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Jahresbericht 2005 - Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

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<strong>Zeitgeschichte</strong> <strong>in</strong> <strong>Hamburg</strong> • <strong>2005</strong><br />

der „Werkstatt“ unterstützte. Oft spiegeln die Tonkassetten die heftigen Gefühle<br />

bei der Wiederbegegnung mit der Stadt, aus der sie vor 50–60 Jahren vertrieben<br />

worden waren. Manche scheuten die Enge des Hotelzimmers und bestanden<br />

darauf, das Interview an belebten Orten zu führen. So er<strong>in</strong>nere ich<br />

mich an e<strong>in</strong> Treffen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bar oder an e<strong>in</strong> anderes <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vornehmen Hotelhalle,<br />

<strong>in</strong> der das Gespräch von e<strong>in</strong>er Pianist<strong>in</strong> im rückenfreien Abendkleid untermalt<br />

wurde. Der Zeitzeuge berichtete dabei von stundenlangen w<strong>in</strong>terlichen<br />

Appellen im KZ Sachsenhausen, bei denen se<strong>in</strong> Vater sich vor ihn stellte und er<br />

se<strong>in</strong>e Hände unter dessen Achseln wärmen durfte. Der Vater hatte die NS-<br />

Herrschaft nicht überlebt.<br />

Als weniger e<strong>in</strong>fach erwies es sich, ehemals als „Mischl<strong>in</strong>ge ersten Grades“<br />

Verfolgte zu e<strong>in</strong>em Interview zu bewegen, die wegen ihres jüdischen<br />

Vaters bzw. der jüdischen Mutter unter Sonderrecht gelebt hatten. Sie begriffen<br />

die eigene Geschichte meist als wenig erzählenswert angesichts des Grauens<br />

von Auschwitz, das ihre jüdischen Verwandten nicht überlebt hatten. Sie selbst,<br />

die nicht deportiert worden waren und vielfach noch <strong>in</strong> ihren alten Stadtteilen<br />

lebten, hatten während der 12-jährigen NS-Herrschaft vor allem e<strong>in</strong>es gelernt:<br />

möglichst wenig von sich preiszugeben. Das starke Bedürfnis, sich bedeckt zu<br />

halten, kollidierte aber mit dem ebenfalls tiefverwurzelten Bemühen, kooperativ<br />

und hilfsbereit zu se<strong>in</strong>. Inzwischen – mehr als zehn Jahre nach den damaligen<br />

Interviews – hat sich der Umgang dieses Personenkreises mit se<strong>in</strong>er Geschichte<br />

stark verändert. Immer mehr Betroffene publizieren ihre Lebens- oder<br />

Familiengeschichte, sie treten <strong>in</strong> Dokumentarfilmen auf oder gehen <strong>in</strong> die<br />

Schulen, was Anfang der 1990er Jahre nur sehr vere<strong>in</strong>zelt der Fall war. Damals<br />

erforderten die Gespräche vielerlei vertrauensbildende Maßnahmen im Vorfeld.<br />

Die vielstündigen Interviews mit Angehörigen dieser Verfolgtengruppe habe ich<br />

<strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Doktorarbeit und e<strong>in</strong>igen Aufsätzen ausgewertet. 11 Mit etlichen<br />

Interviewten arbeite ich bis heute auf Veranstaltungen zusammen, es entstanden<br />

langjährige Freundschaften.<br />

Auf andere Weise schwierig gestalteten sich die Interviews mit Personen,<br />

die aus sehr unterschiedlichen Gründen verfolgt worden waren und als „vergessene<br />

Opfer“ bezeichnet werden. Manche hatten Angst vor e<strong>in</strong>em Interview, es<br />

er<strong>in</strong>nerte sie an Vorladungen; manche erhofften sich e<strong>in</strong>e Wiedergutmachung,<br />

wenn sie berichteten, was ihnen widerfahren war; manche besaßen ke<strong>in</strong> Telefon,<br />

manche nicht e<strong>in</strong>mal das Geld <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e HVV-Fahrkarte, andere hatten

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