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<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong><br />

<strong>Mitteilungen</strong><br />

Heft 45/2005<br />

Anmerkung:<br />

Die in den <strong>Mitteilungen</strong> enthaltenen Abbildungen wurde für diese Internet-Ausgabe<br />

gelöscht, um die Datenmenge zu begrenzen.<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


Inhalt<br />

<strong>Mitteilungen</strong> 4<br />

Nachrichten aus den Landesverbänden 6<br />

Silke Pfeiffer:<br />

7<br />

Philosophieren mit Kindern. Versuch einer Bestandsaufnahme<br />

Ekkehard Martens:<br />

14<br />

Philosophische Methodenkompetenz – von Kindheit an<br />

Bildungsstandards für die Fächer der Fächergruppe Ethik/Philosophie 19<br />

in der Primarstufe<br />

Winfried Kuchen:<br />

24<br />

Textfiguren. Dramatisierende und modellierende Verfahren der Interpretation<br />

philosophischer Texte<br />

3<br />

Aufruf zum Bundeswettbewerb Philosophischer Essay 31<br />

Logo für den Bundesverband gesucht 34<br />

Das Einstein-Jahr 2005. Anregungen für den Philosophieunterricht 40<br />

Die Global Marshall Plan Initiative<br />

Tagungsberichte<br />

42<br />

Zwischen Hirnforschung und Philosophie - Anthropologie heute 47<br />

Philosophie ist lehrbar - Eine Tagung zu Standards des Philosophieunterrichts<br />

Tagungsankündigungen<br />

48<br />

Kreativität – XX. Deutscher Kongress für Philosophie<br />

51<br />

Zwischen PISA und Athen – Antike Philosophie im Schulunterricht 53<br />

Ethik als Brücke zwischen den Kulturen? 55<br />

Änderung des Protokolls der letzten Mitgliederversammlung 55<br />

Rezensionen 56<br />

Beitrittserklärung (Vordruck) 61<br />

Adressen des Bundesverbandes und der Landesverbände 63<br />

Impressum<br />

<strong>Mitteilungen</strong> des Fachverbands Philosophie e.V.<br />

Herausgeber: Der Bundesvorstand des Fachverbands<br />

Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes:<br />

Dr. Bernd Rolf, Hubertusstr. 123, 47623 Kevelaer<br />

Tel. 02832-7392, Fax 02832-970652, E-Mail: DrBRolf@aol.com<br />

www.fv-philosophie.de<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

4<br />

das Titelbild dieses Heftes, ein Porträt Albert Einsteins, verweist auf das Einstein-<br />

Jahr 2005, zu dem sich in diesem Heft einige Beiträge finden. Neben Anregungen für<br />

den Unterricht finden Sie verstreut im Heft Zitate des Wissenschaftlers und Denkers,<br />

die man mit Schülerinnen und Schülern aufgreifen kann.<br />

Ein Schwerpunkt dieses Heftes liegt beim Philosophieren mit Kindern. Abgedruckt<br />

sind zwei Vorträge der Tagung „Philosophieren mit Kindern im Primarbereich“, die der<br />

Fachverband Philosophie in Kooperation mit der GDSU und der Universität Oldenburg<br />

im April 2004 veranstaltete. Darüber hinaus finden Sie einen Entwurf für kompetenzbezogene<br />

Bildungsstandards für die Fächer der Fächergruppe Ethik/Philosophie in<br />

der Primarstufe – das vorläufige Ergebnis einer längerfristigen Zusammenarbeit von<br />

Vertretern der Fachverbände Philosophie und Ethik, des Humanistischen Verbandes<br />

Deutschlands/Landesgruppe Berlin sowie Vertretern der Fachdidaktik. Die Arbeitsgruppe<br />

erhofft sich davon einen bundesweiten Impuls zur Einrichtung entsprechender<br />

Fächer in der Grundschule. Die gemeinsame Arbeit der Verbände an den Bildungsstandards<br />

soll demnächst mit Blick auf die Sekundarstufe I fortgesetzt werden.<br />

Für den Unterricht in der Sekundarstufe II gibt es einen Beitrag zum Verhältnis von<br />

anschaulichem und abstrakten Denken und Vorschläge für dramatisierende und<br />

modellisierende Verfahren der Textinterpretation sowie einen Bericht über die<br />

Global-Marshall-Plan-Initiative mit einschlägigen Quellentexten.<br />

Der Fachverband Philosophie e.V. ist stolz darauf, Bundespräsident Horst Köhler als<br />

Schirmherr für einen bundesweiten Wettbewerb philosophischer Essay gewonnen<br />

zu haben. Bitte vervielfältigen Sie das Doppelblatt in der Mitte des Heftes, teilen Sie<br />

es Ihren Schülern und Schülerinnen aus und ermuntern Sie sie, sich an dem Wettbewerb<br />

zu beteiligen. Einsendeschluss ist der 31. Oktober 2005. Sollte diese Initiative<br />

des Fachverbandes erfolgreich sein, käme es in einem nächsten Schritt darauf an,<br />

den Essay-Wettbewerb bundesweit zu institutionalisieren.<br />

Bitte schenken Sie auch dem Aufruf zum Entwurf eines Logos Beachtung, der sich<br />

an alle gestalterisch Kreativen richtet, an Lehrer/innnen Schüler/innen. Der Fachverband<br />

Philosophie e.V. benötigt ein markantes Logo, das Wiedererkennungswert besitzt.<br />

Der Versuch, das Logo eines Landesverbandes (NRW) auf den Bundesverband<br />

zu übertragen, hat sich als nicht tragfähig erwiesen.<br />

Neben der Tagung des Bundesverbandes zum Philosophieren mit Kindern gab es im<br />

zurückliegenden Jahr zwei regionale Tagungen. Zwischen Hirnforschung und Philosophie<br />

– Anthropologie heute war das Thema einer Veranstaltung, die die Vorsitzende<br />

des Landesverbandes Baden-Württemberg vom 4.-6. Oktober 2004 in Calw organisiert<br />

hatte. Philosophie ist lehrbar hieß eine Veranstaltung des Landesverbandes<br />

Hamburg zu Standards des Philosophieunterrichts am 25./26.Februar 2005. Zu<br />

beiden Tagungen liegen Berichte vor.<br />

In diesem Heft werden drei Tagungen des Jahres 2005 angekündigt: Vom 26.-30.<br />

September findet in Berlin des XX. Deutsche Kongress für Philosophie zum Thema<br />

Kreativität statt. Traditionell gibt es dabei eine Sektion zu Philosophie und Ethik in<br />

der Schule. Unmittelbar davor (23.-25.September) liegt – ebenfalls in Berlin – eine<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


5<br />

Tagung des Fachverbands Ethik zum Thema Ethik als Brücke zwischen den Kulturen?<br />

Die Gesellschaft für antike Philosophie (GanPh) veranstaltet am 16./17. September<br />

in Hamburg eine Tagung mit dem Thema Zwischen PISA und Athen – Antike<br />

Philosophie im Schulunterricht.<br />

Eine Vorankündigung: Der nächste Kongress des Fachverbands Philosophie e. V.<br />

(Bundesverband) soll vom 22.-24. September 2006 in Münster stattfinden. Der Kongress<br />

wird Anlass sein, das 50jährige Bestehen des Fachverbandes Philosophie zu<br />

feiern. Die Einleidung dazu werden Sie in den nächsten <strong>Mitteilungen</strong> finden. Bitte<br />

merken Sie sich den Termin schon jetzt vor.<br />

Ihr<br />

Bernd Rolf<br />

Mitgliedsbeitrag 2005<br />

Mitglieder, die nicht am zentralen Einzug teilnehmen, werden gebeten, ihren Jahresbeitrag<br />

2005 auf das folgende Konto zu überweisen.<br />

Konto-Nr. 3407-601 bei der Postbank Frankfurt (BLZ 500 100 60), Kontoinhaber:<br />

Fachverband Philosophie e.V.<br />

Der Mitgliedsbeitrag beträgt für Kolleginnen/Kollegen im aktiven Dienst 20 €/Jahr, für<br />

Referendarinnen/Referendare und Kolleginnen/Kollegen im Ruhestand 8 €/Jahr, für<br />

Studentinnen/Studenten und Arbeitslose 5 €/Jahr.<br />

Wichtig: Bitte geben Sie auf dem Überweisungsträger auch den Landesverband<br />

an (z.B. „LV SH“ oder „LV NRW“), damit der Ursprung der Überweisung ermittelt<br />

und dem entsprechenden Landesverband der ihm gebührende Anteil am Mitgliedsbeitrag<br />

überwiesen werden kann.<br />

Dringende Bitte um<br />

Aktualisierung der Mitgliedsdaten<br />

Es ist nur zu verständlich, wenn Mitglieder es versäumen, dem Fachverband, mit dem<br />

Sie ggf. nur einmal im Jahr (beim Erhalt der <strong>Mitteilungen</strong>) zu tun haben, Änderungen<br />

ihrer persönlichen Daten mitzuteilen. Um so wichtiger ist es, an dieser Stelle daran zu<br />

erinnern.<br />

Geld ist allerorten knapp, auch im Fachverband Philosophie. Retouren beim zentralen<br />

Einzug der Mitgliedsbeiträge kosten uns je 7,50 Euro.<br />

Bitte vergessen Sie nicht, Ihrem Landesvorsitzenden alle relevanten Änderungen<br />

Ihrer persönlichen Daten (Anschrift, Kontoverbindung, Art der Mitgliedschaft)<br />

mitzuteilen.<br />

Vielen Dank!<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


6<br />

Nachrichten aus den Landesverbänden<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

Zum neuen Vorsitzenden des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen wurde auf der<br />

Mitgliederversammlung am 30. Juni 2004 in Bergisch-Gladbach Klaus Draken (Wuppertal)<br />

gewählt. Stellvertretende Vorsitzende bleibt Brigitte Wiesen, Schriftführer Andreas<br />

Siekmann, Kassierer Klaus Blesenkemper. Neu geschaffen wurden die Ämter<br />

von zwei Beisitzern, in die Eva-Maria Sewing (Bonn) und Katrin Gülden-Klesse (Werl)<br />

gewählt wurden.<br />

In Nordrhein Westfalen wurde zum Schuljahr 2003/04 das Fach Praktische Philosophie<br />

eingeführt für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I aller Schulformen,<br />

die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Ziel ist es vorrangig, das Fach flächendeckend<br />

in der 9. und 10. Klassen einzurichten; Praktische Philosophie kann aber auch<br />

schon in den Klassen 5 - 8 unterrichtet werden. - Seit dem Wintersemester 2004/05<br />

gibt es das Lehramtsstudium Philosophie/Praktische Philosophie. Zur Zeit wird an einer<br />

Regelung gearbeitet, die Referendarinnen und Referendare in den Studienseminaren<br />

für Praktische Philosophie auszubilden. - Die zweijährigen Studienkurse für<br />

Praktische Philosophie an den Universitäten laufen aus. Die Fortbildungskurse bei<br />

den Bezirksregierungen (halbjährig für ‚Philosophen’, einjährig für ‚Nichtphilosophen’)<br />

sollen weiterhin stattfinden. – Die Aufgaben für die schriftliche Abiturprüfung werden in<br />

Nordrhein-Westfalen ab 2007 zentral gestellt. Entsprechende Vorgaben zu unterrichtlichen<br />

Voraussetzungen für das Fach Philosophie sind seit Februar 2005 in Kraft. -<br />

Weiterhin ist geplant, die Abiturprüfung ab 2011 bereits nach der 12. Klasse durchzuführen.<br />

Derzeit wird noch beraten, welche Folgen dies für die Fächer Philosophie und<br />

Praktische Philosophie in der 10. Klasse haben soll, die dann als Vorbereitungsphase<br />

auf die zweijährige Oberstufe dient.<br />

Hessen<br />

Dr. Johann Maier hat nach mehr als zehnjähriger Tätigkeit im März 2005 nicht mehr<br />

für den Landesvorsitz kandidiert. Da kein Nachfolger gefunden werden konnte, wird<br />

seine Stellvertreterin Dr. Susanne Nordhofen für ein Jahr lang kommissarisch die Geschäfte<br />

des Vorsitzenden übernehmen. Als Schriftführerin kam Dr. Roswitha Kant neu<br />

in den Vorstand.<br />

Die Zukunftschancen des Hessischen Landesverbandes werden zunehmend positiv<br />

eingeschätzt. Dafür spricht vor allem die wachsende Studentenzahl für das Lehramt<br />

am Gymnasium. Seit 2002 besteht dieser Studiengang an der Universität Frankfurt;<br />

allein im letzten Semester haben sich mehr als 50 Studentinnen und Studenten eingeschrieben.<br />

Brandenburg<br />

In Brandenburg gibt einige Mitglieder im Fachverband Philosophie und einige Sympathisanten,<br />

die sich regelmäßig treffen und untereinander austauschen, ohne dass sie<br />

sich als Verband organisiert haben. Ansprechpartner ist Reinhard Unverricht, Am<br />

Sportplatz 47, 14482 Potsdam.<br />

Bayern<br />

In Bayern existieren Überlegungen zur Gründung eines Landesverbandes Philosophie.<br />

Interessenten mögen sich entweder bei Hubertus Stelzer, Markt Rettenberg,<br />

melden (Hubertus.Stelzer@t-online.de) oder bei Dr. Klaus Zierer, Regensburg<br />

(klaus.zierer@web.de).<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


7<br />

Silke Pfeiffer<br />

Philosophieren mit Kindern<br />

Versuch einer Bestandsaufnahme<br />

Das Philosophieren mit Kindern in Deutschland kann auf eine lange Tradition zurückgreifen,<br />

die eng mit dem Austragungsort der Konferenz verbunden ist. Die Stadt Oldenburg<br />

hat zwei Persönlichkeiten hervorgebracht, die zu den Begründern des Philosophierens<br />

mit Kindern in Deutschland gehören.<br />

Johann Friedrich Herbart, der über den deutschen Sprachraum hinaus als Klassiker<br />

der Pädagogik gilt, ist 1776 in Oldenburg geboren und dort aufgewachsen. Unterricht<br />

sollte nach Herbart erziehend sein und nicht nur Kenntnisse in Form von ruhendem<br />

Wissen vermitteln, sondern geistige Tätigkeit. Der Unterricht habe das Kind zur Tugend<br />

zu befähigen, indem es bei ihm ein vielseitiges Interesse hervorruft. Ziel ist eine<br />

Systematisierung eigener Erfahrungen, die offen bleibt für künftige Erfahrungen, Korrekturen,<br />

Erweiterungen und neue Systematisierungen des eigenen Gedankenkreises.<br />

Die dabei ausgeübte Tätigkeit nennt Herbart „Philosophieren" (vgl. Herbart 1984, S.<br />

31 ff).<br />

Eine Bronze Büste im Cäcilienpark erinnert an den Philosophen Karl Jaspers, der<br />

1883 in Oldenburg geboren wurde. 1949 schreibt Karl Jaspers in seinem Vortrag „Was<br />

ist Philosophie?":<br />

„Ein wunderbares Zeichen dafür, dass der Mensch als solcher ursprünglich<br />

philosophiert, sind die Fragen der Kinder. Gar nicht selten hört man aus Kindermund,<br />

was dem Sinne nach unmittelbar in die Tiefe des Philosophierens<br />

geht. Ich erzähle ein Beispiel:<br />

Ein Kind wundert sich: 'Ich versuche immer zu denken, ich sei ein anderer,<br />

und bin doch immer wieder ich.' Dieser Knabe rührt an einen Ursprung aller<br />

Gewissheit, das Seins- des Ichseins, diesem aus keinem anderen zu Begreifenden.<br />

Er steht fragend vor dieser Grenze.<br />

Ein anderes Kind hört die Schöpfungsgeschichte: Am Anfang schuf Gott<br />

Himmel und Erde ..., und fragt alsbald: 'Was war denn vor dem Anfang?' Dieser<br />

Knabe erfuhr die Endlosigkeit des Weiterfragens, das „Nicht-halt-machen-<br />

Können des Verstandes, dass für ihn keine abschließende Antwort möglich<br />

ist" (Jaspers 1980, S. 41).<br />

Vor dem Hintergrund seiner Bewunderung für das unbefangene Philosophieren der<br />

Kinder und seinem Verständnis der klassischen Philosophie kommt er im Nachdenken<br />

über die grundsätzliche Frage: Was ist Philosophie? zu einer ambivalenten Einschätzung:<br />

„Was Philosophie sei und was sie wert sei, ist umstritten. Man erwartet von ihr<br />

außerordentliche Aufschlüsse oder lässt sie als gegenstandsloses Denken<br />

gleichgültig beiseite. Man sieht sie mit Scheu als das bedeutende Bemühen<br />

ungewöhnlicher Menschen oder verachtet sie als überflüssiges Grübeln von<br />

Träumern. Man hält sie für eine Sache, die jedermann angeht und daher einfach<br />

und verstehbar sein müsse, oder man hält sie für so schwierig, dass es<br />

hoffnungslos sei, sich mit ihr zu beschäftigen" (ebd.).<br />

Was Jaspers hier der Philosophie zuschreibt, trifft für die Sichtweisen auf die Kinderphilosophie<br />

gleichermaßen zu. Die einen stellen heraus, dass schon kleine Kinder<br />

Fragen stellen, die an die Gedanken großer Philosophen erinnern, dass sie über seine<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


8<br />

Fähigkeit zum Staunen, Fragen und Weiterfragen verfügen, die man ihnen gar nicht<br />

zugetraut hat. Die anderen fordern, dass sich die Schule den wirklich wichtigen Dingen<br />

zuzuwenden habe, dass Kinder erst einmal über die Basisfähigkeiten Lesen, Sehreiben,<br />

Rechnen verfügen müssen, bevor man sich dem Luxus des Philosophierens zuwenden<br />

könne.<br />

Fakt ist, Kinder haben Fragen, die auch ein philosophisches Interesse deutlich machen.<br />

Dieses Interesse erwächst häufig aus Alltagssituationen, für die ein Sich-<br />

Wundern, ein Unsicher-Sein, ein Nicht-Verstehen und Gründe-Wissen-Wollen charakteristisch<br />

ist. Solche Fragen können sein: Warum machen Menschen Feuerwerke?<br />

Warum machen manche Menschen Krieg? Gibt es Wunder?<br />

Nicht immer erschließt sich dem Betrachter das Frageinteresse der Kinder sofort und<br />

mitunter fällt es dem Kind gar nicht leicht Rückfragen zu beantworten.<br />

Wie entsteht ein Hund? Zu dieser Frage erklärt Lisa: „Ich weiß schon, wie ein Hund<br />

entsteht, wir haben selbst Hunde zu Hause. Aber mich wundert das trotzdem, dass ein<br />

Hund wie ein Hund aussieht, dass der nicht z. B. Flügel hat. Wer hat sich denn das<br />

ausgedacht, dass Hunde so aussehen?<br />

Hinter einer scheinbar banalen Frage wurde ein grundsätzliches ontologisches Interesse<br />

deutlich, das danach fragt, warum die Dinge so und nicht anders sind, ein Interesse,<br />

das sich in alle Bereiche der Philosophie erstrecken kann. Die Vertreter der unterschiedlichen<br />

kinderphilosophischen Konzepte eint die Überzeugung, dass die Auseinandersetzungen<br />

mit grundsätzlichen Fragen der Kinder für die Herausbildung tragfähiger<br />

Orientierungen von großer Bedeutung sind. In diesem Sinne kann Philosophieren<br />

mit Kindern der Versuch sein, „durch Denken Unsicherheit zu reduzieren"<br />

(Schmidt 1999, S. 80). Wie das im Kontext der Kinderphilosophie geschehen kann,<br />

dazu gibt es differenzierte Standpunkte. In den letzten dreißig Jahren haben sich international<br />

zwei Strömungen entwickelt: Philosophie für Kinder und Philosophieren mit<br />

Kindern. Grundgedanke der Philosophie für Kinder, wie sie z. B. Matthew Lipman vertritt,<br />

ist, dass sich die logisch-argumentative Denkfähigkeit von Kindern durch die Auseinandersetzung<br />

mit Geschichten gezielt fördern lässt. Philosophieren ist in diesem<br />

Zusammenhang durch drei Merkmale gekennzeichnet: das Klären von Begriffen, das<br />

Anwenden bestimmter Denkfertigkeiten („reasoning skills") und das Reflektieren über<br />

diese Denkfertigkeiten. Dieser Ansatz ist wesentlich durch Methodisches bestimmt<br />

(vgl. Lipman 1978, 1988). Vertreter des Philosophierens mit Kindern, wie z. B. Gareth<br />

Matthews, gehen von einem eher inhaltlich-existentiellen Verständnis von Philosophie<br />

aus. Sie betonen das natürliche Bedürfnis des Kindes zu philosophieren. Mit welchen<br />

Methoden gearbeitet wird, ist dabei nicht entscheidend (vgl. Matthews 1991, 1995).<br />

Beide Ansätze stellen heraus, dass es nicht darum gehen kann, fachwissenschaftliche<br />

Bestände der Philosophie auf Kinderniveau zu bringen, sondern darum, das eigenständige<br />

kreative und kritische Denken und selbstverantwortliche Handeln von Kindern<br />

zu fördern.<br />

Ausgehend von Lipman und Matthews, aber auch von anderen Philosophen, wie z. B.<br />

Cassirer und Blumenberg, und im Rückgriff auf Ansätze der Reformpädagogik, hat<br />

sich in den letzten Jahren ein grundschuldidaktischer und ein philosophiedidaktischer<br />

Diskurs entwickelt, der das institutionalisierte Philosophieren mit Kindern als durchgängiges<br />

Unterrichtsprinzip und das Philosophieren in einen eigens dazu zu etablierenden<br />

Fach thematisiert (vgl. Pfeiffer 2002). Nicht zuletzt geht es dabei auch um die<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


9<br />

„Das Denken um seiner selbst willen ist wie die Musik! […] Die Triebfeder wissenschaftlichen<br />

Denkens ist nicht ein äußeres Ziel, das man erstrebt, sondern die<br />

Freude am Denken. Wenn ich kein Problem zum Nachdenken habe, dann leite ich<br />

mit Vorliebe mathematische und physikalische Sätze wieder ab, die mir längst bekannt<br />

sind. Hier ist also gar kein Ziel da, sondern nur die Gelegenheit, um sich der<br />

angenehmen Tätigkeit des Denkens hinzugeben.“<br />

Frage, ob der Begriff des Philosophierens im Kontext des Arbeitens mit Kindern im bereits<br />

mehrfach angedeuteten Sinne überhaupt berechtigt ist. Helmut Schreier formuliert,<br />

dass „Philosophieren" und „Nachdenken" in gewisser Weise austauschbare Wörter<br />

sind, die mit der Intention der Abgrenzung zu einer Polarisierung zwischen Fachphilosophie<br />

und Pädagogik führen können. Eine solche Polarisierung würde sich z. B.<br />

auf Ansprüche an die Ausbildung auswirken und diejenigen, die „eine Lizenz zum Philosophieren"<br />

haben, von solchen trennen, die es „ohne Lizenz" tun (vgl. Schreier<br />

1999, S. 10). Das von Ekkehard Martens formulierte Philosophieverständnis weist Philosophieren<br />

als eine bestimmte Form von Nachdenken aus, auf dessen Grundlage<br />

über Voraussetzungen für das Philosophieren weiter nachgedacht werden kann.<br />

„Philosophie umfasst als Inhalt die Fülle möglicher Deutungen von Dingen, Ereignissen,<br />

Handlungen und uns selbst (Dabei kann es z. B. auch um solche Fragen gehen:<br />

Wer bin ich? Was macht mich aus? Was ist ein guter Freund? S. P.); als Haltung ist<br />

sie das ständige, prinzipiell unabschließbare Weiterdenken im Sinne eines Deutens<br />

von Deutungen (was darauf verweist, dass es nicht eine Wahrheit gibt, sondern dass<br />

die Suche danach ein individueller Prozess ist (S. P.); als Methode enthält sie die begrifflich<br />

argumentative Analyse sowie das ästhetische Deuten im weitesten Sinne zur<br />

Erweiterung, Vertiefung und Differenzierung von Deutungen (was auf eine beträchtliche<br />

Methodenvielfalt verweist, S. P.)" (Martens 1994, S. 14).<br />

Über die grundsätzliche Frage „Fach" oder „Prinzip" hinaus geht es im Diskurs um das<br />

Philosophieren um weitere Fragen:<br />

- Welchen Beitrag kann Philosophieren mit Kindern zur allgemeinen und grundlegenden<br />

Bildung und Erziehung leisten?<br />

- Lassen sich philosophische Interessen von Kindern inhaltlich näher bestimmen?<br />

- Mit welchen Methoden des Philosophierens lassen sich z.B. logisch-argumentative<br />

Denkfähigkeiten und Fähigkeiten zum ästhetischen Wahrnehmen und Deuten<br />

fördern?<br />

- Können Fähigkeiten zum Philosophieren systematisch geschult werden?<br />

- Wie können Lehrerinnen und Lehrer, die mit Kindern philosophieren, befähigt<br />

werden, diesen Prozess kritisch zu reflektieren?<br />

- Welche Auswirkungen hat regelmäßiges Philosophieren nicht nur auf die Kinder<br />

sondern auch auf ihre Lehrerinnen und Lehrer?<br />

- Philosophieren Jungen anders als Mädchen?<br />

Diese Fragen tangieren mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung nicht nur das Philosophieren<br />

mit Kindern im engeren Sinne, sondern alle Bemühungen mit Kindern im<br />

Grundschulalter über Sinn- und Wertfragen zu reflektieren, also auch den Religionsunterricht,<br />

das Fach Ethik und des Lebenskundeunterricht, wie er vor dem Hintergrund<br />

landesrechtlicher Regelungen in Berlin erteilt wird. Ich möchte im Folgenden einige<br />

Überlegungen zum „Philosophieren mit Kindern" in Mecklenburg-Vorpommern zur<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


10<br />

Diskussion stellen, die bei Befragungen von Lehrerinnen und Kindern während der<br />

