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Vorführbetrieb oder produzierende Museumsfabrik
Erfahrungen und Visionen des LWL-Industriemuseums (Landschaftsverband Westfalen-
Lippe), Textilmuseum in Bocholt
Im ersten Cromford Gespräch des
Jahres 2007 berichtete Museumsleiter
Dr. Hermann Josef Stenkamp
aus den Erfahrungen von Maschinenvorführung
und Textilproduktion
auf historischen Maschinen, die das
Textilmuseum Bocholt in 17 Jahren
seit seiner Eröffnung 1989 gemacht
hat.
Bocholt ist einer der acht Standorte
des LWL-Industriemuseums und
zugleich der einzige zum Thema
Textil. Wie die Arbeitsplätze aussahen
und wie die Arbeitsbedingungen
in einer Textilfabrik waren, zeigt
die komplett eingerichtete und regionaltypische
Baumwollweberei.
Alltagsleben und Freizeit hingegen
werden in den vor der Fabrikmauer
stehenden Arbeiterdoppelhäusern
anschaulich gezeigt. Eine neue
Dauerausstellung mit original eingerichteter
Arbeiterwohnung um
1920 sowie eigenen Ausstellungseinheiten
in der linken Haushälfte
zur Ernährung, Hygiene und Textilien
ermöglichen es, den Museumsbesucher
in das Alltagsleben
von Textilarbeiterinnen und -arbeitern
um 1920 zurück zu versetzen.
Für die wunderbaren Maschinen
dieses Textilmuseums musste man
bei seiner Gründung 1984 allerdings
komplett neue Gebäude nach
historischem Vorbild errichten, da
zu dem Zeitpunkt keine geeignete
Fabrikanlage zur Verfügung stand.
Für die Weberei mit Kesselhaus,
Maschinenhaus und Websaal
wählte man bereits verschwundene
Vorbilder von Fabrikanlagen der
Regionen. Viele Bauteile, wie etwa
die Maschinen, Haustür, die
Gussstützen des Websaals oder
auch die Meisterbude konnten bei
Abbrüchen geborgen werden und
am authentischen Ort in der Museumsfabrik
ihre neue Aufgabe finden.
Die funktionsfähige Dampfmaschine
und der Websaal mit Vorbereitungsmaschinen
und über 30
Webstühlen bietet den Besuchern
ein eindrucksvolles aber auch authentisches
Abbild einer Fabrikanlage.
Ziel ist es, durch diese Inszenierung
fast sämtliche Arbeitsplätze
in einem solchen Fabrikkosmos
darzustellen, vom Gehilfen über
Spulerinnen zu den Webern bis hin
zum Schlosser in der Werkstatt und
zum Büroangestellten und Chef im
Kontor.
Das Weben selbst eignet sich hervorragend
zur Demonstration für
Schulklassen und Besucher. Sie
können es nicht nur selbst am
Handwebstuhl ausprobieren, sondern
die Funktionsweise des Eintragens
von Schussfäden in die
Kettfäden am mechanischen Webstuhl
sehr gut nachvollziehen. Die
einfachen Webstühle, sogenannte
Oberschläger mit Transmissionsantrieb,
stellen Nesselgewebe oder
einfache Köperbindungen her und
lassen sich nach einer kurzen Anlernphase
problemlos bedienen.
Am Beispiel von acht aufgestellten
Maschinen werden die Lärmbelastung,
aber auch die Tätigkeit des
Webers demonstriert.
Für den Bereich Buntweberei und
Schaftweberei sind hingegen schon
sehr viel weitergehende Kenntnisse
und Erfahrungen erforderlich. Im
Museum werden seit Anbeginn sogenannte
Grubentücher, karierte
Ware mit dunklem Schussgarn,
hergestellt. Fehlerfreie Ware ist Voraussetzung,
um sie auch den Museumsbesuchern
verkaufen zu können.
Das jedoch ist auf diesen historischen
Maschinen nicht immer
ohne Probleme möglich.
In der Jacquardweberei, in der jeder
Kettfaden einzeln durch Lochkarten
gesteuert wird und durch die
sehr vielgestaltige Muster möglich
sind, erfordert Spezialisten, die es
im Museum zwar gibt, die jedoch
sich erst mit den Besonderheiten
einer jeden Maschine vertraut machen
müssen. Manch ein Problem
lässt sich erst nach monatelanger
Beschäftigung und Hinzuziehung
weiterer Spezialisten lösen.
Das Betreiben der Webstühle
widerspricht im engeren musealen
Sinne dem Auftrag des Bewahrens,
da Maschinenteile verschlissen
werden und laufend Änderungen
und Reparaturen vorgenommen
werden müssen. Es hat sich jedoch
im Museumsalltag gezeigt, dass nur
der regelmäßige Gebrauch von
Maschinen die Funktionsfähigkeit
sicherstellt und nur dadurch auch
das Know-how und die spezifischen
Kenntnisse im Umgang mit diesem
Individium erhalten bleiben können.
Dem Problem des Verschleißens
historischer Maschinen als Exponate
wurde in sofern begegnet,
als dass möglichst ein weiteres Exemplar
noch in unveränderter Form
in der Sammlung vorhanden ist und
dort auch später noch wissenschaftliche
Erkenntnisse ablesbar
bleiben. Angemerkt werden
muss jedoch, dass die meisten
Maschinen zum Zeitpunkt der Übergabe
in sehr schlechtem Zustand
waren und meistens nicht mehr in
ihrem authentischen Produktionsumfeld
standen.