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Interview mit Michael Töpel

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Neue Musik <strong>mit</strong> Kindern und Jugendlichen<br />

<strong>Michael</strong> <strong>Töpel</strong>s „Campana“ für Orchester <strong>mit</strong> Röhrenglocken<br />

Anfang Juli 2009 fanden im Staatstheater Kassel vielbeachtete Aufführungen statt, an denen das<br />

Staatsorchester zusammen <strong>mit</strong> Schülerinnen und Schülern beteiligt war. Für das Projekt „Klangwelten<br />

entstehen“ wurden mehrere Kompositionsaufträge vergeben. Der Komponist <strong>Michael</strong> <strong>Töpel</strong> hat hierfür<br />

ein Werk für Orchester und Röhrenglocken geschrieben. Wir sprachen <strong>mit</strong> ihm über seine Erfahrungen<br />

<strong>mit</strong> diesem Schülerprojekt.<br />

Nadine Heese: „Klangwelten entstehen“ war ein Projekt <strong>mit</strong> Schülern. Ist dies Ihr erstes Projekt<br />

dieser Art?<br />

<strong>Michael</strong> <strong>Töpel</strong>: Bereits in den 1990-er Jahren hatte ich zusammen <strong>mit</strong> Mitgliedern der Deutschen<br />

Kammerphilharmonie Bremen an einem Response-Projekt in der Hansestadt teilgenommen. Als<br />

Komponist hatte ich eine spannende und nach meinem Eindruck für alle Beteiligten bereichernde Arbeitphase<br />

<strong>mit</strong> einer Grundschulklasse erlebt. Die Klasse selbst entwickelte dabei eine Art klingende<br />

Choreographie, die die vier Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft darstellte. Ich war eher moderierend<br />

in diesen Prozess <strong>mit</strong> eingebunden. Den Kindern war es wichtig, das Ergebnis schriftlich festzuhalten,<br />

denn am Ende stand ein Konzert, das auch im Film dokumentiert worden ist. Sie bestimmten<br />

mich zum „Partiturenschreiber“. Die Kinder schlugen vor, wie ich ihre Ideen aufschreiben sollte. Bemerkenswert<br />

waren die von ihnen selbst und ohne Anleitung gefundenen graphischen Zeichen, die<br />

zum Teil denen von professionellen Komponisten, die graphisch notieren, ähnelten oder sogar <strong>mit</strong><br />

ihnen identisch waren. Für das Crescendo und Diminuendo deuteten sie <strong>mit</strong> den Armen die auch in<br />

der traditionellen Notation gebräuchlichen Gabeln < und > an und drängten mich, sie so auf die großen<br />

Papierbogen zu zeichnen. Der Weg zum Ergebnis, zur Aufführung, war mindestens ebenso aufschlussreich<br />

wie das abschließende Konzert. Außerdem habe ich einiges über die Suggestionskraft<br />

von Symbolen gelernt. Es hat mich sehr berührt, dass diese Klasse auch nach dem Ende der gemeinsamen<br />

Arbeitsphase weitergemacht hat: Sie hat z. B. Texte gedichtet, zu denen sie Musik erfunden<br />

haben. Das gab mir zu denken: Die meisten Stücke schreibt man auch als professioneller Künstler<br />

letztlich aufgrund von äußeren Anstößen und Gelegenheiten: Gelegenheit schafft Werke! Man sucht<br />

diese Gelegenheiten förmlich, setzt sich ihnen aus, denn: Vielleicht wird ein Stück daraus.<br />

Was genau war das Ziel des Projekts „Klangwelten entstehen“? Haben in diesem Zusammenhang<br />

ausschließlich Schüler <strong>mit</strong>gewirkt, die bereits eine musikalische Vorbildung haben?<br />

Bei der Beschreibung des Zieles lassen Sie mich bitte aus dem Programmheft des Staatstheaters<br />

Kassel zitieren: „Angeregt durch die Schulentwicklungsarbeit des Lernbereiches Kulturelle Praxis der<br />

Versuchsschule Steinwaldschule Neukirchen und die Zusammenarbeit der beteiligten Schulen im<br />

Kulturnetz weiterführender Schulen, Schwalm-Eder wurde im Frühjahr 2007 der Kontakt <strong>mit</strong> dem<br />

Staatsorchester Kassel aufgenommen, um die Möglichkeiten eines großflächig angelegten Projektes<br />

zwischen Schulen und dem Staatsorchester auszuloten. ... Nach der grundsätzlichen Bereitschaft des<br />

Staatsorchesters Kassel, Kooperationspartner in diesem Projekt zu werden, machten sich die beteiligten<br />

Schulen an die inhaltliche Ausgestaltung des Abends. Unterstützung erhielt das Projekt von vielen