Einführung des Faches deutlich geworden sind und die auch für die anderen bereits<br />

genannten Fächer von Bedeutung sein könnten.<br />

Bei der Befragung von Lehrerinnen (vgl. Pfeiffer 2002) wurden folgende Motivationen,<br />

eine Zusatzqualifikation für „Philosophieren mit Kindern" zu erwerben, benannt:<br />

- Etwas Neues lernen wollen<br />

- Schule verändern wollen<br />

- Berufliche Chancen verbessern<br />

- Mit den Fragen der Kinder besser umgehen lernen<br />

- Eigene Sinnfragen haben und nach Antworten suchen<br />

- Neue Menschen kennen lernen<br />

- Interesse an der Fachphilosophie haben<br />

Die Angaben legen die Schlussfolgerung nahe, dass hinsichtlich der Motivation eher<br />

ein reformerisches pädagogisches Interesse als ein Interesse an der Fachphilosophie<br />

dominiert. Am Ende der Ausbildung äußerten allerdings etwa 70 % der Befragten,<br />

dass sie glauben, durch die Auseinandersetzung mit Philosophie, eher in der Lage zu<br />

sein, philosophische Fragen (auch die der Kinder) zu verstehen und dass sie nicht<br />

vermutet hätten, welche Vielfalt an Deutungsangeboten die Philosophie in ihrer Geschichte<br />

hervorgebracht hat.<br />

Das Fach „Philosophieren mit Kindern" wird von den unterrichtenden Lehrerinnen als<br />

wichtig gegenüber anderen Fächern eingeschätzt; einige der Befragten halten es sogar<br />

für wichtiger als andere Fächer. Als Gründe werden benannt:<br />

- dass Kinder beim Philosophieren Probleme artikulieren, dass sie Dinge anfangen<br />

zu beobachten, die sie vorher nicht beachtet haben,<br />

- dass es einen wichtigen Beitrag zur Werteerziehung leistet, weil grundsätzliche<br />

Werte, wie Vertrauen und Mitgefühl nicht nur besprochen sondern praktiziert<br />

werden,<br />

- dass die Kinder lernen zuzuhören, eigene Meinungen zu bilden und fremde Meinungen<br />

zu akzeptieren,<br />

- dass das Philosophieren einen wichtigen Beitrag zur Denk- und Sprachentwicklung<br />

leistet,<br />

- dass die Gefühlsseite der Kinder stärker angesprochen wird als in anderen Fächern,<br />

- dass die Kinder mehr Selbstvertrauen bekommen.<br />

Hinsichtlich der Anforderungen im Unterricht bezogen auf die Fähigkeiten der Kinder<br />

werden folgende Probleme benannt:<br />

- Es mangelt den Kindern nicht an philosophischen Fragen und Ideen.<br />

- Sie sind es aber nicht gewohnt, diese Fragen weiter zu entwickeln.<br />

- Vielen Kindern fällt es aber schwer zuzuhören und Gedanken verständlich zu<br />

formulieren.<br />

- Es gibt immer einzelne Kinder, die am Unterricht nicht interessiert sind und dann<br />

stören.<br />

Bezogen auf die Lehrerinnenrolle schätzen die Befragten ein:<br />

- Man muss selber philosophische Fragen haben und nach Antworten suchen.<br />

„Ich möchte nichts als meine Ruhe haben und wissen, wie Gott die Welt erschaffen<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


11<br />

hat. Seine Gedanken sind es, die mich beschäftigen.“<br />

„Was mich eigentlich interessiert, ist, ob Gott die Welt hätte anders machen können;<br />

das heißt, ob die Forderung der logischen Einfachheit überhaupt eine Freiheit<br />

lässt.“<br />

- Es ist schwer, über einen längeren Zeitraum konzentriert zuzuhören und den<br />

Gedanken der Kinder zu folgen.<br />

- Es ist nicht möglich, viele Stunden Philosophieren hintereinander zu unterrichten,<br />

da es ein Höchstmaß an Konzentration und Flexibilität erfordert.<br />

Die Befragungen machten deutlich, dass die Lehrerinnen hohe Ansprüche an das<br />

Fach und die eigene Person stellen, dass die sich aber auch mit vielfältigen Problemen<br />

konfrontiert sehen.<br />

Zusammenfassend stellt sich das folgendermaßen dar:<br />

Problematisch wird empfunden:<br />

- die als nicht umfassend genug empfundene Ausbildung für das Fach,<br />

- kaum Fortbildungen,<br />

- hermeneutische Schwierigkeiten, die das Verständnis der Denkhorizonte der<br />

Kinder betreffen,<br />

- mangelhafte Rahmenbedingungen: Einsatz an mehreren Schulen, Philosophieren<br />

in Randstunden, übervolle Klassen.<br />

Der Blick auf die Perspektiven der Kinder macht deutlich, dass die Entscheidung für<br />

das Fach „Philosophieren mit Kindern" und nicht für den Religionsunterricht unterschiedlichen<br />

Motivationen folgt. Die Frage, warum sie sich für das Ersatzfach „Philosophieren<br />

mit Kindern" entscheiden, beantworten Kinder wie folgt (nach Häufigkeit der<br />

Nennung geordnet):<br />

- Da geht es um Themen, die mich interessieren.<br />

- Meine Freundin/mein Freund gehen auch zum Philosophieren.<br />

- Ich finde die Lehrerin gut.<br />

- Ich will nicht zum Religionsunterricht.<br />

- Der Unterricht hat mir schon im letzten Jahr Spaß gemacht.<br />

Kinder, danach befragt, was „Philosophieren mit Kindern" denn eigentlich sei, beziehen<br />

sich an erster Stelle auf subjektive Erlebnisse.<br />

- „Philosophieren ist mein Lieblingsfach, das kann ich gut."<br />

- „Da kann man alles aus sich rauslassen."<br />

- „Das ist manchmal ein bisschen langweilig."<br />

An zweiter Stelle auf Handlungsmöglichkeiten, die sie im Unterricht erlebt haben.<br />

- „Da kann man Fragen stellen, über die spricht man."<br />

- „Da kann man was erfinden."<br />

- „Manchmal malen wir auf, was wir denken."<br />

Es folgen Definitionen primär über den Inhalt<br />

- „Da spricht an über Fragen, die man nicht so einfach beantworten kann."<br />

- „Da geht es um Zeit und Tod."<br />

- „Wir haben auch über unsere Träume gesprochen."<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


12<br />

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Erfahrungen von Lehrenden und<br />

Kindern mit dem „Philosophieren mit Kindern" als Unterrichtsfach in Mecklenburg-<br />

Vorpommern für das Philosophieren in der Grundschule insgesamt ziehen?<br />

1. Die Akzeptanz des Philosophierens bei Lehrenden und Kindern resultiert erheblich<br />

aus der aktuellen Schul- und Unterrichtssituation. Beide Seiten wünschen sich eine<br />

stärkere inhaltlich-methodische Orientierung an den Fragen und Denkwegen<br />

der Kinder, als das in der Grundschule gegenwärtig der Fall ist.<br />

2. Lehrerinnen, die sich mit Möglichkeiten des Philosophierens im Rahmen einer<br />

Ausbildung grundsätzlich auseinandersetzen und es in ihren Unterrichtsalltag integrieren,<br />

fühlen sich herausgefordert, das eigene allgemeine Rollen- und Unterrichtsverständnis<br />

kritisch zu reflektieren.<br />

3. Eine vergleichsweise kurze berufsbegleitende Ausbildung, wie sie z. B. in Mecklenburg-Vorpommern<br />

in Ansätzen realisiert wird, kann nur Aspekte des Philosophierens<br />

mit Kindern thematisieren. Sie ist keine Garantie für erfolgreiches Philosophieren<br />

mit Kindern, aber immerhin eine Grundlage. Unklar ist bislang (zumindest<br />

mir), in welchem Verhältnis und welcher Bezogenheit aufeinander dabei<br />

Fachphilosophie und Fachdidaktik stehen sollten.<br />

4. Das Konzept des Philosophierens mit Kindern ebenso wie die anderen Konzepte<br />

können nur erfolgreich sein, wenn allgemeindidaktische Überlegungen, z. B. reformorientierte<br />

didaktische Modelle für Unterricht und Unterrichtsplanung, mit reflektiert<br />

werden.<br />

Die Vorstellung, das Philosophieren finde ausschließlich im Frontalunterricht statt,<br />

erscheint mir in diesem Zusammenhang ganz abwegig.<br />

5. Die Etablierung des Philosophierens als Fach bietet sowohl Möglichkeiten als<br />

auch Gefahren. Die Gefahren resultieren aus traditionellen Unterrichtsverständnissen<br />

von Lehrerinnen und Kindern, die sich nicht einfach abstreifen lassen, und<br />

allgemeinen Rahmenbedingungen von Schule (45-Minutentakt, Bewertungs- und<br />

Zensierungszwänge).<br />

6. Eine wissenschaftliche Begleitung und Erforschung der zahlreichen offenen Fragen<br />

ist dringend erforderlich, wird aber von den zuständigen Behörden nicht in<br />

ausreichendem Maße unterstützt. Deshalb ist eine institutionelle Anbindung an<br />

bestehende Verbände dringend erforderlich.<br />

7. Das Philosophieren mit Kindern kann wie Ethik, Lebenskunde und Religion einen<br />

wichtigen Beitrag zur Schulreform in der Grundschule leisten. Das ist in den Neuen<br />

Ländern in besonderem Maße der Fall, da die Fächer dort neu eingeführt wurden.<br />

Zusammenarbeit und der Erfahrungsaustausch aller Beteiligten auf unterschiedlichen<br />

Ebenen ist dringend erforderlich.<br />

Ich möchte zum Schluss meiner Ausführungen auf Herbart zurückkommen. Die Denkbewegung<br />

des Philosophierens wird von ihm nicht nur dem Zu-Erziehenden abverlangt,<br />

sondern gleichermaßen dem Erzieher. In der erfolgreichen philosophischen<br />

Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand wird der Erzieher zum echten Lernpartner<br />

des Schülers. Er verlässt die Rolle des Belehrenden, des Überlegenen, die eine<br />

lange Tradition ihm zuerkannt zu haben scheint. Er betritt neue Pfade - eine Notwendigkeit<br />

angesichts der aktuellen Schul- und Unterrichtspraxis, die nur einen Schluss<br />

zulässt: Kinder und Erzieher brauchen das Philosophieren mit Kindern als Fach und<br />

als Unterrichtsprinzip in allen Fächern.<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


13<br />

Literatur<br />

Bildungsministerium des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern: Rahmenplan Philosophieren<br />

mit Kindern. Schwerin 2004<br />

Herbart, J. F. (1824): Pädagogische Schriften. Bd. II. Stuttgart 1984 Jaspers, K.: Was ist<br />

Philosophie? München, 1980<br />

Lipman, M.: Growing up with Philosophy. Philadelphia 1978 Lipman, M.: Philosophy<br />

Goes to School. Philadelphia 1988<br />

Martens, E.: Philosophieren mit Kindern als Herzschlag (nicht nur) des Ethikunterrichts.<br />

In: Martens, E./Schreier, H. (Hrsg.): Philosophieren mit Schulkindern. Philosophie<br />

und Ethik in Grundschule und Sekundarstufe I. Heinsberg 1994<br />

Matthews, G. B.: Denkproben. Berlin 1991<br />

Matthews, G. B.: Die Philosophie der Kindheit; wenn Kinder weiter denken als Erwachsene.<br />

Weinheim 1995<br />

Pfeiffer, S.: Philosophieren mit Kindern - Versuch der Fundierung eines neuen Unterrichtsfaches.<br />

Pädagogische Schriften, Band 11. Göttingen 2002<br />

Schmidt, H. J.: Zum Philosophieren verpflichten? Unfrisierte Überlegungen eines Nichtphilosophen.<br />

In: Hastedt, H./Thies, C. (Hrsg.): Philosophieren in der Grundschule.<br />

Rostocker Philosophische Manuskripte, 1999, Heft 7, S. 79-84<br />

Schreier, H. (Hrsg.): Nachdenken mit Kindern. Aus der Praxis der Kinderphilosophie in<br />

der Grundschule. Bad Heilbrunn/Obb. 1999<br />

Silke Pfeiffer ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Pädagogik der Universität<br />

Oldenburg.<br />

Bei dem Text handelt es sich um eine gekürzte Fassung des Vortrags vom 23.04.04<br />

an der Universität Oldenburg. Der vollständige Text ist nachlesbar in der Dokumentation<br />

der Tagung Philosophieren mit Kindern in der Grundschule (vgl. S.18).<br />

Im Jahre 1932 sprach Einstein sein „Glaubensbekenntnis“ auf Schallplatte: Es endet<br />

mit folgenden Worten:<br />

„Ich bin zwar im täglichen Leben ein typischer Einspänner, aber das Bewusstsein,<br />

der unsichtbaren Gemeinschaft derjenigen anzugehören, die nach Wahrheit,<br />

Schönheit und Gerechtigkeit streben, hat das Gefühl der Vereinsamung nie aufkommen<br />

lassen. Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das<br />

Gefühl des Geheimnisvollen. Es liegt der Religion sowie allem tieferen Streben in<br />

Kunst und Wissenschaft zugrunde. Wer dies nicht erlebt hat, erscheint mir, wenn<br />

nicht wie ein Toter, so doch wie ein Blinder. Zu empfinden, dass hinter dem Erlebbaren<br />

ein für unseren Geist Unerreichbares verborgen sei, dessen Schönheit und<br />

Erhabenheit uns nur unmittelbar und in schwachem Widerschein erreicht, das ist<br />

Religiosität. In diesem Sinne bin ich religiös. Es ist mir genug, diese Geheimnisse<br />

staunend zu ahnen und zu versuchen, von der erhabenen Struktur des Seienden in<br />

Demut ein mattes Abbild geistig zu erfassen.“<br />

Ekkehard Martens<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


14<br />

Philosophische Methodenkompetenz -<br />

von Kindheit an<br />

Die Frage, was Philosophie ist oder sein soll, begleitet die Philosophie seit ihrem Beginn<br />

und wird wegen der Offenheit des Weiterdenkens nie abschließend beantwortet<br />

werden können, schon gar nicht durch Hinweis auf ein nebulöses „Wesen“ der Philosophie.<br />

Philosophie kann vieles sein und zu vielem gut sein. Die Antwortversuche reichen<br />

vom Denken des Weltganzen und rationalen Rechenschaftgeben bis hin zur revolutionären<br />

Weltverbesserung und persönlichen Lebenshilfe. Die Philosophen sind<br />

sich offensichtlich selber darüber uneins, was ihr Geschäft eigentlich ist. Die Uneinigkeit<br />

in der Sache führt in der Geschichte der Philosophie oft genug zu einer unsachlichen<br />

Polemik der sonst so vernünftigen Philosophen: „Philosophen beschimpfen Philosophen"<br />

und denunzieren sich wechselseitig als Pseudophilosophen oder „Afterphilosophen,"<br />

so etwa Schopenhauer über Hegel (vgl. Dietzsch 1996). Der Philosophenstreit<br />

lässt sich bis in die gegenwärtige Szene zwischen den unterschiedlichen philosophischen<br />

Richtungen verfolgen. Allerdings kann man den Streit nicht mehr oder<br />

weniger amüsiert als bloß akademisch oder als Streit um Worte abtun, da er praktisch<br />

recht folgenreich sein kann. In der Bildungspolitik etwa verschärft er die durchaus berechtigte<br />

skeptische Frage, was man denn im Philosophieunterricht - auf überprüfbare<br />

Weise - überhaupt lernen könne. Der interne Philosophenstreit kann aber auch die<br />

Unterrichtspraxis selbst beeinflussen, indem man entweder in Form einer schlechten<br />

Akademisierung wenigstens etwas an (welcher?) wissenschaftlicher Philosophie zu<br />

vermitteln versucht oder sich in eine schlechte Popularisierung alltagspraktischer Betroffenheit<br />

flüchtet.<br />

Was also ist und soll Philosophie, und dies speziell im Ethik- und Philosophieunterricht<br />

von der Grundschule an, unter welchen Bezeichnungen auch immer? Philosophie hat<br />

es zunächst mit bestimmten Inhalten oder Fragen zu tun, etwa was Erkennen, Gerechtigkeit,<br />

Gott oder der Mensch ist. Derartige Fragen werden allerdings auch im Alltag,<br />

in der Wissenschaft und in der Religion und Dichtung gestellt und machen daher<br />

allein noch keine Philosophie aus. Dennoch hat es die Philosophie in ihrer Tradition<br />

bis heute mit grundsätzlichen Fragen zu tun, für die Kant eine plausible Einteilung vorschlägt,<br />

nach der gegenwärtig auch viele Lehrpläne und Unterrichtsbücher gegliedert<br />

sind: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der<br />

Mensch? (Logik A 25/26) Sicher, Kants Fragen sind ihrerseits auslegungsbedürftig<br />

und etwa um die Fragen nach dem Schönen oder der Wirklichkeit zu ergänzen, auch<br />

müssen sie keineswegs im Sinne seiner Transzendentalphilosophie beantwortet werden.<br />

Dennoch stellen sie ein geeignetes Suchschema bereit.<br />

Philosophische Inhalte und Fragen allein reichen allerdings nicht aus, wenn man Philosophie<br />

angemessen definieren will. Nicht derjenige kann bereits philosophieren, der<br />

einfach nur grundsätzliche Fragen stellt und entsprechende Antworten versucht, sondern<br />

erst derjenige, der auch in einer bestimmten Haltung mit seinen Fragen und Antworten<br />

umgeht. Die typisch philosophische Haltung lässt sich als Fähigkeit zum Staunen<br />

(Martens 2003b) charakterisieren. Im Unterschied zum Alltagswissen, zur Religion<br />

oder zur Wissenschaft geht der Philosoph von keinen gesicherten Phänomenen und<br />

Vormeinungen aus, sondern stellt sie gerade verwundert in Frage. Allerdings reicht<br />

auch die Haltung des Staunens oder radikalen Infragestellens nicht aus, um Philosophie<br />

zu definieren. Zum einen gibt es Alltagsskeptiker, denen sowieso prinzipiell alles<br />

fragwürdig oder ungewiss erscheint, und auch die Wissenschaft ist durch eine radikale<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


15<br />

Fragehaltung des Erklärenwollens charakterisiert. Zum anderen fragt die Philosophie<br />

nicht nur, sondern versucht auch Antworten zu geben.<br />

Die Fragestellungen und Antwortversuche der Philosophie aber und ihre Haltung sind,<br />

wie bei jeder Wissenschaft, durch eine bestimmte Methode gekennzeichnet. Daher<br />

gehört zur philosophischen Kompetenz nicht nur die Fähigkeit, grundsätzliche Fragen<br />

zu stellen und sie in einer grundsätzlichen offenen Haltung auszuhalten, sondern sie<br />

auch zu bearbeiten zu versuchen. Vor allem dies lässt sich unter den institutionellen<br />

Bedingungen der Schule gradweise lernen und überprüfen. Kinder oder Laien können<br />

zweifellos tiefsinnige Fragen stellen und in einer Haltung der Offenheit zu beantworten<br />

versuchen. Was ihnen aber in der Regel fehlt, ist die Fähigkeit, derartigen Fragen<br />

und möglichen Antworten mit einem Zuwachs an Erkenntnis genauer nachzugehen.<br />

Zur philosophischen Kompetenz gehört nach übereinstimmendem Selbstverständnis<br />

der Tradition und der gegenwärtigen Fachdisziplin in erster Linie die Fähigkeit, nicht<br />

nur etwas zu meinen, sondern seine Meinungen, wenn sie Anspruch auf Erkenntnis<br />

haben sollen, auch zu erläutern und zu begründen. Die philosophische Kompetenz ist<br />

daher nicht in erster Linie durch bestimmte Inhalte oder eine bestimmte Haltung zu<br />

charakterisieren, sondern vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, durch eine bestimmte<br />

Methode. Philosophische Kompetenz ist primär Methodenkompetenz.<br />

Offensichtlich vollziehen alle Philosophen bei ihrem Erkenntnisstreben - mehr oder<br />

weniger - folgende Reflexionshandlungen:<br />

- etwas genau und differenziert beobachten und beschreiben<br />

- jemanden verstehen, wie er etwas versteht oder ansieht<br />

- begrifflich und argumentativ prüfen, was jemand zu verstehen gibt<br />

- einander widersprechen und miteinander über Behauptungen streiten<br />

- sowie schließlich phantasieren und sinnieren, wie man etwas verstehen<br />

könnte oder möchte.<br />

Die genannten Reflexionshandlungen sind bereits von Kindheit an mit dem ersten<br />

Sprechenlernen angelegt, indem wir die Wirklichkeit oder Welt, in der wir im weitesten<br />

Sinne leben, zu begreifen versuchen. Schon Kinder im Vorschulalter können beschreiben,<br />

verstehen, prüfen, streiten und sinnieren, und dies auch im Hinblick auf<br />

grundsätzliche Fragen. Versteht man philosophische Kompetenz als Methodenkompetenz<br />

unterschiedlicher Reflexionshandlungen, w i e man „sich über etwas beugt" (lat.<br />

reflectere), um es besser erkennen zu können, lässt sie sich in einer naiven, d. h. eher<br />

unbeholfenen und undurchdachten Weise bereits bei kleinen Kindern ebenso wie bei<br />

jedem feststellen. Allerdings lassen sich diese ersten eher unbeholfenen Reflexionshandlungen<br />

durchaus verbessern. Wir können mehr oder weniger gut oder gekonnt<br />

philosophieren. Den Übergang von einem unbeholfenen, naiven zu einem elementaren,<br />

einfachen Philosophieren kann man vor allem an den sokratischen Frühdialogen<br />

Platons studieren, den Übergang zum wissenschaftlichen Philosophieren dann an Platons<br />

späteren Dialogen, noch deutlicher an den Vorlesungsschriften des Aristoteles -<br />

dem ersten Philosophieprofessor - sowie im Laufe der Philosophiegeschichte bis hin<br />

zur Herausbildung der gegenwärtigen Philosophie als einer wissenschaftlichen Disziplin.<br />

Dabei lässt sich verfolgen, wie sich die elementaren zu wissenschaftlichen Reflexionshandlungen<br />

in den einzelnen Denkrichtungen entwickeln:<br />

- zum phänomenologischen Philosophieren als Beobachtungen beschreiben<br />

(z.B. Husserl, Merleau-Ponty)<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


16<br />

- zum hermeneutischen Philosophieren als fragen und verstehen von jemandem<br />

(z.B. Schleiermacher, Gadamer)<br />

- zum analytischen Philosophieren als Begriffe und Behauptungen klären<br />

(z.B. Wittgenstein, Frege)<br />

- zum dialektischem Philosophieren als jemandem widersprechen und miteinander<br />

streiten (z.B. Marx, Hegel)<br />

- und schließlich zum spekulativen Philosophieren als sinnieren und phantasieren<br />

(z.B. Bloch, Sloterdijk).<br />

Die Behauptung, dass sich Philosophie letztlich aus der Umgangssprache heraus<br />

entwickelt, ist generell keineswegs neu. So behauptet etwa - im Rahmen des von Johannes<br />

Rohbeck durchgeführten Methoden-Projekts - auch der Dresdner Philosophieprofessor<br />

Thomas Rentsch: „Alle genuin philosophischen Methoden entspringen<br />

[...] konkreten alltäglichen Sprach- und Handlungszusammenhängen und sind deren<br />

Hochstilisierungen: Dem Verstehen und Fragen entspringt die Hermeneutik, dem Beschreiben<br />

die Phänomenologie, dem Streiten und Widersprechen die Dialektik, dem<br />

Nachfragen, Klären und Erläutern das Analysieren der Sprachanalyse" (vgl. Rentsch<br />

2002, S. 26f). Zu ergänzen wäre aber noch das spekulative Philosophieren, das aus<br />

dem Hang zum Phantasieren oder zum weit ausholenden Verstehen der Welt und des<br />

Lebens entsteht.<br />

Die beispielsweise in der sokratischen Methodenpraxis und in der aristotelischen Methodenreflexion<br />

(Nikomachische Ethik VII 1) vorfindbaren fünf elementaren Methoden<br />

des Philosophierens lassen sich quer zur Unterscheidung mündlich/schriftlich folgendermaßen<br />

als Fünf-Finger-Modell lesen, mit dessen Hilfe sich philosophische Probleme<br />

(auch in Texten) „händeln" oder bearbeiten lassen (vgl. Martens 2003a). Dabei<br />

lassen sie sich allerdings im prinzipiell unabschließbaren Prozess des Weiterdenkens<br />

in kein streng lineares Schema mit einem festen Anfang und Ende pressen, wenn sich<br />

auch unterrichtspraktisch die angegebene Reihenfolge von Phasen in den meisten<br />

Fällen empfiehlt. Die Methoden können helfen, einer der Philosophie oft unterstellten<br />

Trennung des konkreten vom abstrakten Denken vorzubeugen und den Blick auf die<br />

Phänomenfülle des Konkreten zu lenken, um so den „Zusammenwuchs" (lateinisch:<br />

„concretio") der impliziten Deutungsmuster, Begriffe und Argumente, kontroversen<br />

Sichtweisen sowie Spekulationen abstrahierend herauszuarbeiten und zu klären. Dabei<br />

lassen sich die verschiedenen Methoden ebenso wenig wie die verhandelten Probleme<br />

selbst nicht voneinander isolieren, sondern sind lediglich Akzente oder, in einem<br />

Bild gesprochen, Finger der gesamten Methoden-Hand. So ist die Phänomenwahrnehmung<br />

einer Situation oder eines Gegenstands immer schon durch bestimmte Deutungsmuster<br />

von etwas als etwas vorgeprägt; das Verstehen ferner basiert auf<br />

bestimmen Begriffen und Argumenten, die im Hin- und Herüberlegen geprüft und von<br />

Anfang bis Ende von Einfällen und Intuitionen durchzogen werden. Isoliert angewendet<br />

dagegen führen die einzelnen Methoden sowohl in der Unterrichtspraxis als auch<br />

im universitären Lehrbetrieb leicht zu den bekannten philosophischen Krankheiten des<br />

