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Leseprobe - Hatje Cantz Verlag

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»Malschule für Weiber« und Leben mit Charlotte Berend<br />

© Peter Kropmanns / <strong>Hatje</strong> <strong>Cantz</strong> <strong>Verlag</strong>, Ostfildern<br />

»LOUIS CORINTH – Malschule für Akt und Portrait. Vom 15. Oktober an: Berlin NW.,<br />

Klopstockstraße 52, III. Auskunft wird erteilt: im Bureau der Secession«, lautet das Inserat,<br />

das Corinth 1901 in den Katalog der neuen Ausstellung der Secession setzt. Er fühlt sich als<br />

Lehrer berufen, und die alte Idee, in Berlin eine »Malschule für Weiber« einzurichten,<br />

gewinnt 1901 an Aktualität. Am 14. Oktober 1901 eröffnet er eine solche, und als sei dies<br />

nicht Ereignis genug, erscheint als erste Schülerin eine junge Frau bei ihm, die ihn, wie wir<br />

sehen werden, nie wieder verlassen wird.<br />

Das Echo auf die neu gegründete Schule ist recht gut. Im Oktober 1901 verkündet Corinth:<br />

»Ich habe vor lauter Arbeit keine Zeit: Schülerinnen drängen sich gegenseitig – colossal.«<br />

Dass dies mit Schattenseiten verbunden ist, wird ihm schnell bewusst: Er müsse jetzt der<br />

Schule wegen immer früher aus Restaurants und Kneipen fortgehen – schon um ein Uhr<br />

nachts! Bald wird er merken, dass es manchmal an Anmeldungen fehlt, und er ist dann froh,<br />

dass er an einer anderen Akademie, in den Ateliers Lewin-Funcke (Schillerstraße 105 und<br />

Kantstraße 159), wo auch Heinrich Zille Lehrer ist, und in Ateliers einzelner Schüler<br />

korrigieren und Geld verdienen kann. Die Touren zu den »Filialen«, wie er es nennt, wenn<br />

er Haus und Atelier verlassen muss, sind zwar lästig, aber unerlässlich. Die Nachfrage ist<br />

zu anderen Zeiten wiederum so gut, dass er durch das Unterrichten der im Voraus seine<br />

Leistungen honorierenden Schüler nicht nur einen Teil seines Lebensunterhalts bestreitet,<br />

sondern sich auch so gebunden fühlt – und es ist –, dass er kaum aus Berlin herauskommt.<br />

Nur im Sommer kann er dann längere Reisen unternehmen.<br />

Die private Akademie in der Klopstockstraße unterhält er offenbar bis zum Ersten Weltkrieg.<br />

Zu den Damen, die anfangs kommen und fotografiert werden, gehören Lisa Winchenbach,<br />

Lilli Waldenburg und die Fräuleins Lehfeld, von Ubich und Wolff. Eine Amerikanerin,<br />

Frau Dr. Lippmann, »Die Doktor’sche« genannt, ist auch darunter. Zu seinen Eleven dort<br />

oder bei Lewin-Funcke werden im Weiteren auch Minna Tube, Max Beckmanns erste Frau,<br />

und Männer wie Ewald Mataré, Jakob Steinhardt, Oskar Moll und August Macke gehören.<br />

Rückblickend ist er stolz auf »eine sehr große Menge von Schülern und Schülerinnen«,<br />

insbesondere auf »eine ziemliche Anzahl« junger Talente, die »für die zukünftigen Zeiten<br />

tüchtige Menschen zu werden versprachen«. In seinen Erinnerungen betont er vor allem: »Für<br />

mich war aber die Malschule zugleich ein Arbeiten an mir selbst. Nun wurde mir auch zuerst


vieles klar, was meine Lehrer mir bereits früher begreiflich machen wollten. Fortwährend<br />

Modelle um sich zu sehen ist ebenfalls höchst lehrreich. Auf jeden Fall rate ich einem<br />

Künstler, seine letzte Vollendung durch Unterricht selbst zu erringen zu suchen.«<br />

Umgekehrt schreibt Macke 1907 an seine Zukünftige: »Er ist trotz seiner Ruppigkeit doch<br />

ein Kerl, der einem, wenn man selbst mit will, viel, viel beibringen kann. Vor allem nimmt<br />

er selbst die Kohle in die Hand oder den Pinsel und zeigt einem, wie er es machen würde. [...]<br />

