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Unfal von Tschernobil - Dr. Hussein Saado Portrait des GOSKs in ...

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Group of Oppositional Syrian KurdsGruppe der Oppositionellen syrischen KurdenFraksîyona Opozîsyona kurdên Sûrîyê ار‏ ارد‏ ار‏ ار‏ اد‏ ار‏Group of Oppositional Syrian KurdsGOSKContact<strong>Dr</strong>. <strong>Husse<strong>in</strong></strong> <strong>Saado</strong>Holtorfer Str. 1553229 Bonn, GermanyE-Mail drsaado@g,x.de ار‏ اد‏ ار‏Tel. 0049 228 9480530Fax 0049 228 9480531E-Mail saado@t-onl<strong>in</strong>e.de1


Nr. 1 vom 3.Januar 2006Sonderausgabe - 20 Jahre TschernobylEditorialNur wer mitfühlt, will auch verstehenAm 26. April 2006 jährt sich die Reaktorkatastrophe <strong>von</strong> Tschernobyl zum 20. Mal.Es war die schwerste Katastrophe <strong>in</strong> der zivilen Nutzung der Atomenergie. Nach nunbald 20 Jahren geraten die verheerenden Auswirkungen <strong>des</strong> <strong>Unfal</strong>ls <strong>in</strong> Vergessenheit.In Vergessenheit zu geraten drohen auch die Risiken atomarer Grosstechnologie undderen Folgen für Mensch und Natur.Wenn e<strong>in</strong>e grosse Katastrophe aus den Schlagzeilen verschwunden ist, bedeutet diesnicht, dass für die betroffenen Menschen und Staaten die Not vorbei ist. DieBewohner der vom Tschernobylunglück am meisten betroffenen Länder - Belarus,Ukra<strong>in</strong>e und Russ-land - haben noch nach 20 Jahren und weit <strong>in</strong> die Zukunft h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>an den schweren Folgen zu tragen.Wenn sich die Uno-Generalversammlung an ihrer 60. Sitzung demTschernobyl<strong>des</strong>aster widmet, ist das zu begrüssen. Der Bericht <strong>des</strong> Generalsekretärswird jedoch bei der Bevölkerung der betroffenen Länder eher auf Unverständnis,wenn nicht auf Ablehnung stossen. Dass die «Strahlung <strong>in</strong> den meisten Gebieten aufihren natürlichen H<strong>in</strong>tergrund zurückgegangen sei und dass die grosse Mehrheit derBevölkerung nicht <strong>in</strong> Angst vor ernsthaften Gesundheitskonsequenzen lebe, die aufStrahlung auf Grund <strong>des</strong> <strong>Unfal</strong>ls zurückgeführt werden könne [...]» - diesenAussagen kann nicht zugestimmt werden.Weiterh<strong>in</strong> wird auf Unverständnis stossen, dass die <strong>von</strong> der US-Regierunggesponserten Überwachungsprogramme für Geburtsdefekte undPräventionsprogramme ke<strong>in</strong>erlei Zusammenhang zur Strahlenexposition ergebenhätten. Der Bevölkerung der betroffenen Länder werden im Uno-BerichtFehlwahrnehmungen - «misconceptions» - unterstellt, wenn sie sich krank und zue<strong>in</strong>er verkürzten Lebensdauer verurteilt fühlen. Mehr als 100000 Menschen«misconceptions» zuzuschreiben dürfte e<strong>in</strong>er der groben Tiefschläge <strong>des</strong> Berichtesse<strong>in</strong>. Die Ausführungen der Ukra<strong>in</strong>e, <strong>von</strong> Belarus und Russ-land im Anhang <strong>des</strong>Uno-Berichts geben die Realität anders und besser wieder.Tschernobyl berührt viele Sphären unseres Lebens wie Energie, Risikotechnologien,Krieg und Frieden, Gesundheit, Ernährung, Umweltverschmutzung und weiteresmehr. Die heutige Energiediskussion, die so dr<strong>in</strong>gend auf dem Boden der Vernunftgeführt werden muss, ist auch diejenige um Krieg und Frieden - Krieg umÖlressourcen, Uranressourcen, Bau <strong>von</strong> AKW zur Plutoniumherstellung für «nuclear2


devices». Wenn es um die Verantwortung der heutigen Generation für die Zukunftgeht, so s<strong>in</strong>d auch nach 20 Jahren noch Lehren aus dem Tschernobylunfall zu ziehen.Energiepolitik, Strahlenschutz, Katastrophen- und Zivilschutz,Gesundheitsprävention und Gesundheitsschutz s<strong>in</strong>d nur e<strong>in</strong>ige der Forschungsfelder,die weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong>s Auge gefasst werden müssen. Erfühlt man die Tragödie, die <strong>in</strong>Tschernobyl und im weiten Umkreis die Zerstörung <strong>von</strong> Menschenleben, Natur,Nahrung, Erbgut und Heimat bedeutet, so wird man sich auch gegen die konzertierteAbsicht wenden, aus Forschungsprojekten Erfahrungen und Befunde schlichtwegabzuschöpfen und damit Nutzen aus dem Unglück zu ziehen, ohne zu helfen.Wir empfehlen diese Sonderausgabe der besonderen Aufmerksamkeit unserergeschätzten Leser.Redaktion Zeit-FragenInhaltTschernobyl - 20 Jahre späterMediz<strong>in</strong>ische Betrachtungen aus menschlicher Sicht - Von Theodor Abel<strong>in</strong>,emeritierter Professor für Sozial- und Präventivmediz<strong>in</strong>, Universität BernChronik e<strong>in</strong>es ReaktorunglücksKatastrophale Sprachregelung<strong>Dr</strong>. Sebastian Pflugbeil, Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, Berl<strong>in</strong>,kritisiert die Sprachregelung durch die IAEA/WHO-BeschlussfassungHoffen auf Heilung jetzt!E<strong>in</strong> Besuch <strong>in</strong> der Tschernobylzone - 20 Jahre danachVon Barbara Hug, Arbeitskreis Tschernobyl und die Folgen, Tobel TGDas Verlassen der Heimat ist bitterDer Sarkophag IIDer Friedhof <strong>in</strong> Mit<strong>in</strong>skDenkt an die K<strong>in</strong>der!Julia Golenko, Schüler<strong>in</strong> der 9. Klasse, Mittelschule Nr. 18 der Stadt MogiljewFreigesetzter Brennstoff und se<strong>in</strong>e Auswirkungen Auf Boden, Wasser, Luft,Pflanzen, Tiere und NahrungPhysikalische GrundlagenE<strong>in</strong>schätzung der Strahlenschäden durch ICRP muss revidiert werdenBeobachtungen der Tschernobylfolgen geben H<strong>in</strong>weise auf korrekte Kriterien für denStrahlenschutz - Von Inge Schmitz-Feuerhake, European Committee on RadiationRisk (ECRR)«Tschernobyl Generation»3


Lebenssituationen und Perspektiven im Vergleich <strong>von</strong> drei Ländern und Regionen -Gomel (Belarus), Brjansk (Russland), Chernigov (Ukra<strong>in</strong>e) - Direktion fürEntwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), Bern, SchweizRisikoreiche Technologien m<strong>in</strong>imieren20 Jahre nach Tschernobyl - Erfahrungen und Lehren für die ZukunftE<strong>in</strong>ladung zum Internationalen Kongress vom 3. bis 5. April 2006 <strong>in</strong> der Berl<strong>in</strong>erCharité - 1. Ankündigung, 1st Announcement, Call for PapersGrenzwerte für Strahlenbelastung <strong>in</strong> LebensmittelnLiteraturTschernobyl - 20 Jahre späterMediz<strong>in</strong>ische Betrachtungen aus menschlicher Sicht<strong>von</strong> Theodor Abel<strong>in</strong>, emeritierter Professor für SozialundPräventivmediz<strong>in</strong>, Universität BernDie Nachricht Ende April 1986 war erschreckend: In e<strong>in</strong>em Atomkraftwerk <strong>in</strong> derUkra<strong>in</strong>e hatte sich e<strong>in</strong>e Explosion ereignet, doch die Meldung kam aus Skand<strong>in</strong>avien,wo <strong>in</strong> der Luft e<strong>in</strong>e erhöhte Radioaktivität gemessen worden war. Auch bei uns <strong>in</strong> derSchweiz war die Radioaktivität erhöht. In unseren Seen durfte nicht mehr gefischtwerden. Schwangere fürchteten um das Wohl ihrer K<strong>in</strong>der und vermieden die Milchunserer Kühe. Pulvermilch wurde knapp, aber niemand wusste, wie gross die Gefahrwirklich war. Strahlenexperten versuchten, die Bevölkerung zu beruhigen, währendUmweltexperten <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em GAU - e<strong>in</strong>em «grössten anzunehmenden <strong>Unfal</strong>l» -sprachen. Kaum jemand konnte die <strong>in</strong> den Medien berichteten Messwerte<strong>in</strong>terpretieren. Es herrschte Angst.Chaos <strong>in</strong> den betroffenen GebietenSpäter vernahmen wir <strong>von</strong> den Strahlenärzten <strong>in</strong> der staatlichen Krebskl<strong>in</strong>ik <strong>von</strong>Weissruss-land bei M<strong>in</strong>sk, etwa 380 Kilometer nördlich <strong>von</strong> Tschernobyl, dass amMorgen <strong>des</strong> 26. April 1986 ihre Messgeräte weit über die Maximalwerte ausschlugenund unbrauchbar waren. Auf ihre Nachfrage bei den Behörden erhielten sie ke<strong>in</strong>eErklärung. Die E<strong>in</strong>wohner <strong>in</strong> der Umgebung <strong>von</strong> Tschernobyl wussten <strong>von</strong> nichts.Hier ernährten sich die Schwangeren wie immer <strong>von</strong> der Milch ihrer Kühe. Ause<strong>in</strong>em Umkreis <strong>von</strong> etwa 30 Kilometern um Tschernobyl wurde die Bevölkerung <strong>in</strong>weiter entfernt gelegene Unterkünfte evakuiert. Die Stadt Pripjat, rund 100 Kilometernördlich der ukra<strong>in</strong>ischen Hauptstadt Kiew und <strong>in</strong> nächster Nähe der Atomreaktoren<strong>von</strong> Tschernobyl, hatte damals rund 50000 E<strong>in</strong>wohner, ist aber heute nur noch e<strong>in</strong>eGeisterstadt, <strong>in</strong> der am 26. April hängengebliebene Plakate noch immer zur grossenErste-Mai-Feier <strong>von</strong> 1986 e<strong>in</strong>laden.4


Im Vergleich zur unmittelbar betroffenen Bevölkerung konnten wir <strong>in</strong> der Schweizund ganz allgeme<strong>in</strong> <strong>in</strong> Westeuropa nach e<strong>in</strong>igen Wochen weitgehend zurTagesordnung übergehen. Doch <strong>in</strong> der Ukra<strong>in</strong>e, <strong>in</strong> Weissrussland und <strong>in</strong> denbenachbarten Gegenden <strong>von</strong> Russ-land ist die Tagesordnung auch heute, 20 Jahrespäter, noch immer nicht e<strong>in</strong>gekehrt.Gesundheitliche Schäden: Zählen nur die To<strong>des</strong>fälle?Vier Jahre nach der Tschernobylkatastrophe berichteten Ärzte <strong>in</strong> den am stärkstenbetroffenen Regionen, dass sie bei K<strong>in</strong>dern Schilddrüsenkrebs entdeckt hatten - <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em Alter, <strong>in</strong> dem diese Krankheit sonst ausserordentlich selten ist. Diese Nachrichtwurde vorerst <strong>von</strong> zahlreichen Wissenschaftern als unwahrsche<strong>in</strong>lich abgetan. Uns iste<strong>in</strong> Fall bekannt, wo e<strong>in</strong>e sorgfältig durchgeführte statistische Übersicht über dieersten 160 <strong>in</strong> Weissruss-land diagnostizierten Fälle <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternational führendenmediz<strong>in</strong>ischen Fachzeitschrift ohne nähere Überprüfung <strong>von</strong> der Veröffentlichungausgeschlossen wurde, weil - wie der Redaktor den Autoren schrieb - e<strong>in</strong>eKrebsentstehung so wenige Jahre nach e<strong>in</strong>er Bestrahlungse<strong>in</strong>wirkung nicht möglichsei. Dass e<strong>in</strong>e noch nie dagewesene Katastrophe auch noch nie dageweseneAuswirkungen haben könnte, wurde nicht <strong>in</strong> Betracht gezogen. Ähnlich tönte es <strong>von</strong>der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) <strong>in</strong> Wien, deren Auftrag es ist, diefriedliche Nutzung der Atomenergie zu fördern. Vor zehn Jahren g<strong>in</strong>g diese Agentur,die vor kurzem den Friedensnobelpreis erhalten hat, sogar so weit, die Publikationwissenschaftlicher Berichte über gesundheitliche Tschernobylfolgen zu verh<strong>in</strong>dern,die bei der Weltgesundheitsorganisation bereits zum <strong>Dr</strong>uck bereitlagen.Nun stehen wir vor dem 20. Jahrestag der Tschernobylkatastrophe, und nach wie vorhören wir sich widersprechende E<strong>in</strong>schätzungen der gesundheitlichen Schäden. Werdiese herunterspielen will, weist darauf h<strong>in</strong>, dass der Schilddrüsenkrebs nur seltenzum Tode führt und dass <strong>in</strong> der Folge <strong>von</strong> Tschernobyl weniger als 1 Prozent derFälle zum Tode geführt haben. Wer aber - wie heute <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>schätzung <strong>von</strong>gesundheitlichen Schäden üblich - die verlorenen Jahre <strong>in</strong> guter Lebensqualitätbetrachtet, wird sehen, dass die meisten der nach Tschernobyl aufgetretenen 4000Schilddrüsenpatient<strong>in</strong>nen und -patienten nun lebenslänglich krank s<strong>in</strong>d und sozialausgeschlossen werden. Bereits Anfang der 90er Jahre wurde festgestellt, dass beiüber 60 Prozent aller K<strong>in</strong>der mit Schilddrüsenkrebs Ableger (Metastasen) <strong>in</strong> denLymphdrüsen vorhanden waren. Wurde e<strong>in</strong> Fall entdeckt, musste das betroffene K<strong>in</strong>d<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er meist weit entfernten Kl<strong>in</strong>ik genau untersucht werden und sich je nachBefund e<strong>in</strong>er chirurgischen oder e<strong>in</strong>er Strahlenbehandlung unterziehen. JährlicheKontrolluntersuchungen mit umständlichen Reisen <strong>in</strong>s mediz<strong>in</strong>ische Zentrum wurdennötig, und wenn die Schilddrüse entfernt werden musste, entstand e<strong>in</strong>elebenslängliche Abhängigkeit <strong>von</strong> der regelmässigen E<strong>in</strong>nahme <strong>von</strong>Schilddrüsenhormonen.Kommt dazu, dass junge Leute, bei denen Schilddrüsenkrebs festgestellt worden ist,als verseucht gelten und - teils auch bei der Partnerwahl - gemieden werden. Ob dieAnnahme e<strong>in</strong>er andauernden radioaktiven Verseuchung dieser Menschen5


wissenschaftlich korrekt ist, spielt ke<strong>in</strong>e Rolle - ihr Leben bleibt durch Tschernobylgezeichnet.Vor e<strong>in</strong>igen Jahren wollten wir diese sozialmediz<strong>in</strong>ische Seite der Tschernobylfolgenzusammen mit e<strong>in</strong>er weissrussischen Ärzt<strong>in</strong> näher untersuchen, und sie war bereit, <strong>in</strong>ihren jährlichen Nachuntersuchungen entsprechende Fragen zu stellen. Doch dieBehörden verweigerten im Rahmen ihres engen Gesundheitsverständnisses dieErlaubnis.Ähnlich unterschiedlich wird über die gesundheitlichen Folgen bei den Liquidatorenberichtet, das heisst den Hunderttausenden <strong>von</strong> Arbeitern und Soldaten, die zumLöschen <strong>des</strong> Feuers im Reaktor und zum Aufräumen der Explosionsschäden <strong>in</strong> undum Tschernobyl e<strong>in</strong>gesetzt worden waren. Tausende <strong>von</strong> ihnen s<strong>in</strong>d seithergestorben, viele da<strong>von</strong> an Krebs. Während die e<strong>in</strong>en die To<strong>des</strong>fälle der Bestrahlunganlasten, glauben die anderen, dass hier die Armut <strong>in</strong> der Folge der Auflösung derSowjetunion massgeblich beteiligt war. Es ist mir nicht bekannt, <strong>in</strong>wieweit zurzeitnoch Studien im Gange s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> denen mit bestmöglicher Methodik versucht wird,diese Faktoren e<strong>in</strong>zeln gegene<strong>in</strong>ander abzuwägen, doch darf gehofft werden, dass <strong>in</strong>den zum 20. Jahrestag <strong>von</strong> Tschernobyl organisierten wissenschaftlichen Tagungendarüber berichtet werden wird.Doch auch wenn weiterh<strong>in</strong> widersprüchliche Ergebnisse zur Tschernobyl-bezogenenSterblichkeit <strong>von</strong> Liquidatoren veröffentlicht werden sollten, steht doch fest, dasssich diese Hunderttausende <strong>von</strong> Männern ebenso wie die jungen Leute mitSchilddrüsenkrebs e<strong>in</strong> Leben lang Kontrolluntersuchungen unterziehen müssen, <strong>von</strong>Angst vor e<strong>in</strong>em negativen Befund geplagt.Lehren für die SchweizWas können wir bei uns <strong>von</strong> Tschernobyl lernen? Was tun wir damit, dass statistischgesicherte Häufungen <strong>von</strong> Schilddrüsenkrebs bei K<strong>in</strong>dern beobachtet wurden, dienach Westen wie auch nach Osten bis zu 300 Kilometer entfernt <strong>von</strong> Tschernobyllebten? Welche Gegenden <strong>in</strong> der Schweiz s<strong>in</strong>d da noch sicher? Was tun wir damit,dass bei der Verursachung der Katastrophe <strong>von</strong> Tschernobyl menschliches Versagenund Alkohol e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle spielten? Wird der Faktor Mensch genügendberücksichtigt, wenn es um die Beurteilung der Sicherheit technischer Anlagen geht?Wie sollen wir überhaupt mit technischen Grossanlagen umgehen, bei denen Unfällekatastrophale Ausmasse annehmen können?Während diese Zeilen geschrieben werden, wütet nördlich <strong>von</strong> London e<strong>in</strong> immenserBrand <strong>in</strong> riesigen Treibstoffanlagen mit unvorstellbaren Folgen auf Klima undUmgebung. In unseren Bergen sollen zur Erhöhung der Stromproduktion Stauseenvergrössert werden mit dem Risiko der Bedrohung unserer Städte durchzerstörerische Flutwellen, sollte e<strong>in</strong>mal - durch Naturkräfte, menschliches Versagenoder menschliche Bösartigkeit - e<strong>in</strong>e Staumauer brechen.6


