<strong>Krefeld</strong> war das „rheinische Lyon“ Während sich die Unternehmen im benachbarten Mönchengladbach während des 19. Jahrhunderts auf die Herstellung von flächigen Textilien, von Tuchen spezialisierten und den Ruf der Stadt als „Rheinisches Manchester“ prägten, etablierte sich im <strong>Krefeld</strong>er Stadtgebiet der aus dem holländischen Bandwebstuhl weiterentwickelte Samtwebstuhl. Damit waren Stoffe mit verschieden Farben, Mustern und Dessins herstellbar und mit der Einführung der Dampfmaschine begann <strong>Krefeld</strong>s Aufstieg zur „Stadt von Samt und Seide“, zum „Rheinischen Lyon“. Die Textilindustrialisierung nahm ihren Lauf. Im Jahr 1884 arbeiteten in <strong>Krefeld</strong> in ca. 270 Textilfabriken etwa 30.000 Webstühle. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebten Samt und Seide in <strong>Krefeld</strong> einen wahrhaftigen Boom, der um 1900 seinen Höhepunkt hatte. <strong>Krefeld</strong> wurde so – gemessen am Steueraufkommen pro Einwohner - zur reichsten Stadt des deutschen Reiches (1902). Durch das starke wirtschaftliche Wachstum verdoppelte sich die Bevölkerung: 1871 lag die Einwohnerzahl um 50.000; um 1900 wurden 107.000 Einwohner gezählt. Die Samt- und Seidenherstellung ließ auch schnell andere Unternehmen entstehen: In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden zahlreiche zuliefernde Handwerksbetriebe und Maschinenfabriken. Mit weiter wachsender Textilproduktion nahm dieser Bereich stark zu und wurde nach und nach zum bedeutensten Faktor der <strong>Krefeld</strong>er Wirtschaft. Die Textilindustrie entwickelte den Bedarf - und sie begründete dadurch den Wandel in der Industriestruktur. Der Textil- und allgemeine Maschinenbau wuchs aus dem großen Rationalisierungsbedarf in den Textilfabriken, die chemische Industrie erstarkte aus der Textilveredelung. Ein typisches Beispiel ist die Firma Siempelkamp. Ihr Gründer Gerhard Siempelkamp machte sich im Jahr 1883 selbstständig und baute Pressen, die durch ein gebohrtes Rohrsystem beheizbar waren und benötigt wurden, um <strong>Krefeld</strong>er Textilprodukten ihren berühmten matten Glanz zu verleihen. In der Folgezeit diversifizierte das Unternehmen seine Produktionsstruktur fortwährend, „entfernte“ sich immer mehr von der Textilindustrie und entwickelte sich bis heute zu einem weltweit agierenden Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau, Großgiesserei und Nukleartechnik. Das 1881 gegründete Unternehmen „Crefelder Seifenfabrik Stockhausen und Traiser“, das ursprünglich Seifen für die Textilindustrie produzierte, gehört heute zu EVONIK Industries. Die Gründung der Teerfarbenfabrik „Dr. E. ter Meer & Cie.“ in Uerdingen durch Edmund ter Meer, einem Nachkommen des 1654 als Glaubensflüchtling nach <strong>Krefeld</strong> gekommenen Mewes ter Meer, war die Keimzelle des heutigen CHEMPARK Uerdingen. Die Fabrik begann mit der Produktion von künstlichen Farbstoffen – natürlich für die Textilindustrie. Der Maschinenbau und die chemische Industrie wurden so zu den tragenden Säulen der <strong>Krefeld</strong>er Wirtschaft. Nach der Gründung des <strong>Krefeld</strong>er Stahl- 22 kreation | Nr. 21 | www.wfg-krefeld.de werks durch August Thyssen im Jahr 1899 kam auch noch die Stahlproduktion als weiteres industrielles Standbein hinzu. Anfang des 20. Jahrhunderts, noch vor dem Ersten Weltkrieg, kam es zu betrieblichen Konzentrationen in der Textilindustrie, als sich erst Ausrüster und danach auch Seidenfabrikanten zusammenschlossen. 1920 war das Geburtsjahr der Vereinigten Seidenwebereien AG (Verseidag) In Deutschland konnte sich die Textilindustrie bis in die 1950er Jahre mit etwa 700.000 Beschäftigten noch immer als größter Industriezweig behaupten. Dann aber verlor die Textilindustrie fortlaufend an Bedeutung. In <strong>Krefeld</strong> verschwand mancher mittelständische Textilmaschinenbauer und bekannte Namen aus Produktion und Veredelung von der Bildfläche. Die Pionierindustrie der industriellen Revolution war die erste Industrie, die unter massiven globalen Anpassungsdruck geriet, komparative Kostenvorteile nutzte und in anderen Ländern eine durch Produktionsexporte gestützte Industrialisierung in Gang setzte. Seit den 1970er Jahren wurde Deutschland als Textilstandort weniger rentabel. Der Verlust an wirtschaftlicher Bedeutung und Wettbewerbsfähigkeit zeigt sich u.a. durch den Rückgang der Beschäftigen auf nur noch rund 150.000. Das hiesige Lohnniveau war im internationalen Wettbewerb nicht mehr konkurrenzfähig, die Produktivitätssteigerungen konnten in keinerlei Hinsicht mithalten, Arbeitsplatzabbau war unumgänglich. In <strong>Krefeld</strong> gab es 2005 nur noch etwas mehr als 1.100 Beschäftigte in der Textilindustrie (4,9% aller Industriebeschäftigten in 8,9% aller Industriebetriebe), während 1970 noch fast 7.000 Beschäftigte gezählt werden konnten. Auch die Umsätze des deutschen Textilmaschinenbaus wurden immer weniger in heimischen Märkten erwirtschaftet – mehr als 90 % trägt heute das Exportgeschäft. Den Bedeutungsverlust der deutschen Textilindustrie ist Ausdruck des allgemeinen wirtschaftlichen Strukturwandels, der sich seit den 1970er Jahren in Deutschland um sich gegriffen hat: Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes sowohl an den Beschäftigten als auch am Bruttoinlandsprodukt ging deutlich zurück, während der Bereich der Dienstleistungen in puncto Wirtschaftskraft und Arbeitsmarkt merklich zulegen konnte. Bis heute hat sich das fortgesetzt: Zur Jahresmitte 2008 waren 66% der knapp 82.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im tertiären Sektor tätig. In der sich besonders stark verändernden Textil- und Bekleidungsindustrie reagierten viele <strong>Krefeld</strong>er Textilunternehmen entweder ganz mit der Aufgabe der Produktion oder mit Reduzierung des Geschäfts auf wertschöpfungsintensive Bereiche bei Kollektion oder Zwischenhandel. So haben sich vielfach produzierende Unternehmen zu Anbietern von Dienstleistungen etwa zur textilen Warenwirtschaft und Produktionsorganisation oder logistischen Steuerung entwickelt. Viele Unternehmen konzentrierten sich auf Marktnischen – und erarbeiteten sich damit star-
Bekannte Namen, markante Fassaden: Zeugen der <strong>Krefeld</strong>er Textilgeschichte. Entwicklung textiler Zukunftslösungen