Er merkt es allen an, ob man frisch ist oder nicht. ›Wenn Sie schlapp werden und murksen,<br />

fangen Sie lieber etwas anderes an. Nur frisch bleiben.‹ Das sagt in der Akademie niemand.<br />

Er ist sehr ehrlich und sachlich, und ich fühle mich immer erfrischt nach der Korrektur.«<br />

Ist die Gründung der Malschule 1901 bereits eine entscheidende Station in Corinths Leben,<br />

so ist die Begegnung mit der ersten Schülerin, die sich ihm vorstellt – Charlotte Berend –,<br />

geradezu schicksalhaft. Charlotte, die 1880 in Berlin geborene, in der Kochstraße und dann<br />

in der Charlottenburger Kantstraße gemeinsam mit ihrer 1875 geborenen Schwester Alice<br />

aufgewachsene Tochter des Baumwollfabrikanten Ernst Berend und seiner Frau Hedwig,<br />

stammt aus gutem, vermögendem Haus. Leid kommt erst über die Familie, als sich Ernst<br />

Berend 1900 umbringt und seine Hinterbliebenen ein beträchtliches Vermögen verlieren.<br />

Spätestens im Juni 1902, nach einer Parisreise, beginnt Lovis Corinth, seine aparte, höchst<br />

attraktive, vor Charme sprühende und heitere Schülerin zu umwerben. Ein erster Brief wirkt<br />

besonders nach heutigem Sprachverständnis direkt und ungeschickt: »Ich würde mich freuen,<br />

wenn Sie mal zu mir ran kommen, so es Ihre kostbare Zeit erlaubt.« Charlotte hat jedenfalls<br />

Zeit, lässt sich von ihm malen und bald schon auf eine Reise an die Ostsee ein, wo sie sich<br />

näherkommen. Recht schnell muss sich Corinth über den Ernst der Lage klar sein: »... ich bin<br />

immer noch ein armer Maler«, schreibt er einem Bekannten im Juni 1902: »Freilich habe ich<br />

auch von vier Sachen drei verkauft. [...] Der Verkauf ist aber reiner Zufall. Ich könnte immer<br />

noch nicht einen eigenen Hausstand gründen.«<br />

Das erste Bild, das Corinth von Charlotte malt, Porträt Charlotte Berend im weißen Kleid,<br />

zeigt sie als Ganzfigur vor einer Wand stehend; über den rechten Arm hat sie ein Tuch<br />

geworfen, in der linken Hand hält sie einen Zweig, und um die Hüfte des weißen Kleids ist<br />

eine dunkle Schärpe gelegt. Corinth signiert: »Frl. Charlotte Berend der Herr Lehrer Lovis<br />

Corinth 1 Juli 1902.« Ein weiteres, im Oktober 1902 entstehendes Gemälde zeigt sie bereits<br />

in deutlich weniger keuscher Weise: Im Selbstporträt mit Charlotte Berend und Sektglas stellt<br />

er sie mit entblößtem Oberkörper dar, sie mit seiner Rechten von hinten umfassend und mit<br />

seiner Hand ihre Brust in Besitz nehmend. Sie nennt ihn fortan Lu, Lue oder Luke, ähnlich


wie man Louis als Jungen in Ostpreußen rief, und er nennt sie Petermannchen, was auf eine<br />

Anekdote zurückgeht, mit der sie ihn an der Ostsee nachhaltig amüsierte.<br />

Ob er einen Hausstand würde finanzieren können, wird ihm oft durch den Kopf gehen; dabei<br />

kommen auch Dialoge mit seinem Vater hoch: »Du sollst nur ein Mädel heiraten, das du<br />

liebst und die dich liebt, es ist ganz gleich, ob sie arm ist. [...] – Und wenn es nun eine Jüdin<br />

wäre? – Das wäre auch recht [...], wenn sie dich sehr lieb hat und wenn sie gebildet ist.« Am<br />

26. März 1904, sie kennen sich seit zweieinhalb Jahren und Charlotte ist schwanger, heiraten<br />

die beiden (nur) standesamtlich; am 13. Oktober 1904 wird ihr erstes Kind Thomas Ernst<br />

