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Kreatives und therapeutisches Schreiben - Bildungswerk Irsee

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Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

<strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong> – Kurzdarstellung<br />

„Jeder Mensch verkörpert eine Silbe, ein einmaliges, unverwechselbares Gewächs aus<br />

Konsonanten <strong>und</strong> Vokalen, eine lebende Silbe, unterwegs zum Wort, zum Text.“<br />

Inhaltsverzeichnis Seite<br />

I. Definition der Poesietherapie 2<br />

II. Geschichte der Poesietherapie 3<br />

III. Anwendung der Poesietherapie 5<br />

IV. Wirkungen der Poesietherapie 5<br />

V. Schreibübungen 7<br />

VI. Achtsamkeitsübungen 8<br />

VII. Imaginationsübungen 9<br />

VIII. Zusätzliches Übungsmaterial 10<br />

IX. Literaturhinweise 14<br />

(Peter Sloterdijk)<br />

Die Mehrzahl der in diesem Script verwendeten Texte <strong>und</strong> Übungsbeispiele sind Auszüge aus dem<br />

Buch: Heimes S., <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong>. Ein Arbeitsbuch. Vandenhoeck & Ruprecht,<br />

Göttingen 2008<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 1


Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

I. Definition der Poesietherapie<br />

Unter Poesietherapie kann jedes therapeutische oder selbstanalytische Verfahren<br />

verstanden werden, das durch <strong>Schreiben</strong> den subjektiven Zustand eines Individuums<br />

zu bessern versucht.<br />

Der Ausdruck Poesietherapie ist dem amerikanischen Begriff poetry therapy entlehnt,<br />

der von Leedy <strong>und</strong> Lerner geprägt wurde.<br />

Die Poesietherapie ist keiner klassischen Psychotherapieschule verpflichtet, sondern<br />

zählt wie die Musik‐, Mal‐ <strong>und</strong> Gestalttherapien zu den expressiven <strong>und</strong> kreativen<br />

Therapien, die über Förderung der schöpferischen Potentiale, der Wahrnehmungs‐<br />

<strong>und</strong> Erlebnisfähigkeit <strong>und</strong> der Einsicht in relevante lebensgeschichtliche Konflikte zur<br />

Heilung <strong>und</strong> Persönlichkeitsentwicklung beitragen. Sie nimmt unter den kreativen<br />

Therapien eine besondere Stellung ein, weil sie mittels der Sprache auf eines der älte‐<br />

sten therapeutischen Medien zurückgreift.<br />

<strong>Schreiben</strong> hat, durch den Aspekt der Selbsterforschung <strong>und</strong> Selbsterkenntnis, gleich<br />

wie es benannt wird, immer auch therapeutischen, beziehungsweise selbsttherapeu‐<br />

tischen Charakter <strong>und</strong> birgt, sowohl im Prozess, den es auslöst, als auch als Vorgang<br />

selbst, eine gewisse Nachhaltigkeit. Obwohl sich die Psychotherapie als sprechende<br />

Therapie versteht, ist die Beschäftigung mit der Heilkraft der Schrift im deutschspra‐<br />

chigen Raum noch in den Randbereichen zu suchen.<br />

Neben dem Begriff der Poesietherapie finden sich in der Literatur vor allem die Be‐<br />

griffe Schreibtherapie, <strong>Kreatives</strong> <strong>Schreiben</strong>, Literarisches <strong>Schreiben</strong>, Therapeutisches<br />

<strong>Schreiben</strong> <strong>und</strong> (Auto‐)Biographisches <strong>Schreiben</strong>. Es gibt keine klaren Abgrenzungen,<br />

der kleinste gemeinsame Nenner ist das <strong>Schreiben</strong>, zuweilen werden die Begriffe<br />

synonym verwendet.<br />

Das Kreative <strong>Schreiben</strong>, Creative writing, kann als Ursprung der neuen Schreibbe‐<br />

wegung in Deutschland verstanden werden. Im Zentrum der so bezeichneten Semina‐<br />

re steht die sprachliche <strong>und</strong> literarische Entwicklung der Teilnehmer. Angewendet<br />

werden Methoden, die das kreative Erleben fördern, Erinnerungen <strong>und</strong> Erlebnisse<br />

freisetzen, diese sprachlich fassen <strong>und</strong> gestalterisch bearbeiten.<br />

Das Kreative <strong>Schreiben</strong> wird zuweilen auch als Literarisches <strong>Schreiben</strong> bezeichnet,<br />

was diese Bezeichnung insofern verdient, als sich an den Primärprozess des Schrei‐<br />

bens, in dem es vor allem um den Selbstausdruck <strong>und</strong> die Selbstfindung geht, ein Se‐<br />

k<strong>und</strong>ärprozess anschließt, in dem die erarbeiteten Texte in eine literarische Form ge‐<br />

bracht werden. Im Literarischen <strong>Schreiben</strong> geht es in erster Linie um literarische <strong>und</strong><br />

ästhetische Qualität.<br />

Wird das <strong>Schreiben</strong> als Mittel zur Selbsterforschung <strong>und</strong> Selbstreflexion eingesetzt,<br />

ist in der Regel vom Therapeutischen <strong>Schreiben</strong>, der Schreib‐ oder Poesietherapie<br />

die Rede. In den auf diese Weise bezeichneten Seminaren wird der Versuch unter‐<br />

nommen, sich mittels Sprache auf den Weg zu sich selbst zu begeben. Durch das<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 2


Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

<strong>Schreiben</strong> wird ein therapeutischer Prozess in Gang gebracht, der mit therapeuti‐<br />

schen Gesprächen begleitet wird.<br />

Dem Therapeutischen <strong>Schreiben</strong> eng verwandt ist das Autobiographische <strong>Schreiben</strong>,<br />

bei dem der Beschäftigung mit der Vergangenheit <strong>und</strong> Kindheit eine zentrale<br />

Bedeutung zukommt. Beim Autobiographischen <strong>Schreiben</strong> liegt der Fokus auf Erleb‐<br />

nissen aus der Vergangenheit, den Assoziationen, die das Erinnern auslöst <strong>und</strong> den<br />

