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Elegie von einem polnischen Jungen - Kirchenmusik-Online.de

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1<br />

Veranstaltungsreihe<br />

zum Thema<br />

Holocaust<br />

Volkshochschule<br />

Münsingen<br />

Landheim<br />

Buttenhausen<br />

Kirchengemein<strong>de</strong>n<br />

Münsingen<br />

Evangelisches<br />

Kantorat Münsingen<br />

Neigungskurs Kunst<br />

<strong>de</strong>s Gymnasiums<br />

Münsingen


2<br />

Sonntag, 20. November 2005, 17 Uhr<br />

Martinskirche Münsingen<br />

Viola Kremzow, Mezzosopran<br />

Ulrike Kühn, Sopran<br />

Vier Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>rchors Münsingen<br />

Chor <strong>de</strong>r Martinskirche Münsingen<br />

Sinfonietta Tübingen<br />

Philipp Hirrle, Orgel<br />

Neigungskurs Kunst <strong>de</strong>s Gymnasiums Münsingen<br />

(verantwortlich Edgar Braig)<br />

Leitung: Kantor Stefan Lust<br />

Mit freundlicher Unterstützung <strong>de</strong>r Stadt Münsingen,<br />

<strong>de</strong>r Oberschwäbischen Elektrizitätswerke,<br />

<strong>de</strong>s Regierungspräsidiums Tübingen,<br />

<strong>de</strong>s Amtes für <strong>Kirchenmusik</strong> und <strong>de</strong>s Kirchenbezirks Münsingen<br />

Geför<strong>de</strong>rt <strong>von</strong><br />

Nummerierte Eintrittskarten zu € 10, 8, 6 und 5 (ermäßigt: € 8, 6, 5 und 4;<br />

Schüler: € 6, 5, 4 und 3) im Vorverkauf und an <strong>de</strong>r Abendkasse.<br />

Vorverkaufsstelle: Kulturamt im Rathaus Münsingen, Bachwiesenstr. 7,<br />

Zimmer 25. Telefonische Kartenreservierung unter 07381/182-137<br />

möglich. Die Karten im Vorverkauf sind um 1 € ermäßigt.


Zum Werk:<br />

Das „Requiem für einen <strong>polnischen</strong> <strong>Jungen</strong>“ <strong>de</strong>s Hei<strong>de</strong>lberger<br />

Komponisten Dietrich Lohff wur<strong>de</strong> 1998 zum 60. Jahrestag <strong>de</strong>r<br />

Reichspogromnacht uraufgeführt und seither über 50 mal aufgeführt.<br />

Die Texte, die Lohff vertont, stammen <strong>von</strong> Ju<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n<br />

Holocaust zumeist nicht überlebt haben.<br />

Warum die Aufführung gera<strong>de</strong> dieses Werkes? Hierzu einige<br />

Gedanken <strong>von</strong> Peter Henn, <strong>de</strong>m Leiter <strong>de</strong>s Bonner Kammerchors,<br />

<strong>de</strong>r am 27.01.1999 Teile <strong>de</strong>s Requiems anlässlich einer<br />

Feierstun<strong>de</strong> im Deutschen Bun<strong>de</strong>stag aufgeführt hat:<br />

„Im „Requiem für einen <strong>polnischen</strong> <strong>Jungen</strong>“ kommen die Opfer<br />

selbst zu Wort. Wir hören die Mutter, die zu ihrem Kind spricht,<br />

während <strong>de</strong>r Zug durch das zerstörte Deutschland rollt. Wir hören<br />

das Kind, das leben möchte. Wir sehen <strong>de</strong>n langen Zug <strong>de</strong>r<br />

Toten und die Trostlosigkeit <strong>de</strong>r Heimkehren<strong>de</strong>n. Wir wer<strong>de</strong>n<br />

aufgewühlt <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>s Arztes, <strong>de</strong>r bereits 1934 <strong>de</strong>n<br />

faschistischen Staat auf <strong>de</strong>m Weg ins totale Verbrechen sieht<br />

und zum Wi<strong>de</strong>rstand aufruft.<br />

Die Musik ver<strong>de</strong>ckt nichts. Sie stellt sich ganz in <strong>de</strong>n Dienst <strong>de</strong>s<br />

Wortes. Sie fin<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n treffen<strong>de</strong>n Ton, einen Ton, <strong>de</strong>r zum<br />

Herzen spricht. Einfach und uneitel ist <strong>de</strong>r musikalische Satz,<br />

verständlich in je<strong>de</strong>r Aussage. Die musikalischen Vokabeln sind<br />

neu und bekannt zugleich, sie prägen sich ein...“<br />

Im ersten Gedicht <strong>de</strong>s Requiems heißt es „Wir müssen ihre<br />

Mün<strong>de</strong>r sein“. Da jene nicht mehr re<strong>de</strong>n können, müssen wir<br />

an die Lei<strong>de</strong>n dieser ungezählten Menschen erinnern, durch<br />

Re<strong>de</strong>n, Singen, Beten und Schweigen.<br />

Schülerinnen und Schüler <strong>de</strong>s Neigungskurses Kunst <strong>de</strong>s<br />

Gymnasiums Münsingen beteiligen sich zusammen mit ihrem<br />

Kunsterzieher Edgar Braig mit eigenen Arbeiten zu diesem<br />

Thema an <strong>de</strong>r Aufführung. Sie gehen mit Bildzeichen direkt auf<br />

die Gedichte ein, die <strong>de</strong>m Requiem zugrun<strong>de</strong> liegen. Bewegte<br />

Bildbahnen verweisen auf <strong>de</strong>n musikalischen Vortrag und illustrieren<br />

gleichzeitig die ausdrucksstarken Texte.<br />

3


4<br />

Widmung <strong>de</strong>s Komponisten Dietrich Lohff<br />

Im November 1944 versucht <strong>de</strong>r polnische Pianist und Komponist<br />

Wladislaw Szpilman im Zwischenbo<strong>de</strong>n eines <strong>de</strong>r wenigen<br />

unzerstörten Häuser Warschaus zu überleben. Täglich hofft er<br />

auf die Ankunft <strong>de</strong>r Roten Armee. Er ist <strong>de</strong>r Hölle <strong>de</strong>s<br />

Warschauer Gettos entkommen und am En<strong>de</strong> seiner Kräfte.<br />

Gelegentlich muß er, um Nahrungsmittel zu suchen, sein<br />

Versteck verlassen. Als er einmal nicht rechtzeitig in sein<br />

Versteck kriechen kann, steht vor ihm ein <strong>de</strong>utscher Offizier.<br />

Szpilman erwartet, erschossen zu wer<strong>de</strong>n.<br />

„Es ist ein Hollywood-Märchen und doch wahr“ schreibt Wolf<br />

Biermann in s<strong>einem</strong> Essay über "Das wun<strong>de</strong>rbare Überleben“,<br />

„ausgerechnet einer <strong>von</strong> <strong>de</strong>n verhaßten Herrenmenschen spielt<br />

<strong>de</strong>n retten<strong>de</strong>n Engel.“ Er tötet ihn nicht. Der Deutsche Wilm<br />

Hosenfeld bringt <strong>de</strong>m Ju<strong>de</strong>n in sein Versteck sogar Essen, eine<br />

Decke und einen Mantel. Und Szpilman ist nicht <strong>de</strong>r einzige Ju<strong>de</strong>,<br />

<strong>de</strong>m Hosenfeld das Leben gerettet hat.<br />

Nach Kriegsen<strong>de</strong> gerät Hosenfeld in sowjetische Gefangenschaft.<br />

Szpilman macht sich auf die Suche nach s<strong>einem</strong> Retter. Doch<br />

ohne Erfolg, er fin<strong>de</strong>t ihn nicht. Als er zu <strong>de</strong>m russischen Internierungslager<br />

kommt, in <strong>de</strong>m Wilm Hosenfeld gefangen gehalten<br />

wur<strong>de</strong>, ist es zu spät. Das Lager war schon aufgelöst und nach<br />

Stalingrad verlegt wor<strong>de</strong>n.<br />

„Der Offizier, <strong>de</strong>r Szpilman das Leben gerettet hatte, krepierte<br />

nach sieben Jahren Haft, ein Jahr, bevor Stalin starb. In Gefangenschaft<br />

war er schwer gefoltert wor<strong>de</strong>n, weil sowjetische Offiziere<br />

die Aussagen über seine Ju<strong>de</strong>nrettereien für beson<strong>de</strong>rs<br />

verdächtige Lügengeschichten hielten. Wilm Hosenfeld erlitt<br />

mehrere Gehirnschläge - und lebte zuletzt halb verwirrt wie ein<br />

geprügeltes Kind, das die Schläge nicht versteht. Er starb<br />

seelisch ganz und gar zerbrochen!“ (Wolf Biermann)<br />

Mit diesem Requiem möchte ich seiner ge<strong>de</strong>nken.<br />

Dietrich Lohff, im Mai 1998<br />

Die Geschichte <strong>von</strong> Wilm Hosenfeld und Wladislaw Szpilman wird im<br />

Film „Der Pianist“ dargestellt.


