Auszug aus Katalog zur Ausstellung „Maja Rieder & <strong>Boycotlettes</strong>“ Eva Inversini Direktorin und Kuratorin Kunstkaus Grenchen „... <strong>Boycotlettes</strong> gehen teilweise von eigenen fotografischen Bildvorlagen aus, die sie modifizieren und in andere Medien übersetzen. Dabei gehen die Künstlerinnen während des Bildfindungsprozesses mit absoluter Präzision, klar vordefinierten Elementen sowie in geplanten Aktionen vor, ebenso wie mit Intuition und Spontaneität, was Raum für Zufälliges schafft, ja dies teilweise sogar bewusst provoziert. Bocotlettes reagieren auf vorgefundene räumliche Situationen und kreieren einige ihrer Arbeiten raumgreifend und zugeschnitten auf den jeweiligen Ort. <strong>Melanie</strong> <strong>Fischer</strong> <strong>Fadera</strong> (*1976 in Solothurn) und <strong>Lara</strong> <strong>Schwander</strong> (*1976 in Brugg) nennen sich <strong>Boycotlettes</strong>. Die Zusammenarbeit der beiden Künstlerinnen besteht seit 1999. Ihre gemeinsame Tätigkeit umfasst den Bereich der bildenden Kunst sowie der angewandten Kunst, wenn sie als Designerinnen mit eigenem Mode-Label auftreten. Gleich wie ihr wohlklingender und für so manche Interpretation verlockend offener Name muten ihre Wandkompositionen, Siebdrucke und Objekte an: attraktiv, weil farbig, ästhetisch, vieldeutig und für jede und jeden mit bekannten Elementen durchsetzt. Die Bilderflut ist als Ganzes kaum fassbar, wohin der Blick auch schweift, immer wieder lassen sich neue Details und neue Bezüge zwischen den einzelnen Teilen des Bildes entdecken. Die Künstlerinnen entwerfen eigene Bildwelten, die sich aus einem über die Jahre angelegten Bildarchiv speisen. Die einzelnen Elemente dieses Archivs stammen aus ganz unterschiedlichen Quellen, mal sind sie im Internet gefunden und verändert, mal selbst entworfen und gezeichnet, mal fotografiert. Motive, die <strong>Boycotlettes</strong> als Muster für Textildesigns entwerfen und verwenden, gelangen über das Fotografieren der Models, welche die daraus hergestellten Kleidungsstücke tragen, sowie das Verwenden dieser Modefotografien als Bildvorlagen wieder zurück in die Wandbilder und umgekehrt. Verwendungszwecke und Entwicklungsstadien der Sujets multiplizieren und überlagern sich so fortlaufend. Die Bildsprache erinnert an Graffitis und Street Art, gemischt mit den sehr traditionellen Verfahren des Scherenschnitts und der Wandmalerei – wenn auch in einer modernen und abgewandelten Form. Wandkompositionen wie „von Früchten und Viechern“ (2010) folgen keinen logischen Gesetzen, erzählen keine fortlaufenden Geschichten mit Anfang und Ende, dennoch sind sie vielsagend, aussagekräftig, zusammenhängend. Sie setzen Assoziationen und Emotionen frei, bleiben aber letztlich doch rätselhaft. Um eine horizontale Bildachse aufgebaut, fügen sich geometrische monochrome oder mit Motiven bedruckte Farbflächen und verschiedenste, sich partiell wiederholende Motive zu einem neuen, vernetzten Bildganzen. Das Grundmaterial für diese Collagen sind Folien, die in verschiedene Formen geschnitten und auf die Wand appliziert werden. Die Sujets stammen aus Flora (Kakteen, Orangen, Blumen, Kirschen,...) und Fauna (Frösche, Eulen, Ratten, Pferde, Affen, Insekten,...), aus der Alltagswelt (Anker, Schlüssel, Besteck,...) oder sind surreal wirkende Kombinationen wie etwa Brillengläser mit sehenden Augen oder ein menschliches Wesen mit überdimensioniertem Kopf auf zu kleinem Körper. Was auf den ersten Blick harmlos, witzig, leicht und farbenfroh daherkommt, birgt latent lauernd auch das Gegenteil: Abgründiges, Bedrohliches und Düsteres irritiert die vermeintlich heile Blümchenwelt. Die für den Druck der Folien und Stoffe verwendeten Siebe werden nach Gebrauch nicht einfach ausgewaschen – zuvor finden sie in den sogenannten „waste papers“ (2006–09, „Abfallpapiere“) eine weitere Verwendung. Die übrig gebliebene Farbe wird von den Sieben auf Papier und Karton ausgestrichen, die Motive verschmelzen erneut zu kleinen Kosmen – Druckgrafik entsteht. Auch Dreidimensionales ist den <strong>Boycotlettes</strong> nicht fremd: So erstreckt sich auf dem Boden ein Objekt aus Telefonkarten fremder Länder, mit Draht zusammen geflochten – ähnlich der Form einer Pflanzenkapsel oder Kalebasse, in der Farbigkeit gleich einem Stoff des italienischen Designlabels Missoni. Oder feine Kettchen verbinden als Leitungen auf die Wand applizierte Strom- und Telefonmasten und lassen die Collage in der Schwebe zwischen Relief und Zeichnung. Als reales Element in der Welt der Abbildung verweisen sie auf die klassische Frage nach der Realität und deren Repräsentation. Der aktive Einbezug der Besucherinnen und Besucher zeigt eine weitere Facette im grenzüberschreitenden Schaffen der Künstlerinnen, wenn zuvorderst an der Glasfront des Kunsthauses unter Mithilfe aller ein neues Biotop, ein Teich eigens für und in Grenchen entsteht, dessen Froschkönig auf einem überdimensionierten Laichballen thront, als ob er darauf wartete, geküsst zu werden. Mit grün blitzendem Blick fordert er Besucher und Passanten auf, in die Welt jenseits der grünlich spiegelnden vermeintlichen Wasseroberfläche einzutauchen. .....“ (1)
„Ohne Titel“ Kunstkaus Grenchen (2)