20 Jahre Tschernobyl gibt uns Gelegenheit, über diese Fragen nachzudenken und dieauf Grossanlagen gestützte Energieversorgung durch neue Modelle e<strong>in</strong>er dezentralenEnergieproduktion und Lagerung zu ersetzen.Wir müssen uns aber auch bewusst werden, wie leicht wir - geleitet <strong>von</strong> unseremMitgefühl und im Zugzwang durch für uns unannehmbare AussagenAndersdenkender - <strong>in</strong> Versuchung geraten könnten, das Leiden der <strong>von</strong> Tschernobylam meisten betroffenen Bevölkerungen zu <strong>in</strong>strumentalisieren. So sehr wir auf ihrLeiden h<strong>in</strong>weisen müssen, müssen wir uns doch auch bemühen, es nachhaltig zureduzieren und e<strong>in</strong>e dauernde Opfermentalität zu vermeiden - sei es mit Hilfe derheute verfügbaren Möglichkeiten der psychologischen Traumaverarbeitung oderdurch die Stärkung der Motivation und <strong>des</strong> <strong>in</strong>neren Antriebs im S<strong>in</strong>ne <strong>des</strong>«Empowerment».Ich würde mir wünschen, an den bevorstehenden Anlässen zu «20 JahreTschernobyl» auch <strong>in</strong> diesem Zusammenhang <strong>von</strong> erfolgreichen Programmen zuhören.«Die Katastrophe dauert an - und sie ist noch lange nicht zu Ende. Sowohl diedirekten Schäden durch die Verstrahlung als auch die ebenso bedeutenden <strong>in</strong>direkten,wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Folgen betreffenweiterh<strong>in</strong> Millionen <strong>von</strong> Menschen.»Walter Fust, Direktor der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA),SchweizQuelle: www.chernobyl.<strong>in</strong>fo«Die Halbwertszeit unserer Er<strong>in</strong>nerung an Katastrophen wie ÐTschernobylð beträgte<strong>in</strong> Bruchteil der Halbwertszeit jener radioaktiven Isotope, welche bei der Reaktorexplosionam 26. April 1986 <strong>in</strong> der Ukra<strong>in</strong>e freigesetzt wurden. In diesem S<strong>in</strong>nverstehen wir die Internet-Plattform www.chernobyl.<strong>in</strong>fo als e<strong>in</strong> Manifest gegen dasVergessen.»Walter Fust, Direktor der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA),Schweiz Quelle: www.chernobyl.<strong>in</strong>foChronik e<strong>in</strong>es Reaktorunglücks26. April 1986: Im ukra<strong>in</strong>ischen «Len<strong>in</strong>»-Kernkraftwerk Tschernobyl wird e<strong>in</strong>Experiment gestartet: Es soll geprüft werden, wie lange die Turb<strong>in</strong>e mit derRestwärme <strong>des</strong> abgeschalteten Reaktors weiterläuft.26. April, 1 Uhr, 23 M<strong>in</strong>uten, 40 Sekunden: Es kommt zum Turb<strong>in</strong>enstillstand. DerKühlwasserzufluss ist e<strong>in</strong>geschränkt, die automatische Abschaltung ist unterbrochen,es entwickelt sich e<strong>in</strong> Hitzestau. Innerhalb <strong>von</strong> Sekunden steigt die Leistung <strong>des</strong>Meilers um e<strong>in</strong> Vielfaches an. 6 Sekunden nach der Notabschaltung ereignet sich der7


grösste anzunehmende <strong>Unfal</strong>l (GAU). Der Block 4 <strong>des</strong> AtomkraftwerkesTschernobyl explodiert.27. April 1986: Die Stadt Pripjat ist abgeriegelt, die Telefone funktionieren nicht, dieBehörden <strong>in</strong>formieren die Bewohner darüber, dass sie für 3 Tage <strong>in</strong> Zeltenuntergebracht werden. Die Löscharbeiten im Kraftwerk dauern an. VonHubschraubern aus wird Sand, Stahl, Blei und Lehm auf den brennenden Reaktorgeworfen.28. April 1986: In Schweden, Norwegen und F<strong>in</strong>nland wird erhöhte Radioaktivitätgemessen. Die sowjetische Atomenergiebehörde bestreitet e<strong>in</strong>e Reaktorkatastrophe.28. April, 21 Uhr: Die sowjetische Nachrichtenagentur TASS teilt mit, dass es imKernkraftwerk Tschernobyl e<strong>in</strong>en <strong>Unfal</strong>l gegeben habe.28. April, 23 Uhr: E<strong>in</strong> dänisches Laboratorium für Nuklearforschung gibt bekannt,dass im Atommeiler Tschernobyl e<strong>in</strong> GAU stattgefunden habe, wobei e<strong>in</strong>eReaktorstufe vollständig geschmolzen sei. Beim Durchschmelzen <strong>des</strong> Reaktorkernswerde die gesamte Radioaktivität an die Aussenwelt abgegeben.29. April 1986: In Deutschland erfolgt die erste offizielle Meldung darüber, dass sich<strong>in</strong> der Sowjetunion «offenbar e<strong>in</strong> ernster Atomunfall ereignet hat». Es soll e<strong>in</strong>e 30-Kilometer-Sicherheitszone um das Kraftwerk gezogen werden. Mehrere zehntausendMenschen seien aus diesem Bereich zu evakuieren.30. April 1986, 17 Uhr: Der Reaktorbrand ist angeblich gelöscht.1. Mai 1986: Die Bevölkerung nimmt überall <strong>in</strong> den betroffenen Gebieten an denFeiern zum «Tag der Arbeit» teil. Der Umzug <strong>in</strong> Kiew bef<strong>in</strong>det sich sowohl räumlichals auch zeitlich <strong>in</strong> dem Gebiet der höchsten radioaktiven Belastung.3. Mai 1986: Die deutschen Behörden warnen erstmals vor den Auswirkungen derReaktorkatastrophe. Bei der Explosion wurde etwa e<strong>in</strong> Viertel der radioaktiven Stoffesofort aus dem Reaktor nach aussen gestossen, der Rest gelangte <strong>in</strong>nerhalb derfolgenden 14 Tage <strong>in</strong> die Atmosphäre. Alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Katastrophennacht wurden«vorsichtigen Annahmen» der Wissenschaftler zufolge rund 180 Millionen Curie frei.Die strahlende Wolke verteilte sich danach <strong>in</strong> drei W<strong>in</strong>drichtungen.21. Mai 1986: Pripjat wird offiziell vollständig evakuiert.26. Juni 1986: Anweisung der <strong>Dr</strong>itten Hauptabteilung <strong>des</strong> Gesundheitsm<strong>in</strong>isteriumsder UdSSR: «Alle Mitteilungen über die Havarie s<strong>in</strong>d geheim zu behandeln.» Ende<strong>des</strong> Jahres 1986 ist Tschernobyl wieder am Netz.Quelle: Franke, F./ Schreiber, N./ V<strong>in</strong>zens, P., Verstrahlt, vergiftet, vergessen: DieOpfer <strong>von</strong> Tschernobyl nach zehn Jahren, Frankfurt a.M./Leipzig 1996. Aus:www.ohsi-hilft.de8


Katastrophale Sprachregelung<strong>Dr</strong>. Sebastian Pflugbeil, Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, Berl<strong>in</strong>,kritisiert die Sprachregelung durch die IAEA/WHO-Beschlussfassung.Das Chernobyl Forum folgt der bisher <strong>von</strong> den <strong>in</strong>ternationalen Gremien undnationalen Behörden verfolgten Argumentationsl<strong>in</strong>ie, es gebe e<strong>in</strong>e deutlicheZunahme <strong>von</strong> Schilddrüsenkrebs bei K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen, aber man könne jadiese bedauerliche Erkrankung heute gut behandeln. Dass K<strong>in</strong>der, denen dieSchilddrüse entfernt werden muss-te, lebenslang mit Medikamenten versorgt werdenmüssen, fällt unter den Tisch.Das mag <strong>in</strong> Westeuropa e<strong>in</strong> zu vernachlässigen<strong>des</strong> Problem darstellen, unter denLebensbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> Russland, Belorussland und <strong>in</strong> der Ukra<strong>in</strong>e ist es das aberdurchaus nicht. Es fällt auch unter den Tisch, dass diese K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> kurzen Abständenregelmässig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er darauf spezialisierten mediz<strong>in</strong>ischen E<strong>in</strong>richtung vorsprechenmüssen, damit rechtzeitig bemerkt werden kann, wenn es neue Knoten oderMetastasen <strong>in</strong> anderen Organen gibt. Viele Eltern haben für die erforderlichen Reisen<strong>in</strong> die Kl<strong>in</strong>ik e<strong>in</strong>fach nicht das Geld. Und es fällt unter den Tisch, dass dieSchilddrüsenkrebsrate auch bei Erwachsenen drastisch angestiegen ist.E. Lengfelder publizierte <strong>in</strong> den Münchner Mediz<strong>in</strong>ischen Wochenschriften, dass imGebiet Gomel <strong>in</strong> Belorussland die Schilddrüsenkrebsrate bei Neugeborenen bis18jährigen <strong>in</strong> den 13 Jahren nach der Katastrophe im Vergleich zu den 13 Jahrendavor 58mal höher ist. In der Altersgruppe <strong>von</strong> 19 bis 64 Jahren liegt dieSchilddrüsenkrebsrate nach der Katastrophe immerh<strong>in</strong> 5- bis 6mal höher als vor derKatastrophe, und die absoluten Zahlen der erkrankten Erwachsenen s<strong>in</strong>d sehr vielhöher als die der K<strong>in</strong>der.Quelle: Katastrophale Sprachregelung: Bericht über die Konferenz «Chernobyl:Look<strong>in</strong>g Back to Go Forwards» der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) am6. und 7. September 2005 <strong>in</strong> Wien, <strong>in</strong>: Zeit-Fragen Nr. 39 vom 3.10.2005Das Schilddrüsenzentrum: Hoffen auf Heilung jetzt!Im Jahr 1991 startete das Otto Hug Strahlen<strong>in</strong>stitut - Mediz<strong>in</strong>ische Hilfsmassnahmene.V., e<strong>in</strong>e deutsche, nichtstaatliche und geme<strong>in</strong>nützige Non-profit-Organisation untermassgeblicher Federführung <strong>von</strong> Prof. Edmund Lengfelder, mehrere langfristigeBehandlungs- und Forschungsprojekte zum Krebs und anderen Erkrankungen derSchilddrüse <strong>in</strong> Belarus. In das Institut s<strong>in</strong>d zahlreiche Experten für Strahlenmediz<strong>in</strong>, -biologie und -physik und Statistik aus mehreren verschiedenen Universitäten undForschungszentren e<strong>in</strong>gebunden. Die Zusammenarbeit mit Belarus beruht auflangfristigen Verträgen mit dem dortigen Gesundheitsm<strong>in</strong>isterium und schliesstmehrere Universitäts<strong>in</strong>stitute im Westen mit e<strong>in</strong>. Die Laboratorien und mediz<strong>in</strong>ischen9


E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> Belarus erhielten Ausrüstungen und werden seither kont<strong>in</strong>uierlichmit dem erforderlichen Nachschub versorgt, um die mediz<strong>in</strong>ische Behandlung unddie Forschung zu ermöglichen. Wesentlicher Bestandteil aller Projekte ist dieFortbildung <strong>des</strong> Fachpersonals im Westen.Seit 1993 wurden im Rahmen <strong>des</strong> Projektes «Schilddrüsenzentrum Gomel», welches<strong>von</strong> der Chefärzt<strong>in</strong> L. Birjukowa geleitet wird, mehr als 90000 Patienten diesesVerwaltungsgebietes mediz<strong>in</strong>isch betreut. Bei der Behandlung derSchilddrüsenerkrankungen, e<strong>in</strong>schliesslich Schilddrüsenkrebs, wurden bisher mehrals 220000 Blutanalysen auf Schilddrüsenparameter untersucht. Das kl<strong>in</strong>ische Labornimmt regelmässig an <strong>in</strong>ternationalen Programmen zur Qualitätssicherung teil. Dashistopathologische Labor <strong>des</strong> «Nationalen Schilddrüsenzentrums <strong>von</strong> Belarus»(Chefarzt Prof. Demidtschik) nahm se<strong>in</strong>en Betrieb 1995 auf und wurde mit Hilfe <strong>des</strong>deutschen Otto Hug Strahlen<strong>in</strong>stituts aufgebaut, das neben der Grundausstattungregelmässig die Verbrauchsmaterialien nachliefert. Mittlerweile wurden dort über7800 bösartige Schilddrüsenerkrankungen diagnostiziert. Dafür wurden über 40000pathologische Präparate nach <strong>in</strong>ternational geltenden und akzeptierten Standardsangefertigt. Seit 1993 führte e<strong>in</strong>e fruchtbare <strong>in</strong>ternationale Zusammenarbeit auf demGebiet der Pathologie und Molekulargenetik <strong>des</strong> Schilddrüsenkrebses zu erheblichenFortschritten im Verständnis der Molekularbiologie der Erkrankung und <strong>in</strong> derE<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>er Tumorgewebebank. Geplant ist ferner die Lieferung e<strong>in</strong>esmolekularbiologischen Labors nach Belarus durch das Otto Hug Strahlen<strong>in</strong>stitut.Im Jahre 1997 startete das Projekt «Radiojod-Therapie« (Leitung: T. Prigoschaja undL. Gamol<strong>in</strong>a) <strong>in</strong> Gomel, bei dem Schilddrüsenkrebspatienten <strong>in</strong>zwischen über 2100diagnostische und therapeutische Behandlungszyklen gegeben werden konnten.Dafür wurden vom Otto Hug Strahlen<strong>in</strong>stitut Ausrüstungen und die regelmässigeLieferung <strong>von</strong> Radiojod zu Untersuchungszwecken zur Verfügung gestellt. Seit 1991beläuft sich der Wert der mediz<strong>in</strong>ischen, sozialen und wissenschaftlichenHilfsleistungen für Belarus durch die Projekte <strong>des</strong> Otto Hug Strahlen<strong>in</strong>stituts auf über13 Millionen Euro. Wegen der ständig steigenden Patientenzahl deckt dies aber nure<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Teil <strong>des</strong> tatsächlichen Bedarfs.UntersuchungspatenschaftenDie moderne Ausstattung <strong>des</strong> Laborbereiches im Schilddrüsenzentrum <strong>in</strong> Gomelermöglicht Hormonuntersuchungen auf höchstem mediz<strong>in</strong>ischem Niveau(Lun<strong>in</strong>eszenz-Immuno-Assays). Die regelmässige Nachlieferung der Reagenzien undTestkits muss durch uns auf lange Zeit gewährleistet werden. Die Kosten e<strong>in</strong>erUntersuchung (Testkits, Verbrauchsmaterial und Medikamente) und bei Bedarf e<strong>in</strong>erBehandlung betragen je K<strong>in</strong>d durchschnittlich 50 Euro. Damit s<strong>in</strong>d alle erforderlichenAufwendungen für die Diagnose und die eventuell notwendige medikamentöseSchilddrüsentherapie für 1 K<strong>in</strong>d gewährleistet.Auch wenn Sie persönlich ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d aus dieser Region kennen, bitten wir Sie um dieÜbernahme <strong>von</strong> Untersuchungspatenschaften (je K<strong>in</strong>d 50 Euro)!10


Helfen Sie helfen! Spenden Sie Zukunft!Otto Hug Strahlen<strong>in</strong>stitut - MHM e.V., Spendenkonten:Stadtsparkasse München Konto 382 002 BLZ 701 500 00Volksbank Heilbronn Konto 290 964 008 BLZ 620 901 00E<strong>in</strong> Besuch <strong>in</strong> der Tschernobylzone - 20 Jahre danach<strong>von</strong> Barbara Hug, Arbeitskreis Tschernobyl und dieFolgen, Tobel TGE<strong>in</strong>e milde Herbstsonne lässt die weiche, sandige Flusslandschaft <strong>des</strong> Pripjat - breiteAuen, Weiden und Schilf - als Oase der Ruhe und der Ausgeglichenheit der Naturersche<strong>in</strong>en. Gelb ist das Gras, hell der Sand, spärlich die Menschen, und die Strassens<strong>in</strong>d leer. Wo bef<strong>in</strong>den wir uns? Wir s<strong>in</strong>d zwei Tage auf e<strong>in</strong>er wissenschaftlichenExkursion mit -Sebastian Pflugbeil, dem Präsidenten der Gesellschaft fürStrahlenschutz, Berl<strong>in</strong>, unterwegs, <strong>in</strong> der gesperrten Zone um das 1986 explodierteKernkraftwerk bei Tschernobyl, Ukra<strong>in</strong>e.Ke<strong>in</strong> normales Leben möglichFast 20 Jahre nach der Explosion <strong>des</strong> Reaktorblocks 4 ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiten Umkreiske<strong>in</strong> normales Leben möglich. Die Sperrzone <strong>von</strong> 30 Kilometern ist militärischabgeriegelt und bewacht. Mit e<strong>in</strong>er Sondererlaubnis ist der begrenzte Zugangmöglich. Das Unterfangen ist nicht ungefährlich, man kann sich mit e<strong>in</strong>emMundschutz nur partiell vor radioaktiv verseuchtem Staub schützen. Uran, Cäsium134, Plutonium, das zu Americium zerfällt, Strontium 90 - viele andere Radionuklidewurden im April 1986 aus dem Reaktor <strong>in</strong> die Luft und die Atmosphäre geschleudert,alles kam auch über e<strong>in</strong>em Teil Europas mit dem Regen wieder herunter. Haare undKleider werden nach der Exkursion gewaschen, die Schuhe entsorgt.Bis vor wenigen Jahren wurden die Reaktorblöcke 1 und 2 sowie der <strong>in</strong>takteReaktorblock 3 im gleichen Gebäudekomplex wie der explodierte Reaktor 4weiterbetrieben. 5700 Kraftwerksarbeiter waren <strong>in</strong> der Schlussphase nochbeschäftigt. Obwohl jetzt abgestellt, stehen die Reaktoren noch dort, die Brennstäbes<strong>in</strong>d aus ke<strong>in</strong>em der Reaktorblöcke entfernt. In der Zone der strikten Kontrollearbeiten Menschen, sie leben im Städtchen Tschernobyl, welches ansonstenvollkommen evakuiert ist. Hier leben die Arbeiter ohne ihre Familien, denn fürK<strong>in</strong>der und junge Menschen ist die Strahlung <strong>in</strong> diesem Gebiet immer noch viel zuhoch. Sie ist allerd<strong>in</strong>gs auch zu hoch für die Arbeiter, die im explodierten AKWarbeiten, die die stillgelegten Reaktoren warten, die den radioaktiven Müllungeschützt auf Lastwägen transportieren, die auf den Lagerhalden arbeiten undversuchen, e<strong>in</strong>e Art Entsorgung <strong>des</strong> Schrotts vorzunehmen.11


Unser Geigerzähler misst die Gammastrahlung. Die Warnstufe ist auf 1 Mikrosievert/Stundee<strong>in</strong>gestellt. Am Strassenrand und zwei Schritte neben der Strassebeg<strong>in</strong>nt es zu piepsen. Was ist das? Die Strassen wurden hundertfach mit Wassergere<strong>in</strong>igt. Die Radio-nuklide wurden <strong>in</strong> den Strassenrand, <strong>in</strong>s Gras gespült. Siebleiben im Erdboden und werden mit dem Wasser durch das Gras wiederh<strong>in</strong>aufgesogen.Tschernobyl ist leer bis auf die erwähnten Arbeiter, e<strong>in</strong> paar alte Busse, e<strong>in</strong> Café, e<strong>in</strong>eBar und e<strong>in</strong>en Laden, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Zentrum für Besucher. Die schönen Holzhäusers<strong>in</strong>d überwachsen, verfallen. Auch hier piepst das Strahlenmessgerät.Ist es Sorglosigkeit oder Nachlässigkeit, mit der die Arbeiter <strong>in</strong> der Zone mit derradioaktiven Umgebung umgehen? Manche arbeiten zwar nur Schicht, besonders die,die im zerstörten Reaktor Stabilisierungsarbeiten durchführen müssen - aber es s<strong>in</strong>djunge Männer, zeugungsfähig, mit dem Wunsch nach e<strong>in</strong>er Familie, oder sie s<strong>in</strong>dbereits Väter. Viele Arbeiter leben <strong>in</strong> Slavutych. Sie werden mit dem Zug überbelarussisches Gebiet transportiert. Man hatte Slavutych nach der Katastrophe alsErsatz für die evakuierte Kernkraftwerkerstadt Pripjat erbaut, <strong>in</strong> der Annahme, dortsei es sicher. Man hatte sich geirrt.Die radioaktive Kontam<strong>in</strong>ation der Ukra<strong>in</strong>e ist auf Karten <strong>des</strong> Jahres 2003 zuerkennen. Kiew wurde - gemäss Karte - <strong>von</strong> der Kontam<strong>in</strong>ierung verschont. Wie wardas möglich? Hat der liebe Gott se<strong>in</strong>e Hand über die Stadt gehalten, oder stimmt hierdie Karte nicht? Wo stimmt die Karte dann? Vergleicht man mit der Cäsium-Karte<strong>von</strong> Belarus, wurde auch hier die Stadt Gomel vom radioaktiven Fallout verschont.Wenn es Wunder gibt, so dieses, aber Wunder gibt es wenige …Radioaktiver MüllAuf der Fahrt über das Gelände durch e<strong>in</strong>e sanfte Hügellandschaft begegnen wirkle<strong>in</strong>en Schildern mit der Aufschrift «Radioaktivität». Radioaktiver Müll iste<strong>in</strong>gegraben, e<strong>in</strong> wenig zugeschüttet, Erde und Gras darüber - die erste notdürftigeEntsorgung. Wahrsche<strong>in</strong>lich wird es aber bei dieser bleiben. Später passieren wir denRoten Wald. Das Strahlenmessgerät piepst. Der Rote Wald strahlt stark, die Bäumes<strong>in</strong>d knapp 20 Jahre alt. Die Bäume - Fichten - s<strong>in</strong>d rötlich, nicht dunkelgrün, wie esnormal wäre. Der «echte» Rote Wald wurde vergraben, die <strong>in</strong> den Nadelbäumengefangenen Radionuklide bleiben im biologischen Kreislauf. 20 Jahre nach derExplosion kann niemand verkünden, die Radioaktivität <strong>in</strong> der Tschernobylzone seiabgeklungen. Halbwertszeiten s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Angelegenheit: Cäsium 137: 30Jahre, Strontium 90: 29 Jahre, Plutonium 239: 24400 Jahre, Uran 238: 4468000000Jahre.Auf dem mit Stacheldraht abgesperrten AKW-Gelände bef<strong>in</strong>den sich Anlagen für dieBehandlung flüssigen radioaktiven Abfalls und für die Zwischenlagerung derBrennstäbe. Westeuropäische Firmen s<strong>in</strong>d am Bauen, nichts ist fertiggestellt. DasFundament sei <strong>in</strong>stabil, die Öffnungen für die Brennstäbe zu kle<strong>in</strong>. Die Regierung derUkra<strong>in</strong>e prozessiert, unter<strong>des</strong>sen stehen die millionenteuren Bauru<strong>in</strong>en da, was ke<strong>in</strong>e12


