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Rede zur Trauerfeier für Gerd Hatje von Uwe M. Schneede

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<strong>Rede</strong> <strong>zur</strong> <strong>Trauerfeier</strong> <strong>für</strong> <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Uwe</strong> M. <strong>Schneede</strong> am 15. September 2007 in der Staatsgalerie Stuttgart<br />

Liebe Caroline,<br />

liebe Freunde <strong>von</strong> <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong>,<br />

wir sind versammelt, um in einer Stunde des Gedenkens jeder <strong>für</strong> sich und gemeinsam<br />

Abschied <strong>von</strong> <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong> zu nehmen, wir, die Freunde, sind versammelt, denn wenn man es<br />

richtig betrachtet, hat <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong> eigentlich in allen, mit denen er nah oder weniger nah,<br />

persönlich oder geistig oder geschäftlich zu tun hatte, stets Freunde, Mitstreiter im Kulturellen<br />

gesehen, und selbst wenn man ihm als dem Verleger gegenübersaß, war er eher der Verleger<br />

als Freund denn der Verleger als Geschäftsmann.<br />

Vielleicht, <strong>Gerd</strong>, warst Du gar kein besonders guter Geschäftsmann, aber ein großer Freund<br />

warst Du und ein großer Verleger. Jetzt hast Du das alles hinter Dir gelassen, ein langes Leben<br />

voller Leidenschaft <strong>für</strong> die Architektur, <strong>für</strong> die Kunst, <strong>für</strong> die Musik, <strong>für</strong> die Bücher – und vor<br />

allem <strong>für</strong> die Menschen.<br />

Das bezeugen jetzt wir als Freunde, die wir an diesen Leidenschaften und an Deiner unbändigen<br />

Bildungsneugierde haben teilnehmen können, dieser Neugierde, die jedes Gespräch und<br />

jedes Telefonat nach der Erledigung des Notwendigen sogleich in die Länge und vor allem<br />

in die Tiefe führte, weil Du im Gespräch alles genauer bedenken wolltest, die neue Operninszenierung<br />

in Salzburg, die alte Kirchenarchitektur in Kalabrien, die letzte Ausstellung in<br />

Paris, die Biennale in Venedig, die jedes Mal wieder Deine Neugierde weckte.<br />

Du wolltest Urteile hören und Dich mit ihnen auseinandersetzen, immer auf dem Weg,<br />

aufgeschlossen, entflammbar, begeisterungsfähig, aber eben auch stets kritischen,<br />

unabhängigen Geistes.


Schließlich mußtest Du Dich gelegentlich den schwindenden Körperkräften beugen, doch das<br />

neugierige Reisen mit engen Freunden hörte bis vor kurzem nicht auf; noch im ganz hohen<br />

Alter lerntest Du systematisch Italienisch, um es endlich flüssig sprechen zu können; und bis<br />

zum Schluß warst Du in bewundernswerter Weise noch täglich im Verlag tätig, mit Recht stolz<br />

darauf, daß Du weiterhin am Gedankenfluß und an der Produktion teilnehmen konntest.<br />

Aber dann fandest Du doch – so habe ich Dich bei unseren letzten Treffen und Telefonaten<br />

verstanden –, daß nun alles an ein Ende gekommen sei und Du alles hattest erleben können,<br />

was in ein einziges Leben hineinpaßt, viele Höhen und manche persönlich schwerwiegenden<br />

Tiefen.<br />

Liebe Freunde <strong>von</strong> <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong>,<br />

wir haben uns versammelt, um Abschied zu nehmen und gemeinsam zu trauern über den<br />

endgültigen Weggang <strong>von</strong> <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong>, der uns über Jahrzehnte so ans Herz gewachsen ist,<br />

daß wir uns Kunst, Kultur und Leben, daß wir uns eindringliche Gespräche über Kunst, Kultur<br />

und Leben ohne ihn kaum vorstellen können.<br />

Stets werden wir seine stattliche und elegante Erscheinung vor Augen haben, das nicht laute,<br />

aber vernehmliche und animierende Lachen, eher verschmitzt, eine Verschmitztheit, die auf<br />

dem Einverständnis über eine gelungene Formulierung oder eine gemeinsame Einsicht oder<br />

