OLG Koblenz 20.6.2012 – 5 U 1450/11 - Wolters Kluwer ...
OLG Koblenz 20.6.2012 – 5 U 1450/11 - Wolters Kluwer ...
OLG Koblenz 20.6.2012 – 5 U 1450/11 - Wolters Kluwer ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>OLG</strong> <strong>Koblenz</strong>, 20.06.2012, 5 U <strong>1450</strong>/<strong>11</strong><br />
Anforderungen an die Pflicht zur therapeutischen Aufklärung bei mehreren<br />
Behandlungsalternativen - Bemessung des des Schmerzensgeldes bei vermeidbarer<br />
drei Tage andauernder anästhesiebedingter postoperativer Übelkeit<br />
Gericht: <strong>OLG</strong> <strong>Koblenz</strong><br />
Datum: 20.06.2012<br />
Aktenzeichen: 5 U <strong>1450</strong>/<strong>11</strong><br />
Entscheidungsform: Urteil<br />
JURION Fundstelle: JurionRS 2012, 17234<br />
Fundstellen: ArztR 2012, 204-206<br />
GesR 2012, 501-503<br />
MDR 2012, 843-844<br />
ZWD 2012, 2<br />
Rechtsgrundlagen: § 253 BGB<br />
§ 276 BGB<br />
§ 278 BGB<br />
§ 280 BGB<br />
§ 6<strong>11</strong> BGB<br />
§ 823 BGB<br />
§ 831 BGB<br />
Verfahrensgang: vorgehend:<br />
Amtlicher Leitsatz:<br />
LG Mainz - 15.<strong>11</strong>.20<strong>11</strong> - AZ: 2 O 414/05<br />
1. Besteht eine Behandlungsalternative, über die der Patient informiert ist, darf der Arzt eine<br />
konkrete Empfehlung aussprechen. Liegt diese Empfehlung unter Berücksichtigung aller<br />
Umstände des Einzelfalls im Rahmen des medizinisch Vertretbaren, ist die therapeutische<br />
Aufklärung nicht zu beanstanden.<br />
1 © 2012 <strong>Wolters</strong> <strong>Kluwer</strong> Deutschland GmbH - Jurion NV-Gesamtprodukt, Rechtsstand 21.<br />
Oktober 2012 - 24.10.2012
2. Ein Arzt ist verpflichtet, sich auf seinem Fachgebiet regelmäßig weiterzubilden. In<br />
führenden Fachzeitschriften publizierte neue Erkenntnisse muss er zeitnah im Berufsalltag<br />
umsetzen, wenn sie wissenschaftlich gesichert sind.<br />
3. Von der Einschätzung des medizinischen Sachverständigen, ein ärztliches Versäumnis sei<br />
nicht als grober Behandlungsfehler zu werten, darf das Gericht abweichen, wenn es dafür<br />
keiner medizinischen Fachkunde bedarf (hier: einschlägige Fachpublikation bleibt Monate<br />
später unbeachtet).<br />
4. Dreitägige anästhesiebedingte postoperative Übelkeit (sogenannte PONV), die durch Gabe<br />
eines weiteren Medikamentes vermeidbar gewesen wäre, kann ein Schmerzensgeld von<br />
1000 € rechtfertigen.<br />
Tenor:<br />
<strong>–</strong> <strong>–</strong> <strong>–</strong> <strong>–</strong> <strong>–</strong><br />
In dem Rechtsstreit<br />
- Klägerin und Berufungsklägerin -<br />
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte<br />
gegen<br />
1.<br />
2. Prof. Dr. med.<br />
- Beklagte und Berufungsbeklagte -<br />
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte<br />
wegen Arzthaftung<br />
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts <strong>Koblenz</strong><br />
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kaltenbach<br />
sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. Menzel und Weller<br />
auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2012<br />
für Recht erkannt:<br />
2 © 2012 <strong>Wolters</strong> <strong>Kluwer</strong> Deutschland GmbH - Jurion NV-Gesamtprodukt, Rechtsstand 21.<br />
Oktober 2012 - 24.10.2012
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mainz<br />
vom 15. November 20<strong>11</strong> teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:<br />