Emotionen <strong>und</strong> Gedanken, die im Verlauf des Prozesses zutage treten.<br />

Das Biographische <strong>Schreiben</strong> beschäftigt sich in erster Linie ebenfalls mit der Ver‐<br />

gangenheit <strong>und</strong> kann sowohl therapeutisch genutzt werden als auch rein publizisti‐<br />

sche Zwecke verfolgen.<br />

II. Geschichte der Poesietherapie<br />

<strong>Schreiben</strong> ist eine uralte Form der Kommunikation <strong>und</strong> reicht bis 500 v. Chr. zurück.<br />

Die ersten archaischen Dichter waren die Götter, Zeus war der Vater der Musen,<br />

Mnemosyne die Mutter. Apollo, Vater des Asklepios, war nicht nur der Gott der Heil‐<br />

kunst, sondern zugleich der Gott der Dichtkunst, versehen mit dem Attribut der<br />

Schönheit, die damals dem Zustand der Ges<strong>und</strong>heit gleichgesetzt wurde.<br />

Aristoteles, ein Verfechter der normativen Poetik, beschrieb die Dichtkunst als eine<br />

Sache des Talents; seine Lehre fußte auf der durch das Drama bewirkten Katharsis,<br />

der befreienden <strong>und</strong> heilenden Wirkung durch das gesprochene Wort, wobei sich die<br />

Katharsis in seiner Vorstellung mehr auf den Rezipient als auf den Dichter bezog.<br />

Geistliche wie Philosophen widmeten sich dem Thema der Selbstanalyse, zu Beginn<br />

der Neuzeit vornehmlich Descartes, Kant, Hegel <strong>und</strong> Jaspers. Mit der Renaissance ent‐<br />

faltete sich neben der philosophischen Selbstanalyse das Genre des literarischen Ta‐<br />

gebuchs, das neben einer Ereignischronik zunehmend zur Analyse von Tagesnöten<br />

<strong>und</strong> Träumen genutzt wurde. Die moderne Autobiographie lässt große Ähnlichkeiten<br />

mit den autobiographischen Schriften des heiligen Augustinus erkennen, die den Cha‐<br />

rakter der Beichte <strong>und</strong> Reflexion hatten.<br />

Zu Beginn des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts griff der russische Arzt <strong>und</strong> Psychologe Iljine den the‐<br />

rapeutischen Aspekt der Sprache im Drama auf. Er initiierte ein <strong>therapeutisches</strong><br />

Theater <strong>und</strong> schrieb für seine Patienten Rahmenstücke, die auf ihrer Biographie ba‐<br />

sierten. Als Fortsetzung ermunterte er die Patienten, eigene Stücke zu schreiben, um<br />

auf diese Weise intensive Gefühle zum Ausdruck zu bringen <strong>und</strong> Hemmungen abzu‐<br />

bauen.<br />

Auf die befreiende <strong>und</strong> heilende Wirkung des Wortes baute auch Moreno, der in den<br />

30er Jahren des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts den Begriff des Psychodramas prägte. Daneben be‐<br />

diente er sich eines Verfahrens, das er als Psychopoetry bezeichnete, <strong>und</strong> das sich vor<br />

allem dadurch auszeichnete, aus dem Stegreif Verse zu bilden. Großen Wert legte er<br />

darauf, dass die gebildeten Verse keinen Sinn ergeben müssten <strong>und</strong> sprach von Non­<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 3


Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

sense­Poetry. Eine solche unsinnige Versbildung stehe dem Erleben näher, als geform‐<br />

te Verse.<br />

Sigm<strong>und</strong> Freud war ein Verfechter der Selbstanalyse, der freien Assoziation <strong>und</strong><br />

Traumdeutung, die sich seiner Ansicht nach sowohl mit einem Gegenüber in mündli‐<br />

cher Form, als auch alleine in schriftlicher Form durchführen lasse. Durch das Schrei‐<br />

ben gelange der Dichter aus einer unbefriedigenden Welt in eine Welt der Phantasie,<br />

<strong>und</strong> finde, durch kreative Textgestaltung, in die Realität zurück.<br />

Als Meister der poetischen Selbstanalyse erwies sich Strindberg, der seine Gefühle<br />

mittels freier Assoziation <strong>und</strong> Imagination erforschte. Rilke bekannte in einem Brief,<br />

dass seine Schreibarbeit letztlich nichts anderes sei als Selbstanalyse, <strong>und</strong> Kafka<br />

schrieb, dass sein <strong>Schreiben</strong> besser als jede Psychotherapie an den Ursachen seiner<br />

Neurosen rühre. Sowohl Rilke als auch Kafka lehnten, aus Sorge, ihre <strong>Schreiben</strong>ergie<br />

zu verlieren, eine klassische Psychoanalyse ab.<br />

Parallel zu der von Freud ins <strong>Schreiben</strong> transportierten Methode des freien Assoziie‐<br />

rens, die noch heute eine wichtige Technik in der Poesietherapie darstellt, eröffneten<br />

die in dieser Zeit aufkeimenden Methoden des Expressionismus, Dadaismus <strong>und</strong> Sur‐<br />

realismus neue experimentelle <strong>und</strong> therapeutische Schreibmöglichkeiten.<br />

In Europa verdankt die Poesietherapie ihren Aufschwung in erster Linie Farrow,<br />

Thomas <strong>und</strong> Petzold. Farrow, der in England geborene Biologe, litt selbst an einer<br />

durch den ersten Weltkrieg verursachten Depression. Durch Jungs Assoziationsexpe‐<br />

rimente auf die Psychoanalyse aufmerksam geworden, begann er zunächst mit einer<br />

klassischen mündlichen Psychoanalyse, um diese als poetische Selbstanalyse fortzu‐<br />

führen.<br />

Ebenfalls unter Berücksichtigung der amerikanischen Poesietherapie entwickelte<br />

Petzold am Fritz‐Perls‐Institut (FPI) der Europäischen Akademie für psychosoziale<br />

