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Rundbrief - Arbeitskreis für Wirtschafts- und Sozialgeschichte ...

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<strong>R<strong>und</strong>brief</strong>des <strong>Arbeitskreis</strong>esfür <strong>Wirtschafts</strong><strong>und</strong><strong>Sozialgeschichte</strong>Schleswig-HolsteinsNr. 96 März 2008MitteilungenNeues vom <strong>Arbeitskreis</strong> – nach längerer Pause (Lorenzen-Schmidt) .................................... 1Der <strong>Arbeitskreis</strong> für <strong>Wirtschafts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Sozialgeschichte</strong> Schleswig-Holsteinsim Jahr 2007 (Lorenzen-Schmidt) ................................................................................................. 3Protokoll der Mitgliederversammlung ....................................................................................... 5Abrechnung für das Geschäftsjahr 2007 (Liebing Schlaber) .............................................. 8ProjektStadt <strong>und</strong> Adel – Adel <strong>und</strong> Stadt. Wechsellagen <strong>und</strong> Konjunkturen einesvielgestaltigen Gegen- <strong>und</strong> Miteinanders. Einladung zu einem Projekt (Kraack) .......... 9BeiträgeGesellige Mahlzeiten im Kieler Bildungsbürgertum. Auszüge aus den Briefender Kieler Professorengattin Henriette Seelig (1832-1918) an ihre TochterSophie Sthamer (Pusback) ........................................................................................................ 13Buchbesprechungen (Lorenzen-Schmidt) ........................................................................... 21Hg. v. Günther Bock, Ahrensfelder Weg 13, 22927 Großhansdorf


MitgliedernachrichtenNeue AdressenProf. Dr.-Ing. Frank Braun, Schillerstr. 47, 21335 LüneburgNeue MitgliederRuth Esther Clausen, Hafermarkt 13-17, 24943 Flensburg,E-Mail: r_clausen2001@yahoo.deDr. Martina Moede, Am Rauchhause 8, 22926 Ahrensburg, Tel. 04102/30972,Fax. 04102/57818, E-Mail: m.moede@t-online.deMitgliederbeitrag/<strong>R<strong>und</strong>brief</strong>abonnement:jährlich 25 € (10 € für Studenten oder Interessierte ohne Einkommen).Internet: http://www.arbeitskreis-geschichte.deBankverbindungen:Flensburger Sparkasse, Konto: 105 100 919, Bankleit-zahl: 215 500 50.Mitglieder in Dänemark können auf das dänische Konto der GSHG über-weisen:Sydbank Kruså, Reg.-Nr. 8065, Konto-Nr. 111340-1 (Einzahlungen auf diesesKonto bitte unbedingt mit „Beitrag <strong>Arbeitskreis</strong>“ kennzeichnen).<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


MitteilungenNeues vom <strong>Arbeitskreis</strong> – nach längerer PauseDer <strong>Arbeitskreis</strong> befindet sich derzeit ineiner etwas schwierigen Situation. Nichtnur im Hinblick auf die Organisation,sondern auch hinsichtlich der Inhalte.Dass es organisatorische Probleme gibt,wurde bereits aus der langen Pause zwischenden Erscheinungsdaten der letzten<strong>R<strong>und</strong>brief</strong>e deutlich. Unser SekretärJan Straßenburg, der die Nachfolge vonLars Worgull angetreten hatte, war durchBeruf <strong>und</strong> Familie so stark belastet, dasser nicht in der auch von ihm selbst gewünschtenWeise aktiv sein konnte. Nunhat er zum Jahreswechsel eine Stellungin Brauschweig gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> damitsein Amt in unserem <strong>Arbeitskreis</strong> niedergelegt.Glück für ihn, Pech für uns!Das Leitungsgremium hat daraufhinkurz entschlossen eine interimistischeLösung gef<strong>und</strong>en, die sich vielleichtauch als längerfristige Arbeitsverteilungstabilisieren könnte: Vom Sekretär übernimmtzunächst Günther Bock federführendden <strong>R<strong>und</strong>brief</strong> (ob wir eine kleineRedaktion dazuwählen, muss nochentscheiden werden); Gerret Schlaber,unser Rechnungsführer, wird die Mitgliederliste<strong>und</strong> die Versandliste für den<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> à jour halten; der Sprecherwird den Schriftverkehr mit den Mitgliedernaufrechtzuerhalten versuchen. Obwir einen neuen Sekretär aus unseren<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96Reihen finden, muss die Zukunft zeigen.Zunächst einmal danke ich GüntherBock für sein Engagement außer der Reihe,dessen Resultat wir in Form dieses<strong>R<strong>und</strong>brief</strong>es in Händen halten.Inhaltlich wird es auch schwieriger. Ichmusste im Februar 2008 die geplanteTagung „Essen <strong>und</strong> Trinken in der GeschichteSchleswig-Holsteins <strong>und</strong> benachbarterRegionen“ absagen, weil– auch aufgr<strong>und</strong> des langen Vorlaufs– zu viele Tagungsinteressenten abgesagthatten. Auch Martin Rheinheimerhat Schwierigkeiten, für sein Projekt„Mensch <strong>und</strong> Meer“ genügend Teilnehmerzu finden.Der auf dem Koppelberg bereits festgebuchte Tagungstermin (23. – 25. Mai2008) soll deshalb für eine offene Tagungunseres <strong>Arbeitskreis</strong>es genutztwerden, bei dem es vor allem drei Blöckegeben soll: 1.) Einige Referate zum Thema„Essen <strong>und</strong> Trinken“, 2.) Einige Referatezum Thema „Mensch <strong>und</strong> Meer“, 3.)Möglichkeiten zum Nachdenken überdie Perspektiven unseres <strong>Arbeitskreis</strong>es,vor allem vor dem Hintergr<strong>und</strong> der nichtdurchführbaren Projekte „Essen <strong>und</strong>Trinken“ <strong>und</strong> „Mensch <strong>und</strong> Meer“. Wirmüssen uns trotz mancher ermunternderZeichen der Tatsache stellen, dass unserealten Arbeitsformen (v. a. Projekte <strong>und</strong>1


Tagungen zu thematisch relativ eng gefasstenProblemen der <strong>Wirtschafts</strong>- <strong>und</strong><strong>Sozialgeschichte</strong> unseres Landes, aberauch Colloquien mit Doktoranden) nichtmehr genügend Interessenten finden,um sie erfolgreich abschließen zu können.Der <strong>Arbeitskreis</strong> muss sich also mitder Frage seiner Existenz <strong>und</strong> der Neuausrichtungseiner Aktivitäten ernsthaftbefassen. Zu der offenen Tagung gibtes noch im April eine besondere Einladung,evtl. mit Thesenpapieren aus demLeitungsgremium.Trotz der Schwierigkeiten wollen wirgern noch vor dem Sommer einen weiteren<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> herausbringen. Wirerbitten deshalb von allen Mitgliedernaktive Mitarbeit: Sendet Kurzinformationenoder kleine Mitteilungen, Quellenstücke,Historische Statistik, Buchbesprechungen<strong>und</strong> -annotationen oderanderes bis zum Ende Mai 2008 an GüntherBock, damit wir wieder den Erscheinungsrhythmusvon 3 Heften pro Jahrerreichen. Egal, wie schwierig gegenwärtigauch die Lage des <strong>Arbeitskreis</strong>esist – wir wollen dieses Informations- <strong>und</strong>Kommunikationsmedium gern erhalten.LORIdas ist: Klaus-J. Lorenzen-Schmidtals SprecherDie Mitgliederversammlung mit Exkursionim September dieses Jahres wirddann die Möglichkeit bieten, die Resultateder vorbereitenden Diskussionen inBeschlüsse zu gießen. Da darüber hinausauch die Ablösung des gegenwärtigenSprechers (ich werde in diesem Jahr 60<strong>und</strong> stehe seit 1989 dem <strong>Arbeitskreis</strong> alsSprecher zur Verfügung) ansteht, wirdes also einiger Anstrengungen bedürfen,um dem nun schon über 30jährigenProjekt des <strong>Arbeitskreis</strong>es eine Zukunftsperspektivezu geben. Dass das nichtAufgabe des Leitungsgremiums alleinsein kann, liegt auf der Hand.2<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


Der <strong>Arbeitskreis</strong> für <strong>Wirtschafts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Sozialgeschichte</strong>Schleswig-Holsteins im Jahr 2007Die gemeinschaftliche Arbeit an der Erforschungder <strong>Wirtschafts</strong>-, Sozial- <strong>und</strong>Mentalitätsgeschichte Schleswig-Holsteinslegte im vergangenen Jahr einekleine Pause ein. Die für den Herbst geplanteTagung über „Essen <strong>und</strong> Trinkenin Schleswig-Holstein <strong>und</strong> benachbartenGebieten vom Mittelalter bis zumErsten Weltkrieg“ konnte wegen einesPlanungsfehlers am Veranstaltungsortnicht im Herbst des Jahres stattfinden<strong>und</strong> wird Ende Mai 2008 durchgeführt.Als einzige gemeinschaftliche Aktivitätfand im Juni die Exkursion mit Mitgliederversammlungin Flensburg statt.Gerret L. Schlaber führte uns auf denSpuren der frühen Industrialisierung derFördestadt.Publikationen hat der <strong>Arbeitskreis</strong> nachdem ertragreichen Vorjahr außer zweiHeften des „<strong>R<strong>und</strong>brief</strong>es“, die der SekretärJan Straßenburg herausgab, im vergangenenJahr nicht vorlegen können.Als nächster Band der Studien sollen dieErgebnisse der Tagung „Katastrophenin Norddeutschland“ (Leitung: OrtwinPelc) erscheinen. Weitere Publikationsplanungenbestehen sowohl für die„Studien zur <strong>Wirtschafts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Sozialgeschichte</strong>Schleswig-Holsteins“ wie fürdie „Quellen zur <strong>Wirtschafts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Sozialgeschichte</strong>Schleswig-Holsteins“ <strong>und</strong> fürdie „Kleine Reihe“.Das Leitungsgremium, das alle Funktionsträger(also auch Projektleiter bis<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96zum Abschluß durch Publikation desTagungsbandes) umfasst, bestand zumJahreswechsel aus: Klaus-J. Lorenzen-Schmidt (Sprecher <strong>und</strong> Projekt Essen& Trinken), Peter Wulf (stellv. Sprecher),Jan Straßenburg (Sekretär), Gerret L.Schlaber (Rechnungsführer), MartinRheinheimer (Redaktion der Schriften),Peter Danker-Carstensen (Schriftenversand),Ingwer E. Momsen (Verbindungzur GSHG), Björn Hansen (Internet-Beauftragter),Ortwin Pelc (Projekt Katastrophen),Günther Bock (Projekt Essen& Trinken) <strong>und</strong> Detlev Kraack (Projekt:Stadt <strong>und</strong> Adel). Zum Jahresende mussteleider unser Sekretär wegen beruflicherVeränderungen seine Arbeit für unserenZusammenschluss aufgeben.Für den <strong>Arbeitskreis</strong> haben Jan Straßenburg<strong>und</strong> Björn Hansen den Internetauftrittüberarbeitet <strong>und</strong> benutzerfre<strong>und</strong>lichergestaltet (www.arbeitskreis-geschichte.de). GüntherBock hat ein Faltblatt <strong>und</strong> ein Plakat zurWerbung für den <strong>Arbeitskreis</strong> gestaltet,die beide gedruckt <strong>und</strong> an die wesentlichenForschungs- <strong>und</strong> Ausbildungseinrichtungenverteilt wurden. Sie könnenbeim Sprecher angefordert werden.Finanzielle Unterstützung für unsere Arbeiterhalten wir gegenwärtig vom LandSchleswig-Holstein nicht, weshalb diefinanzielle Zuwendung durch die „Gesellschaftfür Schleswig-HolsteinischeGeschichte“, der wir dafür herzlich dan-3


ken, von großer Bedeutung ist. Immerwichtiger werden für uns Sponsoren, dienicht nur die Tagungstätigkeit fördern,sondern den Druck der „Studien“ <strong>und</strong>der „Quellen“ überhaupt erst ermöglichen.Ihnen gilt unser herzlicher Dank,denn ohne sie wäre eine so intensiveArbeit bei zunehmendem Versiegenöffentlicher Finanzquellen überhauptnicht möglich.Insgesamt ist der <strong>Arbeitskreis</strong> stabil,möchte aber gerne mehr Dynamik entwickeln<strong>und</strong> sucht weiterhin jüngereforschende Mitglieder, die sich mit ihrenThemen <strong>und</strong> Ergebnissen einbringen. Imjetzt laufenden Jahr wird es höchstwahrscheinlicheine wissenschaftliche Tagung(s.o.) <strong>und</strong> ein Colloquium in Esbjerg über„Küstengesellschaften“ (Leitung MartinRheinheimer) sowie ein Arbeitsgesprächzum Thema „Stadt <strong>und</strong> Adel“ geben. Der<strong>Arbeitskreis</strong> verfolgt weiter sein Ziel, dieSozial-, <strong>Wirtschafts</strong>-, Mentalitäts-, Geschlechter-<strong>und</strong> Alltagsgeschichte deralten Herzogtümer Schleswig <strong>und</strong> Holsteinunter Einschluss von Lübeck besserzu erforschen <strong>und</strong> unter vergleichendenAspekten darzustellen.Klaus-J. Lorenzen-Schmidt4<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


