Text der Predigt (frdl.-weise von Pastor Stefan - Schwiegershausen
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<strong>Predigt</strong> im Festgottesdienst<br />
zum 150-jährigen Jubiläum<br />
des MGV Freundschaft<br />
am 15. Juni 2008<br />
in <strong>der</strong> Michaeliskirche in <strong>Schwiegershausen</strong><br />
Liebe Gemeinde,<br />
„die Legende <strong>von</strong> Babylon und was geschah,<br />
hat uns auch heut‘ noch allerhand zu sagen“.<br />
Was sich hinter diesem vielsagenden<br />
„allerhand“ verbirgt, darum soll es heute in <strong>der</strong><br />
<strong>Predigt</strong> gehen.<br />
Es ist ein <strong>Text</strong>, <strong>der</strong> auf den ersten Blick erst einmal<br />
wenig zu tun hat mit dem Thema „Musik“. Dafür<br />
um so mehr mit dem Thema „Gemeinschaft“. Und<br />
das ist ja etwas, was den Sängern eines Vereins,<br />
<strong>der</strong> sich MGV Freundschaft nennt, auch am<br />
Herzen liegt. Und es wird auch noch, das<br />
verspreche ich, um die Musik gehen. Aber hören<br />
wir zuerst den <strong>Predigt</strong>text aus dem 1. Buch Mose im<br />
11. Kapitel:<br />
Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und<br />
Sprache.<br />
1<br />
Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine<br />
Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst.<br />
Und sie sprachen untereinan<strong>der</strong>: Wohlauf, lasst<br />
uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen<br />
Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel und<br />
sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen<br />
Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel<br />
reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn<br />
wir werden sonst zerstreut in alle Län<strong>der</strong>.<br />
Da fuhr <strong>der</strong> HERR hernie<strong>der</strong>, dass er sähe die<br />
Stadt und den Turm, die die Menschenkin<strong>der</strong><br />
bauten.<br />
Und <strong>der</strong> HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk<br />
und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist<br />
<strong>der</strong> Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr<br />
verwehrt werden können <strong>von</strong> allem, was sie sich<br />
vorgenommen haben zu tun.<br />
Wohlauf, lasst uns hernie<strong>der</strong>fahren und dort ihre<br />
Sprache verwirren, dass keiner des an<strong>der</strong>n<br />
Sprache verstehe!<br />
So zerstreute sie <strong>der</strong> HERR <strong>von</strong> dort in alle Län<strong>der</strong>,<br />
dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen.<br />
Daher heißt ihr Name Babel, weil <strong>der</strong> HERR<br />
daselbst verwirrt hat aller Län<strong>der</strong> Sprache und sie<br />
<strong>von</strong> dort zerstreut hat in alle Län<strong>der</strong>.<br />
(1 Mos 11,1-9)
Das gigantische Projekt des Turmbaus zu Babel<br />
beginnt mit einer Angst. Man überhört es fast:<br />
„Denn wir werden sonst zerstreut in alle Län<strong>der</strong>“.<br />
Hier haben Menschen Angst, dass ihre<br />
Gemeinschaft zerfällt. Was hält uns zusammen?<br />
Das fragen sich die Menschen <strong>von</strong> Babel bange.<br />
Und die Strategie, die sie entwickeln, ist immer<br />
noch sehr nachvollziehbar.<br />
Eine gemeinsame Aufgabe soll es geben, ein<br />
gemeinsames Projekt. Sie wollen etwas schaffen,<br />
auf das sie stolz sein können.<br />
Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm<br />
bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche,<br />
damit wir uns einen Namen machen!<br />
Einen Namen wollen sich die Menschen <strong>von</strong><br />
Babel machen. Schaut, was wir geschaffen<br />
haben! Wer zu uns gehört, <strong>der</strong> kann stolz sein!<br />
So weit ist das erst einmal nachvollziehbar. Und<br />
ist daran auch gar nichts auszusetzen.<br />
Gemeinsame Ziele und Aufgaben halten eine<br />
Gemeinschaft zusammen.<br />
Auch ein Chor arbeitet auf seine Auftritte hin.<br />