Ges<strong>und</strong>heit (EAG) ein Konzept für Poesie‐ <strong>und</strong> Bibliotherapeuten mit festgelegtem<br />

Ausbildungscurriculum, wodurch die Schreibtherapie in Deutschland ihre Professio‐<br />

nalisierung <strong>und</strong> berufliche Institutionalisierung erlangte.<br />

Ein weiterer Wegbereiter der Poesietherapie in Deutschland ist von Werder, unter<br />

dessen Leitung seit 1982 an der Fachhochschule für Sozialarbeit <strong>und</strong> Sozialpädagogik<br />

in Berlin das Projekt <strong>Kreatives</strong> <strong>Schreiben</strong> an der FHSS Berlin läuft, in dem zahlreiche<br />

Schreibgruppen sowie Schreibgruppensupervisionen durchgeführt werden.<br />

In Amerika hat die Poesietherapie neben anderen expressiven Therapien wie Tanz‐,<br />

Musik‐, Gestalt‐ <strong>und</strong> Dramatherapie schon lange einen anerkannten Platz, es existiert<br />

ein eigener Berufsverband für Poesietherapeuten, <strong>und</strong> es finden jährlich zahlreiche<br />

Kongresse zur Poesietherapie statt. Wegbereiter der Poesietherapie waren in Ameri‐<br />

ka unter anderem Lerner, Leedy <strong>und</strong> Rico.<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 4


Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

III. Anwendung der Poesietherapie<br />

Im Prinzip steht die Möglichkeit der Poesietherapie jedem Menschen offen, der aus<br />

Buchstaben Worte bilden kann, die Gr<strong>und</strong>regeln des Satzbaus beherrscht, in der Lage<br />

ist einen Brief zu schreiben oder sich Notizen zu machen, sprechen kann <strong>und</strong> ver‐<br />

steht, was andere sagen. Es bedarf keiner besonderen literarischen Fähigkeiten <strong>und</strong><br />

keiner speziellen Grammatikkenntnisse; vielmehr ist in jedem Menschen ein sprachli‐<br />

ches Ausdrucksvermögen vorhanden, das es ermöglicht, Gedanken <strong>und</strong> Gefühle in<br />

Worten auszudrücken.<br />

Die Poesietherapie kann ambulant oder stationär, Einzeln oder in Gruppen, mit oder<br />

ohne Anleitung, durchgeführt werden. Allerdings ist der Gedankenaustausch mit an‐<br />

deren ein wichtiger Bestandteil der schreibenden Selbstreflexion, der unter anderem<br />

der Orientierung in der Welt <strong>und</strong> der Relativierung eigener Gedanken, Ideen <strong>und</strong> An‐<br />

sichten dient. Mit Gedanken <strong>und</strong> Gefühlen in Kommunikation zu treten, ermöglicht<br />

die Entwicklung eines eigenen Standpunktes <strong>und</strong> die Formulierung <strong>und</strong> Prüfung des‐<br />

selben. Gruppenteilnehmer <strong>und</strong> Leiter fungieren als Spiegel <strong>und</strong> Korrektiv. In der<br />

schriftlichen Selbstanalyse kann diese Funktion von einem späteren oder imaginier‐<br />

ten Leser, beziehungsweise Therapeuten, übernommen werden.<br />

IV. Wirkungen der Poesietherapie<br />

Der Versuch einer Annäherung an innerpsychische Vorgänge <strong>und</strong> die damit verbun‐<br />

denen Wirkungen der Poesietherapie kann nur exemplarischen Charakter haben. Bei<br />

jedem Menschen laufen ganz individuelle, komplexe psychische Prozesse ab.<br />

• Eine durch das <strong>Schreiben</strong> veränderte Sprach‐ <strong>und</strong> Ausdruckskompetenz führt<br />

von einer routinierten Wahrnehmung zu einem neuen, erweiterten Blick.<br />

• Sprache ist sinnlich, haptisch <strong>und</strong> rhythmisch <strong>und</strong> aktiviert Körper <strong>und</strong> Geist.<br />

Sie entsteht im Körper <strong>und</strong> nutzt diesen zum Ausdruck.<br />

• Die poetisch verdichtete Sprache stellt, im Unterschied zu der oft verzerren‐<br />

den, inhaltsleeren Alltagssprache, die Vielfalt der Lebenswelt dar, in der sie<br />

wirkt.<br />

• Die durch den kreativen Akt geförderte Kooperation der linken, rationalen mit<br />

der rechten, emotionalen Hemisphäre eröffnet neue Denkmuster <strong>und</strong> Lö‐<br />

sungsansätze.<br />

• <strong>Schreiben</strong> als ernsthaftes Spiel mit Worten befreit vom Leistungsdenken <strong>und</strong><br />

Funktionalität.<br />

• Durch Überschreitung verbaler Kommunikationsgrenzen <strong>und</strong> einer spieleri‐<br />

schen Haltung, die phantastische Imagination erlaubt, werden Gefühle, Gedan‐<br />

ken <strong>und</strong> Erinnerungen geweckt.<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 5


Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

• Im Akt des <strong>Schreiben</strong>s kommt es zur Verlangsamung, zum Innehalten <strong>und</strong> zur<br />

Selbstbesinnung.<br />

• Wie jede kreative Tätigkeit lebt auch das <strong>Schreiben</strong> von einer positiven Hal‐<br />

tung sich selbst <strong>und</strong> dem <strong>Schreiben</strong> gegenüber.<br />

• <strong>Schreiben</strong> öffnet einen Raum sensibler Wahrnehmung, scheinbar Banales er‐<br />

hält Aufmerksamkeit <strong>und</strong> wird zu etwas Besonderem.<br />

• Achtsamkeit wird zu einem wichtigsten Instrument zur Erfassung des Selbst<br />

<strong>und</strong> der Welt.<br />

• <strong>Schreiben</strong> kann zum Ordnen <strong>und</strong> Formen von Gedanken, Gefühlen <strong>und</strong> Ideen<br />

beitragen.<br />

• Durch das <strong>Schreiben</strong> kommt es zum produktiven Austausch zwischen Bewuss‐<br />

tem <strong>und</strong> Unbewusstem, wodurch im gelungenen Fall am Ende des Prozesses<br />

ein poetisches Selbst sichtbar wird <strong>und</strong> hervortreten kann.<br />