Franz geboren. 3<br />

Corinth, der eine dauerhafte Beziehung zuvor offenbar nicht angestrebt und als Junggeselle<br />

im Berlin der 1890er-Jahre und um 1900 Weihnachten mitunter bei dem Kunstkritiker und<br />

Sammler Julius Elias und seiner Familie verbracht hat, erlebt im Alter von 45 Jahren durch<br />

die Begegnung mit der über 20 Jahre jüngeren Charlotte eine grundlegende Veränderung<br />

in seinem Leben, die ihn auch künstlerisch gefestigt haben muss. Reichlich mit Mann und<br />

Kind beschäftigt und ausgelastet, setzt Charlotte Berend-Corinth ihre eigene künstlerische<br />

Tätigkeit dagegen nur mit Einschränkungen fort, zumindest solange Thomas klein ist.<br />

Charlotte ist fortan Muse und Modell, größtenteils aber auch Gattin, Mutter und Hausfrau,<br />

während Corinth seine Laufbahn seelisch gestärkt mehr oder weniger unberührt von<br />

familiären Pflichten fortsetzen kann: Er verdient das – anfangs noch – wenige Geld. Sie<br />

hört ihm zu, bremst ihn und heitert ihn mit ihrem positiven Denken auf. Der Altersunterschied<br />

ist manchmal nicht unproblematisch. Dennoch deutet alles daraufhin, dass Charlotte<br />

kein Heimchen am Herd ist, das zurücksteckt, sich nur aufs Kochen und Kurieren von<br />

Kinderkrankheiten konzentriert, sondern eine selbstständige, aus großbürgerlichen<br />

Verhältnissen stammende »moderne Frau«. Eine junge, dynamische Frau, die Freiräume<br />

beansprucht – selbst, auch an fernen Orten, malen zu können – und sie durchsetzt oder<br />

zugestanden bekommt, sodass Corinth sich phasenweise um den Haushalt und den<br />

Nachwuchs kümmert. Dies allerdings nicht ganz ohne auf die Hilfe der Schwiegermutter<br />

Hedwig Berend zu zählen, seit dem Selbstmord ihres Mannes Witwe und nur wenige<br />

Jahre älter als Corinth. Während er sie stets siezt und Belle Mère ruft (französisch für<br />

Schwiegermutter), siezt sie ihn umgekehrt und nennt ihn Meister. Corinth malt sie vor<br />

allem später sehr oft und versteht sich mit ihr ausgezeichnet, schon weil man mit ihr über<br />

Geschichte und Politik reden kann, was Corinth leidenschaftlich gern tut.<br />

Corinths Malschule in der Klopstockstraße und das Korrigieren außer Haus sind eine<br />

Einnahmequelle, auf die er nicht verzichten kann. Denn trotz gelegentlicher Verkäufe von


Bildern – manchmal erzielt er ganz stattliche Preise – lebt er mit Flauten, Verzögerungen<br />

und Form annehmenden Aufträgen, die dann doch im Sande verlaufen. 1902 lässt er wissen:<br />

»Nebenan höre ich meine Schülerinnen zwitschern, das ist mir immer noch das einzig<br />

Nahrhafte.«<br />

Das Klagen über bisweilen flaue Geschäfte oder das Mitteilen von Aufträgen und Erfolgen<br />

bleibt von dieser Zeit an integraler Bestandteil der Korrespondenzen des Künstlers,<br />

insbesondere auch der mit Charlotte, die naturgemäß anfangs recht amourös und so intim<br />

sind, dass sich die beiden manchmal passagenweise, um das Lesen ihres recht gepflegten<br />

Sütterlins für Dritte zu erschweren, in Spiegelschrift schreiben.<br />

Zahlreiche Reisen, die Corinth oder Charlotte jeweils ohne den Partner unternehmen, sind<br />

Gelegenheiten, sich Bericht zu erstatten. Charlotte ist ihm eine Vertraute, der er sich ganz<br />

öffnet und die ihn bändigt und beruhigt. Sie weiß ihn zu nehmen und klagt selten; ihre<br />

Beziehung entwickelt sich offenbar in einem recht ausgewogenen Kräfteverhältnis, bei dem<br />

weder er noch sie dominiert, wenn er auch manchmal donnert und ein aus ostpreußischer<br />