Empfehlung für das viel kompliziertere Projekt <strong>des</strong> zweiten Sarkophags ist. WenigeTage vor unserer Exkursion wurden die ersten Stücke <strong>des</strong> Fundamentes für dengeplanten grossen Bogen über dem zerstörten Reaktor gegossen. Die geplantenKosten s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen <strong>von</strong> 760 Millionen auf 1,2 Milliarden Dollar gestiegen.Die EndlagerungAuf dem Gebiet der Sperrzone, 30 Kilometer rund um den explodierten Reaktor, s<strong>in</strong>dverschiedene Formen der Endlagerung radioaktiven Metalls und Schrotts angelegtund im Bau. Je<strong>des</strong> Lager wird nochmals separat bewacht. Man befürchtet Diebstähle- die wohl auch vorkommen. Mit Altmetall und Autoersatzteilen kann man etwasdazuverdienen. Das Lager Burjakowa dient der Endlagerung schwach- undmittelaktiver Abfälle. Im sandigen Boden werden Wannen gegraben und mit Lehmabgedichtet. Bildet sich aus dem Regenwasser e<strong>in</strong> Teich, wird die Wanne als genugdicht erachtet, gut genug für die Endlagerung radioaktiver Abfälle für Tausende <strong>von</strong>Jahren. Mit kontam<strong>in</strong>ierten Betonblöcken, Metallteilen usw. aufgefüllt, wird derHaufen wiederum mit Lehm zugedeckt, Erde darüber und Gras. Nicht weit entferntda<strong>von</strong> stehen auf mehreren Plätzen Unmengen <strong>von</strong> Schrott, Lastwägen, Autos,Hubschraubern, Räumfahrzeugen. Seit 19 Jahren wehen radioaktive Partikel mit demW<strong>in</strong>d durch die Gegend und sickern mit dem Regenwasser <strong>in</strong> die Erde. Seit e<strong>in</strong>igerZeit werden die Fahrzeuge verschreddert, das Altmetall soll angeblich nach Indienund Ch<strong>in</strong>a verkauft werden. Wird es wohl für die Herstellung <strong>von</strong> Zahnspangenverwendet? Von den noch vor wenigen Jahren dort zu bewundernden vielen kle<strong>in</strong>enund grossen Hubschraubern s<strong>in</strong>d nur noch e<strong>in</strong> paar Gerippe übrig.E<strong>in</strong>ige Kilometer weiter bauen verschiedene bekannte Firmen aus dem Ausland undaus der Ukra<strong>in</strong>e e<strong>in</strong> Endlager - Vektor. Hier soll der Abfall <strong>in</strong> Conta<strong>in</strong>er verpacktoder lose aufgestapelt und anschliessend abgedeckt werden. Auf verschiedene Weisewird der Untergrund der Atommülldeponie aufgebaut. Die geplanten Lagerflächens<strong>in</strong>d riesig. Die Arbeit geht schleppend voran, die Frist für die Fertigstellung wirdüberschritten. Unser ukra<strong>in</strong>ischer Führer lacht, aber ohne Freude. Die Endlagerungder Unmengen an Abfall sei nicht nur e<strong>in</strong>e Arbeit für Jahrzehnte, sondern schlichtnicht zu bewältigen.PripjatDie Stadt Pripjat, ehemals für die Arbeiter im AKW aus dem Boden gestampft, wieviele andere Städte <strong>in</strong> der ehemaligen Sowjetunion. Hochhäuser, e<strong>in</strong> Kulturhaus, e<strong>in</strong>Festplatz, der K<strong>in</strong>dergarten und die Schule. Zwischen Stadt und AKW verläuft e<strong>in</strong>eBahnstrecke. Welch e<strong>in</strong>e Katastrophe für die Menschen, die <strong>in</strong> der Nachth<strong>in</strong>ausliefen, als der Reaktor explodierte. Sie schauten sich das Feuer an - der Graphitbrannte, am Tag standen sie noch mit ihren K<strong>in</strong>dern und schauten sich das Szenarioan und wurden bis <strong>in</strong>s Innerste verstrahlt -, sie sahen dem Tod <strong>in</strong>s Auge, ohne sichdarüber im klaren zu se<strong>in</strong>. Der Tod kommt schnell oder nach e<strong>in</strong> paar Jahren, der Todan der Verstrahlung ist elend - und nicht aufzuhalten.13


Pripjat heute: E<strong>in</strong>e sehr ruhige Szenerie, hohe Pappeln, dichtes Gras, Gebüsch,Scherben, Trümmer überall, die Häuser wurden geplündert, alles wurdemitgenommen, was nur g<strong>in</strong>g, die verstrahlten Fernseher und Plüschtiere der K<strong>in</strong>der,<strong>in</strong> Kiew später verkauft. Harmlos ist dieser Spaziergang nicht. Das Gebüsch nebendem K<strong>in</strong>dergarten - das Strahlungsmessgerät piepst. Auf dem Dach <strong>des</strong> Hochhausesbietet sich e<strong>in</strong>e Aussicht über das Gelände <strong>des</strong> AKW bis zum Fluss, das Moos aufdem Dach, es piepst. Alpha- und Betastrahlung messen wir nicht … Die <strong>in</strong> derSperrzone arbeitenden Menschen schützen sich praktisch nicht. Ist das Fatalismusoder Fehl<strong>in</strong>formation, oder kann man mit dem Wissen e<strong>in</strong>fach nicht leben?Wahrsche<strong>in</strong>lich letzteres. Die Dame, die uns e<strong>in</strong>en nachgestellten Film über dasReaktorunglück <strong>in</strong> der Vorführhalle zeigt, bemerkt: «Frankly speak<strong>in</strong>g, we have bigdifficulties to get personal for the job <strong>in</strong> the reactor ... »Nach Angabe der US-amerikanischen Nuclear Threat Initiative will man <strong>in</strong> derverseuchten Stadt Pripjat die Auswirkungen e<strong>in</strong>er Dirty bomb untersuchen.Die Schiffe auf dem Pripjat, im ehemaligen Hafen <strong>von</strong> Tschernobyl, s<strong>in</strong>d im Flussversunken - rostende, radioaktiv strahlende Schiffsgerippe ragen herauf. DerSchiffsverkehr auf dem Pripjat wurde seit der Katastrophe e<strong>in</strong>gestellt. Man hatte nochversucht, Menschen mit den Passagierschiffen zu evakuieren.Ke<strong>in</strong>e InformationWarum waren die Menschen nicht <strong>in</strong>formiert über radioaktive Strahlung? Warumschickte man sie nicht sofort <strong>in</strong> die Häuser und verteilte Kaliumiodid? DieSowjetunion hatte bis dah<strong>in</strong> schon mehrere grosse nukleare Unfälle erlebt, derbekannteste <strong>in</strong> Mayak im Ural <strong>in</strong> der Nähe <strong>von</strong> Chelyab<strong>in</strong>sk. In Dörfern und Städten<strong>in</strong> der Sowjetunion kann man bis heute kle<strong>in</strong>e Lautsprecher sehen, montiert anLaternenmasten oder auf Dächern. Warum wurde nicht angeordnet, dass dieMenschen e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> den Häusern bleiben sollten? Warum liess man dieK<strong>in</strong>der noch den ganzen 27. April 1986 mit ihren Müttern auf dem Festplatz spielen?Die Aufklärungssatelliten der USA hatten bereits wenige M<strong>in</strong>uten nach derExplosion e<strong>in</strong>e grössere Wärmequelle aufgezeichnet, die nur <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Explosionstammen konnte. Die Verbündeten der USA <strong>in</strong> Europa wussten dies offenbar nichtund tappten lange im dunkeln über die Ursache der erhöhten Radioaktivität.Die LöscharbeitenEs existieren e<strong>in</strong>ige Dokumentarfilmausschnitte, die die entsetzlichen Szenen <strong>des</strong>Versuchs der E<strong>in</strong>dämmung der Explosion zeigen. Die über dem brennenden Reaktorkreisenden Hubschrauber wollen das Feuer mit Sand und Beton löschen, die erstene<strong>in</strong>gesetzten Katastrophenhelfer, <strong>in</strong> der damaligen Sprache Liquidatoren genannt,s<strong>in</strong>d junge Männer, eiligst herangekarrt aus allen Teilen der Sowjetunion. DieFeuerwehrleute - sie wuss-ten nichts -, wurden <strong>in</strong> den sicheren Strahlentod geschicktund dachten, es gäbe halt e<strong>in</strong> grösseres Feuer zu löschen.Die schwerverstrahlten Liquidatoren starben e<strong>in</strong>es schrecklichen To<strong>des</strong>. Eilig wurdensie noch nach Moskau <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Spezialkrankenhaus gebracht, wo sie <strong>von</strong> ihren14


Angehörigen nicht besucht werden durften. Die Toten liegen auf e<strong>in</strong>em Friedhof beiMoskau <strong>in</strong> -Mit<strong>in</strong>sk - unter Bleiplatten.Später wurde den Überlebenden echte Hilfe versagt, da man sie nicht e<strong>in</strong>malregistriert hatte. E<strong>in</strong>e offizielle Registrierung der Liquidatoren gab es erst seit 1989.Bis dah<strong>in</strong> war es Praxis, verfälschte Angaben über die To<strong>des</strong>ursachen zu machen, z.B. Tod durch Lungenentzündung. Heute spricht man <strong>von</strong> bis zu e<strong>in</strong>er Million jungerMänner, die <strong>in</strong> Tschernobyl im E<strong>in</strong>satz waren, 800 000 seien krank, 20 000 schongestorben.Die grossen 1.-Mai-Umzüge fanden am 1. Mai 1986 <strong>in</strong> Kiew programmgemäss statt.Bei schönstem Wetter waren grosse Mengen Menschen auf den Strassen, Umzüge,feierlich geschmückte junge Frauen. Sie alle setzten sich ohne ihr Wissen derRadioaktivität aus. Hätte man im Westen bei e<strong>in</strong>er analogen Situation e<strong>in</strong>en sogeschichtsträchtigen Umzug abgesagt? Das wird man nie wissen, doch mit demF<strong>in</strong>ger auf die sowjetische Regierung zeigen sollte sich ke<strong>in</strong> westliches Landerlauben, das am Atombombenbau ebenso wie an der nuklearen Aufrüstung beteiligtist. Die Atomtests, die die USA, England oder Frankreich, Israel oder auch Indiendurchgeführt haben - sie alle fordern ihre Opfer noch nach Jahrzehnten. Doch werzählt diese Toten?Evakuierung und RückkehrMan muss sich auch er<strong>in</strong>nern, dass die Evakuierung der Stadt Pripjat und später dergesamten Zone zum grossen Teil mit Autobussen vor sich g<strong>in</strong>g, die <strong>in</strong> der Ukra<strong>in</strong>ezusammengesammelt worden waren. Diese Fahrzeuge wurden nur <strong>in</strong> aller Eile undnotdürftig dekontam<strong>in</strong>iert. Viel zu gross war das Unglück. Zu gross die Panik, zuschwer die anderen zu bewältigenden Probleme nach dem <strong>Unfal</strong>l. K<strong>in</strong>der, alte Leute,Mütter - sie rissen sich nicht gerne los <strong>von</strong> ihrer vertrauten Umgebung und amwenigsten die Bauern <strong>in</strong> den Dörfern. Manche <strong>von</strong> ihnen kehrten bereits 1987 wieder<strong>in</strong> ihre Häuser zurück, hatten aber dann noch e<strong>in</strong>e durchschnittliche Lebenserwartung<strong>von</strong> 10 bis 20 Jahren. Die K<strong>in</strong>der der Bauern kamen nicht mit zurück. Wir besuchtene<strong>in</strong> sehr altes Bauernehepaar, sie leben nur mit dem Allernötigsten: e<strong>in</strong>em Schwe<strong>in</strong>,e<strong>in</strong>igen Apfelbäumen, e<strong>in</strong>er Kuh beim Nachbarn. Sie lachen, ja, der Friedhof se<strong>in</strong>icht weit, <strong>des</strong>halb seien sie hier. Niemand habe dann Mühe, sie <strong>in</strong>s Grab zu tragen.1987 seien sie mit 120 Menschen wieder <strong>in</strong>s Dorf zurückgekommen, am Anfangillegal, später legal; heute s<strong>in</strong>d sie noch 18.Die Gefährdung dauert an ...Vor der Exkursion <strong>in</strong> die Zone der strikten Kontrolle besuchten wir e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>esZentrum für die ärztliche Betreuung <strong>von</strong> Liquidatoren und Evakuierten und ihrenFamilien. Inmitten e<strong>in</strong>er Vorstadt, die <strong>von</strong> den dort lebenden Liquidatoren geprägtwird, arm wie alles andere ausserhalb <strong>des</strong> Zentrums <strong>von</strong> Kiew. Hier können K<strong>in</strong>derund Erwachsene abklären lassen, ob ihre Schilddrüse <strong>in</strong> Ordnung ist, ob sie e<strong>in</strong>enKnoten haben und wie hoch ihre <strong>in</strong>nere Verstrahlung ist. Die offiziellen Datensprechen <strong>von</strong> 105000 Invaliden unter den Liquidatoren, d.h. <strong>von</strong> arbeitsunfähigen15


Männern im mittleren Alter. Die Ukra<strong>in</strong>e sagte vor 10 Jahren, dass 3 MillionenMenschen vom Unglück betroffen waren. Auf vielen Dörfern werden Nahrungsmittelproduziert, die unzulässig hoch radioaktiv belastet s<strong>in</strong>d. Die Verseuchung reicht weitüber die 30-Kilometer-Zone h<strong>in</strong>aus.Die Flüsse Pripjat und Dnjepr speisen den Kiew-See nördlich <strong>von</strong> Kiew. Beidefliessen durch die Zone, das AKW liegt <strong>in</strong> den wunderschönen Flussauen zwischenPripjat und Dnjepr. In Kiew hat man berechtigterweise Angst vor e<strong>in</strong>em möglichenS<strong>in</strong>ken <strong>des</strong> Wasserstan<strong>des</strong> <strong>des</strong> Djnepr oder vor e<strong>in</strong>em wie immer geartetenAufwirbeln <strong>des</strong> Flusssediments. Im Sediment liegen die Radionuklide, vor allemStrontium, das Wasser darüber ist nicht belastet. Die Karpfen als pflanzenfressende,gründelnde Fische s<strong>in</strong>d belastet. Auch bei e<strong>in</strong>em allfälligen Hochwasser würde derradioaktiv verseuchte Sand und Erdboden aus dem Bereich der Zone mit dem Fluss <strong>in</strong>das Wasserreservoir <strong>von</strong> Kiew geschwemmt.Nach all dem, was unser Arbeitskreis bei den früheren und jetzigen Aufenthalten <strong>in</strong>Belarus und <strong>in</strong> der Ukra<strong>in</strong>e erlebt, gehört, gesehen und erfahren hat, können wir unsder Aussage <strong>des</strong> WHO-Repräsentanten Repacholi nicht anschliessen, wonach «ke<strong>in</strong>Grund zur Beunruhigung» bestehe. Die Krankheitsstatistiken der drei am schwerstenbetroffenen Länder sprechen e<strong>in</strong>e allzu deutliche Sprache.Das Verlassen der Heimat ist bitterDer Mensch lebt nicht vom Brot alle<strong>in</strong>, und als sozialpsychologisches Wesenbedeuten Wohnung und Heimat sehr viel für se<strong>in</strong>e Existenz. Wenn es aber <strong>in</strong>folgee<strong>in</strong>er Katastrophe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kernkraftwerk notwendig wird, e<strong>in</strong> Gebiet mit e<strong>in</strong>erFläche <strong>von</strong> 3000 bis 4000 km2 <strong>in</strong> wenigen Tagen zu entsiedeln, dann wären <strong>in</strong>Deutschland <strong>in</strong> Abhängigkeit <strong>von</strong> der Bevölkerungsdichte etwa 1 bis 1,5 MillionenMenschen da<strong>von</strong> betroffen.Diese Menschen müssten konstant mit sauberen Nahrungsmitteln und Wasserversorgt werden und könnten auf unabsehbare Zeit ihre alten Wohnstätten nicht mehrbetreten.Es ist offensichtlich, dass durch e<strong>in</strong> solches Ereignis sehr umfangreicheversorgungstechnische, mediz<strong>in</strong>ische und soziale Probleme <strong>in</strong> kurzer Zeit zubewältigen wären.R. MeierQuelle: Tiere im radioaktiven Strahlenfeld. Tschernobyl und se<strong>in</strong>e Folgen, Band 2.Klitzschen: Elbe-Dnjepr-Verlag, 1994. ISBN 3-9803645-2-616


Der Sarkophag II ... und ke<strong>in</strong> Geld für die krankenMenschenS.P. Der russische Physiker Tschetscherow war nach der Explosion <strong>des</strong> Reaktors imAuftrag <strong>des</strong> Kurtschatow-Instituts, Moskau, im Reaktor. Er sollte sich kundigmachen, wieviel im Reaktor verblieben ist. Se<strong>in</strong> Untersuchungsergebnis: Es ist fastnichts dr<strong>in</strong> geblieben, fast alles g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> die Luft und die Umwelt. Tschetscherowsollte die Temperatur im Innern der Reaktorru<strong>in</strong>e <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Hubschrauber aus mite<strong>in</strong>er Wärmesonde messen. Se<strong>in</strong> Ergebnis war: Die Temperaturen <strong>in</strong>nerhalb derRu<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d niedriger als ausserhalb. Die erwartete blubbernde Plutoniumschmelze -Fehlanzeige. Tschetscherow untersuchte die Räume oder was da<strong>von</strong> übrig war. Erg<strong>in</strong>g bis dorth<strong>in</strong>, wo früher der Kern <strong>des</strong> Reaktors gigantische Energiemengenerzeugte. Niemand hätte für möglich gehalten, dass man <strong>von</strong> dort lebend wiederzurückkommen kann.Nach der Ausstrahlung <strong>des</strong> Films «Tschernobyl - der Millionensarg» (Arte) erhieltTschetscherow erneut den Auftrag, <strong>in</strong> den Reaktor zu gehen, nochmals e<strong>in</strong> Gutachtenzu erstellen. Die Gruppe, die den Shelter - Sarkophag II - bauen will, wollte genaueDaten haben über den Verbleib <strong>des</strong> Kernbrennstoffes. Die Aussagen <strong>des</strong> Filmswerden bestätigt, rund 90% <strong>des</strong> Kernbrennstoffs s<strong>in</strong>d weg, raus, über dem Reaktorwie e<strong>in</strong>e verpuffende Atombombe explodiert.Im Jahr 2004/5 wurde das Gutachten «Atlas» fertig. Es wurde erfolgreich verteidigt,abgenommen und erhielt e<strong>in</strong>en Preis für die ausgezeichnete Qualität der Arbeit.Lesen kann man es aber nicht. Warum wird es wohl nicht freigegeben? Inzwischens<strong>in</strong>d die Verträge gemacht, e<strong>in</strong>en Millionensarg, e<strong>in</strong>en zweiten Sarkophag um dieReaktorru<strong>in</strong>e zu bauen. Die Geberländer wollen 1,2 Milliarden US-Dollar dafürbezahlen, dass dieses Schandmal der Atomtechnik e<strong>in</strong> nettes Outfit bekommt, wie e<strong>in</strong>grosser Flugzeughangar wird es aussehen, aus blankem Metall - man hat die Sacheim Griff, Schluss mit dem Gejammer, «ke<strong>in</strong> Grund zur Beunruhigung» ...Der Friedhof <strong>in</strong> Mit<strong>in</strong>skWeit entfernt <strong>von</strong> Tschernobyl, auf e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Friedhof ausserhalb <strong>von</strong> Moskau,liegt e<strong>in</strong> Teil der Geschichte dieser Tragödie begraben. Wenn es jemals e<strong>in</strong>ePilgerstätte für die Opfer der Katastrophe gab, dann ist sie dort, denn auf demFriedhof <strong>von</strong> Mit<strong>in</strong>sk liegen die Menschen begraben, die <strong>in</strong> den Wochen nach derKatastrophe <strong>in</strong> der Moskauer Kl<strong>in</strong>ik Nr. 6 ihren schweren Verstrahlungen erlagen. Esist e<strong>in</strong> unauffälliger Ort. Ke<strong>in</strong>e Gedenkstätte, ke<strong>in</strong>e Inschrift er<strong>in</strong>nert an das, was dieMenschen verband, die hier ihre letzte Ruhe gefunden haben. Seite an Seite, wie sie<strong>in</strong> jener Nacht gegen die Atomkatastrophe gekämpft hatten, liegen sie nun an diesemtraurigen Ort.17


