keit, -heitübeltrocken--->--->ÜbelkeitTrockenheitN--->Ndenominale Nominalsuffixe, z.B.–schaftMann ---> MannschaftN--->V denominale Verbalsuffixe, z.B. -ig, -ierAngstTelefon--->--->ängstig(en)telefonier(en)A--->V deadjektivische Verbalsuffixe –erschmal ---> schmäler(n)N--->Adenominale Adjektivsuffixe, z.B.-lich, -ischKönigKind-->-->königlichkindischV--->A deverbale Adjektivsuffixe, z.B. –barhör- --> hörbarV--->V deverbale Verbalpräfixe, z.B.be-, ent-arbeit-nehm---->--->bearbeit(en)entnehm(en)Konversion• Neben der Derivation und Komposition ist die Konversion eine der produktivsten Wortbildungsartendes Deutschen. Konversion ist eine Ableitung ohne Derivationsaffixe:V ---------> NV ---------> NN ---------> VN ---------> VA ---------> NA ---------> NN ---------> Alauf ---------> Lauffang ---------> FangFisch ---------> fisch(en)Schulter ---------> schulter(n)tief ---------> Tiefgut ---------> GutErnst ---------> ernstMorphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 10


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said SahelN ---------> AV ---------> AV ---------> AA ---------> VA ---------> VKlasse ---------> klassestarr ---------> starrwach ---------> wachreif ---------> reif(en)schnell ---------> schnell(en)Ableitungsrichtung• Eine eindeutige Bestimmung der Ableitungsrichtung ist nicht immer möglich, da klareKriterien dafür fehlen.Kauf (N) ---------> kauf(en) (V)?kauf(en) (V) ---------> Kauf (N)?• Einige Kriterien sind (Fleischer/Barz 1995):• Das morphologische Kriterium: Beim Vorhandensein von Präfixen (be- Befehl, ent- Entzug,er- Erhalt, ver- Verzehr, zer- Zerfall) muss er sich um V ---------> N -Konversion handelt,da es sich bei diesen Präfixe um Affixe für Verb-Derivation handelt.• Das Produktivitätskriterium: Bei problematischen Fällen bestimmt das produktivereMuster die Ableitungsrichtung. Beim Wortpaar Ruf und rufen handelt es sich um eine N ---------> V-Konversion, da N ---------> V hochproduktiv, V ---------> N nur schwachproduktivist.• Unter Konversion fallen auch solche Ableitungen ohne Derivationsaffixe, die eine Vokaländerunggegenüber der Basis aufweisen:zieh(en) ---------> Zugwerf(en) ---------> Wurf• Derartige Wortbildungen werden gelegentlich als implizite Derivation bezeichnet (Fleischer/Barz1995).Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 11


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said SahelKomposition• Komposition ist die Bildung eines neues Lexems durch die Verkettung zweier oder mehrererWurzeln bzw. Stämme.Haus+Tür -----------> HaustürLiteratur+Nobel+Preis -----------> LiteraturnobelpreisVerwandtschaft+Verhältnis -----------> VerwandtschaftsverhältnisTypen von Komposita• Je nach der Art der Beziehung zwischen den einzelnen Komponenten eines Kompositumswird zwischen Determinativ- und Kopulativkomposita unterschieden:ooDeterminativkomposita: Bei Determinativkomposita ist das Zweitglied nicht nurder Kopf, d.h. es bestimmt nicht nur die Wortart, das Genus und die Flexionsklassedes gesamten Kompositums, sondern es ist gleichzeitig der semantische Kerndes gesamten Kompositums. So ist z.B. Haus im Determinativkompositums Holzhauseine Art Haus, nämlich ein Haus, das aus Holz gebaut ist; rot im Determinativkompostiumdunkelrot ist eine Art rot u.s.w.Kopulativkomposita: Bei Kopulativkomposita sind die einzelnen Glieder desKompositums einander kopulativ zugeordnet: Die Bedeutung des gesamtenKompositums ergibt sich additiv aus der Bedeutung seiner einzelnen Glieder, d.h.kein Glied bildet den semantischen Kern des gesamten Kompositums, z.B. Hosenrock,taubstumm, schwarzrotgold.Kategoriale Typen von Determinativkomposita• Der Kopf eines Determinativkompositums kann ein Substantiv, ein Adjektiv oder einVerb sein.• Dementsprechend wird zwischen Nominal-, Adjektiv- und Verbalkomposita unterschieden.Dabei kann das Erstglied dieser drei kategorialen Typen von Determinativkompositaein Substantiv, ein Adjektiv, ein Verb oder eine Präposition sein:Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 12