Protokoll der Mitgliederversammlungdes <strong>Arbeitskreis</strong>es für <strong>Wirtschafts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Sozialgeschichte</strong>Schleswig-Holsteins am 16. Juni 2007 in Flensburg,Restaurant Borgerforeningen, 13:15 – 15:45 UhrNach der informativen, leider bei häufigemNieselregen stattfindenden Exkursionunter Leitung von Gerret Schlaber,die uns auf den Spuren der frühindustriellenGeschichte Flensburgs wandelnließ, aßen wir im Restaurant Borgerforeningenzu Mittag <strong>und</strong> hielten teilswährenddessen, teils danach die Mitgliederversammlungab. Es waren zehnMitglieder <strong>und</strong> vier Gäste erschienen,die sich nach der Begrüßung durch denSprecher zunächst einander in der R<strong>und</strong>evorstellten. Die Tagesordnung wurdeangenommen.Der Sprecher berichtete dann über dasJahr 2006, das er – allein von der Zahlder Veröffentlichungen her – für sehrerfolgreich bezeichnete. Herausragendwar auch die offene Tagung im Novemberauf dem Koppelsberg.Der Sekretär konnte leider nicht anwesendsein, weil er mit seiner Familieschuldlos in einen Autounfall verwickeltwar <strong>und</strong> zunächst seine hochschwangereGattin zur medizinischen Untersuchungbegleiten musste (zum Glück istniemand von der Familie Straßenburg zuSchaden gekommen). In kurzen Wortenberichtete der Sprecher über die Aktivitäten<strong>und</strong> verwies auf den demnächsterscheinenden <strong>R<strong>und</strong>brief</strong>. Gerret Schlaberregte an, dass die Herausgabe des<strong>R<strong>und</strong>brief</strong>es besser einem kleinen Team<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96anvertraut werden sollte, das sich derSekretär ja zusammensuchen könnte.Gerret Schlaber gab den Bericht desRechnungsführers, der insofern sehr positivausfiel, als wir etwa 6.000 € zur Verfügunghaben; die Zahlungsmoral derMitglieder ist gut; trotzdem muss dereine oder andere an seinen Mitgliedsbeitragerinnert werden.Für die Redaktion legte Martin Rheinheimerseinen Bericht über das erfolgreicheJahr 2006 ab. Gegenwärtig liegt eineQuellenedition von Dieter Pust (Flensburg)über die Resultate des Walfanges<strong>und</strong> Robbenschlages in der ersten Hälftedes 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, insbesondere ausGlückstadt, als Angebot für die „Quellen“vor. Ortwin Pelc kündigte an, dass erden Band von der Katastrophen-Tagungnun bald fertig stellen wolle („Studien“).Gleichzeitig bot er für die „Quellen“ dieEdition von Kreditanträgen LübeckerHandwerker um 1800 an, an der er abernoch etwas arbeiten müsse.Björn Hansen (Internetbeauftragter)hatte sich entschuldigt <strong>und</strong> Jan Straßenburggebeten, die Bemühungen umdie Renovatur unseres Internetauftrittesvorzustellen – der Bericht musste ausfallen.Es wurde angemahnt, dass wir unbedingtunsere Netz-Adresse behalten.5


Vom Buchversand (Peter Danker-Carstensen)war nichts zu berichten.Unsere Projekte sind auf folgendemStand:o Katastrophen (Ortwin Pelc will denTagungsband möglichst bald fertig stellen),o Essen <strong>und</strong> Trinken (die Tagung, die vonGünther Bock <strong>und</strong> LORI vorbereitet wird,kann im Juni 2008 auf dem Koppelsbergstattfinden),o Mensch <strong>und</strong> Meer (dazu will MartinRheinheimer einen Workshop an derSyddansk Universitet in Esbjerg anbieten,was einen Finanzierungsvorteil hätte).o Stadt <strong>und</strong> Adel (über die Initiierungeines solchen Projektes denkt DetlevKraack nach).o Ortsfester <strong>und</strong> Wanderhandel (SabineVogel denkt über ein solches Projektnach).o Stadt <strong>und</strong> Umland, insbesondere Versorgungder Städte (über ein solchesProjekt denkt LORI nach).Günther Bock stellte Werbeplakat <strong>und</strong>-leporello für den <strong>Arbeitskreis</strong> vor, dener gemeinsam mit LORI erarbeitet hat.Diese beiden Werbemittel sollen in denHochschulen des Landes, in Archiven,Museen <strong>und</strong> Bibliotheken ausgehängt/legt werden. Wir versprechen uns davoneine Erhöhung des Bekanntheitsgradesdes <strong>Arbeitskreis</strong>es bei vor allem auchjüngeren Forschern.Zur Kooperation mit der GSHG ist (trotzAbwesenheit von Ingwer Momsen) ist6 <strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


gut <strong>und</strong> gedeihlich, zumal die GSHG zuihrem 175jährigen Jubiläum auch auftatkräftige Mithilfe der Mitglieder des<strong>Arbeitskreis</strong>es angewiesen ist. LORI hatim Frühjahr den Vorsitz des Beirates derGSHG übernommen.An Planungen bedachten wir neben denschon festen Projektsachen vor allemdie Exkursion <strong>und</strong> Mitgliederversammlungim September 2008. Neben Neumünsterstand Glückstadt zur Wahl; dieMehrheit der Anwesenden entschiedsich für Glückstadt, wo LORI alles vorbereitenwird.pro protocollo: Klaus-J. Lorenzen-Schmidt vulgo LORI<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 967


Abrechnung für das Geschäftsjahr 2007A. Kontostand am 31.12.2006:€ 5066,86B. EinnahmenMitgliedsbeiträge: € 4519,58Zuschuss von der GSHG: € 2500,00Eigenbeteiligung Tagung (Nov. 06)€ 85,00Einnahmen gesamt: € 7104,58C. AusgabenDruckkosten <strong>R<strong>und</strong>brief</strong>: € 1011,52Druckkosten Informationsmaterial€ 819,91Sekretariat (Porto u.a.): € 642,43Bankgebühren: € 77,15Auslagen Jahreshauptversammlung:€ 24,70Ausgaben gesamt: € 2575,71D. Saldo € 4528,87E: Kontostand am 31.12.2007:€ 9595,73Apenrade, den 29. Januar 2008Gerret Liebing Schlaber ph.d.Rechnungsführer8<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


ProjektStadt <strong>und</strong> Adel – Adel <strong>und</strong> StadtWechsellagen <strong>und</strong> Konjunkturen eines vielgestaltigen Gegen- <strong>und</strong>MiteinandersEinladung zu einem Projektvon Detlev KraackWir sind es gewohnt, mit den Begriffen„Stadt“ <strong>und</strong> „Adel“ ganz bestimmte, festumrissene Vorstellungen zu verbinden.Geprägt durch die ältere (um nicht zusagen „klassische“) deutsche Stadt- <strong>und</strong>Hansegeschichtsforschung denken wirbei Stadt für die vormoderne Epoche sofortan Stadtrecht, städtische Freiheiten,an „die großen drei Ms“ (Mauer – Münze– Markt), an die Hanse, an Koggen, Gilden,„Pfeffersäcke“ <strong>und</strong> an vieles mehr<strong>und</strong> haben dabei das Modell einer verdichtetenForm von Siedlung um Pfarrkirche,Markt <strong>und</strong> Rathaus im Kopf, dieaus der sie umgebenden Feudalweltgleichsam herausgehoben wirkt. Adelhingegen erscheint meist als Inbegrifffür die vorrevolutionäre, ständisch geprägte(„Feudal-“)Welt des ancien régime.Der Gedanke an ritterlich-höfischesGebaren, an adligen Dünkel, andemonstrativen Konsum sowie ehrenvollesMit- <strong>und</strong> Gegeneinander klingtdabei oftmals unverhohlen mit (all diesfinden wir indes gleichermaßen bei denAngehörigen städtischer wie nicht-städtischerOberschichten). Beide Begriffe– Stadt <strong>und</strong> Adel - in eins zu fassen, liefedemnach auf einen konfliktgeladenen<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96Widerspruch hinaus oder versuchte etwaüber Fragen der materiellen Versorgungoder der Markt-Umland-Funktion zusammenzubringen,was von der älterenForschung jeweils für sich genommenals defizitär verstanden wurde.Wer genauer hinsieht <strong>und</strong> sich dabeimehr an der zeitgenössischen Quellenüberlieferungals an überkommen-idealtypischenVorstellungsmustern orientiert,merkt indes recht schnell, dass essich sowohl hier als auch dort sehr vielkomplizierter verhält <strong>und</strong> dass die Fragedes Mit- <strong>und</strong> Gegeneinanders von Stadt<strong>und</strong> Adel wissenschaftsgeschichtlich,aber eben auch <strong>und</strong> gerade von der Sacheher nicht eines gewissen Reizes entbehrt.So gibt es weder die Stadt nochden Adel. Statt Widersprüchen findenwir symbiotische Elemente <strong>und</strong> kommenzu der Erkenntnis, dass die vielgestaltigangelegten Wirkungsmöglichkeiten vonden historischen Protagonisten von Ortzu Ort jeweils sehr unterschiedlich ausgestaltetwurden.Vor allem auf der Seite der Städte war dasSpektrum sehr weit gefächert: Es liegt9


auf das Hand, dass für Hamburg <strong>und</strong>Flensburg ganz andere Bedingungengalten als für Oldesloe <strong>und</strong> Lütjenburg,das für lange Zeit der Pfandherrschaftumwohnender Großer unterstellt war, -um an dieser Stelle von Lübeck erst garnicht zu beginnen. Dass Residenzstädteanderen Gesetzen gehorchten als Kaufmanns-<strong>und</strong> Ackerbürgerstädte oderFlecken wie Preetz, bedürfte eigentlichebenfalls keiner Erläuterung; <strong>und</strong> dochwird es oftmals nicht oder zumindestnicht ausreichend bedacht. Entsprechendgibt es hinsichtlich des in sich vielfachgeschichteten <strong>und</strong> „gegruppten“Adels noch zahlreiche offene Fragen zuklären; auch hier dürften entsprechendevertikale, aber auch horizontale <strong>und</strong> regionaleDifferenzierungen weiterhelfen<strong>und</strong> zu neuen Vorstellungen führen, dieuns besser verstehen machen, was wir inder vormodernen Quellenüberlieferungan Nachrichten finden.So scheint der Adel von der Gründungsphasean in den Städten mehr oderweniger direkt präsent – <strong>und</strong> zum Teiltonangebend - gewesen zu sein. Mit derbürgerlicher Gleichheit, mit der Brüderlichkeitgar <strong>und</strong> auch mit der Freiheit,die sich die Französische Revolutionprogrammatisch auf die Fahnen schrieb,war es demnach von Anfang an nichtweit her. Ein ähnlich enges Miteinanderzwischen Stadt <strong>und</strong> Adel erhellt aus derUntersuchung von Immobilien- <strong>und</strong>Rentengeschäften im Spätmittelalter.Von diesen ist es dann nur noch ein kleinerSchritt bis zum Kieler Umschlag, aufdem vor dem Hintergr<strong>und</strong> der städtischenKulisse Geld gehoben, Kredite umgeschichtet,Ehebündnisse beschmiedet<strong>und</strong> politische Rechnungen aufgemachtoder beglichen wurden. Vom unflätigenVerhalten des Landesadels anlässlichdieses gesellschaftlichen Ereignisseszeichnet die städtische Chronistik einkeinesfalls immer schmeichelhaftes Bild.Wie aber sah der normale Alltag aus, deres bekanntlich stets schwerer hatte, einenspürbaren Nachhall in den Quellenzu finden? Wer besaß? Wer bestimmte?Wer arbeitete zu welchen Bedingungen<strong>und</strong> zu welchem Lohn für wen? Werfand wo seinen Platz in der Kirche <strong>und</strong>wer wurde wie, wo <strong>und</strong> unter welchemAufwand zur letzten Ruhe gebettet? Wiestand es mit frommen Stiftungen, mitder Zugehörigkeit zu Bruderschaften?Welche Rolle spielten überhaupt geistlicheEinrichtungen (Klöster, Hospitäler,Domkapitel)? Was wissen wir über dasSelbstverständnis von Adel <strong>und</strong> städtischenOberschichten (Stichwort Repräsentation)?Wie stand es mit ehelichenVerbindungen zwischen Patriziern <strong>und</strong>10 <strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