Unweit vom E<strong>in</strong>gang, <strong>von</strong> der Hauptallee aus l<strong>in</strong>ks, stehen mehrere Reihen gleicherGräber, weisse Marmortafeln mit goldenen Aufschriften. Die Geburtsdaten s<strong>in</strong>dverschieden, die To<strong>des</strong>daten liegen fast ausnahmslos im Mai 1986. Hier liegen dieHelden und die Opfer <strong>von</strong> Tschernobyl, möglich, dass unter ihnen auch dieSchuldigen <strong>von</strong> Tschernobyl s<strong>in</strong>d. Aber wer vermag diese schwierige, quälendeFrage schon zu beantworten im Angesicht ihrer Grabste<strong>in</strong>e? Der Tod hat sie allegleichgemacht und uns Lebenden das Recht auf nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Gefühl gegeben: aufTrauer um den Verlust dieser jungen Menschenleben.Der Friedhof, heute e<strong>in</strong> Ort <strong>des</strong> ewigen Friedens, war damals Schmelztiegel <strong>des</strong>Schmerzes und der Trauer, S<strong>in</strong>nbild für die Unbeherrschbarkeit <strong>des</strong> friedlichenAtoms und den Mut, der <strong>in</strong> manchen <strong>von</strong> uns steckt, oft tief verborgen, bis manschliesslich im Angesicht der Gefahr über sich h<strong>in</strong>auswächst. Der russischeLiedermacher Wladimir Wissotzki hat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em se<strong>in</strong>er gefühlvollen Lieder gefragt:«Wie kann e<strong>in</strong> Mensch sich bewähren, da ruht <strong>des</strong> Krieges Geschrei?» Die Menschen<strong>von</strong> Mit<strong>in</strong>sk haben diese Frage e<strong>in</strong>drucksvoll beantwortet.Die Särge dieser Toten wurden <strong>in</strong>nen mit bleihaltiger Plastikfolie abgedeckt, überdem Sarg 1 Meter Betonplatten, mit Bleiverkleidung. Aber ihre letzte Ruhe wurdegestört. Leonid Toptunows Vater stand <strong>in</strong> diesen Wochen oft am Grab se<strong>in</strong>ese<strong>in</strong>zigen Sohnes und we<strong>in</strong>te. Viele Leute g<strong>in</strong>gen an ihm vorbei, manche riefen: «De<strong>in</strong>Hun<strong>des</strong>ohn hat das Kraftwerk <strong>in</strong> die Luft gesprengt.» Wie schwer müssen jeneWochen für diesen Mann gewesen se<strong>in</strong>, der zuerst se<strong>in</strong>en Sohn e<strong>in</strong>en qualvollen Todsterben sah und danach an <strong>des</strong>sen Grab miterleben musste, wie Leonids Andenkenbeschmutzt wurde?Grigori Medwedew besuchte den Friedhof am ersten Jahrestag der Katastrophe. Erbeschreibt, wie er <strong>von</strong> der Metrostation Planernaja aus noch 20 M<strong>in</strong>uten mit dem Buszum Dorf Mit<strong>in</strong>sk fuhr und dort die Totenstätte aufsuchte:«Die Gräber der Feuerwehrleute, es s<strong>in</strong>d sechs, versanken <strong>in</strong> Blumen und Kränzenmit Aufschriften <strong>von</strong> Verwandten und Kollegen. Die Feuerwehrleute <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>gedachten ihrer Helden. Die Gräber der Operatoren trugen weniger Blumen undüberhaupt ke<strong>in</strong>e Kränze. Dennoch s<strong>in</strong>d auch sie Helden, denn sie taten alles, was <strong>in</strong>ihren Kräften stand. Sie zeigten Mut und Tapferkeit und gaben ihr Leben. Auf denStelen der Feuerwehrleute waren goldene Sterne graviert. Über den Gräbern derOperatoren gab es ke<strong>in</strong>e Unterscheidungsmerkmale. Auch ihre Fotografien warenverschwunden. Nur das Grab <strong>von</strong> Leonid Toptunow trug noch e<strong>in</strong> Bild. Er war noche<strong>in</strong> Junge gewesen, mit rundem Gesicht und vollen Wangen. Se<strong>in</strong> Vater hatte anse<strong>in</strong>em Grab e<strong>in</strong>e hübsche, kle<strong>in</strong>e Bank aufgestellt. Se<strong>in</strong> Grab schien mir dasgepflegteste <strong>von</strong> allen zu se<strong>in</strong>. Ich dachte an die Toten, wie sie <strong>in</strong> ihren Z<strong>in</strong>ksärgenliegen. Auf diese Weise kann nicht e<strong>in</strong>mal die Erde ihr notwendiges Werk tun - diesterblichen Überreste der Toten <strong>in</strong> Staub zu verwandeln. Selbst den Tod hat dernukleare Teufel entstellt.»E<strong>in</strong>drücke, zusammengestellt <strong>von</strong> Sebastian Pflugbeil18


Denkt an die K<strong>in</strong>der!Julia Golenko, Schüler<strong>in</strong> der 9. Klasse, Mittelschule Nr. 18 der Stadt MogiljewImmer wenn ich etwas <strong>von</strong> Tschernobyl höre, muss ich an e<strong>in</strong>en schreck-lichenTraum denken, den ich e<strong>in</strong>mal hatte und <strong>von</strong> dem ich am ganzen Körper zitterndaufwachte. Ich g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>en Flur mit vielen Türen entlang, öffnete jede dieser Türenund sah, was sich h<strong>in</strong>ter ihnen verbarg. Dort lagen körperlich unterentwickelte K<strong>in</strong>derund we<strong>in</strong>ende, abgemagerte und blasse Mütter. Die K<strong>in</strong>der starben vor me<strong>in</strong>enAugen, verschwanden im Nichts. Als ich fragte, was das sei, antwortete man mir:«Das ist das, was sich noch lange auf dieser Erde fortsetzen wird.» Als ich <strong>in</strong> dasnächste Zimmer trat, befand ich mich am Rande e<strong>in</strong>er Wüste und erblickte <strong>in</strong> derFerne e<strong>in</strong> grünes Licht, den e<strong>in</strong>zigen hellen Fleck überhaupt. Dorth<strong>in</strong> rannte ich soschnell, wie wenn mich jemand jagen würde.Als ich <strong>von</strong> diesem Traum erzählte, konnte niemand e<strong>in</strong>e Ähnlichkeit mit etwastatsächlich Existierendem feststellen. Jetzt aber ist mir klar geworden, dass ich dieTragödie <strong>von</strong> Tschernobyl träumte.Ich bete zu Gott, dass er den Menschen helfen möge, mit dieser Tragödie fertig zuwerden, damit es den mit nichts zu vergleichenden Kummer nicht gäbe, den e<strong>in</strong>eunschuldige Mutter wegen der unheilbaren Krankheit ihres K<strong>in</strong><strong>des</strong> erleidet.Um leben zu können, brauchen Fische sauberes Wasser, Vögel saubere Luft, derMensch aber braucht das e<strong>in</strong>e wie das andere. Alle brauchen e<strong>in</strong>e saubere Erde. Es istnoch nicht zu spät, um zu Verstand zu kommen, die Kräfte zusammenzunehmen undnicht zuzulassen, dass sich e<strong>in</strong>e weitere Havarie ereignet, die vielleicht nochschlimmer wäre als die <strong>von</strong> Tschernobyl. Ich wohne <strong>in</strong> der Stadt der «Grosschemie»mit erhöhter Verschmutzung durch alle möglichen Substanzen und Radionuklide, mite<strong>in</strong>er Atmosphäre, die vielfach gefährlich ist für die Gesundheit. Doch ich hoffe aufdas Beste, glaube an die Zukunft, an die Rettung der Menschheit durch die E<strong>in</strong>sicht.Ich bitte euch Erwachsene, verschlimmert nicht noch durch euer Nichtstun dasUnglück und lasst nicht zu, dass sich e<strong>in</strong> zweites Tschernobyl ereignet. Denkt an dieK<strong>in</strong>der, denen ihr das Leben schenkt, hier, auf diesem Stück Erde, wo unsereVorfahren beerdigt s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> der heiligen, weissrussischen Erde.Quelle: Die Spur der schwarzen Wolke, S. 93 (vgl. Literaturliste Artikel 11)Freigesetzter Brennstoff und se<strong>in</strong>e Auswirkungen AufBoden, Wasser, Luft, Pflanzen, Tiere und Nahrung19


Die Menge freigesetzten Brennstoffs bei der Explosion <strong>des</strong> Reaktors <strong>in</strong> Tschernobylwird auf 50 bis 250 Millionen Curie geschätzt. Das zerstörerische radioaktivePotential <strong>von</strong> m<strong>in</strong><strong>des</strong>tens 100 Atombomben wurde entfesselt.Welche Radionuklide wurden freigesetzt?Aus dem zerstörten Reaktor entwichen vor allem <strong>in</strong> den ersten zehn Tagen nach dem<strong>Unfal</strong>l mehr als 40 verschiedene Radionuklide. Für die Analyse der Folgen <strong>des</strong><strong>Unfal</strong>ls s<strong>in</strong>d dabei vor allem Jod (I 131) und Cäsium (Cs 137) sowie Strontium (vorallem Sr 90) <strong>von</strong> Bedeutung. Etwa 50 Prozent <strong>des</strong> Reaktor-<strong>in</strong>halts an Jod und 30Prozent <strong>des</strong> Cäsiums gelangten <strong>in</strong> die Atmosphäre. Durch die heissen Gase <strong>des</strong>brennenden Graphitmantels wurden die radioaktiven Stoffe auch <strong>in</strong> Höhen <strong>von</strong> mehrals 1500 Metern getragen. Gesteuert <strong>von</strong> den unterschiedlichen Wetterverhältnissen<strong>in</strong> den Tagen nach dem <strong>Unfal</strong>l, verteilte sich die Radioaktivität grossräumig <strong>in</strong>Skand<strong>in</strong>avien, Polen, auf dem Baltikum, aber auch <strong>in</strong> Süddeutschland,Nordfrankreich und England.In Weissrussland, Russland und der Ukra-<strong>in</strong>e verteilten lokale Regenschauer dieRadioaktivität ungleichmässig. So wurde das Gebiet um das weissrussische Gomel,im Nordosten <strong>von</strong> Tschernobyl, zum Teil so stark belastet wie Landstriche <strong>in</strong>unmittelbarer Umgebung <strong>des</strong> Reaktors. Hoch belastete «hot spots» liegen oft dichtneben nur ger<strong>in</strong>g belasteten Flächen.Vom Gesichtspunkt der Strahlenbelastung hatte Jod das grösste Gefahrenpotential derersten Wochen. Der Körper verwechselt das radioaktive Jod mit dem natürlichen,stabilen Element Jod. Er speichert es vor allem <strong>in</strong> der Schilddrüse.Radioaktives Cäsium mit e<strong>in</strong>er Halbwertszeit <strong>von</strong> 30 Jahren ist das bis heute ammeisten verbreitete Isotop. Zwischen 125000 und 146000 km2 gelten als mit Cäsiumbelastet. E<strong>in</strong>e langfristige radioaktive Belastung droht ausserdem durch Strontium (Sr90) mit e<strong>in</strong>er Halbwertszeit <strong>von</strong> 29 Jahren sowie durch Plutonium (Pu 241) und<strong>des</strong>sen verschiedene Abbauprodukte. E<strong>in</strong>ige da<strong>von</strong> werden <strong>in</strong> 24000 Jahren erst zurHälfte abgebaut se<strong>in</strong>.Die Folgen <strong>des</strong> Tschernobylunfalls für die Umwelt lassen sich nicht alle<strong>in</strong> mit derräumlichen Ausdehnung der kontam<strong>in</strong>ierten Gebiete beschreiben. Sowohl Cäsium alsauch Strontium und Plutonium werden über den Kreislauf Boden - Pflanze -Tier/Mensch weiterverbreitet. Andere Pfade der räumlichen Verteilung s<strong>in</strong>d dieErosion durch den W<strong>in</strong>d, Waldbrände sowie die landwirtschaftliche Bearbeitung <strong>des</strong>Bodens und der Transport durch die Flüsse.Folgen für den BodenDie Belastung der Böden wird <strong>von</strong> mehreren Faktoren bee<strong>in</strong>flusst: vom natürlichenZerfallsprozess der radioaktiven Isotope, <strong>von</strong> ihrer Beweglichkeit (Mobilität) imErdreich und <strong>von</strong> der Art <strong>des</strong> Bodens. So galten <strong>in</strong> Weissrussland, wo 70 Prozent <strong>des</strong>Fallouts niederg<strong>in</strong>gen, nach dem <strong>Unfal</strong>l 1986 rund 22 Prozent <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> als mit20


Cäsium 137 verstrahlt. Heutzutage beträgt diese kontam<strong>in</strong>ierte Fläche noch immer 21Prozent.Dort, wo das Cäsium im Boden steckt, bleibt es über Jahre h<strong>in</strong>weg <strong>in</strong> den oberenSchichten <strong>des</strong> Erdreichs. Messungen aus dem Jahr 1996 zeigen, dass noch immer 90Prozent der strahlenden Last <strong>in</strong> den oberen 5 Zentimetern <strong>des</strong> Erdreichs deponiertwaren. Cäsium wird noch für lange Zeit <strong>in</strong> den Schichten bleiben, <strong>in</strong> denen diePflanzen wurzeln. Besonders hoch belastet s<strong>in</strong>d nach wie vor die Waldböden.Wurzeln, Nadeln und Blätter haben die Radioaktivität wie e<strong>in</strong> Filter gespeichert.Fallen sie zu Boden, dann reichert sich die Strahlung dort an. Auch <strong>in</strong> Lehm- undSandböden wandert das Cäsium nur sehr langsam <strong>in</strong> die Tiefe, etwas rascher erfolgtder Austausch <strong>in</strong> tiefere Bodenschichten bei Torfböden.Mobiler als das Cäsium, leicht <strong>in</strong> Wasser löslich und dadurch viel schwererkalkulierbar ist Strontium. Dieses strahlende Element fand sich <strong>in</strong> den Böden der 30-Kilometer-Sperrzone um den Reaktor und <strong>in</strong> den Gebieten rund um Gomel undMogiljow. Experten gehen da<strong>von</strong> aus, dass bis zu 80 Prozent <strong>des</strong> Strontiums bereits<strong>in</strong> den Naturkreislauf gelangt s<strong>in</strong>d.Strontium-Spuren werden <strong>in</strong> Feldern der Südukra<strong>in</strong>e nachgewiesen. Die Bauernhatten ihre Äcker mit Wasser aus dem Dnjepr bewässert. An e<strong>in</strong>em der Nebenflüsse<strong>des</strong> Dnjepr, am Pripjat, liegt das Kernkraftwerk Tschernobyl.Folgen für Gewässer und LuftNeben dem Regen waren es die Flüsse - vor allem der Pripjat und der Dnjepr -, derenWasser die Radioaktivität <strong>in</strong> den ersten zehn Tagen nach dem <strong>Unfal</strong>l auf derWasseroberfläche transportiert hat. In den grossen und mittleren Flüssen <strong>von</strong> Belarusist die radioaktive Belastung <strong>in</strong>zwischen so weit gesunken, dass die Grenzwerte fürdie gesamte Republik <strong>von</strong> 10 Becquerel/Liter nicht mehr überschritten werden.Für die Ukra<strong>in</strong>e ist die radioaktive Belastung durch das Flusswasser dagegen nachwie vor e<strong>in</strong> grosses Problem, da die meisten Flüsse <strong>in</strong> Richtung Süden fliessen. Umdie Ausbreitung der Radioaktivität zu bremsen, wurden nach dem <strong>Unfal</strong>l entlang <strong>des</strong>Dnjepr Schutzdämme gebaut. Vor allem bei Hochwasser wird nach wie vorRadioaktivität vom Festland ausgewaschen. Dies ist vor allem e<strong>in</strong>e Bedrohung für die30 Millionen Menschen, die aus dem Gebiet <strong>des</strong> Dnjepr-Bass<strong>in</strong>s ihr Tr<strong>in</strong>kwasserbeziehen.Messungen zeigen, dass sich die Radioaktivität <strong>in</strong> den Flusssedimenten konzentrierthat. Das gilt vor allem für stehende Gewässer wie Seen und Teiche. Trotzgigantischer Werte <strong>von</strong> bis zu 1 Million Becquerel pro Kubikmeter Schlamm,beispielsweise <strong>in</strong> den Gebieten <strong>von</strong> Gomel und Mogiljow, wird jedoch auch dortnoch geangelt. Die Seen spielen e<strong>in</strong>e bedeutende Rolle <strong>in</strong> der Verstrahlung derBevölkerung über die Nahrungskette.Als potentielle Bedrohung für das Grundwasser gilt <strong>in</strong> beiden Ländern das beim<strong>Unfal</strong>l freigesetzte Strontium, da es viel rascher <strong>in</strong> tiefere Erdschichten gewandert istals Cäsium. Zwar werden beim Grundwasser <strong>in</strong> Belarus, so die offiziellen Messungen21


der Regierung, die Grenzwerte nicht überschritten. Die durchschnittlicheKonzentration der Radionuklide im Grundwasser <strong>von</strong> Belarus ist <strong>in</strong> den 16 Jahrenseit dem <strong>Unfal</strong>l <strong>in</strong> Tschernobyl um das 10- bis 100fache gegenüber den Werten vordem GAU gestiegen. Die Radioaktivität über die Wassere<strong>in</strong>zugsgebiete der grossenFlüsse ist längst bis zu den Erdschichten vorgedrungen, <strong>in</strong> denen das Grundwasserentsteht. Man rechnet <strong>in</strong> allen Gewässern mit2- bis 35mal mehr Strontium als Cäsium.Im 30-Kilometer-Sperrgebiet um den Reaktor und <strong>in</strong> sechs Bezirken südlich <strong>von</strong>Gomel sowie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bezirk <strong>in</strong> der Nähe der Stadt Mogiljow fürchten Staat undExperten überdies e<strong>in</strong>e Belastung <strong>des</strong> Grundwassers durch Americium. In diesesIsotop verwandelt sich Plutonium. Americium wandert schneller als das Plutonium <strong>in</strong>tiefere Bodenschichten. In 433 Jahren wird erst die Hälfte <strong>des</strong> Americiums abgebautse<strong>in</strong>.Ist die Luft <strong>in</strong> den kontam<strong>in</strong>ierten Gebieten noch belastet?Mit Ausnahme <strong>von</strong> Gebieten <strong>in</strong>nerhalb der Sperrzone ist die Atemluft <strong>in</strong> denkontam<strong>in</strong>ierten Gebieten heute unbelastet. Problematisch s<strong>in</strong>d bis heute - auchausserhalb der belasteten Gebiete - Kontam<strong>in</strong>ationen durch das Aufwirbeln der Erdebeim Pflügen, durch Waldbrände und durch W<strong>in</strong>derosion.Folgen für die PflanzenAlle<strong>in</strong> <strong>in</strong> Weissrussland wurden 18000 km2 landwirtschaftlicher Fläche radioaktivbelastet, 2640 km2 können nicht mehr bewirtschaftet werden. In der Ukra<strong>in</strong>e war vorallem der Wald betroffen: 35000 km2 Wald - 40 Prozent der Forste - wurdenverstrahlt. In den Forsten haben die Nadel- und Laubbäume die Radioaktivität wie e<strong>in</strong>Filter aufgenommen. Der Fallout konzentrierte sich zunächst dort. Mit denabgestorbenen Blättern und Nadeln ist die Belastung <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> den Bodengewandert.Am stärksten belastet s<strong>in</strong>d zurzeit typische Waldpflanzen wie Beeren, Pilze,Heidekraut, Flechten und Farne. Dies gilt bereits für Gebiete mit e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>genBelastung <strong>von</strong> 1 bis 2 Curie/km2.Andere Pflanzen und Gräser s<strong>in</strong>d je nach Art, Form der Wurzeln undBodenbeschaffenheit unterschiedlich hoch belastet. Pflanzen mit flachen Wurzelns<strong>in</strong>d stärker betroffen, als wenn sie ihre Nährstoffe mit e<strong>in</strong>er Pfahlwurzel aus tiefenBodenschichten holen. Dort, wo Böden arm an M<strong>in</strong>eralstoffen s<strong>in</strong>d, nehmen diePflanzen besonders viel Cäsium auf, da sie es mit dem M<strong>in</strong>eralstoff Kaliumverwechseln.Offenbar spielt es auch e<strong>in</strong>e Rolle, wie stark der Boden bearbeitet wird: So ist dieVegetation auf Wiesen und Weiden, die nicht umgepflügt werden, 3- bis 5mal mehrbelastet als Weizen und Kartoffeln <strong>von</strong> Ackerland, das jährlich neu bestellt wird.22