• Die kreative Eigentätigkeit des <strong>Schreiben</strong>s kann helfen, ein autonomes Selbst‐<br />

wertgefühl zu wecken <strong>und</strong> psychische Leistungen über ästhetische Simulation<br />

wieder aufzubauen.<br />

• An der Konsequenz künstlerischer, literarischer Tätigkeit kann es gelingen, zu<br />

erkennen, dass Zustände, die Leidensdruck erzeugen, durch kreative Prozesse<br />

produktiv genutzt werden können.<br />

• Der schreibende Mensch ist nicht länger passiver Rezipient von Ratschlägen<br />

<strong>und</strong> Deutungen, sondern produziert etwas, auf das er stolz sein kann.<br />

• Es entsteht ein neues Selbstbewusstsein, der <strong>Schreiben</strong>de wird sich zuneh‐<br />

mend seiner Selbst bewusst, erkennt Stärken <strong>und</strong> Schwächen, Vorlieben <strong>und</strong><br />

Abneigungen <strong>und</strong> integriert sie.<br />

• Die differenzierte Selbstwahrnehmung ist ein entscheidender Schritt zur radi‐<br />

kalen Akzeptanz der eigenen Person, die der <strong>Schreiben</strong>de im <strong>Schreiben</strong> als ei‐<br />

gene entdeckt.<br />

• Die Poesietherapie eröffnet die Möglichkeit, am Ende der Therapie ein konkre‐<br />

tes Ergebnis mitzunehmen, einen Text, der so oft lesen, überarbeitet <strong>und</strong> fort‐<br />

geführt werden kann, wie es dem <strong>Schreiben</strong>den einfällt.<br />

• <strong>Schreiben</strong> vermittelt ein Gefühl der Selbstkontrolle <strong>und</strong> bildet somit ein Ge‐<br />

gengewicht zu den Gefühlen der Ohnmacht <strong>und</strong> Resignation, mit dem zahlrei‐<br />

che psychische Leiden einhergehen.<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 6


Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

V. Schreibübungen<br />

Die meisten Übungen finden sich in dem detaillierten Programmablauf, der zur Ver‐<br />

fügung gestellt wird. Hier nur vier weitere Anregungen.<br />

Übung 1<br />

Begleiten Sie sich innerhalb der nächsten sieben Tage jeden Tag ganz bewusst zehn<br />

Minuten lang, indem Sie sich zehn Minuten achtsam mit sich <strong>und</strong> Ihrer Umgebung be‐<br />

schäftigen. Führen Sie die Übung an unterschiedlichen Orten <strong>und</strong> zu unterschiedli‐<br />

chen Zeiten durch <strong>und</strong> sammeln ein Spektrum an Eindrücken. Sie können in einem<br />

Café, in der Straßenbahn oder auf einer Parkbank schreiben, in dem Sie auf Geräusche<br />

<strong>und</strong> Gerüche achten oder beobachten Sie die Menschen um sich herum. Wichtig ist,<br />

dass Sie sich ganz bewusst Ihren Wahrnehmungen <strong>und</strong> Gedanken zuwenden <strong>und</strong> die‐<br />

se notieren. Es empfiehlt sich, zu diesem Zweck ein Notizbuch <strong>und</strong> einen Stift mit sich<br />

zu führen. Verzichten Sie darauf, das Geschriebene direkt im Anschluss zu lesen, zu<br />

zensieren <strong>und</strong> zu korrigieren, sondern schreiben Sie zunächst sieben Tage lang zehn<br />

Minuten <strong>und</strong> lesen die Texte erst am Ende der Woche. Verfassen Sie dann einen Text<br />

darüber, was die Zeilen an Gedanken <strong>und</strong> Gefühlen in Ihnen auslösen.<br />

Übung 2<br />

Eine Fee kommt zu Ihnen <strong>und</strong> sagt, dass Sie drei Wünsche frei haben. Notieren Sie die<br />

Wünsche, die Sie der Fee nennen würden <strong>und</strong> fragen sich, wie alt diese Wünsche sind,<br />

wie lange Sie diese schon mit sich herum tragen. In einem zweiten Schritt notieren<br />

Sie, was es bräuchte, um Ihre Wünsche zu verwirklichen <strong>und</strong> was Sie selbst zur Ver‐<br />

wirklichung beitragen könnten. Notieren Sie Ihre bisherigen Erfahrungen mit Wün‐<br />

schen, welche sich verwirklicht haben, oder ob Ihre Wünsche in der Vergangenheit<br />

eher enttäuscht wurden. In einem dritten Schritt beschreiben Sie, was sich in Ihrem<br />

Leben verändern würde, sollten sich die Wünsche erfüllen.<br />

Übung 3<br />

Bewegen Sie sich frei durch den Raum, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten <strong>und</strong><br />

mit unterschiedlichen Bewegungen. Konzentrieren Sie sich dabei zunächst ganz auf<br />

sich selbst, dann nehmen Sie Ihre Umgebung <strong>und</strong> Ihre Mitmenschen wahr <strong>und</strong> achten<br />

darauf, was sich an Ihren Bewegungen verändert. Dann konzentrieren Sie sich wieder<br />

auf sich selbst <strong>und</strong> beobachten, was mit Ihrem Körper passiert, wenn Sie sich in ma‐<br />

ximaler Geschwindigkeit bewegen. Machen Sie diese Übung etwa 5 Minuten lang <strong>und</strong><br />

schreiben dann über Ihre Erfahrungen.<br />

Übung 4<br />

Schließen Sie in Ihrer Wohnung die Augen. Versuchen Sie, sich mit Händen <strong>und</strong> Füßen<br />

<strong>und</strong> allen anderen Sinnen zu orientieren. Tasten Sie sich vorwärts. Gehen Sie dabei<br />

bitte langsam <strong>und</strong> passen auf, dass Sie sich nicht verletzen. Nachdem Sie sich eine Zeit<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 7


Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

lang mit geschlossenen Augen in Ihrer Wohnung bewegt haben, notieren Sie, was Sie<br />

erlebt, gedacht <strong>und</strong> gefühlt haben.<br />

VI. Achtsamkeitsübungen<br />

Achtsamkeit ist die Fähigkeit, bewusst <strong>und</strong> ohne Wertung im gegenwärtigen Augen‐<br />

blick, im Hier <strong>und</strong> Jetzt, zu sein <strong>und</strong> zu erkennen, dass das Leben eine Folge von Au‐<br />

genblicken ist, in jedem Augenblick stattfindet <strong>und</strong> so anzunehmen ist, wie es ist, weil<br />

es ist. Achtsamkeit ist eine besondere Form der Aufmerksamkeit, ein neutrales Beo‐<br />

bachten, ein Wahrnehmen dessen, was in jedem Augenblick ist, eine unter Einsatz al‐<br />

ler Sinne stattfindende, intensionslose Konzentration auf das, was ist, ohne etwas<br />

verändern zu wollen.<br />

In Schreibgruppen hat es sich bewährt, vor Beginn der Schreibübungen, eine Acht‐<br />

samkeitsübung durchzuführen, um in Raum <strong>und</strong> Zeit anzukommen <strong>und</strong> sich auf die<br />

nachfolgenden Schreibübungen einlassen zu können.<br />

Für eine achtsame Sitzhaltung sollte man sich möglichst aufrecht auf einen Stuhl set‐<br />

zen, ohne sich anzulehnen, was dazu führt, dass man die eigene Muskelkraft wahr‐<br />

nimmt. Am besten, man stellt sich einen Faden vor, der von der Decke zum Kopf führt,<br />

<strong>und</strong> an dem der Körper in einer flexiblen Mittellage fixiert ist. Beide Füße stehen auf<br />

dem Boden, die Hände ruhen auf den Oberschenkeln, wobei die Handflächen zu den<br />

Oberschenkeln oder zur Decke zeigen können. Die Augen sind geschlossen oder fixie‐<br />

ren einen Punkt in der Ferne. Vor Beginn der Übung empfiehlt es sich, ein paar Mal<br />

tief <strong>und</strong> bewusst ein <strong>und</strong> aus zu atmen. Wichtig ist ferner, dass man sich während der<br />

Übung nicht von Gedanken oder Gefühlen irritieren lässt, sondern diese registriert,<br />

sich dennoch weiterhin auf die Atmung konzentriert. Nach Beendigung der Achtsam‐<br />

keitsübung kommt jeder Teilnehmer gedanklich in seiner Geschwindigkeit in den<br />

Raum zurück <strong>und</strong> nimmt sich die Zeit, die Dinge um sich herum wieder in Erschei‐<br />

nung treten zu lassen. Mitunter kann es hilfreich sein, sich zu dehnen <strong>und</strong> zu strecken,<br />

um sich für die folgenden Aufgaben bereit zu machen.<br />

Auch hier finden sich die meisten Übungen in dem detaillierten Programmablauf, der<br />

zur Verfügung gestellt wird. An dieser Stelle nur zwei weitere Anregungen.<br />

Übung 1<br />

Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Atem. Spüren Sie, wie die Luft in Ihren<br />

Körper hinein <strong>und</strong> wieder heraus strömt. Sagen Sie bei jedem Einatmen ruhig <strong>und</strong><br />

sanft eins. Wenn Sie ausatmen, sagen Sie ebenfalls eins. Sagen Sie eins beim Einatmen<br />

<strong>und</strong> eins beim Ausatmen. Versuchen Sie, Ihre ganze Aufmerksamkeit in dieses Wort<br />

zu legen. Wenn Ihre Gedanken abschweifen, kehren Sie zurück <strong>und</strong> sagen eins. Dann<br />

atmen Sie auf eins ein <strong>und</strong> zählen beim Ausatmen bis zwei. Einatmen: eins. Ausatmen:<br />

eins, zwei. Atmen Sie eine Weile in diesem Rhythmus. Falls Sie mögen, können Sie auf<br />

eins einatmen <strong>und</strong> auf drei ausatmen. Kehren Sie danach wieder zu dem anfänglichen<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 8


Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

Rhythmus zurück <strong>und</strong> atmen auf eins ein <strong>und</strong> auf eins aus. Dann atmen Sie ein letztes<br />

Mal bewusst ein <strong>und</strong> aus <strong>und</strong> beenden die Übung.<br />

Übung 2<br />

Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Atem. Spüren Sie, wie die Luft in Ihren<br />

Körper hinein <strong>und</strong> wieder heraus strömt. Stellen Sie sich für Ihren Atem eine Farbe<br />

vor. Eine, die Ihnen gefällt, oder eine, mit der Sie bestimmte Gedanken verbinden, wie<br />

beispielsweise Blau für das Meer oder Gelb für die Sonne. Stellen Sie sich vor, wie Sie<br />

mit jedem Atemzug die von Ihnen gewählte Farbe in Ihren Körper atmen. Verfolgen<br />

Sie den Weg Ihres farbigen Atems durch die Nase <strong>und</strong> den M<strong>und</strong> in die Luftröhre, in<br />

die Lungenflügel, in die Verzweigungen der Bronchien, bis in die Lungenbläschen.<br />

Denken Sie dabei an die Farbe, die Ihr Atem hat. Atmen Sie die Farbe mit jedem<br />

Atemzug in Ihren Körper. Spüren Sie, wie die Farbe in Ihren Körper strömt <strong>und</strong> sich<br />

angenehm ausbreitet. Mit jedem Atemzug strömt die Farbe in Ihren Körper <strong>und</strong> ent‐<br />

spannt Ihre Muskeln. Genießen Sie es, von Ihrer Lieblingsfarbe ausgefüllt zu sein.<br />

Speichern Sie das angenehme Gefühl, das Ihre Lieblingsfarbe in Ihrem Körper hinter‐<br />

lässt. Dann atmen Sie ein letztes Mal bewusst ein <strong>und</strong> aus <strong>und</strong> beenden die Übung.<br />

