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IRREALIGIOUS! Parallelwelt Religion in der Kunst

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P r o g r a m m z e i t u n g<br />

sePtember oktober 2011<br />

g a l e r i e l i t e r at u r n e u e m u s i k r e l i g i o n j u n g e a u g e n z e i ta n a ly s e<br />

behauPtungen<br />

Das kulturzentrum bei den m<strong>in</strong>oriten <strong>in</strong> graz nimmt<br />

das thema des steirischen herbst 2011 („zweite Welten“)<br />

zum anlass, se<strong>in</strong> ureigenstes <strong>in</strong>teresse an <strong>der</strong><br />

Bildproduktion <strong>der</strong> gegenwart zu thematisieren: ob<br />

und wie sich e<strong>in</strong> Verhältnis von gegenwartskunst und<br />

religion zeigen und bestimmen lässt. es bestellt damit<br />

e<strong>in</strong> theoriefeld, das se<strong>in</strong> erkenntnis<strong>in</strong>teresse am<br />

Weiterwachsen <strong>der</strong> religionsgeschichte am Beg<strong>in</strong>n<br />

des neuen jahrtausends anmeldet. es zeigt kunst<br />

<strong>der</strong> gegenwart und greift damit motive und themen<br />

auf, die die religion berühren. es ist dabei möglichst<br />

wertfrei, nimmt das, was ist und ordnet es <strong>in</strong> Bereiche,<br />

über die man nachdenken, ästhetische erkenntnisse<br />

gew<strong>in</strong>nen, <strong>in</strong> denen man verdeckte krusten brechen<br />

o<strong>der</strong> ästhetische erfahrungen nachvollziehen kann.<br />

irrealigious!, die ausstellung, die bei uns bis zum<br />

15. jänner zu sehen se<strong>in</strong> wird, spielt e<strong>in</strong> wenig mit <strong>der</strong><br />

unfassbarkeit des metiers, mit dem staunen, e<strong>in</strong> bisschen<br />

auch mit dem entsetzen. Der viel zitierte zehnte<br />

jahrestag von 9/11 ist nun vorüber, und nicht erst<br />

<strong>der</strong> karikaturenstreit hat das thema <strong>der</strong> Bildkraft von<br />

religionen wie<strong>der</strong> salonfähig gemacht – wir hier haben<br />

bereits e<strong>in</strong>e längere geschichte <strong>der</strong> reflexion, und<br />

diese ausstellung bietet e<strong>in</strong>en willkommenen Brennpunkt,<br />

e<strong>in</strong>e Bündelung. und sie stellt <strong>in</strong>sgeheim e<strong>in</strong>e<br />

Proklamation dar.<br />

Doch zuvor nähern wir uns über zwei explizite Fußnoten<br />

diesem neuen Projekt. e<strong>in</strong>mal: es gibt bei den<br />

künstlernamen <strong>in</strong> dieser schau e<strong>in</strong> paar Déjà-vus.<br />

und: es gibt e<strong>in</strong> paar Déjà-vus bei den Werken, die<br />

man im letzten jahrzehnt bei uns schon e<strong>in</strong>mal gesehen<br />

hat. Das berührendste von ihnen ist jener 70-teilige<br />

zyklus des deutschen künstlerpaares anna und<br />

Bernhard Blume, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal als „mo<strong>der</strong>ner Passionszyklus“<br />

bei uns zu sehen war, mit dem damaligen titel:<br />

„Der gedanke des todes ist unannehmbar“. Bernhard<br />

johannes Blume fand, als ich ihm von me<strong>in</strong>er neuen<br />

idee erzählte, für diesen zyklus sei doch <strong>der</strong> richtige<br />

Platz bei den m<strong>in</strong>oriten <strong>in</strong> graz. als die Bil<strong>der</strong> abgeholt<br />

wurden, war er tags zuvor nach kurzer, heftiger<br />

krankheit verstorben. Wir widmen ihm, <strong>der</strong> so viel<br />

leichtigkeit <strong>in</strong> schwere D<strong>in</strong>ge h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gebracht hat, diese<br />

ausstellung.<br />

Die Déjà-vus s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>tention. sie sollen dazu beitragen,<br />

e<strong>in</strong>e neue seite <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beschreibung des kulturzentrums<br />

bei den m<strong>in</strong>oriten <strong>in</strong> und mit <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

aufzuschlagen, die die Vergangenheit unserer<br />

eigenen kuratorischen arbeit here<strong>in</strong>holt und sie mit<br />

<strong>der</strong> gegenwärtigen und zukünftigen kunstproduktion<br />

vernetzt. Vergangenheit, das heißt: Hier fanden<br />

im letzten jahrzehnt ausstellungen statt, die e<strong>in</strong>en<br />

theorieanspruch hatten und meist sehr nahe an <strong>der</strong><br />

schöpfungszeit <strong>der</strong> Werke partizipierten. (Will heißen:<br />

wir haben uns am kuratorenbasar nie beteiligt). aus<br />

<strong>der</strong> zeitlichen Distanz, sagen wir: e<strong>in</strong>es jahrzehnts,<br />