Requiem für einen <strong>polnischen</strong> <strong>Jungen</strong><br />

Totengebet - Georg Kafka<br />

Georg Kafka: *15.2.1921, Teplitz-Schönau. Wur<strong>de</strong> im Sommer 1942 in das KZ<br />

Theresienstadt eingeliefert. Folgte am 15.5.1944 seiner Mutter freiwillig nach<br />

Auschwitz. Er starb En<strong>de</strong> 1944 im Lager Schwarzhei<strong>de</strong>. Er war ein weitläufiger<br />

Verwandter <strong>von</strong> Franz Kafka.<br />

Das erste Gedicht <strong>de</strong>s Requiems ist <strong>de</strong>m jüdischen Totengebet – <strong>de</strong>m<br />

Kaddisch – nachempfun<strong>de</strong>n. Wir Menschen wen<strong>de</strong>n uns stellvertretend<br />

für die Toten Gott zu. Gott wird mit verschie<strong>de</strong>nen Umschreibungen<br />

bezeichnet: Du Ewigkeit, Du Dunkelheit, Du ewige Erntezeit, Du Licht.<br />

Gott wird angesprochen als <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r die Toten gütig annehmen<br />

soll: Nimm ihr mü<strong>de</strong>s Herz, lege Dein Kleid, laß sie ruh'n. Am En<strong>de</strong><br />

steht die Gewißheit <strong>de</strong>r Vollendung: Du aber wirst die Erleuchtung sein.<br />

Totengebet<br />

Sieh, Herr, die Toten kommen zu Dir.<br />

Die wir geliebt, sind allein und sehr weit.<br />

Nun müssen wir ihre Mün<strong>de</strong>r sein<br />

und beten zu Dir, Du Ewigkeit.<br />

Nimm ihr mü<strong>de</strong>s Herz in die gütige Hand.<br />

Da wird es still.<br />

Eine Schwalbe, die ihre Heimat fand<br />

und schlafen will.<br />

Auf ihre Augen, die mü<strong>de</strong> vom Licht<br />

lege Dein Kleid,<br />

daß sie träumen <strong>von</strong> D<strong>einem</strong> Angesicht,<br />

Du Dunkelheit.<br />

Und ihre Hän<strong>de</strong>, die immer bereit,<br />

Dein Werk zu tun,<br />

o Gott, Du ewige Erntezeit,<br />

laß sie ruh'n. bitte leise blättern<br />

5


6<br />

Wir aber leben und dürfen nicht<br />

die Tage versäumen.<br />

Wir tragen geduldig das schwere Gewicht<br />

zu Deinen Träumen.<br />

O Herr, die Leben<strong>de</strong>n kommen zu Dir.<br />

Die wir geliebt, sind allein.<br />

Wir fin<strong>de</strong>n sie nicht.<br />

Du aber wirst die Erleuchtung sein.<br />

Du Licht.<br />

Georg Kafka (1943 in Theresienstadt geschrieben)<br />

Schlaflied für Daniel - Siegfried Einstein<br />

Siegfried Einstein: *30.11.1919, Laupheim (Württ.) Bereits in <strong>de</strong>r Schule als<br />

Ju<strong>de</strong> verpönt. Emigrierte 1934 in die Schweiz. Dort war er <strong>von</strong> 1940-45 in<br />

Arbeitslagern. Kehrte 1953 nach Deutschland zurück. Zunächst lebte er in<br />

Lampertheim, wo er erneut antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt war. Er<br />

sie<strong>de</strong>lte nach Mannheim. 1964 Tucholsky-Preis. Einstein starb 1983. Das<br />

Gedicht “Schlaflied für Daniel” stammt aus <strong>de</strong>m Jahr 1945 und ist im Band<br />

“Das Wolkenschiff” (Zürich 1950) abgedruckt.<br />

(Quelle: http://www.lyrikwelt.<strong>de</strong>/autoren/einstein.htm)<br />

In „Schlaflied für Daniel“ beschreibt das Bild einer Mutter, die<br />

zusammen mit ihrem Kind nachts im Zug durch das zerstörte<br />

Deutschland fährt. Das Kind soll schlafen, o<strong>de</strong>r es schläft schon. Die<br />

Mutter spricht <strong>von</strong> <strong>de</strong>n „Toten <strong>von</strong> Auschwitz“, angesichts <strong>de</strong>rer<br />

eigentlich niemand schlafen kann, soll, darf. Die letzten Zeilen „Die<br />

Toten klagen im Wind - und niemand ist aufgewacht...“ spricht <strong>von</strong> <strong>de</strong>m<br />

Verdrängen, <strong>von</strong> <strong>de</strong>m Nichtwahrnehmenwollen <strong>de</strong>s schrecklichen<br />

Geschehens um <strong>de</strong>n Holocaust.<br />

Das Fahren und Rattern <strong>de</strong>s Zuges ist musikalisch durch scheinbar<br />

endlos auf und ab steigen<strong>de</strong> Tonleitern <strong>de</strong>r Streicher zusammen mit <strong>de</strong>r<br />

Bassklarinette ausgedrückt. Beim Überfahren <strong>von</strong> Weichen rattert die<br />

kleine Trommel. Der Satz schwankt zwischen f-moll und e-moll, die<br />

musikalische Struktur ist sehr monoton, wie das einschläfern<strong>de</strong> Fahren<br />

im Zug bei Nacht.


Schlaflied für Daniel<br />

Wir fahren durch Deutschland, mein Kind.<br />

Und es ist Nacht.<br />

Die Scheiben klirren im Wind,<br />

da sind die Toten erwacht,<br />

die Toten <strong>von</strong> Auschwitz, mein Sohn.<br />

Du weißt es nicht<br />

und träumst <strong>von</strong> Sternen und Mohn<br />

und Sonn- und Mondgesicht.<br />

Du darfst nicht schlafen, mein Kind.<br />

Und es ist Nacht.<br />

Die Toten stöhnen im Wind:<br />

viel Menschen sind umgebracht.<br />

Du darfst nicht schlafen, mein Sohn,<br />

und träumen <strong>von</strong> seliger Pracht.<br />

Sieh doch, es leuchtet <strong>de</strong>r Mohn<br />

wie Blut so rot in <strong>de</strong>r Nacht.<br />

Wir fahren durch Deutschland, mein Kind.<br />

Und es ist Nacht.<br />

Die Toten klagen im Wind -<br />

und niemand ist aufgewacht...<br />

7<br />

Siegfried Einstein (1945)<br />

Sonett <strong>von</strong> <strong>de</strong>r endgültigen Frage - Jesse Thoor<br />

Peter Karl Höfler o<strong>de</strong>r Jesse Thoor, wie er sich später nannte, wur<strong>de</strong> am<br />

23.01.1905 in Berlin geboren und ist am 15. August 1952 in Lienz in Osttirol<br />

gestorben. Thoor besuchte die Volksschule und begann anschließend eine<br />

Lehre. Er begab sich früh auf Wan<strong>de</strong>rschaft quer durch Europa, hielt sich in<br />

Italien, Spanien und <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n auf. Nach <strong>de</strong>r Machtergreifung <strong>de</strong>r<br />

Nationalsozialisten ging Thoor 1933 nach Österreich. Beim "Anschluss"<br />

Österreichs 1938 floh er nach Brünn in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei. Im Dezember<br />

1938 erhielt er durch Vermittlung <strong>de</strong>r American Guild for German Cultural<br />

Freedom eine Einreiseerlaubnis nach Großbritannien, wo er allerdings zeit-


8<br />

weise als "feindlicher Auslän<strong>de</strong>r" in De<strong>von</strong> und auf <strong>de</strong>r Isle of Man interniert<br />

war. Nach <strong>de</strong>r Entlassung arbeitete Thoor in Heimarbeit für einen Londoner<br />

Goldschmied. Thoor kehrte nur noch für zwei kurze Besuche nach<br />

Deutschland zurück; er starb 1952 bei einer Bergtour in Tirol.<br />

Das “Sonett <strong>von</strong> <strong>de</strong>r endgültigen Frage” stammt aus <strong>de</strong>m Band “Sonette und<br />

Lie<strong>de</strong>r”. (Quelle: http://www.biologie.<strong>de</strong>/biowiki/Jesse_Thoor)<br />

Im „Sonett <strong>von</strong> <strong>de</strong>r endgültigen Frage“ spricht uns eine Person an, die in<br />

musikalischer Hinsicht auf zweierlei Weise dargestellt wird. Zuerst<br />

beschreibt die Person in Gestalt <strong>de</strong>s Chores eine Idylle: die Schönheit <strong>de</strong>r<br />

Er<strong>de</strong>, die wogen<strong>de</strong>n, fruchtbaren Fel<strong>de</strong>r, die süßen Früchte an <strong>de</strong>n Ästen.<br />