Die Erstbeklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 1.000 EUR zu<br />
zahlen.<br />
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.<br />
2. Die weiter greifende Berufung wird zurückgewiesen.<br />
3. Die Klägerin hat die gesamten außergerichtlichen Kosten des Zweitbeklagten und 5/6 der<br />
außergerichtlichen Kosten der Erstbeklagten sowie <strong>11</strong>/12 der Gerichtskosten zu tragen. 1/12<br />
der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin fallen der Erstbeklagten<br />
zur Last. Ihre verbleibenden außergerichtlichen Kosten tragen die Klägerin und die<br />
Erstbeklagte selbst.<br />
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.<br />
5. Die Revision wird nicht zugelassen.<br />
Entscheidungsgründe<br />
I. Wegen einer am 1. März 2005 durchgeführten Operation nimmt die seinerzeit 46-jährige<br />
Klägerin das beklagte Krankenhaus und den dort als Gynäkologen tätigen Zweitbeklagten auf<br />
Zahlung eines Schmerzensgeldes von 6.000 EUR in Anspruch. Bei dem Eingriff wurde die<br />
Gebärmutter entfernt. Dass dies indiziert war, ist außer Streit.<br />
Da die Klägerin von gelegentlichem unkontrolliertem Abgang von Urin berichtet hatte, nahm<br />
man beim selben Eingriff eine Unterpolsterung des Harnleiters mit einem TVT - Band vor. Die<br />
Intubationsnarkose, die als totale intravenöse Anästhesie mit Propofol und Remifentanil<br />
durchgeführt wurde, bewirkte postoperativ heftige Übelkeit mit Erbrechen, was bis zum<br />
3. März 2005 andauerte. Im Vorfeld des Eingriffs hatte die Klägerin darauf hingewiesen, dass<br />
sie die üblichen Narkosemittel nicht vertrage. Außerdem litt die Klägerin nach dem Eingriff<br />
langfristig unter Unterleibsschmerzen, insbesondere beim Geschlechtsverkehr. Da sich um<br />
das TVT - Band keine Schleimhaut gebildet hatte, musste am 22. Juni 2006 andernorts ein<br />
Revisionseingriff durchgeführt werden.<br />
Die Klägerin hat den Beklagten Aufklärungsversäumnisse, insbesondere über eine<br />
Behandlungsalternative, und Fehler bei der Operation angelastet. Auch sei bei der Gabe der<br />
Anästhetika versäumt worden, ein weiteres Medikament zu verabreichen, das die zweitägige<br />
Übelkeit mit Erbrechen sicher vermieden hätte.<br />
Die Beklagten haben erwidert, die Aufklärung der Klägerin sei weder unvollständig noch<br />
fehlerhaft gewesen. Auch die Medikation in Vorbereitung, Durchführung und Ausleitung der<br />
Anästhesie sei sachgemäß unter Beachtung der bekannten Überempfindlichkeit der Klägerin<br />
erfolgt.<br />
3 © 2012 <strong>Wolters</strong> <strong>Kluwer</strong> Deutschland GmbH - Jurion NV-Gesamtprodukt, Rechtsstand 21.<br />
Oktober 2012 - 24.10.2012
Das Landgericht, auf dessen Entscheidung zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen<br />
Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat Zeugenbeweis erhoben, die Klägerin<br />
nach § 141 ZPO angehört und gynäkologische sowie anästhesiologische<br />
Sachverständigengutachten eingeholt und diese mündlich erläutern lassen.<br />
Hiernach hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Scheidenplastik mittels TVT -<br />
Band sei indiziert gewesen und nicht fehlerhaft vorgenommen worden. Richtig sei zwar, dass<br />
eine Stressharninkontinenz vom Grad 1 auch konservativ behandelt werden könne. Indes<br />
habe es hier wegen der ohnehin anstehenden Gebärmutterentfernung nahe gelegen, im<br />
