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14 Mozart-Kanons | CHORTIROL<br />
Während die großen Opernkompositionen,<br />
die Messen<br />
und das Requiem eine Fülle<br />
an eindrucksvoller Musik für<br />
Gesang und Chor beinhalten,<br />
machen Lieder und eigenständige<br />
Chorstücke nur<br />
einen geringen Teil innerhalb<br />
Mozarts Gesamtschaffen<br />
aus. Im Allgemeinen als<br />
Gelegenheitskompositionen<br />
betrachtet, wird ihnen meist<br />
auch keine große Bedeutung<br />
beigemessen. Dennoch, einige<br />
dieser Stücke würden es<br />
verdienen, häufi ger gesungen<br />
zu werden, so auch die<br />
Vokalkanons, die eine ganz<br />
eigene, ausgesprochen originelle<br />
Facette Mozarts widerspiegeln.<br />
Die ersten Kanons aus Mozarts<br />
Feder stammen aus der<br />
Zeit der ersten Italienreise<br />
1770 und dienten in erster<br />
Linie Übungszwecken. Der<br />
14-jährige Mozart nahm auf<br />
dieser Reise Unterricht beim<br />
damals berühmtesten Musiklehrer<br />
Italiens, dem Franziskanerpater<br />
Martini. Dieser<br />
beauftragte den jungen<br />
Schüler unter anderem mit<br />
der Lösung einiger Kanons<br />
aus seiner Schrift Storia della<br />
musica, in der er, dem gerade<br />
behandelten Inhalt entsprechend,<br />
an den Anfang<br />
und den Schluss jedes Kapitels<br />
einen Rätselkanon stellt.<br />
Auch in späteren Jahren<br />
dürfte sich Mozart noch mit<br />
den Kanons aus der Storia<br />
della musica befasst haben.<br />
Der um 1782 datierte Kanon<br />
V’amo di core KV 348<br />
(382g) ist strukturell sehr eng<br />
Padre Martinis 16-stimmigem<br />
Iste est David vom Ende<br />
des ersten Kapitels aus dem<br />
Mozarts Kanons – auch diese Gattung lebt von Vielfalt<br />
ersten Band nachempfunden.<br />
Sogar Einzelheiten der<br />
Harmoniefolge Martinis fi nden<br />
sich in Mozarts Kanon<br />
wieder, der allerdings nach<br />
dessen Tod von Maximilian<br />
Stadler ergänzt wurde und<br />
zudem „nur“ zwölfstimmig<br />
realisierbar ist. Ein weiterer<br />
markanter Unterschied zu<br />
Iste est David liegt darin,<br />
dass Mozart seinem Kanon<br />
statt eines geistlichen lateinischen<br />
Textes ein italienisches<br />
Liebesgedicht zugrunde legt.<br />
Mit dem Einsatz der dritten<br />
Stimme „uh, che dolore, uh<br />
che tormento“ bringt er<br />
schließlich komische Elemente<br />
in die zuvor sehr zärtliche<br />
Liebeserklärung. In späteren<br />
Jahren benutzte auch Mozart<br />
Kanons als Unterrichtsmaterial.<br />
In einem Übungsheft des<br />
englischen Komponisten Thomas<br />
Attwood aus dem Sommer<br />
1785, damals Schüler<br />
Mozarts, fi nden sich beispielsweise<br />
drei- und vierstimmige<br />
Kanons des berühmten<br />
Lehrers.<br />
Abgesehen von den pädagogischen<br />
Übungen schrieb<br />
Mozart auch eine Reihe<br />
kunstvoller, ausdrucksintensiver<br />
Kanons. Zu dieser Gruppe<br />
zählen die drei geistlichen<br />
Stücke Kyrie a cinque con<br />
diversi canoni KV 89 (73k),<br />
Alleluja KV 553 und Ave Maria<br />
KV 554. Allein das Kyrie<br />
beruht textlich auf der vollständigen<br />
liturgischen Vorlage,<br />
während sich die Texte<br />
der beiden anderen Kanons<br />
auf die Worte „Alleluja“ und<br />
„Amen“, sowie den Mariengruß<br />
beschränken. Alleluja<br />
stammt aus dem Jahr 1788<br />
und basiert auf der gregorianischen<br />
„Alleluja-Intonation“<br />
aus der Karsamstagsliturgie.<br />
Besonders reizvoll an diesem<br />
Kanon ist die kunstvoll<br />
geführte Gegenbewegung<br />
der Stimmen. Das Ave Maria<br />
ist im Gegensatz dazu<br />
