12.07.2015 Aufrufe

GESCHICHTE - wildlife-baldus.com

GESCHICHTE - wildlife-baldus.com

GESCHICHTE - wildlife-baldus.com

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>GESCHICHTE</strong>Amerikas GrafSoldaten, Hirsche und Geschütze — so lässt sich zusammenfassen, wasdiesen oberpfälzischen Ort kennzeichnet. Außerdem lässt sich der nachGrafenwöhr benannte Truppenübungsplatz aus der jüngeren deutschenMilitärgeschichte ebensowenig wegdenken wie aus der amerikanischen.Dr. Rolf D. BaldusMit einem Schuss aus einer M109A6 Paladin-Haubitze, dem modernsten Gerät der US-Armee,gedachte man am 30. Juni des Jubiläums. InFeierlaune verfolgte dies eine hochrangige Versammlungvon amerikanischen und deutschenGenerälen, Mannschaften, bundesstaatlichenFörstern, oberpfälzischen Bürgermeistern undVertretern des Freistaats Bayern. Sie alle begingenden 100. Gründungstag eines Truppenübungsplatzes,der heute der wichtigste für die US-Armeein ganz Europa ist: Grafenwöhr. Der Schuss saßpräzise im Ziel, gab die US-Armee bekannt.Am Anfang ging’s daneben: Damit unterschiedsich das sehr vom ersten Artillerie-Schuss, dervor genau 100 Jahren am selben Ort bei der offiziellenEinweihung des Schießplatzes abgefeuertworden war. Heimatforscher haben gerade herausgefunden:Ein gewisser Kanonier Michael Kuglervom zweiten königlich-bayerischen Fußartillerie-Regimenthat damals die 15-cm-Granate auseiner von vier Pferden gezogenen und von sechsMann bedienten Kruppschen Feldhaubitze abgefeuert.Allerdings ging die Vorführung mit einerSchussdistanz von 4000 Metern gründlich daneben.“800 Meter vor dem Ziel hat sie ihren Geistaufgegeben”, weiß noch heute ein im Bayerischenals “Marterl” bekannter Gedenkstein nahe derEinschlagstelle der Granate zu berichten. Immerhinzeigte der Fehlschuss, dass die bayerisch-königlicheArmee den Truppenübungsplatz zur Ausbildungdringend brauchte.118


100 Jahre Truppenübungsplatz GrafenwöhrImpressionen aus Grafenwöhr — einePostkarte mit Blick aufs Mannschaftslager,ein um 1910 gefertigtes Fotozweier Kinder auf einem Geschütz,eine Aufnahme einer Haubitze imFeuer, ein Trupp Amerikaner vor einemlandenden Chinook-Helikopter. Dashohe Gebäude mit der US-Flagge davorist der Wasserturm — das Wahrzeichender Anlage. Und der Mann an derBazooka ist Elvis Presley beimManöver in Grafenwöhr.Soweit nicht anders erwähnt,stammen die aktuellen Aufnahmenvon Soldaten sämtlich von derUS-Armee — vielen Dank!Fotos: Dr. Rolf D. Baldus, Hubertus von Blum, US-Armee, Archiv119