Wissenschaftler <strong>des</strong> Friedrich-Miescher-Instituts <strong>in</strong> Basel haben 14 Jahre nach derKatastrophe auf e<strong>in</strong>em Feld neben dem Reaktor und <strong>in</strong> 30 Kilometer EntfernungWeizen gepflanzt. Bereits nach 10 Monaten oder e<strong>in</strong>er Generation zeigten diePflanzen e<strong>in</strong>e Muta-tionsrate <strong>von</strong> 6,63 Promille. Auf dem Kontrollfeld betrug dieRate nur 1,03 Promille.Folgen für die TiereUnter den Haus- und Hoftieren reichern vor allem Gras- und Heufresser wie Küheund Ziegen die Radioaktivität <strong>in</strong> ihrem Körper, <strong>in</strong> Fleisch und Milch an. H<strong>in</strong>zukommt, dass es <strong>in</strong> den Waldgebieten <strong>von</strong> Weissrussland üblich ist, die Kühe aufWaldweiden zu treiben, die noch stärker als die Wiesen kontam<strong>in</strong>iert s<strong>in</strong>d.In den belasteten Waldgebieten ist das Wild nach wie vor stark verstrahlt, weil es sich<strong>von</strong> kontam<strong>in</strong>ierten Flechten, Beeren und Pilzen ernährt. Unter den Waldtieren s<strong>in</strong>ddie Raubtiere Wolf und Fuchs bis zu 12mal höher belastet als die grasfressendenTiere.In den Flüssen und Seen hat sich die Radioaktivität vor allem <strong>in</strong> denBodenablagerungen konzentriert. Hier werden <strong>in</strong> Weissruss-land Werte bis zu 1Million Becquerel pro Kubikmeter Schlamm gemessen. Da sich Fische ihre Nahrung<strong>in</strong> diesem Schlamm suchen, s<strong>in</strong>d auch sie hoch belastet.Folgen für die NahrungDie hohe radioaktive Belastung <strong>von</strong> Pilzen, Beeren, Wild und Fisch sowie dieKontam<strong>in</strong>ation <strong>von</strong> Gras und Heu als Futter für Milchkühe s<strong>in</strong>d nach wie vor dieHauptbelastungspfade für die Nahrung. Durch unbelastetes Heu und Zusatzfutter(Sorbenten) sowie die Begrenzung der Weidezeit kann die Belastung <strong>von</strong> Milch undFleisch gesenkt werden. Entsprechende staatliche Programme existieren sowohl <strong>in</strong>Belarus als auch <strong>in</strong> der Ukra<strong>in</strong>e. Zentrales Problem der landwirtschaftlichenProduktion und damit der Ernährung s<strong>in</strong>d die kle<strong>in</strong>en Bauern, die für ihren eigenenBedarf wirtschaften.Als Risikogruppe gelten <strong>in</strong> allen drei Ländern die Menschen, die sich mitselbstproduzierten und gesammelten Lebensmitteln versorgen. Das s<strong>in</strong>d vor allemFamilien mit vielen K<strong>in</strong>dern auf dem Land sowie Jäger und Förster. DieVerstrahlungsdosis <strong>von</strong> Bauernfamilien kann um e<strong>in</strong> Mehrfaches diedurchschnittliche Dosis der sonstigen Bevölkerung übertreffen. Verbote <strong>des</strong> Angelnsoder der Jagd <strong>in</strong> verseuchten Territorien seien wenig effektiv.Physikalische GrundlagenAktivität: Physikalische Grösse, die angibt, wieviel radioaktive Zerfälle pro Sekun<strong>des</strong>tattf<strong>in</strong>den. Die E<strong>in</strong>heit der Aktivität ist das Becquerel (Bq). 1 Bq bedeutet also, dass1 Zerfall pro Sekunde stattf<strong>in</strong>det.23


Alpha-Strahlung: Bestimmte Atomkerne senden e<strong>in</strong>en Heliumkern (He 4)(bestehend aus zwei Protonen und zwei Neutronen) aus. Kernladungszahl undNeutronenzahl <strong>des</strong> ursprünglichen Atomkerns reduzieren sich also um jeweils zwei,es entsteht e<strong>in</strong> anderes chemisches Element.Alpha-Strahlung hat nur e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Reichweite (z. B. <strong>in</strong> Luft meist nur wenigeZentimeter), ist <strong>in</strong>nerhalb <strong>des</strong> menschlichen Körpers auf e<strong>in</strong>er kurzen Strecke aber <strong>in</strong>der Lage, sehr viele Atome zu ionisieren und die benachbarten Zellen stark zuschädigen, man spricht <strong>von</strong> dicht ionisierender Strahlung.Atombombe (genauer: Kernspaltungswaffe): Bei e<strong>in</strong>er unkontrolliertenKettenreaktion wird alles spaltbare Material (Uran oder Plutonium) <strong>in</strong>nerhalbkürzester Zeit unter Energiefrei-setzung gespalten, es kommt zur Explosion. Diedabei freigesetzte Energie entspricht oft mehreren zehntausend Tonnen e<strong>in</strong>esherkömmlichen chemischen Sprengstoffs.Atome (<strong>von</strong> griechisch atomos: unteilbar): Sie s<strong>in</strong>d mit chemischen Mitteln nichtweiter zerlegbar und bilden die Bauste<strong>in</strong>e für die Materie. Je<strong>des</strong> Atom ist aufgebautaus Atomkern und Atomhülle. Atome unterscheiden sich durch die Anzahl derElektronen <strong>in</strong> der Atomhülle bzw. (was zahlenmässig das gleiche ist) <strong>von</strong> der Anzahlder Protonen im Atomkern (auch Kernladungszahl). Demnach s<strong>in</strong>d sie elektrischneutral. Elektronen- bzw. Protonenzahl s<strong>in</strong>d immer gleich (ausser bei ionisiertenAtomen) und bestimmen die Position e<strong>in</strong>es Atoms im Periodensystem derchemischen Elemente.Atomhülle: Umgibt den Atomkern und bildet den Aufenthaltsort der Elektronen.Durchmesser etwa 10-10 m. Damit ist der Durchmesser 100000mal so gross wie der<strong>des</strong> Atomkerns. Das entspricht der Grösse e<strong>in</strong>es Fussballfel<strong>des</strong> im Vergleich zu e<strong>in</strong>erErbse.Atomkern (auch Nukleus): Kompaktes Inneres <strong>des</strong> Atoms. Er ist aufgebaut ausProtonen und Neutronen, den sog. Nukleonen, und versammelt jeweils über 99% derMasse <strong>des</strong> gesamten Atoms auf extrem kle<strong>in</strong>em Raum (Durchmesser <strong>des</strong> Atomkerns:etwa 10-15 m, das ist der trilliardste Teil e<strong>in</strong>es Meters), hat also e<strong>in</strong>e extrem hoheDichte.Obwohl er u.a. aus Protonen besteht, die sich elektrisch abstossen, wird der Kerndurch die sog. Kernkraft zusammengehalten. Diese wirkt nur zwischen Nukleonen.Atomkraftwerk (oder Kernkraftwerk): In e<strong>in</strong>em Reaktor werden die Atomkernebestimmter Isotope mit Hilfe e<strong>in</strong>er kontrollierten Kettenreaktion gespalten. Dabeiwerden weitere Neutronen freigesetzt, die aber zu schnell s<strong>in</strong>d, um weitereAtomkerne zu spalten. Deshalb benötigt man e<strong>in</strong>en sog. Moderator, der sie abbremst.Bei der Kettenreaktion entstehen weitere, meist radioaktive Isotope (z. B. Strontium90, Iod 131 und Cäsium 137) mit z.T. langen Halbwertszeiten, die als Abfalldauerhaft aus der Biosphäre verbannt werden müssen. Für diese sog. Endlagerunggibt es bislang weltweit ke<strong>in</strong> praktikables Konzept.24


Die bei der Spaltung <strong>in</strong> Form <strong>von</strong> Wärme freigesetzte Energie wird benutzt, umWasserdampf zu erzeugen, der e<strong>in</strong>en Generator (ähnlich e<strong>in</strong>em Dynamo) antreibt.Dieser produziert dann elektrische Energie.Beta-(M<strong>in</strong>us-)Strahlung: Bestimmte Atomkerne senden e<strong>in</strong> Elektron aus beigleichzeitiger Umwandlung e<strong>in</strong>es Neutrons <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Proton. Die Neutronenzahl wirdalso um 1 reduziert, die Protonenzahl um 1 erhöht. Die abgestrahlten Elektronenhaben <strong>in</strong> Luft meist e<strong>in</strong>e Reichweite <strong>von</strong> mehreren Metern und <strong>in</strong> biologischemGewebe <strong>von</strong> e<strong>in</strong>igen Zentimetern. Wie die anderen ionisierenden Strahlungsartenkann bereits e<strong>in</strong> Beta-M<strong>in</strong>us-Teilchen e<strong>in</strong>e Krebszelle erzeugen.Biologische Halbwertszeit: Bezeichnet die Zeitspanne, nach der e<strong>in</strong>e bestimmteSubstanz, die <strong>in</strong> den menschlichen Körper gelangt ist, zur Hälfte wiederausgeschieden wurde.Cäsium 137: Hat e<strong>in</strong>e Halbwertszeit <strong>von</strong> etwa 30 Jahren und ist das durch denReaktorunfall <strong>von</strong> Tschernobyl am meisten verbreitete radioaktive Isotop. Es ist e<strong>in</strong>Beta- bzw. Gamma-Strahler. Es wird vom Menschen z.B. über die Nahrungaufgenommen und nach etwa 80 Tagen ist erst die Hälfte wieder ausgeschieden.Dosis: Bezeichnet die Menge an Strahlungsenergie, die <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em KilogrammMaterie bzw. biologischem Gewebe aufgenommen wird. Die physikalische E<strong>in</strong>heitist 1 Gray (Gy).Dosimeter: Es dient zur Messung der Strahlendosis.Elektromagnetische Wellen bzw. Strahlung: Funkwellen (z.B. für Radio oderFernsehen), Handywellen, sichtbares Licht, UV-Licht, Mikrowellen, Röntgen- undGamma-Strahlung s<strong>in</strong>d Beispiele für elektromagnetische Wellen. Sie unterscheidensich lediglich <strong>in</strong> ihrer Energie, Wellenlänge und Frequenz. So kann normales Lichtke<strong>in</strong>e Hautzellen schädigen, hartes UV-Licht jedoch sehr wohl, und Röntgen-Strahlung gehört bereits zur ionisierenden Strahlung. Elektromagnetische Strahlungbesteht nicht aus Teilchen, sondern aus Energiepaketen, den sogenannten Photonen.Elektron: Sehr kle<strong>in</strong>es, negativ geladenes Teilchen. Bildet die Atomhülle und ist fürdie chemischen B<strong>in</strong>dungen verantwortlich.Gamma-Strahlung: Elektromagnetische Strahlung, ähnlich der Röntgenstrahlung,nur noch energiereicher. Sie hat e<strong>in</strong>e grosse Reichweite und ist nur schwerabzuschirmen. Am besten geschieht dies durch Blei. Obwohl diese Strahlung alslocker ionisierend bezeichnet wird, kann auch sie Zellen irreparabel schädigen.Halbwertszeit: Bezeichnet den Zeitraum, <strong>in</strong>nerhalb <strong>des</strong>sen die Hälfte e<strong>in</strong>erradioaktiven Substanz zerfallen ist.Nach zwei Halbwertszeiten ist also nur noch e<strong>in</strong> Viertel der ursprünglichen Substanzvorhanden. Nach vier Halbwertszeiten existiert nur noch e<strong>in</strong> Sechzehntel <strong>des</strong>ursprünglichen radioaktiven Materials und kann damit oft vernachlässigt werden.Allerd<strong>in</strong>gs entstehen beim Zerfall oft weitere radioaktive Isotope, die alle wieder ihreeigene Halbwertszeit haben.25


Instabiler Atomkern/radioaktives Isotop: Atomkern, der sich unter Aussendung<strong>von</strong> radioaktiver Strahlung umwandelt, man sagt auch: Er zerfällt. Dieser Prozesskann nicht durch äussere E<strong>in</strong>flüsse bee<strong>in</strong>flusst werden.Iod 131: Ist e<strong>in</strong> Beta- und Gamma-Strahler und hat e<strong>in</strong>e Halbwertszeit <strong>von</strong> achtTagen. Bei dem Reaktorunfall <strong>von</strong> Tschernobyl wurde viel da<strong>von</strong> freigesetzt undvom Menschen v.a. über die Luft aufgenommen, um dann <strong>in</strong> den Schilddrüsengespeichert zu werden. Die biologische Halbwertszeit beträgt 120 Tage, d.h. dass <strong>in</strong>diesem Zeitraum auf Grund der kürzeren physikalischen Halbwertszeit bereits allesIod 131 zerfallen ist. Die Schilddrüse erhält während dieser Zeit e<strong>in</strong>e sehr hoheDosis.Ion: Ionen s<strong>in</strong>d elektrisch geladene Atome. Man erreicht dies, <strong>in</strong>dem man derAtomhülle e<strong>in</strong> Elektron entzieht oder h<strong>in</strong>zufügt, man erhält e<strong>in</strong> positives odernegatives Ion.Ionisierende Strahlung: Strahlung, die <strong>in</strong> der Lage ist, neutrale Atome durch Zufuhr<strong>von</strong> Energie <strong>in</strong> geladene Atome (Ionen) umzuwandeln, heisst ionisierend. Beispielefür ionisierende Strahlung: Röntgenstrahlung, Alpha-, Beta- und Gamma-Strahlung.Elektromagnetische Strahlung <strong>von</strong> Handys ist z.B. nicht ionisierend, obwohl auchhier Energie abgeben wird, diesmal aber <strong>in</strong> Form <strong>von</strong> Wärme.Isotop: Bei gleicher Kernladungszahl Z (und damit gleicher Elektronenzahl <strong>in</strong> derAtomhülle, also bei gleichen chemischen Eigenschaften) kann der Atomkern e<strong>in</strong>esElements e<strong>in</strong>e unterschiedliche Anzahl <strong>von</strong> Neutronen besitzen. Damit s<strong>in</strong>d die Kerneunterschiedlich schwer. Beispiel: Wasserstoff (H 1) besitzt e<strong>in</strong> Proton und ke<strong>in</strong>Neutron im Kern. Mit e<strong>in</strong>em Neutron zusätzlich bleibt es chemisch Wasserstoff,dieses Isotop heisst aber jetzt schwerer Wasserstoff (oder Deuterium) (H 2) und istannähernd doppelt so schwer wie normaler Wasserstoff.Kernfusion: Hierbei werden Isotope mit ger<strong>in</strong>ger Massenzahl mite<strong>in</strong>anderverschmolzen. Dadurch entstehen neue chemische Elemente unter Aussendung <strong>von</strong>Energie. Dieser Prozess ist für die Energieabgabe unserer Sonne zuständig.Kernladungszahl Z: Gibt die Anzahl der Protonen im Atomkern an.Kernspaltung: Durch Beschuss <strong>von</strong> bestimmten Isotopen mit langsamen Neutronenkönnen erstere dazu gebracht werden, sich zu spalten und dabei Energie freizusetzen.Kernspaltung zur Energiegew<strong>in</strong>nung ist nur bei Isotopen mit grosser Massenzahl(z.B. e<strong>in</strong>ige Uranisotope) möglich.Kettenreaktion: Bei der Kernspaltung werden neben Energie auch Neutronenfreigesetzt, die dazu dienen können, weitere Atomkerne zu spalten. Unter anderemwird bei der Spaltung <strong>von</strong> Uran 238 pro gespaltenem Atomkern im Schnitt nurwieder 1 weiteres Neutron benutzt, um e<strong>in</strong>en weiteren Urankern zu spalten. Manspricht dann <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er kontrollierten Kettenreaktion. Passiert dies schlagartig, werdenalso nahezu alle spaltbaren Atomkerne <strong>in</strong>nerhalb kürzester Zeit gespalten, wird auchdie Energie schlagartig freigesetzt. Dieses Pr<strong>in</strong>zip benutzt man beim Bau <strong>von</strong>Atombomben.26


Moderator: Er dient <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Atomkraftwerk dazu, schnelle Neutronenabzubremsen. Meist wird dazu Wasser benutzt, <strong>in</strong> russischen Atomkraftwerken aberhäufig auch Graphit, e<strong>in</strong>e besondere Art Kohlenstoff.Massenzahl (A): Gesamtzahl der Kernbauste<strong>in</strong>e (Nukleonen). Sie wird aus derSumme der Protonenzahl Z und Neutronenzahl N (A = Z + N) gebildet. DieMassenzahl wird oft h<strong>in</strong>ter der Abkürzung <strong>des</strong> chemischen Elements angegeben (z.B.Uran mit 92 Protonen und 143 Neutronen: U 235)Neutron: Bildet zusammen mit den Protonen den Atomkern. Es ist elektrisch neutralund etwas schwerer als e<strong>in</strong> Proton. Die Anzahl <strong>von</strong> Neutronen im Atomkern heisstNeutronenzahl N.Neutronenzahl N: Gibt die Anzahl der Neutronen im Atomkern an.Nukleonen oder Kernbauste<strong>in</strong>e: Sie bilden den Atomkern. Es gibt zweiverschiedene Arten <strong>von</strong> Nukleonen: Protonen und Neutronen. Nur zwischen ihnenwirkt die Kernkraft, die sie gegenseitig anzieht.Periodensystem der chemischen Elemente: Tabellarische Auflistung derverschiedenen Atomsorten. Sie unterscheiden sich <strong>in</strong> ihren chemischenEigenschaften, welche durch die Anzahl der Elektronen <strong>in</strong> der Atomhülle (alsoletztlich durch die Kernladungszahl Z) bestimmt werden. Das Periodensystembeg<strong>in</strong>nt beim ersten Element (Wasserstoff, chem. Abkürzung: H) mit e<strong>in</strong>em Protonim Atomkern bzw. e<strong>in</strong>em Elektron <strong>in</strong> der Atomhülle und endet (vorläufig) mit demkünstlich hergestellten, äusserst kurzlebigen Element 112 mit 112 Protonen imAtomkern.Plutonium: Künstlich hergestelltes, auf der Erde (nicht mehr) natürlichvorkommen<strong>des</strong>, radioaktives Element, welches chemisch extrem giftig ist. Plutonium239 kann durch Neutronen gespalten werden und wird zum Bau <strong>von</strong> Atombombenbenutzt. Es hat e<strong>in</strong>e Halbwertszeit <strong>von</strong> 24000 Jahren.Proton: Es ist etwa 1800mal so schwer wie e<strong>in</strong> Elektron, elektrisch positiv geladen,mit genau entgegengesetzter Ladung wie das Elektron. Die Anzahl <strong>von</strong> Protonen imAtomkern heisst Kernladungszahl Z.Radioaktiver Zerfall: Umwandlung e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>stabilen Atomkerns unter Aussendung<strong>von</strong> radioaktiver Strahlung. Meist entsteht danach e<strong>in</strong> wiederum <strong>in</strong>stabiler Atomkern.Der Prozess ist erst beendet, wenn e<strong>in</strong> stabiles Isotop entstanden ist.Radioaktivität: Beim radioaktiven Zerfall wird immer Strahlung freigesetzt. Diefreigesetzte Strahlung (Alpha-, Beta- und Gamma-Strahlung) kann z.B. menschlicheZellen schädigen, da diese durch Energie der Strahlung auf atomarer bzw.molekularer Ebene verändert werden können.Stabiler Atomkern/stabiles Isotop: Atomkern, der nicht radioaktiv ist und sichdemnach nicht umwandeln kann.Strontium 90: Ist ebenfalls nach dem Reaktorunfall <strong>in</strong> Tschernobyl <strong>in</strong> die Biosphäregelangt und wird über die Nahrung aufgenommen. Es hat e<strong>in</strong>e Halbwertszeit <strong>von</strong>27


etwa 30 Jahren und ist e<strong>in</strong> Beta-Strahler. Es wird im menschlichen Körper teilweise<strong>in</strong> die Knochensubstanz e<strong>in</strong>gebaut und verbleibt demnach viel länger im Körper alsCäsium. Die biologische Halbwertszeit beträgt 20 bis 40 Jahre.Uran: Radioaktives Element, welches drei Isotope mit so grossen Halbwertszeitenbesitzt, dass sie noch natürlich vorkommen und bergmännisch abgebaut werdenkönnen. Nur U 235, welches im natürlich vorkommenden Urangeste<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Anteil<strong>von</strong> lediglich 0,72% besitzt, kann durch Neutronen gespalten werden. Es wird <strong>in</strong>Kernkraftwerken und Atombomben als spaltbares Material benutzt.(TB)E<strong>in</strong>schätzung der Strahlenschäden durch ICRP mussrevidiert werdenBeobachtungen der Tschernobylfolgen geben H<strong>in</strong>weise aufkorrekte Kriterien für den Strahlenschutz<strong>von</strong> Inge Schmitz-Feuerhake, European Committee on Radiation Risk (ECRR)Diesen Beitrag widme ich dem Andenken <strong>von</strong> Frau Prof. <strong>Dr</strong>. Hedi Fritz-Niggli, dieim Mai 2005 verstorben ist.Der absolute Schutz <strong>des</strong> ungeborenen Lebens vor den E<strong>in</strong>wirkungen <strong>von</strong>Röntgenstrahlung und Radioaktivität war <strong>in</strong> den Frühzeiten der Strahlenforschung e<strong>in</strong>ehernes Pr<strong>in</strong>zip. Demgegenüber behauptet die InternationaleStrahlenschutzkommission ICRP, das richtungsweisende Beratergremium derIndustrienationen, unter 100 mSv bestünde ke<strong>in</strong> Risiko. Diese Dosis entspricht dem100-fachen <strong>des</strong> Jahresgrenzwerts für die Bevölkerung oder 100 Röntgenaufnahmen.Zahlreiche Beobachtungen nach dem Reaktorunfall <strong>von</strong> Tschernobyl bestätigenjedoch, dass die E<strong>in</strong>schätzung der ICRP nicht haltbar ist, und machen e<strong>in</strong>eRückbes<strong>in</strong>nung auf frühere Strahlenschutzkriterien erforderlich.Bei der E<strong>in</strong>schätzung der Folgen e<strong>in</strong>er vorgeburtlichen Exposition durch ionisierendeStrahlung stützen sich <strong>in</strong>ternationale und nationale Strahlenschutzgremien auf dieBefunde an den japanischen Atombombenüberlebenden. Bei diesen wurdenBee<strong>in</strong>trächtigungen der Intelligenz und verm<strong>in</strong>derter Kopfumfang festgestellt, jedochke<strong>in</strong>e weiteren signifikanten Effekte. Als Risikoperiode gilt die 8. bis 15.Schwangerschaftswoche.Die Internationale Strahlenschutzkommission ICRP nimmt <strong>in</strong> ihrer Publikation Nr.90 <strong>von</strong> 2003 für diese Effekte e<strong>in</strong>e Schwellendosis <strong>von</strong> 100 mSv an, das heisst, beiBestrahlung unterhalb dieses Dosiswertes werden ke<strong>in</strong>e Folgeschäden erwartet. DieseAuffassung steht im Gegensatz dazu, dass die Entwicklungsphase der Lebewesen <strong>in</strong>den frühen Zeiten der Strahlenforschung und noch lange danach als dieempf<strong>in</strong>dlichste angesehen wurde.28