landsässigen Adligen (Stichwort Konnubium)?Welchen Konjunkturen warenLand- <strong>und</strong> Stadtsässigkeit unterworfen?Wer ahmte im Spannungsfeld von Imitatio<strong>und</strong> Ämulatio in Lebensstil <strong>und</strong>Hausausstattung eigentlich wen nach?An wen hielt sich der Landesherr, wenner sich in Konflikte mit den Landständenoder mit auswärtigen Mächten verwikkeltsah? War all dies durch die ZeitenKonjunkturen unterworfen? Gab es signifikanteUnterschiede zwischen demalten schleswigschen Adel <strong>und</strong> den großenholsteinischen Adelsfamilien, dieüber Pfandherrschaft <strong>und</strong> Besitzerwerbseit dem 14. Jahrh<strong>und</strong>ert verstärkt insSchleswigsche einwanderten <strong>und</strong> mitder Zeit zu einer Schleswig-HolsteinischenRitterschaft verschmolzen? Wieverhielt es sich im Gegensatz dazu (odervielleicht ganz ähnlich) in den unterschiedlichenRegionen Dänemarks? Waswissen wir ferner über das Miteinandervon Städten gegen den Adel <strong>und</strong>/oderden Landesherrn?Hiermit seien nur einige Anregungen gegeben,die dazu inspirieren mögen, sichmit dem äußerst vielgestaltigen Gegenstandanzufre<strong>und</strong>en, ihn – wie im Titelangedeutet - von unterschiedlichen Seitenzu beleuchten <strong>und</strong> auf diesem Wegeweiter in die Materie einzudringen. Wersich in der vormodernen Epoche nichtso zu Hause fühlt, soll sich bitte nichtdavon abhalten lassen, ein entsprechendesThema aus der Moderne in das Projekteinzubringen. Mir fallen hierzu etwaganz spontan die Donners ein, die alsAltonaer Großkaufleute in den Adel erhobenwurden <strong>und</strong> sowohl im Donner-„Schloss“ an der Elbchaussee als auch<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96auf „Schloss“ Bredeneek einen ausgesprochenadligen Lebensstil pflegten.Außerdem sind heutzutage zahlreichealte Adelssitze von reichen Städtern aufgekauftworden, die hier Jagden veranstalten<strong>und</strong> sich adlig geben. Unseremgemeinsamen Erkenntnisziel kann dieEinbringung entsprechender Themen<strong>und</strong> Problemfelder nur nützlich sein, zumalwir uns dem Gegenstand ohnehinnicht anders als an ausgewählten Fallbeispielenwerden nähern können. Geradedeshalb sind aber auch aussagekräftigeVergleichsfälle aus benachbarten oderanderen Territorien willkommen; diesekönnen gerne in die Gesamtbetrachtungeingebracht werden (Nota bene:moderne Landesgeschichte ist immerauch gleich vergleichende <strong>und</strong> „verungleichende“Landesgeschichte). Dasses adliges Getreide war, dass ChristianDethleffsen im ausgehenden 18. Jahrh<strong>und</strong>ertim S<strong>und</strong>ewitt aufkaufte, um esan seinen Geschäftspartner Cramer in11


Kopenhagen zu vermitteln, wird zwarin Dethleffsens Geschäftskorrespondenzmit keiner Silbe erwähnt, stelltaber auch eine interessante Variationdes Themas Stadt <strong>und</strong> Adel dar. Unddass Heinrich Rantzau sein Getreide im16. Jahrh<strong>und</strong>ert auf eigenen Schiffenaußer Landes brachte, um es – an denstädtischen Märkten der Region vorbei -gewinnbringend nach Westeuropa <strong>und</strong>bis in den Mittelmeerraum zu verkaufen,könnte auch ein Ansatzpunkt für eineninteressanten Beitrag sein („Adel ohneStadt?“). Schließlich haben sich zahlreicheSpuren adliger Repräsentation <strong>und</strong>adligen Alltagsgebarens in den städtischenGotteshäusern unserer Regionerhalten (Grabsteine, Epitaphien, Altäre,Gebetsstühle etc.), die ebenfalls in dieGesamtbetrachtung einbezogen werdensollten. Außerdem sind da ja auch nochFriesen <strong>und</strong> Dithmarscher, bei denen imLande ja bekanntlich schon immer allesirgendwie anders war als überall anders.Sollte jemand das „irgendwie“ mit konkretemLeben füllen können, würde ersich um das Gesamtprojekt ebenfallssehr verdient machen. -Wer an dem Projekt mitarbeiten möchte,sei herzlich dazu eingeladen, sichmit Vorschlägen für Themen bei mir zumelden. Für das ersten Halbjahr 2008plane ich ein Projekttreffen, um dannmit entsprechendem Abstand dazu eineTagung anzuberaumen, auf der wir uns– hoffentlich auch unter tatkräftiger Unterstützungvon Gästen aus nah <strong>und</strong> fern– umso intensiver mit dem Gegenstandwerden beschäftigen können.Detlev KraackSeestr. 124306 PlönTel. 04522 / 508 391Email: detlev.kraack@gmx.de12<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


BeiträgeGesellige Mahlzeiten im Kieler BildungsbürgertumAuszüge aus den Briefen der Kieler ProfessorengattinHenriette Seelig (1832-1918) an ihre Tochter Sophie Sthamervon Bärbel PusbackZwischen den Kieler Professorenfamilienherrschte im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert ein regergeselliger Kontakt. Nicht nur spontaneBesuche waren an der Tagesordnungsondern auch förmliche Einladungen zuDiners, Soupers, Frühstücken, Kaffeer<strong>und</strong>en<strong>und</strong> regelrechten Bällen, auf denensich die Söhne <strong>und</strong> Töchter der „feinen“Kieler Familien kennen lernen konnten.Da es kein Telefon für den schnellenInformationsaustausch gab, musstenalle Nachrichten persönlich überbracht<strong>und</strong> ausgetauscht werden. Wollte mansich nach dem Befinden erk<strong>und</strong>igen,Aufmerksamkeiten erweisen oder sicheinladen, musste man sich besuchen– entweder persönlich oder einen Botenschicken, der die Informationen bzw. dieEinladungen überbrachte.<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96Die Verkehrskreise bildeten sich auf derBasis von Verwandtschaft, Nachbarschaft,unter Kollegen, unter politischGleichgesinnten, gesellschaftlich oderhöher gestellten. Kam z. B. ein neuerProfessor an die Universität erwartetendie ansässigen, dass der neue Kollegezusammen mit seiner Frau die R<strong>und</strong>edurch die etablierten Familien machte.Ähnlich wurde auch der Weggang scheidenderKollegen durch gemeinsamesEssen gefeiert. Die meisten Familienfeiernboten außer den Verwandten auchden Bekannten <strong>und</strong> Kollegen die Gelegenheitsich zu beteiligen, mit Liedvorträgen,Gedichtrezitationen, längerenLesungen oder kleinen Aufführungenvon Theaterstücken im häuslichen Kreis.Nach Geert Seelig bildete die Kieler Professorenschaftbis in die 1880er Jahredie Ton angebende Gruppe in der KielerGesellschaft. Seit der Beteiligung derKieler Professoren an der Schleswig-HolsteinischenErhebung von 1848 <strong>und</strong> derHuldigung des Herzogs von Augustenburgim Jahre 1864 betrachteten sich dieKieler Professoren als „eine Art geistigeRepublik miteinander verb<strong>und</strong>ener Mitglieder[…], die den Anspruch erhob,nicht nur gesellschaftliche, sondernauch im öffentlichen Leben von den Behörden<strong>und</strong> Autoritäten als ein Staat imStaate, <strong>und</strong> zwar mit allen erdenklichenRücksichten behandelt zu werden“. Sobestand denn der Verkehrskreis derFamilie Seelig in erster Linie aus KielerProfessoren, von denen vor Allem AlbertHaenel <strong>und</strong> Gustav Karsten zugleichliberale politische Weggefährten vonWilhelm Seelig waren. Andererseits gab13


es auf Gr<strong>und</strong> der politischen AktivitätenWilhelm Seeligs für den Herzog von AugustenburgBeziehungen zum schleswig-holsteinischenAdel – bis hin zumGrafen von Noer. Da Henriette SeeligsMutter eine geborene von Wasmer gewesenist <strong>und</strong> eine ihrer Schwestern miteinem Bernstorff verheiratet war, gab esauch eine Menge familiärer Beziehungenzum schleswig-holsteinischen Adel. Undda der der Chirurg Friedrich Esmarch miteiner Prinzessin von Augustenburg verheiratetwar, gab es auch hier Querverbindungenzum Adel.Einen guten Einblick in den Ablauf solcherfestlicher Mahlzeiten bieten dieBriefe, die die Ehefrau des Kieler Professorsfür Nationalökonomie, WilhelmSeelig (1821-1906), an ihre Tochter auserster Ehe, Sophie Sthamer (1855-1940),geschrieben hat, als die junge Frau von1873 bis 1880 in Kassel, Berlin <strong>und</strong> Pariszur Malerin ausgebildet worden ist. DieBriefe, die Henriette Seelig an ihre Tochtergeschrieben hat, stehen im unmittelbarenzeitlichen Zusammenhang mitden gerade bevorstehenden oder vorkurzem stattgef<strong>und</strong>enen Ereignissen.Ihre Art Briefe zu schreiben entsprichtnoch weitgehend dem seit dem 18.Jahrh<strong>und</strong>ert verbreiteten Ideal „natürlichen“weiblichen Schreibens. Jeder Briefenthält eine Fülle unterschiedlicher Gegenstände,über die berichtet wird; oftsind die Übergänge abrupt, so dass manbeim Weiterlesen nicht gleich weiß. Weroder was gemeint ist. Gewöhnlich wirdvon den Ereignissen im Haus erzählt,von den Familienmitgliedern <strong>und</strong> wiees ihnen geht, von der Arbeit im Garten,von den Problemen mit dem Hauspersonal,von Kleidersorgen <strong>und</strong> denEinladungen in der Kieler Gesellschaft.Beschrieben wird das Menü, das es gebensollte oder gegeben hatte, welchebesonderen Schwierigkeiten es geradedann mit dem Personal gab, wer eingeladenworden, bzw. gekommen war, wiedie Gäste gekleidet waren, ob es ihnengeschmeckt hatte <strong>und</strong> ob sich die Gästewohl gefühlt haben. Eine wichtigeRolle spielten dabei auch die geselligenAktivitäten wie die Lesung von Theaterstücken,musikalischen Darbietungenmit Instrumenten oder als Gesang sowiedie gelegentlichen Tänze zum Abschlusseines solchen Abends. HenrietteSeeligs Kommentare zum Aussehen <strong>und</strong>Verhalten einzelner Personen sind oftscharf, knapp <strong>und</strong> treffend. Andererseitsschreibt sie auch darüber, wie gut es ihrselbst bei Einladungen gefallen hat <strong>und</strong>sie spart nicht mit bissigen Bemerkungen,die wohl nicht an die kritisiertenPersonen weiter gegeben wurden, dennder gesellschaftliche Verkehr wurde weiterhinaufrecht erhalten.Die ausgewählten Textpassagen ausden Briefen geben einen Überblick überdie unterschiedlichen Einladungen, diein den Briefen erwähnt wurden. Es istallerdings nicht davon auszugehen, dasssie nicht das ganze Spektrum der tatsächlichenGeselligkeit der Familie Seeligabbilden. Geschrieben wurde nur anabwesende Familienmitglieder. Warenalle zu Hause, gab es keinen Anlass überdie gemeinsamen Aktivitäten Briefe zuschreiben. Da sich die Tochter Sophieüberwiegend in den Winter <strong>und</strong> Frühjahrsmonatenin Berlin aufhielt, <strong>und</strong> beiKarl Steffeck <strong>und</strong> später bei Karl Gussow14 <strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


ihre Ausbildung zur Malerin zu absolvieren,liegen nur aus diesen Monaten Briefevor. Allerdings waren das die Monatemit dem intensivsten geselligen Lebensmit einer Fülle von wechselseitigen Einladungenzum Essen, zum Musizieren<strong>und</strong> zu Bällen. Auffällig ist, dass zwar dieMenüs ausführlich beschrieben werden,über die Getränke zum Essen aber keinWort verloren wird – außer über die gelegentlicheBowle nach dem Essen zumTanz. Es muss einen allgemeinen Standardfür diese Getränke gegeben haben,so dass es sich erübrigte, darüber zuschreiben, weil alle Beteiligten sich damitauskannten.In der Korrespondenz einer bürgerlichenMutter mit einer Tochter im heiratsfähigenAlter waren die Beschreibungen derBälle, die in Kiel in der Harmonie oder inden Häusern der Professoren stattfanden,ein wichtiges Thema. Der Tochtersignalisierten solche Ballberichte <strong>und</strong> dieErwähnung der jungen Offiziere, die imHause Seelig aus <strong>und</strong> ein gingen, sowiedie Nachrichten über Verlobungen <strong>und</strong>Hochzeiten in ihrem Bekanntenkreis,wie wichtig es war an solchen gesellschaftlichenEreignissen teilzunehmen<strong>und</strong> nach Möglichkeit auch einen passendenHeiratskandidaten zu finden.Für die Veröffentlichung der Textpassagensind die Rechtschreibung <strong>und</strong> Zeichensetzungdes Originals beibehaltenworden, um einen Eindruck von der charakteristischenSchreibweise von HenrietteSeelig zu vermitteln.<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96Henriette Seelig hatte den Briefwechselmit ihrem Mann, Wilhelm, der insgesamtdie Zeit von 1864 bis 1906 umfasst,aufbewahrt. Nach ihrem Tod im Januar1918 fand ihr Sohn, Geert Seelig, gut2000 Briefe im Nachlass seiner Mutter.Er hat sie geordnet <strong>und</strong> die Briefe seinesVaters binden lassen. Von den Briefenseiner Mutter hat er nur eine Auswahlvon Briefen an deren Schwester Sophieaus den Jahren 1865 bis 1869 <strong>und</strong> die anihre Tochter Sophie von 1873 bis 1880mit binden lassen. Die Briefe an denEhemann sind aus mangelndem öffentlichenInteresse jahrelang unsortiert ineinem Waschkorb aufgehoben worden.Ihr Verbleib ist derzeit unklar.Offenbar sind die Briefumschläge nichtmit aufbewahrt worden, <strong>und</strong> da die eigentlichenBriefe nicht immer genaudatiert sind, stimmt die chronologischeReihenfolge der Briefe in den geb<strong>und</strong>enenOriginalbänden nicht genau. Ichhabe anhand von inhaltlichen Indizienversucht, die Briefe in eine richtige Zeitfolgezu bringen. Die den Textauszügenbeigefügten Seitenangaben stimmenmit der Platzierung in den geb<strong>und</strong>enenBänden überein, damit man die Originalbriefefinden kann./51/ Mein geliebtes Kind!(23.5.1873)… Gehört habe ich übrigens von Dir <strong>und</strong>ziemlich direkte durch Fränzchen Mittler,der hier vorgestern zum Thee <strong>und</strong> mirvon seiner Mutter sagen sollte Du gefielestAllen sehr. Leider sah ich ihn nur flüchtig,hatte mich beim Besuch nicht getroffen<strong>und</strong> brachte der Bru-der ihn mit zu einerGesellschaft die ich vorgestern so zu sagen15