<strong>GESCHICHTE</strong>Bauarbeiten in Grafenwöhr — die Aufnahmenzeigen Arbeiter, Ingenieure und Soldatenbeim Errichten der Anlage in den Jahrenvor dem Ersten Weltkrieg.Notwendig geworden war Grafenwöhrals dritter bayerischerTruppenübungsplatz durchdas 1900 aufgestellte III. BayerischeArmeecorps. Jahrelangprüfte eine Auswahlkommissionverschiedene Standorte. ImNovember 1903 schickte dieStadtverwaltung Grafenwöhreine Bittschrift an das Kriegsministeriumund warb mitdünner Besiedlung und niedrigenArbeitslöhnen, weil“durch Anlegung des Platzesdie ganze Gegend etwas gehobenwürde.” Am 12. August1904 fiel die Entscheidung. DieGrenzen für ein Gelände vonetwa 90 km 2 wurden festgelegt,und man begann, die notwendigenFlächen zu erwerbenoder zu enteignen. Diebetroffene Bevölkerung lebtevon einer kargen Landwirtschaftund saisonal von Forstarbeitsowie dem Sammeln vonWaldfrüchten und dachte nichtdaran, sich davon zu machen.Das bestehende Zwangsenteignungsgesetzgalt daher vonAnfang an als Mittel der Wahl.Ein “wirklich geheimer Kriegsrat”übernahm die sensibleAufgabe. Und bis zum Herbst1909 waren rund 250 Einwohneraus zehn Ortschaften ausgesiedelt,wobei vor allem dieReligionszugehörigkeit dieWahl der neuen Siedlungsgebietebestimmt hatte.Riesige Rodungsarbeiten wurdenauf dem Platz ausgeführt.Wegenetz, Wasserversorgung,Kanalisation, elektrische Beleuchtungund Eisenbahnanschlussfolgten. Hinzu kamendie Schießbahnen, eine Feldbahnauf dem Platz, eineFliegerstation, und schließlichfolgte ein Truppenlager, angelegtauf 4800 Mann und 1200Pferde. Zu erledigen waren allediese technischen Pionierleistungenin weniger als dreiJahren. In der Zeit hätte manheute sicherlich nicht einmaldie Genehmigungsverfahrenabgeschlossen. Bis zu 1700 Arbeiter,darunter viele Ausländer,strömten herbei. Sie lebtenzum Teil unter erbärmlichenBedingungen, da die Verwaltungenorganisatorisch völligüberfordert waren. Vermieterund Grafenwöhrer Geschäftswelterlebten hingegen ihreBonanza.Zum 1. Mai 2010 wurde mit GeneralmajorOskar Menzel auchein erster Kommandant ernannt.“In Bezug auf vorschriftsmäßigenAnzug hätteer noch mehr Energie entwickelnkönnen”, heißt es inseiner dienstlichen Beurteilung.Freilich ist unbekannt, obsein mangelhaftes äußeres Erscheinungsbilddazu bewog,ihn auf einen Platz im Hinterlandzu schicken, auf dem es nurzwei Bodenzustände zu gebenschien — Staub oder Schlamm.Dies hat sich bis heute nichtgeändert, wie mancher frühereBundeswehrrekrut mit Grausenbestätigen kann.Die Ausbildung bestand zunächstnur aus Schießübungen.Mit dem Weltkrieg kamder Grabenkampf hinzu. Geschossenwurde mit allem, wasdas III. Armeekorps zu bietenhatte: Feldhaubitzen, Mörser,Maschinengewehre, Gewehreund Pistolen. Die Größe desPlatzes eignete sich für Feldübungenaller Art, und in einerFestungskriegsübung im Juni1913 wurden rund 12000Mann, 540 Offiziere, 300 Pioniere,60 MGs, 16 Flugzeuge,1000 Pferde sowie ein Telegraphenbatailloneingesetzt.Der Platz im I. Weltkrieg:“Weihnachten seid Ihrwieder zu Hause”, versprachWilhelm II. den Soldaten, dieer seit dem 28. Juli 1914 in denTod schickte. Der Kriegsanfangschien ihn zu bestätigen.Und bald kamen im Lager auchbis zu 24 000 Kriegsgefangeneunter, vor allem Franzosen undRussen. Sie lebten notdürftigin zweckentfremdeten Pferdestallungenund Holzbarackenund mussten auf dem Platzoder bei umliegenden Bauernarbeiten. Internationale Inspekteurebemängelten die Eiseskältein den nicht geheiztenBaracken, den Mangel an Kleidung,das Ungeziefer und diekörperlichen Strafen. Laut Berichtbestand das Essen morgensaus einer halben Schale“Kunstkaffee” aus Mais undden Überbleibseln des Brotesvom vorigen Tag, mittags undabends gab es eine SchüsselKartoffelsuppe, in seltenenFällen mit etwas Einlage, und300 Gramm “schlecht gebackenes”Brot am Tag.Doch Ingolstädter Rekruten erginges kaum besser, als sie imFrühjahr 1916 in dem von Gefangenengeräumten Stalllagereinquartiert wurden. Nach wenigenTagen lag jeder achte imLazarett, und die Ausbildunglitt wesentlich unter denschlechten Bedingungen, soder Kommandeur dieses Bataillonsin einer Beschwerdean das bayerische Kriegsministerium.“Mir geht es gut, nurdie schmale Kost”, berichteteein Artillerist in einer Ansichtskartean seine Lieben zuHause. Da offenbar mehr anLebensmitteln in das Lagerhineinging als bei den Insassenaller Art ankam, beschwertesich der Sprecher des christlichenBauernvereins auchbeim Kriegsminister über dieHamsterei der korrupten “HerrenOffiziere in Grafenwöhr.”Mit solchen “Volksverderbernim wahrsten Sinne des Wortes”,die nur auf ihren Magensehen würden, könne man keinemFeind widerstehen.Nach Kriegsende kam es auchin Grafenwöhr zum politischen120 VISIER 9/2010