manches davon noch e<strong>in</strong>mal hervorzuholen und neu<br />

zu bewerten – das ist musealisierung <strong>in</strong> ihrem positiven,<br />

aktualitätsbezogenen s<strong>in</strong>n. so gesehen wird das<br />

kulturzentrum bei den m<strong>in</strong>oriten <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er geschichte<br />

von ausstellungen als e<strong>in</strong> museum für religion<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> kunst sichtbar – wenn man die zeit <strong>der</strong><br />

letzten jahre, die namen <strong>der</strong> letzten jahre und auch<br />

die ausstellungsorte <strong>der</strong> letzten jahre nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

auffächert. entgegen, HimmelsCHWer, DiV<strong>in</strong>e<br />

Heroes, gestures oF <strong>in</strong>F<strong>in</strong>ity; Wie Du mir, ligHt<br />

toWer, PrometHeus, mutter, sHar<strong>in</strong>g, 1+1+1=1<br />

würden zum Beispiel schöne räume füllen, die stararchitekten<br />

gestalterisch beflügeln würden (o<strong>der</strong> die e<strong>in</strong><br />

zukünftiger Papst julius iii. flugs zum museo d’arte<br />

religiosa contemporanea erklären würde). und ka-<br />

Poor, gormley, Blume, Wall<strong>in</strong>ger, Wirkkala, De<br />

BruyCkere, Dumas wären zum Beispiel Publikumsmagnete,<br />

mit denen Quotenzähler e<strong>in</strong>e wahre Freude<br />

hätten, würde man ihnen vorher e<strong>in</strong> sattes market<strong>in</strong>gbudget<br />

bescheren. Das wären, um uns an das grafische<br />

konzept des steirischen herbst anzulehnen, sphären!<br />

an<strong>der</strong>s betrachtet s<strong>in</strong>d das e<strong>in</strong>fach Blasen: Bekanntlich<br />

haben wir das nicht, bekanntlich geht das nicht,<br />

bekanntlich wird das so nicht werden. und das name-<br />

Dropp<strong>in</strong>g ist uns auch nicht wichtig. geld haben wir<br />

sowieso ke<strong>in</strong>es. Das Vergangene verflüchtigt sich und<br />

wird dann auch vergessen. unser ort ist zu kle<strong>in</strong>. Wir<br />

haben ke<strong>in</strong> kunst-museum und werden auch <strong>in</strong> zukunft<br />

ke<strong>in</strong>es bauen, und wir sitzen nicht <strong>in</strong> köln, Berl<strong>in</strong><br />

o<strong>der</strong> rom, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>zstadt graz – die sich<br />

2003 kulturhauptstadt europas nennen durfte. Was<br />

aber nicht geht, kann man e<strong>in</strong>fach auch behaupten.<br />

Wenn man aber etwas behauptet, muss man auch etwas<br />

e<strong>in</strong>lösen, das sich nicht nur <strong>in</strong> ankündigungen<br />

bewegt.<br />

Behauptung e<strong>in</strong>s: e<strong>in</strong> museum, wie es hier gedacht ist,<br />

realisiert sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> zeit, mit je neuen ausstellungen.<br />

„irrealigious! <strong>Parallelwelt</strong> religion <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

kunst“ ist <strong>der</strong> zwischenschnitt für e<strong>in</strong>e Publikation,<br />

die <strong>in</strong> den nächsten monaten entsteht, <strong>in</strong> denen nicht<br />

01


16 02<br />

nur die gezeigten ausstellungen, son<strong>der</strong>n auch die reflexionen<br />

darüber enthalten s<strong>in</strong>d.<br />

Behauptung zwei: Die geschichte <strong>der</strong> religion<br />

schreibt sich, auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Variante ihrer Verne<strong>in</strong>ung,<br />

ihres Phantomschmerzes o<strong>der</strong> ihrer Verdunstung, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> jeweiligen gegenwart je neu weiter. religionen<br />

haben zwar e<strong>in</strong> gründungsdatum, wer sich allerd<strong>in</strong>gs<br />

nur auf die Vergangenheit beruft, ist tot. und es<br />

ist auch zu wenig, gegenwart nur zu analysieren. Das<br />

ist zwar viel, weil <strong>der</strong> re<strong>in</strong> geistige Wert e<strong>in</strong>er reflexion,<br />

e<strong>in</strong>er geschichtssicht o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er geschichtsthese<br />

zur orientierung beiträgt. aber e<strong>in</strong> geistiger Prozess<br />

soll auch materialisiert se<strong>in</strong>. Die christliche religion<br />

hat sich beson<strong>der</strong>s dar<strong>in</strong> hervorgetan, aus ihren spirituellen<br />

gedankengebäuden auch materielle werden<br />

zu lassen. sie hat damit die kulturgeschichte mitgeschrieben.<br />

Doch als dies vor rund 200 jahren zu ende<br />

g<strong>in</strong>g, hat sie sich entschieden, sich fortan von den geistigen<br />

kulturellen Prozessen <strong>der</strong> jeweiligen gegenwart<br />

abzuschotten und ihr eigenes milieu zu errichten. Das<br />

lehrgeld, das zeigt gerade die kunst, war (zu) hoch.<br />

so gesehen ist das, was wir hier machen, von ziemlicher<br />

Brisanz und gräbt tiefer als <strong>in</strong> die schichten, die<br />

<strong>der</strong>zeit <strong>in</strong> puncto kirche gerade thema s<strong>in</strong>d. gerade<br />

die doch üppige ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit Fundamentalismus<br />

und kle<strong>in</strong>geistigem Denken <strong>in</strong> dieser ausstellung<br />

ist e<strong>in</strong>e herbe mahnung, es mit <strong>der</strong> strategie des<br />

