Gott hat den Kör per zusammengefügt und gab demniedrig gehaltenen Teil umso größere Ehre, damit derKörper nicht von einer Grenze durchzogen wird, sonderndie Glieder sich gemeinsam umeinander sorgen.“(aus 1.Kor 12). 10Die Teilhabe an Christus begründet das gleichwertigeund gleichberechtigte Miteinander in der Gemeinschaftder <strong>Kirche</strong>. Die Gemeinde als Leib Christi isteine Anerkennungs gemein schaft, in der die Glaubendeneinander nicht zuerst über ihren Unterstützungsbedarf,sondern auf Augenhöhe wahrnehmen. 11Laut <strong>Kirche</strong>nordnung der EKiR „tragen alle Mitgliederder Gemeinde die Mitverant wor tung für das Lebenund den Dienst der Kir chen gemeinde. Sie sollen ihreunterschiedlichen Gaben <strong>im</strong> Leben der <strong>Kirche</strong>n gemeinde einsetzen.“ 12 <strong>Da</strong>mit betont sie ausdrücklich,dass sich <strong>Kirche</strong> als Teilhabe-, Teilnahme- und Teilgabegemeinschaft13 versteht, die von den reichenFähigkeiten aller Gemeindeglieder ausgeht.Ulf Liedke formuliert: „Inklusion ist zuerst eine GabeGottes. Sie bezeichnet die unmittelbare Zugehörigkeitder Glaubenden zum Leib Christi. Predigt, Taufe undAbendmahl begründen eine Gemeinschaft, für die dievolle, fortwährende und wechselseitige Inklusion ihrerje individuell begabten und begrenzten Glie der konstitutivist. Aus dieser Gabe der unmittelbaren Zugehörigkeiterwächst folgerichtig die Aufgabe, dasgemeindliche Leben ebenso inklusiv zu gestalten.Inklusion ist deshalb kein praktisch-theologischesSonder thema, sondern eine durchgängige Perspektiveder gesamten gemeindlichen Praxis.“ 14 Und weiter:„Gemeinden müssen Ja sagen zu denen, die bereits inihrer Mitte leben. Denn: Was Gott zusammengefügthat, das soll der Mensch nicht scheiden.“ 15Inklusion stellt Abgrenzungen der <strong>Kirche</strong> in Frage<strong>Da</strong>s paulinische Bild von der <strong>Kirche</strong> als Leib Christiund die <strong>Kirche</strong>nordnung sagen deutlich: innerhalb der<strong>Kirche</strong> sollen wir die Unter schiedlichkeiten als Reichtumschätzen. <strong>Da</strong>s ist klar. Beide Texte kennen ein<strong>Da</strong>zugehören, aber auch ein Nicht-<strong>Da</strong>zugehören: Teildes Körpers sein, nicht zum Körper gehören, Mitgliedsein, nicht Mitglied sein.Was aber ist mit denen, die keine Mitglieder odernicht getauft sind? Was mit den Befreundeten, denSuchenden, den Interessierten und Desinteressierten?Kirchliches Leben beschränkt sich nicht auf Mitglieder.Denn <strong>Kirche</strong> ist eine Gestalt des Christentums, diesich <strong>im</strong>mer auch auf dessen andere, private und öffentlicheGestalten in unserer Gesellschaft beziehen muss.Wie gehen wir mit anderen Gemeinden, Denominationen, anderen Religionen und außerkirchlichenOrganisationen um? Schätzen wir deren Andersseinebenso als Reichtum? Sind sie uns als gleichwertigeGesprächspartner will<strong>kommen</strong>? Inklusion stellt dieFrage: wo und wofür brauchen wir in <strong>Kirche</strong> undGemeinde eine klare Abgrenzung von dazugehörendund nicht-dazugehörend? Wo können wir wohlvertrauteaber überflüssige Grenzen in Frage stellen undabbauen?„Wird sich gelegentlich bewusst gemacht, wer in derVorstellung der Beteiligten zum „Wir“ zählt?“ So lauteteine der Fragen aus dem Arbeitsteil dieser Schrift.Inklusion <strong>kann</strong> auch als kritische Anfrage an ein exklusivesGe mein de verständnis wahrgenommen werden.10 Zitiert nach: Bibel in gerechter Sprache, Bail, Ulrike u.a (Hg.),Gütersloh 2006. Die Bibel in gerechter Sprache ist die aktuellvorliegende Übersetzung, die den Inklusionsgedanken sprachlichzu übertragen versucht.11 Vgl. Luther, Henning, Wahrnehmen und Ausgrenzen oder die doppelteVerdrängung. Zur Tradition des seelsorgerlich-diakonischenBlicks, in: ThPr 23 (1988), S. 261.12 Art. 14.1 <strong>Kirche</strong>nordnung der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong> <strong>im</strong> <strong>Rheinland</strong>,vom 10. 1.2003, zuletzt geändert durch das <strong>Kirche</strong>ngesetz vom14.1.2011.13 Teilhabe (Einbezogensein in Lebensbereiche / Gruppen), Teilnahme(aktive Handlungen in Gruppen / mit Personen) und Teilgabe(Andere einbeziehen, für andere etwas tun) beschreiben dreiwesentliche Aspekte des englischen „participation“. Participationmeint umfassend Beteiligung, Teilhabe, Teilnahme, Mitwirkung,Mitbest<strong>im</strong>mung, Einbeziehung. 