Ergebnisse der Zürcher Strahlenbiologen Fritz-Niggli und Michel sowie andererForscher vor dem Tschernobylunfall 1986Strahlen<strong>in</strong>duzierter Krebs geht nach allgeme<strong>in</strong>er Auffassung <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigengenetisch veränderten Zelle aus. E<strong>in</strong>e solche Mutation kann im Pr<strong>in</strong>zip durch e<strong>in</strong>ebeliebig kle<strong>in</strong>e Dosis - genaugenommen durch e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnes Strahlenquant (a, b, goder Röntgen) - ausgelöst werden. Die ICRP hat dafür den Begriff <strong>des</strong>«stochastischen Schadens» geprägt. Wird e<strong>in</strong> grosses Kollektiv mit e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>genDosis bestrahlt, lässt sich nicht vorhersagen, bei welchem Individuum der Schadene<strong>in</strong>tritt, nur e<strong>in</strong>e Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit lässt sich angeben. Die Anzahl der Schadensfällesteigt mit der Gesamtdosis, jedoch bei der halben Dosis gibt es immer noch die halbeSchadensrate. Daher besteht ke<strong>in</strong> Schwellenwert, die Dosiswirkungskurve beg<strong>in</strong>nt abder Dosis Null zu steigen.Für strahlen<strong>in</strong>duzierte Entwicklungsschäden kommen andere Primäreffekte undWechselwirkungen <strong>in</strong> Betracht. Wie man sich vorstellen kann, s<strong>in</strong>d die biologischenFolgen sehr stark vom Stadium der Entwicklung abhängig. Beobachtet werden zweiKlassen <strong>von</strong> Schädigungen: a) das vorzeitige Absterben der Frucht, b) Missbildungen<strong>von</strong> Organen oder <strong>des</strong> Körperbaus und fehlerhafte Organfunktionen.E<strong>in</strong> Schema der Entwicklungsstörungen <strong>in</strong> ihrer Häufigkeit <strong>in</strong> den wesentlichen dreiEntwicklungsperioden zeigt Abbildung 1:Abb. 1: Entwicklungsstörungen nach Bestrahlung <strong>von</strong> Säugetieren <strong>in</strong> utero (ausFritz-Niggli 1997); d = days (Tage)Diese Angaben beruhen auf e<strong>in</strong>er umfangreichen tierexperimentellen Forschung, diegrossenteils bereits <strong>in</strong> den 60er Jahren durch Rugh und andere <strong>in</strong>ternationale Forschererfolgte und e<strong>in</strong> sehr breites Spektrum an Missbildungen ergab. E<strong>in</strong>e Aufstellungdamals bekannter Effekte beim Menschen zeigt Tabelle 1. Diese wurden teils nachhöheren Strahlendosen erhalten (Strahlentherapie), teils auch nachRöntgendiagnostik:Mikrozephalie (Unterentwicklung <strong>von</strong> Gehirn und Schädel)Nystagmus (Augenzittern)29


Hydrozephalus (Wasserkopf)Porenzephalie (Lückenbildung im Grosshirn)Geistige Beh<strong>in</strong>derungDownsyndromSchwachs<strong>in</strong>nDefekte der SchädelknochenentwicklungSchädelmissbildungMikromelie (Kle<strong>in</strong>heit der Gliedmassen)Microphthalmus (Unterentwicklung <strong>des</strong> Aug-apfels)11.Microcornea (Kle<strong>in</strong>heit der Netzhaut)Kolobom (Spaltbildung bei e<strong>in</strong>em Organ)Strabismus (Schielen)Katarakt (Grauer Star)Chorioet<strong>in</strong>itis (Entzündung der Ader- oder Netzhaut <strong>des</strong> Auges)TotgeburtenVerm<strong>in</strong>dertes GeburtsgewichtSäugl<strong>in</strong>gs- und K<strong>in</strong>dersterblichkeitOhranomalienSp<strong>in</strong>a bifida (Spaltbildung <strong>in</strong> der WirbeGaumenspalteMissbildungen der ArmeKlumpfussVerm<strong>in</strong>derte F<strong>in</strong>gerzahlSyndaktylie (Verwachsung <strong>von</strong> F<strong>in</strong>gernHypermetropie (Übersichtigkeit, zu kurAmelogenesis (Zahnschmelzbildung)Unvollständige ZahnentwicklungMissbildung der GenitalienTabelle 1: Beim Menschen beobachtete Effekte nach vorgeburtlicherRöntgenbestrahlungDie Frage, e<strong>in</strong>e wie ger<strong>in</strong>ge Dosis bereits e<strong>in</strong>en der beobachteten Schäden auslösenkann, wurde zunächst anhand <strong>von</strong> Tierversuchen beantwortet. Während die Expertender deutschen Strahlenschutzkommission sich ausschliesslich auf den sicherenSchwellenwert e<strong>in</strong>schworen, waren andere Forscher wie die Zürcher Strahlenbiolog<strong>in</strong>Fritz-Niggli und ihr Mitarbeiter Michel der Auffassung, dass auch stochastischeEffekte zu erwarten s<strong>in</strong>d. Denn es ist kaum vorstellbar, dass es im vorgeburtlichenLeben nicht Stadien geben soll, wo e<strong>in</strong>zelne Treffer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zelle zuEntwicklungsschäden führen. In ihren eigenen Untersuchungen fanden sie e<strong>in</strong>e Reiheverschiedener Missbildungen noch bei 10 mSv. Dazu verwendeten sieRöntgenstrahlen, die als «locker ionisierend» e<strong>in</strong>gestuft werden und biologischweniger wirksam s<strong>in</strong>d als Alphastrahlung.Tabelle 2 zeigt m<strong>in</strong>imale Dosen an, bei denen noch Defekte im Tierversuchbeobachtet wurden, wobei hier nur Ergebnisse unterhalb <strong>von</strong> 100 mSv, dem ICRP-Schwellenwert, aufgeführt s<strong>in</strong>d. (Sie bedeuten nicht, dass unter diesen Werten ke<strong>in</strong>eEffekte auftreten können.):30


Dosis mSvTage nachBefruchtungEffekteAutorenMaus105050508 Gesamtschädigungsrate Michel, Fritz-Nig0,5 Embryonaltod Rugh, Grupp 10,5 u. 1,5 Embryonaltod, Polydaktylie Ohzu, Mak<strong>in</strong>o7,5 Embryonaltod, Skelettanom. Jacobsen 19Ratte105018 Reflexstörungen UNSCEAR 19 und 16 h Fetaltod Roux u.a. 19Tabelle 2: Kle<strong>in</strong>ste Dosis, bei der Effekte im Tierversuch nach Bestrahlung <strong>in</strong> uterogefunden wurden (aus: Fritz-Niggli 1997, Zitate: siehe dort)Ergebnisse der Untersuchungen an den japanischen AtombombenüberlebendenErst etwa 40 Jahre nach den Atombombenexplosionen <strong>in</strong> Hiroschima und Nagasaki1945 bildete sich die heute bestehende Lehrme<strong>in</strong>ung über vorgeburtlich erzeugteEntwicklungsstörungen beim Menschen heraus, wonach signifikante Effekte beimittleren Strahlendosen nur auf Schädelbildung und Zentralnervensystem zuerwarten s<strong>in</strong>d. Letztere äussern sich als M<strong>in</strong>derungen der Intelligenz bis h<strong>in</strong> zumSchwachs<strong>in</strong>n, wobei sich als empf<strong>in</strong>dlichste Bestrahlungsperiode die 8. bis 15.Schwangerschaftswoche ergab (Miller 1990, Yamasaki 1990). Nach Exposition vorder 8. Woche wurden ke<strong>in</strong>e Effekte registriert.Auch <strong>in</strong> der niedrigsten Dosisgruppe unterhalb 10 mSv wurden zwei Fälle <strong>von</strong>Schwachs<strong>in</strong>n registriert (siehe Abb. 2):31


Abb. 2: Häufigkeit schwerer geistiger Beh<strong>in</strong>derung bei <strong>in</strong> utero exponiertenÜberlebenden <strong>von</strong> Hiroschima und Nagasaki <strong>in</strong> Abhängigkeit <strong>von</strong> der Dosis und vomEntwicklungsstadium bei Bestrahlung (aus Yamasaki 1990). Die vertikalen L<strong>in</strong>ienstellen die 90-%-Vertrauensbereiche der Werte dar.Der Dosiswirkungszusammenhang könnte aus diesen Messwerten nach der 8. bis 15.Schwangerschaftswoche ebensogut ohne Schwelle wie mit Schwelle konstruiertwerden. Daher halten die Autoren die Schwellwertfrage anhand der Daten nicht fürentscheidbar.Die Verm<strong>in</strong>derung <strong>des</strong> IQ mit der Dosis wird zu 21 bis 29 Punkten pro Sv angegeben(Miller 1990). Für diesen Effekt wurde e<strong>in</strong> dosisproportionaler Zusammenhanggefunden, ohne erkennbare Schwelle.Es ist daher nicht nachvollziehbar, wie die ICRP anhand dieser Datenlage zu ihrerSchwellwertfeststellung kommt. Die japanischen Überlebenden stellen ohneh<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>egeeignete Vergleichsgruppe zu e<strong>in</strong>er Normalbevölkerung dar, da sie nicht nur untere<strong>in</strong>er Strahlenbelastung zu leiden hatten, sondern unter Verletzungen, demZusammenbruch der gesamten zivilen Ordnung für Wochen und Monate, demVerlust <strong>von</strong> Verwandten, Wohnung, Nahrung und e<strong>in</strong>er mediz<strong>in</strong>ischen Versorgung.Man muss daher annehmen, dass bei den Schwangerschaften nach demAtombombenfall erheblich mehr To<strong>des</strong>fälle bei Müttern, Feten und Neugeborenenauftraten als normalerweise und dass dadurch u.a. nur e<strong>in</strong>e vergleichsweise ger<strong>in</strong>geAnzahl <strong>von</strong> strahlen<strong>in</strong>duzierten Fehlbildungen evident wurde und e<strong>in</strong>evergleichsweise ger<strong>in</strong>ge spätere K<strong>in</strong>dersterblichkeit. Dies wird bestätigt durchUntersuchungen <strong>von</strong> Stewart und Kneale (1993), die herausfanden, dass sich <strong>in</strong> demKollektiv der nachuntersuchten Überlebenden vergleichsweise viel zu wenigePersonen im K<strong>in</strong><strong>des</strong>alter unter 10 Jahren befanden und dass <strong>in</strong> der Gruppe der <strong>in</strong>utero exponierten der Anteil derjenigen unterhalb 8 Wochen bei Bestrahlung zuger<strong>in</strong>g war.32


Auch wurden sich die Forscher der Tatsache bewusst, dass die Auskünfte derÜberlebenden nur e<strong>in</strong>geschränkt verlässlich waren, da diese Personen gesellschaftlichdiskrim<strong>in</strong>iert wurden und <strong>in</strong>sbesondere Schädigungen ihrer K<strong>in</strong>der nicht angaben, umdie Heiratschancen der Geschwister nicht zu gefährden (Yamasaki 1990).Besonders gravierend ist aber darüber h<strong>in</strong>aus, dass die Exposition bereits fünf Jahrezurücklag, als die Erfassung der Schwangerschafts- und Geburtsdefekte begann. Dasamerikanisch-japanische Forschungs<strong>in</strong>stitut <strong>in</strong> Hiroschima, auf <strong>des</strong>sen langjährigeUntersuchungen sich die Angaben der ICRP beziehen, nahm erst 1950 se<strong>in</strong>e Arbeitauf.Teratogene Effekte nach der Reaktorkatastrophe <strong>von</strong> TschernobylDer Schwellwerthypothese widersprechen e<strong>in</strong>e Reihe <strong>von</strong> Beobachtungen an anderenmenschlichen Kollektiven, die nach diagnostischen Massnahmen oder nachradioaktiven Umweltverseuchungen gemacht wurden. Besonders auffällige Folgenzeigte der Tschernobylunfall.Am 26. April 1986 kam es zu e<strong>in</strong>em Super-GAU <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Block <strong>des</strong>Kernenergiekomplexes Tschernobyl <strong>in</strong> der Ukra<strong>in</strong>e, auf Grund <strong>des</strong>sen radioaktiveWolken bis nach Westeuropa gelangten. Nach Auffassung <strong>in</strong>ternationalerStrahlenschutzgremien s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den kontam<strong>in</strong>ierten Bevölkerungen - ausserSchilddrüsenkrebs - ke<strong>in</strong>e Strahlenschäden zu beobachten. Teratogene Effekte hältman a priori wegen der Schwellwertthese für ausgeschlossen, da die geschätztenUterusdosen im allgeme<strong>in</strong>en weit darunterliegen.Tabelle 3 enthält e<strong>in</strong>e Zusammenstellung publizierter Ergebnisse. Ausser <strong>in</strong> dendirekten Anra<strong>in</strong>erländern Ukra<strong>in</strong>e und Weissrussland wurden im zum Teilhochkontam<strong>in</strong>ierten Nachbarland Türkei Fehlbildungen gemeldet. Erstaunlich s<strong>in</strong>ddie Effekte <strong>in</strong> weit entfernten europäischen Ländern. Es bestätigen sich die besondershohen Wirkungen auf das Zentralnervensystem, die auch <strong>in</strong> Hiroschima undNagasaki auftraten. Darüber h<strong>in</strong>aus zeigt sich e<strong>in</strong> breites Spektrum weitererFehlbildungen und Defekte:Region Art der Effekte ReferenzenWeissrusslandZentralregisterAusgewählteRegionenAnenzephalie, offener Rücken, Lazjuk u.a. 1997Lippen-/Gaumenspalten,Polydaktylie, Verkümmerung<strong>von</strong>Gliedmassen, Petrova u.a. 1997DownsyndromKongenitale Fehlbildungen,Per<strong>in</strong>atalsterblichkeit*, AnämieWeissrussland Verzögerte geistige Kondrashenko u.a. 1996Entwicklung,33


Intelligenzm<strong>in</strong>derung ychik, Stozharov 1999a,bErkrankungen im K<strong>in</strong><strong>des</strong>alter,Kolom<strong>in</strong>sky u.a. 1999Störungen<strong>von</strong> OrganfunktionenGestörte Sprachentwicklung,Intelligenzm<strong>in</strong>derungWeissrussland,belastetes Gebiet GomelChechersky-Distriktbei Gomelhoch Kongenitale FehlbildungenBogdanovich 1999;Savchenko 1995Kongenitale Fehlbildungen,Kulakov u.a. 1993Per<strong>in</strong>atalsterblichkeit,verm<strong>in</strong>derte Geburtenrate**,Erkrankungen im K<strong>in</strong><strong>des</strong>alterWeissrussland,Region BrestWeissrussland,RusslandUkra<strong>in</strong>e,Polessky-Distriktbei KiewPer<strong>in</strong>atalsterblichkeitKongenitale FehlbildungenKörble<strong>in</strong>Shidlovskii 1992Ukra<strong>in</strong>e, Geistige Beh<strong>in</strong>derung Kozlova und u.a. 1999anderementale StörungenKongenitale Fehlbildungen, Kulakov u.a. 1993Per<strong>in</strong>atalsterblichkeit,verm<strong>in</strong>derte Geburtenrate,Erkrankungen im K<strong>in</strong><strong>des</strong>alter2003a,bUkra<strong>in</strong>e,Prov<strong>in</strong>z RovnoErkrankungen im K<strong>in</strong><strong>des</strong>alter Ponomarenko u.a. 1993Ukra<strong>in</strong>e,Region LygynySäugl<strong>in</strong>gssterblichkeit,kongenitaleFehlbildungenGodlevsky, Nasvit 1998Ukra<strong>in</strong>e,Gebiet Zhitomir,Per<strong>in</strong>atalsterblichkeit,Region verm<strong>in</strong>derte GeburtenrateKiew, Stadt KiewKörble<strong>in</strong> 2003a,bImmigranten aus den thma Kordysh u.a. 1995verstrahlten Gebieten <strong>in</strong> IsraelTürkeiAnenzephalie, offener Rücken Akar u.a.1988/89; Caglayanu.a.1990; Güvenc u.a. 1993;Mocan u.a. 1990Europa o. Deutschland:34


Griechenland, Ungarn, Polen, Totgeburten Scherb u.a. 1999b, 2000b,Schweden2003KroatienFehlbildungen <strong>in</strong> Autopsien Krusl<strong>in</strong> <strong>von</strong> u.a. 1998Abortenund nach frühem Tod <strong>des</strong>NeugeborenenWesteuropa Downsyndrom Dolk u.a. 1999Polen Säugl<strong>in</strong>gssterblichkeit Körble<strong>in</strong> 2003aNorwegen Spontane Aborte Ulste<strong>in</strong> u.a. 1990Schweden Downsyndrom Ericson, Kallen 1994Schottland Downsyndrom Ramsay u.a. 1991Ungarn Niedriges Geburtsgewicht Czeisel 1988F<strong>in</strong>nlandBulgarien,gion PlevenFrühgeburten bei fehlgebildeten Harjulehto u.a.1989Säugl<strong>in</strong>genHarjulehto u.a. 1991Verm<strong>in</strong>derte Geburtenrate Scherb, Weigelt 2003TotgeburtenFehlbildungen bei Herz u. ZNS, Moumdjiev u.a. 1992Mehrfach-anomalienItalien Verm<strong>in</strong>derte Geburtenrate Bertoll<strong>in</strong>i u.a. 1990DeutschlandGesamt (BRD+DDR)Per<strong>in</strong>atalsterblichkeit Körble<strong>in</strong>, Küchenhoff 1997;Scherb u.a. 2000a, 2003SüddeutschlandDownsyndromSäugl<strong>in</strong>gssterblichkeitSperl<strong>in</strong>g u.a. 1987, 1991Lün<strong>in</strong>g u.a.1989BayernPer<strong>in</strong>atalsterblichkeit,TotgeburtenGrosche u.a. 1997; Scherbu.a. 1999a, 2000a, 2003Kongenitale Fehlbildungen Körble<strong>in</strong> 2003a, 2004;Verm<strong>in</strong>derte Geburtenrate Scherb, Weigelt 2003Körble<strong>in</strong> 2003aDDR, Zentralregister Lippen/Gaumenspalten f.Zieglowski, Hemprich 1999FehlbildungenJena(Fehlbildungsregister)Isolierte Fehlbildungen Lotz u.a. 199635