selben Eingriff auch die Harninkontinenz operativ zu beseitigen, da dies der Klägerin mit ihrer<br />
bekannten Allergie gegen Narkosemittel einen eventuell erforderlichen Zweiteingriff nach<br />
Scheitern der konservativen Therapie erspart habe. Auch die Risikoaufklärung sei nicht zu<br />
beanstanden. Die schmerzende Erosion der Vaginalwand über dem TVT - Band sei mit dem<br />
Begriff "Wundheilungsstörung" im Aufklärungsbogen hinreichend umschrieben. Auch bei den<br />
weiteren Komplikationen handele es sich um Operationsfolgen, die trotz größter ärztlicher<br />
Sorgfalt nicht immer vermeidbar seien.<br />
Die anästhesiebedingte postoperative Übelkeit (sogenannte PONV = postoperative nausea<br />
and vomiting) beruhe zwar auf einem Behandlungsfehler, weil man versäumt habe, ein drittes<br />
Medikament (Antimetikum) aus einer anderen Wirkstoffgruppe zu geben. Indes hätten die bei<br />
der Erstbeklagten (Klinikum) angestellten Narkoseärzte den hierzu 2004 in der Fachzeitschrift<br />
"Der Anästhesist" veröffentlichten Artikel am 1. März 2005 noch nicht kennen müssen,<br />
weshalb es sich nicht um einen groben Behandlungsfehler handele. Die alsbaldige<br />
Umsetzung derartiger Publikationen könne allenfalls in Krankenhäusern der<br />
Maximalversorgung erwartet werden (Universitätskliniken), wozu die Erstbeklagte nicht zähle.<br />
Demzufolge habe die Klägerin beweisen müssen, dass die Gabe des dritten Medikaments die<br />
postoperative Übelkeit mit Erbrechen vermieden hätte. Dieser Beweis sei nicht geführt.<br />
Mit ihrer Berufung wiederholt die Klägerin den erstinstanzlichen Antrag. Wegen der<br />
Stressharninkontinenz habe eine Behandlungsalternative (Beckenbodengymnastik)<br />
bestanden, über die sie nicht aufgeklärt worden sei. Das Risiko, das sich verwirklicht habe,<br />
hätte nicht als Wundheilungsstörung verharmlost werden dürfen. Auch sei es zu<br />
Behandlungsfehlern gekommen, die als grob gewertet werden müssten. Das TVT - Band sei<br />
fehlerhaft platziert, zu straff gespannt und nicht hinreichend mit Gewebe überdeckt worden;<br />
man habe es tasten können. Die Gabe eines dritten Medikaments sei sehr wohl grob<br />
fehlerhaft versäumt worden. Dass an die ständige Weiterbildung und Wissensaktualisierung<br />
von Anästhesisten geringere Anforderungen zu stellen seien als bei Rechtsanwälten,<br />
erschließe sich nicht.<br />
Die Beklagten verteidigen die Entscheidung des Landgerichts. Es habe weder<br />
Aufklärungsversäumnisse noch Behandlungsfehler gegeben.<br />
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf die<br />
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.<br />
Die Akten des Ermittlungsverfahrens 3056 Js 33603/05 Staatsanwaltschaft Mainz<br />
einschließlich des dortigen Sonderbandes "Krankenakten" waren Gegenstand der<br />
4 © 2012 <strong>Wolters</strong> <strong>Kluwer</strong> Deutschland GmbH - Jurion NV-Gesamtprodukt, Rechtsstand 21.<br />
Oktober 2012 - 24.10.2012
mündlichen Verhandlung. Auch darauf nimmt der Senat Bezug.<br />
II. Die zulässige Berufung hat einen geringen Teilerfolg; weit überwiegend ist sie<br />
unbegründet.<br />
1. Das angefochtene Urteil hat Bestand, soweit die Klägerin beiden Beklagten<br />
Aufklärungsversäumnisse vor dem Eingriff vom 1. März 2005 und Behandlungsfehler bei<br />
Durchführung der Operation anlastet.<br />
a. Die Berufung trägt vor, die Harninkontinenz geringen Grades habe durch eine konservative<br />