ei uns improvisirte. Denke 24 Personen,eigentlich Jugend die musiciren wollte,die sich dann allmählich vergrößerte,Burkhart‘s /53/ Usingers, Möbius, Heller,F. Rücker u. Frl. Manhardt, Onkel, Heller,Valenti-ners, Ross‘, 2 Mittler, Kirby u. MagThiele, Weyer. Erst musicirten sie, die Herrenwaren im Consistorium kamen um 9Uhr, hatte ein nettes Souper, Eier mit Senf,gebackene Maroni, Kalbsbraten, Schinken,divers Götterspeise <strong>und</strong> eine Bowle, wozuFrau Rücker die Ananas <strong>und</strong> eine FlascheChampagner spendirte. Waren alle höchstvergnügt <strong>und</strong> nach Tisch half es nicht, dieJungs wollten tanzen <strong>und</strong> ich mußte spielen.Wie sehr fehltest Du mir dabei, ichvermißte immer Deine Stimme <strong>und</strong> Deinheiteres Lachen dabei, Kind wie sehnt sichmein Herz nach Dir, es ist mir öde ohneDich <strong>und</strong> fehlt mir auch der rege Gedankenaustausch.Es sind doch so viele Dingefür die außer Dir Niemand so empfänglichist.… Die Knaben grüßen, wollen nächstensschreiben, mit vielen Grüßen u. Küssen vonmir Deine treueMamad. 23sten Mai 1873./95/ Mein geliebtes Kind!(15.12.73)Welch herrliche Aussicht daß dies derletzte Sonntag ohne Euch war <strong>und</strong> DuAermste hast ihn noch dazu allein verlebenmüssen, ich habe Dich recht bedauertdenn der Abend bei Koch‘s <strong>und</strong> MorgensVisiten werden auch nicht allzu heiter gewesensein. Ich schäme mich fast wenn ichdenke wie ich in Saus <strong>und</strong> Braus dagegenlebe, gestern war ich bei Möbius zu einemhöchst gemüthlichen Mittagessen, Onkelu. Tante die geladen waren hatten abgesagt,Onkel liebt ja Frau Möbius nicht,Usingers, Burkhardts, Hellers, Ladenburg,Brockhaus waren da, nettes Essen, Suppe,Karpfen, Kalbsbraten mit Gemüsen, Torte<strong>und</strong> Desert. Saßen nachher nett zusammen<strong>und</strong> plauderten Dr. Stimmig leisteteuns Gesellschaft während die Anderenrauchten, daß wir ganz überrascht warenwie es plötzlich 10 schlug. Fr. M. leidlicherLaune ohne Spitzen, Dora gr<strong>und</strong>häßlichaber eine brillante Folie für Maria die ganzallerliebst aussah. Die Damen alle so heiter<strong>und</strong> nett, immer nach Dir gefragt, ich sagtedann auch Du hättest mir Grüße für Allegeschickt. Mittwoch Nachmittag kommensie zum Kaffee <strong>und</strong> helfen mir Pulchinellpuppenanziehen. Fr. Heller ist besondersgeschickt damit. Will nachher noch zu ihr<strong>und</strong> ihre Zeichnungen sehen sie hat Trudchengezeichnet. Heute Mittag soll beiTante einen Hasen essen, mit Ed. Carstensen,der war /96/ eigentlich für gestern bestimmt,allein ich war aus, die Knaben beiMeyers um Hans´ Geburtstag zu feiern derdazu von Hamburg gekommen war. …Adieu mein Herz, wie bald habe ich Euchnun wieder hier, himmlischer Gedanke!Deine Mamad. 15ten Dez./103/ Mein geliebtes Kind!(31.1.1874)…Ich habe in gesellschaftlicher Beziehungauch eine recht /104/ unruhige Wochegehabt. Mittwoch Abend bei Tante war essehr nett, Hennings u. Friedrichs Musik <strong>und</strong>Unterhaltung, Fritz kam nach um mich abzuholen,sah so fein <strong>und</strong> groß aus in seinemschwarzen Anzug, daß ich mich über16 <strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


ihn w<strong>und</strong>erte. Kamen aber ziemlich spätnach Haus <strong>und</strong> war Donnerstag elend, wiemir überhaupt in dieser Zeit nicht gut ist,es sind meine schlimmen Monate <strong>und</strong> Eisnicht da daß man sich gehörig auslüftenkann, spazieren gehen ist lange nicht das<strong>und</strong> der alte Düsternbrooker Weg auchlangweilig. Bei Hellers amüsirte mich ganzgut aber das Essen ist man so schauderhaftschlecht, daß ich glaube die Herren sindgar nicht ordentlich satt geworden. Es warenda Usingers, Burkhardts Handelmann´sLotte <strong>und</strong> Marianne, Brockhaus, Sadebeck,Dr. Waitz. Hatte einen guten Platz zwischenBurk. u. Brockh. war aber reichlichfatiguirt, so daß mich das viele Sprechenangriff. Aber denke dies Essen, Suppe dienach Hammelfett schmeckte, ein fabelhaftesAspic mit falscher Mayonnaise, magereMaccaroni mit Saucissen <strong>und</strong> Rosenkohl<strong>und</strong> geräucherte Zunge, die berühmten 6Hähnchen die aber entsetzlich mager <strong>und</strong>zähe war <strong>und</strong> eine Torte es war so daß ichmich in der Heller ihrer Seele schämte. DieMutter muß es auch nicht anders kennen,sonst hätte die es doch ändern können.Saßen aber nach Tisch lange <strong>und</strong> plauderten,ich war dann die von Fam. Burkhardtbecourte, mich läßt nun leider das eine wiedas andere kalt wenn es auch angenehmerist mit fre<strong>und</strong>lichen als mit unfre<strong>und</strong>lichenLeuten zu /105/ verkehren. Bei Fr.Möbius stehe z.B. gar nicht in Gnaden <strong>und</strong>sagte deßhalb auch nicht ab wie sie michgestern zum Abend einlud, hatte gar keineLust, Fritz war in Fidelio <strong>und</strong> Geert <strong>und</strong>Walter alleine, hatte mich gefreut auf denstillen Abend. Hatte wieder Hellers zu betrachten<strong>und</strong> Sadebeck gegen den ich einestille Aversion habe, der Mensch schwatztbeständig so langweilig <strong>und</strong> laut <strong>und</strong> istdabei so enorm eitel <strong>und</strong> selbstgefällig,<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96daß ich es gar nicht anhören mag. Glaubegern daß sie ihn in Berlin weggelobt haben.… Die Jungs grüßen, in treuer LiebeDeine Mamad. 31sten Jan 74./125/ Mein geliebtes Kind!(21.3.1874)…Montag lasse ich nun meine große Mittagsgesellschaftvom Stapel, eben läuft Augustmit den geschriebenen Einladungen weg,richte mich auf 22 Personen. Gebe Boullionmit Eierkäse, kleine Austernpasteten, warmengekochten Schinken mit Maccaroni u.gebr. Kartoffeln, /126/ Gemüse mit Beilage,Schneehühner mit Salat <strong>und</strong> Compott, Eis,Desert. Papa hat mir eine Kiste Apfelsinengeschenkt, die mir sehr dabei zu Stattenkommt. Usingers, Möbius, Hellers, Neuners,Lahmeyers etc. Wie bedaure ich daßDu nicht dabei bist, wäre so nett, nun istTante Sophie in diesen Tagen meine Tochter,Onkel ist nach Wandsbeck, kommtDienstag wieder <strong>und</strong> so lange logirt Tantehier; … Vorläufig muß schließen meinHerz, tausend Grüße von Allen hier, mittreuester LiebeDeine Mama.d. 21sten März/129/ Mein geliebtes Kind! (25. III1874)… Gestern Abend ist Tante zu meinem großenBedauern wieder nach Haus gegangen,ich brachte sie hin, Onkel kam Abendszurück. Wie gerne hätte ich sie noch etwashier behalten, es war sehr gemüthlich, eswar ja doch etwas das mich daran erinnertewie wir zusammen leben. Sie hat mir17


auch nett bei meiner Gesellschaft geholfen,die übrigens gut abgelaufen ist, wennauch etwas mühsam für mich. Friederickekam den Morgen etwas spät <strong>und</strong> Köchin<strong>und</strong> Hausmädchen leisteten so unendlichwenig daß die ganze Last <strong>und</strong> Verantwortungauf uns beiden lag. Der Lohndienerkam ebenfalls etwas spät, aber Walterwie ge-wöhnlich liebenswürdig, nahmsich sehr der Sache an <strong>und</strong> konnte ichihm wirklich Vieles anvertrauen. Wie sehrbedaure ich immer, daß er kein Mädchenist, er paßt in jeder Beziehung so gut dazu.Das Essen war recht /131/ gut gekocht <strong>und</strong>reichlich <strong>und</strong> die Leute leisteten entsprechendes,wir waren 21: Weinholds, Forchhammers,Usinger, Hellers, Möbius, Neuner,Meyersahm, Lahmeyer, Brockhaus, Fr.Mestorff. Saßen nachher lange bei Tisch,hatte gleich den Kronleuchter angesteckt,meinen neuen Aufsatz mit Blumen <strong>und</strong>Obst, den von Onkel Emil, ebenso auf demTisch, Teller mit kleinem Confekt, so daßdas Desert höchst gemüthlich wurde. Fürdie Herren hatte im Camin Feuer gemacht,wo sie saßen u. rauchten, so war es nichtso getrennt. In der Veranda brannte eineHängelampe, erleuchtete die Blumen sehrschön, es machten sich unsere Räumewirklich hübsch, aber die Menschen sitzenja doch immer nur auf einem Klump. Fr.Usinger u. Fr. Heller waren außerordentlichlustig, machten bei Tisch viel Unsinn mitBrockhaus, trotz der strafenden Augen vonFr. Möbius u. Weinhold, der gar nicht guterLaune war. Tante Sophie w<strong>und</strong>erte sichauch über sein vergrätztes Gesicht, sie warganz nett. … Nun für heute Adieu meinHerzenskind, grüße Roquettesmit treuer Liebe DeineMama.(eher Nov. 1874)/246/ Mein geliebtes Kind!(1875)… Es geht ziemlich ...................... kannstDu wohl denken die Kochfrau kam stattum 9 Uhr, nach 10, Friederike nach 11 <strong>und</strong>die Mädchen kommen nicht aus der Stelle.Ist auch so mancherlei, der Tapezir verließuns erst gestern Abend <strong>und</strong> mußte die Stubenun erst heute Morgen gründlich reingemacht werden. Es braust mir um die Ohrenallein ich hoffte doch fertig zu werden.Das unangenehme ist, ich habe einen colossalenSchnupfen <strong>und</strong> war gestern <strong>und</strong>diese Nacht recht elend, heute geht es etwasbesser <strong>und</strong> muß besser gehen. Wennnur erst Walter da /247/ aus der Schulekommt, der kann mir so nett helfen. Wirwerden 24 Personen, Lahmeyer’s habenheute Morgen noch abgesagt, hätte gerneandere dafür gehabt, lässt sich aber nichtändern. Viele Absagen von Schirrens <strong>und</strong>Esmarch’s die selbst ein Diner geben <strong>und</strong>schon am Dienstag eingeladen. Kupffer’s,Bartels, Ladenburg Möllers. Es kommenHeller’s Burkhardt Möbius Nitzsch ThaulowBackhaus. Niemeyer ForchhammerNeuner Lotte auf die anderen kann michnicht besinnen muß noch ein Paar sein.Gebe scharfe braune Suppe, Fisch in Muscheln,Rehbraten mit Picklesauce, Gemüsemit Schinken, Kücken Salat, Compot, Eis,Desert. Frau Usinger war gestern hier, thatmir sehr leid daß ich die nicht einladenkonnte. …Adieu mein Herz ich kann nicht mehrschreibenmit treuester Liebe DeineMamaSonnabend Mittag18 <strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