100 Jahre Truppenübungsplatz GrafenwöhrRekrut in Grafenwöhr, bewaffnetmit Gewehr 98 und aufgepflanztemSeitengewehr 98/05.Im I. Weltkrieg waren auchKriegsgefangene inGrafenwöhr einquartiert. Diekolorierte Fotografie zeigtFranzosen, zum Teil verwundet.Ballonflüge gab es auchauf dem Truppenübungsplatz,hier eine Aufnahme von 1913.Viele der frühen Luftbilder derAnlage wurden von solchenBallons aus angefertigt.Postkarte von Grafenwöhr, mitBlick auf Kommandantur undGarnisonsverwaltung. Obenquer eine handschriftlicheRegiments- und Adressangabe.VISIER 9/2010121


<strong>GESCHICHTE</strong>Umbruch. Zeitgleich zur Abdankungdes Kaisers und derAusrufung der Freien SozialistischenRepublik Deutschlanddurch Karl Liebknechtvom Spartakusbund in Berlinwurde am Vormittag des 9. November1918 ein Arbeiter- undSoldatenrat gewählt und einSergeant König als Platzkommandanternannt. Der Kaiserging am Folgetag ins Exil nachHolland und widmete sich spätermeist dem Holzhacken imPark des Schlosses zu Doorn,wenn er nicht von der Rückkehrauf den Thron träumte. InGrafenwöhr riss man derweilden Offizieren die Kokardenvon den Mützen und erhieltideologische Unterstützungvon außen, wie der proletarisch-atheistischeFreidenkerKonrad Beißwanger in einemZeitungsartikel über einen“Revolutionsausflug nach Grafenwöhr”zu berichten wusste.Die politischen Wirren derWeimarer Republik machtenin der Folge auch nicht vor GrafenwöhrHalt.Als der Versailler Vertrag dasHeer auf 100000 Mann undleichte Waffen beschränkte,führte das zur Schließung derzwei anderen bayerischenTruppenübungsplätze Lechfeldund Hammelburg. Grafenwöhrbehielt mit 5000Mann Belegung seinen Vorkriegsstand.In leerstehendeBaracken wurden Wohnungssuchendeeinquartiert, undder Verkehr von unbefugtenZivilpersonen im Lager undbei Truppenübungen war alltäglich.Ein extra aus Münchenentsandter Kriminalkommissarentdeckte daher auch Verschwörung,“sozialdemokratischeMaulwürfe” und Spioneallerorten. Letztere hatten sichnach seiner Beobachtung Viehweidenals ihren “gefährlichenTreffpunkt” ausgesucht.Grafenwöhr im II.Weltkrieg:Direkt nach ihrer Machtübernahmebegannen die Nazisdamit, den Krieg vorzubereiten.In einer gewaltigenAufrüstung wuchs das Heerbis 1939 auf 2,6 MillionenMann. Das verlangte nachmehr Übungsgelände, und1936 gab das Reichskriegsministeriumdie Erweiterung desDie vor gut einem halben Jahrhundert produziertePostkarte zeigt ebenso wie das Schwarzweiß-Foto denEingang an der Hauptwache (Main Gate oder Gate 1) zur“U.S. Army Training Area Grafenwohr” — die GIs nanntenall das kurz und knapp “Graf”.Truppenübungsplatzes bekannt.Er sollte über 14000Hektar nach Westen ausgeweitetwerden, wobei es sich mitden Hauptorten Haag und Langenbruckum eine relativ dichtbesiedelte Gegend handelte.Eine per Gesetz eigens gegründeteReichsumsiedlungsgesellschaft(RUGES) sollte nach“angemessenen Entschädigungen”die Bewohner umsiedeln.Unwillige wurden enteignet,wobei sich die Verfahrenteilweise jahrelang hinzogen.3500 Personen aus 57 Dörfernund Gehöften mussten denPlatz verlassen und verlorenihre Heimat. 580 landwirtschaftlicheBetriebe wurdenaufgegeben. Schmerzhaft warder Abschied, und tragischeSzenen sollen sich abgespielthaben, wenn die Menschenbeim Verlassen ihrer Dörfernoch einmal von den Lastwagenzurückschauten. “Flentesabierunt — weinend sind sieabgezogen” notierte der Pfarrervon Pappenberg am 13. Februar1938 nach der Spendedes letzten Taufsakraments.“Sorghof” heißt deshalb auchbezeichnend eine Neusiedlung,die damals am Rand desPlatzes bei Vilseck angelegtwurde, wobei allerdings ein alterHof Namensgeber war.Mehr als 2000 Anwesen hattedie RUGES in Bayern aufgekauft,um Grundstückseigentümerneu anzusiedeln. ZumTeil wurden ganze Dörfer geschlossenumgesiedelt. 20 MillionenReichsmark kostetendie Entschädigungen, weitere20 Millionen die Erweiterungdes Platzes. Die Ruinen derKirchen und Friedhöfe werdenheute instand gehalten. Für Familienund Nachkommen derfrüheren Bewohner gibt es Besuchstage.Neuerdings untersuchtund pflegt der Naturschutzdie alten Obstbäume,die den zahlreichen Hirschenund Wildschweinen Futterbieten. Denn hier finden sichalte, zum Teil ansonsten verschwundeneObstsorten.Die fieberhafte Aufrüstungnach 1933 führte zu einer völligenÜberlastung des Truppenübungsplatzes,zumal nebendem Militär dort auch SA-Mannschaften ausgebildetwurden. Zunächst erweiterteman deshalb das Ostlager undbaute von Mitte 1937 bisMitte 1938 das Südlager beiVilseck. Und schließlich schufman bei Bernreuth ein Westlager.Damit ging der Bau vonSchießanlagen für Handwaffenund von Gefechtsschützbahnenfür Infanterie und Panzereinher. Das größte Projekt wurdeaber die Errichtung eines122 VISIER 9/2010