VII. Imaginationsübungen<br />

Imagination ist die Fähigkeit, Ideen oder Bilder zu entwickeln oder zu erinnern, die<br />

materiell nicht vorhanden sind. Im psychotherapeutischen Sinne bezeichnet Imagina‐<br />

tion das Vermögen, bei wachem Bewusstsein vermittels der Phantasie innere, menta‐<br />

le Bilder zu schaffen <strong>und</strong> wahrzunehmen, <strong>und</strong> durch das Erleben der mit diesen Bil‐<br />

dern gekoppelten Affekte innerseelische Prozesse in Gang zu setzen, die im gelunge‐<br />

nen Fall bewirken, dass abgespaltene oder verdrängte psychische Persönlichkeitsan‐<br />

teile ins Bewusstsein integriert werden können.<br />

Die meisten Übungen sind im detaillierten Programmablauf zu finden. An dieser Stel‐<br />

le nur zwei weitere Anregungen.<br />

Übung 1<br />

Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Atem. Spüren Sie, wie die Luft in Ihren<br />

Körper hinein <strong>und</strong> wieder heraus strömt. Stellen Sie sich einen Baum vor. Einen, den<br />

Sie kennen oder einen, den Sie erfinden. Stellen Sie sich vor, in welcher Landschaft<br />

der Baum steht. Auf einer Wiese, im Wald, am See. Gehen Sie zu Ihrem Baum, nehmen<br />

Sie seinen Stamm wahr, die Rinde, die Zweige <strong>und</strong> Blätter. Sie können sich an den<br />

Baum lehnen oder vor ihn setzen. Stellen Sie sich vor, wie das Licht durch die Blätter<br />

fällt, wie es sich verändert, wenn die Blätter sich bewegen. Genießen Sie die Wärme<br />

des Lichts <strong>und</strong> die Kraft des Baumes. Nehmen Sie die Kraft, die Wärme <strong>und</strong> das Licht<br />

in sich auf. Dann atmen Sie ein letztes Mal bewusst ein <strong>und</strong> aus <strong>und</strong> beenden die<br />

Übung.<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 9


Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

Übung 2<br />

Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Atem. Spüren Sie, wie die Luft in Ihren<br />

Körper hinein <strong>und</strong> wieder heraus strömt. Sie sind in einem angenehm kühlen Wald<br />

<strong>und</strong> machen einen Spaziergang. Es ist ruhig <strong>und</strong> friedlich. Sie gehen auf einem Wald‐<br />

weg, der Boden ist weich, Ihre Schritte sind federnd <strong>und</strong> leicht, ab <strong>und</strong> zu knackt ein<br />

Zweig unter Ihren Füßen. Die Luft strömt ungehindert <strong>und</strong> frisch in Ihre Lungen. In<br />

den Baumwipfeln singen Vögel. Zwischen den Blättern scheint die Sonne hindurch,<br />

ihr Licht sprenkelt den Boden. Sie fühlen sich frei <strong>und</strong> geborgen zugleich. Sie atmen<br />

tief <strong>und</strong> ruhig <strong>und</strong> fühlen sich wohl <strong>und</strong> entspannt. Dann atmen Sie ein letztes Mal<br />

bewusst ein <strong>und</strong> aus <strong>und</strong> beenden die Übung.<br />

VIII. Zusätzliches Übungsmaterial<br />

1. Analoges Gestalten von Gedichten<br />

Lyrikbeispiel 1:<br />

Manchmal<br />

Manchmal spricht ein Baum<br />

durch das Fenster<br />

mir Mut zu<br />

Manchmal<br />

leuchtet ein Buch<br />

als Stern<br />

auf meinem Himmel<br />

Manchmal<br />

ein Mensch<br />

den ich nicht kenne<br />

der meine Worte<br />

erkennt<br />

(Rose Ausländer)<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 10


Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

Lyrikbeispiel 2:<br />

Hinter meinen Augen steht Wasser<br />

Die muss ich alle weinen<br />

Immer möchte ich auffliegen,<br />

Mit den Zugvögeln fort;<br />

Bunt atmen mit den Winden<br />

In der großen Luft.<br />

O ich bin traurig...<br />

Das Gesicht im Mond weiß es.<br />

Drum ist viel samtne Andacht<br />

Und nahender Frühmorgen um mich.<br />

Als an deinen steinernen Herzen<br />

Meine Flügel brachen,<br />

Fielen die Amseln wie Trauerrosen<br />

Hoch vom blauen Gebüsch.<br />

Alles verhaltene Zwitschern<br />

Will wieder jubeln,<br />

Und ich möchte auffliegen<br />

Mit den Zugvögeln fort.<br />

(Else Lasker­Schüler)<br />

2. Gedicht mit acht Zeilen<br />

Einen alltäglichen Gegenstand, eine Person, Gewohnheit, Jahreszeit kann man in ei‐<br />

nem Achtzeiler beschreiben <strong>und</strong> dabei eine neue, farbigere Sichtweise vermitteln.<br />

„Zutaten“:<br />

1. eine Farbe<br />

2. eine Jahreszeit<br />

3. ein Ort<br />

4. eine Wetterlage<br />

5. ein Kleidungsstück<br />

6. eine Fernseh‐ oder Radiosendung (oder „Joker“)<br />

7. ein Lebensmittel<br />

8. ein Geruch<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 11


Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

Beispiel für 1 Gedicht mit 8 Zeilen<br />

Du bist mein<br />

Bist mein grünes Herz, im tiefen, tiefen See versunken.<br />

Bist mein Frühling, bist mein Herbst, mein Ost <strong>und</strong> West.<br />

Bist meine Sonne, die den Nebeltag durchbricht.<br />

Bist Mantel mir im Regen <strong>und</strong> im Sturm.<br />

Bist mein Literarisches Quartett, mein Werther, Hölder, Handke, Ivan Goll.<br />

Bist mein täglich Brot, mein Sonntagsbraten <strong>und</strong> mein roter Wein.<br />