Behandlung, nämlich Beckenbodengymnastik, adäquat mit guter Erfolgsaussicht behandelt<br />
werden können. Darüber sei die Klägerin nicht aufgeklärt worden.<br />
Daran ist im rechtlichen Ausgangspunkt richtig, dass der Patient aufgeklärt werden muss,<br />
wenn es mehrere medizinisch indizierte und übliche Behandlungsmethoden gibt, die<br />
unterschiedliche Risiken oder Erfolgschancen haben. Dies gilt auch dann, wenn eine<br />
Operation durch eine konservative Behandlung vermieden werden kann oder erst nach deren<br />
erfolgloser Vorschaltung indiziert ist. Auch in einem solchen Fall besteht nämlich eine echte<br />
Wahlmöglichkeit für den Patienten, so dass dieser zur Wahrung seines<br />
Selbstbestimmungsrechts durch die gebotene vollständige ärztliche Belehrung in die Lage<br />
versetzt werden muss, eigenständig zu entscheiden, auf welchem Weg die Behandlung<br />
erfolgen soll und in welchem Zeitpunkt er sich auf welches Risiko einlassen will (ständige<br />
Senatsrechtsprechung).<br />
Der Klägerin war jedoch bekannt, dass die Möglichkeit bestand, die Harninkontinenz<br />
konservativ zu behandeln. Den im nachgereichten Schriftsatz vom 15. Juni 2012 wiederholten<br />
Klagevortrag, wonach eine derartige Aufklärung unterblieben sei, hat die Klägerin selbst bei<br />
ihrer maßgeblichen Anhörung nach § 141 ZPO abgeschwächt, indem sie erklärte, über<br />
alternative Behandlungsmethoden sei ihrer "Erinnerung nach nicht gesprochen worden". Das<br />
lässt die Möglichkeit einer Erinnerungslücke offen und entzieht damit der als Gewissheit<br />
dargestellten Behauptung die Grundlage, jedwede Aufklärung über Behandlungsalternativen<br />
sei unterblieben. Das besagt allerdings noch nicht, dass der dem Arzt obliegende Beweis<br />
sachgemäßer Aufklärung geführt ist. Eine derartige Aufklärung erschließt sich jedoch aus<br />
dem vierseitigen Informationsblatt, das der Klägerin vor dem Aufklärungsgespräch am<br />
28. Februar 2005 ausgehändigt worden war. Dort heißt es wörtlich:<br />
"Da Ihre Beschwerden weder durch Beckenbodentraining noch durch andere Hilfen dauerhaft<br />
gebessert werden können, empfehlen wir eine Operation".<br />
Das verdeutlichte hinreichend, dass ein Beckenbodentraining als Behandlungsalternative in<br />
Betracht kam, allerdings nach ärztlicher Einschätzung keinen dauerhaften Erfolg versprach.<br />
Das steht dem Berufungsvorbringen entgegen, die konservative Behandlungsmöglichkeit sei<br />
der Klägerin völlig unbekannt gewesen. Angesichts des Kenntnisstandes, der durch das<br />
Informationsblatt vermittelt worden war, laufen die Berufungsrügen auf die Forderung hinaus,<br />
der Zweitbeklagte (Gynäkologe) habe im konkreten Fall die dargestellte Therapieempfehlung<br />
unterlassen müssen.<br />
5 © 2012 <strong>Wolters</strong> <strong>Kluwer</strong> Deutschland GmbH - Jurion NV-Gesamtprodukt, Rechtsstand 21.<br />
Oktober 2012 - 24.10.2012
Das ist indes nicht richtig. Besteht eine Behandlungsalternative, über die der Patient<br />
informiert ist, darf der Arzt eine konkrete Empfehlung aussprechen. Liegt diese Empfehlung<br />
unter Berücksichtigung aller entscheidungserheblichen medizinischen Anknüpfungstatsachen<br />
im Rahmen des Vertretbaren, ist die therapeutische Aufklärung nicht zu beanstanden (vgl.<br />
Senatsurteil vom 12. 02. 2009 - 5 U 927/06 - in VersR 2009, 1077 [<strong>OLG</strong> <strong>Koblenz</strong> 12.02.2009 -<br />
5 U 927/06] - 1079). Die von Frau Dr. S., die am 28. Februar 2005 das Aufklärungsgespräch<br />