(ca. 1.12.74)/192/ Mein geliebtes Kind!(XII 1874)In der bestimmten Hoffnung heute auchvon Dir Nachricht zu bekommen, nachder ich mich ganz außerordentlich sehne,fange ich an Dir unser Zauberfest zu beschreibenzu dessen Beendigung ich micham allermeisten freue. Es war ein wenigangreifend für mich, einmal weil ich mittenin einer furchtbaren Erkältung saß <strong>und</strong>dann war ich höchst unzufrieden mit derKochfrau, die spät kam <strong>und</strong> lange nichtso gut gekocht hatte, wie ich es erwartete.Die Bedienung war auch etwas langsam,so daß ich mich wohl von Familie Dibberntrennen werde. Vorläufig habe nun ja auchNiemand nöthig einzuladen, mit den Offizierenberuhige mich noch <strong>und</strong> gebe zwischenWeihnacht <strong>und</strong> Neujahr eine Abendgesellschaftmit Tanz. Den letzten Morgensagten Lahmeyers noch ab <strong>und</strong> lud dafürMarianne ein, Fritz <strong>und</strong> /193/ Walter kamendann mit bei Tisch. Neuner führtemich an der anderen Seite war MarianneLotte bei mir, freilich dazwischen Backhaus,allein wir amüsirten uns sehr gut.Mein Eis war gut gerathen, wie sie überhauptalle tüchtig gegessen haben. Hattehübsches Confekt für das Desert gekauft,oben im Aufsatz einige Blumen, so sah derTisch sehr gut aus <strong>und</strong> wir saßen 26 an einerTafel. Thue es aber sobald nicht wieder,finde kleine Réunions besser. Mein schwarzesSammtkleid erschien nicht <strong>und</strong> zog ichmeinen schwarzen Kittel wiederum an, alleinheute wo wir zu Hellers sollen, werdeich es hoffentlich anziehen können; FrauHanken hat es mir sicher versprochen. Beiuns hatten sie hübsche Toilette gemacht,Frau Forchhammer ordentlich brillant, sahsehr gut aus. Um 10 Uhr gingen Alle fort,<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96war auch man gut. Sonntag aßen wir Reste<strong>und</strong> pflegte ich meinen Schnupfen, hatteFieber <strong>und</strong> war recht elend, Tante ebenfallserkältet, wollte bei dem schlechtenWetter nicht heraus, schneite <strong>und</strong> stürmte,trotzdem waren die Jungs auf dem Schwanenteich/194/ zum Schlittschuhlaufen<strong>und</strong> Abends ins Theater. …Eben heute Morgen kommt Dein Brief,mein Herz, hat sich um einen Tag verspätet,war schon ganz unglücklich. Gesternbei Hellers war ziemlich langweilig, binauch etwas angegriffen, so sehr erkältetdas macht mürbe. Heute eine Maschinennäherei,daher schließe, tausend KüsseDeine Mama/188/ Mein geliebtes Kind!(8.XII.1874)Eigentlich hätte ich Dir schon gesternschreiben wollen, allein ich hatte den Morgenlange gelegen. … Wollte Kräfte sammelnfür mein Diner, war aber schließlichdoch reichlich angegriffen, daß mich nichtbesonders amüsirte. Auf die Länge sinddiese Diners doch etwas öde <strong>und</strong> es stehenuns noch zwei diese Woche bevor. Heutebei Frau Möbius, nur wenige Hellers Burckharts,hat so viele Absagen bekommen<strong>und</strong> Freitag bei Schirrens, die alle Freitagein kleines Diner geben. Hätte gerne abgesagt,allein wir haben uns bis jetzt immerverfehlt <strong>und</strong> dann sieht es so absichtlichaus. Gestern waren sie auch da, Esmarchs,Völ-kers, Thaulow, Klostermann u. Rhode,Fr. Möbius die mit uns fuhr. War ein schauderhaftesWetter, wurden ganz weiß vonSchnee, wie wir zurück - /189/ gingen. Hattedann endlich mein Sammtkleid an <strong>und</strong>finde ich es sieht sehr elegant aus, ist mirnur noch etwas zu neu. Sonntag war ein19


ganz abscheuliches Wetter hier, ich gingmeines Befindens wegen nicht aus, alleinOnkel <strong>und</strong> Tante aßen hier, vor Tisch kamDr. Meyer <strong>und</strong> Abends noch Frl. Roquettemit der wir ein Stündchen gemüthlichplauderten. … Nächste Woche will auchbraune Kuchen backen. Adieu mein süßesKind, mit treuer Liebe Deine Mamad. 8ten Dec.…/283/ Mein geliebtes Kind!(11.12.1874)… Bei Möbius an Dienstag war es sehrgemüthlich, einige Nachbarn, Burkhart´s,Hellers, Lotte, wir haben viel gelacht <strong>und</strong>Spaß gemacht, wir drei Ehepaare saßen unsim Kreuz gegenüber. Fr. Möbius war auchnur wenig giftig nachdem sie ihre Angstglücklich überw<strong>und</strong>en; sie hatte Karpfenbestellt <strong>und</strong> die Gäste waren da aber nochkeine Fische. Wir mußten aber so langeauf Volquardtsen warten daß noch Alleszurecht kam. Sonntag sollten die Jungs beiMöbius sein, es wird mit vertheilten Rollengelesen <strong>und</strong> hernach getanzt. Fritz waram Dienstag in der Harmonie, sich rechtgut amüsirt war aber nicht sehr besuchtgewesen nur 20-30 Personen. Fr. Usingeraber die gestern hier war erzählte er habeordentlich die Cour geschnitten <strong>und</strong> seibesonders mit einer Dame immer im Saaleauf <strong>und</strong> ab prominirt. … Bei Schirrens wares eigenthümlich, es sind Menschen dieSinn für Gemüthlichkeit haben aber dabeidoch so steif sind. Er führte Fr. Kupffer <strong>und</strong>mich zu Tisch <strong>und</strong> ist er ein geistreicherMensch, der aber Paradoxen über Allesliebt, habe mich sehr mit ihm gestritten,er läugnet alles Ideale im Menschen, <strong>und</strong>hält, ein echter Russe, /288/ Jeden käuflich.Behauptet wie Talleyrand jeder Menschhätte seinen Preis. Wir sympathisirten aberin Bezug auf Treitschke, den hält er dochauch für verlogen. Ein sonderbares Dinervon dem hungrig nach Haus kam nacheiner dünnen Suppe, ein wenig Ragout inMuscheln, gebratenem Fisch, Gemüse <strong>und</strong>Rehbraten aber Alles schlecht zubereitet<strong>und</strong> so kleine Portionen das kaum sattwurden. Um 9 fuhren nach Haus, das Wetterso schlecht <strong>und</strong> rauh daß ich mich mitmeiner Erkältung nicht hinauswagte. …Nun Adieu mein Herz, hoffentlich ist dieserlange Brief Dir ein rechtes Sonntagvergnügen,viele Grüße von hier, mit treuester LiebeDeineMamad. 11ten Dec.20<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


BuchbesprechungenHans-Jürgen Gerhard u. AlexanderEngel, Preisgeschichte der vorindustriellenZeit. Ein Kompendium auf Basisausgewählter Hamburger Materialien,Stuttgart 2006 (Studien zur Gewerbe<strong>und</strong>Handelsgeschichte, Band 26),358 S.<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 961990 <strong>und</strong> 2001 gaben H.-J. Gerhard <strong>und</strong>K.-H. Kaufhold als Resultat eines ForschungsprojektesMaterialbände mit„Preisen im vor- <strong>und</strong> frühindustriellenDeutschland“ (Gr<strong>und</strong>nahrungsmittel,Getränke, Gewürze, Rohstoffe <strong>und</strong> Gewerbeprodukte)heraus. Nun legt HerrGerhard (gemeinsam mit seinem MitarbeiterA. Engel) ein kurzes Vademecumzur Preisgeschichte vor (S. 20-100) <strong>und</strong>schließt daran die Publikation hamburgischenpreisgeschichtlichen Materialsvon 1443-1821 an, das im Rahmen derErhebungen des „International ScientificCommitee on Price History“ in den1920er <strong>und</strong> 1930er Jahren ermittelt wurde(S.101-313). Das Vademecum liefertzunächst eine kurze Geschichte der historischenPreisforschung (S. 19-39) <strong>und</strong>geht dann auf quellenk<strong>und</strong>liche <strong>und</strong>methodische Fragen dieser Disziplin ein.Es werden Überlegungen zum Geld alshistorisches Phänomen <strong>und</strong> zu Wertvergleichenzwischen Vergangenheit <strong>und</strong>Gegenwart angestellt; die Probleme beider Beurteilung von Warenpreisen <strong>und</strong>Löhnen/Gehältern werden ausgebreitet;die Aussagekraft von Preisdaten wirdkritisch hinterfragt. Spezielle Überlegungenrichten sich auf das HamburgerPreismaterial, das im Wesentlichen ausder Überlieferung des St. Georgs- <strong>und</strong>des St. Hiobs-Hospitals stammt. Gegendie Überlegungen ist im allgemeinenwenig einzuwenden, es fällt nur auf,dass andere als die der Göttinger Forschungsgeschichteverb<strong>und</strong>enen preisgeschichtlichenArbeiten (z.B. von Dirlmeier,Metz, North, Witthöft) wie auchregionale Preisstudien aus Deutschland,die zum Teil Anlass zu heftigen wissenschaftlichenKontroversen boten, hiergar nicht berücksichtigt worden sind(Waschinski <strong>und</strong> die um sein Werk entbrannteDebatte, Hausschildt, Koppe,um nur einige zu nennen). Insofernwurde auch die von W. Koppe gestellteFrage nach der jahreszeitlichen Preisschwankunginsbesondere von ernteabhängigenAgrarwaren gar nicht weiterbehandelt: Der auf das Jahr berechneteDurchschnittspreis soll es tun (egal, obdie zu diesem Durchschnitt herangezogenenPreise überwiegend aus derZeitspanne vor Ernte <strong>und</strong> Drusch oderdanach stammen). Ich bin da skeptisch,wie ich aus eigenen Forschungen lernendurfte.Im zweiten, weitaus größeren Teil desBuches werden die Hamburger Preisdatenfür Getreide (1443-1821), Getreideprodukte<strong>und</strong> weitere pflanzlicheGr<strong>und</strong>nahrungsmittel (1445-1779), Fisch(1443-1785), Fleisch, Tiere <strong>und</strong> tierischeProdukte (1443-1801), Fette <strong>und</strong> Öle21


(1443-1802), Geschmacks- <strong>und</strong> Genussmittel(1443-1806), Bier, Hopfen <strong>und</strong>Malz (1443-1792), Häute, Tuche <strong>und</strong> Gespinste(1445-1804), Seifen, Brenn- <strong>und</strong>Leuchtstoffe (1445-1811) <strong>und</strong> Bau- <strong>und</strong>Werkstoffe, Heu (1443-1800) sowie Löhne<strong>und</strong> Gehälter (1444-1798) in tabellarischerForm geboten. Ein kleiner Anhangbietet eine Übersicht über die in Hamburggebräuchlichen Maße <strong>und</strong> Gewichte,über das Rechengeld <strong>und</strong> die Geldkursein der Hansestadt sowie eine Listechronikalischer Nachrichten zum Umfeldder Preisgestaltungen. - Für die Lokal-<strong>und</strong> Regionalforschung sind solcheauf lokalen Märkten ermittelten Preisevon großer Bedeutung, bieten sie docherwünschtes Material für die Beantwortungder immer wieder auftretendenFragen nach der Kaufkraft von Löhnenoder Vermögen oder aber für die Ermittlungkonjunktureller <strong>Wirtschafts</strong>verläufe.Was das Hamburger Material auf nationaleroder darüber hinausgehenderEbene für einen Wert hat, deuten dieBearbeiter zwar auf S. 86-100 an, könnendamit aber – trotz ihres stochastischenInstrumentariums - nicht ganz überzeugen,weil eben in vorindustrieller Zeitnur relativ kleinräumige Preisgestaltungenfeststellbar sind.LSReimer Möller, Eine Küstenregion impolitisch-sozialen Umbruch (1860-1933). Die Folgen der Industrialisierungim Landkreis Steinburg (Elbe),Hamburg 2007 (Veröffentlichungendes Hamburger <strong>Arbeitskreis</strong>es für Regionalgeschichte(HAR), Band 22), 715S., zahlr. Abb. <strong>und</strong> Tab., eine Karte.Die von Reimer Möller vorgelegte Dissertationversucht, auf mikroregionalerEbene die etwas weiter gefasste Vorgeschichteder zwölf nationalsozialistischenHerrschaftsjahre (1933-1945)darzustellen. Die Arbeit reiht sich damitin die Gruppe der Untersuchungen ein,die – ausgehend von der Überlegung,dass es möglicherweise tief verwurzelteDispositionen für die breite Akzeptanzdes Nationalsozialismus in der Bevölkerunggab – die Frage nach den wirtschaftlichen,sozialen, mentalen <strong>und</strong>politischen Dispositionen der Bevölkerungeiner umgrenzten Region stellen(andere Arbeiten für unser Land sind diebekannten von Hoch, Knoop, Heinacher,Pfeil, Stokes <strong>und</strong> Sörensen). Dieser Ansatzist völlig richtig <strong>und</strong> kann tatsächlichzur Aufklärung der Vorgeschichteder nationalsozialistischen Diktatur vielbeitragen. Das von Reimer Möller ausgewählteGebiet ist gekennzeichnet durchdie Trennung zwischen Marsch <strong>und</strong>Geest einerseits <strong>und</strong> einer relativ frühen<strong>und</strong> relativ breiten Industrialisierung andererseits.Die Arbeit ist in vier zeitlich orientierteKapitel gegliedert: Kaiserzeit bis 1914(S.13-158), Erster Weltkrieg <strong>und</strong> Revolution(S. 159-254), Weimarer Republikbis zur Weltwirtschaftskrise (S. 255-400)22 <strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