von häufi ger Parallelführung<br />
der Stimmen gekennzeichnet.<br />
Darüber hinaus sind<br />
zwei italienischsprachige<br />
Kanons erhalten, in denen<br />
Liebeskummer zum Ausdruck<br />
gebracht wird. Dementsprechend<br />
sind diese beiden<br />
Stücke Lacrimoso son’io KV<br />
555 und Nascoso è il mio<br />
sol KV 557 durch eine elegisch<br />
seufzende Moll-Stimmung<br />
gekennzeichnet.<br />
Am geläufi gsten und am<br />
weitesten verbreitet sind<br />
aber Mozarts Gesellschaftskanons,<br />
von denen sich bis<br />
heute einige im Repertoire<br />
zahlreicher Vokalensembles<br />
und Chöre gehalten haben.<br />
Diese Stücke sorgen durch<br />
ihren häufi g recht derben<br />
Humor wohl immer wieder<br />
für ein Schmunzeln. Von<br />
handfester Melodik, einem<br />
schlagkräftigen Rhythmus<br />
und von einfacher Harmonik<br />
geprägt, besitzen sie – zumindest<br />
in ihrer Originalfassung<br />
– meist komische oder<br />
gar obszöne Texte. Titel wie<br />
Bona nox! bist a rechta Ox<br />
KV 561, Leck mich im Arsch<br />
KV 231 oder vielleicht auch<br />
O du eselhafter Peierl! O du<br />
Peirlicher Esel! KV 560a sind<br />
vermutlich den meisten SängerInnen<br />
schon einmal untergekommen.<br />
Oft werden sie<br />
als erheiternde Aufl ockerung<br />
in Konzerte eingebaut, denn<br />
heutzutage hat man keine<br />
Scheu, Lieder mit derartigen<br />
Texten öffentlich vorzutragen.<br />
Zu Mozarts Zeiten aber<br />
„verbot“ das wachsende<br />
bürgerliche Anstandsgefühl<br />
die Veröffentlichung solcher<br />
Texte. Die Kanons wurden<br />
daher in frühen Ausgaben<br />
von den obszönen Textstellen<br />
befreit, oder man unterlegte<br />
ihnen überhaupt einen völlig<br />
neuen, unverfänglichen Text.<br />
Eine ganze Reihe von Um-<br />
und Neutextierungen sind<br />
uns heute bekannt, und nicht<br />
selten wurden derselben Melodie<br />
viele verschiedene Texte<br />
unterlegt.<br />
Gleichzeitig herrschte aber<br />
in der Gesellschaft des 18.<br />
Jahrhunderts – ebenso auch<br />
innerhalb der Familie Mozart<br />
und deren Freundeskreis<br />
– ein in Bezug auf intime<br />
Anspielungen und erotische<br />
Andeutungen weitaus offenerer<br />
und ungenierterer<br />
Umgangston als heutzutage,<br />
wie es uns einige Briefstellen<br />
vermitteln. So fi ndet sich ein<br />
Großteil des späteren Textes<br />
zum bekannten Kanon Bona<br />
nox! bist a rechta Ox bereits<br />
11 Jahre vor dessen Entstehung<br />
1777 in einem Brief<br />
von Mozarts Mutter aus Paris<br />
an ihren Mann:<br />
„[...] den ganzen dag haben<br />
wür visiten, leben wie die<br />
fürsten Kinder, bis uns holt<br />
der schinder. Adio ben mio<br />
leb gsund, Reck den arsch<br />
zum mund. Ich winsch ein<br />
guete nacht, scheiss ins beth<br />
das Kracht, es ist schon über<br />
oas ietzt kanst selber Reimen.<br />
sch Maria Anna Mozartin.“<br />
Der Kanontext schließlich<br />
lautet wie folgt:<br />
„Bona nox! Bist a rechta<br />
Ox; bona notte, liebe Lotte;<br />
bonne nuit, pfui, pfui; good<br />
night, good night, heut müss<br />
ma noch weit; gute Nacht,<br />
gute Nacht, scheiß ins Bett,<br />
dass’ kracht; gute Nacht,<br />
schlaf fei g’sund und reck<br />
den Arsch zum Mund.“<br />
Auch Wolfgang Amadeus<br />
Mozart fand in seinen Briefen<br />
immer wieder Gefallen<br />
an einer vulgären Ausdrucksweise.<br />
Speziell in den Briefen<br />
an seine Kusine Maria Anna<br />
Thekla, dem „Bäsle“, wimmelt<br />
es oft nur so von derben<br />
Ausdrücken und Schimpfwörtern,<br />
so auch im Brief<br />
vom 28. Februar 1778:<br />
„[...] ob sie noch dann und