Wahrnehmungsbreis, der Texthuberei, der Haarspalterei, des Gelabers und des Herumspinnens.<br />

Philosophische Methodenkompetenz ist - wie die üblichen Kulturtechniken des Lesens,<br />

Schreibens und Rechnens - eine Kulturtechnik und kann schrittweise gelernt,<br />

eingeübt und überprüft werden. Während das weit verbreitete Zwei-Klassen-Modell<br />

„Der normale Erwachsene denkt über die Raum-Zeit-Problematik kaum. Das hat er<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


17<br />

seiner Meinung nach bereits als Kind getan. Ich hingegen habe mich geistig derart<br />

langsam entwickelt, dass ich erst als Erwachsener anfing, mich über Raum und Zeit<br />

zu wundern. Naturgemäß bin ich dann tiefer in die Problematik eingedrungen als<br />

die normal veranlagten Kinder.“<br />

einer bloß vorläufigen, propädeutischen Philosophie einerseits und einer richtigen,<br />

akademischen Philosophie andrerseits die Kinder- und Laienphilosophie „der Vielen"<br />

von der wahren Philosophie „der Wenigen" ausschließt, ist Philosophieren als Graduierungs-Modell<br />

im Prinzip für jeden möglich. Ähnlich wie bei Atem- oder Maltechniken<br />

handelt es sich auch beim Philosophieren als Kulturtechnik ferner um eine handwerklich-kreative,<br />

keineswegs aber um eine technizistische oder mechanisch anwendbare<br />

Technik. Das Philosophieren ist stets auf Einfälle und Intuitionen angewiesen, erst<br />

recht auf die freie Einsicht und Zustimmung der Philosophierenden. Außerdem ist zu<br />

betonen, dass Philosophieren als Kulturtechnik neben dem formalen Wissen und<br />

Können auch untrennbar bereits eine inhaltliche Materialkunde mitenthält. Wer etwas,<br />

eine Situation oder ein Problem, genauer zu beschreiben versucht, sollte auch Beobachtungen<br />

und Deutungen anderer Personen, Zeiten und Kulturen kennen und einbeziehen<br />

(implizit ist unser Denken und Sprechen sowieso immer schon – hermeneutisch<br />

– vorgeprägt). Schließlich bedeutet das spezifisch kulturelle Moment der Kulturtechnik<br />

des Philosophierens dreierlei. Sie ist zunächst ein Erbe unserer europäischen<br />

Kultur und zugleich Menschenrecht des Selbstdenkens. Ferner ist sie ein Mittel zur<br />

Gestaltung unserer demokratischen Kultur, das speziell in einer dramatischen Übergangszeit<br />

(Krise des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, Multikulturalität, Globalisierung<br />

etc.) besonders nützlich ist. Vor allem aber ist sie nicht nur ein nützliches und<br />

gutes Mittel zu einem guten Zweck des (demokratischen) Zusammenlebens, sondern<br />

sie ist Selbstzweck unserer Selbst-Kultivierung oder Persönlichkeitsbildung. Philosophieren<br />

stärkt unseren freien Blick und erweitert unseren Horizont. Auch philosophische<br />

Bildung aber will gelernt oder geschult sein.<br />

Zitierte Literatur:<br />

Dietzsch, Steffen (Hrsg.): Philosophen beschimpfen Philosophen. Leipzig 1996<br />

Martens, Ekkehard: Der Faden der Ariadne oder Warum alle Philosophen spinnen.<br />

Leipzig 2000<br />

Ders: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare<br />

Kulturtechnik. Hannover 2003a<br />

Ders.: Vom Staunen oder Die Rückkehr der Neugier. Leipzig 2003b<br />

Rentsch, Thomas: Phänomenologie als methodische Praxis. Didaktische Potentiale<br />

der phänomenologischen Methode. In: Rohbeck, Johannes (Hg.), Denkstile der<br />

Philosophie. Dresden 2002, S. 11 - 28 (= Jahrbuch für Didaktik der Philosophie<br />

und Ethik, Bd. 3)<br />

Ekkehard Martens ist Professor für Philosophiedidaktik an der Universität Hamburg,<br />

wissenschaftlicher Begleiter des Schulversuchs „Praktische Philosophie“ in NRW, Autor<br />

zahlreicher Veröffentlichungen zur Philosophie, zum Philosophieunterricht und zum<br />

Philosophieren mit Kindern. – Abgedruckt ist eine gekürzte Fassung des Vortrags vom<br />

23.04.04 an der Universität Oldenburg. Der vollständige Text ist nachlesbar in der Dokumentation<br />

der Tagung Philosophieren mit Kindern in der Grundschule (vgl. S. 18).<br />

Dokumentation der Tagung<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


18<br />

Philosophieren mit Kindern in der Grundschule<br />

Zum ersten Mal trafen sich bundesweit Wissenschaftler/innen, Lehrkräfte und andere<br />

Interessierte zu einer Tagung „Philosophieren mit Kindern in der Grundschule“ am<br />

23./24. April 2004 in der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Dabei ging es um<br />

eine Bestandsaufnahme des Philosophierens mit Kindern in Deutschland, sei es als<br />

Fach wie in Mecklenburg-Vorpommern oder als Unterrichtsprinzip wie an einer wachsenden<br />

Anzahl von Schulen in den übrigen Bundesländern. Die thematische Bandbreite<br />

reichte von eher theoretischen Überlegungen zum Philosophieren als elementarer<br />

Kulturtechnik über die Vorstellung neuerer Erfahrungen im Philosophieren über<br />

Bilder bis zur Darstellung und Erprobung vielfältiger Unterrichtsbeispiele.<br />

Die Dokumentation der Tagung ist im Buchhandel erhältlich:<br />

Denken als didaktische Zielkompetenz. Philosophieren mit Kindern in der Grundschule.<br />

Hrsg. von Hans-Joachim Müller und Silke Pfeiffer. Baltmannsweiler 2004<br />

Inhalt:<br />

Astrid Kaiser: Philosophieren mit Kindern – Besinnung in Zeiten der globalisierten Entgrenzung<br />

Ekkehard Martens: Philosophieren mit Kindern als elementare Kulturtechnik<br />

Silke Pfeiffer: Philosophieren mit Kindern – Versuch einer Bestandsaufnahmen unter<br />

besonderer Berücksichtigung des gleichnamigen Unterrichtsfachs in Mecklenburg-<br />

Vorpommern<br />

Barbara Brüning: Philosophieren in der Grundschule – Methoden und internationale Bilanz<br />

Hans-Joachim Müller: Gedanken symbolisieren – szenisches Interpretieren als Methode<br />

des Philosophierens<br />

Kerstin Michalik: Denken wir eigentlich immer im Unterricht?<br />

Horst Gronke: „Frag mich was!“ – „Was denn?“ Mit freien Fragen Philosophieren ermöglichen<br />

Bettina Uhlig: 7777777 „Details“ eines Lebens. Zum Philosophieren von Kindern mit<br />

Kunstwerken<br />

Mechtild Ralla: Kann ich Natur fühlen?<br />

Klaus Zierer: Mit Kindernh über Aspekte des Glücks Philosophieren<br />

Grit Marin: Philosophieren über „Irgendwie anders“<br />

Birgit Wegehaupt: Mit Kindern über die Natur nachdenken<br />

Heike Pasch: Mit Grundschulkindern über Zeit philosophieren<br />

Bezugsadresse: Schneider Verlag Hohengehren, Wilhelmstr. 13, 73666 Baltmannsweiler<br />

(Preis: 15 €)<br />

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19<br />

Arbeitsgemeinschaft Ethik/Philosophie<br />

Bildungsstandards<br />

für die Fächer Ethik, Humanistische Lebenskunde, LER<br />

Philosophie, Philosophieren mit Kindern, Praktische<br />

Philosophie, Werte und Normen<br />

in der Primarstufe<br />

Die Bildungsstandards für die oben genannten Fächer werden in Form von Kompetenzen<br />

beschrieben, deren Differenzierung in Bezug auf Dimensionen (Entwicklungsbereiche)<br />

erfolgt. Diese Kompetenzen werden durch ein stufenspezifisches Spektrum<br />

von Methoden und an Hand stufenspezifischer Inhalte vermittelt. Zwar werden die genannten<br />

Kompetenzen teilweise auch in anderen Fächern ausgebildet; in der Fächergruppe<br />

Ethik/Philosophie sind sie jedoch ausgerichtet auf eine ganzheitliche Auseinandersetzung<br />

mit Lebensfragen und Werthaltungen.<br />

Kompetenzen<br />

Die von den Schülerinnen und Schülern zu erwerbenden Kompetenzen umfassen personale<br />

Kompetenz, soziale Kompetenz, Fachkompetenz und Methodenkompetenz.<br />

Personale Kompetenz<br />

Schülerinnen und Schüler entwickeln zunehmend Selbstvertrauen, erkennen die eigene<br />

Rolle in bestimmten Lebenssituationen und lernen, die eigene Person mit ihren Fähigkeiten,<br />

Gefühlen, Empfindungen zunehmend angemessen in soziale und sachliche<br />

Zusammenhänge einzubringen. Verbunden damit ist die wachsende Fähigkeit, die<br />

Folgen des eigenen Handelns abzuschätzen und Grundlagen für die Entwicklung einer<br />

Persönlichkeit mit reflektierten Werten und Normen zu erwerben.<br />

Soziale Kompetenz<br />

Schülerinnen und Schüler erwerben die Fähigkeit, respektvoll und kritisch mit anderen<br />

Menschen und deren Überzeugungen und Lebensweisen umzugehen. Sie lernen, sich<br />

in andere einzufühlen, auf Argumente einzugehen und Konflikte zu lösen, Regeln zu<br />

vereinbaren, Verantwortung zu übernehmen und üben Teamfähigkeit.<br />

Fachkompetenz<br />

Schülerinnen und Schüler verstehen zunehmend Inhalte und erkennen Ordnungen<br />

und Strukturen in den verschiedenen Inhaltsbereichen der Fächergruppe Ethik/-<br />

Philosophie, die sowohl ethische und philosophische als auch weltanschauliche, religionswissenschaftliche,<br />

psychologische und sozialwissenschaftliche Fragestellungen<br />

umfassen. Dabei lernen sie, sich Informationen zu erschließen, Zusammenhänge herzustellen<br />

und sie mit fachlichen Begriffen zu benennen. Sie stellen Fragen, finden Lösungsansätze,<br />

erproben Anwendungsmöglichkeiten und formulieren sachliche Kritik.<br />

Methodenkompetenz<br />

Die Schülerinnen und Schüler lernen fachbezogene und fächerübergreifende Strategien,<br />

Verfahrensweisen und Arbeitstechniken kennen und wenden sie an.<br />

Dimensionen<br />

Die Dimensionen, in denen sich die genannten Kompetenzen ausdifferenzieren, umfassen<br />

die Entwicklungsbereiche Erfahrung, Wahrnehmung, Gefühl, Kommunikation<br />

und Interaktion, Denken, Urteilen sowie Planen und Handeln.<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


20<br />

Wahrnehmung<br />

Schülerinnen und Schüler beobachten gezielt Körper- und Sinneswahrnehmungen,<br />

Stimmungen und Affekte und deuten sie.<br />

Erfahrung<br />

Schülerinnen und Schüler tauschen Erfahrungen aus, lernen verschiedene (reale und<br />

mediale) Erfahrungsräume kennen, beobachten, vergleichen und deuten unterschiedliche<br />

Erfahrungen.<br />

Gefühl<br />

Schülerinnen und Schüler lernen es, Gefühle wahrzunehmen, auszudrücken, zu verstehen,<br />

sich in andere einzufühlen, mit den Gefühlen anderer umzugehen und erkennen<br />

die Bedeutung der Gefühle für das Menschsein.<br />

Kommunikation und Interaktion<br />

Schülerinnen und Schüler setzen sich mit Möglichkeiten nonverbaler wie verbaler<br />

Kommunikation, der Kommunikation mit Hilfe von Texten, Bildern und Symbolen und<br />

mit geschlechtsspezifischen und kulturellen Unterschieden von Kommunikation auseinander.<br />

Sie lernen, sich in Gruppen sowohl selbst zu behaupten als auch einzuordnen<br />

und üben sich in Kooperationsfähigkeit und Teamfähigkeit.<br />

Denken<br />

Schülerinnen und Schüler lernen es, Merkmale zu erkennen und zuzuordnen, Zusammenhänge<br />

zu erfassen, zu klassifizieren, Begriffe zu bilden und werden angeregt,<br />

Phantasie zu entwickeln.<br />

Urteilen<br />

Schülerinnen und Schüler bewerten Eindrücke und Informationen, wägen Gründe und<br />

Gegengründe ab, erkennen und benennen Widersprüche, bewerten Interessen und<br />

Motive, wenden Regeln und Normen an.<br />

Planen und Handeln<br />

Schülerinnen und Schüler formulieren Interessen, begründen Entscheidungen, entwickeln<br />

Handlungsmöglichkeiten und Handlungsstrategien in Auseinandersetzung mit<br />

Normen und Wertmaßstäben des Handelns.<br />

Kompetenzen Ethik/Philosophie - Primarstufe<br />

Wahrnehmung<br />

Personale<br />

Kompetenz<br />

• Selbstwahrnehmung<br />

entwickeln zu Körper,<br />

Sinne und Sinnlichkeit,Stimmungen,<br />

Bedürfnissen,<br />

Impulsen und Absichten,<br />

Gedanken<br />

Soziale<br />

Kompetenz<br />

• Fremdwahrnehmung<br />

entwickeln bei Mimik,<br />

Gestik, Stimme und<br />

Stimmung, Sprache<br />

(z.B. die vier Ebenen<br />

einer Botschaft)<br />

• Absichten, Impulse<br />

des Gegenüber erkennen<br />

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Fach-<br />

kompetenz<br />

• Wahrnehmung und Objekt<br />

in Beziehung setzen<br />

• Wahrnehmung und<br />

Deutung unterscheiden<br />

• Zusammenhang von<br />

Einstellung und Wahrnehmung<br />

erkennen


Erfah<br />

rung<br />

Gefühl <br />

Kommunikation<br />

und<br />

Interaktion <br />

Denken<br />

• Eigene Erfahrungen<br />

äußern<br />

• Beobachtungen und<br />

Deutung unterscheiden<br />

• Erlebnisse und ihre<br />

Bedeutung darstellen<br />

• Grundgefühle (z.B.<br />

Freude, Trauer,<br />

Angst) bei sich<br />

wahrnehmen, ausdrücken<br />

und verarbeiten<br />

• Um die Bedeutung<br />

von Gefühlen in der<br />

jeweiligen Situation<br />

wissen<br />

• Erlebnisse, Erfahrungen,Gedanken,<br />

Meinungen in<br />

Bildern, Bewegung<br />

und Sprache darstellen<br />

• Stimme und Stimmung<br />

im Sprechen<br />

ausdrücken Sich in<br />

Gruppenprozessen<br />

behaupten<br />

• Mit unterschiedlichen<br />

Arten der Rede-<br />

und Schriftsprache<br />

umgehen können<br />

• Eigene Fragen erkennen<br />

• Sich wundern<br />

• Zum Probedenken<br />

in der Lage sein<br />

• Zusammenhänge<br />

erfassen<br />

21<br />

• Erfahrungen austauschen:<br />

anderen und<br />

ihren Darstellungen<br />

zuhören<br />

• Unterschiede zwischen<br />

eigenem Erfahren<br />

und Erleben und<br />

dem anderer akzeptieren<br />

• Gefühle gegenüber<br />

anderen erkennen,<br />

ausdrücken, akzeptieren<br />

• Anteilnahme an den<br />

Gefühlen anderer<br />

(Mitfreude, Mitleid)<br />

• Einfühlung in fremde<br />

Lebenssituationen<br />

• Nonverbale Signale in<br />

Stimme, Mimik und<br />

Gestik registrieren<br />

und deuten<br />

• Zuhören und zusehen<br />

• Unterschiede zwischen<br />

der Meinung<br />

anderer und eigener<br />

akzeptieren<br />

• Sich in Gruppenprozesse<br />

einordnen<br />

• Probleme und Konflikte<br />

ansprechen und<br />

Konflikte verbal lösen<br />

• Fairness üben<br />

• Die eigenen Gedanken<br />

mit denen anderer<br />

vergleichen<br />

• Die Gedanken anderer<br />

aufnehmen und<br />

weiter denken<br />

MITTEILUNGEN 45/2005<br />

• Welterfahrungen und<br />

Weltdeutungen vergleichen<br />

• Originale und mediale<br />

Erfahrungen unterscheiden<br />

• Manipulation von Erfahrung<br />

erkennen<br />

• Formen von Gefühlen<br />

(Freude, Trauer, Angst,<br />

Aggression usw.) unterscheiden<br />

(und bewerten)<br />

• Bedeutung von Gefühlen<br />

für das Menschsein<br />

erkennen<br />

• Kommunikationsformen<br />

kennen und unterscheiden<br />

• Menschliche und tierische<br />

Kommunikation<br />

vergleichen<br />

• Geschlechtsspezifische<br />

Ausprägungen von<br />

Kommunikation hinterfragen<br />

• Kulturelle Unterschiede<br />

in der Kommunikation<br />

erkennen<br />

• Regeln der Kommunikation<br />

und Interaktion in<br />

der eigenen Kultur kennen<br />

und anwenden<br />

• Neugier und Staunen<br />

fördern<br />

• Meinen, Wissen und<br />

Glauben unterscheiden<br />

• Konkretisieren, zusammenfassen,abstrahieren,<br />

Analogien bilden<br />

• Ordnungen erkennen


Denken<br />

(Fs.)<br />

Urteilen<br />

• Die eigene Phantasie<br />

befragen<br />

• Sich selbst wertschätzen<br />

• Sich trauen, Stellung<br />

zu beziehen<br />

• Eigene Wertvorstellungen<br />

entwickeln<br />

und artikulieren<br />

• Regeln und Normen<br />

akzeptieren<br />

• Sich selbst beurteilen<br />

lernen<br />

22<br />

• Fremdes Denken tolerieren<br />

oder kritisch in<br />

Frage stellen<br />

• Andere wertschätzen<br />

• Sich auf andere Urteile<br />

einlassen<br />

• Andere Perspektiven<br />

einnehmen<br />

• Andere kritisch und<br />

fair beurteilen<br />

• Sich auf Regeln und<br />

Normen verständigen<br />

• Gruppenprozesse kritisch<br />

reflektieren<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.<br />

• Gewohnheiten hinterfragen<br />

• Philosophische Fragen<br />

stellen<br />

• Zwischen Person und<br />

Meinung unterscheiden<br />

• Urteile begründen<br />

• Widersprüche erkennen<br />

• Alternativen bedenken<br />

• Regeln, Normen und<br />

Werte im kulturellen<br />

Kontext kennen lernen<br />

und berücksichtigen


Unterrichtsinhalte<br />

23<br />

Die im folgenden aufgeführten Unterrichtsinhalte haben lediglich exemplarischen Charakter;<br />

eine differenziertere Darstellung bleibt den jeweiligen Lehrplänen überlassen.<br />

Aus der Aufzählung geht keine Reihenfolge für dir Behandlung im Unterricht hervor.<br />

- Ich<br />

- Gefühle<br />

- Glück und Wünsche<br />

- Angst und Mut<br />

- Vertrautes und<br />

Fremdes<br />

- Familie<br />

- Freunde<br />

- Abschied - Sterben -<br />

Trauer<br />

- Sich streiten - sich vertragen<br />

- Geben und nehmen<br />

- Gut und böse - gut und<br />

schlecht<br />

- Wahrheit und Lüge<br />

- Gerechtigkeit<br />

- Spielregeln und Fairness<br />

Berlin, den 5. Februar 2005<br />

Fachverband Ethik e.V.<br />

Peter Kriesel<br />

Vorsitzender<br />

Gesine Fuß<br />

Beauftragte für Grundschulen in Bayern<br />

Humanistischer Verband Deutschlands,<br />

Landesverband Berlin e.V.<br />

Jaap Schilt<br />

Vorsitzender<br />

MITTEILUNGEN 45/2005<br />

- Fantasiewelten, Medienwelten<br />

- Natur<br />

- Erfolg und Misserfolg<br />

- Tätig sein und arbeiten<br />

- Feste und Feiern in verschiedenen<br />

Kulturen und<br />

Religionen<br />

Fachverband Philosophie e.V.<br />

Dr. Bernd Rolf<br />

Vorsitzender<br />

Dr. Rainer Bartholomai<br />

Landesverband Sachsen-Anhalt<br />

Vertreter der Fachdidaktik an den<br />

Hochschulen<br />

Dr. Silke Pfeiffer<br />

Universität Oldenburg<br />

Dr. Frank Witzleben<br />

Technische Universität Berlin<br />

„Die letzten Generationen haben uns in der hochentwickelten Wissenschaft und<br />

Technik ein überaus wertvolles Geschenk in die Hand gegeben, das Möglichkeiten<br />

der Befreiung und Verschönerung unseres Lebens mit sich bringt...Dieses Geschenk<br />

bringt auch Gefahren für unsere Existenz mit sich, wie sie noch niemals<br />

schlimmer gedroht haben. Mehr als je hängt das Schicksal der zivilisierten Menschheit<br />

von den moralischen Kräften ab, die sie aufzubringen imstande ist. Deshalb ist<br />

die Aufgabe, die unsere Zeit gestellt ist, nicht etwa leichter als die Aufgaben, welche<br />

die letzten Generationen gelöst haben.“


24<br />

Winfried Kuchen<br />

Textfiguren<br />

Dramatisierende und modellierende Verfahren<br />

der Interpretation philosophischer Texte<br />

1. Idee und Anschauung<br />

Seit alters her sind die Philosophen auf die Idee gekommen, ihre Gedanken, abstrakte<br />

Vorstellungen also, in bildlich-konkreter Form darzustellen.<br />

Das mythologisch geprägte Denken vorsokratischer Zeit lebt mit und aus Bildern, so<br />

beispielsweise in Homers Gleichnissen. Platon und Aristoteles sind ohne Metaphern,<br />

Gleichnisse, Allegorien und Redefiguren nicht zu denken. Man erinnere nur die platonischen<br />

Gleichnisse im „Staat“ 1 oder Allegorien, Analogien, Personifizierungen, zum<br />

Beispiel die „elterlichen Gesetze im „Kriton“ oder das Gleichnis vom Sportler zur Verdeutlichung<br />

der Leib-Seele-Analogie ebendort. 2 Philosophische Bilderwelten sind bis<br />

in die Gegenwart zu erkunden und zu bestaunen.<br />

Die wohl bekannteste Verbindung der beiden Grundelemente des Vorstellens, des figurativen<br />

und analytischen Modus, findet sich in Kants Satz: „Gedanken ohne Inhalt<br />

sind leer. Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ 3 Kants berühmtes Diktum kann,<br />

obschon in die Jahre gekommen, die Leitlinie einer modernen Philosophiedidaktik<br />

vorgeben, insofern das, was bei Kant als notwendige und korrespondierende Formen<br />

des Erfahrens gedacht wird, auf das Verstehen, hier die unterrichtlichen Weisen des<br />

Vorstellens und Begreifens, zu übertragen wäre. Denn: Wer möchte schon, im Leben<br />

wie in der Schule, blind und gedankenlos zu Werke gehen?<br />

Auf der Suche nach einem ersten didaktischen Ansatzpunkt bietet sich R. Arnheims<br />

fast schon klassische Studie über „Anschauliches Denken“ 4 (Visual Thinking) an. Der<br />

Gedanke der konstitutiven Einheit von Bild und Begriff bietet, zumal in fächerübergreifender<br />

Hinsicht, ein brauchbares theoretisches Fundament, das allerdings fachlich zu<br />

spezifizieren wäre. Hier sollen jedoch zunächst, in einem ersten Zugriff, eher praxisbezogene<br />

Überlegungen und Erfahrungen zum Thema angeführt werden.<br />

2. Gedanken malen<br />

Einen konkreten Versuch, „Ideen zu malen“, legt 1987 in Italien Emanuele Gennaro<br />

vor, der die Teilnehmer einer Sommerakademie 5 mit seiner „Filosofia per Imagini“ 6<br />

und dem Werk „Pittura di Idee“ 7 verblüffte (vgl. Abb. 1 und das Titelbild dieses Heftes).<br />

Was man auf den ersten Blick für eine methodische Spielerei, eine Arabeske nur, halten<br />

konnte, entpuppte sich im Verlaufe des Vortrags als interessantes didaktisches<br />

Experiment. Es war der konkrete Versuch, ’Eisthesis’ und ’Noesis’ miteinander zu verknüpfen:<br />

„la raffiguratione estetica o anche poetico-emozionale“ einerseits und<br />

“l’inspiratione dal pensiero speculativo o scientifico” andererseits. 7 (1985) Ausdrücklich<br />

nicht intendiert wird dabei „la tendenza a banalizzare“, eine Banalisierung, ‚terrible<br />

simplification’, der Philosophie.<br />

Gennaro berichtet über seine Erfahrungen und praktischen Versuche mit Studenten,<br />

bildliche Darstellungen selbst zu konzipieren, philosophische Ideen, Gedankengänge,<br />

ja ganze Systeme („la filosofia di Kant“) zu malen. Dies mag verwundern, Puristen der<br />

Abstraktion gar befremden. Doch ist ein gewisser Erfolg, der in der Attraktion, Suggestion,<br />

dem Charme der Bildkraft liegt, nicht zu leugnen. Parallele Erfahrungen mit deutschen<br />

Schülern in der Oberstufe bieten zum Teil überraschende Einsichten über die<br />

(lern-) psychologische und didaktische Verknüpfung von Bild und Idee. Der entscheidende<br />