Seiten und durch die im Sommer 2007 erstmals am Staatstheater Kassel eingerichtete Konzertpädagogik,<br />

ohne deren Koordination am Haus das Projekt nicht durchführbar gewesen wäre. ... Die sehr<br />

unterschiedlichen Wege, sich dem Thema Musik zu nähern, dabei zu echtem kreativen Handeln zu<br />

kommen und im wahrsten Sinne eines Projektes <strong>mit</strong>einander an der Ausgestaltung eines gemeinsamen<br />

Zieles, schulen-, jahrgangs- und fächervernetzend zu arbeiten, machen dieses Projekt zu einem<br />

außergewöhnlichen Ereignis. Dass die Schulen über einen so langen Zeitraum die kulturelle Bildung<br />

zu einem Mittelpunkt ihres Handelns gemacht haben, zeigt, wie viele Formen kompetenzorientierten<br />

Lernens in diesem Feld stecken. Schulen tun gut daran, solchem Ästhetischen Lernen mehr Raum zu<br />

geben.“<br />

Was mir besonders gefiel: Die Teilnahme war für alle an der Mitwirkung interessierten Schülerinnen<br />

und Schüler aus allen Schulformen offen. Es gab keine Ausschlusskriterien. Exklusivität hätte ohnehin<br />

im Widerspruch zum Anspruch und zum Ziel des Projektes gestanden.<br />

In Ihrem Klangbild "Campana" sind das Orchester und das zum Teil improvisatorische Musizieren<br />

an Röhrenglocken Thema. Wie entstand die Idee, auch Tanz <strong>mit</strong> in das Bild einzubinden?<br />

„Campana“ ist mein kompositorischer Beitrag für das aus insgesamt fünf Bildern bestehende Klangwelten-Konzert<br />

gewesen. Die von Schülern zu improvisierenden Parts der Röhrenglocken sind in der<br />

Komposition zentral, der Titel „Campana“ − italienisch Glocke − deutet dies schon an. Ich sah eine<br />

Chance darin, dass es sich bei den Röhrenglocken nicht um die üblichen sinfonischen Norminstrumente<br />

aus dem Orchesterfundus handelte, sondern um großzügigerweise zur Verfügung gestellte<br />

Selbstbauten aus dem Instrumentarium der Kasseler Metallmusik, also um Unikate <strong>mit</strong> einer ganz<br />

eigenen Stimmung und Klangfärbung. Diese besonderen Instrumente haben die <strong>mit</strong>wirkenden Schülerinnen<br />

und Schüler in mehreren Arbeitsphasen − noch ohne Orchester − kennen gelernt. Wir haben<br />

dabei gemeinsam verschiedene Anschlagsmöglichkeiten und Schlägelsorten ausprobiert. Einen Teil<br />

dieser Spielmöglichkeiten haben sie dann als Anregung oder auch als Vorgabe in den für die Glocken<br />

vorgesehenen Abschnitten innerhalb meiner Komposition wiedergefunden. Notiert wurde nur der zeitliche<br />

Rahmen, die Anschlagsart und Schlägelsorte sowie der dynamische Bereich. Die Improvisation<br />

war innerhalb eines gewissen vorgegebenen Korridors frei und in jeder der vier Aufführungen im Großen<br />

Haus des Staatstheaters Kassel Anfang Juli 2009 im Detail anders, einmalig.<br />

Es war eine wunderbare Chance, eine Gruppe junger Frauen, die sich seit geraumer Zeit in der<br />

Schwalm zu regelmäßigen Tanzproben treffen, <strong>mit</strong> in dieses Bild einbinden zu können. Einerseits bin<br />

ich ein großer Verehrer von Ballet und Tanz (schon als Schüler habe ich keine Produktion von Hans<br />

Kresnik in Bremen versäumt), andererseits hat sich für mich so die Möglichkeit ergeben, Musik zu<br />

schreiben, von der ich wusste, dass zu ihr eine professionelle Choreographie entwickelt werden würde.<br />

Das hat den Gestus der Musik entscheidend beeinflusst.<br />

Gab es ein so genanntes Casting, weil evtl. das Interesse so groß war?<br />

An alle Schülerinnen und Schüler gab es Einladungen zur Mitwirkung oder zum „Hineinschnuppern“,<br />

wobei bei manchen Bildern aufgrund der Anzahl der Instrumente eine Begrenzung notwendig war.<br />

Schließlich mussten sich alle entscheiden: Teilnahme oder Verzicht.