Diese Idylle wird jäh zerstört: Die Person in Gestalt <strong>de</strong>r Sopranistin<br />

schreit die eigentliche Wahrheit hinaus. Sie erzählt <strong>von</strong> <strong>einem</strong><br />

Gehängten, <strong>de</strong>r „vom Win<strong>de</strong> bewegt“ in <strong>de</strong>n Ästen einer Lin<strong>de</strong> baumelt.<br />

Der Chor stellt <strong>de</strong>m Zuhörer die „endgültige Frage“: „He – was sagt ihr<br />

nun?“<br />

Sonett <strong>von</strong> <strong>de</strong>r endgültigen Frage<br />

Ihr sagt, daß unermeßlich reich und voller Schönheit diese Er<strong>de</strong> ist.<br />

Es wogt und drängt bis hin zum Horizont <strong>de</strong>s Kornes Last.<br />

Und wo beglückt <strong>de</strong>r Sonne heller Strahlenkranz zerfließt,<br />

neigt sich <strong>von</strong> süßer Frucht behangen je<strong>de</strong>r Ast.<br />

Ich aber will euch sagen, was ich mit eigenen Augen sah.<br />

(Wohl wahr, in segensreicher Fülle breitet sich das weite Land.)<br />

Oh, einen Menschen sah ich nur, als ich an <strong>einem</strong> Morgen stand,<br />

dort, wo die Stadt beginnt und oft schon ähnliches geschah.<br />

Vom Win<strong>de</strong> bewegt, so hing er hoch, ganz hoch in einer Lin<strong>de</strong>.<br />

Ein Auge zu, in<strong>de</strong>ssen noch das andre starr <strong>de</strong>n Himmel sucht.<br />

Und aufgerissen war <strong>de</strong>r Mund, als brüllte er: Verflucht!<br />

Der Hals jedoch war fest verschnürt in einer grauen Bin<strong>de</strong>.<br />

Und blutig hing das rohe Fleisch aus <strong>de</strong>n zerfetzten Schuh'n.<br />

Was sagt ihr - meine Menschenkin<strong>de</strong>r - he, was sagt ihr nun?<br />

Jesse Thoor (vor 1939)


Poem - Selma Meerbaum-Eisinger<br />

Selma Meerbaum-Eisinger wur<strong>de</strong> 1924 in<br />

Czernowitz geboren. Sie war verwandt mit<br />

Paul Celan, <strong>de</strong>r ja auch aus Cernowitz<br />

stammte. Ab 1939 begann sie, eigene Gedichte<br />

zu schreiben und aus <strong>de</strong>m Französischen,<br />

Rumänischen und Jiddischen zu übersetzen.<br />

Nach <strong>de</strong>m Einmarsch <strong>de</strong>utscher Truppen in<br />

das 1940 <strong>von</strong> Rumänien an die Sowjetunion<br />

abgetretene Czernowitz im Juli 1941 wur<strong>de</strong><br />

die Familie gezwungen, im Ghetto <strong>de</strong>r Stadt zu<br />

leben. Sie starb am 16.12.1942 im <strong>de</strong>utschen<br />

Arbeitslager Michailowka. Sie war 18 Jahre<br />

alt, wur<strong>de</strong> irgendwo verscharrt.<br />

Selma Meerbaum-Eisinger<br />

Das Poem stammt aus <strong>de</strong>m Album “Blütenlese”, in das Selma ab ihrem 15.<br />

Lebensjahr insgesamt 57 Gedichte geschrieben hat. Das Album konnte sie vor<br />

ihrer Deportation nach Michailowka ihrem Freund Leijser Fichmann<br />

zukommen lassen, <strong>de</strong>r es bis 1944 verwahrte. Bevor dieser die Flucht nach<br />

Palästina antrat, gab er das Büchlein an Selmas Freundin Else Schächter<br />

weiter, damit es nicht verloren ginge, falls die Flucht nicht glücken wür<strong>de</strong>. Er<br />

schaffte es nicht, Palästina zu erreichen: das mit jüdischen Flüchtlingen<br />

besetzte türkische Schiff wur<strong>de</strong> <strong>von</strong> <strong>einem</strong> sowjetischen U-Boot versenkt.<br />

(Weitere Informationen auf <strong>de</strong>r Seite http://www.<strong>de</strong>utsche-liebeslyrik.<strong>de</strong>/selma_b.htm<br />

und http://www.hoffmann-und-campe.<strong>de</strong>)<br />

Das Poem <strong>von</strong> Selma Meerbaum-Eisinger kann man sicherlich autobiographisch<br />

<strong>de</strong>uten. Ein junger Mensch „möchte leben, kämpfen, lieben<br />

und hassen, <strong>de</strong>n Himmel mit Hän<strong>de</strong>n fassen... Ich will nicht sterben.“<br />

Der Mensch klagt <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Sinnlosigkeit <strong>de</strong>s Krieges - „Warum brüllen<br />

die Kanonen?“ Doch die Häscher „kommen dann und würgen mich.“<br />

Am En<strong>de</strong> steht ein Traumbild: Nacht, Baum, Mond.<br />

Dieser Satz steht im 5/4-Takt, mit <strong>de</strong>m die Unruhe <strong>de</strong>r Ich-Erzählerin<br />

ausgedrückt wird. In <strong>de</strong>n traumhaften Passagen stimmt die Sopranistin<br />

einen eigentümlichen Sprechgesang an, die Musik kommt für kurze Zeit<br />

zur Ruhe.<br />

9


10<br />

Poem<br />

Ich möchte leben.<br />

Ich möchte kämpfen, lieben und hassen<br />

und ich möchte <strong>de</strong>n Himmel mit Hän<strong>de</strong>n fassen<br />

und möchte frei sein und atmen und schrein.<br />

Ich will nicht sterben.<br />

Nein.<br />

Das Leben ist rot.<br />

Das Leben ist mein.<br />

Mein und <strong>de</strong>in<br />

Warum brüllen die Kanonen?<br />

Warum stirbt das Leben<br />

für glitzern<strong>de</strong> Kronen?<br />

Dort ist <strong>de</strong>r Mond.<br />

Er ist da.<br />

Nah.<br />

Ganz nah.<br />

Ich muß warten.<br />

Worauf?<br />

Hauf um Hauf<br />

sterben sie.<br />

Ich will leben<br />

und du Bru<strong>de</strong>r auch.<br />

Atemhauch<br />

geht <strong>von</strong> m<strong>einem</strong> und d<strong>einem</strong> Mun<strong>de</strong>.<br />

Der Mond ist lichtes Silber im Blau.<br />

Die Pappeln sind grau.<br />

Und Wind braust mich an.<br />

Die Straße ist hell.<br />

Dann...<br />

Sie kommen dann<br />

und würgen mich.<br />

Mich und dich.<br />

Das Leben ist rot<br />

braust und lacht.<br />

Über Nacht bin ich tot. bitte leise blättern


Ein Schatten <strong>von</strong> <strong>einem</strong> Baum<br />

geistert über <strong>de</strong>n Mond.<br />

Man sieht ihn kaum.<br />

Ein Baum,<br />

ein Leben<br />

kann Schatten werfen<br />

Über <strong>de</strong>n Mond.<br />

Solo: Ulrike Kühn, Sopran<br />

11<br />

Selma Meerbaum-Eisinger (7.7.1941)<br />

Euch fehlt die Phantasie - Martin Gumpert<br />

Martin Gumpert wur<strong>de</strong> am 13.11.1897 in Berlin geboren. Er war im 1. Weltkrieg<br />

Sanitätssoldat, studierte Medizin in Berlin und Hei<strong>de</strong>lberg. Vor 1933<br />

war er Chefarzt und Schriftsteller. Er emigrierte 1936 in die USA, wo er als<br />

Arzt tätig war. 1949 kam Gumpert erstmals wie<strong>de</strong>r nach Europa und auch<br />

nach Deutschland. Eine endgültige Rückkehr kam für ihn, <strong>de</strong>r seit 1941<br />

amerikanischer Staatsbürger war, nicht in Betracht. Es folgten noch drei<br />

weitere Europareisen, u.a. 1954 nach London, wo er am Internationalen<br />

Gerontologen-Kongreß teilnahm. Am 18.4.1955 starb Martin Gumpert in New<br />

York an <strong>de</strong>n Folgen eines Herzlei<strong>de</strong>ns. (Quelle: http://www.onmeda.<strong>de</strong>/lexika/<br />

persoenlichkeiten/gumpert.html)<br />

Das Gedicht „Euch fehlt die Phantasie“, das die Entrechtung <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n<br />

ohne Skrupel beschreibt, hat Martin Gumpert schon 1934 geschrieben. In<br />

visionärer Weise listet er die Formen <strong>de</strong>r Ausgrenzung, Entwürdigung,<br />

Entrechtung und Vernichtung auf: durch die Straßen gejagt wer<strong>de</strong>n, nicht<br />

mehr gegrüßt, geliebt, geachtet wer<strong>de</strong>n, hinter Stacheldraht gesperrt<br />

wer<strong>de</strong>n, ins Gesicht gespuckt wer<strong>de</strong>n, Telefonüberwachung und<br />

Bücherverbrennung. Und dies alles „ohne daß eine Hand sich hebt, ohne<br />

daß sich ein Sturm zusammenzieht, ohne daß eine Stimme aufschreit,<br />

ohne daß eine Träne vergossen wird.“<br />

Der Chor stottert diesen Text im gebrochenen 7/4-Takt, wie wenn er<br />

angesichts <strong>de</strong>r Unfassbarkeit <strong>de</strong>r Worte Zweifel an <strong>de</strong>r Gewißhheit <strong>de</strong>s<br />

Gesagten hätte.