„heiligen rests“ nicht allzu weit zu treiben. <strong>in</strong>sofern ist<br />

diese ausstellung ziemlich politisch und aktuell.<br />

Behauptung drei: Bei den m<strong>in</strong>oriten entsteht fortan<br />

e<strong>in</strong>e sammlung. ihre sammlungsperspektive lautet:<br />

„Wie kommt religion im ästhetischen Diskurs <strong>der</strong><br />

gegenwart vor?“ und zwar nicht als Programmkunst,<br />

son<strong>der</strong>n als e<strong>in</strong>e ehrliche ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit<br />

den glaubens-energien. Dazu gehören kritik, Blasphemie,<br />

gewalt, engstirnigkeit ebenso wie die Fasz<strong>in</strong>ation<br />

von rituellen Vollzügen, die Poesie religiöser sprache<br />

und ihre therapeutische kraft. Die auswahl von kunstwerken<br />

hat die <strong>in</strong>ternationalität im Blick und ist dennoch<br />

lokal verortet. künstlerische Qualität geht vor<br />

<strong>in</strong>haltlichkeit.<br />

Behauptung vier: Für e<strong>in</strong>e solche idee gibt es Partner,<br />

die sie unterstützenswert f<strong>in</strong>den. Die kirche<br />

müsste als e<strong>in</strong>e groß<strong>in</strong>stitution mit e<strong>in</strong>em Bild- und<br />

<strong>in</strong>stitutionsgedächtnis von zwei jahrtausenden doch<br />

e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teresse daran haben, wie es die gegenwartskunst<br />

mit jenem metier hält, das ihr ureigenstes thema ist,<br />

o<strong>der</strong>? aber im <strong>der</strong>zeitigen geschäftsgebaren gehört<br />

das ankaufen von kunst nicht zu ihrem kerngeschäft.<br />

Früher e<strong>in</strong>mal wurden kunstwerke gestiftet, um sich<br />

das eigene Heil zu sichern. Dieses geschäft wurde im<br />

zuge <strong>der</strong> immanenzverdichtung an Versicherungen<br />

und geld<strong>in</strong>stitute vererbt. ich lade also viele <strong>der</strong>artige<br />

<strong>in</strong>stitute e<strong>in</strong>, an diesem neuen museum, das sich<br />

<strong>der</strong> jeweiligen gegenwart widmet, mitzutun. Beson<strong>der</strong>s<br />

all jene, die an geistigen ressourcen <strong>in</strong>teressiert<br />

s<strong>in</strong>d. Wir werden aktionen starten. e<strong>in</strong> startkapital<br />

haben wir dankenswerter Weise bereits: Denn dieses<br />

Vorhaben als „e<strong>in</strong> im europäischen raum e<strong>in</strong>zigartiges<br />

museumskonzept, das sich aus gezeigten ausstellungen<br />

zusammensetzt“ (jurybegründung) wird vom VaH<br />

<strong>in</strong> münchen e<strong>in</strong>drucksvoll unterstützt. e<strong>in</strong> weiterer<br />

För<strong>der</strong>er ist bis jetzt das land steiermark. Beiden gilt<br />

Dank!<br />

Behauptung fünf: Wert bemisst sich <strong>in</strong> dieser sammlung<br />

zunächst nicht <strong>in</strong> zahlen, son<strong>der</strong>n im ausmaß<br />

se<strong>in</strong>es geistigen Potentials. e<strong>in</strong>e künstlerische<br />

sammlung – noch dazu als <strong>in</strong>stitution – ist untrennbar<br />

verbunden mit e<strong>in</strong>er Haltung des respekts<br />

den kunstschaffenden gegenüber, die oft große entbehrungen<br />

<strong>in</strong> kauf nehmen um e<strong>in</strong>es Wertes willen,<br />

<strong>der</strong> <strong>der</strong>zeit oft nicht die monetäre anerkennung genießt.<br />

Das ist e<strong>in</strong> weiteres merkmal dieser sammlung:<br />

unsere <strong>in</strong>tention ist nicht, e<strong>in</strong>mal gute rendite zu machen,<br />

son<strong>der</strong>n ausschließlich jene, geistige Werte zu<br />

sammeln und zu sichern. Das bedeutet natürlich e<strong>in</strong><br />

immenses Vertrauen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en kunstwert, <strong>der</strong> sich nicht<br />

alle<strong>in</strong> durch geld und Wertsteigerung auszeichnet.<br />

Behauptung sechs: „kuratieren“ bedeutet, sich um<br />

Bil<strong>der</strong> zu sorgen und sich um sie zu kümmern. und<br />

sie herzuzeigen. es ist beachtlich, welchen zuspruch<br />

unsere idee von seiten <strong>der</strong> kunstschaffenden bereits<br />

erhalten hat, zu welchen konditionen und unter welchen<br />

umständen sich unser kunstdepot im zwischengeschoß<br />

füllt. kunstwerke brauchen räume, <strong>in</strong> denen<br />

sie leben und wirken können. und sie brauchen e<strong>in</strong>en<br />

ort, <strong>der</strong> e<strong>in</strong> kraftspeicher zu nennen ist – und nicht<br />

