Ausbildung - Alpenverein Garmisch-Partenkirchen
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Tourenberichte<br />
des Jümars in ein Fixseil. Im Augenblick versuchen<br />
sich etwa 470 registrierte Aspiranten<br />
am Denali (Erfolgsquote durchschnittlich<br />
40%), die sich aber auf diesen langen Wegen<br />
gut verteilen. Ich habe nicht das Gefühl einer<br />
Überfüllung, und Staus gibt es höchstens<br />
weiter oben an Engstellen. Auch wenn Englisch<br />
vorherrscht, klingen die melodischen<br />
Laute der Italiener und Russen dazwischen,<br />
das singende Näseln mancher Asiaten, das<br />
heimische ‘Servus’, ein ‘buenas dias’; die<br />
Stimmung ist gut, fast freundschaftlich.<br />
Lager 3 bedeutet für uns das Ende der Pulkazieherei.<br />
Ab hier schleppen wir im und auf<br />
dem Rucksack den Rest – immer noch an die<br />
50 kg – in zwei Etappen hinauf zum Lager 4<br />
auf 4500 m. Die Steigeisen sind von jetzt an<br />
unerlässlich. Dort, im Medical Camp, dem eigentlichen<br />
Basislager, spüren wir trotz unse-<br />
Unser Team: Maria und Walter.<br />
rer recht guten Vorakklimatisation, dass die<br />
Luft hier auf 4500 m erheblich ´dünner´ ist.<br />
Meine Sauerstoffsättigung – gemessen mit<br />
dem Pulsoxymeter – erreicht nur Werte, die<br />
ich von 1000 m höheren Bergen im Himalaya<br />
oder in Peru kenne. Erklärung? Je weiter man<br />
nach Norden kommt, desto dünner wird die<br />
Stratosphärenschicht. Sicherlich ist das auch<br />
ein Grund für eine häufi ge Unterschätzung<br />
des Berges. Wir richten uns im Lager 4 ein:<br />
Verstärkung und Erneuerung der Snowwalls,<br />
ein tiefergelegter, etwas windgeschützter<br />
Platz mit Mauern für die WC-Box, ein Weg<br />
zum sauberen Schnee für das Trinkwasser –<br />
Prozeduren, die wir bereits gut beherrschen,<br />
die aber immer mit neuer Arbeit verbunden<br />
sind, da die zerstörerische Gewalt des<br />
Sturms oft allzu schnell die menschlichen<br />
Gebilde einebnet, auffüllt, im wahrsten Sinne<br />
‘verbläst’. Nicht weit entfernt schreiben die<br />
Ranger auf einer Tafel den täglich neuen<br />
Wetterbericht auf, den man mehrmals am<br />
Tag mit gierigen Augen heimsucht. Windgeschwindigkeit,<br />
Windrichtung, Temperatur<br />
und ‘weitere Aussichten’ halten uns ständig<br />
in Spannung; sie wechseln oft, widersprechen<br />
sich, die Launen der Natur werden<br />
hier zu einem Lotteriespiel. Nun gilt es, den<br />
Weg zum Gipfel vorzubereiten, die Depots in<br />
einem Meter Tiefe zum Schutz vor den scharfen<br />
Schnäbeln der Raben anzulegen, zurück<br />
ins Basecamp zu gehen, auszuruhen, erneut<br />
auf und abzusteigen. Fünfmal schinden wir<br />
uns am Fixseil über eine steile Flanke zum<br />
Grat, die ‘Headwall’. Manchmal jagt und<br />
pfeift uns der Sturm hinunter ins schützende<br />
Zelt. Auch bei diesen Transporten kommt<br />
man kaum mit weniger als etwa achtzehn<br />
Kilo weg, muss man doch immer die wichtigste<br />
Ausrüstung bei sich haben – für den<br />
Ernstfall.<br />
Es ist hier ein ständiges Kommen und Gehen,<br />
ein Hinaufschauen, ein Nachfragen: „Wie<br />
sieht es oben aus? Wart ihr auf dem Gipfel?<br />
Ist viel Blankeis? Gibt es Fixseile? Wo liegt<br />
das Lager 5 genau?“ Einige Tage nach<br />
unserer Ankunft in Lager 4 treffen erste<br />
Erfolgsmeldungen ein, aber auch Schreckensszenarien<br />
gilt es zu verdauen: Eine<br />
amerikanische Bergführerin wurde mit ihren<br />
Klienten am Denalipass von einem anderen,<br />
stolpernden Bergsteiger in den Tod gerissen,<br />
ein Schweizer ist bei schlechter Sicht die<br />
gegenüberliegende Flanke hinuntergestürzt<br />
– während unserer kurzen Zeit am Denali gab<br />
es sieben Opfer, die anderen an den Gipfeln<br />
und Wänden rundum nicht mitgerechnet.<br />
Solche Erlebnisse beunruhigen, aber man<br />
schiebt sie beiseite, jeder denkt: „Ich doch<br />
nicht“. Einige Sturmtage und -nächte verbringen<br />
wir im sicheren Basecamp, erholen uns,<br />
während andere Bergsteiger oben im Lager 5<br />
Die Headwall im Aufstieg<br />
in 5200 m Höhe festgenagelt sind; der Orkan<br />
ist gewaltig, die Gefahr eines ‘Hinunterblasens’<br />
vom Grat groß. Unten bei uns gibt es<br />
kurzweilige Ablenkungen: Einige Alaskaner,<br />
die hier am Berg sind, haben eine besondere<br />
Zeltkonstruktion mitgebracht. Sie graben ein<br />
gut eineinhalb Meter tiefes rundes Loch mit<br />
einem Durchmesser von etwa drei Metern<br />
und bauen darüber eine Art Tipi auf. Marty,<br />
zu dem wir schnell Kontakt fi nden, lädt gern<br />
in sein gastliches ‘Haus’ ein, spielt seine<br />
Gitarre mit den vielen Autogrammen seiner<br />
Gäste und singt Countries. Gipfelabsichten<br />
hat er nicht, war er doch schon ein Dutzend<br />
Mal oben – er macht nur Urlaub, genießt<br />
seine Atmosphäre.<br />
Als der Sturm nachlässt, kommt für uns die<br />
erhoffte Chance. Das Gepäck ist längst mehrmals<br />
kontrolliert, also kann es losgehen. Nur<br />
nicht zu schnell, nur kein Risiko, alles mit<br />
Überlegung! Den Steilhang der ‘headwall’<br />
kennen wir ja schon fast auswendig, erreichen<br />
den Grat, graben im pfeifenden Wind<br />
aus dem Depot in der Scharte noch den Rest<br />
aus; zügig, meist gleichzeitig gehend spuren<br />
wir mehrere Steilstufen hoch, schinden uns<br />
98 99<br />
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