Fiebert und bangt. Und möchte da in einem guten<br />
Licht erscheinen und seine Sache ordentlich<br />
machen.<br />
2<br />
Sich einen Namen machen – das will auch ein<br />
Chor. Man denke nur an die Sängerwettbewerbe,<br />
die es früher ja häufiger gab. Und wenn Leute<br />
einem sagen: „Mensch, ihr habt schön<br />
gesungen!“, dann macht das Singen nochmal so<br />
viel Spaß! Stolz auf den eigenen Chor, seine<br />
Geschichte, seine Leistungen – das darf ja sein und<br />
ist etwas Schönes.<br />
So weit, so gut! Nur, dass die Menschen <strong>von</strong><br />
Babylon offensichtlich bei ihrem gemeinsamen<br />
Projekt jedes Maß verloren haben.<br />
Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm<br />
bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche,<br />
damit wir uns einen Namen machen!<br />
Hier wollen Menschen etwas Gigantisches<br />
schaffen. Etwas noch nie Dagewesenes. Bis an<br />
den Himmel soll ihr Turm reichen. Die Wolken soll er<br />
kratzen. Den größten Turm, den Menschen jemals<br />
gebaut haben!<br />
Hier werden sie uns vielleicht langsam<br />
unheimlich, diese Menschen <strong>von</strong> Babylon, mit ihrer<br />
Maßlosigkeit. Sie wollen nicht nur Großes schaffen.<br />
Sie wollen die Allergrößten sein.<br />
Und man fragt sich schon langsam: Kann das<br />
gut gehen?
Tröstlich vielleicht, dass dieser gigantische<br />
Turmbau aus <strong>der</strong> Perspektive des Himmels so<br />
gigantisch auch wie<strong>der</strong> nicht ist. Die Geschichte<br />
erzählt das mit Humor.<br />
Da fuhr <strong>der</strong> HERR hernie<strong>der</strong>, dass er sähe die<br />
Stadt und den Turm, die die Menschenkin<strong>der</strong><br />
bauten.<br />
Die Menschen wollen einen Turm bauen, <strong>der</strong> bis<br />
zum Himmel reicht.<br />
Und Gott muss erst einmal herabsteigen, um zu<br />
sehen, was diese Zwerge da unten eigentlich<br />
anstellen. Als müsste er sich das erst einmal<br />
genauer anschauen, weil er das <strong>von</strong> so weit oben<br />
gar nicht erkennen kann.<br />
Bis an den Himmel reicht dieser Turm also noch<br />
lange nicht! Was uns gigantisch und<br />
größenwahnsinnig vorkommt, ist vor Gott, dem<br />
Ewigen, immer noch fast lächerlich klein. Quasi so<br />
eine Art Modelleisenbahnlandschaft! Größeres<br />
bringen wir nicht zustande, vom Himmel aus<br />
betrachtet!<br />
Und am Ende bleibt <strong>der</strong> Turm, dieses gigantische<br />
Projekt, eine gigantische Bauruine. Gott verweist<br />
den Menschen in seine Grenzen. (Als Sie es eben<br />
gesungen haben, sind Sie richtig laut geworden!)<br />
3<br />
Er verwirrt ihre Sprache. Keiner versteht mehr den<br />
an<strong>der</strong>en.<br />
Und gerade das passiert, wovor die Menschen<br />
solche Angst hatten: Ihre Gemeinschaft zerbricht.<br />
Was hält uns zusammen? Das war die geheime<br />
Frage bei diesem Projekt. Am Ende hält sie nichts<br />
mehr zusammen!<br />
Was hat das alles mit dem Männergesangverein<br />
zu tun? Dass Sie babylonische Türme bauen,<br />
maßlose Projekte angehen, wird man Ihnen kaum<br />
vorwerfen können. Vielleicht, habe ich gedacht, ist<br />
ja ein Gesangverein im Idealfall eher so etwas wie<br />
ein Gegenmodell zum Turmbau <strong>von</strong> Babylon.<br />
Denn es gibt ja wichtige Unterschiede zwischen<br />
den Menschen <strong>von</strong> Babel und Ihrem<br />
Gesangverein.<br />
Ein erster Unterschied:<br />
Die Menschen <strong>von</strong> Babylon loben vor allem sich<br />
selber. Ihr eigenes Können. Ihre eigene Größe.<br />
Im Gesangverein haben Sie es sich auch zur<br />
Aufgabe gemacht, immer wie<strong>der</strong> Gott zu loben.<br />
Das war <strong>von</strong> Anfang an so. In <strong>der</strong> Chronik war es<br />
nachzulesen. Bei <strong>der</strong> Feier zu Luthers 400.<br />
Geburtstag 1883 sang <strong>der</strong> MGV Psalm 121 und das<br />
große Gloria. Ehre sei Gott in <strong>der</strong> Höhe.