e<strong>in</strong> lagerungsort, wo sich se<strong>in</strong> materieller Wert e<strong>in</strong>sam<br />

steigert.<br />

satz sieben: Des Dozierens ist nun e<strong>in</strong> ende.<br />

Der entschluss, diese ausstellung zu besuchen, ist gefasst.<br />

Wir freuen uns alle auf ihr/De<strong>in</strong> kommen!<br />

Johannes Rauchenberger<br />

Vernissage samstag 24. september 2011 / 12.00 uhr<br />

kulturzentrum bei den m<strong>in</strong>oriten, mariahilferplatz 3/i<br />

ausstellungsDauer 24. september 2011 – 15. jänner 2012<br />

ÖFFnungszeiten Di – Fr 10.00 – 17.00 uhr / sa + so 10.30 – 18.00 uhr<br />

e<strong>in</strong>tritt € 4,– / € 3,–<br />

kurator johannes rauchenberger<br />

ausstellungsFüHrung jeweils samstags, 11.00 uhr<br />

geführte rundgänge steirischer herbst: so 25.09.2011 und sa 15.10.2011 / 14.30 – 17.30 uhr<br />

start: kulturzentrum bei den m<strong>in</strong>oriten<br />

Führungen für gruppen und schulklassen nach Voranmeldung:<br />

office@kultum.at / tel 0316/711133 31<br />

Koproduktion steirischer herbst & Kulturzentrum bei den M<strong>in</strong>oriten<br />

Unterstützt von MONDRIAAN FOUNDATION, Amsterdam und dem VAH München<br />

03


16 04<br />

AnnA und BernhArd Blume<br />

kreuzWeg, 2011,<br />

4 teilig, Fotopr<strong>in</strong>t, je 110x180 cm. Courtesy the artist<br />

religion erlebt am beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts e<strong>in</strong> unerwartetes Comeback: 9/11, kopftuch-,<br />

kreuz- und relativismusdebatten, karikaturenstreit, die grammatik von Fundamentalismus<br />

und gewalt haben Politik, gerichte, ja sogar geistige Wertehierarchien <strong>in</strong>sgesamt durche<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gewirbelt.<br />

gleichzeitig werden <strong>der</strong> ruf nach Werten und die oft diffuse angst „sich<br />

abzuschaffen“ immer lauter. Wie aber reagiert aktuelle kunst auf solche religionsdebatten?<br />

„irrealigious!“ br<strong>in</strong>gt künstlerische Positionen im schnittfeld von glaubenssystemen zusammen,<br />

Werke, die sich für offenbarungen ebenso <strong>in</strong>teressieren wie für das Vakuum<br />

nicht bewältigter gegenwart, und die so e<strong>in</strong>e Wie<strong>der</strong>kehr <strong>der</strong> religion <strong>in</strong> <strong>der</strong> kunst bezeugen<br />

– e<strong>in</strong>e Wie<strong>der</strong>kehr auf dem grat zwischen <strong>der</strong> angst vor orientierungsloser säkularisierung<br />

auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en und totalitären gottesstaaten auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en seite.<br />

rückkehr <strong>der</strong> religion: Wie f<strong>in</strong>det sich ihre<br />

spiegelung <strong>in</strong> <strong>der</strong> kunst wie<strong>der</strong>? Die geistigen<br />

anstrengungen waren doch bislang vielmehr<br />

mit <strong>der</strong> Destruktion von geschichte, gott,<br />

gesellschaft, ich beschäftigt. im s<strong>in</strong>nverlust<br />

jenseits <strong>der</strong> glücksversprechen mo<strong>der</strong>ner<br />

konsumgesellschaften mit dem „schneller,<br />

schneller, mehr, sofort“ haben sich auch<br />

<strong>Parallelwelt</strong>en e<strong>in</strong>genistet, die sich zwischen<br />

unmittelbaren Heil- und erlebniswelten und<br />

Fundamentalismus ihren raum verschaffen.<br />

<strong>in</strong> die zonen dieser „selbst verschuldeten unsicherheit“<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> löst zudem die begonnene<br />

Völkerwan<strong>der</strong>ung mit den unterschiedlichen<br />

Fertilitätsperspektiven zunehmend unruhe<br />

aus. Der ruf nach Werten wird rigi<strong>der</strong>, die<br />

angst „sich abzuschaffen“ laut. religionen liefern<br />

sich rank<strong>in</strong>gs aus.<br />

Wer <strong>in</strong> <strong>der</strong> geistesgeschichte nach Wurzeln für<br />

<strong>Parallelwelt</strong>en sucht, landet <strong>in</strong> <strong>der</strong> zu ende gehenden<br />

antike. im zusammenbruch <strong>der</strong> glanzzeit<br />

von e<strong>in</strong>st hatte august<strong>in</strong>us von Hippo e<strong>in</strong>e<br />

geniale, äußerst folgenreiche und lange währende<br />

zwei-Welten-lehre entwickelt, die <strong>der</strong><br />

damaligen destruktiven gegenwart e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e<br />

e<strong>in</strong>pflanzen wollte. aber daraus folgende geschichtstheologien<br />

s<strong>in</strong>d im Prozess <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne<br />

hAnnes Priesch<br />

oben: joel, kaP. 3, 2006, acryl auf le<strong>in</strong>en, 229x153 cm<br />

sammlung <strong>der</strong> Diözese graz-seckau<br />

rechts: eVangelist mark, 2010, 9 teilige serie, acryl auf le<strong>in</strong>en,<br />

