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OLG Koblenz 20.6.2012 – 5 U 1450/11 - Wolters Kluwer ...

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<strong>OLG</strong> <strong>Koblenz</strong>, 20.06.2012, 5 U <strong>1450</strong>/<strong>11</strong><br />

Anforderungen an die Pflicht zur therapeutischen Aufklärung bei mehreren<br />

Behandlungsalternativen - Bemessung des des Schmerzensgeldes bei vermeidbarer<br />

drei Tage andauernder anästhesiebedingter postoperativer Übelkeit<br />

Gericht: <strong>OLG</strong> <strong>Koblenz</strong><br />

Datum: 20.06.2012<br />

Aktenzeichen: 5 U <strong>1450</strong>/<strong>11</strong><br />

Entscheidungsform: Urteil<br />

JURION Fundstelle: JurionRS 2012, 17234<br />

Fundstellen: ArztR 2012, 204-206<br />

GesR 2012, 501-503<br />

MDR 2012, 843-844<br />

ZWD 2012, 2<br />

Rechtsgrundlagen: § 253 BGB<br />

§ 276 BGB<br />

§ 278 BGB<br />

§ 280 BGB<br />

§ 6<strong>11</strong> BGB<br />

§ 823 BGB<br />

§ 831 BGB<br />

Verfahrensgang: vorgehend:<br />

Amtlicher Leitsatz:<br />

LG Mainz - 15.<strong>11</strong>.20<strong>11</strong> - AZ: 2 O 414/05<br />

1. Besteht eine Behandlungsalternative, über die der Patient informiert ist, darf der Arzt eine<br />

konkrete Empfehlung aussprechen. Liegt diese Empfehlung unter Berücksichtigung aller<br />

Umstände des Einzelfalls im Rahmen des medizinisch Vertretbaren, ist die therapeutische<br />

Aufklärung nicht zu beanstanden.<br />

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2. Ein Arzt ist verpflichtet, sich auf seinem Fachgebiet regelmäßig weiterzubilden. In<br />

führenden Fachzeitschriften publizierte neue Erkenntnisse muss er zeitnah im Berufsalltag<br />

umsetzen, wenn sie wissenschaftlich gesichert sind.<br />

3. Von der Einschätzung des medizinischen Sachverständigen, ein ärztliches Versäumnis sei<br />

nicht als grober Behandlungsfehler zu werten, darf das Gericht abweichen, wenn es dafür<br />

keiner medizinischen Fachkunde bedarf (hier: einschlägige Fachpublikation bleibt Monate<br />

später unbeachtet).<br />

4. Dreitägige anästhesiebedingte postoperative Übelkeit (sogenannte PONV), die durch Gabe<br />

eines weiteren Medikamentes vermeidbar gewesen wäre, kann ein Schmerzensgeld von<br />

1000 € rechtfertigen.<br />

Tenor:<br />

<strong>–</strong> <strong>–</strong> <strong>–</strong> <strong>–</strong> <strong>–</strong><br />

In dem Rechtsstreit<br />

- Klägerin und Berufungsklägerin -<br />

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte<br />

gegen<br />

1.<br />

2. Prof. Dr. med.<br />

- Beklagte und Berufungsbeklagte -<br />

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte<br />

wegen Arzthaftung<br />

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts <strong>Koblenz</strong><br />

durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kaltenbach<br />

sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. Menzel und Weller<br />

auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2012<br />

für Recht erkannt:<br />

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1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mainz<br />

vom 15. November 20<strong>11</strong> teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:<br />

Die Erstbeklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 1.000 EUR zu<br />

zahlen.<br />

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.<br />

2. Die weiter greifende Berufung wird zurückgewiesen.<br />

3. Die Klägerin hat die gesamten außergerichtlichen Kosten des Zweitbeklagten und 5/6 der<br />

außergerichtlichen Kosten der Erstbeklagten sowie <strong>11</strong>/12 der Gerichtskosten zu tragen. 1/12<br />

der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin fallen der Erstbeklagten<br />

zur Last. Ihre verbleibenden außergerichtlichen Kosten tragen die Klägerin und die<br />

Erstbeklagte selbst.<br />

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.<br />

5. Die Revision wird nicht zugelassen.<br />

Entscheidungsgründe<br />

I. Wegen einer am 1. März 2005 durchgeführten Operation nimmt die seinerzeit 46-jährige<br />

Klägerin das beklagte Krankenhaus und den dort als Gynäkologen tätigen Zweitbeklagten auf<br />