12<br />

Euch fehlt die Phantasie<br />

Daß man euch durch die Straßen jagen wird,<br />

daß man eure Schränke durchwühlen wird,<br />

daß man euer Telephon überwachen wird,<br />

daß man euch Titel und Namen nehmen wird.<br />

Daß euch eure Freun<strong>de</strong> nicht mehr grüßen wer<strong>de</strong>n,<br />

daß euch eure Frauen nicht mehr lieben wer<strong>de</strong>n,<br />

daß euch eure Kin<strong>de</strong>r nicht mehr achten wer<strong>de</strong>n,<br />

daß eure Diener euch nicht mehr dienen wer<strong>de</strong>n.<br />

Euch fehlt die Phantasie, was wahr wird zu ersinnen,<br />

euch fehlt die Kraft, was wirklich wird zu glauben,<br />

euch fehlt <strong>de</strong>r Mut, was klar ist zu erkennen,<br />

euch fehlt das Wort, um was ihr wißt zu sagen.<br />

Daß man euch hinter Stacheldraht sperren wird,<br />

daß man euch ins Gesicht spucken wird,<br />

daß man eure Bücher verbrennen wird,<br />

daß man euer Werk verleugnen wird.<br />

Daß man euch aus <strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong> treiben wird,<br />

während Glocken läuten und Schafe wei<strong>de</strong>n,<br />

während Züge pünktlich abfahren,<br />

während <strong>de</strong>r Bäcker je<strong>de</strong>n morgen das Brot bringt.<br />

Ohne daß eine Hand sich hebt,<br />

ohne daß sich ein Sturm zusammenzieht,<br />

ohne daß eine Stimme aufschreit,<br />

ohne daß eine Träne vergossen wird.<br />

Daß ihr vergessen sein wer<strong>de</strong>t als wäret ihr nie gewesen,<br />

daß ihr gekommen sein wer<strong>de</strong>t und da<strong>von</strong>gegangen,<br />

daß ihr verloren sein wer<strong>de</strong>t und verschollen,<br />

daß <strong>de</strong>r Tag dämmern und dunkeln wird wie je.<br />

Euch fehlt die Phantasie, um was ihr tut zu fürchten,<br />

euch ist die Macht geraubt, euch zu erschrecken,<br />

euch ist <strong>de</strong>r Ton versagt, um aufzustöhnen,<br />

euch ist das Glück versagt, vor Scham zu weinen.<br />

Martin Gumpert (1934)


<strong>Elegie</strong> <strong>von</strong> <strong>einem</strong> <strong>polnischen</strong> <strong>Jungen</strong><br />

Krystof Kamil Baczinski, geboren am 22.1.1921 in Warschau, studierte<br />

während <strong>de</strong>r Okkupation an <strong>de</strong>r illegalen Warschauer Universität Polonistik.<br />

Er war aktiv beim Aufstand im Warschauer Ghetto und wur<strong>de</strong> am 4.8.1944 in<br />

<strong>de</strong>r Warschauer Oper <strong>von</strong> <strong>einem</strong> <strong>de</strong>utschen Soldaten erschossen. Er veröffentlichte<br />

etwa 500 Gedichte und 20 Erzählungen.<br />

Die „<strong>Elegie</strong> <strong>von</strong> <strong>einem</strong> <strong>polnischen</strong> <strong>Jungen</strong>“ gab <strong>de</strong>m Requiem seinen<br />

Namen. Der Text reiht expressionistische Bil<strong>de</strong>r aneinan<strong>de</strong>r: Träume, die<br />

wie Falter zittern; feuchte Augen, die rot verbluten; das Messer <strong>de</strong>iner<br />

Tränen. Das Gedicht beschreibt die Situation eines jungen Mannes,<br />

<strong>de</strong>ssen Zukunftspläne sich zerschlagen, <strong>de</strong>ssen Leben, kaum begonnen,<br />

schon zu En<strong>de</strong> geht. Die Waffe in <strong>de</strong>r Hand, erlebt er „jenen Stun<strong>de</strong>nschlag,<br />

mit <strong>de</strong>m die Übel en<strong>de</strong>n“ – <strong>de</strong>n Tod. Ob <strong>de</strong>r Tod durch frem<strong>de</strong><br />

o<strong>de</strong>r eigene Hand geschieht, wird nicht ein<strong>de</strong>utig gesagt.<br />

Das Gedicht nimmt <strong>de</strong>n eigenen Tod Baczinskis vorweg, <strong>de</strong>r während<br />

<strong>de</strong>s Aufstan<strong>de</strong>s im Warschauer Ghetto 1944 <strong>von</strong> <strong>einem</strong> <strong>de</strong>utschen<br />

Soldaten erschossen wur<strong>de</strong>.<br />

<strong>Elegie</strong> <strong>von</strong> <strong>einem</strong> <strong>polnischen</strong> <strong>Jungen</strong><br />

Sie trennten dich, mein Sohn, <strong>von</strong> Träumen, die wie Falter zittern.<br />

Sie malten eine Landschaft dir aus Brän<strong>de</strong>n und Gewittern.<br />

Sie strickten feuchte Augen dir, mein Sohn, die rot verbluten.<br />

Und mit Gehängten säumten sie <strong>de</strong>n Fluß <strong>de</strong>r grünen Fluten.<br />

Sie prägten dir die Heimat ein, mein Sohn, mit toten Schritten.<br />

Das Messer <strong>de</strong>iner Tränen hat sich die Wege ausgeschnitten.<br />

Sie zogen dich im Dunkel groß mit Angst, die alle aßen.<br />

Und du gingst blind die bitterste <strong>de</strong>r Menschenstraßen.<br />

Du gingst mein heller Sohn, die schwarze Waffe in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n.<br />

Erlebtest jenen Stun<strong>de</strong>nschlag, mit <strong>de</strong>m die Übel en<strong>de</strong>n.<br />

Und eine Hand bekreuzte noch die Welt, bevor sie sank.<br />

War es die Kugel, war's das Herz, mein Sohn, was da zersprang?<br />

Krystof Kamil Baczinski (20.3.1944)<br />

13


14<br />

Heimkehr - Franz Theodor Csokor<br />

Franz Theodor Csokor wur<strong>de</strong> am 6.9.1885 in<br />

Wien geboren. Er entstammte einer gutbürgerlichen<br />

Familie. Schon früh widmete er sich <strong>de</strong>m<br />

Schreiben. Bereits 1905 erschien sein erstes<br />

Werk, 1912 erlebte er die Uraufführung seines<br />

ersten Theaterstücks in ungarischer Sprache in<br />

Budapest. Während <strong>de</strong>s 1. Weltkrieges war<br />

Csokor zunächst Soldat, später <strong>de</strong>m k.u.k.<br />

Kriegsarchiv zugeteilt. In <strong>de</strong>n Zwanzigerjahren<br />

fungierte Csokor als Dramaturg und Regisseur in<br />

Wien. Die Machtergreifung Hitlers in<br />

Deutschland war für Csokor ein tiefer Schock.<br />

Franz Theodor Csokor<br />

Beim PEN-Kongreß in Dubrovnik protestierte er gegen die Unmenschlichkeiten<br />

<strong>de</strong>s nationalsozialisistischen Regimes, weswegen die Verbreitung seiner<br />

Werke in Deutschland verboten wur<strong>de</strong>. Csokor ging ins freiwillige Exil. Er<br />

floh 1938 über Polen, Rumänien, Jugoslawien nach Italien und kehrte 1946<br />

nach Wien zurück. 1947 wur<strong>de</strong> Csokor zum Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>s österreichischen<br />

PEN - Clubs gewählt. Csokor starb am 5.1.1969. Er erhielt hohe Auszeichnungen<br />

für sein Schaffen: Burgtheater-Ring 1937, Grillparzer-Preis 1938,<br />

Großer Österreichischer Staatspreis für Literatur 1955. „Heimkehr” wur<strong>de</strong><br />

auf <strong>de</strong>r Flucht verfaßt. (Quelle: http://www.broz.at/csokor)<br />

Ursprünglich sollte das Gedicht „Heimkehr“ das Requiem abschließen.<br />

Der Text beschreibt das Bild aus <strong>de</strong>m Krieg heimkehren<strong>de</strong>r Menschen.<br />