<strong>und</strong> Schlusskrise der Weimarer Republik(S. 401-490). Er folgt eine ausführlicheZusammenfassung der wichtigsten Resultate(S. 499-507), nachdem bereitsjedes Hauptkapitel eine Zusammenfassungerhalten hat. Innerhalb der Kapitelversucht Reimer Möller immer zunächstdie wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Veränderungender jeweiligen Periode herauszuarbeiten,bevor er sich den politischenKräfteverhältnissen zuwendet. Daruntersind nun nicht nur Wahlergebnisse <strong>und</strong>Parteiorganisationen zu verstehen, sondernauch die Milieus. Selbstverständlichkann es nicht nur um Strukturengehen, sondern die Kämpfe zu Beginn(Revolution <strong>und</strong> Rätedemokratie) <strong>und</strong>am Ende (Landvolkbewegung, politischmotivierte Gewalt) der Weimarer Republikfordern geradezu eine ereignisgeschichtlicheDarstellung heraus. Dabeimuss der organisatorischen Entwicklung,der inneren Differenzierung <strong>und</strong>der Mitgliederstruktur der politischenBewegungen breiter Raum eingeräumtwerden.<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96Es ist erstaunlich, was sich über eine sokleine Region von einem engagierten,jahrelang suchenden Historiker alles findenlässt. Die Arbeit zeigt eine enormeDetailmasse <strong>und</strong> bietet an vielen Stellenbisher unbekanntes Material überdas Untersuchungsgebiet – sowohl inwirtschafts-, wie sozial-, wie milieugeschichtlicherHinsicht. Dass Reimer Möllerausgehend von seiner GeburtsstadtGlückstadt <strong>und</strong> intimen Kenntnisse derZeitgeschichte dieser Kleinstadt (auchdurch langjährige Archivbetreuung!)hier einen gewissen Schwerpunkt setzt,liegt auf der Hand – aber auch die anderenHauptorte (Itzehoe, Lägerdorf, Wilster,Kellinghusen, Krempe) finden Berücksichtigung;der Außerachtlassungder „Elmshorner Nachrichten“ als Quelleist sicher zu verdanken, dass das großeKirchdorf Horst (das im EinzugsbereichElmshorns lag <strong>und</strong> liegt) kaum erwähntwird. - Die Arbeit ist 1997 abgeschlossen<strong>und</strong> zur Drucklegung nicht mehr aktualisiertworden. Damit sind die neuerenForschungen, auch zur Region, hier nichtberücksichtigt. Dass die Druckvorlagehöchstwahrscheinlich komplett vomAutor erstellt werden musste <strong>und</strong> einanständiges Lektorat/Korrektorat nichtstattfand, ist an vielen Stellen (Schreibfehler,Umbrüche, weggelassene Seitenzahlenim Inhaltsverzeichnis u.a.m.)zu merken. Dass sich Reimer Möller entschlossenhat, seine mehr oder wenigerzufälligen prosopographischen F<strong>und</strong>e ineinem Biographischen Anhang (S. 509-685) abzudrucken, ist – angesichts derweitreichenden Möglichkeiten, dochmehr Informationen relativ leicht zuerlangen – für mich problematisch. Ichkann mir denken (eine Begründung gibter dafür nicht), dass er davon ausging,dass auf lange Sicht so etwas wie einKompendium der politisch agierendenPersonen im Lande zwischen 1870 <strong>und</strong>1933/45 entstehen könnte. Dafür sindseine Informationen allerdings zu wenigf<strong>und</strong>iert. Leider fehlt dem Werk einPersonen- <strong>und</strong> Ortsregister, was die Benutzungerschweren wird. - Immerhin:ein gewichtiger Baustein für die Darstellungder <strong>Wirtschafts</strong>-, Sozial- <strong>und</strong> politischenMentalitätsgeschichte Schleswig-Holsteins wurde mit dieser gewaltigenFleißarbeit endlich publiziert. Für die Mikroregionalgeschichteist das ein enor-23


mer Gewinn, aber auch für die ProvinzSchleswig-Holstein bieten sich im Vergleichmit anderen Mikroregionen vieleAnknüpfungspunkte.LSLand am Fluss. Beiträge zur Regionalgeschichteder Niederelbe, hrsg. v.Hans-Eckhard Dannenberg, NorbertFischer <strong>und</strong> Franklin Kopitzsch unterMitarbeit von M. Ehrhardt <strong>und</strong> S.Pranghofer, Stade 2007 (Schriftenreihedes Landschaftsverbandes der ehemaligenHerzogtümer Bremen <strong>und</strong>Verden, Band 25), 237 S., zahlr. Abb.Die Vorträge einer gemeinsamen Tagungdes Landschaftsverbandes derehemaligen Herzogtümer Bremen <strong>und</strong>Verden sowie des Hamburger <strong>Arbeitskreis</strong>esfür Regionalgeschichte im Jahre2002 in Stade sind in diesem Band zusammengestellt.Angeregt durch das1908 erschienene Werk Richard Lindes„Die Niederelbe“ wollten die Veranstalterversuchen, in interdisziplinärem Zusammenwirken„einen neuen Blick aufdiesen Flussabschnitt zu werfen“ (S. VII).Franklin Kopitzsch eröffnet den Bandmit einem Blick auf das Werk Lindes imKontext der Niederelbe-Literatur vom17. bis zum 20. Jahrh<strong>und</strong>ert (S. 1-26) <strong>und</strong>erweist sich dabei erneut als Kenner derregionalen Literatur. Lindes Werk selbstwird allerdings kaum in seinen ideologischenImplikationen gewürdigt, sonderneher als ein informierender Wanderführerdargestellt. Lohnend wäre mitSicherheit, dieses lange wirksame Buch(sechs Auflagen bis 1924) auf seinengeistigen Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> seine Stoßrichtungzu analysieren, denn es warhöchst subjektiv. – Dirk J. Peters skizziertdie „Hafenlandschaft an der Niederelbeim Wandel“ (S. 29-53) von ihren heutenoch sichtbaren Überresten oder funktionierendenbaulichen Elementen her<strong>und</strong> stellt Fragen zu ihrer Bewahrung ineiner Zeit „immer schneller werdendenStrukturwandel(s) unserer modernen,weltweit vernetzten postindustriellenMassenkommunikationsgesellschaftdes 21. Jahrh<strong>und</strong>erts“ (S. 39). – HeikeSchlichting (geb. Linderkamp) resümiertnoch einmal ihre bereits 1992 erschieneneDissertation zur Wanderarbeit in derZiegelindustrie in den niedersächsischenElbmarschen (S. 55-67). – Gerd-MichaelHeinze stellt „Ziele <strong>und</strong> Maßnahmendes Naturschutzes an der Niederelbeim Land Niedersachsen“ vor (S. 69-84),wobei er besonders auf Feucht- <strong>und</strong>Vogelschutzgebiete, aber auch auf weitereschützenswerte <strong>und</strong> geschützteZonen hinweist <strong>und</strong> deren Aufsicht <strong>und</strong>Verwaltung umreißt. – Holger Martenswendet sich einem literatur- <strong>und</strong> kunsthistorischenThema zu: „Künstler aufFinkenwerder. Maritimkultur in Literatur<strong>und</strong> Malerei im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert“ (S.85-95). Die Elbinsel machte ihre relativeAbgelegenheit <strong>und</strong> Rückständigkeit fürdie Menschen der sehr nahen MetropoleHamburg interessant <strong>und</strong> verlockend.Da zudem maritime Themen im Kaiserreicheine starke Rolle spielten, gab esNachfrage nach Gemälden (HamburgerKünsterclub) <strong>und</strong> Literatur (Gorch Focku.a.). – Mit „Kanalbau <strong>und</strong> Kanalbauträume.Regionale Verkehrspolitik zwischenLübeck, Hamburg <strong>und</strong> dem Ruhrgebietam Beispiel des ‚Hansa-Kanals’“ greift24 <strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


Jan Lokers (S. 97-114) ein in den 1920erJahren stark diskutiertes Verkehrserschließungsprojektauf, das bekanntlichnicht realisiert wurde. – Michael Erhardtsteuert aus seiner jüngst vorgelegten,ausgezeichneten Arbeit zur Deichgeschichtedes Alten Landes eine Spezialitätbei: „Zur Kulturgeschichte des AltländerDeichwesens in der Frühen Neuzeit“(S. 115-136), während Norbert Fischermit einem kurzes Resumee seiner Habilitationsschriftüber die KehdingerDeichgeschichte unter dem Titel „Deich,Mentalität <strong>und</strong> regionale Gesellschaft inKehdingen“ (S.137-149) die wesentlichenResultate seiner gründlichen Untersuchungenvorstellt. – Hätte an manchenStellen in den Vorträgen ein Blick überdie Elbe auf die holsteinischen Elbmarschenbereichernd sein können, so findetsich eine vergleichende Sicht aufgesellschaftliche Verhältnisse beiderseitsder Unterelbe in dem Beitrag vonOtto S. Knottnerus über „Landarbeiterbräuche<strong>und</strong> ländliche Protestbewegungenan Niederelbe <strong>und</strong> Nordseeküste(1750-1900)“ (S. 151-219). Er schildert dieArbeitsbedingungen im Rahmen derMarschenwirtschaft <strong>und</strong> die besonderen„Moden“ (Gewohnheiten), die mehroder weniger starr einzuhalten waren.Tatsächlich bieten die Arbeitsverhältnissein den Marschen ein besonders interessantesUntersuchungsthema, weil hiersehr großes know-how, viel Erfahrung,bisweilen extrem kurze Zeitfenster fürArbeiten <strong>und</strong> infolgedessen eine relativstarke Stellung des Gesindes <strong>und</strong> derLandarbeiter zu beobachten sind. StreikähnlichesVerhalten ist früh (wohl untergroßstädtischem Einfluss) festzustellen.Die „alte Ordnung“ zerbröselte im Zuge<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96der Mechanisierung der Landwirtschaft.Insgesamt ist mit der Tagung <strong>und</strong> derdaraus resultierenden Publikation einrichtiger Weg beschritten worden. DieUnterelbe-Region ist auf beiden Seitendes Flusses nicht gerade mit Einrichtungenbestückt, die eine blühende kulturhistorischeErforschung ermöglichten.Trotzdem bieten die niedersächsischenwie die holsteinischen Elbmarschen einerstaunliches Beispiel für eine durch <strong>und</strong>durch gestaltete alte Kulturlandschaftmit ganz spezifischen Merkmalen, diesich über lange Jahre ausschließlich ausder Kraft ihrer Bewohner gegen Sturmfluten,Moorwasser <strong>und</strong> landwirtschaftlichenStrukturwandel durchsetzenkonnte <strong>und</strong> heute in ihrer Landwirtschaftbedroht sind wie lang nicht mehr.Es lohnt, diesen Weg der Forschung weiterzugehen– <strong>und</strong> es ist den Organisatoren<strong>und</strong> Herausgebern zu danken, dasssie mit dem vorliegenden Sammelbandwichtige Impulse zur weiteren Erforschunggegeben haben.LSDie Sozialstruktur <strong>und</strong> Sozialtopographievorindustrieller Städte. Beiträgeeines Workshops am Institut fürGeschichte der Martin-Luther-UniversitätHalle-Wittenberg am 27. <strong>und</strong> 28.Januar 2000, hrsg. v. Matthias Meinhardt<strong>und</strong> Andres Ranft, Berlin 2005(Hallische Beiträge zur Geschichte desMittelalters <strong>und</strong> der Frühen Neuzeit,Band 1), 321 S., Abb.Es ist nicht immer ganz leicht, Resultateeiner ertragreichen wissenschaftlichenTagung in geeigneter Form zu publizie-25


en; in diesem Fall dauerte es fünf Jahre<strong>und</strong> es wurde eine neue Schriftenreihemit den Tagungsbeiträgen begonnen.Das Thema des Workshops in Halle istin der aktuellen Geschichtsforschungdoch wieder etwas virulenter, als es dasin den Jahren zwischen 1980 <strong>und</strong> 2000war: Forschungen zu Sozialstruktur <strong>und</strong>Sozialtopographie mussten <strong>und</strong> müssenals eher der quantifizierenden Sparteder einst richtungsweisenden Sozial<strong>und</strong><strong>Wirtschafts</strong>geschichte angehörendvor dem platzheischenden Ansprucheiner anthropologisch oder kulturhistorischausgerichteten Historiographiezurückweichen. Um so erfreulicher ist esfür mich, dass die durchaus vielversprechendenAnsätze der 1970er Jahre dochwieder Gegenstand heutiger Beratungenwerden.Der Band gliedert sich in zwei große Teile,deren erster die Erforschung sozialerStrukturen <strong>und</strong> Gruppen, deren zweiterdie gesellschaftlichen Strukturen imstädtischen Raum in den Mittelpunktrückt. J. Ellermeyer gibt einen kurzenRückblick auf die deutsche Forschungzur Sozialstruktur mittelalterlicher Städte(S. 17-34), während S. Kroll die Perspektivender Erforschung frühneuzeitlicherStädte beleuchtet (S. 25-48). Am BeispielDresdens führt M. Meinhardt vor, wieResidenzbildung sich auf Demographie<strong>und</strong> Sozialstruktur auswirken (S. 49-75).Abgegrenzte städtische Eliten (Patriziate)im Bodenseeraum stellt C. Heiermannals eine Erscheinung des sehr spätenMittelalters <strong>und</strong> der frühen Neuzeitvor (S. 77-87). S. Selzer untersucht Konsumals Zeichen sozialer Zuordnung inden spätmittelalterlichen hansestädten(S. 89-120). – Im zweiten Teil resümiert D.Denecke Stand <strong>und</strong> Aufgaben der sozialtopographischenStadtgeschichtsforschung(S. 123-137). Es folgt eine Reihevon Einzeluntersuchungen zu Städten.So bietet R. Hammel-Kiesow eine Zusammenfassungseiner Forschungen zurEntstehung des sozialräumlichen Gefügesdes mittelalterlichen Lübeck (S. 139-203), die Sozialtopographie Göttingensum 1400 stellt H. Steenweg vor (S. 205-225), dasselbe tut K. Igel für Greifswald(S. 227-245) <strong>und</strong> M. Lücke versucht eineVermögenstopographie von Wittenbergin der 1. Hälfte des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts zuerstellen (S. 247-262). Die vergleichsweisegeringen Möglichkeiten der Stadtarchäologie,zur Frage der Sozialtopographieklärend beizutragen, erläutert M.Kühlborn am Lüneburger Beispiel (S.263-279).Eine Auswahlbibliographie (die Betonungliegt auf Auswahl!) zum Themades Tagungsbandes von M. Meinhardt(S. 288-313), das Autorenverzeichnis <strong>und</strong>ein Namens- <strong>und</strong> Ortsindex beschließenden Band. Beigefügt ist ihm die farbigeReproduktion einer Karte der Stadt Wittenbergvon 1742, die eine Rekonstruktiondes Zustandes von 1623 enthält.Der Sammelband gibt einen gutenEinblick in den erreichten Stand, neueForschungsfelder <strong>und</strong> Desiderate zumThemenbereich Sozialstruktur <strong>und</strong> Sozialtopographiespätmittelalterlicher <strong>und</strong>frühneuzeitlicher Städte in Deutschland<strong>und</strong> ist damit möglicherweise eingeeigneter Schritt zu einer flächenmäßigvergleichenden Darstellung fürDeutschland oder seine Teilregionen26 <strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