Zahlung eines Schmerzensgeldes von 6.000 EUR in Anspruch. Bei dem Eingriff wurde die<br />

Gebärmutter entfernt. Dass dies indiziert war, ist außer Streit.<br />

Da die Klägerin von gelegentlichem unkontrolliertem Abgang von Urin berichtet hatte, nahm<br />

man beim selben Eingriff eine Unterpolsterung des Harnleiters mit einem TVT - Band vor. Die<br />

Intubationsnarkose, die als totale intravenöse Anästhesie mit Propofol und Remifentanil<br />

durchgeführt wurde, bewirkte postoperativ heftige Übelkeit mit Erbrechen, was bis zum<br />

3. März 2005 andauerte. Im Vorfeld des Eingriffs hatte die Klägerin darauf hingewiesen, dass<br />

sie die üblichen Narkosemittel nicht vertrage. Außerdem litt die Klägerin nach dem Eingriff<br />

langfristig unter Unterleibsschmerzen, insbesondere beim Geschlechtsverkehr. Da sich um<br />

das TVT - Band keine Schleimhaut gebildet hatte, musste am 22. Juni 2006 andernorts ein<br />

Revisionseingriff durchgeführt werden.<br />

Die Klägerin hat den Beklagten Aufklärungsversäumnisse, insbesondere über eine<br />

Behandlungsalternative, und Fehler bei der Operation angelastet. Auch sei bei der Gabe der<br />

Anästhetika versäumt worden, ein weiteres Medikament zu verabreichen, das die zweitägige<br />

Übelkeit mit Erbrechen sicher vermieden hätte.<br />

Die Beklagten haben erwidert, die Aufklärung der Klägerin sei weder unvollständig noch<br />

fehlerhaft gewesen. Auch die Medikation in Vorbereitung, Durchführung und Ausleitung der<br />

Anästhesie sei sachgemäß unter Beachtung der bekannten Überempfindlichkeit der Klägerin<br />

erfolgt.<br />

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Das Landgericht, auf dessen Entscheidung zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen<br />

Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat Zeugenbeweis erhoben, die Klägerin<br />

nach § 141 ZPO angehört und gynäkologische sowie anästhesiologische<br />

Sachverständigengutachten eingeholt und diese mündlich erläutern lassen.<br />

Hiernach hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Scheidenplastik mittels TVT -<br />

Band sei indiziert gewesen und nicht fehlerhaft vorgenommen worden. Richtig sei zwar, dass<br />

eine Stressharninkontinenz vom Grad 1 auch konservativ behandelt werden könne. Indes<br />

habe es hier wegen der ohnehin anstehenden Gebärmutterentfernung nahe gelegen, im<br />

selben Eingriff auch die Harninkontinenz operativ zu beseitigen, da dies der Klägerin mit ihrer<br />

bekannten Allergie gegen Narkosemittel einen eventuell erforderlichen Zweiteingriff nach<br />

Scheitern der konservativen Therapie erspart habe. Auch die Risikoaufklärung sei nicht zu<br />

beanstanden. Die schmerzende Erosion der Vaginalwand über dem TVT - Band sei mit dem<br />

Begriff "Wundheilungsstörung" im Aufklärungsbogen hinreichend umschrieben. Auch bei den<br />

weiteren Komplikationen handele es sich um Operationsfolgen, die trotz größter ärztlicher<br />

Sorgfalt nicht immer vermeidbar seien.<br />

Die anästhesiebedingte postoperative Übelkeit (sogenannte PONV = postoperative nausea<br />

and vomiting) beruhe zwar auf einem Behandlungsfehler, weil man versäumt habe, ein drittes<br />

Medikament (Antimetikum) aus einer anderen Wirkstoffgruppe zu geben. Indes hätten die bei<br />

der Erstbeklagten (Klinikum) angestellten Narkoseärzte den hierzu 2004 in der Fachzeitschrift<br />

"Der Anästhesist" veröffentlichten Artikel am 1. März 2005 noch nicht kennen müssen,<br />

weshalb es sich nicht um einen groben Behandlungsfehler handele. Die alsbaldige<br />

Umsetzung derartiger Publikationen könne allenfalls in Krankenhäusern der<br />

Maximalversorgung erwartet werden (Universitätskliniken), wozu die Erstbeklagte nicht zähle.<br />

Demzufolge habe die Klägerin beweisen müssen, dass die Gabe des dritten Medikaments die<br />

postoperative Übelkeit mit Erbrechen vermieden hätte. Dieser Beweis sei nicht geführt.<br />