Enttäuscht, entkräftet, verzweifelt und <strong>de</strong>sillusioniert trotten sie durch<br />

eine zerstörte Stadt. Den eigenen Kin<strong>de</strong>rn gegenüber können sie keine<br />

Erklärung geben für das, was geschah und wie dies geschehen konnte.<br />

Sie gehen schweigend weiter.<br />

Heimkehr<br />

Unsere Mütter sind gestorben,<br />

unsere Frauen sind alt.<br />

Unsere Häuser sind verdorben,<br />

überall war Gewalt -<br />

Wo sollen wir sitzen, wo sollen wir speisen,<br />

was ist unser Vaterland?<br />

Ein Bo<strong>de</strong>n aus Blut und Eisen<br />

und ein Himmel voll Brand. bitte leise blättern


Wenn wir unsern Kin<strong>de</strong>rn begegnen,<br />

sie wer<strong>de</strong>n uns nicht mehr verstehn.<br />

Wir wer<strong>de</strong>n sie schweigend segnen<br />

und weitergehn - -<br />

Ein jüdisch' Kind - (unbekannter Verfasser)<br />

Ein jüdisch' Kind<br />

Ich habe keinen Namen<br />

ich bin ein jüdisch' Kind.<br />

Weiß nicht woher wir kamen<br />

und wo wir morgen sind.<br />

Ich spreche viele Sprachen,<br />

verlern' sie wie<strong>de</strong>rum.<br />

Für das, was wir ertragen<br />

ist je<strong>de</strong> Sprache stumm.<br />

15<br />

Franz Theodor Csokor (1944)<br />

Solo: Annika Lust, Miriam Ogrzewalla, Nicola und Valerie Zimmermann<br />

Wir bitten darum, keinen Beifall zu geben.<br />

Nach einiger Zeit <strong>de</strong>r Stille wird das erste Gedicht<br />

<strong>de</strong>s Requiems - „Totengebet“ - wie<strong>de</strong>rholt.<br />

Wenn Sie danach die Kirche verlassen, bitten wir<br />

darum, dies leise zu tun.<br />

Totengebet - Georg Kafka<br />

bitte leise blättern


16<br />

Totengebet<br />

Sieh, Herr, die Toten kommen zu Dir.<br />

Die wir geliebt, sind allein und sehr weit.<br />

Nun müssen wir ihre Mün<strong>de</strong>r sein<br />

und beten zu Dir, Du Ewigkeit.<br />

Nimm ihr mü<strong>de</strong>s Herz in die gütige Hand.<br />

Da wird es still.<br />

Eine Schwalbe, die ihre Heimat fand<br />

und schlafen will.<br />

Auf ihre Augen, die mü<strong>de</strong> vom Licht<br />

lege Dein Kleid,<br />

daß sie träumen <strong>von</strong> D<strong>einem</strong> Angesicht,<br />

Du Dunkelheit.<br />

Und ihre Hän<strong>de</strong>, die immer bereit,<br />

Dein Werk zu tun,<br />

o Gott, Du ewige Erntezeit,<br />

laß sie ruh'n.<br />

Wir aber leben und dürfen nicht<br />

die Tage versäumen.<br />

Wir tragen geduldig das schwere Gewicht<br />

zu Deinen Träumen.<br />

O Herr, die Leben<strong>de</strong>n kommen zu Dir.<br />

Die wir geliebt, sind allein.<br />

Wir fin<strong>de</strong>n sie nicht.<br />

Du aber wirst die Erleuchtung sein.<br />

Du Licht.<br />

Georg Kafka (1943 in Theresienstadt geschrieben)<br />

Wir bitten darum, keinen Beifall zu geben.


Der Komponist Dietrich Lohff<br />

Dietrich Lohff wur<strong>de</strong> 1941 als Sohn eines<br />

Pfarrers in <strong>de</strong>r Nähe <strong>von</strong> Berlin geboren.<br />

Studium <strong>de</strong>r <strong>Kirchenmusik</strong>, Schulmusik und<br />

Germanistik. Kompositionsunterricht bei<br />

Heinz Werner Zimmermann und Georg <strong>von</strong><br />

Albrecht. Nach <strong>de</strong>m Examen Gründung <strong>de</strong>r<br />

Rockgruppe "heaven on earth", mit <strong>de</strong>r er<br />

fünf Jahre lang (<strong>von</strong> 1969-1974) durch<br />

Deutschland tourte. Für diese Gruppe schrieb<br />

Dietrich Lohff<br />

er auch die "Mass in Rock". Später war er Grün<strong>de</strong>r und Kopf <strong>de</strong>r<br />

Gruppe "Golem".<br />

1967-1970 im Vorstand <strong>de</strong>s SDS (Sozialistischer <strong>de</strong>utscher<br />

Stu<strong>de</strong>ntenbund). Herausgeber einer Zeitschrift "Die rote Schülerpresse".<br />

Wegen dieser regen politischen Betätigung zunächst<br />

Berufsverbot. Danach doch noch seit 1970 Musiklehrer an <strong>einem</strong><br />

privaten Hei<strong>de</strong>lberger Gymnasium. Daneben war er Buchhändler,<br />

Fußballtrainer, Leiter einer Musikschule, Verlagslektor und vieles<br />

an<strong>de</strong>re mehr. Stipendiat <strong>de</strong>r Darmstädter Ferienkurse für neue<br />

Musik und <strong>de</strong>s Richard-Wagner-Verban<strong>de</strong>s. Mehrere Kompositionsaufträge.<br />

Zunächst viel experimentelle Musik: wie z. B. "Sakrophonie,<br />

optische Musik für einen kirchlichen Raum" und "Eintracht<br />

Frankfurt", Kantate für Sportreporter, Synthesizer und Fan-Chor".<br />

Nach langer Schaffenspause radikale Abwendung <strong>von</strong> avantgardistischer<br />

Musik und eine durch die Rockmusik beeinflusste<br />

Hinwendung zur Tonalität.<br />

Bekannt wur<strong>de</strong> vor allem sein "Requiem für einen <strong>polnischen</strong><br />

<strong>Jungen</strong>" nach Texten <strong>von</strong> Opfern <strong>de</strong>s Faschismus, das 1998 in<br />

sechs <strong>de</strong>utschen Städten gleichzeitig uraufgeführt wur<strong>de</strong>. Das<br />

Requiem wur<strong>de</strong> mehrfach im Rundfunk gesen<strong>de</strong>t und ist auf CD<br />

erschienen. Seit 40 Jahren ist Lohff nebenamtlicher <strong>Kirchenmusik</strong>er<br />

und Leiter vieler Chöre. In <strong>de</strong>n letzten Jahren überwiegen<br />

die kirchenmusikalischen Kompositionen.<br />

(Quelle: http://www.dietrichlohff.<strong>de</strong>)<br />

17<br />

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Projekte/Requie<br />

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18<br />

Die Gedichte stammen aus folgen<strong>de</strong>n Gedichtsammlungen:<br />

An <strong>de</strong>n Wind geschrieben<br />

Lyrik <strong>de</strong>r Freiheit – Gedichte <strong>de</strong>r Jahre 1933-1945, erausgegeben <strong>von</strong><br />

Manfred Schlösser, Verlag Agora, Darmstadt 1960<br />

Polnische Poesie <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

Herausgegeben und übertragen <strong>von</strong> Karl De<strong>de</strong>cius<br />

Carl Hanser Verlag, München 1964<br />

Ich bin in Sehnsucht eingehüllt<br />

Gedichte eines jüdischen Mädchens an seinen Freund<br />

Herausgegeben und eingeleitet <strong>von</strong> Jürgen Serke<br />

Die Ausführen<strong>de</strong>n<br />

Viola Kremzow, Mezzosopran, studierte zunächst evangelische<br />

<strong>Kirchenmusik</strong> in Hei<strong>de</strong>lberg, wo sie im April 2002 ihr B-Examen ablegte.<br />

Darauf folgte die Künstlerische Ausbildung Gesang bei Heidrun Luchterhandt.<br />

Außer<strong>de</strong>m nahm sie an mehreren Meisterkursen aktiv teil,<br />

unter an<strong>de</strong>rem bei Kurt Widmer. Viola Kremzow ist mehrfache Preisträgerin<br />

<strong>de</strong>s Inge-Bullinger-Pittler-Gesangswettbewerbes und als freie<br />

Mitarbeiterin im Collegium Vocale Gent und im Konzertchor <strong>de</strong>s Bayerischen<br />

Rundfunks in München tätig. Sowohl als Mitglied einiger<br />

Vokalensembles als auch als Solistin wirkte sie in mehreren Uraufführungen<br />

mit.<br />

Ulrike Kühn, Sopran, ist 14 Jahre alt und geht in die 9. Klasse <strong>de</strong>s<br />

Friedrich-List-Gymnasiums Reutlingen. Seit ihrem 8. Lebensjahr erhält<br />

sie Unterricht in Querflöte und mit 12 Jahren Klavierunterricht. Seit 3<br />

Jahren erhält sie Gesangsunterricht bei Ulrike Herter, Stimmbildnerin<br />

<strong>de</strong>s Knabenchores capella vocalis. Ulrike Kühn singt seit vielen Jahren<br />

in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Chören <strong>de</strong>r Leonhardsgemein<strong>de</strong> Reutlingen.<br />

Henrike Backhaus, Milena Baitinger, Helena Gauss, Irene Horn,<br />

Anton Kostin und Anastasia Sakulin sind Schülerinnen und Schüler<br />

<strong>de</strong>s Neigungskurses Kunst <strong>de</strong>s Gymnasiums Münsingen. Sie haben<br />

zusammen mit ihrem Kunsterzieher Edgar Braig eigene Arbeiten zum<br />

Thema entworfen. Diese Skizzen wur<strong>de</strong>n in vielstündiger Arbeit auf<br />

eine lange Stoffbahn gemalt. Das Titelbild zur Veranstaltungsreihe<br />

stammt <strong>von</strong> Irene Horn.