Empfindung beruhte, eine Verschmitztheit, die immer mitschwingend das Klima der Freundschaft<br />

festigte.<br />

Wir werden den weltläufigen Genießer in Erinnerung behalten, den Genießer des Lebens,<br />

den Genießer der Kultur, des Fliegenfischens, den Genießer des Büchermachens und der<br />

gelungenen Formulierungen.<br />

Mit all diesem wird er uns fehlen, aber unendlich vieles, das er geschaffen hat, wird uns<br />

bleiben und wird auch nach uns bleiben – das sind die Bücher, das ist der Geist der Moderne,<br />

das ist die aufrechte Haltung der Aufklärung.<br />

Apropos weltläufig. Meine Frau und ich waren 1969 zum erstenmal mit anderen Freunden<br />

zu einem Abend in das Haus an der Heidehofstraße eingeladen (dessen Vorbau über der Eingangstreppe<br />

ja Stirlings Vorbild <strong>für</strong> die Ädikula dieses Museums werden sollte).<br />

Das war, genauer gesagt, am 21. Juli 1969, dem Tag, als Neil Armstrong als erster Mensch einen<br />

Fuß auf den Mond setzte. Wir sahen das Ereignis gemeinsam im Fernsehen an, Ursel, <strong>Gerd</strong> und<br />

die Gäste, wir schauten dann gemeinsam an diesem Sommerabend im Garten sitzend in den<br />

Himmel, und <strong>für</strong> uns beide – meine Frau war seit knapp einem Jahr hier an der Staatsgalerie<br />

tätig, ich am Württembergischen Kunstverein – <strong>für</strong> uns beide ging in diesem Moment im<br />

damals etwas engen Stuttgart symbolisch eine Tür in die große Welt auf, und <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong>, der,<br />

so schien es mir damals, immer gerade aus London, Paris, vom Fliegenfischen oder aus New<br />

York kam, war die Verkörperung dieser Weltläufigkeit.<br />

<strong>Rede</strong> <strong>zur</strong> <strong>Trauerfeier</strong> Seite 2


<strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong> war ein Verleger der ersten Stunde, eigentlich, sagte er mir einmal im Gespräch,<br />

habe er einen Nachhol-Verlag geführt, einen, der nachholen wollte, was die Nationalsozialisten<br />

unterdrückt, verboten und zerstört hatten.<br />

Angefangen hatte er als Schriftsetzer. Denn sein Vater, sehr belesen, erst Buchbinder, dann<br />

Eisenbahner und Gewerkschaftssekretär, war der Meinung, als Schriftsetzer mache man<br />

seinen Weg, fünf Ministerpräsidenten seien schließlich Schriftsetzer gewesen. Jedenfalls sah<br />

er den Sohn wohl als jemanden, der seinen Weg machen werde. Da war die Familie schon<br />

<strong>von</strong> Altona, das damals noch nicht zu Hamburg gehörte, erst nach Berlin und dann 1930 nach<br />

Stuttgart übergesiedelt. Der junge <strong>Gerd</strong> war damals, was er später gern erwähnte, bei der<br />

Sozialistischen Arbeiterjugend, der Jugendorganisation der SPD.<br />

Wir hatten keine Vorstellungen <strong>von</strong> den Schwierigkeiten und Nöten der Familie <strong>Hatje</strong>.<br />

Jetzt wissen wir mehr durch den Bericht <strong>von</strong> Caroline <strong>Hatje</strong>. Der Vater war Sozialdemokrat,<br />

die Mutter Jüdin, eines Tages holte man sie ab, ermordet wurde sie in Auschwitz.<br />