Mit ihrer Berufung wiederholt die Klägerin den erstinstanzlichen Antrag. Wegen der<br />

Stressharninkontinenz habe eine Behandlungsalternative (Beckenbodengymnastik)<br />

bestanden, über die sie nicht aufgeklärt worden sei. Das Risiko, das sich verwirklicht habe,<br />

hätte nicht als Wundheilungsstörung verharmlost werden dürfen. Auch sei es zu<br />

Behandlungsfehlern gekommen, die als grob gewertet werden müssten. Das TVT - Band sei<br />

fehlerhaft platziert, zu straff gespannt und nicht hinreichend mit Gewebe überdeckt worden;<br />

man habe es tasten können. Die Gabe eines dritten Medikaments sei sehr wohl grob<br />

fehlerhaft versäumt worden. Dass an die ständige Weiterbildung und Wissensaktualisierung<br />

von Anästhesisten geringere Anforderungen zu stellen seien als bei Rechtsanwälten,<br />

erschließe sich nicht.<br />

Die Beklagten verteidigen die Entscheidung des Landgerichts. Es habe weder<br />

Aufklärungsversäumnisse noch Behandlungsfehler gegeben.<br />

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf die<br />

gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.<br />

Die Akten des Ermittlungsverfahrens 3056 Js 33603/05 Staatsanwaltschaft Mainz<br />

einschließlich des dortigen Sonderbandes "Krankenakten" waren Gegenstand der<br />

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mündlichen Verhandlung. Auch darauf nimmt der Senat Bezug.<br />

II. Die zulässige Berufung hat einen geringen Teilerfolg; weit überwiegend ist sie<br />

unbegründet.<br />

1. Das angefochtene Urteil hat Bestand, soweit die Klägerin beiden Beklagten<br />

Aufklärungsversäumnisse vor dem Eingriff vom 1. März 2005 und Behandlungsfehler bei<br />

Durchführung der Operation anlastet.<br />

a. Die Berufung trägt vor, die Harninkontinenz geringen Grades habe durch eine konservative<br />

Behandlung, nämlich Beckenbodengymnastik, adäquat mit guter Erfolgsaussicht behandelt<br />

werden können. Darüber sei die Klägerin nicht aufgeklärt worden.<br />

Daran ist im rechtlichen Ausgangspunkt richtig, dass der Patient aufgeklärt werden muss,<br />

wenn es mehrere medizinisch indizierte und übliche Behandlungsmethoden gibt, die<br />

unterschiedliche Risiken oder Erfolgschancen haben. Dies gilt auch dann, wenn eine<br />

Operation durch eine konservative Behandlung vermieden werden kann oder erst nach deren<br />

erfolgloser Vorschaltung indiziert ist. Auch in einem solchen Fall besteht nämlich eine echte<br />

Wahlmöglichkeit für den Patienten, so dass dieser zur Wahrung seines<br />

Selbstbestimmungsrechts durch die gebotene vollständige ärztliche Belehrung in die Lage<br />

versetzt werden muss, eigenständig zu entscheiden, auf welchem Weg die Behandlung<br />

erfolgen soll und in welchem Zeitpunkt er sich auf welches Risiko einlassen will (ständige<br />

Senatsrechtsprechung).<br />

Der Klägerin war jedoch bekannt, dass die Möglichkeit bestand, die Harninkontinenz<br />

konservativ zu behandeln. Den im nachgereichten Schriftsatz vom 15. Juni 2012 wiederholten<br />

Klagevortrag, wonach eine derartige Aufklärung unterblieben sei, hat die Klägerin selbst bei<br />

ihrer maßgeblichen Anhörung nach § 141 ZPO abgeschwächt, indem sie erklärte, über<br />

alternative Behandlungsmethoden sei ihrer "Erinnerung nach nicht gesprochen worden". Das<br />

lässt die Möglichkeit einer Erinnerungslücke offen und entzieht damit der als Gewissheit<br />

dargestellten Behauptung die Grundlage, jedwede Aufklärung über Behandlungsalternativen<br />

sei unterblieben. Das besagt allerdings noch nicht, dass der dem Arzt obliegende Beweis<br />

sachgemäßer Aufklärung geführt ist. Eine derartige Aufklärung erschließt sich jedoch aus<br />

dem vierseitigen Informationsblatt, das der Klägerin vor dem Aufklärungsgespräch am<br />