100 Jahre Truppenübungsplatz Grafenwöhr“Festungskampffeldes Grafenwöhr”.Ein Bunkersystem entstand,um das Beschießen unterschiedlicherBunkertypenund die Verteidigung des Westwallszu trainieren. DerÜbungsbetrieb nahm erheblichzu, im Sommer wechseltensich die Truppen alle drei Wochenab. Und kurz vor demdeutschen Überfall auf Polenwar der Platz mit 103000 Soldatenbelegt, die 14000 Pferdemit sich führten.Im II. Weltkrieg wurden zahlreicheTruppen in Grafenwöhrlien wurde auch eine italienischeDivision aufgestellt, dievon Benito Mussolini besuchtwurde, nachdem ihn deutscheFallschirmjäger in der Aktion“Unternehmen Eiche” in denAbruzzen befreit und mit einemFieseler Storch ausgeflogenhatten. Der “Duce” hieltvor den 12 000 Mann der Division“San Marco” eine seinerlächerlich-theatralischen Redenund ließ sich von den Soldatenfeiern.Gegen Ende 1944 erlebte Grafenwöhrdie Planungen einesbesonders geheimen Kommandounternehmens.SS-ObersturmbannführerOtto Skorzeny,der schon an der Mussolini-Befreiung beteiligt war, stellteeine Einheit aus englischsprachigenSoldaten zusammen. InUS-Uniformen und mit Beute-neu aufgestellt, etwa Fallschirmeinheiten,die dann inKreta kämpften. 1941 erhieltdie spanische “Blaue Division“dort für den Einsatz an der Ostfrontdeutsche Uniformen undWaffen, im Spätherbst 1942bekam eine ganze DivisionTropenkleidung, ehe es nachNordafrika ging. 1944 bezogein “Arbeitsstab Panzer“ unterGeneral Heinz Guderian(1888-1954) Quartier, der Panzerbataillonefür alle Frontenneu aufstellen sollte. Nach derLandung der Alliierten in Itawaffensollten sie hinter denfeindlichen Linien den US-Vormarschstören. Doch blieb das“Unternehmen Greif” kaummehr als ein Plan, da die Ardennen-Offensivebald fehlschlug.Nur ein paar als US-Militärpolizisten verkleideteDeutsche waren durch die alliierteFront gedrungen, versuchtenden Verkehr durcheinanderzu bringen und richtetenzumindest Verwirrung an.Schwarzer Tag am WeißenSonntag: Das Finale fürGrafenwöhr kam Anfang April1945. Am 5. April gegen 11 Uhrgriffen alliierte Bomberverbändevon Osten her an undsetzten 15 Minuten lang Bombenteppicheab. Schwer getroffenwurden das Hauptlager, diePanzerwerkstätten und der Militärbahnhof.Eine unvorstellbareKatastrophe hätte sich ereignet,wären Bomben auf dasGegen Ende des II.Weltkrieges fandenzwei alliierte Bombenangriffestatt — mitden entsprechendverheerenden Folgen.US-Soldat im Manövervor Panzer M109.Dramatische Manöveraufnahmeeines “fliegenden” Jeeps.VISIER 9/2010123