Weil er Jude war, galt <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong> als »wehruntüchtig«, mußte also nicht <strong>zur</strong> Wehrmacht,<br />

gefährdet war er gleichwohl. So lebte er die letzten Monate des Kriegs verborgen im Schwarzwald.<br />

Daß die Befreiung dort ausgerechnet am Tag seines 30. Geburtstags, am 14. April 1945, stattfand,<br />

hat er stets als das größte Geburtstagsgeschenk seines Lebens empfunden.<br />

Als alles neu zu beginnen hatte, wurde der Vater Arbeitsdirektor bei der Bundesbahn, und<br />

sein Sohn war Schriftsetzer, der sich aber in den Kopf gesetzt hatte, selbst Bücher zu machen,<br />

schöne Bücher sollten es werden, Belletristik allemal, das hatte noch mit den Büchern zu<br />

Hause, mit der Belesenheit des Vaters zu tun.<br />

Erstaunlich schnell erhielt er, natürlich weil er politisch unbelastet war, sowohl <strong>von</strong> der<br />

französischen als auch <strong>von</strong> der amerikanischen Militärregierung eine Lizenz. »Sie können«,<br />

sagte ein Besatzungsoffizier, »ein guter Verleger werden, aber ob ein sehr guter, weiß ich<br />

nicht.«<br />

Als die Sprache darauf kam, daß er Jude sei, hieß es: »Dann sind Sie ja ein guter Geschäftsmann.«<br />

Das Schwergewicht lag zunächst bei älterer und neuerer Literatur: <strong>von</strong> Georg Büchner und<br />

Heinrich Heine und E. T. A. Hoffmann bis zu den verfemten Expressionisten; »Lyrik der Verbannten<br />

und Verbrannten« war einer der ersten Titel.<br />

Ein Ausstellungskatalog war 1946 auch bereits unter den ersten 16 Publikationen: Max Beckmann,<br />

zu einer Ausstellung hier in der Staatsgalerie.<br />

<strong>Rede</strong> <strong>zur</strong> <strong>Trauerfeier</strong> Seite 3


1950 konnte <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong> zwei Reisen machen, die sein weiteres verlegerisches Leben maßgeblich<br />

bestimmen sollten: nach Paris, wo er in die Welt der modernen Kunst eintauchte,<br />

wo er den großen Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler, Picassos Galerist <strong>von</strong> Anfang an,<br />

kennenlernte. Mit Kahnweiler sollte er außerordentlich eng zusammenarbeiten; mit seinem<br />

Nachfolger Maurice Jardot eng befreundet sein.<br />

Picasso, Braque, Matisse, Giacometti – das war ja etwas völlig Neues in der unmittelbaren<br />

Nachkriegszeit, auch <strong>für</strong> <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong>, der aber sogleich ein Gespür <strong>für</strong> ihre Bedeutung<br />

entwickelte, auch weil er seinen neuen französischen Freunden vertraute, die sich da schon<br />

entschieden sicherer waren.<br />

Und die zweite Reise führte ebenfalls im Jahr 1950 mit einer Gruppe <strong>von</strong> westdeutschen<br />

Verlegern in die Vereinigten Staaten; in New York gingen die anderen ins Hotel, er konnte sich<br />

nur den YMCA am Columbus Circle leisten, aber da kam er ins Gespräch und mußte englisch<br />

sprechen, also lernen. Tief beeindruckt war er in den USA vor allem <strong>von</strong> der Architektur der<br />

Moderne.<br />

Daraus entwickelten sich die beiden Hauptfelder seiner herausragenden verlegerischen<br />

Tätigkeit:<br />

– zum einen Malerei und Skulptur der Moderne auf höchstem Niveau,<br />

– zum anderen und vor allem: die Architektur der Moderne<br />

Schon in den 50er Jahren sollten lauter Standardwerke bei <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong> erscheinen: der Klee und<br />

der Hans Arp <strong>von</strong> Carola Giedion-Welcker, das Werkverzeichnis der graphischen Werke Picassos<br />