Vorzug gegenüber dem diskursiven Denken dürfte dabei in der Funktion des<br />

Bildmediums selbst liegen, das komplexe Sachverhalte, diffizile begriffliche Unterscheidungen<br />

und Verknüpfungen sozusagen ’auf einen Blick’, simultan und synoptisch<br />

zugänglich machen kann.<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


25<br />

Abb 1: Emanuele Gennaro, Kant: Sintesi logo-schematico del criticismo, in: Ders., Filosofia<br />

per Imagini, Genova 1985, S. 39.<br />

3. Die bildliche Gestalt des Textes<br />

3.1 Textfigur<br />

Der Begriff der „Textfigur“, den ich hier für die Visualisierung argumentativer Textstrukturen<br />

im Philosophieunterricht vorschlage, lehnt sich formal an die Redefiguren,<br />

genauer: „Satzsinnfiguren“ der klassischen Rhetorik an, z. B. Chiasmus, Parallelismus,<br />

Antithese. Inhaltlich und dem Sinn nach stütze ich mich auf frühe Versuche der<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


26<br />

Textlinguistik, z. B. den Sprachwissenschaftler und Strukturalisten H. Weinrich, der<br />

abstrakte grammatische Phänomene der Verblehre, so die Tempuswahl, durch die erhellende<br />

Metapher der „Reliefgebung“ veranschaulicht. 8 Er spricht z. B. im Zusammenhang<br />

mit den französischen Tempusformen der Vergangenheit („imparfait“ oder<br />

„passé simple / composé“) von der Wahl eines Vordergrund- und Hintergrundtempus,<br />

je nachdem, ob es sich in der Vorlage um einen Zustand und eine andauernde Handlung<br />

(„...il pleuvait depuis trois jours ...“) oder um eine neu eintretende und punktuell<br />

abgeschlossene Handlung handelt. („Tout à coup le soleil se leva.“)<br />

Diese grammatischen und semantischen Unterscheidungen legen für Weinrich eine<br />

Reliefgebung oder auch Dramatisierung von Texten in Form einer Bühnen- oder Theatermetaphorik<br />

nahe : Vorder- und Hintergrundtempus, das sind Protagonisten, Aktionen,<br />

Dialoge einerseits und Kulisse, Bühnenbild und Bühnenraum andererseits.<br />

Textpartien wären somit nach ihrem jeweiligen dramatischen Wert, z. B. Spannung,<br />

Klimax, Retardation, grammatisch und stilistisch zu differenzieren. Das Denkmuster<br />

einer zweidimensionalen Textoberfläche, die es chronologisch linear, als eine sequentiell<br />

abrufbare Information zu lesen gilt, hat damit zwar noch für die Zeichenfolge Gültigkeit,<br />

nicht aber für das von ihr Bezeichnete, das durch die Schriftzeichen semantisch<br />

Dargestellte.<br />

Den Begriff der „Figur“ verwendet die Didaktik schon seit längerem, so im Zusammenhang<br />

mit „Unterrichtsfiguren“, „Bauformen“, die K. Prange 9 in seiner Unterrichtslehre<br />

entwirft und die figurative Modelle von Unterricht mit je eigenen Artikulationsschemata<br />

darstellen. (1983, 184) Vor allem aber ist J. Grzesik zu nennen, der den pädagogischkognitionspsychologischen<br />

Begriff der „mental models“ 10 verwendet, die der Rezeption<br />

und dem Verstehen von Texten, im engeren Sinne dem Lernen von Begriffen und<br />

Begriffszusammenhängen dienen. Geordnete Informationsverarbeitung entsteht bei<br />

Texten nach diesem empirisch-psychologischen Ansatz durch eben diese „mental<br />

models“, topologische Interpretationsmuster der Interpreten. Grzesik behauptet eine<br />

funktionelle Komplementarität von Wort und Bild im Prozess der Analyse des Textes<br />

durch den Leser. Er bezeichnet den „figurativen Modus“ als notwendige Ergänzung zu<br />

dem „sequentiellen analytisch-synthetischen“ Format des Sprachmediums. (1990,91 f)<br />

Vorzüge der bildlichen gegenüber der sprachlichen Repräsentation sind demnach vor<br />

allem höhere Ökonomie, Integrationsleistung und Übersichtlichkeit der Darstellung<br />

durch die simultane und ganzheitliche Verbildlichung im Unterschied zur sequentiellen<br />

Anordnung. Lernpsychologisch begünstigt und fördert dies Aufmerksamkeit, Verstehen<br />

und Behalten. (H. Engels) 11<br />

3.2 Text als Bildwerk<br />

Unter der Vorstellung „Textfigur“ im Philosophieunterricht, die hier zu entwerfen ist,<br />

soll das Phänomen Text (im Rahmen eines textlinguistischen Textbegriffs nach Weinrich,<br />

d.h. Text verstanden als komplexes Geflecht immanenter Strukturen) wie folgt gefasst<br />

werden:<br />

Texte stellen dasjenige sprachliche Medium dar, durch das mehrdimensionale, komplexe<br />

begriffliche Strukturen repräsentiert werden, die häufig hierarchisch oder komplementär,<br />

zum Teil auch analog oder antithetisch zu einander arrangiert sind. Sie ergänzen<br />

und durchdringen einander, sind Teil eines Geflechts, eines Netzwerkes,<br />

das„unterhalb der Textoberfläche“ angelegt ist und als so genannte „Struktur“ durch<br />

den Rezipienten (wie ehedem den Autor selbst) allererst zu entdecken bzw. zu konstruieren<br />

ist. Entscheidend ist dabei die Vorstellung, dass Texte nicht simpel lineare<br />

und eindimensionale Gebilde sind. Als Prämisse gilt vielmehr die These von der<br />

Mehrdimensionalität von Texten, welche allererst deren figurative Darstellung erlaubt.<br />

Dies gilt, wie die Anwendung zeigen wird, überraschenderweise auch und gerade für<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


27<br />

so genannte „paradigmatische“ oder „auratisierte“ Texte, Texte philosophischer Klassiker<br />

also, fast schon kanonisierter Autoren, womit alte und moderne, zum Teil auch<br />

zeitgenössische Philosophen gemeint sein können. Texte eines gehobenen und dichten<br />

argumentativen Standards, den philosophische Texte gemeinhin beanspruchen,<br />

eignen sich durchaus für eine figurative Repräsentation. Keineswegs reduziert sich die<br />

anschauliche Darstellung auf literarisch-poetische Vorlagen eines Schiller und Nietzsche<br />

– oder neuerdings J. Gaarders „Sofies Welt“. (1993)<br />

4. Textgeometrie und Textverstehen<br />

4.1 Lineare Textstruktur und deren Rezeption und Darstellung in Sprache und Bild<br />

Am häufigsten angewandt wird in der Unterrichtspraxis bekanntlich dasjenige Lektüreverfahren,<br />

welches strikt der Textchronologie folgt. Zugrundeliegendes Prinzip ist dabei<br />

die Linearität, Eindimensionalität von Information und Entschlüsselung. Das bedeutet,<br />

dass die vordergründige Textinformation in ihrem sequentiellen Format rezipiert<br />

wird. Es handelt sich dabei häufig um das Verfahren der Paraphrase, des so genannten<br />

„textadäquaten“, meist parataktischen Nachvollzugs der Textvorlage, z. B. in<br />

einem Textreferat.<br />

Dieses vergleichsweise einfache Verfahren, fast schon Standardmethode des textgebundenen<br />

Unterrichts (zumindest in einer ersten Annäherung), stellt keine besonderen<br />

Anforderungen an die Selbstständigkeit des Interpreten. Bildlich gesprochen ist diese<br />

„Nacherzählung“ des Textes mit dem Aufreihen von Perlen auf einer Kette zu vergleichen.<br />

Im Blick steht die additive Rezeption und parataktische Wiedergabe – eine Struktur,<br />

die z. B. der Ethnologe C. Lévi-Strauss der „Pensée sauvage“, dem Fabulieren der<br />

Naturvölker bzw. generell naiv-unreflektiertem Denken zuordnet. Der Terminus „Reproduktion“<br />

bietet sich wegen seiner aktiven, produktiven Bedeutung hier nicht einmal<br />

an, obwohl die Lerntheorie ihn als unterste Zielstufe verwendet.<br />

4.2 Figürliche Textstruktur und mögliche Formen der Rezeption und Darstellung in<br />

sprachlich-begrifflicher und visueller Form<br />

Dehnt man den Textbegriff in die Zweidimensionalität aus, so erhält man die Vorstellung<br />

der Textoberfläche, die sich aus vielen sequentiellen Formen zusammensetzt<br />

und bereits eine differenzierte Struktur, ein z. B. zeitlich oder logisch strukturiertes<br />

System, enthält (vgl. Abb. 2). Als Vergleich führe ich Brettspiele an, deren Spielsteine<br />

jeweils einen konkreten Wert, eine bestimmte Bedeutung (Klasse von Zügen) besitzen,<br />

wie z.B. Dame und Bauer im Schachspiel, die über ihre Beziehung zu anderen<br />

Spielsteinen und damit über ihre Funktion im gesamten Spiel entscheidet.<br />

Im Text sind die Spielsteine die Begriffe. Wir haben es auf diesem Niveau bereits mit<br />

einer Analyse des Textes im eigentlichen Sinne zu tun, die im philosophischen Text z.<br />

B. über das Erfassen des Begriffsinventars dieses Textes sowie der Begriffsnetze und<br />

–systeme verläuft. Durch die Analyse kann sich eine Art „Strukturgitter“ ergeben, ein<br />

System von Hypotaxen und logischen Hierarchien, das einen „fokussierenden“ Zugriff<br />

der Interpretation ermöglicht. (vgl. N. Diesenberg: „Focus-Methode“ 12 )<br />

Die dieser Textdimension zugeordnete Technik der Begriffsnetze verlangt mehr als eine<br />

„synonyme Reproduktion“ des Textes (M. Gatzemeier), 13 nämlich die aktive Reorganisation<br />

der Textoberfläche unter leitenden Vorstellungen z. B. der Begriffshierarchie<br />

oder der „vorgängigen Frage“ (Gadamer) 14 , der Frage also, die dem Text vor Abfassung<br />

durch den Autor zugrunde und voraus liegt. Als Beispiel mag Gehlens These<br />

vom „Mängelwesen“ Mensch sowie das Bild des Menschen als „Prometheus“ dienen.<br />

Die Frage könnte lauten: Wodurch wurde – entgegen dem Prinzip der Evolution – das<br />

frühzeitige Aussterben des Mängelwesens verhindert? Eine derartige vorgängige<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


28<br />

Abb. 2: Schema der Textdimensionen (Textgeografie)<br />

1. Textlinie: Textinformation in additiver, textchronologischer Folge<br />

Verfahren: Kursorische Lektüre, Paraphrasen, Textreferate<br />

Lernziel: Textrezeption, sukzessive Wiedergabe<br />

2. Textfeld: Zweidimensionale Textstruktur, Text als System von Aussagen mit topologischer<br />

bzw. logisch-argumentativer Struktur<br />

Verfahren: Entwicklung von Begriffsnetzen, Clustern, Leitfragen, Antithesen<br />

Lernziel: Re-Produktion, Re-Organisation<br />

3. Textrelief: Textmodell in dreidimensionaler Auffaltung<br />

Verfahren: Aufdecken von Textfiguren, Bildnetzen, Dramaturgien, Angel- und<br />

Wendepunkten der Argumentation, Begriffskreisen, -pyramiden<br />

Lernziel: Kreative, dialogisierende, dramatisierende Textrezeption und Textproduktion<br />

4. Expansion in<br />

die Zeitdimension:<br />

Hermeneutisch-historisierende Reflektion:<br />

Problemherkunft, Deutungswandel, Historisches Verstehen<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


29<br />

Problemfrage überspannt als didaktische Leitfrage die Textanalyse. Sie liefert den Anfang<br />

und das vorweggenommene Ende des Denkweges und erzeugt die methodische<br />

Spannung einer Unterrichtsstunde auf immanente, intrinsische Weise.<br />

Die Vorstellung des dreidimensionalen Textprofils (Abb. 2) orientiert sich am Begriff<br />

der „Reliefgebung“ (s. o. Weinrich). Gemeint ist ein produktives Erfassen und Erarbeiten<br />

von Textinformation in einer eigentlichen Interpretation, nicht bloß Analyse: Modellierung<br />

statt Zergliederung. Die Verbindung von Horizontale und Vertikale erlaubt eine<br />

neue und zum Teil überraschende Perspektive, wie sie sich beim Schnitt durch einen<br />

Baumstamm (horizontal oder vertikal), als inneres Muster von charakteristischer Form<br />

(z. B. Jahresringe) ergibt. Der Text erscheint als profilierte Landschaft, ein Gebirge etwa,<br />

dessen Gipfelpunkte und Talsohlen ein eigenes und unverwechselbares Profil bilden.<br />

Dieses Profil, die innere Textgestalt, gilt es nun in der Auslegung, Interpretation<br />

des Textes zu entdecken, zu „entbergen“. Die dieser Dimension zugeordnete Technik<br />

ist eine weitgehend produktionsorientierte Erfassung, Veranschaulichung und Diskussion<br />

– „Dialog“ mit dem Autor. Der Text wird sozusagen an Hand von Extrema, bewusst<br />

anvisierten Fixpunkten, neu begriffen, modelliert.<br />

In diesem Sinne ist Textinterpretation ein kongenialer Akt des Interpreten zu dem des<br />

Autors und dadurch unterschieden von der so genannten „autoradäquaten“, den Argumentationsgang<br />

rekonstruierenden Technik. Sichtbar werden in diesem Verfahren<br />

logische Hierarchien, argumentative Zusammenhänge, rhetorische oder psychologische<br />

Leitsätze (’headlines’), welche die topologische Struktur, z. B. auch die Sprechakte<br />

des Textes, offen legen. Diese Struktur ist häufig nicht konform mit der eher monolitisch<br />

wirkenden Struktur der dargestellten Sache. Ziel ist es, ein Netzwerk aufzuspannen,<br />

das sich ausgehend von einfachen Behauptungen und ihrer Begründung<br />

über Folgerungen und Zwecksetzungen reflektierend erstreckt bis hin zu Axiomen und<br />

so genannten Letztbegründungen, zum Beispiel zum Kategorischen Imperativ Kants<br />

oder Platons Idee der Gerechtigkeit. In dem gesamten Vorgang konzentriert und spiegelt<br />

sich die genuin philosophische Denkbewegung der potenzierten Reflexion.<br />

In einer vierten Dimension lässt sich die bisher synchrone Textgeometrie um eine weitere<br />

Stufe, die der Zeitachse (Diachronie), erweitern. Thematisiert werden somit beispielsweise<br />

Epoche machende Denkmodelle, Schemata, Leitbilder. Konkret wäre zu<br />

nennen: Descartes’ Methode in ihrer Wirkung für die Entwicklung der naturwissenschaftlichen<br />

Weltsicht oder Platons Kosmos-Chaos-Modell als Leitbild einer teleologischen<br />

Geschichtstheorie.<br />

Hier wendet sich der Blick auf die Problemherkunft. z. B. auf Begriffsfiliationen, vorgängige<br />

Fragestellungen im Sinne Gadamers, welche die Textgenese bestimmen und<br />

heuristisch zu nutzen sind. Es geht also vor allem um den Primat der Hermeneutik im<br />

Sinn der Wirkungsgeschichte des Textes.<br />

5. Das Verfahren der Visualisierung von Textinterpretationen im Philosophieunterricht<br />

- Unterrichtsziele und -verfahren<br />

Angestrebt wird – in einer gestuften Reihenfolge – die aktive, produktive Textinterpretation<br />

in mehreren Dimensionen. Dies schließt einen kreativen Umgang mit Texten des<br />

Philosophieunterrichts, also auch mit Texten der ’auratisierten’ Sorte, durchaus ein.<br />

Die so genannten Klassiker sind für kreative – und zugleich verantwortungsbewusste! –<br />

didaktische Verwendung keineswegs zu schade. Vielmehr scheinen gerade die Platon,<br />

Descartes und Kant aufgrund des immanenten didaktischen Interesses und der<br />

markanten Anschaulichkeit ihrer Schriften eine Herausforderung für die didaktische<br />

Transformation darzustellen.<br />

Als Ziel unterrichtlicher Behandlung lässt sich nennen:<br />

• kongeniale Produktion versus („adäquate“) Rezeption<br />

• Öffnung, Visualisierung versus Hermetik abstrakter Terminologie<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


30<br />

• Dynamisierung, Dramatisierung versus Statik und Monotonie<br />

• ganzheitlich-synoptischer Zugriff statt kleinschrittiger („elementenhaft-synthetischer“)<br />

Vorgehensweise, cf. “kursorische Lektüre“<br />

Fazit:<br />

Wo die Anschauung im Philosophieunterricht fehlt (dem Schüler nach Hegel „Hören<br />

und Sehen“ vergehen soll 15 ), da verkommt dieser, wenngleich zum Teil auf „hohem“,<br />

nämlich abstraktem Niveau.<br />

Die Anstrengung des Begriffs – und auch ohne diese taugt alles nichts! – missrät zum<br />

bloßen „Verbalismus“. (Püllen 16 ) Vielleicht „besitzt“ oder gewinnt der Lehrer die philosophische<br />

Sache in ihrem fachlichen Kontext, doch verliert er den Schüler, um den es<br />

doch geht!<br />

Es gilt der Hilf- und Ideenlosigkeit so genannter Abbilddidaktik zu begegnen, die akademische<br />

Inhalte ungefiltert, ohne didaktisches Raffinement, in die Schule transportiert<br />

und den Schüler gleich welcher Stufe und Schulform – damit oft überfordert.<br />

6. Beispiele für Textfiguren<br />

Im folgenden werden unterrichtserprobte Beispiele inklusive der im Unterricht erstellten<br />

Skizzen und Grafiken vorgestellt.<br />

6.1 Descartes, Universaler Zweifel<br />

Descartes’ 1. Meditation - „Das Drama der Erkenntnis“<br />

Modellierung/Dramatisierung anhand von Textfiguren (gem. Synopse, Abb. 3)<br />

FIGUR 1 ANTITHETIK (Aufbau einer Problemspannung)<br />

Methode: Dialogisierung (fiktiver Dialog): Skeptiker – Realist<br />

Thema: Gewissheit der Außenwelt, Produktion schülereigener Dialoge;<br />

Textreorganisation unter antithetischem Aspekt; Auflösung der literarischen<br />

Form des Solilogs im Originaltext; selbständige Textredaktion<br />

Zweck/<br />

Motivation:<br />

Identifikationsangebot; Veranschaulichung durch den Perspektivenwechsel<br />

zweier Opponenten (Opposition von Skepsis und Alltagsverstand in<br />

einem Bewusstsein, vgl. Stefan Zweig: Schachnovelle, 1941)<br />

FIGUR 2 KLIMAX – GEDANKENEXPERIMENT 1<br />

Methode Dramatisierung: Schürzung des Knotens – die dreifache Intrige im Gedankenexperiment<br />

der radikalen Negation der Außenwelt: Sinnestäuschung<br />

– Traum – Deus malignus; Ziel: Falsifizierung der Realismus-<br />

Hypothese des natürlichen Bewusstseins<br />

Zweck/<br />

Motivation:<br />

Verstärkung des Problemdrucks und äußerste Denkprovokation (advocatus<br />

diaboli) durch schrittweise Beraubung der Außenwelt; Destruktion des<br />

natürlichen Bewusstseins: Subjekt als Theater-Metapher im Welt-Spiel<br />

FIGUR 3 STAFFEL-SCHACHTELMODELL („Matrioschka-Figur“)<br />

Methode: Radikalisierung und Universalisierung des Arguments (Zweifel an allem),<br />

Rückgriff auf Klimax und Vergleich der dreifach gestaffelten Negationsversuche<br />

mit zunehmend universalem Wert; maximale Belastung der<br />

Hypothese<br />

Zweck/<br />

Motivation:<br />

Descartes’ „Umsturz aller Meinungen“; extreme Erschütterung des Subjekts<br />

durch Generalangriff auf die Realität<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


Bundeswettbewerb philosophischer Essay<br />

für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I / II<br />

unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten<br />

31<br />

Denken – Weiterdenken – Selber Denken<br />

Hast Du Lust, selbst zu philosophieren? Nicht nur die Gedanken anderer<br />

nachzuvollziehen, sondern weiter zu denken, selbst zu denken und die eigenen<br />

Gedanken aufzuschreiben? Dann ist dieser Essay-Wettbewerb des<br />

Fachverbandes Philosophie das Richtige für Dich!<br />

Er steht unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Horst Köhler und<br />

hat das Ziel, das Interesse an philosophischen Problemen fördern und zum<br />

eigenständigen und originellen Denken beizutragen.<br />

Themen<br />

Es werden drei Themen vorgegeben, Zitate von Montaigne (1533-1592), der<br />

die Tradition des philosophischen Essays begründet hat, von Friedrich Schiller,<br />

dessen 200. Todestages in diesem Jahr gedacht wird, und Albert Einstein,<br />

dessen Todestag sich zum 50. Male jährt.<br />

„Man darf die Maske und den Schein nicht mit dem wirklichen Wesen verwechseln<br />

(Montaigne)<br />

„Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“<br />

(Friedrich Schiller)<br />

„Krieg kann man nicht humanisieren. Er kann nur abgeschafft werden.“<br />

(Albert Einstein)<br />

Aufgabe<br />

Zu einem der drei Themen ist ein Essay zu schreiben. Er soll in einer Arbeitszeit<br />

von ca. vier Zeitstunden verfasst werden und darf maximal vier Sei-<br />

ten umfassen (bezogen auf die Schriftart Times New Roman in Größe 12,<br />

drei Zentimeter Rand, einzeilig geschrieben).<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


32<br />

Im Kopf sollten der Name der Verfasserin bzw. des Verfassers, die Klasse<br />

bzw. Jahrgangsstufe, der Name der zuständigen Lehrkraft, die Schul- und<br />

Privatadresse (möglichst mit E-Mail- und Telefon-Verbindung) sowie das<br />

Bundesland angegeben werden.<br />

Einsendetermin<br />

Der Text sollte (möglichst maschinegeschrieben) bis zum 31. Oktober 2005<br />

eingesandt werden an den Vorsitzenden des Fachverbands Philosophie, Dr.<br />

Bernd Rolf, Hubertusstr. 123, 47623 Kevelaer, Stichwort Essay-Wettbewerb.<br />

Teilnahmebedingungen<br />

Teilnahmeberechtigt sind alle Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen<br />

I und II, die im laufenden Schulhalbjahr am Philosophie- oder Ethik-<br />

Unterricht oder Unterricht in Praktischer Philosophie teilnehmen. Philosophieschülerinnen<br />

und -schüler aus NRW werden gebeten, sich vorzugsweise<br />

am dortigen Landeswettbewerb Philosophischer Essay zu beteiligen, zu dem<br />

alljährlich im Oktober von den Bezirksregierungen aufgerufen wird, um eine<br />

Konkurrenz zwischen den beiden Wettbewerben zu vermeiden.<br />

Falls Lehrkräfte ihre gesamte Klasse oder ihren gesamten Kurs Essays<br />

schreiben lassen, sollten sie nur die zwei, allenfalls drei besten Essays<br />

einsenden, um die Jury zu entlasten.<br />

Prämierung<br />

Die Bewertung erfolgt zunächst auf Landesebene. Eine Jury, die sich aus<br />

Lehrerinnen und Lehrern des Fachverbandes Philosophie zusammensetzt,<br />

wählt unter den eingesandten Essays die jeweils besten drei der Sekundarstufe<br />

I und der Sekundarstufe II aus, die dann in den Bundeswettbewerb geschickt<br />

werden.<br />

Die im Bundeswettbewerb prämierten Arbeiten werden im Mitteilungsheft<br />

des Fachverbandes Philosophie veröffentlicht. Die Verfasser aller auf Landes-<br />

und Bundesebene prämierten Essays erhalten eine Urkunde.<br />

Bewertungskriterien<br />

Kriterien der Bewertung sind: Konzentration (Fokussierung) auf das Thema,<br />

Kohärenz (innere Stimmigkeit) der Arbeit, argumentative Überzeugungskraft,<br />

Anschaulichkeit (Absicherung durch Beispiele), Lebensweltbezug und Originalität.<br />

Zur Frage, ob Lehrkräfte inhaltliche, methodische oder redaktionelle Hilfestellung<br />

leisten dürfen: Jede allgemeine Beratung ist erwünscht: Wie erschließe<br />

ich ein Thema? Wie kann man einen Essay aufbauen? Aber konkrete<br />

(auf eine Wettbewerbsaufgabe bezogene) inhaltliche und sprachliche<br />

Verbesserungsvorschläge müssen aus Fairnessgründen unterbleiben.<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


Hier noch einige Tipps zum Verfassen von Essays<br />

33<br />

• Lies die Aufgabe mehrmals genau.<br />

• Du kannst Ideen dazu in einer mind-map sammeln.<br />

• Überlege, ob es zentrale Begriffe gibt, die zu klären sich lohnt.<br />

• Mache Dir klar, welche These Du in seinem Essay vertreten möchtest.<br />

• Überlege dir Pro- und Contra-Argumente zur These.<br />

• Grundsätzlich gilt: Jede Position sollte man so stark machen, wie es geht.<br />

Andernfalls kämpft man leicht gegen zu schwache oder selbst erdachte<br />

Gegner.<br />

• Überlege, welche philosophischen Kenntnisse Du in deine Argumentation<br />

einbauen kannst. Beachte dabei, dass Du diese Kenntnisse für<br />

die Argumentation fruchtbar machst und nicht nur deine Belesenheit<br />

zur Schau stellst. Wenn Du das Zitat, zu dem Du schreibst, nicht philosophiegeschichtlich<br />

einordnen kannst, muss das kein Nachteil sein.<br />

• Suche nach Beispielen, durch die Du deine Aussagen veranschaulichen<br />

kannst. (Denke z.B. an literarische Beispiele, biblische Geschichten<br />

und vor allem an eigene Alltagserfahrungen.)<br />

• Neben den Beispielen solltest Du auch abstrahierende Sätze formulieren<br />

(Prinzipien, Regeln formulieren oder zitieren).<br />

• Überlege Dir den Aufbau deines Essays. In der Einleitung sollte das Interesse<br />

des Lesers geweckt werden. (Was will ich überhaupt beim Leser erreichen?)<br />

Am Ende ist oft eine Zusammenfassung hilfreich.<br />

• Meist ist es für den Leser hilfreich, wenn Du dein methodisches Vorgehen<br />

explizit angibst.<br />

• Gliedere deinen Essay bei gedanklichen Einschnitten durch Absätze.<br />

(Mach nicht nach jedem Gedanken einen Absatz.)<br />

• Du kannst deinem Essay auch eine eigene Überschrift geben. (Es ist ratsam,<br />

die Überschrift erst nach Beendigung der Niederschrift zu formulieren.)<br />

• Unterscheide zwischen Wissen und Meinung.<br />

• Unterscheide empirisch zu lösenden Fragen von Fragen der philosophischen<br />

Reflexion.<br />

• Du darfst Fehler machen - schreibe ohne Perfektionsdruck („essai“<br />

heißt bekanntlich „Versuch“).<br />

Weitere Anregungen zum Essay-Schreiben:<br />

http://www.learnline.nrw.de/angebote/essaywettbewerbephilo/<br />

landeswettbewerb/hinweise.htm<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


Landesverband<br />

Hessen<br />

Landesverband<br />

Bremen<br />

34<br />

Landesverband<br />

Hamburg<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.<br />

Landesverband<br />

NRW<br />

Logo für den Bundesverband gesucht<br />

An dieser Stelle<br />

könnte das Logo<br />

des Fachverbands<br />

Philosophie e.V.<br />

stehen.<br />

Entwerfen Sie ein Logo für den Fachverband Philosophie e.V. !<br />

Dieser Aufruf richtet sich an Mitglieder des Fachverbandes und alle, die dem<br />

Fachverband verbunden sind, an Lehrerinnen und Lehrer wie an Schülerinnen<br />

und Schüler.<br />

Das Logo soll einen Bezug zum Fach Philosophie aufweisen, markant sein<br />

einen hohen Wiedererkennungwert haben.<br />

Beispiele von Landesverbänden des Fachverbands Philosophie, von anderen<br />

Verbänden und philosophischen Institutionen finden Sie auf dieser Seite.<br />

Ihren Entwurf senden Sie/Deinen Entwurf sende bitte bis zum 31.Oktober<br />

2005 an:<br />

Fachverband Philosophie, Dr. Bernd Rolf, Hubertusstr. 123, 47623 Kevelaer<br />

Der vom Vorstand des Fachverbandes Philosophie ausgewählte Entwurf<br />

wird mit einem Buchgeschenk im Wert von 50 € prämiert.