Und wenn ich den Chorsatz mit dem Titel<br />
„Mahnung“, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Chronik abgedruckt ist,<br />
richtig entziffert habe, dann beginnt er mit den<br />
Worten: „Vergiss ihn nicht, vergiss ihn nicht, des‘<br />
Wort die Welt bereitet!“<br />
Und diese Tradition haben Sie weiter fortgeführt,<br />
bis heute.<br />
Wer singt „Großer Gott, wir loben dich“, <strong>der</strong> will<br />
und muss nicht selber <strong>der</strong> Allergrößte sein. Der<br />
muss keine Türme bis zum Himmel bauen, son<strong>der</strong>n<br />
kann mit seinen Grenzen leben.<br />
Gott loben – das klingt so altmodisch und wenig<br />
aufregend. Aber vielleicht ist gerade das heute<br />
etwas sehr Aktuelles. Vielen ist unsere Welt heute<br />
ein bisschen unheimlich geworden. Wo man<br />
hinschaut – <strong>der</strong> Mensch scheint maßlos geworden<br />
zu sein. Ob es nun um unseren Umgang mit <strong>der</strong><br />
Schöpfung geht o<strong>der</strong> um Profitstreben in <strong>der</strong><br />
Wirtschaft, um die Gentechnik in <strong>der</strong> Wissenschaft<br />
o<strong>der</strong> um Krieg und Frieden in <strong>der</strong> Politik – es scheint<br />
etwas aus dem Lot geraten zu sein. Da scheinen<br />
Menschen wie<strong>der</strong> eifrig an ihren<br />
größenwahnsinnigen babylonischen<br />
Wolkenkratzern zu bauen.<br />
Gott loben, demütig sein – vielleicht ist das<br />
heute wichtiger denn je:<br />
4<br />
„Du bist groß, Gott! Und wir sind Menschen.<br />
Menschen mit Grenzen. Lass uns das nicht<br />
vergessen!“<br />
Der zweite Unterschied:<br />
In Babel versteht niemand mehr die Sprache des<br />
an<strong>der</strong>en. Wenn man dem Spruch auf Ihrer Fahne<br />
glauben will, dann haben Sie eine Sprache<br />
gefunden, die diese Sprachverwirrung unterläuft:<br />
Man kann zu allen Zeiten / Im Lied sich recht<br />
verstehn!<br />
So müsste man nach diesem Spruch die<br />
Legende <strong>von</strong> Babylon vielleicht noch ein bisschen<br />
an<strong>der</strong>s weiter erzählen.<br />
„Und Gott verwirrte ihre Sprache, dass keiner<br />
mehr des an<strong>der</strong>n Sprache verstand.<br />
Als Gott aber die Verwirrung sah, die unter den<br />
Menschen entstand, da sagte er: Siehe, die<br />
Menschen sind verwirrt und verstehen einan<strong>der</strong><br />
nicht. Ich will nicht, dass sie wie<strong>der</strong> alle eine<br />
Sprache sprechen. Aber ich will ihnen die Musik<br />
schenken. Sie wird die Herzen <strong>der</strong> Menschen<br />
anrühren und sie miteinan<strong>der</strong> verbinden, auch<br />
ohne Worte.“<br />
Natürlich, das gemeinsame Singen löst auch<br />
nicht alles in Wohlgefallen auf. Aber dass man,<br />
wenn man zusammen singt, eine gemeinsame
Ebene findet, auch mit Menschen, die einem<br />
innerlich sehr fernstehen, das glaube ich schon.<br />
Ich denke da an das Konzert Anfang des Jahres<br />
zurück, als Sie zusammen mit dem Vivat-Ensemble<br />
„Ich bete an die Macht <strong>der</strong> Liebe“ gesungen<br />
haben. Auf russisch und auf deutsch. Zweisprachig.<br />
Die Worte <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en verstand man nicht. Aber<br />
