Tableau Musical 07/2009 - Merseburger Verlag
Tableau Musical 07/2009 - Merseburger Verlag
Tableau Musical 07/2009 - Merseburger Verlag
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Josephine Lang:<br />
Ein vergessenes<br />
Wunderkind<br />
Josephine Lang hatte eine hohe Begabung zur Liedkomposition und<br />
das Glück, in der großen Zeit des Romantischen Liedes gelebt zu haben:<br />
von 1815 bis 1880. Beide Eltern waren Musiker, der Vater Mitglied<br />
des Münchener Hoforchesters, die Mutter die berühmte Opernsängerin<br />
Regina Hitzelberger. Josephine war ein Wunderkind und begann mit<br />
fünf Jahren zu komponieren. Im Hause ihres Paten, des Hofmalers<br />
Joseph Stieler, traf sie bedeutende Musiker, darunter Felix Mendelssohn-Bartholdy,<br />
der von ihrer Musik und ihrem Vortrag stark beeindruckt<br />
war. Er gab ihr einige Stunden in Satztechnik und Komposition,<br />
zwölf sollen es gewesen sein, und berichtete, er lehre sie, was sie eigentlich<br />
schon von Natur wisse. In den 1830er Jahren kam es durch<br />
Mendelssohn zur Erweiterung ihrer musikalischen Kreise und zu hoher<br />
Produktivität. Josephine Lang veröffentlichte mindestens fünf Liedersammlungen<br />
und wurde in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ gewürdigt.<br />
1842 heiratete sie den Dichter und Rechtsgelehrten Christian<br />
Reinhold Köstlin. Während ihrer 14-jährigen Ehe hatte Lang wenig Zeit<br />
zum Komponieren. Die sechs Kinder, eines davon gelähmt, nahmen<br />
ihre Zeit völlig in Anspruch. Jedoch publizierte sie einiges und blieb<br />
damit gewissermaßen „im Beruf“. Es erschienen die sechs Lieder op. 11<br />
auf Texte der schwäbischen Dichter Ludwig Uhland und Justinus Ker-<br />
Das Wohnhaus von Josephine Lang und Christian Reinhold Köstlin<br />
(Stadtarchiv Tübingen)<br />
ner, mit denen sie bekannt war. Die Lieder op. 12 kamen 1845 beim<br />
<strong>Verlag</strong> Kistner heraus, und wieder hatte sich Mendelssohn dafür eingesetzt.<br />
Josephine Lang musste den Tod dreier Söhne im Jugendalter und<br />
Verlust des Ehemannes, der 43-jährig starb, erleben, und nicht immer<br />
war es ihr möglich, den Schmerz durch Musik zu kompensieren. Jedoch<br />
nahm sie bis zu ihrem Lebensende das Komponieren immer wieder<br />
auf und überarbeitete Lieder aus früheren Jahren. Am 2. Dezember<br />
1880 starb Josephine Lang. Ihr Sohn Heinrich Adolph Köstlin sammelte<br />
ihre Autographe und übergab sie 1904 der Württembergischen Landesbibliothek.<br />
Für Josephine Lang war es das Wort, das den schöpferischen Funken<br />
schlug. Beim Lesen eines Gedichts konnte es geschehen, dass die Mu-<br />
Josephine Lang (unsigniertes Portrait)<br />
sik sich in ihr formte, unwillkürlich, weil – so ihre Begründung<br />
– das Gedicht selbst bereits Melodie sei. Musik und<br />
Dichtung bildeten eine Einheit und waren zugleich die<br />
Pole, aus deren Wechselwirkung Kompositionen entstanden.<br />
Langs Werke sind vollständig überliefert, ihr Leben<br />
war aber bisher wenig dokumentiert.<br />
Neu erschienen sind nun die von Barbara Gabler herausgegebenen<br />
„Ausgewählten Lieder“: ein repräsentativer<br />
Querschnitt des Liedschaffens Langs sowohl nach<br />
Schaffensepochen als auch nach Charakteren zusammengestellt.<br />
Die Auswahl wurde nach Textdichtern vorgenommen<br />
und enthält sämtliche Heine- und Lenau-Vertonungen<br />
sowie Lieder auf Texte von Goethe, die noch<br />
nie veröffentlicht wurden oder nicht in einer modernen<br />
Edition vorliegen. Josephine Lang hat die Arbeit an ihren<br />
Liedern immer wieder aufgenommen und im Lauf der<br />
Jahre verschiedene Versionen niedergeschrieben. Sie sah<br />
ihre Lieder als lebensbegleitende, wandelbare Gestalten<br />
an. Hier kommt Langs Ausspruch, ihre Lieder seien ihr Tagebuch,<br />
in den Sinn. Allein in den dynamischen Zeichen,<br />
die mit großer Geste eingetragen sind, drückt sich persönliche<br />
Präsenz aus. Man gewinnt den Eindruck, dass<br />
subjektive Lebensäußerung und handwerkliche Arbeit<br />
in eins verschmelzen. Oft setzt Lang in veränderten Lebenssituationen<br />
neue Akzente und tut auf diese Weise ihr<br />
Denken und Fühlen kund. Und so bewahren die Lieder<br />
ihre Unmittelbarkeit und Frische. Deshalb – und weil sie<br />
wirklich gut sind – „leben sie noch heute“, bzw. haben<br />
sie die besten Voraussetzungen, aus dem hundertjährigen<br />
Schlaf geweckt zu werden. Barbara Gabler<br />
LANG, JOSEPHINE (1850–1880)<br />
Ausgewählte Lieder<br />
für Singstimme (hohe Mittellage) und Klavier<br />
fue 6500 • ISMN: 979-0-50012-650-8 • 35,00 €<br />
3