Kindheit und dem 19. Jahrhundert stammendes Rollenverhalten an den Tag legt. 1906<br />

schreibt er Charlotte: »Dein Brief liest sich wie von einem Backfisch und nicht von einer<br />

Frau, die doch zum Besten des Ganzen manches hintenansetzen sollte und auch ein gutes<br />

Gesicht machen sollte, wenn es nicht gar so angenehm ist. [...] Du gehst von der<br />

Voraussetzung aus, Du wärest fehlerfrei. Denke aber auch einmal nach, ob Du wirklich<br />

immer im Recht bist. Ich beurteile doch Deinen Charakter neben warmer Empfindung als sehr<br />

egoistisch, gleich bist du die mißverstandene Nora und glaubst Dich vollständig verraten. [...]<br />

Solltest Du irgendwie glauben, daß mein Alter für Deine Jugend zu unverständlich ist, so<br />

muss an Änderung gegangen werden; jedenfalls will ich Klarheit und Vertrauen und kein<br />

Gejammer ...« Umgekehrt kann auch sie Bedürfnisse artikulieren, und es erscheint plausibel,<br />

Corinths deutliche Worte weniger als Anzeichen für eine permanente Unterdrückung, sondern<br />

als gelegentliche Explosion beim Aufeinanderprall zweier starker Charaktere zu begreifen,<br />

die in der Regel sehr gut miteinander auskommen. Charlotte nimmt umgekehrt, gerade aus<br />

einer Haltung heraus, die zu viel Unterwürfigkeit nicht erlauben würde, vieles in die Hand<br />

und stärkt ihm den Rücken, dabei Diplomatie, große Nachsicht und viel Geduld beweisend. In<br />

jedem Fall scheint es sie nicht über Gebühr zu stören, dass er einen aus seiner Königsberger<br />

und Münchner Zeit nach Berlin hinübergeretteten Durst hat, der bemerkenswert gewesen zu<br />

sein scheint: »Die Influenze liegt in der Luft«, schreibt er ihr 1903. »Ich selbst kann mich<br />

wohl jetzt für vollständig gesund erklären. Die letzten Tage war ich unentschieden, ob ich<br />

das Übelbefinden dem Suff oder einer Krankheit zuschreiben sollte; es wird wohl aber der


Suff gewesen sein. Jetzt rauch’ ich auch wieder [...]. Beim Verleger [Bruno] Cassirer habe ich<br />

aus dem Hefte vorgelesen und wie ich mich eine Stunde abgequält habe und kaum das Maul<br />

noch rühren kann, [...] sagt der Kerl, daß er Vorgelesenes nicht recht gut hören und verstehen<br />

kann; er müßte es selbst lesen. [...] Ich hab ihm dafür nachher auch zwei Flaschen Wein nebst<br />

Cognac und Cigarren vertilgt, was mir aber wieder gestern einen etwas benommenen Kopf<br />

gemacht hat.« Unbeteiligt steht sie seinem Konsum nicht gegenüber: »Saufst Du viel, ohne<br />

Deine Kontrolle, Lukemann?«, fragt sie ihn kurz darauf und fügt hinzu: »Sei brav und lass’<br />

das Saufen.« Doch sie versteht, dass es ihm, der Raubein und Draufgänger mimt, dabei hilft,<br />

im Kreise anderer seine Hemmungen, zumindest seine oft auffällige Wortkargheit zu<br />

überwinden, sich mitzuteilen, zu singen und zu lachen. Zwei Jahre später, 1905, schreibt<br />

Corinth der im Harz weilenden Charlotte: »Bin ich fidel, dann bin ich eingeladen und schöpp<br />

mir die Stiebel voll, und sonst bin ich für mich gern allein zur Erholung und geh’ früh in den<br />

Spreewald [so bezeichnet er rätselhaft sein großes Bett mit Messinggestell] ...« Und kurz<br />

danach: »Mir sind die Glieder noch ganz schwer von gestern Abend Kegelschieben; zwei<br />

Glas Grogg, zwei Schnaps Edelkorn, und stumpfsinnige Unterhaltung und fünf Glas Bier<br />

und vorher zwei halbe [Flaschen] Rotwein.« Nach derlei Abenden wird ihm der nach allen<br />