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said SahelN+N ---------> Holzhaus, KampfhundNominalkomposita:A+N ---------> Dunkelkammer, RotlichtV+N ---------> Mischehe, MalbuchP+N ---------> Hinterhof, MitgefühlN+A ---------> nachtblind, tierliebAdjektivkomposita:A+A ---------> zartrosa, halbstarkV+A ---------> trinkfest, tragfähigP+A ---------> übermächtig, vorlautN+V ---------> staubsaugen, standhaltenVerbalkomposita:A+V ---------> liebäugeln, frohlockenV+V ---------> kennenlernen, stehenbleibenP+V ---------> vorstellen, mitteilenFugenelemente• Fugenelemente sind Verbindungselemente, die an der Nahtstelle zwischen unmittelbarenKonstituenten eines Kompositums oder eines Derivatums auftreten, z.B. Universitätsabschluss,arbeitslos. Neben dem -s- gibt es im Deutschen die folgenden Fugenelemente:-e- Haltestelle -en- Christentum-n- Bauernhof -ens- Herzenswunsch-er- Kinderwagen -es- Tagesreise• Fugenelemente gehören zur ersten unmittelbaren Konstituente eines Kompositums bzw.eines Derivatums, d.h. das Fugenelement wird von der ersten unmittelbaren Konstituentebestimmt. Im Großen und Ganzen sind Fugenelemente auf Substantiv- oder Verbstämmeals Erstglieder beschränkt.Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 13


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel• Fugenelemente sind, diachron gesehen, aus Flexionsmorphemen hervorgegangen: Sokann z.B. das Fugenelement -es- in Gotteszorn auf das Flexionsmorphem für Genitiv Singular,das Fugenelement -er- in Kindergarten auf das Flexionsmorphem für den Plural zurückgeführtwerden.• Für die synchrone Beschreibung werden sie aber nicht als Flexionsmorpheme, sondernals funktionslose Verbindungselemente analysiert.• Für diese Analyse spricht vor allem die Tatsache, dass zahlreiche Komposita und DerivataFugenelemente enthalten, die nicht auf Flexionsmorpheme zurückgeführt werden können.So kann das Fugenelement -s- in Liebesbrief nicht als Flexionsmorphem für GenitivSingular angesehen werden, da die erste unmittelbare Konstituente Liebe Femininum istund Feminina ihren Genitiv nicht auf -s bilden.Das Prinzip der Rechtsköpfigkeit• Komposita und Derivata haben einen morphologischen Kopf, der die grammatischen Kategoriendes gesamten Wortes bestimmt:Komposita:• die Wortart: In Hochhaus ist hoch ein Adjektiv und Haus ein Substantiv, also ist das gesamteWort ein Substantiv.• das Genus: In Haustür ist Haus Neutrum und Tür Femininum, also ist das gesamte Wortfeminin.• die Flexionsklasse: Haustür flektiert wie Tür.Derivata:• die Wortart: In haltbar ist halt ein Verb und -bar ein Adjektivsuffix, also ist das gesamteWort ein Adjektiv.• das Genus: In Kritiker ist Kritik Femininum und -er Maskulinum, also ist das gesamteWort maskulin.• die Flexionsklasse: Die Flexionsklasse für Kritiker wird durch das Derivationssuffix -er undnicht durch die Basis Kritik bestimmt.Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 14