Höhe: zwischen 160 und 220 cm, Breite: 120 cm. Courtesy of the artist<br />

schließlich ausgeflossen. säkularisiert endeten<br />

sie <strong>in</strong> den politischen katastrophen des vergangenen<br />

jahrhun<strong>der</strong>ts. sakralisiert im totalitären<br />

gottesstaat. Vor beidem haben wir angst.<br />

religion und Politik s<strong>in</strong>d zu trennen und,<br />

wenn schon <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em atemzug, dann parallel<br />

zu denken – das ist <strong>der</strong> konsens mo<strong>der</strong>ner<br />

Weltgesellschaft. und gleichzeitig bilden<br />

se<strong>in</strong>e nichtbewältigung und se<strong>in</strong>e auflösung<br />

<strong>in</strong> schnittmengen jene konfliktzonen, die religion<br />

zurück <strong>in</strong>s Debattenfeld geschleu<strong>der</strong>t<br />

haben – auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> kunst. Das macht das<br />

erstaunen darüber, als auch die skepsis <strong>der</strong><br />

Bilddebatten auf dem niveau nachmo<strong>der</strong>nen<br />

Denkens aus.<br />

unWirkliCH WirkliCH<br />

Die ausstellung bei den m<strong>in</strong>oriten arrangiert <strong>in</strong><br />

anlehnung an das thema des steirischen herbst<br />

2011 künstlerische Positionen, die <strong>in</strong>teresse für<br />

„zweite Welten“ an <strong>der</strong> grenze zu glaubenssystemen<br />

bekunden. sie rechnet mit <strong>der</strong> Verwun<strong>der</strong>ung,<br />

aber behält sich die skepsis vor. IRREALI-<br />

GIOUS! sucht kunst zur <strong>Parallelwelt</strong> religion<br />

aufzuknüpfen. sie favorisiert Werke, die die<br />

Bil<strong>der</strong>flut <strong>der</strong> religion und ihre <strong>in</strong>szenierungstaktik<br />

mit den mitteln <strong>der</strong> kunst reflektieren: <strong>der</strong><br />

katholizismus ist bekanntlich dabei e<strong>in</strong> musterknabe.<br />

Der verstorbene Papst hat sich für se<strong>in</strong>e<br />

Botschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise <strong>der</strong> medien bedient, die<br />

auch künstlerisch nicht ohne spuren geblieben<br />

05


16 06<br />

nives widAuer<br />

aus <strong>der</strong> serie: m<strong>in</strong>or CatastroPHies,<br />

30x40 cm, sammlung für gegenwartskunst<br />

des kulturzentrums bei den m<strong>in</strong>oriten <strong>in</strong> graz<br />

ist (korpys/löffler). sie ist „kle<strong>in</strong>eren katastrophen“<br />

e<strong>in</strong>gedenk, auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> lektüre des<br />

nun seligen johannes Paul ii. (nives Widauer).<br />

(se<strong>in</strong> nachfolger hat just jenen für die mo<strong>der</strong>ne<br />

so folgenreichen autor, dessen name am Cover<br />

gestickt ist, zur ersten Fußnote se<strong>in</strong>er ersten enzyklika<br />

gemacht.) <strong>IRREALIGIOUS</strong>! spielt mit dem<br />

irrealen, weshalb dann auch zum tanzen zu mute<br />

ist, etwa wenn aus <strong>der</strong> Paradeis e<strong>in</strong>e Bischofsmütze<br />

wird: „Women for Pope!“ (marianne<br />

ma<strong>der</strong>na). <strong>IRREALIGIOUS</strong>! legt fundamentalistisches<br />

Denken und glauben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er mühe und<br />

Behutsamkeit frei, dass man sich nicht voreilig<br />

verschließt: „ich werde me<strong>in</strong>en geist aussenden<br />

über alles Fleisch…“ (joel 3) ist nicht umsonst das<br />

eröffnungsbild dieser ausstellung – mit <strong>der</strong> ganzen<br />

geschichte e<strong>in</strong>es kunstbetrugs, <strong>der</strong> mit diesem<br />

