01.12.2012 Aufrufe

Justizforschung Dr. Werner Lehne Referat „Schuld und Strafe ...

Justizforschung Dr. Werner Lehne Referat „Schuld und Strafe ...

Justizforschung Dr. Werner Lehne Referat „Schuld und Strafe ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Justizforschung</strong><br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Werner</strong> <strong>Lehne</strong><br />

<strong>Referat</strong> „Schuld <strong>und</strong> <strong>Strafe</strong>. Biographische Rekonstruktionen <strong>und</strong> die<br />

Strafzumessung.“<br />

Referentin: Beatrice Kröster<br />

Überblick<br />

1. Einleitung<br />

2. Rekonstruktionslogik I: Emotionale Fixierung, eigenes Wohlverhalten <strong>und</strong> der<br />

Egoismus des Opfers.<br />

2.1 Ein Beispiel<br />

3. Rekonstruktionslogik II: Eifersucht <strong>und</strong> beidseitig unterhaltende Dynamik<br />

3.1 Ein Beispiel<br />

4. Rekonstruktionslogik III: Emotionalität, Egoismus der Angeklagten <strong>und</strong> Spezifika<br />

der Tathandlung<br />

4.1 Ein Beispiel<br />

5. Rekonstruktionslogik IV: Egozentrik <strong>und</strong> Egoismus des Angeklagten<br />

5.1 Ein Beispiel<br />

6. Rekonstruktionslogik V: Emotionale Fixierung, Egoismus der/ des Angeklagten,<br />

Tatschwere<br />

6.1 Ein Beispiel<br />

7. Rekonstruktionslogik VI: besondere Schwere der Tat, Egozentrik <strong>und</strong> Egoismus<br />

des/ der Angeklagten, „das rational Böse“<br />

7.1 Ein Beispiel


Rekonstruktionslogik I<br />

Beispiel 1 bzw. Muster 2 „geduldiges Ertragen“<br />

Die Angeklagte hat lange Zeit, für etwa 3 Jahre, die Beleidigungen, <strong>Dr</strong>ohungen <strong>und</strong><br />

Körperverletzungen ihres Ehemannes ertragen müssen <strong>und</strong> dabei keine körperliche<br />

Gegenwehr gezeigt, sondern alles geduldig ertragen <strong>und</strong> sich immer wieder um ein<br />

friedliches Zusammenleben bemüht. Sie ertrug die verbalen <strong>und</strong> körperlichen<br />

Angriffe <strong>und</strong> setzte sich lediglich nach ihren Möglichkeiten mit Worten zu Wehr. Die<br />

Ehe der Angeklagten war durch ständigen Streit geprägt, der seine Ursache in dem<br />

übermäßigen Alkoholkonsum ihres Ehemannes hatte.<br />

Die Tat entstand spontan in einer Situation, in der sich die Angeklagte durch die<br />

Misshandlungen ihres Ehemannes in einer psychisch sehr angespannten Situation<br />

befand. Das Opfer (der Ehemann) hat unmittelbar vor der Tat – wie schon<br />

regelmäßig in der Vergangenheit – die Angeklagte erheblich körperlich misshandelt.


Rekonstruktionslogik II<br />

Beispiel 2 bzw. Muster 7.2 „Eifersucht <strong>und</strong> die Unerträglichkeit des Verlassen-<br />

Werdens“<br />

Das Zusammenleben der beiden Eheleute gestaltete sich äußerlich harmonisch. Es<br />

war vor allem dadurch gekennzeichnet, dass beide sich ihrem gemeinsamen Kind<br />

widmeten. Der Angeklagte, der seine Ehefrau über alles liebte, wachte sehr über sie.<br />

Nur selten ließ er zu, dass sie ohne ihn ausging. Es kam dazu, dass die Ehefrau des<br />

Angeklagten sich innerlich von ihm zurückzog. Sie lernt dann einen anderen Mann<br />

kennen <strong>und</strong> denkt ernsthaft, sich scheiden zu lassen. Dem Angeklagten waren alle<br />

diese Umstände unbekannt geblieben. Er hatte lediglich den Eindruck, dass das<br />

Verhältnis zur Ehefrau getrübt ist. Die Ehefrau herrschte ihn öfters an, wies seine<br />

Berührungen ab <strong>und</strong> beleidigte ihn zeitweise.<br />

Bei der Tat kam in dem Angeklagten eine Anwandlung auf, der er sich überlassen<br />

hat, ohne ihr Widerstand entgegengebracht zu haben.