<strong>von</strong> Bernhard Geiser und das Chagall-Graphik-Verzeichnis <strong>von</strong> Franz Meyer, der Ensor <strong>von</strong> Paul<br />

Haesaerts, Kahnweilers grundlegendes Werk über den Kubismus und Carola Giedion-Welckers<br />

beispielhafte Gesamtdarstellung der Plastik des 20. Jahrhunderts.<br />

Dem folgten dann später weitere Standardwerke, Reinhold Hohls Giacometti,Werner Spies’<br />

Publikation aller plastischen Werke <strong>von</strong> Picasso,William Rubins »Dada und Surrealismus« –<br />

das alles sind Bücher, <strong>von</strong> denen die Kunstwelt noch heute zehrt.<br />

Charakteristisch <strong>für</strong> das Verlagsprogramm war schon bald die Internationalität, nämlich die<br />

enge Zusammenarbeit mit Verlegern, die gleichfalls zu den Freunden gehörten, besonders<br />

Fritz Landshoff <strong>von</strong> Abrams in New York und Thomas Neurath <strong>von</strong> Thames and Hudson in<br />

London.<br />

Ebenfalls sehr früh, seit 1963, widmete sich <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong> in einer eigenen Buchreihe unter dem<br />

Sammeltitel »Kunst heute«, die bald <strong>von</strong> Werner Spies herausgegeben wurde, systematisch<br />

und im kleineren Buchformat der zeitgenössischen Kunst in Monographien. Dabei kam es<br />

übrigens auch zu unserer ersten Zusammenarbeit: der 16. Bd., erschienen 1970, war mein<br />

erstes Buch überhaupt – es ging um Eduardo Paolozzi.<br />

<strong>Rede</strong> <strong>zur</strong> <strong>Trauerfeier</strong> Seite 4


Es hat mich <strong>für</strong> mein ganzes Leben als Bearbeiter <strong>von</strong> Ausstellungskatalogen geprägt, mit<br />

welcher einzigartigen Sorgfalt und Genauigkeit <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong> mit dem Autor den Text durchging<br />

und auf sachliche und inhaltliche Vagheiten hin abklopfte und einen ermutigte, die Sache,<br />

um die es ging, noch entschiedener und klarer zu formulieren. Wenn man erklären wollte,<br />

was man gemeint hatte, antwortete er einfach: »Ja, warum sagst Du es dann nicht?«<br />

Denn er zuerst wollte ganz und gar verstehen, was man sagen wollte und was es mit dem<br />

jeweiligen Stoff, der Kunst auf sich hatte. Er war der erste interessierte, der interessierteste,<br />

aber auch der erste kritische, der kritischste Leser.<br />

Und dann gab es das ganze Feld der Architektur. Es begann in den 50er Jahren mit Walter<br />

Gropius, Mies van der Rohe (immerhin <strong>von</strong> Philip Johnson), Le Corbusier, dem Bauhaus, wobei<br />

das <strong>von</strong> dem Verleger und dem Architekten ganz und gar aus dem Geist der Zeit gestaltete<br />

Buch »Le Corbusier. Mein Werk« nicht nur <strong>für</strong> die Architekturgeschichte, sondern auch <strong>für</strong> die<br />

Geschichte des Büchermachens einen Meilenstein bildet.<br />

Von Bruno Taut und Alexander Wesnin über Buckminster Fuller und Pier Luigi Nervi bis zu<br />

Frank Gehry, Oswald Matthias Ungers, Coop Himmelblau, Behnisch und James Stirling waren<br />

alle großen Architekten bei <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong> beheimatet, und Wolfgang Pehnt trug mit seiner<br />

exemplarischen »Architektur des Expressionismus« ein weiteres Standardwerk bei.<br />

<strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong> verlegte, was er mochte, die Künstler mußte er mögen und gleichermaßen die<br />