35<br />

FIGUR 4 APORIE – GEDANKENEXPERIMENT 2 (Der Strudel des Nihilismus)<br />

Methode: Potenzierung der Reflexion und Perpetuierung des Zweifels (das „Spiegelkabinett“)<br />

durch Selbstanwendung auf das Subjekt des Zweifelns;<br />

„Regressus ad infinitum“<br />

Zweck/<br />

Motivation:<br />

Äußerste Anspannung; Zuspitzung der Denkprovokation durch die zynische<br />

Vorstellung der Negation des Ichs (extremste Form des Selbstexperiments);<br />

Gorgias: Es gibt nichts – Descartes: Nicht einmal mich!<br />

FIGUR 5 LÖSUNG DES KNOTENS („Deus ex machina“)<br />

Methode: Abweis des infiniten Regresses (der Katastrophe des Ich) und Selbstvergewisserung<br />

des Zweifelnden Im Akt des Zweifelns selbst<br />

Zweck/<br />

Motivation:<br />

Entspannung, Auflösung, Befreiung vom Selbstexperiment des methodischen,<br />

radikalen und universalen Zweifels<br />

6.2 Sartre, Existentialismus<br />

Sartres Aufsatz: „Ist der Existentialismus ein Humanismus?“ 17 (Vortrag: L’existentialisme<br />

est un humanisme, Paris 1945, Maintenant-Club; deutsch: 1975) kann zu den<br />

Klassikern des Philosophieunterrichts gezählt werden, nimmt man die Häufigkeit seiner<br />

Behandlung in den verschiedenen Jahrgangsstufen als Grundlage.<br />

Mögliche Gründe liegen in der Anschaulichkeit und der immanenten Didaktisierung<br />

dieses Textes, der mit einem einprägsamen Beispiel, besser, einer Analogie (Mensch<br />

– Papiermesser), induktiv einsetzt und die habituelle Schrittfolge der Lernprogression<br />

einhält: Vom Einfachen, Bekannten, (Essenz-These der Tradition) zum Schwierigen,<br />

Neuen (Sartres Existenz-These). Zudem ist der Text relativ voraussetzungslos (historische<br />

Verweise sind ggf. eliminierbar) und damit anspruchslos. Kultureller und zeitgeschichtlicher<br />

Deutungshintergrund ist die existentialistische Strömung im Paris der<br />

Nachkriegszeit. Diese ist den Schülern wie schon das „Papiermesser“ („le coupepapier“),<br />

unerlässliches Handwerkszeug des Intellektuellen, weitgehend unbekannt<br />

und dennoch nicht auszublenden. Schwierigkeiten bietet auch die Figur der Analogie.<br />

Zu dem Unterrichtsthema: „Die Umkehrung der traditionellen Pole ’Essenz’ und ’Existenz’<br />

in Sartres philosophischer Anthropologie“ werden Schüler der Stufe 11 nach vorläufiger<br />

Präparation der Begriffe „Essenz“ und „Existenz“ (Arbeitsdefinitionen: Synonyma<br />

im Text und eigene Paraphrasen) zu individuellen Versuchen der Veranschaulichung,<br />

grafischen Strukturierung der Textpassage, aufgefordert (vgl. Abb 4).<br />

Den Schülern, die derartige Verfahren nicht erstmalig erproben, wird als methodisches<br />

Ziel eine „einprägsame und allgemeinverständliche“ Darstellung vorgegeben, die auch<br />

„nach Wochen“ noch nachvollziehbar“ sein soll. Dazu gelten, als Konsequenz aus früheren,<br />

z. T. sehr verwirrenden und letztlich kontraproduktiven Ansätzen, gewisse formale<br />

Regeln, die im wesentlichen dem allgemeinen Verständnis und einer dauerhaften<br />

Sicherung der Ergebnisse dienen:<br />

• einfache, übersichtliche Anlage (Format DIN-A 4)<br />

• sparsamer verbaler Anteil<br />

• eindeutige Verwendung von Zeichen/Symbolen<br />

Eine enge thematische Leitung ist durch den überschaubaren Text ohnehin gegeben.<br />

Diese ist allerdings unverzichtbar, da ansonsten lediglich eine „ungeregelte Evokation“<br />

von „wuchernden“ Vorstellungen, jedoch kein produktiver methodischer Effekt zu erzielen<br />

ist. (Grzesik, 1990, 247) Figurative Vielfalt hingegen ist ausdrücklich erwünscht.<br />

Die Aufgabe soll gerade in Ergänzung zum analytischen Modus begrifflicher Anstrengung<br />

eine Herausforderung für Assoziation, Imagination, formales Gestalten und<br />

Kreativität darstellen. Die Schüler sollen Texte und damit philosophische Ideen “anschaulich<br />

begreifen“ lernen.<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


Abb. 3: Descartes’ 1. Meditation - Schema komplementärer Textfiguren<br />

36<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


37<br />

Abb. 4: Sartre, Existentialismus<br />

Optimierte Strukturskizzen aus einem Schülerprotokoll<br />

Um Irrtümern vorzubeugen, sei gesagt, dass dieses Verfahren nicht als Universalmethode<br />

zu verstehen, sondern sparsam, im Sinne methodischer Variation, einzusetzen<br />

ist. Im anderen Fall drohen baldige Ermüdung der Schüler und Überdruss: Sie wollen<br />

(analytisch) lernen, „was Sache ist“.<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


38<br />

Ferner ist der Zeitaufwand nicht zu unterschätzen. Entwicklung, Präsentation und<br />

Auswertung im Unterricht (durch die Schüler selbst) verlangen, da „Ideallösungen“<br />

unwahrscheinlich und auch nicht intendiert sind, ein erhebliches Zeitkontingent und<br />

selbstverständlich lehrerseits sorgfältige Antizipation und Lernorganisation. Letzteres<br />

gilt vor allem für eine möglichst breite und damit allgemein motivierende Auswertungs-<br />

phase, in der gerade die „stilleren“ bzw. ansonsten weniger aktiven Schüler ein Forum<br />

erhalten. Dass Sachlichkeit und Solidarität die Kritik von Mitschülern bestimmen, sollte<br />

selbstverständlich sein. Für den Lehrer ist zudem möglichste Zurückhaltung und behutsame<br />

Kommentierung geboten. Die Erfahrung zeigt, dass Schüler selbst alsbald<br />

anschauliche und ansprechende von weniger hilfreichen Darstellungen unterscheiden<br />

und selbst verbindliche Kriterien für ihr Urteil entwickeln können. 18,19<br />

Als Qualitäten, die grafische Veranschaulichungen der Mitschüler als besonders bzw.<br />

weniger gelungen erscheinen lassen, gibt eine entsprechend vorbereitete Lerngruppe<br />

(Stufe 11) an:<br />

Einfachheit der Struktur, Anschaulichkeit, Orientierung am Text,<br />

Kombination begrifflicher und bildlicher Elemente, Konzentration<br />

auf wesentliche Momente, Komposition um ein Zentrum herum,<br />

relative Voraussetzungslosigkeit, leichte Verständlichkeit;<br />

ferner: Einfachheit, Übersichtlichkeit, Ordentlichkeit,<br />

Symmetrie der Komposition, Einsatz von ’Leitbegriffen’, Kreativität,<br />

Neugier weckend, Farbigkeit (Damast, 2000, S. 19 und 26)<br />

Die Vielzahl der Kriterien, wenn auch von einer begrenzten Probandenzahl relativ zufällig<br />

gesammelt, zeigt, dass Schüler selbst im Anfangsunterricht durchaus treffende<br />

Vorstellungen darüber entwickeln können, welchen Ansprüchen eine „Optimallösung“<br />

genügen sollte.<br />

Didaktisches Prinzip: Schüler- bzw. Dialogorientierung<br />

Bisherige Erfahrungen im Umgang mit visualisierenden Verfahren im Philosophieunterricht<br />

lassen sich in der Maßgabe zusammenfassen, dass die Lernorganisation konsequent<br />

am Schüler orientiert werden sollte.<br />

Mehr als in hergebrachten Verfahren des textgebundenen Unterrichts bildet der einzelne<br />

Schüler Ausgangspunkt und Zentrum des produktiven Geschehens, zu dem der<br />

Lehrer ’nur’ die Anleitung bietet. Der Lehrer schafft den Rahmen für das, was der<br />

Schüler mit zunehmender Übung immer anschaulicher und treffender ins Bild setzt.<br />

Voraussetzung ist ein großes Vertrauen in die Kraft der Vorstellung, das Potenzial an<br />

Imagination und Kreativität, jene „produktive Urteilskraft“, die nach Kant jedem Vernunftwesen<br />

eignet.<br />

Mindestens ebenso wichtig ist es, die Arbeit nicht mit der Präsentation möglichst zahlreicher<br />

Bild- und ’Kunstwerke’ zu beschließen. Der gerade für den Lernfortschritt, das<br />

Verstehen und Kommunizieren innerhalb der Lerngruppe ebenso wichtige Schritt besteht<br />

in der gründlichen sprachlichen Kommentierung durch den präsentierenden<br />

Schüler und der Diskussion der angesprochenen Mitschüler. Erst in diesem diskursiven<br />

Prozess arbeiten die Schüler ihr Verstehen an der Bildvorlage heraus. Das beharrliche<br />

Rückfragen, Erläutern und Verbessern ist konstitutiv für dieses Verfahren. Es<br />

dient zugleich der Klärung der Sachstruktur und der Herausbildung einer Dialogkultur.<br />

Unterrichtsschritte<br />

Um einen effektiven Einsatz visualisierender Textinterpretation zu ermöglichen, sollte<br />

auf ein ökonomisches Verhältnis von Aufwand und Ertrag, Produktion und Präsentation,<br />

geachtet werden. In der Artikulation der Lernschritte ist die Abfolge wie die Aus-<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


39<br />

dehnung der Elemente genau zu bedenken. Ein mögliches Artikulationsschema verläuft<br />

wie folgt:<br />

1. Zusammenfassung der (wesentlichen) Interpretationsmomente:<br />

begrifflich abstrakte Komprimierung – Inventar der Zentralbegriffe<br />

2. Thematische Fokussierung der Interpretation im Tafelanschrieb:<br />

Problemreduktion und Begrenzung des Vorstellungsrahmens – Problemfrage etc.<br />

3. Visualisierung nach schülereigenen Vorstellungen (Einzel- bzw.<br />

Hausarbeit), sparsame, aber verbindliche formale Vorgaben des Lehrers<br />

4. Präsentation ausgewählter Arbeiten (bzw. Ausstellung aller Arbeiten) durch die<br />

jeweiligen Produzenten.<br />

5. Erläuterung bzw. Kommentierung der Vorlagen durch Mitschüler (freiwillig)<br />

ggf. Fragen zum Verständnis<br />

6. Kritische Beurteilung von Einzelentwürfen, ggf. Ergänzung und Korrektur<br />

7. Evaluation ausgewählter Vorlagen; Vergleich, Bewertung nach festen Kriterien<br />

Anmerkungen<br />

1 Platon, Der Staat, 6. und 7. Buch (508 a – 518 a)<br />

2 Platon, Kriton, Kp. 13; Kp. 7 und 8<br />

3 Kant, I., Kritik der reinen Vernunft, A 51<br />

4 Arnheim, Rudolf, Anschauliches Denken (Visual Thinking, dt.). Zur Einheit von Bild und Begriff, Dt. Köln<br />

1972<br />

5 AIPPH – Association des Professeurs de Philosophie, Tagungsbericht 9 (Hg. E. Moll) Innsbruck 1988<br />

6 Gennaro, Emanuele / Vittorio Telmon (Hrsg.): Filosofia per Immagini, Savona, 1985<br />

7 Santagata, Antonio, Pittura di Idee, Genua 1983<br />

8 Weinrich, Harald, Tempus. Besprochene und erzählte Welt, Stuttgart (3)1977<br />

9 Prange, Klaus, Bauformen des Unterrichts, Bad Heilbrunn 1983, S. 184 f.<br />

10 Grzesik, Jürgen, Textverstehen lernen und lehren, Stuttgart 1990<br />

11 Engels, Helmut, „Anschauung, Anschaulichkeit“ in: H. Becker / W.D. Rehfus, Handbuch des Philosophieunterrichts,<br />

Düsseldorf 1986, S. 365<br />

12 Diesenberg, Norbert, „Immanuel Kant: Das Beispiel des falschen Versprechens. Vorschläge zur Anwendung<br />

der Focus-Methode“ in: N. Diesenberg /H.G. Neugebauer, Unterrichtsideen, Stuttgart 1996, S.<br />

201 f.<br />

13 Gatzemeier, Matthias: „Methodische Schritte einer Textinterpretation in philosophischer Absicht“, in:<br />

Kambartel/Mittelstraß (Hrsg.), Zum normativen Fundament der Wissenschaft, Frankfurt/M. 1973, S. 281 f.<br />

14 Gadamer, Hans-Georg, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen<br />

(2)1965<br />

15 Hegel, G.W.F., „Über den Vortrag der Philosophie auf Gymnasien. Privatgutachten für den Königlich<br />

Bayrischen Oberschulrat Niethammer (1812)“. In:Werke (Suhrk. TB) Bd. 4, S. 403-417<br />

16 Püllen, Karl, Die Problematik des Philosophieunterrichts an Höheren Schulen, Düsseldorf o. J. (1957),<br />

S. 88<br />

17 Sartre, J. P., “Ist der Existentialismus ein Humanismus?“ in: Ders., Drei Essays (Hg. W. Schmiele),<br />

Frankfurt / M. 1975: neu übers.: Hamburg, Rowohlt 2000 (22713)<br />

18 Damast, Thomas, Lesen, Sehen und Verstehen. Textverständnis und graphische Veranschaulichung<br />

im Philosophieunterricht, Siegburg 2000, Studienseminar (Examensarbeit)<br />

19 Seng, Martin, Subjektivität als freier Selbstentwurf – erarbeitet mit Hilfe von Strukturskizzen zu zentralen<br />

Textabschnitten aus Sartres Schrift „Ist der Existentialismus ein Humanismus?“, Düsseldorf 1998,<br />

Studienseminar (Examensarbeit)<br />

Winfried Kuchen ist Lehrer am Einhardt-Gymnasium in Aachen, Fachleiter für Philosophie<br />

an den Studienseminaren Aachen und Jülich, Veranstalter des Projekts „Philosophieunterricht<br />

in der Euregio“ (Deutschland/NRW-Frankreich-Luxemburg-Belgien).<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


40<br />

Das Einstein-Jahr 2005<br />

Anregungen für den Philosophieunterricht<br />

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat 2005 zum Einstein-Jahr erklärt.<br />

Der polnische Physiker und Friedensnobelpreisträger Joseph Rotblat ist der Initiator eines<br />

Appells führender Wissenschaftler zu einem International Einstein-Year. Anlass sind<br />

der 100. Geburtstag der Relativitätstheorie und der 50. Todestag des weltberühmten<br />

Wissenschaftlers. Zu würdigen ist aber nicht nur der geniale Physiker, sondern auch der<br />

Bürger und Pazifist, der Humanist und Visionär Einstein. Hier einige Anregungen, wie<br />

man das Denken Einsteins im Philosophieunterricht thematisieren kann.<br />

Wissenschaftstheorie:<br />

Die Spezielle Relativitätstheorie gilt als Musterbeispiel für einen Paradigmenwechsel<br />

(Kuhn): Das Newtonsche Weltbild wurde abgelöst mit der Besonderheit, dass die Gesetze<br />

der klassischen Physik als Spezialfall aus der neuen Theorie hervorgingen. Die tausendfache<br />

Verifizierung der relativistischen Gesetze durch Beobachtungen bzw. Messungen<br />

(in vielen Beschleunigern der Welt) verdeutlicht die Leistungsfähigkeit aus der -<br />

auf Gedankenexperimenten und strengen Deduktionen - beruhenden Theorie. Die theoretisch<br />

hergeleitete Formel E = mc 2 fand in der Hiroshima-Uran-Bombe und in der Nagasaki-Plutonium-Bombe<br />

eine furchtbare Bestätigung.<br />

Erkenntnistheorie/Ontologie<br />

Wie hängen Kants Anschauungsformen von Raum und Zeit mit Newtons Auffassung einerseits<br />

und Einsteins andererseits zusammen? Kants transzendentale Frage nach der<br />

"Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung" vertiefte die epistemische Diskussion zwischen<br />

Einstein und der Kopenhagener Schule (Niels Bohr, Werner Heisenberg, Carl<br />

Friedrich von Weizsäcker) um die Erkennbarkeit von Realität.<br />

Diese Frage drängt sich auch auf im Zusammenhang mit Einsteins Deutung des Fotoeffekts<br />

durch den Teilchencharakter des Lichtes - bis dahin wurde das Licht als Wellenphänomen<br />

aufgefasst (Welle-Teilchen-Dualismus).<br />

Ethik/Politik<br />

Bereits beim Ausbruch des 1. Weltkriegs war Einstein über den nationalistischen Militarismus<br />

seiner Kollegen tief erschüttert. Sein Pazifismus und Antimilitarismus begleitete<br />

ihn - trotz des Briefes an Roosevelt, den er aus Angst vor Hitler schrieb, um die Prüfung<br />

anzuregen, ob eine Atombome gebaut werden könne, - durch sein ganzes Leben. Der<br />

bekannte Brief an Russell von 1955, der auf die Abschaffung von Kriegen schlechthin<br />

zielte, war auf diesem langen Wege nur noch die letzte Handlung. Einstein unterstützte<br />

den Völkerbund nach dem 1. Weltkrieg und bedauerte dessen Versagen. Nach dem<br />

2.Weltkrieg förderte er den Aufbau der UNO als internationale Institution, die den Krieg<br />

abschaffen sollte.<br />

Facherübergreifender Unterricht<br />

Die Beschäftigung mit Einstein bietet nicht nur fächerübergreifende Verbindungen zu<br />

Physik, Geschichte, Politik, Sozialwissenschaften, Religion (s.o.), sondern auch zu<br />

Deutsch/Literatur. Dürrenmatts "Die Physiker", Kipphardts "In Sachen Oppenheimer",<br />

und Michael Frayns "Kopenhagen" greifen die mit der Atombombe verbundenen ethischen<br />

Fragen, die erst durch die Einstein-Formel E=mc 2 erst möglich wurde, literarisch<br />

auf.<br />

Ideen für Referate und Facharbeiten<br />

- Einstein und die Atomwaffen<br />

- Einstein und der Pazifismus<br />

- Albert Einstein und Albert Schweitzer<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


41<br />

- Einstein und die Gemeinschaft der Völker Einstein und die (Bürger)Rechte<br />

- Einsteins gesellschaftliche Visionen und die Zukunft<br />

Projektideen<br />

- Herstellung von Plakaten zum Thema Bürger Einstein<br />

- Erarbeitung eines Theaterstücks, das Jugendlichen Einstein in allen Aspekten<br />

seiner die Persönlichkeit nahe bringt<br />

- Drehen eines Video-Films zu Leben und Werk des Wissenschaftlers<br />

Literatur (Auswahl)<br />

- Carl Seelig (Hrsg.): Albert Einstein - Mein Weltbild. Frankfurt/M; Berlin 1959<br />

- Alice Calaprice (Hrsg.): Einstein sagt. Zitate – Einfälle – Gedanken, München<br />

1999<br />

- Ernst Peter Fischer: Einstein für die Westentasche. 2. Auflage, München 2005<br />

- Jürgen Neffe: Einstein. Eine Biografie. Reinbek 2005<br />

- Harald Fritsch: Eine Formel verändert die Welt. Newton, Einstein und die Relativitätstheorie.<br />

München 2001<br />

- Max Born: Die Relativitätstheorie Albert Einsteins. Berlin 2003<br />

- Dietmar Strauch: Onkel Albert und der Urknall. Frankfurt 1994 (Einsteins Theorien<br />

für Kinder erklärt)<br />

Internet:<br />

http://www.einsteinjahr.de<br />

(Informationen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zum Einstein-Jahr)<br />

http://einstein.bits.de/deutsch/buerger.htm<br />

(Projektseite zum Einstein-Jahr)<br />

http://einstein.bits.de/deutsch/presse/pk080604-1.htm<br />

(Presseinformationen und Downloads zum International Einstein-Year)<br />

www.quarks.de/relativ<br />

(Quarks und Co. zu Einstein und seinen Theorien)<br />

www.tat.physik.uni-tuebingen.de/~weiskopf/gallery/index.html<br />

(Seite der Uni Tübingen zu Einstein)<br />

Bernd Rolf<br />

„Was für eine Welt könnten wir bauen, wenn wir die Kräfte, die ein Krieg entfesselt,<br />

für den Aufbau einsetzten! Ein Zehntel der Energien, die die Krieg führenden Nationen<br />

im Weltkrieg verbrauchten, ein Bruchteil des Geldes, das sie mit Handgranaten<br />

und Giftgas verpulvert haben, wäre hinreichend, um den Lebensstandard in allen<br />

Ländern zu erhöhen sowie die Katastrophe der Arbeitslosigkeit in der Welt zu verhindern.<br />

Wir müssen darauf vorbereitet sein, für die Sache des Friedens die gleichen heroischen<br />

Opfer zu bringen, die wir widerstandslos für die Sache des Krieges gebracht<br />

haben. Es gibt nichts, das wichtiger ist und mir mehr am Herzen liegt. Was ich sonst<br />

mache oder sage, kann die Struktur des Universums nicht ändern. Aber vielleicht<br />

kann meine Stimme der größten Sache dienen: Eintracht unter den Menschen und<br />

Frieden auf Erden."<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


42<br />

Die Global Marshall Plan Initiative<br />

Frieden, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit sind gegenwärtig vor allem durch eine extreme<br />

wirtschaftliche Ungleichheit gefährdet. 50 Prozent der Weltbevölkerung müssen<br />

von weniger als 2 Euro pro Tag auskommen, 26.000 Menschen sterben täglich an<br />

Hunger und Mangel an sauberem Wasser. Die reichsten 20 Prozent der Staaten – das<br />

sind die Industriestaaten - besitzen über 85 Prozent des Welteinkommens Erschwerend<br />

kommt das rasche Wachstum der Weltbevölkerung in Richtung der 10-Milliarden-<br />

Grenze hinzu sowie das Hineinwachsen hundert Millionen weiterer Menschen in die<br />

ressourcenintensiven Lebensstile der großen Wirtschaftsnationen. Die Konsequenzen<br />

dieser Entwicklung werden die ökologischen Systeme überfordern und zu politischen<br />

Spannungen bis hin zu Terror und Krieg führen.<br />

Solche Einsichten sind nicht neu, dennoch wurde bislang kaum etwas unternommen,<br />

um die Weltordnung in eine friedenserhaltende und zukunftsfähige Richtung zu steuern.<br />

Schon vor gut zehn Jahren hat Klaus-Michael Meyer-Abich hat die Absurdität der<br />

ökonomisch-ökologische Lage der Welt durch folgenden folgendem Dreisatz gekennzeichnet:<br />

„Wir wissen, dass es so nicht weiter gehen kann – wir wissen, was zu tun ist –<br />

und doch geschieht nichts.“ Dies mag vielfältige Ursachen haben. Ein wesentlicher<br />

Faktor dabei ist die Tatsache, dass sich das weltweite Wirtschaftssystem als Konsequenz<br />

der wirtschaftlichen Globalisierung von nationalen Rahmenbedingungen ablöst<br />

und der Primat der Politik verloren geht, insofern die politischen Kernstrukturen nach<br />

wie vor national oder kontinental, aber nicht global sind.<br />

In dieser Situation ist die Zivilgesellschaft gefordert. So hat sich am 16. Mai 2003 in<br />

Frankfurt eine Gruppe von Nicht-Regierungs-Organisationen zu einer Initiative für einen<br />