Wie verlief die Zusammenarbeit? Das Engagement von Seiten der Schüler.<br />

Die Zusammenarbeit war von großer Disziplin und von einer gar nicht selbstverständlichen Bereitschaft<br />

geprägt, sich auch an Wochenenden oder sonst in der freien Zeit zu treffen, um ernsthaft zu<br />

arbeiten. Das war wirklich vorbildlich!<br />

Beglückend war für mich auch die aufgeschlossene, offene Art und Weise, <strong>mit</strong> der man meiner Musik<br />

begegnete: Es handelt sich bei der „Campana“ um ein für alle Beteiligten anspruchsvoll aufzuführendes<br />

und auch durchaus anspruchsvoll zu hörendes Stück neuer Musik. Indem es forderte schien es<br />

auch zu fördern, denn es förderte bemerkenswerte Ergebnisse der Kinder und Jugendlichen. Sicher<br />

ist fast alles in meiner Musik anders als das, was sie üblicherweise hören, doch hat keiner der Beteiligten<br />

sich verwundert oder gar negativ geäußert. Vielleicht sind Menschen viel weniger „konditioniert“<br />

als man denkt, wenn sie Unbekanntem begegnen und dabei gleichzeitig spüren, dass man <strong>mit</strong> ihnen<br />

gemeinsam einen Weg gehen will, auf dem alle gleichermaßen respektiert und ernst genommen werden<br />

und dass sie zu erreichbaren, doch ganz besonderen Aufgaben und Erfahrungen eingeladen<br />

werden. Genau in diesem Sinne hat auch der außerordentlich engagierte Erste Kapellmeister Marco<br />

Comin gewirkt, indem er bei den sehr konzentrierten Proben und ebenso bei den Aufführungen die<br />

Kinder als junge Kollegen des Orchesters <strong>mit</strong> ins Team eingebunden hat.<br />

Bei dem Projekt haben neben Ihnen noch weitere Komponisten <strong>mit</strong>gewirkt.<br />

Es gab insgesamt drei eigens für die Klangwelten in Auftrag gegebene neue Kompositionen. An die<br />

Aufträge wurden recht genaue Bedingungen gestellt, Mike Svoboda bekam einen Auftrag für Chor und<br />

Orchester, Martin Wiese wurde <strong>mit</strong> der Aufgabe betraut, für einen von Schülern entworfenen und gedrehten<br />

Film Musik zu komponieren, wobei er auch Themen <strong>mit</strong> verarbeitete, die sich Schüler ausgedacht<br />

hatten. Die musikalischen Stile waren sehr unterschiedlich, entsprachen aber gerade darin dem<br />

auf Vielfalt angelegten Ansatz des Projektes.<br />

Inwiefern fand eine Absprache <strong>mit</strong> den anderen Komponisten in Bezug der anderen Bilder<br />

statt?<br />

Als „dramaturgische Zentrale“ des Ganzen wirkte ein sog. Projektentwicklungsteam, in dem auch ich<br />

beteiligt war. Eine sehr spannende Aufgabe, einerseits die Entwicklung der sich weit über ein Jahr<br />

entwickelnden Planung des Ganzen zu begleiten und andererseits die Musik für eines der Bilder erfinden<br />

zu können. Es war für mich eine wunderbare menschliche und kreative Erfahrung, <strong>mit</strong> den Kindern<br />

an den Röhrenglocken und auch <strong>mit</strong> den ganz tollen und so vorbildlich diszipliniert probenden<br />

Tänzerinnen zusammenzuarbeiten − in einem Team <strong>mit</strong> Laureen Fajgel als professionelle Choreographin<br />

und Nonna Ruda als professionelle Kostümbildnerin, die für die eindrucksvolle Choreographie in<br />

wunderschönen Kostümen verantwortlich waren.<br />

Sind noch weitere Projekte dieser Art geplant?<br />

In vielen Städten gibt es neben privaten Projekten diverse Formen des Zusammenwirkens zwischen<br />

Schulen und Theatern und/oder Orchestern. Das ist auch in Kassel so, denken Sie an die Kindermusiktage,<br />

an die wunderbaren Kinderkonzerte und an die Opernaufführungen des TheaterJugendOrchesters<br />

TJO. Es scheint mir, dass auch „Klangwelten entstehen“ bereits in die Zukunft zu wirken


eginnen, warten wir es ab, hoffend...<br />

Und wie geht die kompositorische Arbeit weiter?<br />

Auf meinem Schreibtisch liegt neben dem Laptop ein kürzerer Zyklus von vier Stücken für Violoncello<br />

und Klavier <strong>mit</strong> dem Titel „Petits Fours“, außerdem habe ich einen Auftrag für eine Reihe von Miniaturen<br />

für Violoncello und Akkordeon und dann geht es weiter <strong>mit</strong> der Arbeit am „Tedeum“ für Soli, gemischten<br />

Chor und Orchester.

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