Stefan Lust begann 1984 an <strong>de</strong>r <strong>Kirchenmusik</strong>schule Esslingen das<br />

Studium <strong>de</strong>r <strong>Kirchenmusik</strong>. Nach <strong>de</strong>r B-Prüfung im Jahr 1988 schloß<br />

sich das A-Studium an, das er 1990 absolvierte. Seit Oktober 1990<br />

ist er Kantor an <strong>de</strong>r Martinskirche Münsingen sowie Bezirkskantor<br />

<strong>de</strong>s evangelischen Kirchenbezirks Münsingen. Im Rahmen seiner<br />

Tätigkeit hat er eine vielfältige Chorarbeit mit zwei Kin<strong>de</strong>rchören,<br />

<strong>einem</strong> Jugendchor und <strong>de</strong>m Kirchenchor, <strong>de</strong>r regelmäßig Oratorien<br />

zur Aufführung bringt, aufgebaut. Er ist Grün<strong>de</strong>r und Leiter <strong>de</strong>s<br />

Orchesters <strong>de</strong>r Martinskirche Münsingen.<br />

Sinfonietta Tübingen<br />

Seit ihrer Gründung 1984 hat sich die Sinfonietta Tübingen weit<br />

über die Grenzen <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s hinaus einen hervorragen<strong>de</strong>n Ruf<br />

verschafft. Gastspiele haben sie nach Italien, Griechenland,<br />

Spanien Frankreich und Tschechien geführt. Ihr Name ist zu<br />

<strong>einem</strong> Markenzeichen für anspruchsvolle Musikdarbietungen<br />

gewor<strong>de</strong>n. Die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Orchesters sind Berufsmusiker,<br />

viele haben einen Lehrauftrag an <strong>de</strong>r Tübinger Musikschule.<br />

Neben <strong>de</strong>n Sinfoniekonzerten tritt das Ensemble auch als<br />

Kammerorchester, mit <strong>einem</strong> reinen Bläser- o<strong>de</strong>r Streicherprogramm<br />

auf, dazu kommen außer<strong>de</strong>m regelmäßig Kirchenkonzerte<br />

mit Instrumental- und auch großen Vokalwerken.<br />

Viola:<br />

Carolin Kriegbaum<br />

Daniel Strambach<br />

Kosmas Grieneisen<br />

Renate Bogenschütz<br />

Kathrin-Susanne Lust<br />

Anke Spiegel<br />

Violoncello:<br />

Theo Bross<br />

Frie<strong>de</strong>rike Ziegler<br />

Ina Krauß-Pfleghaar<br />

Kontrabaß:<br />

Pavel Sturov<br />

Flöte und Piccolo:<br />

Christoph Kieser<br />

Englischhorn:<br />

Sarah Weinbeer<br />

Bassklarinette und<br />

Klarinette:<br />

Anne Appelmann<br />

Horn:<br />

Johannes Borck<br />

Trompete:<br />

Markus Klein<br />

Posaune:<br />

Molly Bashaw<br />

Schlagzeug:<br />

Walter Stegmaier<br />

Steffen Kuhn<br />

19


20<br />

Chor <strong>de</strong>r Martinskirche Münsingen<br />

Der Chor <strong>de</strong>r Martinskirche besteht seit über 100 Jahren und ist<br />

schon mit <strong>de</strong>r Zelter-Plakette ausgezeichnet wor<strong>de</strong>n. Er singt<br />

regelmäßig in <strong>de</strong>n Gottesdiensten in <strong>de</strong>r Martinskirche, vor allem<br />

an <strong>de</strong>n Hauptfesten <strong>de</strong>s Kirchenjahres. Jährlich wird ein oratorisches<br />

Werk aufgeführt sowie eine Geistliche Abendmusik mit acappella-Literatur<br />

erarbeitet. Das Repertoire umfaßt auch größere<br />

Werke <strong>von</strong> Johann Sebastian Bach (Weihnachtsoratorium, Osteroratorium,<br />

Johannes-Passion), Georg Friedrich Hän<strong>de</strong>l (Der<br />

Messias), Wolfgang Ama<strong>de</strong>us Mozart (Requiem, Krönungsmesse,<br />

Spaurmesse), Franz Schubert (Messe G-Dur, Messe Es-<br />

Dur) und Felix Men<strong>de</strong>lssohn Bartholdy (Psalm 95, Drei Geistliche<br />

Lie<strong>de</strong>r)<br />

Sopran:<br />

Gudrun Bohn<br />

Christine Bott<br />

Brigitte Buck<br />

Rosemarie Fuchs<br />

Mechthild Höppner-Sugg<br />

Anna-Maria Jenny<br />

Jutta Müller<br />

Ulrike Ogrzewalla<br />

Gisela Rist<br />

Heidrun Scheytt<br />

Dorrit Schmid<br />

Debora Schra<strong>de</strong>-Borchert<br />

Nina Spei<strong>de</strong>l<br />

Gertrau<strong>de</strong> Vatter<br />

Hella Wagner<br />

A<strong>de</strong>lheid Walter<br />

Hil<strong>de</strong>gard Walter<br />

Gerda Wiegert<br />

Alt:<br />

Marina Baitinger<br />

Gabriele Bäuerle<br />

A<strong>de</strong>lheid Bösch<br />

Heike Deigen<strong>de</strong>sch<br />

Annemarie Ege<br />

Brunhild Henzel<br />

Christa Kieschnick<br />

Marianne Krieg<br />

Anna-Margarete Ludwig<br />

E<strong>de</strong>ltraud Maier<br />

Gretel Merkt<br />

Susanne Mittelstädt<br />

Gisela Ocker<br />

Susanne Rein<br />

Ingeburg Rogge<br />

Christel Ruoss-Burow<br />

Dagmar Treß<br />

Elfrie<strong>de</strong> Waßner<br />

Hannelore Weippert<br />

Anna-Christine Zöfel<br />

Tenor:<br />

Manfred Bähr<br />

Paul Fink<br />

Gerd Lißmann<br />

Siegfried Metzger<br />

Eric Proisy<br />

Florian Schlenker<br />

Bass:<br />

Ulrich Eberbach<br />

Horst Eberl<br />

Rüdiger Hartmann<br />

Franz Jaudas<br />

Markus Mörike<br />

Hans-Günter Müller<br />

Udo Rein<br />

Albrecht Vatter<br />

Peter Wöhler


Die Veranstaltungsreihe<br />

„Requiem für einen <strong>polnischen</strong> <strong>Jungen</strong>“<br />

Im Jahr 2005 jähren sich bekanntlich einige Ge<strong>de</strong>nktage zum 60. mal:<br />

Kriegsen<strong>de</strong>, Befreiung <strong>de</strong>s Vernichtungslagers Auschwitz, Ermordung<br />

<strong>de</strong>s Theologen Dietrich Bonhoeffers, Zerstörung Dres<strong>de</strong>ns, Abwurf <strong>de</strong>r<br />

ersten Atombombe und weitere be<strong>de</strong>nkenswerte Ereignisse. Die<br />

Kirchengemein<strong>de</strong>n Münsingen und die Volkshochschule Münsingen<br />

haben aus diesem Grund eine Veranstaltungsreihe mit <strong>de</strong>m Titel<br />

„Requiem für einen <strong>polnischen</strong> <strong>Jungen</strong>“ durchgeführt.<br />

Dienstag, 8. November, 20 Uhr<br />

Theaterraum Zehntscheuer Münsingen<br />

Eine Jugend zwischen Ghetto und Theresienstadt<br />

Lesung mit Moshe Langer<br />

Samstag, 12. November, 17 Uhr, Zehntscheuer Münsingen<br />

Totenmaske<br />

Theaterstück <strong>de</strong>r Theatergruppe <strong>de</strong>s Landheims Buttenhausen<br />

Inszenierung und Leitung: Angelika Janssen<br />

Mittwoch, 16. November, 19.30 Uhr, Martinskirche Münsingen<br />

Ökumenischer Gottesdienst<br />

Pastor Martin Bültge, Evangelisch-methodistische Kirchengemein<strong>de</strong><br />