2001 wurde Teilhabe als Rechtsbegriffins Sozialgesetzbuch IX.Buch aufgenommen.14 Liedke, Ulf, Menschen. Leben. Vielfalt. Inklusion als Gabe und Aufgabefür <strong>Kirche</strong>ngemeinden. In: Pastoraltheologie 101, Jg. 2012, S. 79f.1.4 Inklusion meint ...Inklusion meint: Alle Menschen sind verschieden, allesind gleichberechtigt.Inklusion ist die Kunst des Zusammenlebens von sehrverschiedenen Menschen. <strong>Da</strong>s Wort Inklusion kommtaus dem Lateinischen und bedeutet „einschließen“ <strong>im</strong>Sinne von einbezogen sein, dazugehören. 16 Aus derPerspektive der allgemeinen Menschenrechte meint15 A.a.O., S. 86.16 Inklusion vor Ort. Der Kommunale Index für Inklusion – einPraxishandbuch. Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft (Hg.),Bonn 2011, S. 18.10
das: „Statt Menschen einer Gemeinschaft zuzuführen,der sie vermeintlich nicht angehören, bedeutet Inklusion,eine von Geburt an bestehende Zugehörig keitaufrecht zu erhalten.“ 17 Der Theologe Ulf Liedke formuliert:„An die Stelle der mit dem Integrationsmodellverknüpften Vorstellung zweier relativ homogenerGruppen – Men schen mit und ohne Behinderung –setzt das Inklusions paradigma die Überzeugung derun mittel baren Zuge hö rig keit <strong>jede</strong>s Menschen zu einerGesellschaft der Vielfalt. (...) <strong>Da</strong>mit verbunden ist einePers pek tivänderung: vom Hilfeempfänger zum vollwertigenMitglied der Gesellschaft. Men schen mitBehinderung, ebenso wie alle anderen Personen inunterschiedlichen Lebens si tu a tionen, mit verschiedenenLebens kon zep ten und je individuellen Lebens geschichtengehören selbstverständlich zur Gesellschafthinzu, ohne wenn und aber.“ 18Inklusion meint: Zum Glück sind alle andersIm Kommunnalen Index für Inklusion heißt es: „Jeunterschiedlicher und vielfältiger die Men schen einerGruppe sind, desto mehr <strong>kann</strong> die Gemeinschaft und<strong>jede</strong>r Einzelne in ihr profi tie ren. Denn <strong>jede</strong>r Menschhat etwas Beson deres, etwas, das andere wenigeroder gar nicht haben. <strong>Da</strong>s können zum Beispiel persönliche,soziale, kulturelle oder andere besondereEigen schaften, Erfahrungen und Fähigkeiten sein.Aber auch verschiedene Geschlechter rol len, ethnischeHerkunft und Nationalitäten, Sprachen, Hautfarbenoder soziale Milieus, reli giöse und weltanschauliche17 Bösl, Elsbeth, Die Geschichte der Behindertenpolitik in der Bundesrepublikaus Sicht der Disability History, in: APuZ 23/210, S. 12.18 Liedke, Ulf, Menschen. Leben. Vielfalt. Inklusion als Gabe undAufgabe für Kirchgemeinden. In: Pastoraltheologie 101. Jg., 2012,S. 71 – 86.Orientie run gen, körperliche Bedingungen etc. Einfachalles, was einen Menschen ausmacht, <strong>kann</strong> dieGe mein schaft bereichern. <strong>Da</strong>bei sind die Mög lichkeitenfür Verschiedenheit unendlich. Gelingt es einerGemeinschaft die in ihr vorhandenen Formen vonVielfalt zu entdecken, wertzuschätzen und zu nutzen,wird sie erfahrener und kompetenter.“ 19Im Nächsten, der anders ist als ich, entdecke ich neuePerspektiven auf das Leben. Und <strong>jede</strong> und <strong>jede</strong>r einzelnewird sich in seiner Haut wohler fühlen, denn allespüren und erleben: so wie ich bin, bin ich wichtig fürdie Gemein schaft. „Sicherheit und Lebensqualitätwerden erhöht, weil inklusive Kulturen Bedrohungund Ausgrenzung abbauen.“ 20Inklusion meint:Die Aufteilung in „Behinderte“ und „Nichtbehinderte“überwindenFrüher dachte man, es gebe Menschen mit und Menschenohne Behinderungen. Diese Einteilung ist fürÄrzte, Krankenkassen und Sozialhilfeträger bis heutenötig und sinnvoll, um Menschen mit außergewöhnlichenEin schrän kungen zu helfen. 21 Diese medizinischeSicht auf den Menschen wurde aber wie selbst verständlich auch auf andere Lebens be reiche übertragen.So kamen Menschen mit Behinderungen in be son dereEinrichtungen und Schulen, um dort besonders gefördertzu werden.19 Inklusion vor Ort, S. 19.20 Ebd.21 Auch die UN-Behindertenrechtskonvention spricht von „Menschenmit Behinderungen“ meint damit aber kein grundsätzlichesAnderssein, sondern eine medizinische Kategorie.11