„grüß-gott-Blick“ verbunden ist: Was aber<br />

ist, wenn geld, lug und gier h<strong>in</strong>ter dem spiel <strong>der</strong><br />

frommen sprache stecken (Hannes Priesch)?<br />

mAriAnne mA<strong>der</strong>nA<br />

Pope, 2010, DVD, 9'12'', Videostills, Courtesy of the artist<br />

christiAn JAnkowski<br />

tHe Holy artWork, 2001<br />

television broadcast, performance and color DVD<br />

(15 m<strong>in</strong>utes, 52 seconds)<br />

Courtesy of klosterfelde, Berl<strong>in</strong>; maccarone, <strong>in</strong>c., new york;<br />

regen Projects, los angeles; lisson gallery, london.<br />

man muss diese neun „e-mail-Bil<strong>der</strong>“ auf le<strong>in</strong>wand<br />

lesen, zug um zug, um e<strong>in</strong> kommunikationspartner<br />

für diese art von sprache von<br />

„evangelist mark“ zu werden – und so stellung<br />

beziehen zu müssen: Fundamentalismus ist e<strong>in</strong>e<br />

Fratze <strong>der</strong> religion. Ähnlich wie e<strong>in</strong>e Fernsehpredigt<br />

zur „Holy art Work“ wird, wo alles auf den<br />

e<strong>in</strong>griff des Herrn zu se<strong>in</strong>em lobpreis zurückgeführt<br />

wird (Christian jankowski).<br />

Die ausstellung legt aber nicht nur die absurden<br />

Fährten fundamentalistischer glaubensart frei,<br />

sie stellt sich auch <strong>der</strong> verdächtigen Verschränkung<br />

von aggression, gewalt und glauben: ist<br />

etwa „nächstenliebe […] nur e<strong>in</strong> negatives <strong>in</strong>diz<br />

für den Hass“ (C. rosset), wie auf e<strong>in</strong>em Bild des<br />

70-teiligen, tiefgründigen mo<strong>der</strong>nen Passionszyklus<br />

von anna und Bernhard Blume zu lesen<br />

ist? o<strong>der</strong> leiden „märtyrer, um recht zu haben?<br />

(C. rosset)? kann man das „Vater unser“ und die<br />

„erste sure des korans“ auch mit dem revolver<br />

schießend schreiben (Wilfried gerstel)? kann<br />

man bekennen: „ich habe 50 menschen im namen<br />

gottes getötet“ (maja Bajević). Wie soll<br />

man sich zu e<strong>in</strong>er religion verhalten, die beklemmend,<br />

angst e<strong>in</strong>flößend und freiheitsberaubend<br />

wirkt (ioana nemes)?<br />

Die ausstellung führt aber auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong> beklemmendes<br />

religionspolitisches Panorama mit e<strong>in</strong>em<br />

objektiven kamerablick, dessen Distanz zum<br />

sezierenden sehen wird: Wo s<strong>in</strong>d die religiösen<br />

energien zu f<strong>in</strong>den – <strong>in</strong> <strong>der</strong> durch gitter sicher<br />

gemachte synagoge <strong>in</strong> an<strong>der</strong>lecht, im vollen<br />

protestantischen Dom (vor dem konzertbesuch),<br />

im fast leeren muslimischen gebetshaus o<strong>der</strong><br />

im zum Bersten vollen stadion Billy grahams<br />

(lidwien van de Ven)? und die ausstellung<br />

stellt Werke <strong>in</strong>s zentrum, denen religion nach<br />

dem sche<strong>in</strong>baren ablauf ihrer kulturellen Wirkungsgeschichte<br />

vor allem e<strong>in</strong> bildliches material<br />

zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t – Höllensturz, auferstehung,<br />

lidwien vAn de ven<br />

ausschnitte von l<strong>in</strong>ks nach rechts:<br />

Billy graHam eVangelist assoCiation, amsterdam (2000), Fotopr<strong>in</strong>t, 200x262 cm<br />

islamiC Center, Vienna (2000), Fotopr<strong>in</strong>t, 200x250 cm<br />

Berl<strong>in</strong>er Dom, Berl<strong>in</strong> (2000), 2005, Fotopr<strong>in</strong>t, 200x250 cm<br />

ausstellungsansicht im kulturzentrum bei den m<strong>in</strong>oriten, graz, 2011, Foto: j. rauchenberger<br />

madonna und <strong>der</strong> Blick aus dem grab mit des<br />

Baggers Hilfe e<strong>in</strong>geschlossen – und die dennoch<br />

s<strong>in</strong>ndebatten führen (muntean/rosenblum).<br />

Die das nachahmen <strong>der</strong> großen taten <strong>der</strong> Väter<br />

als söhne spielen: Wie lautet nur die regieanweisung<br />

für das gekreuzigtwerden à la Papa Hermann,<br />

und welches gesicht muss man dazu aufsetzen<br />

– und wird die blasphemische Bemühung<br />

dann doch e<strong>in</strong> wenig lächerlich (g.r.a.m.)?<br />

und sie setzt auf Werke, die den nihilismus auf<br />

die schneide se<strong>in</strong>er eigenen Destruktion führen:<br />

„glauben bedeutet ke<strong>in</strong>eswegs an etwas zu<br />

glauben“ (C. rosset). mitunter ist zum lachen zu<br />

mute: Diese kreuzungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> kunst, alles schon<br />

gehabt – vielmehr: konstruktivismus, bitte sehr,<br />

e<strong>in</strong>mal katholisch denken! (anna und Bernhard<br />

Blume). und dann auch zum We<strong>in</strong>en – die<br />

ironie Bernhard johannes Blumes etwa, dem wir<br />

diese ausstellung widmen, wird zur trauer. se<strong>in</strong>e<br />

Bil<strong>der</strong>, die er mit se<strong>in</strong>er Frau anna extra noch für<br />