<strong>GESCHICHTE</strong>Ein Paradies für Hirsche,Hirschkäfer und Jäger ...... auch das ist Grafenwöhr: Gleichzeitigmit dem Truppenübungsplatz entstand eineigenes Forstamt, das heute “BundesforstbetriebGrafenwöhr” heißt und somit auchseit 100 Jahren besteht. Seine KöniglicheHoheit Prinz Luitpold, des KönigreichsBayern Verweser, geruhte mit allerhöchsterEntschließung am 25. Juli 1910 die Errichtungdes Militärforstamts zu genehmigen.Viele meinen ja, der Umweltschutzsei eine heutige Erfindung — aber schondamals legte man großen Wert auf die Erhaltungder Landschaft und des Waldes.Gleichzeitig sollte dies eine wirklichkeitsnaheAusbildung der Soldaten sichern.Zusammen mit dem Bau des Lagers inGrafenwöhr entstand ein schmuckesForstamtsgebäude im schweizerischenStil neben dem Wasserturm, dem Wahrzeichendes Platzes. Es dient heute dem ranghöchstenUS-Offizier als Dienstwohnung;das Forstamt ist seit 1951 in Vilseckbeheimatet.Nach der Endphase des II. Weltkriegsfand eine großflächige Waldzerstörungstatt. Wälder wurden zerschossen oderdurch riesige Brände zerstört. Von der Besatzungsmachtangeordnete Kahlschlägeund wilde Geländenutzung erledigten denRest. Erst allmählich änderte das Militärseine Einstellung. Heute werden die Wälderauf dem Platz nach naturnahen Grundsätzengepflegt. Die Wirtschaftsziele derForstwirtschaft auf Übungsplätzen unterscheidensich erheblich von denjenigen einesnormalen Forstamts. Die Bundesforstverwaltungsoll dauerhaft Wald erhalten,der für die Erfordernisse der Truppenwirklichkeitsnahe Verhältnisse schafft,seine biologischen Wirkungen auf Boden,Klima und Wasserhaushalt beibehält underst in dritter Linie durch Einnahmen einenBeitrag zur Kostendeckung erbringt. DasBundesforstamt Grafenwöhr muss alsoviele Anforderungen unter einen Hut bringen— die militärischen, die forstlichenund nicht zuletzt die des Umweltschutzes.Enge Zusammenarbeit zwischen Bundesforstamtund US-Dienststellen ist deshalbtägliche Praxis. Der Truppenübungsplatzist heute mit über 3000 Tier- und Pflanzenartenein Naturparadies und hat eine europaweiteBedeutung für das Leben vielerbedrohter Tier- und Pflanzenarten der rotenListen. So brüten hier die Hälfte allerbayerischen Heidelerchen sowie Rohrdommel,Wiedehopf, Schwarzstorch, Kranichund Fischadler. Neuerdings habensich mehrere Paare des deutschen Wappentiers,des Seeadlers, angesiedelt. Andernortswird er angeblich durch das gelegentlicheAufnehmen von Schrotkörnernund Geschossresten bleihaltiger Jagdmunitiongefährdet. Doch in Grafenwöhrscheint ihn die ganze Munition nicht zustören — im Gegenteil. In den Bächen undTeichen tummeln sich immer mehr Biber,der Elch erscheint ab und zu auf dem Platz,und Gelbbauchunke und Kammmolch,die nur in zeitweise austrocknenden, vegetationsfreienKleingewässern überlebenkönnen, profitieren von den Tümpeln inden Panzer-Kettenspuren.Daneben kommen auf dem Platz jagdbareWildtiere vor — Rehe sowie Schwarz- undRotwild, letzteres sogar in hoher Dichte.“Im Himmel der Hirsche” titelte “Die Zeit”bei ihrem Bericht über das Naturparadies.Seit Mitte der 1980er Jahre wird der Rotwildbestandkonsequent nach speziellemKonzept bewirtschaftet. Bei weit wenigerRotwild traten damals massive Wildschädenauf. Heute ist der Bestand sehr viel höher;dennoch verjüngt sich der Wald mitzum Teil seltenen Laubbäumen ohneZäune auf drei Vierteln der Fläche. DasJagdkonzept folgt drei Forderungen:- kurze Bejagungszeiten-störungsarme und effektive Jagdausübung- gezielte Lenkung der Raumnutzung desRotwildes durch Ruhe und Äsung. Man willes also dort “hinstellen”, wo es schadlosverweilen kann: Vor allem die Freiflächenauf dem Platz, die auch aus militärischenGründen offen bleiben müssen. Der Hirsch“pflegt hier die Landschaft” und arbeitetso gratis für Naturschutz und Militär.In Grafenwöhr werden jedes Jahr 1500Stück Rotwild erlegt. Zahlende Jagdgästeschießen die alten Hirsche in der Brunft.Die Jagd trägt so mit 25 % zu den Einnahmendes Forstamts bei. Zusammen mit anderenInnovationen ist das dem bayerischenBund der Steuerzahler denjährlichen “Kreativpreis” wert. Für seinvorbildliches Konzept, das auch über dieJagd die Artenvielfalt in der Natur sichertund erhöht, erhielt das BundesforstamtGrafenwöhr 2010 den “Edmond-Blanc-Preis” des Internationalen Rates zur Erhaltungdes Wildes und der Jagd (CIC).Natur pur in Grafenwöhr: Hubertus von Blum gelangen dieseprächtigen Fotos der Hirsche und des auf dem Lukendeckeleines alten Panzers sitzenden Seeadlers.124 VISIER 9/2010