Richtungen strahlende Große Stern zum Verhängnis: »... wenn ich besoffen nach Hause<br />

wollte, stand hier immer ein Schutzmann«, erinnert er sich später. »Er kannte mich schon, hob<br />

nur den Arm und deutete nach Nordwesten. [...] ich bin manche Nacht ein halbdutzendmal<br />

wie in einem Karussell um den Platz gelaufen, ehe ich endlich die richtige Kurve fand.«<br />

1902 und 1903 pflegt er intensiv Kontakte, um an Aufträge zu kommen, doch weder beim<br />

Gespräch mit einer Dame, »die so’n Collier mit acht Reihen und eine große Kette, alles<br />

erbsengroß und Siegelringe« hat, noch bei der Unterhaltung mit einer anderen, die er bei einer<br />

Gesellschaft in einer Villa im Grunewald kennenlernt und welche – damals eine Sensation –<br />

über ein eigenes Automobil verfügt, kommt ein Auftrag zustande – »also wieder nischt«,<br />

entfährt es ihm. Selbst Max Reinhardt, der ihn auf Bühnendekoration und Figurinen für<br />

Pelléas et Mélisande anspricht, hält ihn – seiner Auffassung nach – hin.<br />

Von dramatisch sich dem Ende zuneigenden Ressourcen wird umgekehrt nichts bekannt;<br />

Corinth lebt schließlich auch von Mietzinsen der geerbten Königsberger Immobilien und<br />

schafft es immer wieder, etwas zu verkaufen – zumeist Gemälde – und Kontakte zu Sammlern<br />

aufzubauen. Natürlich ist seine Aktivität in der Berliner Secession dabei eine nützliche Hilfe.<br />

Er engagiert sich in der Künstlervereinigung jedoch vermutlich zu keiner Zeit hauptsächlich<br />

aus merkantilen Gründen. 1903 beginnt das ehrenamtliche Verwalten und Organisieren –<br />

besonders das Heranschaffen von Werken für die Ausstellungen –, das er dort betreibt,


ichtiggehend Arbeit zu machen, wobei ihn tröstet: »Jeden Freitag kommen wir da zusammen<br />

und fressen und saufen wir da auf die feinste Weise.« Auch Charlotte gelingt es offenbar<br />

nicht, seinen rüden Ton zu domestizieren, aber die Deutlichkeit und Grobheit seines<br />

sprachlichen Ausdrucks in vertraulichen Briefen, auf die wir uns allein stützen, darf man<br />

auch nicht überbewerten; etepetete zu sein war seine Sache sicherlich nicht, aber auch vulgär<br />

ist er offenbar nie geworden.<br />

In dieser Zeit ist Corinth außerordentlich häufig mit dem Verfassen von Artikeln für<br />

Zeitungen und Zeitschriften beschäftigt, die seinen Ruf mehren, eine Stimme zu haben.<br />

Nebenher macht er sich Notizen, die zu verschiedenen, kurz hintereinander erscheinenden<br />

Büchern führen: Das Erlernen der Malerei (1908), Legenden aus dem Künstlerleben (1909),<br />

Das Leben Walter Leistikows. Ein Stück Berliner Kulturgeschichte (1910). Außerdem schreibt<br />

er auch an seinen Memoiren, an denen er fast 25 Jahre immer mal wieder, intensiver vor<br />

allem im letzten Lebensjahrzehnt, arbeitet.<br />

In jenen frühen Ehejahren sind in der Klopstockstraße Wohnung und Atelier, bestehend aus<br />

einem eigenen und einem für Schüler, untergebracht, während Charlotte sich ein eigenes<br />

Atelier in Moabit und er selbst vorübergehend ein weiteres in der nahen Händelstraße 17<br />

beschafft, vermutlich wegen der Geburt des ersten Kindes. Insgesamt lebt man weder auf<br />

großem Fuß noch in großzügig bemessenen Räumen; allerdings sind die Wohnverhältnisse<br />

auch nicht ganz so beengt, wie man meinen könnte: Neben dem großen Atelier mit Oberlicht<br />

gibt es weitere kleinere Zimmer, Küche und Abort. Ein Waschtisch sorgt für Sauberkeit.<br />