Dekan Ulrich Poguntke, Evangelische Kirchengemein<strong>de</strong><br />

Pfarrer Klaus Bürger, Katholische Kirchengemein<strong>de</strong><br />

Ökumenischer Gesprächskreis Münsingen<br />

Sonntag, 20. November, 17 Uhr, Martinskirche Münsingen<br />

Dietrich Lohff: Requiem für einen <strong>polnischen</strong> <strong>Jungen</strong><br />

Viola Kremzow (Mezzosopran), Ulrike Kühn (Sopran)<br />

Chor <strong>de</strong>r Martinskirche Münsingen, Sinfonietta Tübingen<br />

Leitung: Stefan Lust<br />

Die ersten drei Veranstaltungen wer<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n<br />

Seiten vorgestellt.<br />

21


22<br />

1. Veranstaltung<br />

Dienstag, 8. November, 20 Uhr<br />

Theaterraum Zehntscheuer<br />

Münsingen<br />

Eine Jugend zwischen<br />

Ghetto und<br />

Theresienstadt<br />

Lesung mit Moshe Langer<br />

Moshe Langer<br />

Moshe Langer war als Jugendlicher in fünf <strong>de</strong>utschen Konzentrationslagern.<br />

Als einziger seiner Familie überlebte er. Langer,<br />

<strong>de</strong>ssen Frau Felicia Langer als Menschenrechtlerin international<br />

bekannt ist, wog als 18-jähriger bei seiner Befreiung 1945 noch<br />

38 Kilo. Es war ein Wun<strong>de</strong>r, dass er noch lebte. Er war durch die<br />

Hölle <strong>de</strong>r SS in Konzentrationslagern und To<strong>de</strong>smärschen<br />

gegangen. „Eine ganz gewöhnliche Geschichte <strong>de</strong>s Holocaust“<br />

nennt Felicia Langer das, was ihr Mann Mieciu erleben mußte.<br />

Moshe Langer, 1927 in Krakau geboren, verbrachte eine glückliche<br />

Kindheit als ältestes Kind einer jüdisch-<strong>polnischen</strong> Familie.<br />

Bei <strong>de</strong>r Besetzung Polens durch die Deutschen war er erst zwölf<br />

Jahre alt und bis 1945 durchlebte alle Greuel <strong>de</strong>s Holocaustes.<br />

Die Familie wur<strong>de</strong> enteignet und 1941 gezwungen ins Krakauer<br />

Getto umzuziehen. Zusammen mit 50-60 Menschen lebte Moshe<br />

mit seinen Eltern und s<strong>einem</strong> jüngeren Bru<strong>de</strong>r zusammengepfercht<br />

in einer 5-Zimmer Wohnung. Im Getto gab es ständig<br />

Selektionen durch SS-Leute, auch Langers Bru<strong>de</strong>r und seine<br />

Mutter wur<strong>de</strong>n verschleppt: „Ich weiß bis heute nicht, was mit<br />

ihnen geschehen ist“, sagt Langer. Wahrscheinlich wur<strong>de</strong>n sie im<br />

Vernichtungslager Treblinka getötet.<br />

En<strong>de</strong> 1942 wur<strong>de</strong>n er und sein Vater in das Lager Plaszow<br />

verlegt, <strong>de</strong>ssen Kommandant <strong>de</strong>r für seine Grausamkeit berüch-


tigte Amon Göth war. Die Gefangenen dort wur<strong>de</strong>n ständig<br />

gefoltert, schikaniert und mißhan<strong>de</strong>lt. Es kam zu zahlreichen<br />

Exekutionen. Von Plaszow gelangten Moshe Langer und sein<br />

Vater nach Czestochowa, wo die Lebensbedingungen kurzzeitig<br />

besser waren. "Wir hatten zwar sehr großen Hunger und<br />

bekamen auch ab und zu mal Ohrfeigen, aber es gab keine<br />

Toten“. Im Dezember 1944 wur<strong>de</strong>n er und sein Vater ins KZ<br />

Buchenwald verlegt. Februar 1945 wur<strong>de</strong>n Vater und Sohn<br />

getrennt und Langers Vater kam wahrscheinlich bei <strong>de</strong>m berüchtigten<br />

To<strong>de</strong>smarsch <strong>von</strong> Buchenwald ums Leben. Moshe Langer<br />

wur<strong>de</strong> in das Lager Rehmsdorf gebracht. „Ich kann mich erinnern,<br />

dass mein größter Traum zu jener Zeit war, einen riesigen run<strong>de</strong>n<br />

frischen Laib Brot sowie ein scharfes Messer zu haben, allein in<br />

<strong>einem</strong> Zimmer sitzen zu können, ohne dass mich jemand störte,<br />

und nach Gutdünken <strong>von</strong> diesem Brot zu essen. Mehr verlangte<br />

ich nicht vom Leben.“<br />

Nach <strong>einem</strong> furchtbaren Marsch, auf <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r größte Teil <strong>de</strong>r<br />

völlig ausgezehrten Menschen ihr Leben ließen, erreichte Moshe<br />

Langer Theresienstadt. Fast verhungert und an Typhus erkrankt<br />

erlebte er dort die Befreiung durch die Rote Armee.<br />

Von <strong>de</strong>r gesamten Familie Langers hatte nur ein Onkel mütterlicherseits<br />

überlebt. In <strong>einem</strong> Jugendheim lernte Langer seine<br />

spätere Frau Felicia kennen, die er 1949 heiratete und mit <strong>de</strong>r er<br />

ein Jahr später nach Israel auswan<strong>de</strong>rte. Seit 1990 lebt Moshe<br />

Langer mit seiner Frau Felicia Langer, einer international<br />

bekannten Menschenrechtsanwältin, in Tübingen.<br />

Bei <strong>de</strong>r Veranstaltung <strong>de</strong>r Volkshochschule Münsingen wird<br />

Moshe Langer seine Lebensgeschichte erzählen und auch aus<br />

<strong>de</strong>m Buch „Miecius später Bericht“ lesen, das seine Frau über<br />

die Erlebnisse ihres Mannes verfasst hat.<br />

23<br />

Veranstaltung <strong>de</strong>r vhs Münsingen


24<br />

2. Veranstaltung<br />

Samstag, 12. November, 17 Uhr, Zehntscheuer Münsingen<br />

Totenmaske<br />

Theaterstück <strong>de</strong>r Theatergruppe <strong>de</strong>s Landheims Buttenhausen<br />

Inszenierung und Leitung: Angelika Janssen<br />

Wie halten wir die Erinnerung an die Toten wach? Was bleibt uns<br />

noch <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Menschen, die wir einst geliebt haben: Bil<strong>de</strong>r,<br />

Erinnerungsgegenstän<strong>de</strong>, Gerüche, Musik - <strong>de</strong>r Name? Die allerletzten<br />

Züge <strong>de</strong>s Toten wer<strong>de</strong>n mit einer Totenmaske abgenommen.<br />

Sie zeigt uns <strong>de</strong>n Moment „danach“.<br />

Das Maskenspiel <strong>de</strong>r Theatergruppe <strong>de</strong>s Landheims Buttenhausen<br />

zeigt in vier ineinan<strong>de</strong>r fließen<strong>de</strong>n Szenen das „Davor<br />

und Danach“ eines in unserer Gesellschaft ausgegrenzten<br />

Themas.<br />

Veranstaltung <strong>de</strong>r vhs Münsingen<br />

und <strong>de</strong>s Landheims Buttenhausen


3. Veranstaltung<br />

Mittwoch, 16. November, 19.30 Uhr, Martinskirche Münsingen<br />

Ökumenischer Gottesdienst<br />

zum Buß- und Bettag<br />

Dekan Ulrich Poguntke, Evangelische Kirchengemein<strong>de</strong><br />

Pastor Martin Bültge, Evangelisch-methodistische<br />

Kirchengemein<strong>de</strong><br />

Pfarrer Klaus Bürger, Katholische Kirchengemein<strong>de</strong><br />

Ökumenischer Gesprächskreis Münsingen<br />

Seit vielen Jahren feiern die evangelische, die evangelischmethodistische<br />

und die katholische Kirchengemein<strong>de</strong> am Bußund<br />

Bettag einen gemeinsamen Abendgottesdienst.<br />

Dieses Jahr stehen Menschen im Mittelpunkt <strong>de</strong>s Gottesdienstes,<br />

die während <strong>de</strong>s Nationalsozialismus auf unterschiedlichste<br />

Weise Wi<strong>de</strong>rstand geleistet haben.<br />

Dekan Ulrich Poguntke beschäftigt sich mit <strong>de</strong>m evangelischen<br />

Theologen Dietrich Bonhoeffer. Bonhoeffer wur<strong>de</strong> im April 1943,<br />

kurz nach seiner Verlobung mit Maria <strong>von</strong> We<strong>de</strong>meyer, wegen<br />

angeblicher „Devisenaffären in <strong>de</strong>r Abwehr” verhaftet. Bonhoeffer<br />

gehörte zum Kreis <strong>de</strong>r über das Attentat vom 20. Juli 1944 unterrichteten<br />