100 Jahre Truppenübungsplatz Grafenwöhrgrößte Giftgaslager der Wehrmachtmit drei Millionen Giftgasgeschossengefallen. Dasim Wald versteckte Depot wurdejedoch knapp verfehlt. 74Tote waren zu beklagen, darunter15 Zivilisten.Weit verheerender war jedochein Angriff drei Tage später amWeißen Sonntag. 203 amerikanischeB-17-Bomber warfenzwei Stunden lang 606 TonnenSpreng- und Brandbomben inmehreren Wellen ab. 13 Bomberwaren unterwegs verlorengegangen. “Very good — possiblyexcellent results” vermerktDas Bundesforstamt Grafenwöhr empfing den Edmond Blanc-Preis desInternationalen Rates zur Erhaltung des Wildes und der Jagd (CIC)— hier präsentieren William Stewart (l., Deputy Commander 2dStryker Cavalry Regiment) und Forstdirektor Ulrich Maushakesichtlich stolz die Urkunde (Foto: Dr. Rolf Baldus).Vor demWasserturmsteht das alteForsthaus,errichtet imSchweizer Stil.der Berichtder 3. US-Luftdivision.DieSchäden imHauptlager warenimmens,während dasSüdlager beiVilseck nahezuunzerstört blieb.Auch die StadtGrafenwöhr warschwer beschädigt,mehrerehundert Wehrmachtsangehörigeund Kriegsgefangene imLager umgekommen. DieStadt beklagte elf zivile Opfer,aber 3000 Menschen warenobdachlos geworden. Die“Festung Grafenwöhr” war gefallen.Feldmarschall AlbertKesselring (1885-1960) versuchtenoch, eine “KampfgruppeGrafenwöhr” gegen die vonBayreuth nach Nürnberg vorstoßende14. US-Panzerdivisioneinzusetzen. Angeführtwurde sie auf Befehl des Oberkommandosin Berlin vomjüngsten und höchstdekorier-ten Generalleutnant der Wehrmacht,Theodor Tolsdorff. Aberauch “Brillantenträger” konntendas Kriegsende nicht mehraufhalten. “Ungenügende Einsatzfreude”führte Kesselringunter anderem als Ursache fürden Misserfolg des Flankenstoßesan. Die SS-Einheiten aufdem Platz suchten ihr Heil inder Flucht. Der NSDAP-Ortsgruppenleitermachte sichrechtzeitig mit dem Fahrradaus dem Staub. Am 19. Aprilmarschierten die Amerikanerein. Auf Widerstand trafen siein Grafenwöhr nicht.Nur miteinander: Die geringstmögliche Belastung der Naturerfordert ständige Abstimmung zwischen Militär und Bundesforst.VISIER 9/2010 125


<strong>GESCHICHTE</strong>lung, Steuerung und Kontrollealler US-Ausbildungsaktivitätenin Europa. In den 80er Jahrenänderten sich die Herausforderungen.Zwischen denbeiden Militärblocks setzteTauwetter ein. Aber durchneue, komplexe Waffensystemewie dem M1 Abrams-Panzeroder dem Apache-Helikopterstellten sich neueAnforderungen an die Ausbildung.Dennoch schienen mitdem Zerfall des Ostblocks undmit dem im August 1994 abgeschlossenenAbzug der Russenaus Deutschland neue Zeitender Abrüstung anzubrechen.Elvis Presley beim Schuss mit dem Garand-Gewehr. Jenseits allen Starrummels legtePresley großen Wert darauf, seine Wehrpflichtwie jeder andere auch zu absolvieren— er galt als hochmotivierter Soldat.Bis heute ziert der Vorname des berühmten Rock ‘n‘ Roll-Musikersund Filmschauspielers einen Backstein am Bleidorn-Tower.Für Amerika und seine Verbündetenbrach militärisch eineneue Zeit an. Der internationaleTerrorismus löste alsFeindbild den Ost-West-Gegensatzab. Der Krieg gegen denTerror setzte ein. Am 7. Oktober2001 begann auf derRechtsgrundlage einer Resolutiondes UN-Sicherheitsratesdie “Operation Enduring Freedom”.Sie soll die Lebenszendemleichten OH-58A Beobachtungshubschraubervon Bell.Im August 1977 erreichten dieersten A-10 Thunderbolt-Unterschalljets— von ihren Pilotenliebevoll “Warzenschwein” genannt— Europa und wurdengleich in Grafenwöhr eingesetzt.Die robusten Erdkampfflugzeugewaren ungemeinwirksam gegen Panzer undbeim Bekämpfen von Erdzielen.Und das konnten sie in derOberpfalz ausgiebig üben.Vom Tauwetter zum Krieggegen den Terror: 1976wurde das Ausbildungszentrumin Vilseck umbenannt in“Seventh Army Training Command”(7ATC) — nunmehr verantwortlichfür die Bereitstel-The King in Graf: Eigentlich in Friedberg bei einem Panzerbataillonstationiert, verbrachte Rock ‘n‘ Roll-Legende Elvis Presley auch einigeZeit in Grafenwöhr — auf der Farbaufnahme mit den Sergeantenwinkeln.Die Armee erlebte ein radikalesProgramm zur Verkleinerung.Dabei wurde im September2000 auch überprüft, obdie Anlage in Grafenwöhr geschlossenwerden konnte. ImPentagon erörterte man aufhöchster Ebene die strategischeBedeutung des Platzes.Dann jedoch ereigneten sichdie vom Al-Qaida-Netzwerk organisiertenSelbstmord-Attentatevom 11. September 2001.128 VISIER 9/2010