07


16 08<br />

munteAn/rosenBlum<br />

untitleD (tHe oVerWHelm<strong>in</strong>g sPell...), (Detailanschicht)<br />

2010, oil on canvas, 260 x 220 cm,<br />

Courtesy of georg kargl F<strong>in</strong>e arts Vienna<br />

diese ausstellung anfertigen ließ, wurden <strong>in</strong> köln<br />

nur e<strong>in</strong>en tag nach se<strong>in</strong>em tod am 1. september<br />

abgeholt: „Der gedanke des todes ist unannehmbar“<br />

(C. rosset) – so lautete <strong>der</strong> titel se<strong>in</strong>er<br />

letzten ausstellung bei den m<strong>in</strong>oriten 2004, und<br />

diese Bil<strong>der</strong> kehren <strong>in</strong> unsere sammlung zurück.<br />

(iCH) VerzeiH mir<br />

religion aber f<strong>in</strong>det auch dort ihren Weg <strong>in</strong> das<br />

schöpferische Potential zeitgenössischer kunst,<br />

wo sie aus jenen ressourcen schöpft, für die<br />

sie sich beson<strong>der</strong>s zuständig fühlen könnte: <strong>in</strong><br />

Heilung, Poesie und gebet. Das Wort „Verzeihen“<br />

durchzieht, durch Duftopfer an e<strong>in</strong>er altarplatte<br />

unterbrochen, <strong>in</strong> dieser ausstellung e<strong>in</strong>en ganzen<br />

gang (zenita komad), es erhebt sich aus<br />

dem Bildkörper, wird zum appell („VerzeiH mir),<br />

und liest sich am Boden als satz performativer<br />

rede: das „iCH“ und „allen anDeren“ spannt<br />

sich zwischen Voraussetzung und wirklichkeitsstiften<strong>der</strong><br />

rede aus. e<strong>in</strong> madonnenfresko f<strong>in</strong>det<br />

dAnicA dAki ć<br />

surrounD, 2003, 7 C-Pr<strong>in</strong>ts (Diasec) im Format je 50 x 42 cm,<br />

sammlung für gegenwartskunst des kulturzentrums bei den m<strong>in</strong>oriten, graz<br />

PAPo colo<br />

Pray<strong>in</strong>g ProjeCt, Videodocumentation<br />

4/15/2005 - 4/17/2005, 10th avenue and 36th street, nyC.<br />

Curator(s): Papo Colo and jeanette <strong>in</strong>gberman<br />

nach jahrhun<strong>der</strong>ten <strong>der</strong> Vertreibung mit den<br />

mitteln <strong>der</strong> kunst von italien wie<strong>der</strong> nach albanien<br />

zurück und stiftet e<strong>in</strong>e heimatliche identität<br />

(adrian Paci), heilige Bücher s<strong>in</strong>d wie<strong>der</strong> heilige<br />

Bücher im nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ihrer anmut, Wahrheit<br />

und Würde (Danica Dakić), ohne <strong>der</strong>en fatalen<br />

missbrauch außer acht zu lassen (Hannes<br />

Priesch). sprache o<strong>der</strong> Worte werden auf ihre<br />

Poesie h<strong>in</strong> befragt – als „sonogramm des Wortes<br />

allah“ (0512) o<strong>der</strong> als freie Wort-assoziation<br />

des schöpfungsliedes <strong>der</strong> hebräischen Bibel, aus<br />

<strong>der</strong> die Buchstaben dieser uralten sprache aus<br />

dem „tohuwabohu“ sich <strong>in</strong> s<strong>in</strong>n und Bedeutung<br />

fügen (Daphna We<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>). Der klang des rosenkranzes,<br />

mit ihm se<strong>in</strong>e Worte, <strong>der</strong> Duft <strong>der</strong><br />

k<strong>in</strong>dheit werden durch zwei autoklaviere hörbar<br />

gemacht (Peter abl<strong>in</strong>ger). ist das alles nicht zu<br />

<strong>in</strong>tim? zu privat? ist religion sache des Privaten?<br />

kann man das <strong>in</strong>timste sprechen – das Beten –<br />

öffentlich ausstellen (Papo Colo)?<br />

09<br />

ZenitA komAd<br />

(iCH) VerzeiH mir (unD allen anDeren),<br />

2010/2011, 2 teilig<br />

sand, karton, leim, Holz auf le<strong>in</strong>wand,<br />

150 x 110 x 25 cm<br />

granitplatte, gefräst, auf sand, cam 130x110x30<br />

cn, Heilige substanzen<br />

Courtesy galerie kr<strong>in</strong>z<strong>in</strong>ger Wien<br />

sammlung für gegenwartskunst des<br />

kulturzentrums bei den m<strong>in</strong>oriten


16 10<br />

G.r.A.m.<br />

aus <strong>der</strong> serie: Wiener Blut, 2001/02, sW Foto,<br />

Courtesy neue galerie am universalmuseum joanneum/graz<br />

zWisCHen PriVat unD ÖFFentliCH<br />

Die zeitgenössische sicht auf religion <strong>in</strong> unseren<br />

Breiten und <strong>der</strong>en Privatheitszwang wird<br />

durch das kollektive Vollziehen ritueller Praxis im<br />

struggle <strong>der</strong> „Wie<strong>der</strong>kehr <strong>der</strong> religion“ zu e<strong>in</strong>em<br />