Personen. Am 9.4.1945 wur<strong>de</strong> er nach <strong>einem</strong> persönlichen<br />

„Vernichtungsbefehl“ Hitlers im KZ Flossenbürg hingerichtet.<br />

Erst vor kurzem wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 1946 verstorbene Kardinal <strong>von</strong> Galen<br />

seliggesprochen. Er för<strong>de</strong>rte 1937 maßgeblich die Verbreitung<br />

<strong>de</strong>r Enzyklika "Mit brennen<strong>de</strong>r Sorge", eines öffentlichen Rundschreibens<br />

<strong>von</strong> Pius XI. an die katholischen Bischöfe in<br />

Deutschland. Hierin wer<strong>de</strong>n das NS-Regime und seine Kirchenund<br />

Rassenpolitik scharf verurteilt. 1941 prangert er in drei<br />

öffentlichen Predigten die Beschlagnahmung <strong>von</strong> Kirchengut und<br />

die Euthanasiemaßnahmen <strong>de</strong>r Nationalsozialisten an. Aufgrund<br />

25


26<br />

seiner Kritik am NS-Staat wird er als "Löwe <strong>von</strong> Münster" auch im<br />

Ausland bekannt. Pfarrer Klaus Bürger widmet sich in s<strong>einem</strong><br />

Beitrag diesem Mann <strong>de</strong>r Kirche, <strong>de</strong>r aus heutiger Sicht sicherlich<br />

nicht ganz unumstritten ist, <strong>de</strong>r sich aber in seiner Zeit gegen die<br />

nationalsozialistische Willkür gewandt hat.<br />

Auch Pastor Martin Bültge <strong>von</strong> <strong>de</strong>r evangelisch-methodistischen<br />

Kirchengemein<strong>de</strong> Münsingen wird eine weitere Person <strong>de</strong>s Zeitgeschehens<br />

vorstellen: Edith Stein<br />

(1891–1942) wur<strong>de</strong> als eines <strong>von</strong> 11 Kin<strong>de</strong>rn<br />

einer jüdischen Familie geboren. Sie studierte<br />

ab 1911 Psychologie in Breslau, wechselte<br />

dann nach Göttingen und studierte bei<br />

Husserl, <strong>de</strong>m sie auch nach Freiburg folgte.<br />

Im Anschluß an die Dissertation schrieb sie<br />

eine Einführung in die Philosophie, die erst<br />

posthum veröffentlicht wur<strong>de</strong>. Obwohl Husserl<br />

sie mit <strong>einem</strong> Empfehlungsschreiben unterstützte<br />

wur<strong>de</strong> ihr Antrag auf Habilitation<br />

abgelehnt. Sie kehrte nach Breslau zurück.<br />

1920 lernte sie ihre Kollegin Hedwig Conrad-<br />

Martius kennen, mit <strong>de</strong>r sie fortan eine tiefe<br />

Edith Stein 1931<br />

Freundschaft verband. Nach <strong>de</strong>m Lesen <strong>de</strong>r Autobiographie <strong>von</strong><br />

Theresa <strong>von</strong> Avila entschied sie sich 1921 zum Beitritt in die<br />

katholische Kirche. Sie ging 1922 als Lehrerin in die Mädchenbildungsanstalt<br />

<strong>de</strong>r Dominikanerinnen nach Speyer, wo sie acht<br />

Jahre als Lehrerin arbeitete. 1934 ging sie dann in das Karmelitinnenkloster<br />

Köner Karmel. Dort nahm sie <strong>de</strong>n Namen Theresa<br />

Benedicta a Cruce an. Als katholische Jüdin floh sie 1938/39 in<br />

das holländische Karmelitinnenkloster Echt, wur<strong>de</strong> aber <strong>von</strong> dort<br />

am 2. August 1942 nach Auschwitz <strong>de</strong>portiert und dort wahrscheinlich<br />

am 9. August ermor<strong>de</strong>t. (Quelle: http://www.philosophenlexikon.<strong>de</strong>/stein.htm,<br />

Bild: http://www.edith-stein.<strong>de</strong>/galerie/fotos.html)<br />

Veranstaltung <strong>de</strong>r Münsinger Kirchengemein<strong>de</strong>n


Der Eintritt zur heutigen Aufführung <strong>de</strong>ckt nur einen geringen Teil<br />

<strong>de</strong>r eigentlichen Kosten.<br />

Wenn Sie die kirchenmusikalische Arbeit unterstützen wollen,<br />

freuen wir uns über Ihre Spen<strong>de</strong>.<br />

Momentane Projekte sind:<br />

� Die Finanzierung <strong>de</strong>r heutigen Veranstaltung „Requiem für einen<br />

<strong>polnischen</strong> <strong>Jungen</strong>“. Stichwort: <strong>Kirchenmusik</strong><br />

� Die Bildung einer Rücklage für die dringend nötige Neujustierung<br />

<strong>de</strong>r Traktur <strong>de</strong>r Vier-Orgel in <strong>de</strong>r Martinskirche. Kosten ca.<br />

4.000,- €. Stichwort: Orgel<br />

Evangelische Kirchenpflege Münsingen,<br />

Stichwort <strong>Kirchenmusik</strong> o<strong>de</strong>r Orgel:<br />

KSK Münsingen 640 500 00, Konto 10 10 570<br />

Voba Münsingen 640 913 00, Konto 153 001<br />

Eine Spen<strong>de</strong>nbescheinigung wird umgehend ausgestellt.<br />

Vielen Dank für Ihre Unterstützung!<br />

27


28<br />

Wenn nicht an<strong>de</strong>rs angegeben, fin<strong>de</strong>n<br />

die Konzerte in <strong>de</strong>r Martinskirche<br />

Münsingen statt und stehen unter <strong>de</strong>r<br />

Leitung <strong>von</strong> Kantor Stefan Lust.<br />

Sonntag, 5. Februar, 17 Uhr<br />

Chorkonzert<br />

Kammerchor Münsingen<br />

Samstag, 18. März, 18 Uhr<br />

Chorkonzert<br />

Christophorus-Kantorei Altensteig<br />

Leitung: Michael Nonnenmann<br />

Samstag, 8. April, 19 Uhr<br />

Kapitelsaal Zwiefalten<br />

Sonntag, 9. April, 17 Uhr<br />

Martinskirche Münsingen<br />

Geistliche Abendmusik<br />

zur Passion<br />

Kirchenchor Münsingen<br />

Samstag, 24. Juni, 19 Uhr<br />

Stephanuskirche Gruorn<br />

Sonntag, 25. Juni, 19 Uhr<br />

Blasiuskirche Kleinengstingen<br />

Orchesterkonzert:<br />

Forum junger Solisten<br />

Orchester <strong>de</strong>r Martinskirche<br />

Münsingen<br />

Samstag, 15. Juli, 17 Uhr<br />

Föhrenberghalle Dottingen<br />

Konzert und Szenen zum<br />

Lan<strong>de</strong>smissionsfest<br />

Kin<strong>de</strong>r- und Jugendchöre<br />

Münsingen, Band<br />

Leitung: Stefan Lust<br />

<strong>Kirchenmusik</strong>alische Veranstaltungen 2006<br />

Sonntag, 16. Juli, 16 Uhr<br />

Alenberghalle Münsingen<br />

Gottesdienst zum<br />

Lan<strong>de</strong>smissionsfest<br />

Internationale Ensembles,<br />

Kirchenchöre <strong>de</strong>s Kirchenbezirks<br />

Sonntag, 24. September, 11.15 Uhr<br />

Bläser-Matinée<br />

Garda Brass, Leitung: Albrecht<br />

Schuler<br />

Samstag, 21. Oktober, 17-23 Uhr<br />

Die Münsinger<br />

Mozart-Nacht<br />

17.00 Uhr Das Leben Amadés<br />

Kin<strong>de</strong>rchöre <strong>de</strong>r Martinskirche<br />

18.30 Uhr Sinfoniekonzert<br />

Haffner-Sinfonie, Hornkonzert<br />

Orchester <strong>de</strong>r Martinskirche<br />

20.00 Uhr Dominicusmesse<br />

Vokalsolisten, Chor, Jugend-chor<br />

und Orchester <strong>de</strong>r Martinskirche<br />

22.00 Uhr Orgelkonzert<br />

Eintritt zu allen Konzerten frei<br />

Samstag, 25. November, 18 Uhr<br />

Konzert zum Totensonntag<br />

Chor und Orchester <strong>de</strong>r Lukaskirche<br />

Stuttgart, Leitung: Hans-<br />

Eugen Ekert<br />

Sonntag, 10. Dezember, 16 Uhr<br />

Gemein<strong>de</strong>haus Münsingen<br />

Kammermusik-Benefizkonzert<br />

Der Erlös ist für die Renovierung<br />

<strong>de</strong>s Gemein<strong>de</strong>hauses bestimmt

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