JahresgesundheitsberichtWestberl<strong>in</strong> 1987Fehlbildungen für bei Totgeborenen trahlentelex 1989Westberl<strong>in</strong> Downsyndrom Sperl<strong>in</strong>g u.a.1991/1994Tabelle 3: Nach dem Tschernobylunfall beobachtete Anstiege teratogener Effekte*Die Per<strong>in</strong>atalsterblichkeit setzt sich zusammen aus den Totgeburten und derSäugl<strong>in</strong>gssterblichkeit <strong>in</strong>nerhalb der ersten 7 Lebenstage **Verm<strong>in</strong>derte Geburtenrategilt als Mass für spontane AborteDass die Angaben darüber nicht e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>heitlichen Muster folgen, hat damit zu tun,dass die Registrierung bei den e<strong>in</strong>zelnen Forschern oder Behörden nachunterschiedlicher Auswahl und Klassifizierung erfolgte. Die Effekte wurden imallgeme<strong>in</strong>en durch Vergleiche der Raten vor und nach dem <strong>Unfal</strong>l festgestellt.E<strong>in</strong> Beispiel aus den Arbeiten <strong>von</strong> Scherb und Mitarbeitern (GSF-Forschungszentrumfür Umwelt und Gesundheit <strong>in</strong> Neuherberg bei München), die Sterblichkeitsdaten ausverschiedenen europäischen Ländern auswerteten, zeigt Abbildung 3:Abb. 3: Totgeburtenrate für Ungarn, Bayern +DDR +Westberl<strong>in</strong>; Change-Po<strong>in</strong>t-(CP) und reduziertes Change-Po<strong>in</strong>t-Modell (CPr) (aus Scherb, Weigelt 2003)Die Verläufe müssen <strong>in</strong> diesem Fall aus abfallenden Kurven gewonnen werden, daTotgeburten und Säugl<strong>in</strong>gssterblichkeit ke<strong>in</strong>e konstanten Raten aufweisen. E<strong>in</strong>pikantes Detail ist, dass die Geschäftsführung der GSF den Autoren dieGenehmigung zur Veröffentlichung versagen wollte und diese erst nach öffentlichem<strong>Dr</strong>uck erfolgen konnte («Süddeutsche Zeitung» 1998).Wütende Schmähungen erfuhr auch der Genetiker Sperl<strong>in</strong>g, der nach Tschernobylüber e<strong>in</strong>en auffälligen Anstieg der Fälle <strong>von</strong> Downsyndrom <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong> berichtete(Abb. 4), exakt 9 Monate nach dem <strong>Unfal</strong>l. Dabei war das Downsyndrom als36


Strahlenfolge <strong>in</strong> der Literatur seit langem bekannt und schon bei sehr niedriger Dosisbeobachtet worden. Da Westberl<strong>in</strong> zu der Zeit sozusagen e<strong>in</strong>e abgeschiedene Inselwar, gibt es ke<strong>in</strong>en plausiblen Grund, den Zusammenhang mit der radioaktivenWolke abzulehnen.Abb. 4 Anstieg der Fälle <strong>von</strong> Downsyndrom <strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong>, 9 Monate nachTschernobyl (aus Sperl<strong>in</strong>g u.a. 1994)Das DosisargumentTrotz ihrer erdrückenden Fülle werden alle diese Ergebnisse offiziell nicht zurKenntnis genommen. Das gängige Argument ist, die Dosis sei viel zu kle<strong>in</strong>, um e<strong>in</strong>enerkennbaren Effekt hervorzurufen. Oder aber es wird behauptet, es gäbe ke<strong>in</strong>enZusammenhang zwischen der Höhe der Strahlendosis <strong>in</strong> verschiedenen Regionen undden dort beobachteten Effekten. Dabei wird immer da<strong>von</strong> ausgegangen, dass dieDosis h<strong>in</strong>reichend genau ermittelbar ist. Bei näherem H<strong>in</strong>sehen erweist sich diesesjedoch nicht als stichhaltig.Die Dosis ist physikalisch e<strong>in</strong>e absorbierte Energie pro kg Gewebe. Bei e<strong>in</strong>erBelastung durch Umweltradioaktivität muss man wissen, auf welchem Wege dieRadionuklide <strong>in</strong> den Körper gelangen, woh<strong>in</strong> - das heisst <strong>in</strong> welche Organe undGewebe - sie sich dort auf Grund ihres Stoffwechselverhaltens begeben und wielange sie sich dort aufhalten. Die ICRP hat für je<strong>des</strong> Nuklid Dosisfaktoren entwickelt,die angeben, wieviel Dosis <strong>in</strong> Sievert (Sv) e<strong>in</strong> Mensch während se<strong>in</strong>es weiterenLebens erhält, wenn er e<strong>in</strong> Bequerel (Bq) <strong>des</strong> radioaktiven Stoffes entweder e<strong>in</strong>atmetoder über den Mund aufnimmt. Dazu hat sie Modellrechnungen vorgenommen.Zugrunde gelegt wird das Modell e<strong>in</strong>es Standardmenschen (für verschiedeneAltersstufen), <strong>in</strong> dem die Organe und Gewebe geometrisch nachgebildet werden, umsie mathematisch erfassen zu können.37


Das Stoffwechselverhalten im Körper wird ebenfalls modellmässig nachgebildet.Man kann sich vorstellen, dass dabei e<strong>in</strong>e grosse Zahl <strong>von</strong> Parametern berücksichtigtwerden muss, die erheblichen <strong>in</strong>dividuellen und milieubed<strong>in</strong>gten Variationenunterliegen. Ausserdem müssen Annahmen darüber gemacht werden, <strong>in</strong> welcherchemischen Verb<strong>in</strong>dung und physikalischen Form die radioaktiven Substanzenvorliegen.Die Modelle s<strong>in</strong>d mit der Zeit immer komplizierter geworden. Besonders beimE<strong>in</strong>atmen radioaktiver Aerosole hat man das Problem, die Ablagerung und denWeitertransport sowie den Lösungsvorgang <strong>in</strong> den verschiedenen Bereichen derLunge nachbilden zu wollen. 1994 hat die ICRP e<strong>in</strong> neues Lungenmodell angegeben,<strong>des</strong>sen Beschreibung e<strong>in</strong> Buch <strong>von</strong> fast 500 Seiten füllt. Seitdem hat <strong>in</strong> der Literature<strong>in</strong>e Diskussion über die Verlässlichkeit der Dosisfaktoren e<strong>in</strong>gesetzt, die ohneVertrauensbereiche angegeben s<strong>in</strong>d. Es stellt sich heraus, dass die Unsicherheitene<strong>in</strong>ige Zehnerpotenzen betragen können.Von offizieller Seite wird behauptet, die Dosisfaktoren seien für den Strahlenschutzanwendbar, weil sie «konservativ» seien, das heisst, sie liegen angeblich auf dersicheren Seite. Dafür gibt es jedoch ke<strong>in</strong>erlei Beweis, und so s<strong>in</strong>d sie auch nichtgewonnen worden. Was wir aber <strong>in</strong>zwischen feststellen können, ist, dass dieAngaben über die Strahlenbelastung der betroffenen Bevölkerungen, die auf ebendiese physikalische Weise gewonnen wurden, viel zu kle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d.E<strong>in</strong>e solche Schlussfolgerung ist zw<strong>in</strong>gend, wenn man Ergebnisse zur Kenntnisnimmt, die mit Hilfe der «Biologischen Dosimetrie» gewonnen wurden. IonisierendeStrahlen erzeugen <strong>in</strong> den Zellen <strong>des</strong> Menschen sichtbare Chromosomendefekte. E<strong>in</strong>ebestimmte Sorte da<strong>von</strong>, «dizentrische» Chromosomen, die sich <strong>in</strong> den weissenBlutkörperchen zeigen, s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> besonders empf<strong>in</strong>dlicher und sicherer Indikator füre<strong>in</strong>e Bestrahlung. Dizentrische Chromosomen entstehen durch Zusammensetzenzweier Chromosomen mit abgebrochenen Enden, sie haben daher zwei Knotenpunkte(Zentromere). Die Bruchstücke ohne Zentromere s<strong>in</strong>d ebenfalls im Präparat zu f<strong>in</strong>den(azentrische Fragmente); siehe Abb.5:38


Abb.5: Chromosomenpräparat e<strong>in</strong>es weissen Blutkörperchens mit drei dizentrischenChromosomen (schwarze Pfeile) nach Hochdosisbestrahlung; lehre Pfeile:dazugehörige azentrische Fragmente (aus: Fritz-Niggli 1997)Verschiedene Forschergruppen haben solche Untersuchungen nach Tschernobyldurchgeführt. Die physikalisch ermittelten Dosen wurden <strong>in</strong> den weiter entfernteneuropäischen Ländern mit kle<strong>in</strong>er als 1 mSv pro Jahr angegeben (zum Vergleich:etwa 1 mSv pro Jahr beträgt die natürliche Strahlenbelastung, wenn man dasradioaktive Edelgas Radon <strong>in</strong> der Atemluft, das sich <strong>in</strong> unseren Häusern ansammelt,nicht mitzählt). Für die weniger betroffenen Gebiete der Länder Weissrussland,Ukra<strong>in</strong>e und Russland wurden Gesamtdosen <strong>von</strong> e<strong>in</strong>igen mSv ermittelt. Selbst <strong>in</strong> derhochkontam<strong>in</strong>ierten Region um Gomel nahe dem Reaktor soll die Dosis im Mittelnur 13 mSv betragen haben. Die Rate dizentrischer Chromosomen <strong>in</strong> Mitgliedern derBevölkerung war jedoch auch noch <strong>in</strong> Deutschland und Österreich signifikant erhöht,und zwar bei Berchtesgaden und Salzburg. Das wäre bei den angegebenenphysikalischen Dosen nicht möglich. Man kann daraus schliessen, dass die wahrenDosen um 1 bis 2 Grössenordnungen höher liegen.Schlussfolgerungen aus den TschernobylbeobachtungenAus den vorgestellten Beispielen über unbeachtete Strahleneffekte folgt:1. Die massgeblichen <strong>in</strong>ternationalen und nationalen Strahlenschutzgremien machenunvollständige Annahmen über die zu erwartenden Effekte bei niedriger Dosis. Diestets bemühten und nahezu ausschliesslich für Risikobewertungen herangezogenenjapanischen Atombombenüberlebenden s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e geeignete Referenzbevölkerungzur Beurteilung der Gesundheitsschäden durch Umweltradioaktivität.39


2. Das System zur Sicherung der E<strong>in</strong>haltung der Grenzwerte ist fehlerhaft. Anhandder Fülle der zu beobachtenden Effekte durch Umweltradioaktivität ist evident, dassman die Dosis mit Hilfe der herkömmlichen und amtlich vorgeschriebenen Methodiknicht bestimmen kann.Hedi Fritz-Niggli und Christian Michel gehörten zu den Forschern, die auf diemangelhaften Kenntnisse über die Wirkungen <strong>in</strong>korporierter Radioaktivität imEntwicklungsstadium h<strong>in</strong>gewiesen haben. Der Ma<strong>in</strong>stream-Wissenschaftsbetrieb hältjedoch die strahlenbiologischen Grundlagen für h<strong>in</strong>reichend erforscht. DasStrahlenbiologische Institut der Universität Zürich gibt es wie etliche andere <strong>in</strong>Europa schon lange nicht mehr.Literatur:Akar, N., Cavdar, A.O., Arcasoy, A.: High <strong>in</strong>cidence of Neural Tube defects <strong>in</strong>Bursa, Turkey. Paediatric and Per<strong>in</strong>atal Epidemiol. 2 (1988) 89-92Akar, N., Ata, Y., Aytek<strong>in</strong>, A.F.: Neural Tube defects and Chernobyl? (Letter)Paediatric and Per<strong>in</strong>atal Epidemiol. 3 (1989) 102-103Bertoll<strong>in</strong>i, R., Lallo, D., Mastroiacovo, P., Perucci, C.A.: Reduction of births <strong>in</strong> Italyafter the Chernobyl accident. Scand J Work Environ Health 16 (1990) 96-101Bogdanovich, I.P.: Comparative analysis of the death rate of children, aged 0-5, <strong>in</strong>1994 <strong>in</strong> radiocontam<strong>in</strong>ated and conventionally clean areas of Belarus. In:Medicobiological effects and the ways of overcom<strong>in</strong>g the Chernobyl accidentconsequences. Collected book of scientific papers dedicated to the 10th anniversaryof the Chernobyl accident. M<strong>in</strong>sk-Vitebsk 1997, p. 4Caglayan, S., Kayhan, B., Mentesoglu, S., Aksit, S.: Chang<strong>in</strong>g <strong>in</strong>cidence of neuraltube defects <strong>in</strong> Aegean Turkey. Paediatric and Per<strong>in</strong>atal Epidemiol. 4 (1990) 264-268Czeisel, A. E., Billege, B.: Teratological evaluation of Hungarian pregnancyoutcomes after the accident <strong>in</strong> the nuclear power station of Chernobyl. Orvosi Hetilap129 (1988) 457-462 (Ungar.)Dolk, H., Nichols, R., and a EUROCAT Work<strong>in</strong>g Group: Evaluation of the impact ofChernobyl on the prevalence of congenital animalies <strong>in</strong> 17 regions of Europe. Int. J.Epidemiol. 28 (1999) 941-948Ericson, A., Kallen, B.: Pregnancy outcome <strong>in</strong> Sweden after the Chernobyl accident.Environ. Res. 67 (1994) 149-159Fritz-Niggli, Hedi: Strahlengefährdung/Strahlenschutz. Verlag Hans Huber 4. Aufl.1997Godlevsky, I., Nasvit, O.: Dynamics of health status of residents <strong>in</strong> the Lugnynydistrict after the accident of the ChNPS. In: Imanaka, T. (ed.): Research activitiesabout the radiological consequences of the Chernobyl NPS accident and social40


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Yamasaki, J.N., Schull, W.J.: Per<strong>in</strong>atal loss and neurological abnormalities amongchildren of the Atomic bomb. Nagasaki and Hiroshima revisited, 1949 to 1989.JAMA 264 (1990) 605-609Zieglowski, V., Hemprich, A.: Facial cleft birth rate <strong>in</strong> former East Germany beforeand after the reactor accident <strong>in</strong> Chernobyl. Mund Kiefer Gesichtschir. 3 (1999) 195-199European Committee on Radiation Risk (ECRR)Das European Committee on Radiation Risk wurde 1997 auf Grund e<strong>in</strong>er Initiativeder Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament gegründet. Damals wurdenBedenken an der EU-Richtl<strong>in</strong>ie 96/29/Euratom auf e<strong>in</strong>er Konferenz <strong>in</strong> Strassburgformuliert. Die grundlegenden Annahmen über die gesundheitlichen Auswirkungender künstlich erzeugten Radioaktivität erschienen etlichen Teilnehmern alsunverantwortliche Verharmlosung. Es wurde beklagt, dass e<strong>in</strong>e demokratischeKontrolle der normgebenden Beratergremien ICRP (International Commission onRadiological Protection) und UNSCEAR (United Nations Scientific Committee onthe Effects of Atomic Radiation) <strong>von</strong> jeher gefehlt hat. Daher sollte e<strong>in</strong>e Möglichkeitgeschaffen werden, das gesamte Spektrum der wissenschaftlichen Erkenntnisse zuerfassen und zu berücksichtigen.Das <strong>in</strong>folge<strong>des</strong>sen e<strong>in</strong>gerichtete ECRR versteht sich als unabhängigerZusammenschluss <strong>von</strong> Wissenschaftlern, der se<strong>in</strong>e Bewertung der Strahlenfolgen alsAlternative vorträgt und Strahlenschutzempfehlungen abgibt. Die erste Vorsitzendewar die bekannte Spezialist<strong>in</strong> für Niederdosiseffekte, Prof. Alice Stewart. IhremAndenken ist der erste ECRR-Report <strong>von</strong> 2003 gewidmet. Der wissenschaftlicheSekretär der Vere<strong>in</strong>igung ist der Strahlenforscher <strong>Dr</strong>. Chris Busby, U.K.Quelle: www.euradcom.org«Tschernobyl Generation»Lebenssituationen und Perspektiven im Vergleich <strong>von</strong> dreiLändern und Regionen - Gomel (Belarus), Brjansk(Russland), Chernigov (Ukra<strong>in</strong>e)Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), Bern, SchweizTschernobyl liegt im Jahr 2006 rund e<strong>in</strong>e Generationsfolge zurück. Aus diesemAnlass ist es wichtig zu wissen, wie die junge Generation betroffen wurde und vomEreignis geprägt wird. Sie hat die grösste technogene Katastrophe erfahren damals,als sich ihre Lebenswünsche und ihr Bild <strong>von</strong> der Zukunft geformt haben. Allebetroffenen Generationen erlebten zugleich die Wirbel <strong>des</strong> sozialen und -politischen44


Umbruchs seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Verarbeitung derKatastrophe erfolgte zusammen mit Öffnungen und damit verbundenen Hoffnungenoder Befürchtungen. Die drei Regionen suchen ihren Weg als Teile der neuenNationen <strong>in</strong> unterschiedlicher Weise. Die Frage ist gestellt, wie diese regionalenUnterschiede die Verarbeitung <strong>von</strong> Tschernobyl bee<strong>in</strong>flussen. Die «TschernobylGeneration» hat wichtige Botschaften an die <strong>in</strong>ternationale Geme<strong>in</strong>schaft zuvermitteln: Was können wir aus Katastrophen lernen, wenn wir den Blick auf diebetroffenen Menschen und ihre Regionen lenken?2270 Befragungen wurden <strong>in</strong> den betroffenen Regionen der drei Länder durchgeführt.Die ersten Auswertungen erfolgten auf den 10. November dieses Jahres. DieResultate zeigen e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>drücklichen, vielfältigen und wissenschaftlich begründetenE<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Situationen der betroffenen Menschen und Regionen.Diese Ergebnisse beruhen auf der Erst-analyse der Daten und s<strong>in</strong>d vorläufig.• Die Katastrophe hat Randgruppen geschaffen; die Gesundheitsgefährdung bleibt dieerste Sorge, die durch materielle Defizite verstärkt wird.• Die Katastrophe hat die betroffenen Räume zu besonderen Randregionen und -Peripherien gemacht. Die Distanz zu den nationalen Zentren ist durch dieNachwirkungen, Gesundheitsfolgen, Armut und Gefühle der Vernachlässigung,vergrössert worden.• Das Verhältnis der betroffenen Randregionen zu den jeweiligen nationalen Zentrenist <strong>in</strong> den drei Ländern sehr unterschiedlich und wirkt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>deutiger Richtung: DieRegion Gomel zeigt bedeutend bessere E<strong>in</strong>stufungen der Bef<strong>in</strong>dlichkeit, derMassnahmen und der Wirksamkeit der Hilfe als die Region Brjansk und vor allem alsdie Region Chernigov. Letztere zeigen e<strong>in</strong>e sehr hohe Entfremdung zu denVerantwortlichen im Zentrum.• In allen drei Peripherien fühlen sich die Menschen überwiegend an den lokalen Ortgebunden. Um so e<strong>in</strong>schneidender ist die Tatsache, dass die Zukunftsperspektivender Region mit Abstand am meisten pessimistisch empfunden werden; die Zukunft<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> und besonders der Weltgeme<strong>in</strong>schaft werden <strong>in</strong> helleren Farben gesehen(Graphik); dies ist genau umgekehrt <strong>in</strong> reichen Ländern, z. B. <strong>in</strong> der Schweiz, <strong>in</strong> derEuropa und die Welt pessimistisch gesehen werden.• Katastrophen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Wirkung bedeutend gravierender als «Unfälle», dieIndividuen betreffen. Sie verändern die lokalen Gesellschaften und die <strong>in</strong> ihnenlebenden sozialen Gruppen als Ganzes. Soziale und regionale Randlagen s<strong>in</strong>d dielangfristige Folge. Sie werden verstärkt durch die Distanzierung und Gleichgültigkeitder nationalen Zentren. Es liegt bei der Regionalpolitik und der Bereitschaft derZentren, ihr Verhältnis zu den Peripherien zu verbessern.45