Global Marshall Plan zusammengeschlossen. Zu denen, die diese Initiative unterstützen,<br />

gehören beispielsweise der Club of Rome, der Club of Budapest, die Stiftung<br />

Weltethos, der BUND. Ziel der Allianz ist es, weltweit Zivilgesellschaft, Wirtschaft und<br />

Politik für eine neue Ära der Zusammenarbeit zu gewinnen, um die Globalisierung sozial<br />

gerechter und ökologisch vertretbar zu gestalten.<br />

Die Initiative möchte dabei an den Erfolg des Marshall Plans der USA für Europa nach<br />

dem 2. Weltkrieg anknüpfen: George Marshall, Ökonomieprofessor der Universität<br />

Harvard, hatte 1947 einen Entwicklungshilfeplan für das vom Krieg zerstörte Europa<br />

aus der Taufe gehoben. Fast 12 Milliarden Dollar stellten die amerikanischen Steuerzahler<br />

zwischen 1948 und 1952 zur Verfügung, um den Aufbau einer friedlichen, stabilen,<br />

demokratischen und wirtschaftlich prosperierenden Völkergemeinschaft auf dem<br />

alten Kontinent zu garantieren. Was damals in Europa erfolgreich war, könnte nach<br />

Überzeugung der Gründer der Global Marshall Plan Initiative gegenwärtig als Modell<br />

dienen, den drohenden globalen Problemen zu begegnen.<br />

Die Überlegungen sind inspiriert durch Al Gores „Marshall Plan für die Erde“ 1 , Michael<br />

Gorbatschows „Manifest für die Erde“ 2 , Hans Küngs „Projekt Weltethos“ 3 und das von<br />

Kofi Annan initiierte Dokument „Brücken in die Zukunft“ 4 sowie schließlich durch die<br />

„Erdcharta“ 5 . Aufbauend auf diesen Ideen und Vorschläge wurde im Sommer 2003 die<br />

„Stuttgarter Erklärung“ 6 für eine Global Marshall Plan Initiative erarbeitet. Sie fand die<br />

Unterstützung von über hundert prominenten Persönlichkeiten wie Ernst Ulrich von<br />

Weizsäcker, Johan Galtung, Vittorio Hösle, Hans-Peter Dürr, Jakob von Uexküll u.a.<br />

2004 legte der Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler Franz Josef Radermacher<br />

in Zusammenarbeit in einem Bericht an die Global Marshall Plan Initiative einen<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


(Abb. Einstein)<br />

43<br />

"Was ein Mensch für seine Gemeinschaft wert ist, hängt in erster Linie davon ab,<br />

inwieweit sein Fühlen, Denken und Handeln auf die Förderung des Daseins anderer<br />

Menschen gerichtet ist."<br />

„Was können wir dazu beitragen, das Dasein der Menschen auf dieser kleingewordenen<br />

Erde zu sichern und erträglich zu machen?<br />

umfassenden Plan in Bezug auf das institutionelle Design, die Finanzierungsinstrumente<br />

sowie die Umsetzungsmethodik vor 7 .<br />

Langfristig strebt die Initiative an, die Regierungen aller Weltregionen, die Vereinten<br />

Nationen und internationale Organisationen für einen Planetary Contract für eine ökosoziale<br />

Marktwirtschaft zu gewinnen, in der Ökonomie, Soziales und Ökologie ein strategisches<br />

Dreieck bilden 8 . Es geht darum, wirtschaftlichen Wohlstand zu sichern, ohne<br />

den sozialen Frieden und die Natur zu gefährden. Wirklicher Friede, so die Überzeugung<br />

der Initiatoren, nur auf der Basis wirtschaftlicher Entwicklung, sozialer Gerechtigkeit<br />

und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, gedeihen.<br />

In einem ersten Schritt gilt es, die Umsetzung der Millennium Developement Goals zu<br />

erreichen, auf die sich vor fünf Jahren beim Milleniumsgipfel der Vereinten Nationen<br />

150 Staatsoberhäupter geeinigt haben. Bis zum Jahre 2015 soll die Anzahl jener Milliarde<br />

Menschen, die hungern oder keinen Zugang zu sauberem wasser haben, halbiert<br />

werden. Weiterhin ist angestrebt, die Kindersterblichkeit um ein Drittel zu senken und<br />

allen Kindern den Besuch der Grundschule zu ermöglichen.<br />

Zur Finanzierung dieser Maßnahmen bedarf es über die bisher weltweit ausgegebenen<br />

56 Milliarden Dollar für Entwicklungshilfe zusätzlicher 50 Milliarden Dollar pro Jahr<br />

(zum Vergleich: zur Finanzierung des Krieges in Afghanistan und Irak gaben die USA<br />

2003 allein 87,5 Milliarden Dollar aus). Die erforderlichen Mittel sollen durch eine<br />

hochkomplizierte Mechanik des internationalen Finanzsystems (Sonderziehungsrechte<br />

beim Internationalen Währungsfonds, Tobin-Abgabe auf globale Finanztransaktionen,<br />

Terra-Abgabe auf den Welthandel) aufgebracht werden.<br />

Die daraus entstehenden Wachstumsimpulse würden rund um den Globus die Grundlage<br />

für Wohlstand und Frieden bilden. Nach Untersuchungen von Franz Josef Radermacher<br />

könnte das Weltbruttosozialprodukt in 50 bis 100 Jahren verzehnfacht und<br />

gleichzeitig eine soziale Balance erreicht werden, wie sie heute beispielsweise in Europa<br />

vorliegt. Die Bruttoinlandsprodukte der Industrieländer würden sich dabei um das<br />

4fache, die der ärmeren Länder um den Faktor 34 erhöhen.<br />

Dass ein solcher Plan gelingt, hängt nicht allein von einigen Entscheidern in Politik<br />

und Wirtschaft ab. Ein grundlegender Wandel kann nicht „von oben“, sondern muss<br />

„von unten“ kommen. Dazu bedarf es der Entwicklung eines allgemeinen Bewusstseins<br />

für die gegenwärtigen Weltprobleme. Ervin Laszlo, der Gründer des Clubs of<br />

Budapest, hat darauf aufmerksam gemacht, dass das menschliche Bewusstsein ein<br />

Schlüsselfaktor für den Weg unserer Handlungen und die Entscheidungen über unsere<br />

Zukunft ist. 9 Daher kommt es darauf an, die Probleme unseres Heimatplaneten ins<br />

Bewusstsein möglichst vieler Menschen zu bringen, gleichsam ein planetarisches Bewusstsein<br />

zu entwickeln.<br />

Hier stehen natürlich die Lehrer und Erzieher in einer besonderen Verantwortung, an<br />

einer solchen Bewusstseinsbildung mitzuwirken. Insbesondere sind auch wir Philosophielehrer/innen<br />

gefordert. Friede, soziale Gerechtigkeit, Verantwortung gegenüber<br />

der Natur sind genuine Themen des Philosophie- und Ethikunterrichts. Material dazu<br />

kann man den folgenden Literaturangaben entnehmen. Anregungen finden sich aber<br />

auch unter den unten genannten Internetadressen.<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


44<br />

1 Gore, Al: Wege zum Gleichgewicht. Ein Marshallplan für die Erde, Frankfurt/M. 1992<br />

2 Gorbatschow, Michail: Mein Manifest für die Erde. Jetzt handeln für Frieden, globale<br />

Gerechtigkeit und eine ökologische Zukunft. Frankfurt/M. 2003<br />

3 Küng, Hans: Projekt Weltethos, 2. Aufl., München 1993.<br />

4 Annan, Kofi (Hrsg.): Brücken in die Zukunft. Ein Manifest für den Dialog der Kultu-<br />

ren. Frankfurt/M. 2001<br />

5 The Earth Charter Initiative (Hrsg.): The Earth Charter. Costa Rica 2000<br />

http://www.earthcharter.org<br />

6 abgedruckt in: Möller, Uwe u.a.: Global Marshall Plan. Mit einem Planetary Contract<br />

für eine Ökosoziale Marktwirtschaft weltweit Frieden, Freiheit und nachhaltigen<br />

Wohlstand ermöglichen. Stuttgart 2004<br />

7 Radermacher, Franz Josef: Global Marshall Plan – A Planetary Contract, Hamburg<br />

2004<br />

8 Riegler, Josef; Moser, Anton: Ökosoziale Marktwirtschaft, Graz und Stuttgart 1996;<br />

Radermacher, Franz Josef: Balance oder Zerstörung. Ökosoziale Marktwirtschaft als<br />

Schlüssel zu einer weltweit nachhaltigen Entwicklung, Wien 2002<br />

9 Ervin Laszlo: can change the world. Gemeinsam eine bessere Welt schaffen. Report<br />

des Club of Budapest, Stuttgart 2002<br />

Informationen im Internet:<br />

www.globalmarshallplan.org<br />

www.philosophers-today.com/whats-going-on/krieg-frieden.html<br />

www.gmpanschulen.org - www.gmpeducation.de<br />

Die Wahl unserer Zukunft:<br />

Zusammenbruch oder Durchbruch?<br />

Die Startbedingungen<br />

• […] wachsender Bevölkerungsdruck: Jedes Jahr kommen 70 Millionen Erdenbewohner<br />

hinzu, 97 Prozent davon in den armen Ländern.<br />

• zunehmende Armut: 2,8 Milliarden Menschen leben von täglich weniger als zwei<br />

US-Dollar, mehr als eine Milliarde davon unterhalb des Existenzminimums.<br />

• sich erweiternde Kluft zwischen reichen und armen Menschen sowie zwischen reichen<br />

und armen Ökonomien: 80 Prozent der Weltbevölkerung verbraucht 14 Prozent<br />

der Güter und Dienstleistungen, während die oberen 20 Prozent 86 Prozent<br />

verbrauchen.<br />

• wachsende Drohung eines sozialen Zusammenbruchs und eines Aufblühens blinder<br />

Gewalt in reichen wie armen Ländern […]<br />

• Nahrungs- bzw. Wasserknappheit, zum Beispiel in Afrika südlich der Sahara, China,<br />

Südasien, Mittelamerika<br />

• zunehmender Klimawandel (extreme Hitze- und Kältewellen, gewaltige Stürme,<br />

verändertes Niederschlagsverhalten)<br />

• zunehmende industrielle, städtische und landwirtschaftliche Verschmutzung: veränderte<br />

chemische Zusammensetzung der Erdatmosphäre, Verarmung der landwirtschaftlichen<br />

Nutzflächen, Senkung und Vergiftung des Grundwasserspiegels<br />

• Ansteigen des Meerwasserspiegels: Verlust von niedrig gelegenen Küsten- und<br />

Flusslandschaften in Südasien, Überflutung von Inselstaaten im Pazifik und Bedrohung<br />

von Küstenstädten in aller Welt<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


45<br />

Szenarien eines Zusammenbruchs<br />

• häufigerer Ernteverlust aufgrund der Wetterveränderungen<br />

• Hunger und sanitäre Probleme lassen HIV/AIDS und andere Epidemien wachsen<br />

• Kriege um den Zugang zu frischem Wasser und zu Hauptnahrungsmitteln in Asien,<br />

Afrika und Lateinamerika<br />

• Millionen von Klimaflüchtlingen aus überfluteten Küstenstädten und tief gelegenen<br />

Regionen<br />

• große Menschenströme von verarmten Migranten auf dem Weg nach Nordamerika<br />

und Europa […]<br />

• zunehmende Unsicherheit und Gewalt infolge von individuellem wie organisiertem<br />

Terrorismus<br />

• Ausweitung von internationalen und interkulturellen Konflikten zu lokalen und regionalen<br />

Kriegen […]<br />

• Einsatz von Nuklear-, chemischen und biologischen Waffen […]<br />

Szenarien eines Durchbruchs<br />

• Bevölkerungsdruck, Armut, Fanatismus und die unterschiedlichen ökologischen<br />

Bedrohungen und Katastrophen lösen positive Veränderungen in der Denkweise<br />

der Menschen aus, ähnlich wie in England und Russland während des Zweiten<br />

Weltkrieges und in Amerika in der Nachwirkung des 11. September die Menschen<br />

zusammenstanden, um der Bedrohung gemeinsam zu begegnen.<br />

• Nichtregierungsorganisationen vernetzen sich durch das Internet und entwickeln<br />

gemeinsame Strategien zur Wiederbelebung dezentraler Wirtschafts- und Sozialstrukturen<br />

und fördern eine sozial und ökologisch verantwortungsvolle Politik in<br />

den Kommunen und Nationen sowie in den Unternehmen. Ein Weltzukunftsrat der<br />

Nichtregierungsorganisationen wird etabliert und gleichzeitig ein E-Parlament, das<br />

alle Parlamentarier der Welt miteinander verbindet für Debatten über die besten<br />

Wege zur Umsetzung gemeinsamer Interessen.<br />

• Ein neues Denken führt zu verstärkter Unterstützung von Regierungsinitiativen<br />

und Unternehmensstrategien, die sich eine höhere soziale und ökologische Verantwortlichkeit<br />

zum Ziel gesetzt haben.<br />

• Das neue Denken ermutigt ferner Regierungen und Unternehmen zur Erforschung<br />

von Wegen und Mitteln einer fairen Kooperation mit nicht-westlichen und traditionellen<br />

Kulturen auf der Basis echter Wechselseitigkeit. […]<br />

(Ervin Laszlo: You can change the world, Horizonte Verlag, Stuttgart 2002, S. 28-30)<br />

Global Marshall Plan<br />

Stuttgarter Erklärung vom 11. Oktober 2003<br />

Mit einem Global Marshall Plan für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft<br />

eine neue Art von Wirtschaftswunder ermöglichen<br />

Nach dem zweiten Weltkrieg entschieden sich die Vereinigten Staaten von Amerika zu<br />

einem historischen Schritt: Die USA erhöhte ihren Etat für wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen<br />

anderer Länder auf die Rekordhöhe von 1,3 Prozent ihres Bruttosozialprodukts<br />

(zum Vergleich heute: 0,1 Prozent). Sie finanzierte damit den so genannten<br />

Marshallplan für das kriegszerstörte und ausgezehrte Europa. Der Marshall-<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


46<br />

plan trug entscheidend zum europäischen Wirtschaftswunder bei, zu einer sehr erfolgreichen<br />

inneren wie äußeren Befriedung und zu einem erfolgreichen breiten<br />

Wohlstandsanstieg.<br />

Heute sind Frieden, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit vor allem durch eine extreme<br />

wirtschaftliche Ungleichheit gefährdet. 50 Prozent der Weltbevölkerung müssen von<br />

weniger als 2 Euro pro Tag auskommen, 26.000 Menschen sterben täglich an Hunger<br />

und Mangel an sauberem Wasser. Auch die noch immer wachsenden globalen Umweltprobleme<br />

lassen sich nicht lösen ohne eine Perspektive für alle auf eine bessere<br />

Welt.<br />

Unser Aufruf gilt heute vor allem Europa, sich an die Spitze einer weltweiten Bewegung<br />

für einen Global Marshall Plan zu setzen. Ein Global Marshall Plan kann<br />

• erstens das solideste Fundament für einen neuen, nachhaltigen weltweiten<br />

Wirtschaftsaufschwung sein, denn im Aufholen der bisher wenig entwickelten<br />

Länder steckt ein enormes weltweites Wirtschaftswachstumspotential, von<br />

dem gerade auch entscheidende neue Nachfrageimpulse für Exportländer<br />

ausgehen würden. Ein Global Marshall Plan kann<br />

• zweitens ein besonders intelligenter und effizienter Weg zu einer weltweit sozial<br />

und ökologisch nachhaltigen Entwicklung sein: Das Beispiel der EU-<br />

Erweiterung zeigt, welcher ökologische, soziale, demokratische und friedensstiftende<br />

Kreislauf in Gang gesetzt werden kann, wenn wirtschaftsfördernde<br />

Co-Finanzierung an die Erhöhung von ökologischen, sozialen und demokratischen<br />

Standards in den Nehmerländern gebunden wird.<br />

Das erfolgreiche Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft, das nicht umsonst in nahezu<br />

jedem Programm jeder konservativen, sozialdemokratischen, liberalen oder grünen<br />

Partei in Europa wiederzufinden ist, ist ein glaubwürdiges Konzept und könnte als Vorbild<br />

für die Rahmenbedingungen eines neuen globalen Miteinanders dienen. Eine europäische<br />

Initiative für einen Global Marshall Plan zur weltweiten Förderung dieses Erfolgsmodells<br />

wäre zweifelsohne ein historischer Schritt, der das Ansehen und den Erfolg<br />

Europas auf Jahrzehnte hinaus sichern kann.<br />

Wir fordern daher die Einrichtung eines Beratungsgremiums der Europäischen Union<br />

zur Entwicklung eines ökosozialen Global Marshall Plans.<br />

Die Inhalte eines solchen Global Marshall Plans sollen schrittweise und unter starker<br />

Einbeziehung aller Bereiche der Gesellschaft von Politik und Wirtschaft über Wissenschaft<br />

und Kultur bis zur Zivilgesellschaft entwickelt werden, besonders wichtig erscheinen<br />

uns dabei beispielsweise<br />

• die Vereinbarung global verbindlicher Normen für den Schutz der natürlichen<br />

Lebensgrundlagen,<br />

• die besondere Prüfung bester ökologischer und sozialer Projekte in der Welt<br />

gemeinsam mit den Nicht-Regierungs-Organisationen der globalen Zivilgesellschaft<br />

auf Möglichkeiten zu einer massiven Effizienzsteigerung in der Förderung<br />

ökologischen und sozialen Wandels,<br />

• die Verwirklichung fairer Wettbewerbsbedingungen für die weniger entwickelten<br />

Länder im Rahmen der WTO-Verhandlungen,<br />

• die besondere Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen und Akteuren<br />

im Rahmen dieses Global Marshall Plans sowohl in den Industrie- wie in<br />

den geförderten Ländern,<br />

• die Nutzung des Angebots der diese Initiative tragenden Nichtregierungsorganisationen,<br />

einen solchen Global Marshall Plan mit ihrem Potential zu unterstützen.<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


47<br />

Tagungsberichte<br />

Zwischen Hirnforschung und Philosophie – Anthropologie heute<br />

Eine Tagung der Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung<br />

an Schulen Standort Calw 4. bis 6. Oktober 2004<br />

Der Fachverband Philosophie hatte bei der letzten Sitzung des Bundesvorstandes beschlossen,<br />

regionale Tagungen zum Thema Standards des Philosophieunterrichts zu<br />

veranstalten. Die Überlegungen im Fachverband gehen dahin, dass wir sehr interessiert<br />

sind an klaren Formulierungen von Kompetenzen und Standards, weil wir das<br />

Fach Philosophie nur so im Fächerkanon halten können. Leider gibt es ja in Deutschland<br />

eine fatale Tendenz, die Oberstufenreformen zurück zu fahren und zu einem<br />

Klassensystem mit zwei Grundprofilen zurück zu kehren. Nicht etwa, weil die Fachleute,<br />

das für lerntheoretisch begründet halten – das Gegenteil ist der Fall -, sondern, weil<br />

es die billigste Lösung ist, Schule zu machen. (Überall im europäischen Ausland geht<br />

man den umgekehrten Weg, wenn man eine frühe Spezialisierung und Vertiefung im<br />

Bereich der individuellen Fähigkeiten zulässt.) Für manche Bundesländer führt dies zu<br />

einem immensen Verlust für das Fach Philosophie, weil die Möglichkeit Leistungskurse<br />

oder zumindest dreistündige Grundkurse einzurichten, damit abgeschafft wird. Es<br />

muss also im Interesse des Faches deutlich gemacht werden, welche Rolle der Philosophie<br />

im Fächerspektrum zukommt und zu zeigen, welche Bedeutung dem Unterrichtsfach<br />

Philosophie bei der Entwicklung von Grundkompetenzen zukommt.<br />

In diesem Sinne traf es sich gut, dass die Landesvorsitzende in Baden-Württemberg –<br />

Dr. Eva Hirtler - für den Herbst bereits eine Tagung in Calw geplant hatte.<br />

Dieser Ort ist für mich verbunden mit Erzählungen von nächtlichen philosophischen<br />

Debatten in Calwer Weinstuben und von alten Freundschaften philosophierender Kollegen<br />

aus Baden Württemberg, die hier gepflegt und immer wieder erneuert wurden.<br />

Das gepflegte Haus bietet denn auch ausgezeichnete Voraussetzungen für eine gelungene<br />

Tagung.<br />

Den Anfang machten Barbara Stewens und Dr. Werner Schiffer, die die Standards für<br />

das Fach Philosophie in Baden-Württemberg entwickelt haben. Gelungen ist hier die<br />

klare Abgrenzung von Leitgedanken, Kompetenzen, Inhalten und einer gut nutzbaren<br />

Beschreibung von erreichbaren Niveaus. Diese Standards beschreiben einen problemorientierten<br />

Unterricht, der die Schüler vor allem zum Selbstdenken und zur kritischen<br />

Rezeption der philosophischen Tradition auffordert. Sie enthalten genug Offenheit,<br />

dass der einzelne Lehrer durchaus lerngruppenorientiert arbeiten kann, und sie<br />

stiften gleichzeitig ein hohes Maß an Verbindlichkeit, um die Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse<br />

zu gewährleisten.<br />

Die anschließenden Vorträge und Workshops boten den Teilnehmern ein spannendes<br />

Spektrum zeitgenössischer philosophischer Fragen. Sie wurde eingeleitet mit dem<br />

Vortrag eines Physikers – Dr. Michael Decker vom Karlsruher Institut für Folgenabschätzung<br />

und Systemanalyse - zur Nano-Technologie. Für den Philosophielehrer<br />

spannend war, neben den technischen Details, einmal mehr zu sehen, dass häufig die<br />

Ethik weit hinter der Möglichkeiten der Technologie hinterher hinkt, wie wir es ja auch<br />

im Bereich der Gentechnologie immer wieder beobachten können. Der Workshop von<br />

Eva Hirtler hatte das Thema „Heilbehandlung oder Anthropotechnik? Medizin und der<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


48<br />

Traum vom vollkommenen Menschen“. Hier wurden Unterrichtsmaterialien vorgestellt,<br />

ausgetauscht und diskutiert. Nach dem obligatorischen Wein am Abend ging es am<br />

nächsten Tag weiter mit einem Vortrag von Dr. Herbert Rommel zum Thema „Der<br />

Freie Wille des Menschen – Illusion oder Faktum“, der zum Teil heftige Kontroversen<br />

auslöste, weil es für den Philosophen schlichtweg unmöglich scheint, den Hirnforschern<br />

in ihrem Verdikt zu folgen, die Willensfreiheit sei eine Illusion. Die folgenden<br />

Workshops gaben interessante Anregungen für den Unterricht oder die Arbeit mit Kindern.<br />

So der Beitrag von Dr.Mechthild Ralla „Philosophieren mit Kindern am Beispiel<br />

„Tod““, mein Beitrag „Bioethische Urteilsbildung“ sowie am dritten Tag der Workshop<br />

von Irene Neuendorf „Franz von Moor begegnet Dr. Emmenberger. Ich-Wahrnehmung<br />

und Weltwahrnehmung“. Fächerübergreifende Annäherung aus Bildender Kunst und<br />

Deutsch zu einem philosophischen Thema.<br />

Die gelungene Tagung hat mir in Gesprächen leider auch deutlich gemacht, dass das<br />

Fach Philosophie in Baden-Württemberg eine Art exotischer Randexistenz führt, was<br />

den Vorteil hat, dass die Reglementierungen gering sind. Gleichzeitig muss ich aber<br />

aus meiner Hamburger Sicht bedauern, dass die Philosophie die ihr zustehende zentrale<br />

Rolle beim Vernunfterwerb und als Orientierungswissenschaft hier bereits zu<br />

Gunsten eines mehr anwendungsorientierten Faches Ethik verloren hat. (Auch wenn<br />

der Ethik-Lehrplan in Baden –Württemberg viele philosophische Bezüge aufweist.) In<br />

Hamburg soll in drei Jahren die Oberstufenreform abgeschafft werden und das auf<br />

Kosten vieler Fächer, die nicht dem vorgegebenen Hauptfächerkanon entsprechen.<br />

Auch hier ist deutlich, dass dies einzig aus Gründen der Kostenersparnis stattfindet.<br />

Ich persönlich bedaure, dass sich der Geist zunehmend aus unseren Kulturbürokratien<br />

zu Gunsten eines rein ökonomischen Denkens verabschiedet. Das ist sicher langfristig<br />

zu kurz gedacht!<br />

Martina Dege<br />

Philosophie ist lehrbar<br />

Eine Tagung zu Standards des Philosophieunterrichts.<br />

Die politische Forderung dieser Tage heißt Standardisierung von allgemeinen Schulabschlüssen.<br />

Deshalb hat der Vorstand des Fachverbands Philosophie beschlossen<br />

Regionaltagungen zu diesem Thema abzuhalten. Den Auftakt machte eine Tagung in<br />

Calw in Baden Württemberg und Hamburg folgte mit einer Norddeutschlandtagung.<br />

Angesprochen waren Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. 100<br />

Lehrerinnen, Lehrer, Lehramtsstudenten und Universitätskollegen kamen, um sich an<br />

zwei Tagen in Workshops und Fachvorträgen zu über Standards des Philosophieunterrichts<br />

auszutauschen.Alle, die täglich mit der Lehre des Faches Philosophie beschäftigt<br />

sind, neigen vermutlich eher zu der Frage „Ist Philosophie lehrbar?“ als zu<br />

der lapidaren Feststellung, dass es so sei. Was ist es denn, was wir lehren können?<br />

Wie viele der selbst gesteckten Ziele, ganz zu schweigen von den Lehrplanzielen, erreichen<br />

wir denn? Woran wollen wir messen, ob wir die Ziele erreicht haben? Ob uns<br />

da Standards - Kompetenzen - Niveaukonkretisierungen wohl weiter bringen?Das gab<br />

es in der Ausbildung der 70ger Jahre alles schon einmal. Damals hieß das Credo „Operationalisierbarkeit<br />

der Lernziele“. Dafür wurden kleinschrittige Überprüfungskriterien<br />

entwickelt und man glaubte sich am Ziel der pädagogischen Wünsche. Dann kam<br />

die Praxis und die war ganz anders. Sicher gibt es viel Methodisches zu lernen, zu<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