mit der Klägerin führte, und dem Zweitbeklagten gegebene Empfehlung (Scheidenplastik mit<br />
Einbringen eines TVT - Bandes) lag nach den mündlichen Erläuterungen des<br />
gynäkologischen Sachverständigen nahe. Auf diese plausibel erscheinenden medizinischen<br />
Erwägungen wird verwiesen. Das Landgericht hat daher in nicht zu beanstandender Weise<br />
die Überzeugung gewonnen, dass die Klägerin über die Möglichkeit einer konservativen<br />
Therapie informiert war. Die Worte "empfehlen wir eine Operation" machten hinreichend<br />
deutlich, dass der Eingriff keineswegs alternativlos oder gar unausweichlich war. Dass bisher<br />
noch nicht versucht worden war, die Harninkontinenz durch Beckenbodengymnastik zu<br />
beheben, wusste niemand besser als die Klägerin selbst. Daher erscheint das von der<br />
Berufung im Schriftsatz vom 15. Juni 2012 wiederholt behauptete Informationsdefizit wenig<br />
plausibel.<br />
b. Auch die Risikoaufklärung entsprach den Anforderungen. Dabei kommt es auf den Streit<br />
der Parteien, ob das konkret eingetretene Risiko mit dem Wort "Wundheilungsstörungen"<br />
sachgemäß umschrieben ist, nicht entscheidend an. Denn auf Seite 3 des<br />
Informationsblattes, das der Klägerin ausgehändigt wurde, sind eine Vielzahl von<br />
Komplikationen angesprochen; unter anderem ist auch - in Fettdruck hervorgehoben - von<br />
der Möglichkeit einer korrekturbedürftigen schrumpfenden Vernarbung der Scheide die Rede.<br />
Insgesamt vermitteln die auf zwei eng bedruckten DIN - A 4 Seiten zusammengefassten<br />
Informationen einer Patientin eine hinreichende Vorstellung davon, dass jene postoperativen<br />
Beschwerden und Beeinträchtigungen eintreten können, die bei der Klägerin<br />
bedauerlicherweise zu verzeichnen waren.<br />
c. Der Berufung kann auch nicht darin gefolgt werden, das TVT Band sei fehlerhaft<br />
positioniert und zu straff gespannt worden. Einen Widerspruch zwischen dem OP - Bericht<br />
des nachbehandelnden Arztes Dr. B. und seiner Zeugenaussage sieht der Senat nicht. Die<br />
"Mobilisierung" eines TVT - Bandes kann auch aus einem anderen Grund als dem von der<br />
Berufung gemutmaßten erforderlich werden, etwa durch nicht steuerbare postoperative<br />
Verwachsungen mit dem umliegenden Gewebe. Von einem Behandlungsfehler kann insoweit<br />
keine Rede sein. Auf die Zeugenaussage Dr. B. und die Feststellungen und<br />
Schlussfolgerungen des gynäkologischen Sachverständigen wird verwiesen. Dass bei der<br />
Klägerin ein Revisionseingriff erforderlich wurde, ist bedauerlich, erlaubt aber nicht den<br />
Schluss, dem Zweitbeklagten sei ein vermeidbarer Fehler unterlaufen. Ärztliches Handeln ist<br />
angesichts der vielfältigen und unterschiedlichen Reaktionen des menschlichen Körpers auf<br />
operative Interventionen nie mit einer Erfolgsgarantie versehen.<br />
2. Der Klägerin steht allerdings gegen das erstbeklagte Krankenhaus ein<br />
Schmerzensgeldanspruch wegen schuldhafter Schlechterfüllung des Behandlungsvertrages,<br />
aber auch aus unerlaubter Handlung zu ( §§ 6<strong>11</strong> , 276 , 278 , 831 , 253 BGB ), weil die<br />
Anästhesie nicht mit der erforderlichen Sorgfalt ( § 276 Abs. 2 BGB ) durchgeführt wurde.<br />
6 © 2012 <strong>Wolters</strong> <strong>Kluwer</strong> Deutschland GmbH - Jurion NV-Gesamtprodukt, Rechtsstand 21.<br />
Oktober 2012 - 24.10.2012
Der Zweitbeklagte (Gynäkologe) haftet insoweit nicht, weil er für die Narkose nicht<br />