28. Februar 2005 ausgehändigt worden war. Dort heißt es wörtlich:<br />

"Da Ihre Beschwerden weder durch Beckenbodentraining noch durch andere Hilfen dauerhaft<br />

gebessert werden können, empfehlen wir eine Operation".<br />

Das verdeutlichte hinreichend, dass ein Beckenbodentraining als Behandlungsalternative in<br />

Betracht kam, allerdings nach ärztlicher Einschätzung keinen dauerhaften Erfolg versprach.<br />

Das steht dem Berufungsvorbringen entgegen, die konservative Behandlungsmöglichkeit sei<br />

der Klägerin völlig unbekannt gewesen. Angesichts des Kenntnisstandes, der durch das<br />

Informationsblatt vermittelt worden war, laufen die Berufungsrügen auf die Forderung hinaus,<br />

der Zweitbeklagte (Gynäkologe) habe im konkreten Fall die dargestellte Therapieempfehlung<br />

unterlassen müssen.<br />

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Das ist indes nicht richtig. Besteht eine Behandlungsalternative, über die der Patient<br />

informiert ist, darf der Arzt eine konkrete Empfehlung aussprechen. Liegt diese Empfehlung<br />

unter Berücksichtigung aller entscheidungserheblichen medizinischen Anknüpfungstatsachen<br />

im Rahmen des Vertretbaren, ist die therapeutische Aufklärung nicht zu beanstanden (vgl.<br />

Senatsurteil vom 12. 02. 2009 - 5 U 927/06 - in VersR 2009, 1077 [<strong>OLG</strong> <strong>Koblenz</strong> 12.02.2009 -<br />

5 U 927/06] - 1079). Die von Frau Dr. S., die am 28. Februar 2005 das Aufklärungsgespräch<br />

mit der Klägerin führte, und dem Zweitbeklagten gegebene Empfehlung (Scheidenplastik mit<br />

Einbringen eines TVT - Bandes) lag nach den mündlichen Erläuterungen des<br />

gynäkologischen Sachverständigen nahe. Auf diese plausibel erscheinenden medizinischen<br />

Erwägungen wird verwiesen. Das Landgericht hat daher in nicht zu beanstandender Weise<br />

die Überzeugung gewonnen, dass die Klägerin über die Möglichkeit einer konservativen<br />

Therapie informiert war. Die Worte "empfehlen wir eine Operation" machten hinreichend<br />

deutlich, dass der Eingriff keineswegs alternativlos oder gar unausweichlich war. Dass bisher<br />

noch nicht versucht worden war, die Harninkontinenz durch Beckenbodengymnastik zu<br />

beheben, wusste niemand besser als die Klägerin selbst. Daher erscheint das von der<br />

Berufung im Schriftsatz vom 15. Juni 2012 wiederholt behauptete Informationsdefizit wenig<br />

plausibel.<br />

b. Auch die Risikoaufklärung entsprach den Anforderungen. Dabei kommt es auf den Streit<br />

der Parteien, ob das konkret eingetretene Risiko mit dem Wort "Wundheilungsstörungen"<br />

sachgemäß umschrieben ist, nicht entscheidend an. Denn auf Seite 3 des<br />

Informationsblattes, das der Klägerin ausgehändigt wurde, sind eine Vielzahl von<br />

Komplikationen angesprochen; unter anderem ist auch - in Fettdruck hervorgehoben - von<br />

der Möglichkeit einer korrekturbedürftigen schrumpfenden Vernarbung der Scheide die Rede.<br />

Insgesamt vermitteln die auf zwei eng bedruckten DIN - A 4 Seiten zusammengefassten<br />

Informationen einer Patientin eine hinreichende Vorstellung davon, dass jene postoperativen<br />

Beschwerden und Beeinträchtigungen eintreten können, die bei der Klägerin<br />

bedauerlicherweise zu verzeichnen waren.<br />

c. Der Berufung kann auch nicht darin gefolgt werden, das TVT Band sei fehlerhaft<br />

positioniert und zu straff gespannt worden. Einen Widerspruch zwischen dem OP - Bericht<br />

des nachbehandelnden Arztes Dr. B. und seiner Zeugenaussage sieht der Senat nicht. Die<br />

"Mobilisierung" eines TVT - Bandes kann auch aus einem anderen Grund als dem von der<br />

Berufung gemutmaßten erforderlich werden, etwa durch nicht steuerbare postoperative<br />