(Abb. Einstein) „Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Wissenschaft<br />

blind.“<br />

49<br />

wissen und anzuwenden, aber die eigentlichen Momente, in denen plötzlich philosophiert<br />

wird, in denen sich Schüler von einem Text berühren lassen, in denen sie einen<br />

Gedanken entdecken, der ihnen lohnenswert erscheint, das sind andere Momente. Da<br />

treten denkende Menschen miteinander in Beziehung, Texte werden zu Denkpartnern,<br />

zu Freunden, die man wieder aufsucht, und mache werden auch zu Feinden. Hier waltet<br />

häufig ein unplanbarer pädagogischen Eros, diese Beziehungen herzustellen. Was<br />

also heißt – Philosophie ist lehrbar? Wie soll es möglich sein, etwas ungeheuer Individuelles,<br />

nämlich das Denken, zu standardisieren? Gegenwärtig erleben die Geisteswissenschaften<br />

in Deutschland, dass man sie flächendeckend mit dem Rotstift attackiert,<br />

an den Hochschulen, aber auch durch die Rücknahme der Oberstufenreform in<br />

mehreren Bundesländern, wodurch die Philosophie zunehmend an den Rand gedrängt<br />

wird. Es liegt also im Interesse des Fachverbands Philosophie die Position unseres<br />

Faches möglichst zu stärken. Bildungsstandards: So widersinnig es scheint,<br />

diese Standards könnten ein Vehikel der Freiheit sein, wenn, ja wenn es die Bürokratie<br />

zuließe. Wenn wir verbildliche Zielvorstellungen, Kompetenzen, Niveaufestlegungen<br />

und einige inhaltliche Festlegungen – also Standards benennen könnten - könnte<br />

es uns befreien von den kleinschrittigen, inhaltsüberfrachteten Lehrplänen. Wir könnten<br />

selbst bestimmen, auf welchem Wege unsere Schüler die Standards erreichen. Ich<br />

denke, dass das Zentralabitur hier auch hilfreich sein kann, wenn es – wie der neue<br />

Rahmenplan Philosophie in Hamburg es auch tut – wirklich Kompetenzen abfragt und<br />

nicht kanonisierte Inhalte. Freiheit auf dem Weg zu einem definierten Ziel, wäre ein<br />

Gewinn, den ich mir von der Standardisierung verspreche.<br />

Die Tagungsreferenten beleuchteten nun verschiedene Aspekte dieser Fragestellung.<br />

Prof. Dr. Dorothea Frede (Universität Hamburg) beleuchtete in ihrem Vortrag „Philosophie<br />

als Grundlage der Wissenschaften“ die Entwicklung des Faches Philosophie<br />

durch die Jahrtausende. Die „Mutter aller Wissenschaft“, aus der sich erst über zwei<br />

Jahrtausende nach und nach Einzeldisziplinen herauslösten, erstand vor unserem<br />

geistigen Auge und es wurde die prinzipiell grundlegende Bedeutung des Faches vorund<br />

die Forderung aufgestellt, die philosophische Bildung zu stärken. Frau Frede<br />

konnte auch aus ihrer reichen amerikanischen Erfahrung berichten, wo die Philosophie<br />

durchaus einen sehr hohen Stellenwert in der universitären Bildung habe.Prof.<br />

Dr. Ekkehard Martens (Universität Hamburg) hielt uns mit dem Titel „Philosophieren<br />

als elementare Kulturtechnik“ einen Vortrag über die Lehrbarkeit der Philosophie.<br />

Ausgehend von seiner „Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts“ arbeitete er<br />

die unterschiedlichen methodischen Schritte deutlich heraus und ergänzte sie durch<br />

einen „Philosophischen Werkzeugkasten“ und eine „Schatztruhe“. Es war ein pragmatischer<br />

Zugang zur Lehrbarkeit, die zum Teil aus der amerikanischen Philosophiedidaktik<br />

befruchtet wurde, und es war ein Plädoyer für die Lehrbarkeit der Philosophie<br />

sowie für die Notwendigkeit diese Kompetenzen an Lernende weiter zu geben, weil es<br />

grundsätzliche Denkkompetenzen sind. Hermeneutisches, phänomenologisches, analytisches<br />

und spekulatives Philosophieren wurden uns in ihrer jeweiligen Methodik umrissen.<br />

Die detaillierte Ausarbeitung der Schatztruhe und des Werkzeugkastens erwarten<br />

wir mit Ungeduld.<br />

Aus Bayreuth kam Prof. Dr. Lutz Koch nach Hamburg, um über die Frage zu philosophieren,<br />

ob man standardisiert Philosophieren könne. Er führte uns mit Kant, Hegel,<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


50<br />

Platon und Aristoteles durch eine philosophische Reflexion, die sich schließlich von<br />

Standards entfernte um am Ende doch bei einem kleinen Kanon zu landen. Es sei<br />

wohl kaum denkbar philosophieren zu lernen ohne Platon und Kant. Hierauf folgte eine<br />

äußerst lebhafte Debatte. Gerade der Begriff Kanon wird ja gern ideologisch diskutiert<br />

Von daher war es sehr bedauerlich, dass das Diskussionsforum „Kanon“ wegen<br />

der Krankheit des Referenten abgesagt werden musste.<br />

Prof. Dr. Heiner Hastedt (Universität Rostock) berichtete von der Umstellung auf Bachelor-Studiengänge<br />

an der Universität Rostock. Im Vergleich mit Studienbedingungen<br />

in England wurde die neue Situation vorgestellt. Es wurde diskutiert, welche „Module“<br />

der Philosophie grundlegend sind und wie solche Studiengänge aufzubauen<br />

sind. Es war für die ältere Lehrergeneration sehr interessant Informationen über die<br />

gegenwärtige Hochschuldebatte zu erlangen, denn wir müssen ja unsere Schüler beraten<br />

und sinnvoll auf ihre weitere Ausbildung vorbereiten. In der anschließenden<br />

Diskussion wurde deutlich, dass andere Hochschulen ganz ähnliche Wege gehen und<br />

ähnliche Probleme sehen, es wurde aber auch deutlich, dass von Standardisierung<br />

der Bachelor-Studiengänge bisher keine Rede sein kann. Der Deutsche Kulturfleckerlteppich<br />

wird eher noch bunter als bisher schon. Um hier Abhilfe zu schaffen planen die<br />

Hochschulen verstärkt über Eingangsprüfungen ein zu setzen, weil die Abschlüsse<br />

bisher eben nicht auf einheitlichen Standards basieren.<br />

Aus dem vermutlich gegenwärtig brisantesten Anwendungsfeld der Philosophie berichtete<br />

Prof. Dr. Volker Gerhardt (Humboldt-Universität zu Berlin) in seinem Vortrag<br />

„Ethik in Kommissionen“. Als Mitglied des Nationalen Ethikrats steht er mitten in einer<br />

heißumkämpften Debatte. Seine philosophische Reflexion bewegte sich im Spannungsfeld<br />

von individueller Moralität und gesellschaftlich zu verantwortender Ethik.<br />

Hier wurde klar, dass die begründete philosophische Argumentation gegen die Kompromisse<br />

der Politik wenig ausrichten kann. Es wurde aber auch deutlich, dass das<br />

individuelle Engagement davon nicht zu erschüttern ist und mit guten Gründen auch<br />

philosophisch verteidigt wird.<br />

Die Workshops boten den angereisten sowie den Hamburger Lehrerinnen und Lehrern<br />

ein Forum, um über ihre Praxis zu diskutieren. Ein Vortrag über den Stand der<br />

Standardisierung der Lernziele in der KMK des Fachreferenten Philosophie der Hamburger<br />

Behörde für Bildung Dr. Christian Gefert brachte uns auf den neusten Stand<br />

der bundesweiten Debatte. Der Workshop von Dr. Markus Tiedemann „Methodische<br />

Auflagen des neuen Rahmenplans: Konkretisierung am Beispiel Platon „Apologie“ und<br />

„Höhlengleichnis“ wurde zu einem Diskussionforum für Hamburger Lehrer, die den<br />

neuen Rahmenplan kontrovers diskutierten und es auch schätzten, sich einmal wieder<br />

über ihr Verständnis von Philosophieunterricht aus zu tauschen. Mein Workshop „Bioethische<br />

Urteilsbildung“ führte zu einer Kontroverse über die Frage, ob sich nicht bioethische<br />

Handlungsnormen formulieren ließen. Mein Ansatz einer im Individuum wurzelnden<br />

Moralität sei doch zumindest riskant. Darin konnte ich nur zustimmen, sehe<br />

aber keine Lösung des Problems. Philosophieren ist riskant.<br />

Insgesamt war es eine gelungene Tagung. Die dank der gepflegten Räume an der Universität,<br />

die Ekkehard Martens uns besorgen konnte, einen angenehmen Rahmen<br />

hatte. (Wenn sie uns nicht am Samstag die Heizung abgestellt hätten.!) Am Abend<br />

kamen vor allem die Auswärtigen noch zu einem gemütlichen Abendessen zusammen<br />

und stärkten das Gefühl, einer sehr kommunikativen Veranstaltung.<br />

Martina Dege<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


(Abb.)<br />

51<br />

Tagungsankündigungen<br />

Deutsche Gesellschaft für Philosophie<br />

XX. Deutscher Kongress für Philosophie<br />

Berlin 26.-30. September 2005<br />

Thema: Kreativität<br />

Kreativität, vormals in seiner Relevanz in erster Linie auf den Bereich der Künste, der<br />

Religion und der Psychologie beschränkt, ist zu einem Schlüsselbegriff der modernen<br />

Wissenschaften, der technologischen Forschung, der Wirtschaft und der Medien aufgestiegen.<br />

Kreativität ist verborgenes Grundwort nicht nur hinter Stichwörtern wie Innovation,<br />

Fortschritt, virtuelle Welten, künstliche Intelligenz oder Zukunft der Wissensgesellschaft.<br />

Der Bezug auf kreatives Denken und kreative Problemlösungen ist ausschlaggebend<br />

in Kulturleistungen verschiedenster Art, in Fragen der Wissenschaftsförderung<br />

und der Stärkung von Wissenschafts-, Technologie- und Industriestandorten.<br />

Zugleich sind wir mit dem Phänomen der Kreativität in Alltag, Natur, Kunst, Wissenschaft,<br />

Technik und Gesellschaft bestens vertraut. Sie begegnet allerorten, in den<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten des Menschen, im menschlichen Sprechen, Denken und<br />

Handeln, in allen Prozessen der Generierung und Anwendung von Wissen. Diese herausragende<br />

Rolle der Kreativitätsprozesse und der Entstehung von Neuem in nahezu<br />

allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens ist Anlass und Herausforderung<br />

für die Philosophie, die unterschiedlichen Formen, Praktiken und Dynamiken von Kreativität<br />

sowie deren Bedingungen ins Blickfeld zu heben, eine grundbegriffliche Klärung<br />

des Themenfeldes Kreativität vorzunehmen und die eigentümlichen heuristischen<br />

Muster im Blick auf die Hervorbringung und Gestaltung von Neuem herauszuarbeiten.<br />

SEKTIONEN<br />

Sektion 1: Das Neue in mentalen Prozessen, Zuständen und Phänomenen - Kreativität<br />

als Thema der Philosophy of Mind<br />

Sektion 2: Kreativität und Logik - Kreativität der Generierung formaler Strukturen<br />

Sektion 3: Utopien - Kreative Entwürfe der Staatsphilosophie<br />

Sektion 4: Prozeßphilosophie - Kreativität als Schlüsselbegriff religionsphilosophischer<br />

Entwürfe<br />

Sektion 5: Verstehen und Erfinden - Die Kreation von Sinn als hermeneutisches Problem<br />

Sektion 6: Invention und Innovation - Konzeptionen von Kreativität in der Technikphilosophie<br />

Sektion 7: Der "neue" Mensch - Ethische Probleme der Genforschung und Biotechnologie<br />

Sektion 8: Virtuelle Welten - Kreativität und Phantasie in Mathematik, Naturwissenschaften<br />

und anderen Künsten<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


52<br />

(Abb. Einstein) "Wer den Krieg wirklich abschaffen will, muß mit Entschiedenheit<br />

dafür eintreten, daß der eigene Staat zugunsten internationaler Institutionen auf einen<br />

Teil seiner Souveränität verzichtet; er muß bereit sein, den eigenen Staat im<br />

Falle irgendeines Konfliktes dem Schiedsspruch eines internationalen Gerichtes zu<br />

unterwerfen."<br />

Sektion 9: "Creatio ex nihilo" und "Creatio continua" - Der Schöpfungsgedanke in der<br />

Philosophie des Mittelalters<br />

Sektion 10: Funktionen und Dimensionen der Einbildungskraft - Zur Entwicklung eines<br />

transzendentalphilosophischen Grundbegriffs<br />

Sektion 11: Kreativität und Kultur - Der Kreativitätsgedanke im interkulturellen Vergleich<br />

Sektion 12: Kreativität im Denken Albert Einsteins [Kooperation mit BMBF und MPG<br />

im Rahmen des Einstein-Jahres]<br />

Sektion 13: Das kreative Gehirn - Kreativität als Problem der Hirnforschung<br />

Sektion 14: Kreative Universen - Das Neue in Naturphilosophie und Kosmologie<br />

Sektion 15: Kreatives Handeln - Freiheit, Determinismus und Kreativität als Probleme<br />

der Handlungstheorie<br />

Sektion 16: Entelechia, Emanation, Dynamis - Kreativitätsbegriffe in Antike und Spätantike<br />

Sektion 17: Kreativer Sprach- und Zeichengebrauch - Metapher, Fiktion und Ironie<br />

Sektion 18: Kreativität in Bildern - Organisationskraft bildlicher Strukturen<br />

Sektion 19: Können Computer kreativ sein? - Möglichkeiten und Grenzen des Computermodells<br />

des Geistes<br />

Sektion 20: Selbstorganisation und Kreativität - Paradigma gegenwärtiger Naturwissenschaften?<br />

Sektion 21: Das Neue und die Institutionen - Kreativität und Organisation des Wissens<br />

Sektion 22: Klugheit und Kreativität - Klugheit als kreative Reaktion auf ethische Problemsituationen<br />

Sektion 23: Perzeption und Gestalt - Kreative Elemente in Wahrnehmungsprozessen<br />

Sektion 24: Kreativität und Ökonomie - Wirtschaftliches Handeln und menschliche<br />

Kreativität<br />

Sektion 25: Kreativität und Kunst - Kunst als Paradigma von Kreativität?<br />

Sektion 26: Kreativität und feministische Philosophie - Differenz bei der Entwicklung<br />

des Neuen?<br />

Sektion 27: Philosophie und Ethik in der Schule - Förderung philosophischer Kreativität<br />

im Unterricht<br />

Sektion 28: Philosophische Editionen<br />

Weitere Informationen: http://dgphil.de<br />

Vorankündigung: International Whitehead Conference<br />

The Importance of Process – System and Adventure<br />

Universität Salzburg, 3. - 6. Juli 2006<br />

Universität Hamburg - Philosophisches Seminar<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


53<br />

(Dr. Burkhard Reis)<br />

Institut für Didaktik der Sprachen/Philosophiedidaktik<br />

(Prof. Dr. Ekkehard Martens)<br />

Zwischen PISA und Athen –<br />

Antike Philosophie im Schulunterricht<br />

16./17.9.2005, Warburg-Haus Hamburg, Heilwigstraße 116<br />

Ausgelöst durch die Ergebnisse der PISA-Studie und die Einführung des achtstufigen<br />

Gymnasiums mit Zentralabitur ist vielerorts eine neue Debatte über gymnasiale Bildung<br />

entbrannt. Lehrpläne werden mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit ihrer Inhalte entrümpelt<br />

und revidiert. Fächer wie Philosophie und Ethik, aber ebenso die Alten Sprachen<br />

müssen von neuem ihre Nützlichkeit unter Beweis stellen. Der Zwang zu größerer<br />

curricularer Verbindlichkeit und Standardisierung bietet aber auch die Chance für<br />

eine schärfere Profilierung gegenüber anderen Fächern, etwa durch die Besinnung auf<br />

die eigene Tradition. Dabei kommt den Texten und dem Gedankengut der griechischrömischen<br />

Antike aus verschiedenen Gründen eine besondere Bedeutung zu:<br />

1. In den philosophischen Texten der Antike kommen häufig zum ersten Mal in der<br />

Geschichte philosophische Probleme zur Sprache, die – wenn auch meist in veränderter<br />

Form – selbst nach zweieinhalb Jahrtausenden aktuell sind. Unter den in der Antike<br />

vertretenen philosophischen Positionen lassen sich z.B. die Prototypen zahlreicher ontologischer<br />

und erkenntnistheoretischer Ismen finden, die auch heute noch die Debatten<br />

beherrschen (z.B. Idealismus, Materialismus, Realismus, Relativismus, Skeptizismus).<br />

2. Der Tatsache, dass jene Fragen zum ersten Mal gestellt werden, verdanken die antiken<br />

Texte einerseits eine besondere Frische in der Argumentation, die den häufig mit<br />

Fachausdrücken überladenen Dokumenten späterer Epochen abgeht, und andererseits<br />

eine Aura existenzieller Betroffenheit in Bezug auf die sprachliche und literarische<br />

Gestaltung (z.B. Fragmente der Vorsokratiker, der Tod des Sokrates bei Platon).<br />

3. Die Methoden und die Inhalte des antiken Philosophierens stehen bei allen Gemeinsamkeiten<br />

oftmals in einem aufschlussreichen Gegensatz zum Philosophieren in<br />

der Neuzeit. Indem sie sich als historische, aber konkrete Alternative zu Letzterem<br />

präsentieren, bieten sie bisweilen überraschende Perspektiven auf die Aporien und<br />

Krisen des gegenwärtigen Denkens und liefern Ideen zu deren Überwindung (z.B. Tugendethik<br />

vs. Prinzipienethik).<br />

4. Antike Philosophie stellt als der historische Anfang der westlichen Rationalität –<br />

nicht zuletzt auch in den Naturwissenschaften – ein Kulturen übergreifendes Erbe der<br />

Menschheit dar. Ihre intensive und kreative Rezeption durch die mittelalterlichen Theologen<br />

aller drei großen monotheistischen Weltreligionen könnte sich in den Zeiten<br />

erneuerter religiöser Konflikte als Gemeinsamkeit erweisen, deren pädagogisches Potenzial<br />

bislang noch gar nicht ausgeschöpft wurde.<br />

Ohne den modernen Philosophie/Ethik-Unterricht historisieren bzw. den altsprachlichen<br />

Unterricht mit Philosophie überfrachten zu wollen, möchte die Tagung erkunden,<br />

welche besonderen Chancen eine zeitgemäße Beschäftigung mit antiker Philosophie<br />

im Schulunterricht für das Erreichen fachspezifischer und allgemeiner Lernziele eröffnet.<br />

Ziel der Tagung ist es, (a) im Rahmen einer Bestandsaufnahme Umfang, Intensität<br />

und Methodik, mit denen antike Philosophie gegenwärtig im Philosophie/Ethik- und im<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


54<br />

Altsprachenunterricht schon präsent ist, unter Berücksichtigung von Lehrplänen, Unterrichtswerken<br />

und Unterrichtspraxis möglichst präzise zu bestimmen, (b) die Tragfähigkeit<br />

der vier angeführten Argumente an ausgewählten Beispielen für die theoretische<br />

und praktische Philosophie fachwissenschaftlich zu untermauern und (c) aktuelle<br />

Konzepte für eine gelungene Vermittlung von antiker Philosophie zur Diskussion zu<br />

stellen sowie ggf. Empfehlungen für Unterricht und Lehrplanrevision zu formulieren.<br />

Die Tagung wird durch Mittel der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung finanziert<br />

und in Kooperation mit der Gesellschaft für antike Philosophie e.V. (GANPH),<br />

dem Fachverband Philosophie e.V. und dem Deutschen Altphilologenverband e.V.<br />

(DAV) durchgeführt.<br />

Vorläufiges Programm<br />

Freitag, 16.9.2005 (9.00-18.00 Uhr)<br />

Bestandsaufnahme<br />

– Dieter Belde, OStR (Universität Hamburg), Antike Philosophie im gegenwärtigen Unterricht<br />

in den Alten Sprachen<br />

– Dr. Bernd Rolf, StD (Universität Essen), Platon, Aristoteles & Co – Welche Rolle spielen<br />

sie heute noch im Philosophie- und Ethikunterricht?<br />

– Prof. Dr. Ekkehard Martens (Universität Hamburg), Sokrates im Schulunterricht<br />

Fachwissenschaftliche Begründung I: Theoretische Philosophie<br />

– Prof. Dr. Arbogast Schmitt (Universität Marburg), Platonismus und Empirismus. Ein<br />

kritischer Durchgang durch eine die europäische Geistesgeschichte bestimmende<br />

Kontroverse<br />

– Prof. Dr. Dorothea Frede (Universität Hamburg), Wie begründet man Wissenschaft?<br />

Über Sinn und Nutzen der Prinzipienforschung bei Aristoteles<br />

Samstag, 17.9.2005 (9.00-18.00 Uhr)<br />

Fachwissenschaftliche Begründung II: Praktische Philosophie<br />

– Prof. Dr. Christoph Horn (Universität Bonn), Platon über Güter, Tugend und Glück<br />

– Prof. Dr. Dorothee Gall (Universität Hamburg), Amicitia vera et perfecta - Ciceros<br />

Lehre von der Freundschaft<br />

Fachdidaktische Perspektiven<br />

– Prof. Dr. Volker Steenblock (Universität Bochum), Die Antike ins Bild bringen – Bildungszugriffe<br />

anhand von Raffaels ‚Schule von Athen’<br />

– Reinhard Bode, StR (Eisenach), ... aber mit der Zeit finden die Menschen suchend<br />

das Bessere heraus: Vorsokratikerlektüre im Griechisch-Leistungskurs – Erfahrungen,<br />

Reflexionen und eine Textausgabe<br />

– Dr. Burkhard Reis (Universität Hamburg), Antike Philosophie interkulturell – didaktische<br />

Vorschläge für die Einbeziehung ihrer Rezeption bei islamischen Denkern<br />

Abschlussdiskussion<br />

Kontakt & Anmeldung: Dr. Burkhard Reis, Philosophisches SeminarUniversität Hamburg,<br />

Von-Melle-Park 6 /X., D-20146 Hamburg, T. ++49-0-40-42838-2685 F. ++49-0-<br />

40-42838-3983E-Mail: burkhard.reis@uni-hamburg.de<br />

Auswärtigen Teilnehmern wird nach der Anmeldung die Adresse eines preisgünstigen<br />

Hotels in unmittelbarer Nähe zum Hamburger Dammtor-Bahnhof mitgeteilt.<br />

Fachverband Ethik e.V.<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


55<br />

Ethik als Brücke zwischen den Kulturen?<br />

23. – 25. September 2005<br />

Verdi Bildungs- und Begegnungszentrum,<br />

Koblanckstr.10, 14109 Berlin<br />

Freitag, 23.9. (16 – 20:15 Uhr)<br />

- Ethik als Brücke zwischen den Kulturen? Prof. R. Roetz, Universität Bochum<br />

- Podiumsdiskussion zum Tagungsthema mit den Kulturattachés der Botschaften<br />

der Türkei, Chinas und Spaniens (Moderation: P. Kriesel)<br />

Sonnabend, 24.9. (9 – 20:30 Uhr)<br />

- Arbeitsgruppen:<br />

Ethnischer und religiöser Hintergrund von Problemen und Konflikten – ein Thema<br />

im Ethikunterricht<br />

Kinder und Kinderrechte in der Einen Welt der Vielfalt<br />

Ethik, Grundgesetz, Menschenrechte – Was ist die integrative Klammer in unserer<br />

Gesellschaft? (Dr. Barbara Brüning, Hamburg)<br />

Erarbeitung von bundesweiten Bildungsstandards für den Ethikunterricht in der<br />

Sekundarstufe I (Werner Fuß/Peter Kriesel)<br />

- Ethik als integrierendes Pflichtfach für alle (Vortrag mit Diskussion, N.N.)<br />

- Menschen als Brücken zwischen Kulturen (Kurzfilm,Frau Zylla vom Sichtwechsel<br />

e.V. für gewaltfreie Medien, Berlin)<br />

Sonntag, 25.9. (9-12 Uhr)<br />

- Zur Politisierung kultureller Unterschiede – Wertorientierungen in Kulturen (Prof.<br />

Thomas Meyer, Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn - angefragt)<br />

- Brücken zwischen den Kulturen in Berlin – Podiumsdiskussion (Barbara John –<br />

ehem. Ausländerbeauftrage, Berlin und Vertreter aus Bildung und Kultur: z.B. vom<br />

Haus der Kulturen, Kultursenator)<br />

Kosten: für die Tagung mit zwei Übernachtungen (23. und 24.9.) im Einzelzimmer plus<br />

Vollverpflegung = 195 € pro Person, im Doppelzimmer plus Vollverpflegung = 169 €<br />

pro Person,Tagungsbetrag ohne Übernachtungf 119 €.<br />

Anmeldung durch Überweisung auf das Konto Nr. 9901423 des Fachverbands Ethik<br />

e.V., Bank: Kreissparkasse Ludwigsburg, BLZ: 60450050<br />

Anmeldeschlusstermin ist Ende Juli.<br />

Änderung des Protokolls der letzten Mitgliederversammlung<br />

des Fachverbands Philosophie<br />

Das Protokoll der Mitgliederversammlung des Fachverbands Philosophie e.V. in<br />

Schwerin am 20.9.2003 wird wie folgt geändert: Die beiden letzten Sätze von TOP 2<br />

werden gestrichen. Stattdessen wird eingefügt: „Während TOP 3 hebt Herr Müllenmeister<br />

als Kassenprüfer auf Nachfrage durch den Vorsitzenden die Transparenz und<br />

große Sorgfalt des Kassierers bei der Kassenführung hervor.“<br />

gez. Jürgen Mühlstädt (Schriftführer) Bernd Rolf (Vorsitzender)<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