– möglicherweise auch im internationalenVergleich, denn Forschungen dieserArt gibt es auch in Dänemark, Schweden<strong>und</strong> Polen – ganz zu schweigen vomdeutschsprachigen Südraum. Auch fürSchleswig-Holstein wäre eine Neuauflagevon Forschungen zu diesem Bereichhöchst erwünscht.LSSebastian Lehmann, Kreisleiter derNSDAP in Schleswig-Holstein. Lebensläufe<strong>und</strong> Herrschaftspraxis einerregionalen Machtelite, Bielefeld 2007(IZRG-Schriftenreihe Band 13), 527 S.,Abb.Lange erwartet – <strong>und</strong> zwar schon bevorder jetzige Autor sein Studium aufnahm,nun ist sie da: Die Darstellungder schleswig-holsteinischen Kreisleiterder NSDAP. Detlef Korte, mehrjährigerMitarbeiter am IZRG ist an dem Projektauf tragische Weise gescheitert, nun hatHerr Lehmann mit seiner 2004 von derUniversität Flensburg angenommenenDissertation eine solide überzeugende<strong>und</strong> solide Arbeit abgeliefert, die zuRecht Aufnahme in der Schriftenreihedes IZRG fand <strong>und</strong> mit der einmal mehrder Mythos von der „schlechten Quellengr<strong>und</strong>lage“für die Erforschung derZeit des Nationalsozialismus im Landezerstört wird.Es bedarf für das Land keiner besonderenRechtfertigung für diese Untersuchung.Seit durch Gründung des AKENS<strong>und</strong> der Etablierung des IZRG die NS-Forschung auch äußerlich sichtbar ineine neue Phase getreten ist, besteht<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96das Desiderat, einmal einen vertiefendenBlick auf die NS-Elite im Lande zuwerfen, also jener Gruppe, die nächstdem Gauleiter <strong>und</strong> seinem Stab die Herrschaftder NSDAP im Lande verkörperte.Sebastian Lehmann stellt nach kurzerEinleitung zuächst die Kreisleiter vor (S.31-56), wobei er die relevanten Merkmale(Alter, soziale Herkunft, Bildung, Beruf,politische Sozialisation, Konfession)berücksichtigt, aber auch die regionaleHerkunft berücksichtigt. Die Kreisleiterdes Landes waren ganz überwiegendLandeskinder. Im den nächsten beidenHauptteilen beschreibt er die Geschichteder Kreisorganisation bis 1933 (S.57-97) <strong>und</strong> zwischen 1933 <strong>und</strong> 1939 (S.98-170), wobei ausführlich auf die Stellung<strong>und</strong> Funktion der Kreisleiter <strong>und</strong>die personelle Zusammensetzung derGruppe eingegangen wird. Hier wirdauch auf die Sonderrolle Lübecks eingegangen,das bis 1937 zum Gau Mecklenburggehörte. Der fünfte Hauptteilbeleuchtet die Herrschaftsmittel desKreisleiter (Partei-Kreisgerichtsbarkeit,„Politische Beurteilungen“ <strong>und</strong> „Schutzhaft“),mit denen sie die Kontrolle <strong>und</strong>Überwachung sowohl der Parteimitgliederals auch der Bevölkerung bewerkstelligten(S. 171-236). Das nicht immerspannungsfreie Verhältnis zwischenKreisleitern <strong>und</strong> Landräten bildet dasThema des sechsten Hauptteiles, wobeihier besonders die gut dokumentiertenVerhältnisse in den kreisen Pinneberg<strong>und</strong> Stormarn exemplarisch herangezogenwerden (S. 237-313). Das folgendeKapitel beschäftigt sich mit den Aufgabender Kreisleiter während des ZweitenWeltkrieges; einen Exkurs bildet hierdie Rekrutierung von Personal für die27


Verwaltung des ReichskommissariatsOstland (S.314-407). Was geschah mitdieser aus der Masse der Parteigenossenherausgehobenen Gruppe nach Kriegsende?Wie wurden ihre Taten geahndet?Gelang ein Wiedereinstieg in die Zivilgesellschaft?Das sind Fragen, die imachten Kapitel beantwortet werden (S.408-472).Resümierend (S. 473-481) stellt SebastianLehmann fest, dass die Kreisleiter aus derMitte der schleswig-holsteinischen Gesellschaftkamen, sich während des Nationalsozialismusals politische Kämpfersahen, allerdings recht häufig wechselten,häufig in Konflikt mit den amtierendenLandräten gerieten, aber bisweilenauch zur beherrschenden Person imKreisgebiet wurden. Während des Kriegesbauten sie die Kontroll- <strong>und</strong> Überwachungsfunktionengegenüber derBevölkerung aus, hatten aber auch mitechten Nachwuchsproblemen im Rahmendes „Osteinsatzes“ zu kämpfen. DerGruppenzusammenhang wurde durchhohe Fluktuation beeinträchtigt. Nachdem Krieg stilisierten sie sich „als einezu Unrecht verfolgte Schicksalsgemeinschaft“(S. 480), die untereinander ein regelrechtes„Vertuschungsnetzwerk“ aufbaute.„Das hohe Maß an Verwurzelungder regionalen Machtelite innerhalb derländlichen Gesellschaft Schleswig-Holsteinserwies sich als äußerst hilfreich fürdie ehemaligen Kreisleiter, wenn es darumging, mit Hilfe von Leum<strong>und</strong>szeugnissendie eigene Rolle im NS-Regimezu verharmlosen oder den beruflichen<strong>und</strong> gesellschaftlichen Wiedereinstiegzu beschleunigen.“ (S.481) In der Regelknüpften die Betroffenen dort wiederan, wo sie 1933 standen: „Wer bereits vor12933 marginalisiert war, dem nützteseine NS-Parteikarriere nach 1945 wenig…“ (S.465). Ein Anhang listet die Abfolgeder Kreisleiter nach den einzelnen Kreisenauf.Die Untersuchung stellt eine wichtigeBereicherung unserer Kenntnis über dieZeit des Nationalsozialismus dar. Sie istauf breiter Quellengr<strong>und</strong>lage schlüssigerarbeitet, deshalb überzeugend,<strong>und</strong> gut formuliert. Auf Abbildungenhat Sebastian Lehmann ganz verzichtet– es wären wohl auch überwiegendPersonenfotos gewesen. Aber so nimmtes nicht w<strong>und</strong>er, wenn er von dem Umschlagbild,das die Kreisleiter um 1935zeigt, etwa 1/3 nicht identifizieren kann.LSSehestedt aus regionalgeschichtlicherPerspektive. Ein Beitrag zu einermodernen Ortsgeschichte, hrsg. v.Manfred Jessen-Klingenberg <strong>und</strong> KarlHeinrich Pohl, Hamburg 2007 (Studienzur Geschichtsforschung der NeuzeitBand 52), 206 S., Abb.Ortsgeschichten entstehen heute nochin verhältnismäßig großer Zahl, auchwenn der für die Jahre 1980-2000 zukonstatierende Boom einer eher ruhigverlaufenden Produktion <strong>und</strong> Publikationgewichen ist. Die Mängel zahlreicherOrtsgeschichten liegen auf der Hand: Nurallzu oft sind die Autoren – selbst wennsie nicht selbst Mitglieder der beschriebenenGemeinde sind – allzu vorsichtig,was die Darstellung von im Dorf als problematischempf<strong>und</strong>enen Ereignissen28 <strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


<strong>und</strong> Strukturen angeht. Selbst jüngsteLokalgeschichten wenden sich etwa derÄra des Nationalsozialismus eher ganzallgemein <strong>und</strong> wenig konkretisierendzu – entweder es leben die NS-Akteurenoch oder deren Kinder <strong>und</strong> Enkel versuchen,den Ehrenschild des Vorfahrenblitzblank zu halten. Gr<strong>und</strong>sätzlich lässtsich sagen: Je näher eine Ortsgeschichteder Gegenwart kommt, desto heiklerwird die „richtige“ Schilderung von Zuständen,Ereignissen, Entscheidungenoder Versäumnissen. Der Stein der Weisenist hier schwer zu finden, weil selbstkleine Gemeinden heute weniger als jezuvor eine einheitliche Meinung zu vergangenenZeiten haben <strong>und</strong> eine vorherrschendeGeschichtssicht nicht mehrdurch ökonomischen Druck <strong>und</strong> sozialeKontrolle stabilisiert werden kann.Da darf man sich freuen, wenn im Zugeder akademischen Ausbildung jüngereMenschen an eine Ortsgeschichte herangeführtwerden, um die Fährnisse von„Geschichtsschreibung im Kleinen“ kennenzulernen,historiographische Methodenauszuprobieren <strong>und</strong> zu reflektieren,sich geschichtstheoretischen Fragennicht abstrakt, sondern höchst konkret<strong>und</strong> anschaulich zu nähern. In einem sichüber mehrere Semester erstreckendenSeminar versuchten die beiden KielerGeschichtsprofessoren Manfred Jessen-Klingenberg <strong>und</strong> Heinrich Pohl mit Studenteneine Konzeption für ein neuesDorfmuseum in Sehestedt am Nord-Ostsee-Kanalzu erarbeiten. Als Nebenproduktentstand die vorliegende Publikation„aus dem Wunsch der Arbeitsgruppe,die neue Ausstellung wissenschaftlichzu f<strong>und</strong>ieren“ (S. 7). Eingeleitet wird sie<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96von dem Mitherausgeber K.H. Pohl, derÜberlegungen zu einer zeitgemäßenOrtsgeschichte beisteuert (S. 17-28), wobeier ganz auf Aufklärung setzt, also dieBewusstmachung von historischen Prozessenfür die Ortsbewohner. Der kritischeBlick auf die Vergangenheit könnteaufgr<strong>und</strong> der emotionalen Beziehungder Ortsansässigen zur eigenen Regionenverengt werden, weshalb „Regionalgeschichte– betrieben am eigenenOrt – eine besondere Wachsamkeit, eineerhebliche Fähigkeit zur Ideologiekritik– <strong>und</strong> manchmal auch etwas Mut“ voraussetzt(S.22). Da jede Geschichtsbetrachtungweitgehend durch subjektiveFaktoren geprägt ist <strong>und</strong> sich immernur ausschnitthaft mit der Vergangenheitbeschäftigen kann, kommt es starkdarauf an, „welcher Ausschnitt der Geschichteunter welchem Gesichtspunktmir welchen Mitteln analysiert wird“(S. 25). Für den Historiker sind das keineBanalitäten, aber auch keine gr<strong>und</strong>stürzendenNeuigkeiten – <strong>und</strong> wer sichmit einem geschichtswissenschaftlichgeschulten Blick je der Abfassung einerOrtsgeschichte gewidmet hat, wird nolensvolens solche Überlegungen angestellthaben.Ob den Studierenden in der Umsetzungihrer ortsgeschichtlichen Recherchendie mahnenden Worte ihres akademischenLehrers immer in den Ohren klangen,möchte man beim Blättern in demBüchlein schon bezweifeln. Der ersteText von Sören Klein über „Das adligeGut Sehestedt“ (Illustrationen von MonaKlempow) stellt den Lesenden schon aufdie Probe, ob er frei erf<strong>und</strong>ene Handlungenfür ein geeignetes Mittel hält, um29