Verwachsungen mit dem umliegenden Gewebe. Von einem Behandlungsfehler kann insoweit<br />

keine Rede sein. Auf die Zeugenaussage Dr. B. und die Feststellungen und<br />

Schlussfolgerungen des gynäkologischen Sachverständigen wird verwiesen. Dass bei der<br />

Klägerin ein Revisionseingriff erforderlich wurde, ist bedauerlich, erlaubt aber nicht den<br />

Schluss, dem Zweitbeklagten sei ein vermeidbarer Fehler unterlaufen. Ärztliches Handeln ist<br />

angesichts der vielfältigen und unterschiedlichen Reaktionen des menschlichen Körpers auf<br />

operative Interventionen nie mit einer Erfolgsgarantie versehen.<br />

2. Der Klägerin steht allerdings gegen das erstbeklagte Krankenhaus ein<br />

Schmerzensgeldanspruch wegen schuldhafter Schlechterfüllung des Behandlungsvertrages,<br />

aber auch aus unerlaubter Handlung zu ( §§ 6<strong>11</strong> , 276 , 278 , 831 , 253 BGB ), weil die<br />

Anästhesie nicht mit der erforderlichen Sorgfalt ( § 276 Abs. 2 BGB ) durchgeführt wurde.<br />

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Der Zweitbeklagte (Gynäkologe) haftet insoweit nicht, weil er für die Narkose nicht<br />

verantwortlich war.<br />

Bei der Klägerin bestand eine den Anästhesisten bekannte extreme Überempfindlichkeit<br />

gegen die üblichen Narkosemittel. Dazu hat das anästhesiologische<br />

Sachverständigengutachten mitgeteilt, dass diesem Problem durch Gabe eines dritten die<br />

Übelkeit mindernden, wenn nicht gar völlig unterdrückenden Medikamentes hätte begegnet<br />

werden müssen.<br />

Das Versäumnis der bei der Erstbeklagten beschäftigten Anästhesisten wollte der<br />

Sachverständige nur deshalb nicht als grob einstufen, weil der entsprechende Hinweis in der<br />

führenden anästhesiologischen Fachzeitschrift erst im Jahr 2004 veröffentlicht wurde. Dazu<br />

hat der Sachverständige gemeint, lediglich von einem Krankenhaus der Maximalversorgung<br />

müsse verlangt werden, Derartiges alsbald im Klinikalltag umzusetzen. Bei der Erstbeklagten<br />

könne das Anfang März 2005 unterlaufene Versäumnis lediglich als einfacher<br />

Behandlungsfehler gewertet werden.<br />

Diese Einschätzung, der das Landgericht gefolgt ist, teilt der Senat nicht. Er ist - auch ohne<br />

erneute Anhörung des Sachverständigen - zu einer anderen Einschätzung befugt, weil es<br />

sich nicht um eine fachmedizinische, sondern um eine juristische Wertungsfrage handelt.<br />

Dass ein Arzt verpflichtet ist, sich auf seinem Fachgebiet regelmäßig weiterzubilden und<br />

dabei auch über Neuerungen zu informieren und diese erforderlichenfalls zeitnah zum Wohl<br />

seiner Patienten umzusetzen, steht außer Frage.<br />

Ob und in welchem Umfang ihm dabei entsprechend den Vorstellungen des<br />

Sachverständigen eine "Karenzzeit" eingeräumt werden muss, wenn er nicht an einem<br />

Krankenhaus der Maximalversorgung tätig ist, bedarf beim vorliegenden Fall keiner<br />

Entscheidung. Denn die Zeitspanne zwischen der Fachpublikation im Jahr 2004, die das<br />

konkrete Problem der Klägerin betrifft, und deren Operation am 1. März 2005 war derart lang,<br />

dass den bei der Erstbeklagten tätigen Anästhesisten bekannt sein musste, dass die Gabe<br />

eines dritten Medikamentes erforderlich war.<br />

Da das Versäumnis daher als grob gewertet werden muss, oblag es der Erstbeklagten, den<br />

Nachweis zu führen, dass der Kausalverlauf bei pflichtgemäßem Handeln identisch gewesen<br />

wäre. Dieser Beweis ist nicht geführt.<br />

Die dreitägige starke Übelkeit mit häufigem Erbrechen erfordert nach Auffassung des Senats<br />

ein Schmerzensgeld von 1.000 €.<br />

3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1 , 92 , 100 , 708 Nr. 10 , 713 ZPO .<br />

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.<br />

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 6.000 €.<br />

Kaltenbach<br />

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Dr. Menzel<br />

Weller<br />

Hinweise<br />

rechtskräftig<br />

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