Bist meine duftende Vanille, mein Zimt, mein Kardamon.<br />

Bist mein einzig grünes Herz, im tiefen, tiefen See versunken.<br />

4. Haiku<br />

- vermutlich älteste Kurzform der Dichtung<br />

- seit 1600 in Japan verwendet<br />

- Haiku bedeutet im Jap. „Uta“ – abgeleitet von „uta‐u“ – bedeutet etwa Gesang<br />

- der Haiku wurde im Japanischen meist singend vorgetragen<br />

Versform<br />

3 Zeilen<br />

1. Zeile: 5 Silben<br />

2. Zeile: 7 Silben<br />

3. Zeile: 5 silben<br />

Insgesamt 17 Silben: Diese Begrenzung lässt sich damit erklären, dass wir einen<br />

Atemzug benötigen, um 17 Silben auszusprechen.<br />

Beispiel 1:<br />

apokalypse<br />

in den nachrichten der welt<br />

<strong>und</strong> laub fällt vom baum<br />

1. Zeile : a/po/ka/lyp/se (5 Silben)<br />

2. Zeile: in/den/nach/rich/ten/der/welt (7Silben)<br />

3. Zeile: <strong>und</strong>/laub/fällt/vom/baum (5 Silben)<br />

Beispiel 2:<br />

blätter winken grün<br />

früchte süss <strong>und</strong> reif – nehmen<br />

abschied im sommer<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 12


Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

Eigenes Haiku:<br />

1. Zeile ____ ____ ____ ____ ____<br />

2. Zeile ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____<br />

3. Zeile ____ ____ ____ ____ ____<br />

Eigenes Haiku:<br />

1. Zeile ____ ____ ____ ____ ____<br />

2. Zeile ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____<br />

3. Zeile ____ ____ ____ ____ ____<br />

Eigenes Haiku:<br />

1. Zeile ____ ____ ____ ____ ____<br />

2. Zeile ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____<br />

3. Zeile ____ ____ ____ ____ ____<br />

Eigenes Haiku:<br />

1. Zeile ____ ____ ____ ____ ____<br />

2. Zeile ____ ____ ____ ____ ____ ____ ____<br />

3. Zeile ____ ____ ____ ____ ____<br />

5. Vierzeiler<br />

Nehmen Sie den Ausgangstext „Lenz“ von Georg Büchner <strong>und</strong> machen ein vierzeiliges Ge‐<br />

dicht daraus.<br />

„Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel <strong>und</strong> hohen Bergflächen im Schnee, die<br />

Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen <strong>und</strong> Tannen. Es war nasskalt; das<br />

Wasser rieselte die Felsen hinunter <strong>und</strong> sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen<br />

schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber alles so dicht ‐ <strong>und</strong><br />

dann dampfte der Nebel herauf <strong>und</strong> strich schwer <strong>und</strong> feucht durch das Gesträuch, so träg,<br />

so plump. Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf‐, bald abwärts.<br />

Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem<br />

Kopf gehn konnte.“<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 13


Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

6. Ausdrucksmalen<br />

Lesen Sie das Gedicht, lassen es einen Augenblick auf sich wirken <strong>und</strong> malen dann ein Bild.<br />

Weißes Nichts<br />

blauer Gr<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> Weiß<br />

ein buntes Windrad<br />

dreht sich<br />

Weiß<br />

das Nichts<br />

Farben<br />

verändern sich<br />

Nichts<br />

bringt sie zum Leuchten<br />

das weiße Nichts<br />

Nichts<br />

ist unwichtig<br />

alles ist<br />

(Quelle unbekannt)<br />

IX. Literaturhinweise:<br />

Affolter F.D.: Wahrnehmung, Wirklichkeit <strong>und</strong> Sprache. 10. Auflage, Neckar Verlag,<br />

Villingen ‐ Schwenningen 2006<br />

Bender H.,: Mein Gedicht ist mein Messer. Lyriker zu ihren Gedichten. Paul List Ver‐<br />

lag, München 1961<br />

Breton A.: Die Manifeste des Surrealismus. 11. Auflage, Rowohlt Verlag, Reinbek bei<br />

Hamburg 2004<br />

Cameron J.: Der Weg des Künstlers. Ein spiritueller Pfad zur Aktivierung unserer<br />

Kreativität. Droemer Knaur Verlag, München 2000<br />

Cameron J.: Von der Kunst des <strong>Schreiben</strong>s. Und der spielerischen Freude, die Worte<br />

fließen zu lassen. Droemer Knaur Verlag, München 2003<br />

Domin H.: Das Gedicht als Augenblick von Freiheit. Frankfurter Poetikvorlseungen.<br />

Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1999<br />

Fröchling J.: Was beim <strong>Schreiben</strong> so passiert <strong>und</strong> wie man damit umgehen kann. In:<br />

PTI‐Info, Nr. 9:74, 1989<br />

Fry, S., Feigen die fusseln. Entfessele den Dichter in dir. Aufbau Verlagsgruppe, Berlin<br />

2008<br />

Genazino W., Die Belebung der toten Winkel. Frankfurter Poetikvorlesung. Hanser<br />

Verlag, München 2006<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 14


Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

Gesind F.: Kreativ <strong>Schreiben</strong>. Handwerk <strong>und</strong> Techniken des Erzählens. DuMont Buch‐<br />

verlag, Köln 1994<br />

Gordimer N.: <strong>Schreiben</strong> <strong>und</strong> Sein. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995<br />

Heimes, S.: <strong>Schreiben</strong> im Studium: das PiiP‐Prinzip. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttin‐<br />

gen 2011<br />

Heimes, S.: Regenbogenbandwurmhüpfer. <strong>Kreatives</strong> <strong>Schreiben</strong> für Kinder <strong>und</strong> Ju‐<br />

gendliche. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011<br />

Heimes, S.: Künstlerische Therapien. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010<br />

Heimes, S.: Schreib es dir von der Seele. <strong>Kreatives</strong> <strong>Schreiben</strong> leicht gemacht. Vanden‐<br />

hoeck & Ruprecht, Göttingen 2010<br />

Heimes S.: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong>. Ein Arbeitsbuch. Verlag Vanden‐<br />

hoeck & Ruprecht, Göttingen 2008<br />

Heimes S.: <strong>Schreiben</strong> als Selbstheilung? Ein Versuch über zwei Werke von Peter<br />