Autoren. Ein richtig ausgesprochenes Programm hatte er nicht, er folgte seinen Vorlieben und<br />

seiner Neugierde, was auch heißt: Es waren oft keine geschäftlichen Aspekte, die ein Buchprojekt<br />

begründeten.<br />

Lange Zeit half ihm, dem Tennisspieler, ein Reißer, das Geschäftliche hintanzustellen:William<br />

Tildens Tennislehrbuch, 1951 erschienen und viele Jahre lang ganz oben auf der Verkaufsliste.<br />

Über alle Jahrzehnte hinweg konnte sich <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong> beruflich auf die ebenso kluge wie praktische<br />

Ruth Wurster stützen, unglaubliche 60 Jahre lang, Ruth Wurster, die auch die schöne und<br />

bewegende Festschrift zu <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong>s 75. Geburtstag konzipierte, gestaltete und teilweise<br />

schrieb.<br />

Wenn <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong> auch kein ausgesprochenes Programm bei der Planung leitete – <strong>von</strong> heute<br />

aus sehen wir sehr klar, daß es einen durchgehenden Grundgedanken gab, und das war die<br />

Wiedergewinnung der Moderne, und zwar nicht allein was die Kunst und die Architektur,<br />

sondern auch was Design und Möbelgestaltung anging (auf diesem Gebiet war <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong><br />

selbst als Herausgeber sehr aktiv).<br />

Und noch ein anderer Aspekt der Moderne wurde gepflegt: der Jazz. Schon 1951 erschien<br />

Sydney Finkelsteins Buch über den Jazz, 1953 folgte ein Jazzlexikon, und seit 1960 erschien<br />

die Serie Kings of Jazz, beginnend mit Louis Armstrong.<br />

<strong>Rede</strong> <strong>zur</strong> <strong>Trauerfeier</strong> Seite 5


Zu seinem Verständnis <strong>von</strong> einem zeitgenössischen Stil, der der Moderne verpflichtet war,<br />

gehörte aber ganz entschieden auch die Gestaltung der Bücher. Alle Mühe wurde auf die<br />

Schönheit der Bücher in der handwerklichen Tradition der Druckkunst und in der gestalterischen<br />

Tradition des Bauhauses gelegt.<br />

Damit war der Verlag höchst erfolgreich. Ab 1956 zählten jährlich – mit ganz wenigen<br />

Ausnahmen – ein, zwei oder gar drei der Publikationen aus diesem Haus zu den schönsten<br />

Büchern der Bundesrepublik Deutschland, wie sie <strong>von</strong> der Stiftung Buchkunst ermittelt<br />

wurden, übrigens auch noch in den 80er Jahren.<br />

Die Wiedergewinnung der großen Kultur der Moderne. Daran sehr aktiv mitgewirkt zu haben,<br />

ist in meinen Augen das unvergleichliche verlegerische Verdienst <strong>von</strong> <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong>. Für mich<br />

ist er sowohl mit den bibliophilen Ausgaben und den anspruchsvollen Monographien als auch<br />

mit den eher in die Breite gehenden zahlreichen Kompendien und Jahrbüchern – <strong>für</strong> mich<br />

ist <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong> mit diesen Werken der Rehabilitation der Moderne, mit diesen Werken der Aufklärung<br />

und der ästhetischen Bildung bewußtseins- und stilbildend wirksam geworden.<br />

Er arbeitete an der Wiederherstellung des weiten geistigen und künstlerischen Horizonts –<br />

und wurde so einer der geistigen Mitbegründer der Kultur in der Bundesrepublik Deutschland.<br />

Als Layouter war er wie als Verleger ein stolzer Selfmademan. Der Verlag, hat er mir einmal<br />

gesagt, sei seine eigene Universität. Er lernte zeitlebens in der Zusammenarbeit mit Künstlern,<br />

mit Architekten, mit Autoren. So sei er durchs Leben flaniert, und er fügte hinzu, gewiß untertreibend<br />

und nicht ohne Koketterie, er habe stets gemacht, was ihm gefallen habe, »aber es<br />

hat noch keiner gemerkt«.<br />

Dann aber kam, als er schon über 60 war, etwas <strong>für</strong> ihn ganz Neues hinzu, eine Verantwortung<br />