Sie waren sich nah in <strong>der</strong> Musik.<br />
Man kann zu allen Zeiten / Im Lied sich recht<br />
verstehn!<br />
Und schließlich noch ein dritter Punkt.<br />
Die Menschen in Babel sprechen sozusagen mit<br />
einer Stimme. Sie sprechen dieselbe Sprache, sie<br />
haben dasselbe Ziel.<br />
Ihr Gesangverein – <strong>der</strong> singt nicht mit einer<br />
Stimme, son<strong>der</strong>n – nach Möglichkeit – mit<br />
mindestens vier Stimmen. Und die Schönheit<br />
entsteht dadurch, dass diese unterschiedlichen<br />
Stimmen zusammenklingen. Das ist, wenn man so<br />
will, ein an<strong>der</strong>es Modell <strong>von</strong> Gemeinschaft.<br />
Die Menschen im Babylon meinen,<br />
Gemeinschaft heiße, dass alle mit einer Stimme<br />
sprechen.<br />
Chormusik – das bedeutet, dass erst die<br />
Vielstimmigkeit reizvoll und wirklich schön ist. In <strong>der</strong><br />
Musik ist das so. Und wohl auch im Leben.<br />
5<br />
Das ist anstrengen<strong>der</strong> und anspruchsvoller, als<br />
wenn alle mit einer Stimme sprechen und singen.<br />
Denn man muss viel mehr aufeinan<strong>der</strong> hören, Sie<br />
wissen das.<br />
Aber die Mühe wird belohnt.<br />
150 Jahre MGV Freundschaft. Ein stolzes<br />
Jubiläum. Und natürlich auch eines, das wir mit<br />
einem gewissen Bangen feiern. Männerchöre<br />
haben ja zur Zeit nicht gerade Rückenwind. Das ist<br />
nicht nur in <strong>Schwiegershausen</strong> so.<br />
Und die Frage stellt sich schon: Klingt mit Ihnen<br />
diese stolze Chorgeschichte aus? Die Befürchtung<br />
ist da und wird ja auch <strong>von</strong> Ihnen offen<br />
angesprochen.<br />
Schade wäre das allemal. Die Musiklandschaft<br />
in unserem Dorf wäre ärmer.<br />
Und schmerzlich wäre es auch. Ich weiß, wie<br />
sehr viele an „ihrem“ Männergesangverein<br />
hängen.<br />
Wir haben das nicht in <strong>der</strong> Hand. Ein<br />
Gesangverein ist kein Turm <strong>von</strong> Babylon – gebaut<br />
für die Ewigkeit. Er ist wie alles, was wir Menschen<br />
zustande bringen. Begrenzt. Vergänglich. Und<br />
gerade in diesen Grenzen kostbar.
Heute können wir dankbar sein, dass es diese<br />
150 Jahre gab.<br />
Dass es über diesen langen Zeitraum so viele<br />
Männer hier im Dorf gab – all diese Wodes und<br />
Waldmanns, Spillners und <strong>von</strong> Daakes, Strüvers,<br />
Großkopfs, Rustebergs und Bodes und Sonntags<br />
und Niehus‘ und und und – die gemeinsam singen<br />
wollten. Die Gott und das Leben loben wollten.<br />
Diese Menschen, ihre Freude am Singen, ihre<br />
Lebensgeschichten – das ist etwas ungeheuer<br />
Kostbares. Und wenn Sie so am MGV hängen,<br />
dann sind es sicher auch diese Gesichter, die<br />
Ihnen den Verein lieb und wert machen.<br />
Die Zukunft, die sei Gott befohlen. Wir haben sie<br />
nicht in <strong>der</strong> Hand.<br />
Aber ich wünsche es unserem Dorf, dass sich<br />
auch in Zukunft Menschen zusammenfinden, die<br />
die Musik lieben. Die Gott und das Leben loben.<br />
Die gern singen. Und darin auch aneinan<strong>der</strong> nahe<br />
sind.<br />
Gott gebe es! Amen.<br />
(<strong>Pastor</strong> <strong>Stefan</strong> Schmidt)<br />
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