verantwortlich war.<br />
Bei der Klägerin bestand eine den Anästhesisten bekannte extreme Überempfindlichkeit<br />
gegen die üblichen Narkosemittel. Dazu hat das anästhesiologische<br />
Sachverständigengutachten mitgeteilt, dass diesem Problem durch Gabe eines dritten die<br />
Übelkeit mindernden, wenn nicht gar völlig unterdrückenden Medikamentes hätte begegnet<br />
werden müssen.<br />
Das Versäumnis der bei der Erstbeklagten beschäftigten Anästhesisten wollte der<br />
Sachverständige nur deshalb nicht als grob einstufen, weil der entsprechende Hinweis in der<br />
führenden anästhesiologischen Fachzeitschrift erst im Jahr 2004 veröffentlicht wurde. Dazu<br />
hat der Sachverständige gemeint, lediglich von einem Krankenhaus der Maximalversorgung<br />
müsse verlangt werden, Derartiges alsbald im Klinikalltag umzusetzen. Bei der Erstbeklagten<br />
könne das Anfang März 2005 unterlaufene Versäumnis lediglich als einfacher<br />
Behandlungsfehler gewertet werden.<br />
Diese Einschätzung, der das Landgericht gefolgt ist, teilt der Senat nicht. Er ist - auch ohne<br />
erneute Anhörung des Sachverständigen - zu einer anderen Einschätzung befugt, weil es<br />
sich nicht um eine fachmedizinische, sondern um eine juristische Wertungsfrage handelt.<br />
Dass ein Arzt verpflichtet ist, sich auf seinem Fachgebiet regelmäßig weiterzubilden und<br />
dabei auch über Neuerungen zu informieren und diese erforderlichenfalls zeitnah zum Wohl<br />
seiner Patienten umzusetzen, steht außer Frage.<br />
Ob und in welchem Umfang ihm dabei entsprechend den Vorstellungen des<br />
Sachverständigen eine "Karenzzeit" eingeräumt werden muss, wenn er nicht an einem<br />
Krankenhaus der Maximalversorgung tätig ist, bedarf beim vorliegenden Fall keiner<br />
Entscheidung. Denn die Zeitspanne zwischen der Fachpublikation im Jahr 2004, die das<br />
konkrete Problem der Klägerin betrifft, und deren Operation am 1. März 2005 war derart lang,<br />
dass den bei der Erstbeklagten tätigen Anästhesisten bekannt sein musste, dass die Gabe<br />
eines dritten Medikamentes erforderlich war.<br />
Da das Versäumnis daher als grob gewertet werden muss, oblag es der Erstbeklagten, den<br />
Nachweis zu führen, dass der Kausalverlauf bei pflichtgemäßem Handeln identisch gewesen<br />
wäre. Dieser Beweis ist nicht geführt.<br />
Die dreitägige starke Übelkeit mit häufigem Erbrechen erfordert nach Auffassung des Senats<br />
ein Schmerzensgeld von 1.000 €.<br />
3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1 , 92 , 100 , 708 Nr. 10 , 713 ZPO .<br />
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.<br />
Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 6.000 €.<br />
Kaltenbach<br />
7 © 2012 <strong>Wolters</strong> <strong>Kluwer</strong> Deutschland GmbH - Jurion NV-Gesamtprodukt, Rechtsstand 21.<br />
Oktober 2012 - 24.10.2012
Dr. Menzel<br />
Weller<br />
Hinweise<br />
rechtskräftig<br />
Hinweis: Das Dokument wurde redaktionell aufgearbeitet und unterliegt in dieser Form einem besonderen<br />
urheberrechtlichen Schutz. Eine Nutzung über die Vertragsbedingungen der Nutzungsvereinbarung hinaus -<br />
insbesondere eine gewerbliche Weiterverarbeitung außerhalb der Grenzen der Vertragsbedingungen - ist nicht<br />
gestattet.<br />
8 © 2012 <strong>Wolters</strong> <strong>Kluwer</strong> Deutschland GmbH - Jurion NV-Gesamtprodukt, Rechtsstand 21.<br />
Oktober 2012 - 24.10.2012