großen Fragezeichen des Öffentlichen. Das Verhältnis<br />

von Privatheit und Öffentlichkeit <strong>in</strong> Bezug<br />

auf religion ist – trotz <strong>der</strong> langen schatten <strong>der</strong><br />

zwei reiche, die e<strong>in</strong>st august<strong>in</strong>us dachte – noch<br />

immer nicht geklärt. Die beiden Bereiche aus<br />

dem sog von angst, gewalt, Fundamentalismus<br />

und engstirnigkeit herauszuholen ist das gebot<br />

<strong>der</strong> zeit – ohne die Hilfe, o<strong>der</strong>, wie wir glauben,<br />

wilfried Gerstel<br />

Der zersCHossene Himmel oDer Das Vaterunser<br />

unD Die erste sure Des korans, 2007,<br />

<strong>in</strong>stallation, 2-teilig, H/B/t= 201/128/40 cm und 201/106/40 cm,<br />

schwarze durchschossene tonfliesen<br />

2 metallrahmen, 2 Projektilwannen – Privatsammlung<br />

mit <strong>der</strong> Hilfe von kunst, ästhetischen Debatten<br />

und Diskursen. im <strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, gegenüber und im<br />

spannungsfeld <strong>der</strong> Parallelsysteme religion und<br />

kunst ist dabei e<strong>in</strong> Blick zu heben, <strong>der</strong> die Destruktionen<br />

nachmo<strong>der</strong>nen Denkens noch er<strong>in</strong>nert.<br />

Das ist durchaus e<strong>in</strong> trotziges Beharren auf<br />

alten gräben <strong>in</strong> sche<strong>in</strong>bar viel leichter gewordener<br />

rede – denn leichen im keller rächen sich.<br />

sie könnten sonst plötzlich auf den kreisrunden<br />

scheiben ersche<strong>in</strong>en, die aus den teppichen geschnitten<br />

s<strong>in</strong>d, o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s gesagt: die Bildkritik<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> religion gilt vor allem e<strong>in</strong>mal dem Bildlichen<br />

selbst (Hermann glettler). gnade gott,<br />

0512<br />

sonogramm Des Wortes "allaH"<br />

kunststoff, CnC-gefräst, 87 x 140 x 8 cm, 1/3, DVD<br />

sammlung für gegenwartskunst des kulturzentrum bei den m<strong>in</strong>oriten<br />

AdriAn PAci<br />

Pilgrimage, 2005; s<strong>in</strong>gle screen video projection or monitor, color, sound, 13.48 m<strong>in</strong>.<br />

Courtesy galerie Peter kilchmann<br />

dAPhnA we<strong>in</strong>ste<strong>in</strong><br />

toHu Va´WoHu - tHe seVen Days oF tHe Creation oF tHe WorlD, 2011,<br />

144 marmeladegläser, Papier, Flaschenzug, ausstellungsansicht<br />

<strong>in</strong> zusammenarbeit mit renate ils<strong>in</strong>ger<br />

im rahmen des gesamtprojekts „Buchstäblich von anfang an"<br />

ioAnA nemes<br />

tHe Healers (ausschnitt), 2010, mehrteilige serie<br />

Courtesy jiri svestka gallery Prag<br />

wer dann noch etwas sieht. Dann erst kann<br />

etwas fast wirklich werden, heilig wahr fast,<br />

womöglich pure gegenwart: WHolly real.<br />

Die Ausstellung <strong>IRREALIGIOUS</strong>! <strong>Parallelwelt</strong><br />

<strong>Religion</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Kunst</strong> <strong>in</strong> diesem steirischen<br />

Herbst nähert sich dem thema Wie<strong>der</strong>kehr<br />

<strong>der</strong> religion <strong>in</strong> <strong>der</strong> kunst aus möglichst dialektischer<br />

Perspektive. möglichst viele spielen<br />

dabei mit: Der selige Papst, die zyniker,<br />

Dialektiker, klavierspieler, die das Vater unser<br />

und die erste sure des koran schießenden<br />

Beter, öffentliche meditationsperformer, die<br />

massen bei Billy graham, das artige protes-<br />

hermAnn Glettler<br />

WHolly real, 2011,<br />

beschnittene orient-teppiche - Courtesy of the artist<br />

korPys/loeffler<br />

Für e<strong>in</strong> leBen naCH Dem toD, 2006, Video, 60 m<strong>in</strong><br />

Courtesy meyer riegger galerie<br />

tantische konzertpublikum <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, die<br />

löcher <strong>in</strong> den Perserteppichen, die Paradeisbischöf<strong>in</strong>,<br />

die räucher<strong>in</strong>, das Verzeihen, die<br />

madonna mit dem k<strong>in</strong>d von shko<strong>der</strong>, <strong>der</strong><br />

Betrüger im namen des Herrn, nietzsche,<br />

rosset, rumsfeld, Bush, gartenwerkzeuge,<br />

<strong>der</strong> kreuz tragende Heiland und die flehende<br />

maria magdalena. ke<strong>in</strong>er soll glauben, die<br />

sache <strong>der</strong> religion ist starr. alle spielen ihre<br />

rolle. und niemand ist ungeHorsam.<br />

Johannes Rauchenberger<br />

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