Handke mittels einer endo/exopoetischen Untersuchung. Dissertation. Frank‐<br />

furt am Main 1998<br />

Janssen U., Krupp U.C.: Zuerst bin ich immer Leser. Prosa schreiben heute. Suhrkamp<br />

Verlag, Frankfurt am Main 2000<br />

Jung I.: <strong>Schreiben</strong> <strong>und</strong> Selbstreflexion. Eine literaturpsychologische Untersuchung li‐<br />

terarischer Produktivität. Westdeutscher Verlag, Opladen 1989<br />

Koch HH., Kessler N.: ... fast wie Phönix. Literarische Grenzgänge. Paranus Verlag,<br />

Bonn 1998<br />

Koch HH., Kessler N.: <strong>Schreiben</strong> <strong>und</strong> Lesen in psychischen Krisen. Gespräche zwischen<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Praxis. Paranus Verlag, Bonn 1998<br />

Krechel U.: In Zukunft schreiben. Handbuch für alle, die schreiben wollen. Jung <strong>und</strong><br />

Jung Verlag, Salzburg 2003<br />

K<strong>und</strong>era M.: Die Kunst des Romans. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main<br />

1992<br />

Leitner F.: Die Venus streikt. Ges<strong>und</strong> durch die Kraft der Poesie. Daedalus Verlag,<br />

Münster 2004<br />

Lodge, D.: Die Kunst des Erzählens. Haffmans Verlag, Zürich 1993<br />

Maron M.: Wie ich ein Buch nicht schreiben kann <strong>und</strong> es trotzdem versuche. Fischer<br />

Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 2005<br />

Marschik,M.: Poesietherapie. Therapie durch <strong>Schreiben</strong>? Verlag Turia & Kant, Wien<br />

1993<br />

Moser T.: Romane als Krankengeschichten. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main<br />

1985<br />

Muschg A.: Literatur als Therapie? Ein Exkurs über das Heilsame <strong>und</strong> das Unheilbare.<br />

Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1981<br />

Nadolny S.: Das Erzählen <strong>und</strong> die guten Ideen. Die Göttinger <strong>und</strong> Münchner Poetik‐<br />

Vorlesungen. Piper Verlag, München 2001<br />

Oz A.: So fangen die Geschichten an. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 15


Script: <strong>Kreatives</strong> <strong>und</strong> <strong>therapeutisches</strong> <strong>Schreiben</strong><br />

Petzold H.G., Orth I.: Poesie <strong>und</strong> Therapie. Über die Heilkraft der Sprache. Poesiethe‐<br />

rapie, Bibliotherapie, Literarische Werkstätten. Edition Sirius, Bielefeld 2005<br />

Porombka S., Kutzmutz O.: Erst lesen. Dann schreiben. 22 Autoren <strong>und</strong> ihre Lehrmei‐<br />

ster. Luchterhand Verlag, München 2007<br />

Reddemann L.: Imagination als heilsame Kraft. Verlag Klett‐Cotta, Stuttgart 2001<br />

Rest‐Hartjes G.: Wörter bauen Brücken. Handbuch zur Poesietherapie. BoD. Norder‐<br />

stedt 2005<br />

Rico G.L.: Garantiert <strong>Schreiben</strong> lernen. Sprachliche Kreativität methodisch entwickeln.<br />

Ein Intensivkurs auf der Gr<strong>und</strong>lage der modernen Gehirnforschung. Rowohlt Verlag,<br />

Reinbek 1984<br />

Rinne O.: Und wer küsst mich, fragt die Muse. Frauen finden ihre eigene Kreativität.<br />

Kreuz Verlag, Zürich 1989<br />

Scheidt vom J.: <strong>Kreatives</strong> <strong>Schreiben</strong>. Texte zu sich selbst <strong>und</strong> zu anderen. Fischer Ta‐<br />

schenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2002<br />

Sloterdijk P.: Zur Welt kommen – Zur Sprache kommen. Frankfurter Vorlesungen.<br />

Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1988<br />

Starobinsky, J.: Psychoanalyse <strong>und</strong> Literatur., Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main<br />

1973<br />

Stein S., Über das <strong>Schreiben</strong>. Verlag Zweitausen<strong>und</strong>deins. Frankfurt am Main 1997<br />

Streeruwitz M.: Sein. Und Schein. Und Erscheinen. Tübinger Poetikvorlesungen. Suhr‐<br />

kamp Verlag, Frankfurt am Main 1997<br />

Treichel H.U.: Der Entwurf des Autors. Frankfurter Poetikvorlesungen. Suhrkamp<br />

Verlag Frankfurt am Main 2000<br />

Weber M., Zwischen Handwerk <strong>und</strong> Inspiration. Lyrik schreiben <strong>und</strong> veröffentlichen.<br />

Federwelt Verlag, Söhlde 2004<br />

Werder von L.: Schreib‐ <strong>und</strong> Poesietherapie. Eine Einführung. Beltz Verlag, München<br />

<strong>und</strong> Weinheim 1986<br />

Werder von L.: Sich in die Worte zu verwandeln. Therapeutische <strong>und</strong> pädagogische<br />

Aspekte des Kreativen <strong>Schreiben</strong>s. Verlag Schelzky & Jeep, Berlin 1991<br />

Werder von L.: Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten. Die eigene Lebensgeschichte<br />

kreativ schreiben. Schibri Verlag, Berlin <strong>und</strong> Milow 1996<br />

Werder von L.: Lehrbuch des Kreativen <strong>Schreiben</strong>s. Schibri Verlag, Berlin <strong>und</strong> Milow<br />

1996<br />

Werder von L., Schulte‐Steinicke, B.: <strong>Schreiben</strong> von Tag zu Tag. Wie das Tagebuch<br />

zum kreativen Begleiter wird. Übungen für Einzelne <strong>und</strong> Gruppen. Walter Ver‐<br />

lag, Zürich <strong>und</strong> Düsseldorf 1998<br />

© Prof. Dr. med. Silke Heimes 16

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