Regionen im Schatten: Zukunftsoptimismus der Teenager <strong>in</strong> den drei Ländern für sichpersönlich, die Region, das Land und die Weltgesellschaft.Risikoreiche Technologien m<strong>in</strong>imierenSeit dem Zweiten Weltkrieg s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> unseren <strong>in</strong>dustrialisierten Ländern Energie- undMaterialverbrauch enorm gestiegen. Diese Vergrösserung <strong>des</strong> ökologischenFussabdruckes war nur durch umfassenden Raubbau und mittels E<strong>in</strong>führungrisikoreicher Technologien (Kernenergie, Chemie ... ) möglich.Wir und künftige Generationen s<strong>in</strong>d aufgerufen, mit Schaffenskraft und Phantasiediesen Trend zu korrigieren und damit e<strong>in</strong>e umfassend nachhaltigere und friedlichereGesellschaft zu entwickeln.Dazu gehören die konsequente M<strong>in</strong>imierung <strong>von</strong> risikoreichen Technologien sowiedie Reduktion unseres heutigen Energieverbrauchs auf e<strong>in</strong> <strong>Dr</strong>ittel. DieseTransformation zur 2000-Watt-Gesellschaft wäre ohne Verzicht auf relevanteLebensqualität möglich.Schaffen wir zusammen mit unserer Jugend e<strong>in</strong>e realistische Vorstellung, wie e<strong>in</strong>esolche Gesellschaft im E<strong>in</strong>klang mit unserer Umwelt aussehen wird.E<strong>in</strong> Sekundarlehrer naturwissenschaftlicher Richtung20 Jahre nach Tschernobyl - Erfahrungen und Lehren für die ZukunftE<strong>in</strong>ladung zum Internationalen Kongress vom 3. bis 5. April2006 <strong>in</strong> der Berl<strong>in</strong>er Charité46


- 1. Ankündigung, 1st Announcement, Call for Papers -Vor 20 Jahren explodierte das Kernkraftwerk Tschernobyl. Die Katastrophe trafMillionen <strong>von</strong> Menschen unvorbereitet. Der Versuch, die Katastrophe e<strong>in</strong>fachgeheimzuhalten, verh<strong>in</strong>derte wichtige Massnahmen, die zum Schutz der Bevölkerunghätten getroffen werden können. Wichtige Daten über den <strong>Unfal</strong>lablauf und über dieStrahlenschäden wurden nicht dokumentiert, geheimgehalten oder frei erfunden.Bis heute werden die Folgen nicht vollständig erfasst und dargestellt. Wichtige<strong>in</strong>ternationale Gremien unterwerfen sich der Praxis der Verschleierung. 1991 kam das«Tschernobylprojekt» unter der Leitung der Internationalen Atomenergieagentur(IAEA) <strong>in</strong> Wien zu dem Ergebnis, es gäbe ke<strong>in</strong>e Gesundheitsstörungen, die direkt derStrahlenbelastung zugeordnet werden könnten. Das Wissenschaftliche Komitee derVere<strong>in</strong>ten Nationen für die Wirkung der Atomstrahlung (UNSCEAR) erklärte imJahre 2000, ausser dem Schilddrüsenkrebs bei K<strong>in</strong>dern gäbe es ke<strong>in</strong>en Nachweise<strong>in</strong>er Zunahme <strong>von</strong> Krebserkrankungen, der zur Strahlenbelastung <strong>in</strong> Beziehunggesetzt werden könnte. Und seit 2003 arbeiten die Organisationen der Vere<strong>in</strong>tenNationen (UN) im sogenannten «Tschernobylforum» an der Formulierung <strong>von</strong>beschwichtigenden Sprachregelungen. Der Manager <strong>des</strong> Strahlenprogramms derWeltgesundheitsorganisation (WHO), <strong>Dr</strong>. M. Repacholi, erklärte im September 2005<strong>in</strong> Wien: «Die Hauptbotschaft <strong>des</strong> Tschernobylforums ist: ke<strong>in</strong> Grund zurBeunruhigung.»Es gibt jedoch e<strong>in</strong>e grosse Anzahl <strong>von</strong> Ärzten und Wissenschaftlern aus denbetroffenen Ländern Ukra<strong>in</strong>e, Weissruss-land und Russland sowie aus den weiter <strong>von</strong>Tschernobyl entfernten europäischen Ländern, die zu ganz anderen Ergebnissengekommen s<strong>in</strong>d. Ziel e<strong>in</strong>er vom 3. bis 5. April <strong>in</strong> der Berl<strong>in</strong>er Charité stattf<strong>in</strong>dendenTagung ist es <strong>des</strong>halb, ihre Erkenntnisse darzustellen und für ihre Verbreitung zusorgen. Veranstalter s<strong>in</strong>d die deutsche Gesellschaft für Strahlenschutz e.V. und dasEuropean Committee on Radiation Risk (ECRR), mit Unterstützung der deutschenSektion der IPPNW und <strong>des</strong> Fach<strong>in</strong>formationsdienstes Strahlentelex. Mit der Tagungist die Hoffnung verbunden, den betroffenen Menschen wirksamer helfen zu könnenund die wahrheitsgemässe Erfassung ihrer Beschwerden sicherzustellen.FragestellungenGesundheitliche Auswirkungen <strong>in</strong> der Ukra<strong>in</strong>e, Weissrussland und Russland: Wiehaben sich die Daten für Erkrankungen, zum Beispiel der Schilddrüse, Brustkrebs,Leukämie, Augenkrankheiten, teratogene Schäden, und für den Gesundheitszustandder Bevölkerung <strong>in</strong>sgesamt verändert?Gesundheitliche Folgen <strong>in</strong> Europa: Über die beobachteten gesundheitlichenAuswirkungen <strong>des</strong> <strong>Unfal</strong>ls <strong>in</strong> anderen europäischen Staaten soll berichtet und e<strong>in</strong>zusammenfassender Überblick gewonnen werden.Technische Fragen: Gibt es neue Erkenntnisse zur Ursache der Katastrophe? Ist derteure Bau e<strong>in</strong>es Sarkophags II erforderlich? Haben wir etwas für denKatastrophenschutz gelernt? S<strong>in</strong>d wir gegen Atomkatastrophen ausreichend47


versichert? Können Kernkraftwerke vor Terror und Krieg geschützt werden? Reichtdie übliche Umgebungsüberwachung für Kernkraftwerke aus?Strukturelle H<strong>in</strong>tergründe, <strong>in</strong>ternationale Informationspolitik und <strong>in</strong>ternationaleProgramme zur Beseitigung der Folgen: Können wir uns auf <strong>in</strong>ternationale Gremienwie die ICRP, WHO, EURATOM, UNSCEAR und IAEA verlassen?Programmkomitee:Elena B. Burlakova, MoskauChris Busby, LiverpoolPere Carbonell, BarcelonaRose Goncharova, M<strong>in</strong>skWolfgang Hoffmann, GreifswaldAlexej Jablokow, MoskauWolfgang Köhnle<strong>in</strong>, MünsterHorst Kuni, MarburgRudi H. Nussbaum, Portland, OregonAngel<strong>in</strong>a Nyagu, KiewSebastian Pflugbeil, Berl<strong>in</strong>Inge Schmitz-Feuerhake, KölnSteve W<strong>in</strong>g, Chapel Hill, North Carol<strong>in</strong>aWeitere Informationen und Kontakt:Gesellschaft für Strahlenschutz e.V. (GSS), <strong>Dr</strong>. Sebastian Pflugbeil,PräsidentGormannstr. 17, D-10119 Berl<strong>in</strong>, Germany, Telefax: +49-30-44 34 28 34;E-Mail: Pflugbeil.KvT@t-onl<strong>in</strong>e.deOrganisation und Koord<strong>in</strong>ation:GSS c/o Thomas Dersee, Waldstr. 49, D-15566 Schöneiche bei Berl<strong>in</strong>, Germany,Telefax: +49-30-64329167; E-Mail: thomasdersee@strahlentelex.deGrenzwerte für Strahlenbelastung <strong>in</strong> LebensmittelnUmwelt<strong>in</strong>stitut München gewährleistet Forschung undInformationDie Europäische Union reagierte auf den <strong>Unfal</strong>l <strong>von</strong> Tschernobyl zunächst mit demE<strong>in</strong>fuhrverbot <strong>von</strong> Agrarerzeugnissen und dann mit Höchstwerten für48


Nahrungsmittel. Die Höchstwerte sollten die Verbraucher <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>schaft nurvor radioaktiv kontam<strong>in</strong>ierten Lebensmitteln aus <strong>Dr</strong>ittländern schützen. Wegen derfrühzeitigen Entwarnung durch offizielle Stellen und dementsprechend nachlässiggehandhabte Kontrollen gab es <strong>in</strong> den Jahren 1997 und 1998 wiederholte Fälle <strong>von</strong>Nichte<strong>in</strong>haltung der Höchstwerte, <strong>in</strong>sbesondere bei e<strong>in</strong>igen Pilzarten ausosteuropäischen Ländern. Dies führte damals dazu, dass die E<strong>in</strong>fuhrbed<strong>in</strong>gungen fürlandwirtschaftliche Erzeugnisse ergänzt und für Pilze verschärft wurden.Obgleich die bis heute hohen Kontam<strong>in</strong>ationen, <strong>in</strong>sbesondere <strong>von</strong> Waldprodukten,bekannt s<strong>in</strong>d, hat es die EU erst im Jahr 2003 geschafft, e<strong>in</strong>e Empfehlungauszusprechen, die auch bei heimischen Produkten die E<strong>in</strong>haltung der Höchstwertefordert. Und dies auch nur, weil sonst mit dem Beitritt e<strong>in</strong>er Reihe «verdächtiger»osteuropäischer Länder zum 1. Mai 2004 hoch belastete Lebensmittel ganz legal EUweithätten verkauft werden dürfen.Allerd<strong>in</strong>gs können weder an den Grenzen noch <strong>in</strong>nerhalb der e<strong>in</strong>zelnenMitgliedsländer lückenlose Kontrollen durchgeführt werden. Es f<strong>in</strong>den lediglichStichprobenkontrollen statt. Der Höchstwert für die Cäsium-Belastung ist <strong>in</strong> denLändern der Europäischen Union auf 600 Bq/kg für Nahrungsmittel und 370 Bq/kgfür Milch und Säugl<strong>in</strong>gsnahrung festgelegt. Die Grenzwertregelung gilt bis zum31.März 2010.Das Umwelt<strong>in</strong>stitut München e.V. und andere unabhängige Experten raten zustrengeren Grenzwerten: 30 bis 50 Bq/kg bei Nahrung für Erwachsene und 10 bis 20Bq/kg für K<strong>in</strong>der, stillende und schwangere Frauen, bei Babynahrung bis 5 Bq/kgCäsium-Aktivität. Während <strong>des</strong> Wachstums teilen sich die Zellen häufiger, für dieReparatur e<strong>in</strong>er geschädigten Zelle bleibt oft nicht genügend Zeit. [...]Unter www.umwelt<strong>in</strong>stitut.org/atom f<strong>in</strong>den Sie weitere Informationen zuRadioaktivität.Quelle: Umwelt<strong>in</strong>stitut München e.V., Pilze und Wild. Tschernobyl - noch nichtgegessen. 2005Telefon: +49 89 30 77 49-0E-Mail: <strong>in</strong>fo@umwelt<strong>in</strong>stitut.orgwww.umwelt<strong>in</strong>stitut.orgLiteraturMaterial der Tschernobyl-Initiative <strong>in</strong> der Propstei Schöppenstedt, erhältlich bei:Tschernobyl-Initiative, Hauptstr. 34, D-38170 Uehrde-Watzum,E-Mail: Tschernobyl-Initiative.Schoepp@Onl<strong>in</strong>ehome.deTschernobyl-Initiative.welcomes-you.com49


• Kljashtchuk, Anatol. K<strong>in</strong>der <strong>von</strong> Tschernobyl: Erben e<strong>in</strong>er Atomkatastrophe.Fotomappe mit Arbeitshilfe für den Unterricht. Hrsg: Paul Koch und ManfredKwiran, 2000• Die Spur der schwarzen Wolke: Die Katastrophe <strong>von</strong> Tschernobyl mit den Augender betroffenen K<strong>in</strong>der und E<strong>in</strong>drücke e<strong>in</strong>er deutsch-weissrussischen Reisegruppe.Klitzschen: Elbe-Dnjepr-Verlag 2000. ISBN 3-933395-15-1• Wegner, Dietrich. Wunden heilen langsam: Tschernobyl - drei Leben danach (zweisprachig:Deutsch/Russisch), Wolfenbüttel und M<strong>in</strong>sk 2003• Koch, Paul und Wohlfarth, Horst. Belarus nach Tschernobyl. Schriftenreihe zuverschiedenen Schwerpunkten• Radiobiologische Aspekte der Tschernobyler Katastrophe. Tschernobyl und se<strong>in</strong>eFolgen, Band 1. Klitzschen: Elbe-Dnjepr-Verlag, 1994. ISBN 3-9803645-1-8• Tiere im radioaktiven Strahlenfeld. Tschernobyl und se<strong>in</strong>e Folgen, Band 2Klitzschen: Elbe-Dnjepr-Verlag, 1994. ISBN 3-9803645-2-6• Ökologische Probleme e<strong>in</strong>es Flusses nach der Katastrophe <strong>in</strong> Tschernobyl.Tschernobyl und se<strong>in</strong>e Folgen, Band 5. Klitzschen: Elbe-Dnjepr-Verlag, 1998. ISBN3-9803645-6-9Alexijewitsch, Swetlana. Tschernobyl: E<strong>in</strong>e Chronik der Zukunft. Berl<strong>in</strong>: Berl<strong>in</strong>Verlag, 1997. ISBN 3-8270-0215-XBruschko, Sergej und Jaeggi, Hugo (Fotos); Butschk<strong>in</strong>, Semlon und Jaeggi, Peter(Text). Die Hoffnung stirbt zuletzt. (Deutsch/Russisch) Aarau: AT Verlag, 1998.ISBN 3-85502-637-8Yarosh<strong>in</strong>skaya, Alla. Verschlusssache Tschernobyl: Die geheimen Dokumente ausdem Kreml. Mit e<strong>in</strong>em Vorwort <strong>von</strong> Sebastian Pflugbeil. Berl<strong>in</strong>: Basis<strong>Dr</strong>uck Verlag,1994. ISBN 3-86163-062-1Yarosh<strong>in</strong>skaya, Alla. Die grosse Lüge - Tschernobyl 20 Jahre danach. Ersche<strong>in</strong>t zurLeipziger Buchmesse am 16. März 2006, Melzer Verlag GmbHPolidori, Robert. Sperrzonen: Pripjat und Tschernobyl. Gött<strong>in</strong>gen: Steidl Verlag,2004. ISBN 3882439211Permanentes Völkertribunal: Tschernobyl: Auswirkungen auf Umwelt, Gesundheitund Menschenrechte. Wien, 12.-15. April 1996. ISBN 3-00-001500-0. Zu beziehenüber <strong>Dr</strong>.Michel Fernex, Postfach 167, CH-4118 RodersdorfLengfelder, Edmund et al. Klärung <strong>von</strong> Gesundheitsfolgen <strong>des</strong> Tschernobyl-<strong>Unfal</strong>lsstösst auf Widerstand. Sonderdruck aus Zeit-Fragen Nr. 8 vom 1. März 2004,erhältlich bei Zeit-Fragen, Postfach, CH-8044 -Zürich, E-Mail: redaktion@Zeit-Fragen.ch; www.zeit-fragen.ch50


Burlakova, Elena B. (Hrsg.). Consequences of the Chernobyl Catastrophe: HumanHealth. Nova Science Publishers Inc., USA, New York, 1999Imanaka, Tetsuji (Hrsg.). Research Activities about the Radiological Consequencesof the Chernobyl NPS Accident and Social Activities to Assist the Sufferers by theAccident. Kyoto: Kyoto University, 1998, ISSN 1342-0852, zu bestellen überimanaka@rri.kyoto-u.ac.jpKörble<strong>in</strong>, Alfred. Säugl<strong>in</strong>gssterblichkeit nach Tschernobyl und Scherb, Hagen;Weigelt, Evel<strong>in</strong>e: Zunahme der Per<strong>in</strong>atalsterblichkeit, Totgeburten undFehlbildungen <strong>in</strong> Deutschland, Europa und <strong>in</strong> hochbelasteten deutschen undeuropäischen Regionen nach dem Reaktorunfall <strong>von</strong> Tschernobyl im April 1986,Berichte <strong>des</strong> Otto Hug Strahlen<strong>in</strong>stitutes, Bd. 24 (2003), ISSN 0941-0791Dersee, Thomas (Hrsg.). Strahlentelex. Unabhängiger Informationsdienst zuRadioaktivität, Strahlung und Gesundheit. Ersche<strong>in</strong>t monatlich. Zu bestellen bei Th.Dersee, Waldstr. 49, D-15566 Schöneiche bei Berl<strong>in</strong>. www.strahlentelex.deCaufield, Cather<strong>in</strong>e. Das strahlende Zeitalter: Von der Entdeckung derRöntgenstrahlen bis Tschernobyl. München: Beck, 1994. ISBN 3-406-37415-8V<strong>in</strong>ke, Hermann (Hrsg.). Als die erste Atombombe fiel. Ravensburg: Otto MeierVerlag, 1998. ISBN 3-473-58062-7Caldicott, Helen. Atomgefahr USA: Die -nukleare Aufrüstung der Supermacht.Diederichs Verlag, 2003. ISBN 3720523853Coulmas, Florian. Hiroshima: Geschichte und Nachgeschichte. Verlag C.H. Beck,2005. ISBN 3-406-52797-3Hesse-Honegger, Cornelia. Heteroptera: Das Schöne und das andere oder Bilder e<strong>in</strong>ermutierenden Welt. Steidl-Verlag, 2003 ISBN 3-88243-360-4Filme und DokumenteThe SacrificeIn der Nacht <strong>des</strong> 26. April 1986 und <strong>in</strong> den folgenden Monaten wurden e<strong>in</strong>e MillionMänner aufgeboten, sogenannte Liquidatoren, um den <strong>in</strong> Flammen stehenden Reaktor<strong>von</strong> Tschernobyl mit se<strong>in</strong>er erschreckend hohen radioaktiven Strahlung mit e<strong>in</strong>emimprovisierten Sarkophag zu überdecken. Mit blossen Händen, Schaufeln undWasserwerfern g<strong>in</strong>gen sie gegen die Radionuklide vor. Zehntausende starben undsterben noch. Der Film folgt über e<strong>in</strong>en Zeitraum <strong>von</strong> 10 Jahren den Geschichten unddem Leiden fünf dieser Männer, die <strong>in</strong>zwischen alle gestorben s<strong>in</strong>d.Schweiz 2003, Buch und Regie: Emanuela Andreoli, Wladimir Tchertkoff, 25 M<strong>in</strong>.,Untertitel Russisch/EnglischBezugsadresse: Emanuela Andreoli, eandreoli@vtx.ch51


Tschernobyl-Informations-CDAnlässlich <strong>des</strong> ersten Ökumenischen Kirchentages <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> 2003 haben sich dieTschernobyl-Initiative <strong>in</strong> der Propstei Schöppenstedt e.V. und die Stiftung <strong>des</strong>Lan<strong>des</strong> Niedersachsen «K<strong>in</strong>der <strong>von</strong> Tschernobyl» zu e<strong>in</strong>er Kooperationsgeme<strong>in</strong>schaftzusammengefunden. Innerhalb der Ausstellung «Wunden heilen langsam ...» gab esInformationen und Dokumentationen aus der Tschernobyl-Hilfe der beidenInstitutionen.Bezugsadresse: tschernobyl-<strong>in</strong>itiative.welcomes-you.comPripjatDie Stadt Pripjat liegt 5 Kilometer neben dem Atomkraftwerk Tschernobyl. 50000Menschen lebten 1986 hier. Heute ist Pripjat e<strong>in</strong>e <strong>von</strong> der Miliz schwer bewachte,hoch kontam<strong>in</strong>ierte Geisterstadt <strong>in</strong>mitten der radioaktiv verseuchten Zone. Pripjaterzählt vom Überleben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em improvisierten Mikrokosmos, <strong>in</strong> dem man nichtsessen, nichts tr<strong>in</strong>ken und bei W<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>en Staub e<strong>in</strong>atmen sollte - doch weilRadioaktivität mit menschlichen S<strong>in</strong>nen nicht wahrnehmbar ist, hält sich kaumjemand an diese Empfehlung.Österreich 1999, Regie: Nikolaus Geyrhalter. 100 M<strong>in</strong>., Russisch/Ukra<strong>in</strong>isch,Untertitel: Deutsch, Englisch, FranzösischBezugsadresse: www.docushop.atTschernobyl - Der MillionensargDer zweite Sarkophag - Die Geldmasch<strong>in</strong>eE<strong>in</strong> zweiter Sarkophag für Tschernobyl wäre e<strong>in</strong> teurer Flop, wenn der MoskauerAtomphysiker Tschetscherov recht hat und 95 Prozent <strong>des</strong> radioaktiven Inventarsschon längst aus dem Unglücksreaktor entwichen s<strong>in</strong>d. In zwei Dokumentationen, die<strong>von</strong> ARTE und vom ZDF gesendet wurden, stellten die Redakteure den S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>eszweiten Sarkophags über dem zerstörten Tschernobylreaktor <strong>in</strong> Frage.Dänemark/Deutschland 2002, Regie: Sab<strong>in</strong>e Kemper, Bente Milton, Jörgen Pedersen.DeutschBezugsadresse: www.Tschernobylhilfe.ffb.org.52

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