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel• Es fällt auf, dass der morphologische Kopf das am weitesten rechts stehende Morphemist. Man spricht in diesem Zusammenhang vom Prinzip der Rechtsköpfigkeit: In einerWortbildung ist das am weitesten rechts stehende Morphem der Kopf der gesamten Bildung.• Es gibt aber Derivata, bei denen der morphologische Kopf das am weitesten links stehendeMorphem ist. Es handelt sich dabei um:• mit Hilfe des Derivationspräfixes Ge- abgeleitete Substantive: Gefühl, Geschwätz...Beidiesen Bildungen wird die Wortart (Substantiv) und das Gensus (Neutrum) durch dasPräfix Ge-, also durch das am weitesten links stehende Morphem, bestimmt.• mit Hilfe von Verbalpräfixen abgeleitete Verben: erröt(en), anfreund(en), beruhig(en)...Beidiesen Bildungen wird die Wortart (Verb) durch die Präfixe er-, an- bzw.be-, also durch das am weitesten links stehende Morphem, bestimmt.• Das Prinzip der Rechtsköpfigkeit scheint für die Derivation nur eingeschränkt zu gelten.Es gilt für die Suffigierung, nicht aber für die Präfigierung.Unmittelbare Konstituenten• Unmittelbare Konstituenten sind die beiden Konstituenten, aus denen eine Konstruktionunmittelbar gebildet ist und in die sie sich auf der nächstniedrigeren Ebene zerlegenlässt (Fleischer/Barz 1995²).• Parallel zu Sätzen und Phrasen können Komposita und Derivata in ihre unmittelbarenKonstituenten zerlegt werden:oLiteratur und Nobelpreis sind die zwei unmittelbaren Konstituenten des KompositumsLiteraturnobelpreis, Nobel und Preis sind die zwei unmittelbaren Konstituentendes Kompositums Nobelpreis.Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 15


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel• freundlich und keit sind die zwei zwei unmittelbaren Konstituenten des DerivatumsFreundlichkeit, Freund und lich sind die zwei unmittelbaren Konstituenten des Derivatumsfreundlich.• Es ist üblich, dass man bei der Ermittlung von unmittelbaren Konstituenten bei Derivataund Komposita 'von unten' anfängt und eine Baumstruktur mit binären Verzweigungenaufbaut. Das komplexe Wort wird in seine einzelnen Morpheme zerlegt und es werdenje zwei unmittelbare Konstituenten zu einer höheren Konstituente zusammengefügt:Lexikoneintrag für freie Morpheme• Im Lexikon ist jedes Lexem (Wort) u.a. hinsichtlich seiner phonologischen, morphologischen,syntaktischen und semantischen Merkmale spezifiziert. Diese spezifischen Informationenwerden Lexikoneintrag genannt. So kann der Lexikoneintrag für das Verbschließ- wie folgt dargestellt werden:Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 16


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said SahelLexikoneintrag für Affixe• Die Hauptmotivation für die Annahme, dass Derivationsaffixe auch Lexikoneinträge haben,ist die Tatsache, dass auch Derivationsaffixe (zumindest Derivationssuffixe) in einerkomplexen Wortbildung ihre grammatischen Eigenschaften (Wortart, Genus und Flexionsklasse)auf die gesamte Bildung übertragen können. Der Lexikoneintrag für das Nominalsuffix-ung könnte wie folgt aussehen:• Die Tatsache, dass Derivationssuffixe u.a. die Wortart des gesamten Derivatums bestimmenkönnen, führt zu der Annahme, dass Derivationssuffixe hinsichtlich ihrer Wortartspezifiziert sind.• Diesem wird in der Lexikalistischen Morphologie dadurch Rechnung getragen, indem dieNotation für Derivationssuffixe die Wortart enthält. Um freie Morpheme von Affixen beider Wortartkennzeichnung zu unterscheiden, erfolgt die Wortartkennzeichnung bei Affixendurch ein zusätzliches, hochgestelltes af, z.B. N af für das Nominalsuffix -ung, A af fürdas Adjektivsuffix -bar....Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 17


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said Sahel• Affixe, die keine Kopf-Funktion haben, wie dies bei den meisten Präfixen der Fall ist,werden wie folgt notiert: X afFugenelemente im Baumdiagramm• Fugenelemente (Fu) gehören näher zur ersten Konstituente eines Kompositums oder Derivatumsund bilden daher zusammen mit dieser (der ersten Konstituente) zwei unmittelbareKonstituenten.Zusammenbildung• Zusammenbildungen sind ein besonderer Typ von Komposita. Bei Zusammenbildungenkommt das Zweitglied nicht frei vor: zweitürig, blauäugig, einfenstrig, Ehebrecher, zielstrebig...• Zusammenbildungen können daher nicht in ihre zwei unmittelbaren Konstituenten analysiertwerden:Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 18


Struktur der deutschen Sprache 1: Das Wort Sommersemester 2008 Dr. Said SahelBei Zusammenbildungen muss eine ternäre und keine binäre Verzweigung angenommen werden:Morphologie: Wortbildung vs. Flexion 12.6.2008 Seite 19

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