100 Jahre Truppenübungsplatz GrafenwöhrElvis in Grafenwöhr Im Rahmen seinerSoldatenzeitwar Weltstar Elvis Aaron Presley (1935-77), damalsauf dem Höhepunkt seiner Karriere, vom1. Oktober 1958 an für eineinhalb Jahre bei einemPanzerbataillon der 3. Armoured Division inFriedberg stationiert. Er ließ sich nicht von der Armyals PR-Star instrumentalisieren, sondern kamseinen Aufgaben als Rekrut nach. Durchaus erfolgreich,wie aus seiner Militärakte hervorgeht.Kurz nach seiner Ankunft musste er als Jeepfahrerfür ein paar Wochen nach Grafenwöhr auf Manöver.Die Militärpolizei hatte alle Hände voll zu tun,den “King of Rock ‘n‘ Roll” dort vor Autogrammjägernund Verehrerinnen zu schützen. Zwei SäckeFanpost soll er erhalten haben. Gelegentlich griffer in der Kaserne auch zur Gitarre. Dabei sang eraber meistens die Lieder anderer Stars. Im Dezembererhielt er Besuch von seinem Vater und einigenBekannten, die inkognito bei einer FamilieFeiner wohnten. Ihnen gehörte die Micky-Bar, inder Tanzkapellen aufspielten und junge Damensich entblätterten. Mutter Feiner kochte, und hiersoll Elvis seine Basisernährung aus amerikanischem“junk-food” erweitert haben, da er Schnitzel-Sandwichskennen lernte. Als Dank für dieGastfreundschaft gab er am letzten Tag ein kleinesinformelles Konzert für das Personal, bevor dieBar öffnete. Namentlich an “Heartbreak Hotel”und “Hound Dog” kann sich Feiner junior noch erinnern.Heute ist das ehemalige Striptease-Lokalin eine “Kirche der Heiligen der letzten Tage” umgewandelt— also einen Tempel der Mormonen. ImFebruar 1960 zog Elvis noch einmal ins Manövernach Grafenwöhr, jetzt schon zum Sergeant befördert.“Winter Shield” hieß das NATO-Manöver, beidem 60000 amerikanische und deutsche Soldateneingesetzt wurden. Das Heimatmuseum in Grafenwöhrwidmet dem Mythos heute eine ganzeEcke, und am “Bleidorn-Tower“ gibt es einenZiegelstein, in den jemand “Elvis GI” geritzt hat— angeblich der “King” selbst.Der King bei einem Publicity-Foto mit einem kleinenbayerischen Jungen, dermal statt des berühmtenAmerikaners im Jeep sitzt.