Rekonstruktionslogik III<br />

Beispiel 3 bzw. Muster 9 „Pathologie der Person <strong>und</strong> der Tat“<br />

In einer Gaststätte lernte die Angeklagte den 27 jährigen […] Geschädigten kennen. Die<br />

Angeklagte erlebte die Beziehung zunächst als sehr harmonisch. Im Laufe der Zeit fühlte sie<br />

sich jedoch von ihrem Fre<strong>und</strong> zunehmend schlecht behandelt <strong>und</strong> tief gekränkt, etwa<br />

dadurch, dass er sie aufforderte, Gewicht abzunehmen. Es steigerten sich ihr<br />

Ohnmachtsgefühl <strong>und</strong> ihre Aggressivität. Diese Aggression entlud sich zur Selbstentlastung<br />

der Angeklagten in einem sadistisch – aggressiven Verhalten. Die Angeklagte zündete das<br />

Opfer an, welches bis zu seinem Tod fürchterliche Qualen gelitten hat.


Rekonstruktionslogik IV<br />

Beispiel 4 bzw. Muster 11 „Der schwache <strong>und</strong> gekränkte Patriarch“<br />

Der Angeklagte heiratete die Geschädigte am […] in der Türkei. Beide leben seit<br />

dieser Zeit in Deutschland. Die GS, die in der Türkei als Lehrerin tätig war, arbeitete<br />

in Deutschland als Arbeiterin. Der Angeklagte lebte vom Verdienst seiner Frau. Er<br />

arbeitete <strong>und</strong> nicht <strong>und</strong> betrieb auch sein Studium nicht intensiv weiter. Das von der<br />

Ehefrau im Laufe der Jahre erarbeitete Geld in Höhe von ca. 50.000 DM verspielte<br />

der Angeklagte in Spielcasinos.<br />

Der Angeklagte fühlte sich durch die Existenz seiner Kinder in seiner Bequemlichkeit<br />

<strong>und</strong> in seinem Leben eingeengt. Er beschimpfte die Kinder als Bastarde <strong>und</strong> seine<br />

Ehefrau als Hure. Er hielt seine Familie durch verbale <strong>und</strong> tätlichen Aggressivitäten<br />

„in Schach“ <strong>und</strong> versuchte dadurch jeden Widerspruch zu unterdrücken. Seine Frau<br />

trennte sich von ihm, nimmt die Kinder mit <strong>und</strong> wird von da an von ihm bedroht <strong>und</strong><br />

verfolgt. Er drohte seiner Ehefrau <strong>und</strong> seinen Kindern sie zu töten, falls sie nicht<br />

zurückkehren würden. Als er seiner Frau auflauert, trifft er zufällig auf seine Tochter<br />

<strong>und</strong> ersticht diese. Der Angeklagte begriff sich immer noch als Herrscher über das<br />

Leben seiner ehemaligen Familie.


Rekonstruktionslogik V<br />

Beispiel 5 bzw. Muster 15 „Ein nichtiger Anlass zur Tat“<br />

Bei dem Opfer, der Großmutter des Angeklagten, handelt es sich, was dem<br />

Angeklagten auch durchaus bewusst war, um den einzigen Menschen, der sich des<br />

Angeklagten näher angenommen hat. Bei ihr hatte der Angeklagte nicht nur<br />

kostenlose Wohnung, Verpflegung <strong>und</strong> Besorgung der Wäsche erhalten, die GS hat<br />

auch auf ihre Art versucht, dem Leben des Angeklagten eine positive Wendung zu<br />

geben. Sie hat sich seiner tatsächlich angenommen, wie zum Beispiel den<br />

Angeklagten vor Strafanzeigen zu bewahren. [……]<br />

Wenn nun am Tatabend die GS dem Angeklagten seine Lebensführung vorhielt, so<br />

war dies dem Angeklagten nichts Neues. Er war es einfach satt, die gleichen<br />

(berechtigten) Vorwürfe zu hören. Der angeklagte erschlug daraufhin seine<br />

Großmutter mit dem Hammer. Wenn er sich in dieser Situation entschloss, die GS zu<br />

töten, so ist der Anlass zur Tat derart nichtig, dass fast daran hätte gedacht werden<br />

können, das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe festzustellen.