Der Familienzuwachs 1904 geht einher mit den sich stetig aufwärts entwickelnden<br />

Vermögensverhältnissen, die bald schon erlauben werden, sich innerhalb des Hauses<br />

auszudehnen und sogar Dienstboten einzustellen. Früh erreicht man Lovis und Charlotte<br />

Corinth fernmündlich unter Amt II-5502, später Moabit 5502; das Telefon ist Indiz für<br />

Komfort; nun ist auch ein richtiges Badezimmer mit fester Wanne vorhanden. Klappern<br />

gehört zum Handwerk, sagt man, und Geschäftsleute, auch wenn sie Künstler sind, klagen<br />

immer ein wenig. Im Frühling 1910 schreibt er Charlotte: »Die Malschule ist verflucht leer;<br />

ich glaube, daß auch schon für Mai nicht viel rauskommen wird.« Doch kurze Zeit später<br />

teilt Corinth ihr mit: »Na, nun können wir wohl sagen, ›was kost’t die Welt?‹; denn Du<br />

malst doch nun auch auf Bestellung.«<br />

1905 scheint tendenziell das monatliche Zittern über die genaue Höhe des Einkommens einer<br />

stabileren Situation gewichen zu sein. Bei Feiern in der Klopstockstraße – dort finden auch<br />

zukünftig viele Feste statt – reicht man zum Beispiel Lachs mit neuen Kartoffeln, Filet naturel<br />

und Artischocken à l’anglaise sowie Eis und Früchte oder Hummermayonnaise, Filet mit


Gemüse, Weinbeertorte mit Sahne sowie Käse und Obst. Im Januar 1906 notiert Charlotte<br />

in ein für Sohn Thomas angelegtes Kindertagebuch: »Wir sind jetzt enorm viel eingeladen,<br />

zu sehr eleganten Festlichkeiten, bei den größten Finanzleuten von Berlin – ein jeder spricht<br />

bewundernd von Deinem Papa, meinem geliebten Luke.«<br />

Der Alltag der Corinths stellt sich um 1905 als Fülle von Ereignissen eines ungemein<br />

intensiven Lebens dar, und zwischen zwei Feiern begegnet man den kleinen Katastrophen des<br />

Lebens, wartet auf Handwerker, die nicht kommen, verhandelt mit Kunden, die verhandeln<br />

wollen, besorgt in der Hardenbergstraße Malmaterial, erbittet bei Sammlern, die Corinths<br />

besitzen, Leihgaben für Ausstellungen, schreibt deswegen Unmengen an Rohrpost und<br />

anderen Karten und Briefen und kümmert sich um das Dienstmädchen, das »wahrscheinlich<br />

infolge von heimlichem Trinken der Weinreste« nach einem großen Atelierfest »Deliriums-<br />

Anfälle« hat und sofort in ein Hospital muss. Es folgt »eine häßliche Zeit, da wir keine<br />

Dienstboten, nur Aushülfen hatten, die uns beständig im Stich ließen«, wie Charlotte 1907<br />

festhält.<br />

Charlotte steht ihrem Mann nach wie vor nicht nur im Alltag zur Seite, sondern sitzt oder<br />

steht ihm auch weiterhin Modell. Neben vielen Bildern, die Charlottes Züge wiedergeben,<br />

entstehen in jenen Jahren zahlreiche Auftragsarbeiten der besseren Gesellschaft Berlins –<br />

zumeist Porträts. Corinth ist und bleibt ein exzellenter Bildnismaler und wird als solcher von<br />

einer solventen Klientel anerkannt. Dennoch beschränkt er sich nicht auf diese Bildgattung,<br />

setzt seine Experimente fort und hält, ganz Kind seiner Zeit – es ist das späte 19. Jahrhundert,<br />

das zu Ende geht, als er 42 Jahre alt ist, und ihn prägt –, am Inbegriff Erfolg versprechender,<br />

sagen wir besser Ruhm versprechender, gesellschaftsfähiger Malerei fest: an Darstellungen,<br />

die Geschichte und Mythologie zum Thema haben und die selbst ein wesentlich jüngerer<br />

Maler wie Max Beckmann noch behandelt, freilich und nicht ohne Grund als einer der Letzten<br />

seiner Generation.

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