über den eigenen Verlagsbereich hinaus. Das sei sogar, schrieb er mir in einem Brief, eine Art<br />

Lebensrettung gewesen, und ich hätte den Anstoß da<strong>für</strong> gegeben. Irgendwann in den 70er<br />

Jahren hatte ich ihn nämlich beiläufig gefragt, ob er nicht eine Aufgabe im Vorstand des traditionsreichen<br />

Württembergischen Kunstvereins übernehmen möge. Er stimmte zu und wurde<br />

dann Ende der 70er Jahre – lange nach meiner Zeit – der verantwortliche Vorsitzende. Das sei,<br />

sagte er später, just in dem Moment geschehen, da er in der Versuchung gewesen sei, etwas<br />

bequem zu werden.<br />

Die öffentliche Verantwortung, das Denken und Handeln <strong>für</strong> andere war <strong>für</strong> ihn eine ganz<br />

entscheidende neue Herausforderung und, wie es scheint, ein Lebensgewinn. Für die Kunst<br />

und die Kulturpolitik in der Stadt und im Land war es allemal ein großer Gewinn, daß eine<br />

Persönlichkeit wie <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong> <strong>für</strong> diese Institution und <strong>für</strong> die intensive Beschäftigung mit<br />

der Moderne und der zeitgenössischen Kunst geradestand.<br />

<strong>Rede</strong> <strong>zur</strong> <strong>Trauerfeier</strong> Seite 6


Es schien immer, als ginge <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong> leicht durchs Leben. Doch seien die schweren Schläge<br />

nicht vergessen: die Ermordung der Mutter, als er erst in Zwanzigern war, die Trennung <strong>von</strong><br />

Ursel nach so langer Zeit, die uns, die Freunde, die wir beiden herzlich verbunden waren, wohl<br />

alle sehr geschmerzt hat, das schwierige Verhältnis zu Hannes, dem Sohn, und auch mit dem<br />

Verlag lief nicht immer alles gleich gut.<br />

Doch nimmt man alles in allem, war es ein überaus reiches und vollständig ausgefülltes Leben<br />

bis zu seinem Ende.<br />

Wir trauern um <strong>Gerd</strong> <strong>Hatje</strong>, weil er <strong>von</strong> uns gegangen ist, aber er bleibt in uns, durch uns.<br />

Wir können uns glücklich schätzen, daß wir mit ihm haben vieles erleben, erarbeiten, erörtern<br />

können.<br />

Zuletzt konnten wir vor anderthalb Jahren hier in der Nachbarschaft, im Württembergischen<br />

Kunstverein, die Enthüllung seiner bewundernswerten Porträtskulptur <strong>von</strong> Olaf Metzel gemeinsam<br />

fröhlich feiernd begehen.<br />

So ist dies nicht nur ein Moment der Trauer, es ist auch ein Moment der Besinnung darauf,<br />

wie bereichernd Du, <strong>Gerd</strong>, <strong>für</strong> uns alle warst und über uns hinaus bist, ja ein Moment, in dem<br />

man diese Bereicherung als ein großes Glück empfinden kann.<br />

Ich darf mich zu denen zählen, die <strong>von</strong> Dir, mal aus der Nähe, meistens eher aus der Ferne,<br />

mitgeprägt worden sind, <strong>von</strong> Deiner Neugierde, <strong>von</strong> Deinem Tatendrang, Deiner inneren<br />

Unabhängigkeit, Deinem aufklärerischen Geist. Da<strong>für</strong> bleibe ich immer dankbar.<br />

Wärest Du hier, würdest Du jetzt, wie schon so oft, da bin ich mir sicher, ein wenig gerührt und<br />

jedenfalls abwehrend sagen:«Is scho recht.«<br />

<strong>Rede</strong> <strong>zur</strong> <strong>Trauerfeier</strong> Seite 7

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