die historische Wirklichkeit einzufangen(S. 39-65). Denn Herr Klein denkt sicheinen Konflikt zwischen Gutsherrschaft<strong>und</strong> Gutsuntertanen aus, den er in derErnte 1771 spielen lässt <strong>und</strong> gruppiertdarum die Sozialgruppen: Gutsherr<strong>und</strong> Familie, leibeigene Bauern, leibeigenesGesinde, leibeigene Insten <strong>und</strong>freie Holländer. Das Resultat: Die Gutsgesellschaftkennt sowohl gegensätzeals auch Gemeinsamkeiten. (Zu denBildern schweigt des Rezensenten Höflichkeit.)Niklas von Kajdacsy <strong>und</strong> OleKüchenmeister beschäftigen sich mit„Sehestedt <strong>und</strong> der Nord-Ostsee-Kanal:Eine trennende Verbindung“ (S. 89-101).Der Bau des Kanals durchchnitt das Dorf<strong>und</strong> ließ zwei nur durch eine Fähre verb<strong>und</strong>eneOrtsteile entstehen, derenMiteinander nicht immer unproblematischist. Die „Ereignisse in der Zeit dernationalsozialistischen Herrschaft“ werdenvon Alexandra Göpfert <strong>und</strong> VerenaRöschmann dargestellt (S. 103-125). Sieschildern tatsächlich die „Ereignisse“<strong>und</strong> dringen nicht besonders tief in dieProblematik der hohen Akzeptanz desNationalsozialismus auf dem Dorf ein.Manches bleibt für sie unklar <strong>und</strong> unaufklärbar.Britta Bley stellt weitgehendauf der Gr<strong>und</strong>lage der Schulchronik „DieVolksschule Sehestedt in der Zeit dernationalsozialistischen Diktatur“ dar (S.127-148) – eine normale Dorfschule wieh<strong>und</strong>erte anderer auch. Dem Thema„Flüchtlinge in Sehestedt nach 1945“widmen Matina Keshavarz Khorasgani<strong>und</strong> Marlene Merklinger einen längerenBeitrag (S.149-174). Auch hier zeigen sichdie – zumeist aus der Befragung vonehemaligen Flüchtlingen gewonnenen– allgemeinen Strukturen: ZunächstAblehnung, dann schon bald Integrationder ortsansässig Gewordenen unterBedingungen des <strong>Wirtschafts</strong>w<strong>und</strong>ers.– Zwei Beiträge des Bandes stammenvon den beiden Herausgebern: ManfredJessen-Klingenberg schreibt über„Die Schlacht in <strong>und</strong> bei Sehestedt <strong>und</strong>das an sie erinnernde Denkmal“ (S. 67-87). Karl Heinrich Pohl erinnert an „Die‚Schottenkatastrophe’ am 11. September1974: Vom Totengedenken zu denSehestedter ‚Highland-Games’“ (S. 175-195); bei einer militärischen Übung ertrankenzwischen 15 <strong>und</strong> 25 schottischeFallschirmjäger nach dem Absprung imKanal. Beide Beiträge verraten erfahreneHistoriker.Stellt das kleine Bändchen nun ein Novumin der Ortsgeschichtsschreibungdes Landes dar? Das wird man angesichtsder Qualität mancher der jüngerenmonographischen Darstellungenverneinen müssen. Als akademischeÜbung mag die Beschäftigung mit einereinzelnen Ortschaft Sinn machen – gedrucktwerden sollten die Resultate nurdann, wenn sie dem inzwischen erreichtenStandard entsprechen. Für die Ortsgeschichtegilt wie für das Theater: Esgibt gravierende Unterschiede zwischenLaienspiel, Schülertheater <strong>und</strong> professionellerAufführung – alles hat seinenReiz, vor allem für die Beteiligten. DemPublikum dürfte am ehesten mit qualitativhochstehenden Resultaten ein Gefallengetan werden.LS30 <strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


Das Lübecker Niederstadtbuch 1363-1399, bearb. von Ulrich Simon, Teil 1:Einleitung <strong>und</strong> Edition, Teil 2: Indices,Köln-Weimar-Wien 2006 (Quellen <strong>und</strong>Darstellungen zur Hansischen GeschichteN.F. 56,1 <strong>und</strong> 56,2), 971 <strong>und</strong>277 S., TafelteilEs scheint, als ginge das Anliegen, dieregionalen Quellen zum Mittelalter zuedieren, auch angesichts der relativgroßen Menge an Schriftgut im späten14. <strong>und</strong> 15. Jahrh<strong>und</strong>ert in Schleswig-Holstein nicht verloren. Überall stockendie Urk<strong>und</strong>enbücher seit Jahrzehnten(auch hier ist mit Wolfgang Prange eineAusnahmeerscheinung für unser Landzu bemerken), doch immer wieder findensich Einzelkämpfer, die sich auf denWeg machen, um interessantes Quellenmaterialeinem größeren Forscherkreiszugänglich zu machen. Vor mir liegt dievon dem Lübecker Stadtarchivar UlrichSimon bearbeitete Edition des zweitenLübecker Niederstadtbuches der Jahre1363-1399. Das Niederstadtbuch stelltein spezielles Stadtbuch dar, in demvor allem Schuldverhältnisse zwischenLübeckern zur Sicherung festgehaltenwurden. Das erste Niederstadtbuch istnicht erhalten. In das Buch wurden nebenSchuldverhältnissen auch andereMaterien eingetragen, so etwa Beendigungvon Streitfällen, Testamentserfüllungen,Erbenabschichtungen <strong>und</strong>Beendigungen von Vorm<strong>und</strong>schaften.Es handelt sich um ein Buch öffentlichenGlaubens, in der Akte der freiwilligenGerichtsbarkeit ihren Niederschlag fanden.Die Einleitung (S. 9-27) gibt kurz die<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96Charakteristik der Quellen, eine Formalbeschreibung<strong>und</strong> die Schreiberidentifizierung;der Aufbau der Edition wirdanschließend erläutert. Es folgt dann (S.29-971) die Textedition. Der separat geb<strong>und</strong>enezweite Teil der Edition enthältdie Indices (Orts- <strong>und</strong> PersonennamenS. 9-247, Sachen S. 247-266). Es schließensich 10 Abbildungen an, die einen Eindruckvon der Gestaltung der Buchseitengeben <strong>und</strong> drei Siegel vorstellen (S.268-277).Die bearbeitete Textmenge ist gewaltig<strong>und</strong> die dahinter stehende paläographischeLeistung aller Achtung wert.Natürlich gibt es verschiedentlich problematischeLesungen – wie sollte esanders sein? Doch haben die SchwierigkeitenUlrich Simon nicht von seinemWeg abbringen können – immerhin hatdie Transkriptionsarbeit zwölf Jahre nebender eigentlichen Archivarsarbeit inAnspruch genommen. Über den Wertder Quelle braucht hier nicht gehandeltzu werden: In dem Maße, wie prosopographischeMethoden in der Analysehistorischer Mikrogesellschaften anBedeutung gewinnen, sind Quelleneditionenwie die vorliegende von größterWichtigkeit für den Fortgang der Forschungen.Über die Edition selbst ließe sich sagen,dass sich Ulrich Simon von den „Richtlinienfür die Edition landesgeschichtlicherQuellen“ inspirieren ließ, doch bisweileneigene Wege ging. In den Indices hat erdie Vorgaben deutlich außer acht gelassen(etwa u- <strong>und</strong> v-Wiedergaben: so gibter „Honovere“ (Hannover) als „Honouere“wieder). Seine dort gebrauchten Ab-31


kürzungen sind nicht kontingent odertauchen in der Abkürzungsliste nicht auf(d.Ä., Einw. Geschw., Halbbr., HL, Hz.);Schreibweisen sind uneinheitlich; Vereinheitlichungenwirken bisweilen problematisch;Schreibfehler (Kankerugghestatt Knakerugghe, Kanrrik statt Knarriku.a.) verunklaren; die alfabetische Reihenfolgeist nicht immer gewährleistet.Es scheint, als habe den Bearbeiter gegenSchluss des Werkes der lange Atemverlassen <strong>und</strong> sich ein gewisser Fertigstellungsdruckeingestellt. Im Sachindexfinden sich unzutreffende Erläuterungen(rector ecclesie – Kirchenleiterstatt Kirchherr; stillicidium – Dachrinnestatt Tropfenfall, sutor – Schmied stattSchuhmacher). Hier hätte ein Lektorat sicherdem Bearbeiter geholfen, das Werkbesser benutzbar zu machen. Von denSchreibfehlern hätten sicher auch vielenoch vor Drucklegung ausgemerzt werdenkönnen.Das schmälert den Wert der Edition nurin begrenztem Umfang. Ich freue michjedenfalls, dass eine weitere mittelalterlicheQuelle dieses Gewichts nun derbreiteren Forschung zugänglich gemachtwurde <strong>und</strong> beglückwünsche denBearbeiter zu seiner Leistung!LSLeif Hansen Nielsen, Ad IndustriensVej. Studier i den slesvig-holstenskeindustri 1864-1914 med særlig henblikpå Nordslesvig. Aabenraa 2007 (Skrifterudgivet af Historisk Samf<strong>und</strong> forSønderjylland Nr. 97), 420 S., Karten,Grafiken, Abb., TabellenteilDie Industrialisierungsgeschichte deralten Herzogtümer Schleswig <strong>und</strong> Holsteinist – trotz beachtlicher Fortschritteauf diesem Wissensgebiet in den letzten30 Jahren – immer noch nicht geschrieben.Dazu fehlen Informationen über dieUnternehmerentscheidungen, die Triebkräftehinter der wirtschaftlichen Dynamik,die Finanzierung großgewerblicherAnlagen, die Netzwerke von Handwerk,Gewerbe, Handel <strong>und</strong> Verkehr, die überhaupterst den Durchbruch der Industriein der bis 1850 weitgehend agrarischstrukturierten Region verstehen lassen.Da ist es äußerst verdienstlich, dass sichLeif Nielsen intensiv mit Quellen auseinandergesetzthat, die verlässlichesZahlenmaterial über die industrielle Entwicklungbieten. Es sind dies die regelmäßigenErhebungen über die Lage derIndustrie, die sich beim Regierungspräsidentender Provinz gesammelt haben.Ihnen sind die auf der Ebene der Kreise<strong>und</strong> Ämter erwachsenen Unterlagen (inNordschleswig gut überliefert) zur Seitegestellt.Zunächst gibt Herr Nielsen einen Forschungsüberblick,der sowohl die dänische,wie die schleswig-holsteinische<strong>und</strong> die nordschleswig/sütjütische Situationkurz umreißt, bietet einige methodischeReflexionen (was ist Industrie<strong>und</strong> wie wird der Industriebegriff in der32 <strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 96


zweiten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts gebraucht?)<strong>und</strong> stellt dann das Quellenmaterialvor (S. 17-50). Dann bringt erim ersten Hauptteil seiner Arbeit einenÜberblick über die schleswig-holsteinischeIndustrie, wobei das Gewicht aufder industriellen Entwicklung zwischen1845 <strong>und</strong> 1900 mit Ausblick bis 1914liegt (S. 53-117). Es folgt die Untersuchungüber die Industrieentwicklungin den preußischen Kreisen Hadersleben,Apenrade, Sonderburg <strong>und</strong> Tondern(S.121-222). Hier wird zunächst einÜberblick gegeben, dann werden dieBranchen im einzelnen vorgestellt <strong>und</strong>schließlich wird die sozialgeschichtlicheSeite beleuchtet (Beschäftigungsstruktur,Arbeitsverhältnisse, Arbeiterbewegung<strong>und</strong> Konflikte). Am Schluss derDarstellung gibt es eine dänische <strong>und</strong>eine deutsche Zusammenfassung <strong>und</strong>ein Quellen- <strong>und</strong> Literaturverzeichnis.Es folgt ein Tabellenwerk, das auf über150 Seiten für alle Kreise <strong>und</strong> kreisfreienStädte in der Provinz die Industriebetriebein den Jahren 1876, 1880, 1885, 1890,1895 <strong>und</strong> 1900 auflistet <strong>und</strong> dann kreisweisedie chronologische Entwicklungder Beschäftigtenzahlen in den einzelnenBetrieben bietet.verlässliche Gr<strong>und</strong>lage für alle weiterenUntersuchungen zur Entwicklung derIndustrie in Schleswig-Holstein <strong>und</strong> besondersNordschleswig/Sønderjylland.Seine Ergebnisse können nicht völligüberraschen, da sich bereits in der vorhergehendenForschung (insbesonderevon Björn Hansen auf der Basis derErwerbsstruktur herausgearbeitet) abzeichnete,dass die Provinz mit Ausnahmendoch am Prozess der Industrialisierungteilnahm <strong>und</strong> ein dem Durchschnittdes Deutschen Reiches entsprechendesNiveau erreichte. Jetzt liegen harte Datenvor, die für jeden einzelnen Standortrecht exakte Aussagen ermöglich – einsehr nützlicher Beitrag zur <strong>Wirtschafts</strong>geschichteder Provinz in einer entscheidendenStrukturphase!LSDie vorliegende Arbeit, mit der Leif Nielsen2006 von der Syddandsk Universitetzum ph.d. promoviert wurde, stellt sichgegen den vorherrschenden Trend zurAnthropologisierung in der gegenwärtigenGeschichtsschreibung. Es handeltsich um ein umfassendes Werk auf derHöhe der Forschung, das sich ganz derquantifizierenden <strong>Wirtschafts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Sozialgeschichte</strong>verschrieben hat. Unddas ist gut so, denn damit bietet er eine<strong>R<strong>und</strong>brief</strong> 9633

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