56<br />

Rezensionen<br />

Jahrbücher für Didaktik der Philosophie und Ethik<br />

Im Dresdner Thelem Verlag ist unter der Herausgeberschaft von Johannes Rohbeck<br />

mit dem Jahrbuch für Didaktik der Philosophie und Ethik eine für Lehre und Unterricht<br />

wichtige Reihe entstanden. Besondere Beachtung verdienen die Bände 2 - 4 dieses<br />

Jahrbuches, die sich dem didaktischen Projekt „Denkrichtungen der Philosophie und<br />

Methoden des Unterrichts“ widmen.<br />

(Abb.)<br />

Philosophische Denkrichtungen, hrsg. v. Johannes Rohbeck, Jahrbuch für Didaktik<br />

der Philosophie und Ethik, Bd. 2, Dresden: Thelem Verlag, 2001<br />

Während das erste Jahrbuch vorwiegend allgemeine Methoden wie Heuristik, Kritik<br />

oder argumentatives Gespräch behandelte, geht es im zweiten Jahrbuch um die besonderen<br />

Methoden philosophischer „Denkrichtungen“, nämlich der Analytischen Philosophie,<br />

der Hermeneutik und Dekonstruktion sowie der Phänomenologie. Unter Methoden<br />

werden hier nicht Unterrichtsmethoden in einem technischen Sinne verstanden,<br />

sondern bestimmte Grundeinstellungen des Philosophierens, die sich mit diesen<br />

Denkrichtungen verbinden.<br />

Die analytische Philosophie, die sich an der Logik und an den exakten Wissenschaften<br />

orientiert, bezweckt ausdrücklich, den Sprachgebrauch und die Argumentationsweise<br />

zu reflektieren, um in das Denken, Sprechen und Kommunizieren möglichst viel Klarheit<br />

zu bringen. Dem entspricht Helmut Engels in seinem Beitrag, der das breite<br />

Spektrum sprachanalytischer Methoden im Unterricht vorstellt (Mittel der Kritik, Hilfe<br />

beim Verstehen und Erkennen, Schutz vor den Fallstricken der Sprache) und detailliert<br />

aufzeigt, wie Schülerinnen und Schüler die entsprechenden Kompetenzen erwerben<br />

können. Volker Pfeiffer bezieht die analytischen Methoden auf das Feld der ethischen<br />

Argumentation, indem er das Problem der Normenkonflikte analysiert und dafür unterrichtspraktische<br />

Lösungen vorschlägt („Kohärentismus und ethisches Argumentieren“).<br />

Die Hermeneutik bietet im Unterschied zu dem an den Naturwissenschaften orientierten<br />

analytischen Philosophieren das Paradigma der intersubjektiven Verständigung<br />

auf und eröffnet zugleich den alternativen Themenbereich historisch entstandener Kulturen.<br />

Dementsprechend zeigt Volker Steenblock in seinem Beitrag „Hermes und die<br />

Eule der Minerva“ die Rolle der Hermeneutik in philosophischen Bildungsprozessen<br />

auf, die darin besteht, die je eigene Wahrnehmung und subjektive Erfahrung freizulegen.<br />

In den Umfang der hermeneutischen Verfahren schließt er dabei die Dekonstruktion<br />

ein. Auch Christian Gefert befasst sich mit dem Verhältnis von Hermeneutik und<br />

Dekonstruktion und gelangt zu einem innovativen Verfahren szenischer Darstellung<br />

als Strategie der Texteröffnung sowie zu Grundsätzen eines theatralen Philosophierens.<br />

Lothar Ridder vertritt in seinem über „Methoden der Interpretation im Philosophieunterricht“<br />

einen intentionalistischen Ansatz und leitet daraus ein beachtenswertes<br />

Schema der Interpretationsarten ab.<br />

Dittmar Werner repräsentiert in diesem Band den phänomenologisch ausgerichteten<br />

Philosophieunterricht. Er thematisiert den Zusammenhang von Philosophie und Pädagogik,<br />

um vor diesem Hintergrund neuartige Unterrichtsvorschläge im Sinne phänomenologischer<br />

Übungen (beispielsweise zur Wahrnehmung des Anderen, zur Wahrnehmung<br />

von Gegenständen) zu entwerfen. In arbeitsteiliger Kooperation sind auf<br />

diesem Feld erste Ergebnisse entstanden, die für unsere Fachdidaktik erfolgversprechend<br />

sind.<br />

(Abb.)<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


57<br />

Denkstile der Philosophie, hrsg. v. Johannes Rohbeck, Jahrbuch für Didaktik der Philosophie<br />

und Ethik, Bd. 3, Dresden: Thelem Verlag, 2002<br />

Das 3. Jahrbuch setzt die Darstellung der besonderen Methoden der philosophischen<br />

Denkrichtungen fort mit den Strömungen Phänomenologie, Dialektik, analytische Philosophie,<br />

Konstruktivismus, Diskursethik und Strukturalismus. Der Titel „Denkstile“ will<br />

darauf aufmerksam machen, dass die untersuchten Verfahren nicht ausschließlich in<br />

einer philosophischen Strömung zum Ausdruck kommen, sondern dass es sich um<br />

konkrete Gestalten des Philosophierens handelt, die sich in unterschiedlichen Richtungen<br />

ausprägen und Berührungspunkte zwischen ihnen darstellen können.<br />

In der Phänomenologie geht es nach Thomas Rentsch um die Freilegung von Alltagserfahrungen,<br />

die sich dem Bewusstsein durch wissenschaftliche Einstellung häufig<br />

entziehen. In seinem Beitrag „Phänomenologie als methodische Praxis“ zeigt er an<br />

ganz einfachen Beispielen, alltäglichen Situationen und Gegenständen der gewöhnlichen<br />

Umwelt die didaktischen Potenziale der phänomenologischen Methode auf.<br />

Johannes Rohbeck schlägt in: „Verkehrte Welt – Dialektik als Methode der Kritik“ eine<br />

phänomenologische Lesart der Dialektik vor. Er demonstriert die vielfältigen Möglichkeiten<br />

des dialektischen Denkens, die sich im Unterricht realisieren lassen, etwa beim<br />

Schreiben dialektischer Texte, im Umgang mit dialektischen literarischen Geschichten,<br />

beim Spiel mit Paradoxien und in der Kritik am alltäglichen Schein.<br />

Das didaktische Potenzial der analytischen Philosophie wird von Monika Sänger am<br />

Beispiel der Ethik von Richard M. Hare expliziert. Den analytischen Denksteil in den<br />

Unterricht zu übertragen, versteht sie als ‚Putzkolonne gegen semantische Verschmutzung’,<br />

um in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler eine unverzichtbare<br />

‚Sauberkeit’ im Denken und Argumentieren zu bewirken. Vom Goldene-Regel-<br />

Argument über das Gläubiger-Beispiel zum Fanatiker-Argument enthält ihr Beitrag<br />

zahlreiche Anregungen für die Unterrichtspraxis.<br />

Auch der methodische Konstruktivismus, den Silke M. Kledzik mit ihrem Beitrag „Konstruktive<br />

Verfahren im Philosophieunterricht“ repräsentiert, verfolgt das Ziel, zu begründetem<br />

theoretischem Wissen und gerechtfertigten praktischen Orientierungen zu<br />

gelangen. Für die Unterrichtspraxis ist diese Richtung ergiebig, weil sie an der Lebenswelt<br />

der Schülerinnen und Schüler und damit an deren alltägliches Wissen (z.B.<br />

über Toleranz, Pflicht, Menschenwürde) anknüpft.<br />

In diesem Kontext steht auch die Diskurstheorie, die von Gisela Raupach-Strey in ihrer<br />

Sokratisch-diskursiven Philosophie-Didaktik entfaltet wird. In Rückgriff auf das sokratische<br />

Paradigma schlägt sie ein Unterrchtsverfahren vor, das von lebensweltlichen Erfahrungen<br />

aus, um diese schrittweise konsens- und in diesem Sinne wahrheitsfähig zu<br />

machen.<br />

Neuland auf dem Feld der Denkstile betritt Donat Schmidt, der mit der strukturalistischen<br />

Methode im Unterricht experimentiert. Durch dieses Verfahren ergeben sich<br />

unerwartete Einblicke in die Struktur derTexte, was das inhaltliche Verständnis erleichtert.<br />

(Abb.)<br />

Didaktische Transformationen, hrsg. v. Johannes Rohbeck, Jahrbuch für Didaktik der<br />

Philosophie und Ethik, Bd. 4, Dresden: Thelem Verlag, 2003<br />

Mit dem vierten Jahrbuch kommt das mit dem 2. Band begonnene Projekt, Denkrichtungen<br />

der Philosophie in ganz spezifische Verfahren zu transformieren und in eigenständigen<br />

Übungen zu präsentieren, zum Abschluss. Im Zentrum stehen Verfahren<br />

der Phänomenologie, des Pragmatismus und des Konstruktivismus.<br />

Philipp Thomas entfaltet „Phänomenologie als negative Hermeneutik“. Das Verfahren<br />

eignet sich, um bei Schülerinnen und Schülern ein Wahrnehmen freizulegen, das erst<br />

auf der Grundlage der Zurückweisung theoretischer Alltagsmodelle und Verstehens-<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


58<br />

angebote möglich ist. Dieser Ansatz wird an zahlreichen Beispielen wie Raumerfahrung,<br />

Leibempfindung etc. demonstriert. - Renate Schröder-Werle knüpft in ihrem<br />

Beitrag über didaktische Potenziale des phäönomenologischen Denkens kritisch<br />

an die bisherigen Unterrichtsvorschläge zur Phänomenologie an, indem sie den Kern<br />

einer vermeintlich unverstellten Lebenswelt problematisiert und dabei auf gehirnphysiologische<br />

und sprachpsychologische Voraussetzungen der Wahrnehmung verweist.<br />

Sie konkretisiert ihren Ansatz sie für den Unterricht durch Beispiele für Schreibaufgaben<br />

zur Erfassung der Umwelt, zur Interpretation literarischer Texte und zur Analyse<br />

alltäglicher Symbole.<br />

Der Pragmatismus ist in dieser Reihe erstmals durch Marie-Luise Raters vertreten, die<br />

– ausgehend von konkreten Unterrichtserfahrungen – John Deweys Modell der Ausbildung<br />

praktisch-kritischer Intelligenz vorstellt und in ein schrittweise anwendbares Verfahren<br />

der Entscheidungsfindung für den Unterricht transformiert.<br />

Dem Konstruktivismus ist Steffen Kurpierz verpflichtet; er konzentriert sich auf das<br />

Thema „Metaphern“ und schlägt vor, die Mehrdeutigkeit von Metaphern zu nutzen, um<br />

neue Denkhorizonte zu entfalten und so heuristische Wirkungen im Sinne eines eigenständigen<br />

und kreativen Philosophierens zu ermöglichen. – Thomas Rentsch bietet<br />

mit seiner „Proto-Ethik“ eine Einführung in den dialogischen Konstruktivismus. Er<br />

schlägt ein Verfahren vor, das ethische Begriffe und Sätze werden einführt und verständlich<br />

gemacht, indem es sie an die alltägliche Lebenspraxis zurückbindet. – Johannes<br />

Rohbeck expliziert schließlich die Methode des genetischen Konstruktivismus.<br />

Am Beispiel der Theorie des Gesellschaftsvertrages rekonstruiert er die Übertragung<br />

von Modellen aus der alltäglichen und wissenschaftlichen Praxis in philosophische<br />

Theorien und setzt dies für den Unterricht um.<br />

Jeweils im Anhang der Bände 2 und 3 finden sich interessante Essays von Schüler(inne)n<br />

und Student(inn)en zur Phänomenologie, zur Dialektik, zum Konstruktuvismus<br />

und zur analytischen Philosophie, die die praktischen Möglichkeiten der genannten<br />

Verfahren demonstrieren.<br />

Insgesamt ist festzustellen, dass den Autoren das Projekt, die Denkstile der Philosophie<br />

in praktikable Unterrichtsverfahren zu transformieren, gelungen ist. Die vorliegenden<br />

Beiträge stellen aber nicht nur einen Beitrag zur Vermittlung von Theorie und<br />

Praxis dar, sondern markieren darüber hinaus mit ihrer Öffnung für neue Wege einen<br />

Neuaufbruch der Fachdidaktik. (Bernd Rolf)<br />

(Abb.)<br />

Helmut Engels: „Nehmen wir an …“ Das Gedankenexperiment in didaktischer Absicht.<br />

Weinheim und Basel : Beltz Verlag, 2004,<br />

Seit seinem gleichnamigen Beitrag zum Handbuch des Philosophieunterrichts von<br />

1986 hat sich Helmut Engels in zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen immer wieder<br />

mit dem Gedankenexperiment befasst. In diesem Buch fasst er seine Überlegungen<br />

zusammen und verleiht ihnen gleichsam endgültige Gestalt.<br />

Er beginnt mit einer Bestimmung des Begriffes Gedankenexperiment und analysiert<br />

seine Struktur . Dabei untersucht er zunächst reine Gedankenexperimente, d.h. solche,<br />

deren Prämissen irreal und kontrafaktisch sind, z.B. „Stelle dir vor, du könntest<br />

dein Leben von vorn anfangen“, oder „Nehmen wir an, wir könnten uns unsichtbar<br />

machen“. Sodann zeigt er auf, dass der Begriff des Gedankenexperimentes erweitert<br />

werden muss durch Ausweitung auf Annahmen, die realitätsbezogen sind (etwa bei<br />

Searles Das chinesisches Zimmer) und auch Utopien (etwa Huxleys Eiland) im Grunde<br />

Gedankenexperimente darstellen. Im dritten Teil werden Beispiele verdeckter Gedankenexperimente<br />

untersucht, die sich besonders in fiktionaler Literatur (bei Brecht,<br />

Thomas Mann u.a., aber auch in der Science Fiction) und im Film (z.B. Lola rennt) finden.<br />

Engels betrachtet Gedankenexperimente nicht nur als didaktische Instrumente, son-<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


59<br />

dern möchte Lehrende in Stand zu setzen, selbst Gedankenexperimente entsprechend<br />

ihren Zwecken zu erfinden. So stellt er im vierten Teil zusammen mit entsprechenden<br />

Beispielen, eine Reihe von Tricks vor, deren sich die Experimentatoren bedienen.<br />

Viele Gedankenexperimente beruhen z.B. auf der fiktiven Nichtung, also darauf,<br />

dass man etwas als nicht existent annimmt, andere auf dem Prinzip der hypothetischen<br />

Verallgemeinerung oder der Umkehrung; Transformationen sind ebenso<br />

fruchtbar wie Perspektivwechsel oder Spiele mit der Zeit.<br />

Im fünften Teil wird es explizit didaktisch. Hier geht es darum, wie Gedankenexperimente<br />

im Unterricht eingesetzt werden können (etwa, indem man Schülern Textfragmente<br />

als Denkanreiz vorlegt), an welcher Stelle einer Unterrichtsreihe dies geschehen<br />

kann, wie man Aufgaben formuliert und Gedankenexperimente bewertet. Im letzten<br />

Teil schließlich wird die Frage gestellt, wozu man überhaupt Gedankenexperimente<br />

vornimmt. Acht didaktische Funktionen werden unterschieden, von der Anregung,<br />

über bestimmte Themen nachzudenken bis hin zur Ermöglichung von Kritik.<br />

Das Buch ist nicht nur theoretisch das beste, was es bisher zum Thema Gedankenexperiment<br />

im Philosophie- und Ethikunterricht gibt, es stellt einen sehr brauchbaren<br />

Fundus für den Unterricht dar. 65 Gedankenexperimente werden entweder wörtlich<br />

wiedergegeben oder in Form einer Nacherzählung oder Zusammenfassung vorgestellt<br />

werden (hilfreich die Übersicht und Zuordnung zu philosophischen Disziplinen und<br />

Themenbereichen am Schluss); dazu gibt es eine Fülle von unterrichtspraktischen Anregungen.<br />

Meines Erachtens ein unentbehrliches Buch für Lehrer, die Philosophie und<br />

Ethik unterrichten, für ihre Arbeit in Schule, Fachseminar, Erwachsenenbildung und<br />

Hochschule. (Bernd Rolf)<br />

(Abb.)<br />

Heller, Bruno: Glück. Ein philosophischer Streifzug. Darmstadt: Primus Verlag, 2004,<br />

Wir alle wollen glücklich sein, aber wie können wir das erreichen? Bruno Heller, unternimmt<br />

hier einen philosophischen Streifzug, in dem er die Antworten aufzeigt, die die<br />

großen Philosophen auf diese Frage gegeben haben, und verschiedene Glückskonzepte<br />

vorstellt. Ihm geht es darum, jenseits der billigen Glücksbringer, die hinter jeder<br />

Ecke lauern, das Thema auf eine philosophische Weise zu behandeln, es auf die Ebene<br />

kritischer Reflexion zu heben.<br />

Ausgehend von Alltagsvorstellungen über das Glücks wirft er zunächst einen Blick in<br />

die Geschichte, referiert antike Glücksvorstellungen (Epikur, Sokrates, Platon, Aristoteles,<br />

Seneca), schreibt über das Glück der Glaubenden (Augustinus, die Mystiker)<br />

sowie neuzeitliche Vorstellungen vom Glück (u.a. Montaigne, Thomas Morus). Im folgenden<br />

Kapitel geht er das Thema systematisch an: Er unterscheidet zwischen Glück<br />

haben und glücklich sein, reflektiert über Glück im Unglück und den glücklichen Augenblick<br />

usw.<br />

Was man als Glück ansieht, hängt davon ab, wie man vom Menschen denkt. Daher<br />

unternimmt Heller eine Untersuchung der Menschenbilder: der Aristotelische Eudämonismus<br />

kommt hier ebenso zur Sprache wie der Schopenhauersche Pessimismus,<br />

der naturwissenschaftliche Reduktionismus, das östliche und das westliche Menschbild,<br />

der Mensch als Gehirnwesen.<br />

Einen breiten Raum nehmen die Auseinandersetzung mit dem Hedonismus sowie die<br />

Frage der Lebenskunst ein: Lebensgestaltung, aber wie? Selbstbestimmung und<br />

Selbstverwirklichung werden thematisiert, das Verhältnis von Glück und Moral untersucht.<br />

Selbstverständlich darf die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht fehlen, die<br />

ausgehend von einem kurzweilig geschriebenen, auf tatsächlichen Äußerungen beruhenden<br />

„Talk über die Wahrheit“ aufbereitet wird, in dem ein Theologe, ein Psychotherapeut,<br />

eine Isis-Priesterin, ein Mystiker und ein Ufologen zu Wort kommen.<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


60<br />

Heller gelingt, es, die vielfältigen Facetten dieses Themas auf ansprechende Weise<br />

darzustellen. Dabei kommt er ohne den Ballast philosophischen Fachvokabulars, zielt<br />

offenbar nicht primär auf einen philosophisch vorgebildeten Leserkreis. Gelegentlich<br />

hätte ich mir mehr noch etwas mehr Tiefgang gewünscht, etwa bei der Goldenen Regel,<br />

die Heller wirklich nur „streift“. Als hilfreich hätte ich auch empfunden, wenn der<br />

Autor deutlicher Stellung bezogen und sich nicht primär auf die Darstellung unterschiedlicher<br />

Positionen beschränkt hätte. Dennoch kann dieses Buch gute Dienste tun<br />

bei der Unterrichtsvorbereitung leisten. Empfehlenswert ist es für KollegInnen, die sich<br />

einen Überblick über die Thematik verschaffen, sich in den Gegenstandsbereich einarbeiten<br />

wollen. Darüber hinaus kann ich mir vorstellen, dass sich aus ihm dem der<br />

eine oder andere interessante Text für den Philosophie- und Ethikunterricht gewinnen<br />

lässt. (Bernd Rolf)<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


61<br />

Antrag auf Mitgliedschaft im Fachverband<br />

Philosophie<br />

(Bitte an die/den Landesvorsitzende/n senden. Anschriften auf den nächsten Seiten.)<br />

Hiermit beantrage ich die Mitgliedschaft im Fachverband Philosophie,<br />

Landesverband ________________________________________ .<br />

Name: _______________________________________________________________<br />

Straße: ______________________________________________________________<br />

PLZ, Ort: _____________________________________________________________<br />

Tel.: ________________________________________________________________<br />

Ich bin<br />

� im aktiven Dienst (Mitgliedsbeitrag 20 €/Jahr)<br />

� Referendar(in)/Teilzeitbeschäftigte(r) (Mitgliedsbeitrag 8 €/Jahr)<br />

� Student(in) (Mitgliedsbeitrag 5 €/Jahr)<br />

� im Ruhestand (Mitgliedsbeitrag 8 €/Jahr)<br />

� zur Zeit arbeitslos (Mitgliedsbeitrag 5 €/Jahr)<br />

(Zutreffendes bitte ankreuzen!)<br />

Die Einzugsermächtigung ist beigefügt.<br />

Mit der Weitergabe meiner Adresse an einen philosophischen Verlag (betrifft Zusendung<br />

der Verbandsmitteilungen)<br />

� bin ich einverstanden � bin ich nicht einverstanden.<br />

(Zutreffendes bitte ankreuzen!)<br />

____________________________________________________________________<br />

(Ort) (Datum) (Unterschrift)<br />

MITTEILUNGEN 45/2005


Fachverband Philosophie e.V.<br />

Einzugsermächtigung<br />

Einzug von Forderungen mittels Lastschrift<br />

62<br />

Hiermit ermächtige ich Sie widerruflich, die von mir zu entrichtenden Beitragszahlungen<br />

für den Fachverband Philosophie e.V. bei Fälligkeit zu Lasten meines Kontos<br />

Nr.: ________________________________________________________________<br />

Kontoinhaber:________________________________________________________<br />

bei Kontoinstitut: ______________________________________________________<br />

Bankleitzahl: _________________________________________________________<br />

mittels Lastschrift einzuziehen. Wenn mein Konto die erforderliche Deckung nicht<br />

aufweist, besteht seitens des Kreditinstitutes keine Verpflichtung zur Einlösung.<br />

Zur Sicherheit des Kontoinhabers ist gesetzlich geregelt, dass für jede Lastschrift<br />

vom Kontoinhaber innerhalb von sechs Wochen die Rückbuchung verlangt werden<br />

kann. Sollte die Lastschrift mangels Kontodeckung nicht ausgeführt werden können<br />

oder nehme ich eine ungerechtfertigte Rückbuchung vor, so werden die dadurch entstehenden<br />

Buchungskosten durch den Fachverband Philosophie e.V. von mir zurückgefordert.<br />

Name: _______________________________________________________________<br />

Straße: ______________________________________________________________<br />

PLZ, Ort: _____________________________________________________________<br />

Tel.: ________________________________________________________________<br />

____________________________________________________________________<br />

(Ort) (Datum) (Unterschrift)<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.


63<br />

<strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V<br />

Bundesvorsitzender<br />

Dr. Bernd Rolf<br />

Hubertusstr. 123<br />

47623 Kevelaer<br />

E-Mail: DrBRolf@aol.com<br />

Bundeskassenwart<br />

Edgar Fuhrken<br />

Seeadlerweg 10<br />

24159 Kiel<br />

E-Mail: FuhE@lo-net.de<br />

Baden-Württemberg<br />

Dr. Eva Hirtler<br />

Südendstr. 30<br />

76137 Karlsruhe<br />

E-Mail: E.Hirtler@t-online.de<br />

Bremen<br />

StD Jürgen Mühlstädt<br />

Klattenweg 17<br />

28213 Bremen<br />

E-Mail: jmuehlstaedt1941@aol.com<br />

Hessen(kommissarisch)<br />

Dr. Susanne Nordhofen<br />

Stifterstr. 28<br />

61130 Nidderau<br />

EuS.Nordhofen@t-online.de<br />

Niedersachsen<br />

Till Warmbold<br />

Granastr. 6<br />

30823 Garbsen<br />

E-Mail: t.warmbold@t-online.de<br />

Rheinland-Pfalz<br />

Dr. Ernst Georg Renda<br />

Am Damsberg 12<br />

55130 Mainz<br />

E-Mail: renda@mail.uni-mainz.de<br />

Schleswig-Holstein<br />

Jutta Kähler<br />

Adolfplatz 1<br />

23568 Lübeck<br />

info@ozd-Luebeck.de<br />

MITTEILUNGEN 45/2005<br />

Stellv. Bundesvorsitzende<br />

Martina Dege<br />

Heinrich-Barth-Str. 8<br />

20146 Hamburg<br />

E-Mail: m.dege@hamburg.de<br />

L A N D E S V E R B Ä N D E<br />

Schriftführer<br />

Jürgen Mühlstädt<br />

Klattenweg 17<br />

28213 Bremen<br />

E-Mail: jmuehlstaedt1941@aol.com<br />

Berlin<br />

Manfred Zimmermann<br />

Niebuhrstr. 77<br />

10629 Berlin<br />

E-Mail: mz@transparent-verlag.de<br />

Hamburg<br />

Martina Dege<br />

Heinrich-Barth-Str. 8<br />

20146 Hamburg<br />

E-Mail: m.dege@hamburg.de<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

Torsten Köpp<br />

Ahornweg 40<br />

19069 Seehof<br />

E-Mail: wacker-koepp@freenet.de<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

Klaus Draken<br />

Am Dönberg 65 h<br />

42111 Wuppertal<br />

E-Mail: Klaus.Draken@gmx.de<br />

Sachsen-Anhalt<br />

Dr. Rainer Bartholomai<br />

Dorfstr. 20<br />

29485 Lemgow-Simander<br />

E.Mail: DRRBartholomai@aol.com<br />

Ansprechpartner Brandenburg<br />

Reinhard Unverricht<br />

Heinestr. 18<br />

14482 Potsdam<br />

Tel. 0331-715482<br />

Ansprechpartner Bayern<br />

Dr. Klaus Zierer, Regensburg Hubertus Stelzer, Markt Rettenbach<br />

E-Mail: Klaus.zierer@web.de E-Mail:Hubertus.Stelzer@t-online.de

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