<strong>GESCHICHTE</strong>tren des internationalen Terrorismustreffen. Seitdem wirdunter anderem in Afghanistanmilitärisch interveniert. Strategie,Bewaffnung und Kampfführungmussten der neuenKriegsführung angepasst werden.Grafenwöhr stand vor völligneuen Aufgaben und vor einergewaltigen Expansion.Bestimmte Aufgaben wurdenin der Mitte des Jahrzehnts inein zusätzliches Ausbildungszentrumauf den nahe gelegenenÜbungsplatz Hohenfelsausgelagert. Grafenwöhr avanciertedanach zum exklusivenSchießplatz der US-Armee inEuropa. Zusätzlich entstanddort ein supermodernes Netzwerkvon Simulatoren, in denensich Soldaten an modernenKommunikationsmitteln,in Taktik, Kampfstrukturenund mit realitätsnahen Kommandoübungenausbilden lassen.Unter Gefechtsbedingungenkann der Einsatz vonInfanteriewaffen simuliert oderder Schuss mit schwerem Gerätgeübt werden. Eine moderneAusbildungsstrukturfür das 21. Jahrhundert nimmtGestalt an.Es üben auch andere NATO-Partner, Soldaten aus dem ehemaligenOstblock und gelegentlichsogar Offiziere ausAfrika. Um die zunehmendeZusammenarbeit auch im Namendeutlich zu machen, wurdedie Organisation 2005 in“Joint Multinational TrainingCommand” (JMTC) umbenannt.Tausende von Soldatenhaben in den vergangenen Jahrenauf dem Weg zum Irak odernach Afghanistan einen Halt inder Oberpfalz gemacht, um mitdemselben Gerät wie an ihrenEinsatzorten ein letztes ausgiebigesSchießtraining zu absolvieren.Durch GrafenwöhrsSchießbahnen und Ausbildungszentrenist JMTC inzwischeneine der wichtigsten militärischenEinrichtungen derUS-Armee weltweit. Grafen-wöhr, so schreibt die Sonderausgabeder JMTC-Truppenzeitschrift“Training Journal”ist “der führende Truppenübungsplatzaußerhalb derUSA.” Direkt vor Ort sind auchdie 172. Infanteriebrigade stationiert,die von Schweinfurtnach Grafenwöhr verlegt wurde,sowie das 2. Stryker Regimentmit seinen hochmodernen,leichten Kampfpanzern.Es wurde im Juni für ein Jahrnach Afghanistan verlegt.“Graf” ist das Testgelände, auf dem die Amerikaner ihre Panzer und ihre Haubitzen (hier M119) ausprobieren und wo vielEntwicklungsarbeit stattfindet — all das unter feldmäßigen Bedingungen, wie die Tarnung dieses US-Soldaten zeigt. Und dieBundeswehr schießt hier nicht nur mit dem SPz Marder (im Bild beim Verfeuern eines Milan-Flugkörpers), sondern trainiertmit den Amerikanern in Rollenspielen das richtige Verhalten beim Einsatz in Ländern wie Afghanistan und Irak.130 VISIER 9/2010


100 Jahre GrafenwöhrIm Jahre 2001 begann ein Riesen-Bauprogramm,das nichtnur große neue Militäranlagenvorsieht, sondern auch neueSchulen, Kasernen, Sportanlagen,Kliniken, ein Hotel undeinen ganzen neuen Stadtteilfür die Soldaten mit Familien.Selbst an eine Kirche wirdgedacht. Die Zeit der mehrfachbelegten Stuben ist vorbei;jeder Soldat hat einEinzelzimmer.Wenn das Bauprogramm imJahre 2011 abgeschlossen seinwird, haben die VereinigtenStaaten von Amerika fast eineMilliarde Euro ausgegeben.30000 Amerikaner leben inder Region, und die jährlichenUS-Ausgaben werden auf 600Millionen Euro beziffert —ein warmer Geldregen fürdie Oberpfalz. Da erstaunt esnicht, wenn bei der Hundertjahrfeierdes Forstamts am3. Juli ein biederer Lokalpolitikerals Reaktion auf die langeListe der Leistungen beimSchutz der Umwelt auf demPlatz erwidert, man möge dochbitte auch in Zukunft nichtnur an die Umwelt, sondernauch an die wirtschaftlichenWirkungen des Platzes fürdie umliegenden Gemeindendenken.ÆWeitere Infos Grafenwöhr liegt imLandkreis Neustadt inder Oberpfalz und erstreckt sich über eine Flächevon zirka 226 km 2 . Weiteres Material/Quellen:•Buch “Truppenübungsplatz Grafenwöhr gestern- heute” (2010) von Gerald Morgenstern, www.grafenwoehr-uebungsplatzbuch.de •Festschrift“100 Jahre Bundesforst Grafenwöhr”. Erhältlichbeim Bundesforstamt in Vilseck: (09662) 4101-0•1. Oberpfälzer Kultur- und MilitärmuseumGrafenwöhr. www.museum-grafenwoehr.de•Ausstellungskatalog der Militärabteilung vonGerhard Müller (Heimatverein Grafenwöhr 1990)im Museum erhältlich. •US-Armee Grafenwöhr:www.grafenwoehr.army.mil und www.hqjmtc.army.mil •Elvis Presley in Grafenwöhr: elvis.grafenwoehr.<strong>com</strong>VISIER 9/2010

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!