Rekonstruktionslogik VI<br />

Beispiel 6 bzw. Muster 17 „Die Unschuld des Opfers“<br />

Der Angeklagte ist vielfach wegen Vergewaltigung vorbestraft. Der Ursprung der Tat<br />

sollte wiederum zu einer Vergewaltigung führen. Der Angeklagte hat ein ihm blind<br />

vertrauendes Kind in einen Hinterhalt gelockt. Das Opfer war ein Kind im Alter von 7<br />

Jahren. Er missbrauchte zuerst das Mädchen <strong>und</strong> tötete es dann anschließend.


Rekonstruktionslogik I: Merkmale<br />

� Passive Viktimisierung der Angeklagten (die in aktive Täterschaft umschlägt)<br />

� Keine Psychodynamik, sondern 2 isolierte moralische Charaktere (Charakter<br />

der egoistischen Selbstbezogenheit; Charakter hoher emotionaler<br />

Verletzbarkeit)<br />

� Emotionale Fixierung auf das Opfer, Aufgeben der eigenen Autonomie<br />

� „reine Liebe“: gute Ehefrau/ -mann sein <strong>und</strong> seinen Pflichten immer<br />

nachkommen; dadurch „Schuldlosigkeit“<br />

� Egoismus des Opfers: kein Empathievermögen, Bedürfnisse des Opfers stets<br />

im Vordergr<strong>und</strong><br />

� Mythologisierte Form des weiblichen/ männlichen Sozialcharakters


Rekonstruktionslogik II: Merkmale<br />

� Psychodynamik: zwei aktive moralische Charaktere, die relativ gleichrangig<br />

sind<br />

� Emotionale Ausgeliefertheit/ Fixierung des Angeklagten, aber<br />

� Angeklagter zuvor kein passives Opfer


Rekonstruktionslogik III: Merkmale<br />

� Überschuss der Tathandlung<br />

� Emotionalität<br />

� Psychodynamik<br />

� Gewisser Egoismus <strong>und</strong> Aktivität der eigenen Ziele<br />

� Abspaltung der Tat von der Biographisierung<br />

� Tat bildet den Ausgangpunkt der Strafzumessung


Rekonstruktionslogik IV: Merkmale<br />

� Egoismus des Angeklagten, Verfolgung eigener Ziele<br />

� Moralisches Fehlverhalten des Angeklagten bereits vor der Tat<br />

� Verursachung der Situation, die zur Tat führt, vom Angeklagten selbst<br />

verschuldet bzw. selbst zu verantworten<br />

� Keine emotionale Verstrickung, sondern ein kühl – egoistisches Verhalten<br />

� Schlüsselbegriffe zur Bewertung der Tat:<br />

- Heimtücke<br />

- Brutales Vorgehen<br />

- Kriminelle Energie<br />

- Arglosigkeit des Opfers


Rekonstruktionslogik V: Merkmale<br />

� Egozentrik <strong>und</strong> Egoismus des Angeklagten<br />

� Kaum noch Emotionalität, sondern kühles, rationales Verhalten vor <strong>und</strong> bei<br />

der Tat<br />

� Angeklagter auf eigenes Wohl <strong>und</strong> eigene Vorteile bedacht<br />

� Tathandlung brutal <strong>und</strong>/ oder heimtückisch<br />

� Tathandlung bei der Bewertung dominanter als Biographisierung (z.B.<br />

dissoziale Persönlichkeit)<br />

� Biographisierung verhindert lediglich die Verhängung einer lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe


Rekonstruktionslogik VI: Merkmale<br />

� Kaum Unterschied zur Rekonstruktionslogik V, außer das „etwas“ hinzu<br />

kommt:<br />

� Tathandlung als besonders zielstrebig geplant, ausgeführt <strong>und</strong> nachbereitet<br />

� „Tabu – Opfer“<br />

� Besondere Schwere der Tat<br />

� Angeklagter als das „rational Böse“ <strong>und</strong> ein „moralisches Monstrum“<br />

� Biographisierung spielt bei der Bewertung keine Rolle<br />

� Ausschließlich die Tat ist für die Strafzumessung relevant

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!