Jahresbericht 2005 - Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
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Meik Woyke • „Wohnen im Grünen“?<br />
Stadtteile <strong>Hamburg</strong>s ließen sich leicht von Wedel aus erreichen. Gerade die großen<br />
Kaufhäuser im Zentrum der Hansestadt boten e<strong>in</strong>e Angebotskonzentration,<br />
die <strong>in</strong> Wedel nicht zu f<strong>in</strong>den war. Obendre<strong>in</strong> herrschte e<strong>in</strong>e gewisse<br />
Anonymität, und der Kaufzwang hielt sich im Gegensatz zu kle<strong>in</strong>eren Geschäften<br />
<strong>in</strong> Grenzen. Viele Konsumenten genossen dieses ungezwungene<br />
„Bummeln“. Die Mehrheit der <strong>in</strong> <strong>Hamburg</strong> e<strong>in</strong>kaufenden Kunden fuhr übrigens<br />
mit der S-Bahn <strong>in</strong> die Innenstadt, <strong>in</strong> aller Regel wurde nur <strong>für</strong> längere Strecken<br />
oder <strong>für</strong> schwere Transporte auf e<strong>in</strong> privates Kraftfahrzeug zurückgegriffen. 27<br />
In diesem S<strong>in</strong>ne äußerte sich auch e<strong>in</strong>e 1928 geborene und bis zur Geburt<br />
ihrer K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> Wedel berufstätige Zeitzeug<strong>in</strong>, zu deren Lebensstil es gehörte,<br />
die Möglichkeiten der nahen Metropole wie selbstverständlich zu nutzen:<br />
„Doch <strong>in</strong> Wedel konnte man ganz, sehr gut e<strong>in</strong>kaufen, aber wenn man was<br />
Besonderes wollte, dann fuhr man eben doch <strong>in</strong> die Stadt. Ganz am Anfang, als<br />
wir hier wohnten, habe ich dann zu me<strong>in</strong>er Vermieter<strong>in</strong> gesagt, ,Ich geh mal<br />
eben <strong>in</strong> die Stadt.‘ Me<strong>in</strong>te aber nach Wedel re<strong>in</strong>. ,Wieso, wollen Sie jetzt noch<br />
nach <strong>Hamburg</strong>?‘ ,Nee‘, sag ich, ,ich will nicht.‘ Ja hier heißt es, wenn man <strong>in</strong> die<br />
Stadt will, dann will man nach <strong>Hamburg</strong>. Ach, es war mitunter auch nur, dass<br />
man mal was anderes sah und mal was anderes hörte, und mal konditorn g<strong>in</strong>g<br />
oder irgend so was. Doch, ich muss sagen, das haben wir eigentlich ganz gerne<br />
gemacht. Wir haben es sogar h<strong>in</strong> und wieder noch gemacht, als schon drei K<strong>in</strong>der<br />
da waren, aber es war natürlich sehr umständlich.“ 28<br />
Während e<strong>in</strong>e Fachzeitschrift das Bauprojekt <strong>in</strong> Wedel als besonders gelungenes<br />
Beispiel <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Gartenstadt lobte, wurde der Elbhochufer-Siedlung<br />
von überregionalen Tageszeitungen jeder bauästhetische S<strong>in</strong>n abgesprochen.<br />
Dem Bürgermeister galt derweil ausgerechnet das Hochhaus als Inbegriff von<br />
Modernität. Zugleich verglich er den architektonisch wie sozial fragwürdigen<br />
Bau <strong>in</strong> symbolischer Überhöhung mit e<strong>in</strong>em mittelalterlichen Dom, an dem sich<br />
der zunehmende Wohlstand e<strong>in</strong>er Stadt ablesen lasse. 29<br />
Über den Komfort <strong>in</strong> der Gartenstadt Elbhochufer konnten sich die Bewohner<br />
<strong>in</strong> der Tat kaum beschweren. Gerade wenige Jahre nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg stellten die modern ausgestatteten Bäder und Küchen <strong>in</strong> den Eigenheimen<br />
und Mietwohnungen zweifellos <strong>für</strong> viele e<strong>in</strong>e Verbesserung im Vergleich<br />
zu ihren vorherigen Wohnverhältnissen dar, auch wenn noch mit Kohleöfen<br />
geheizt wurde. 30 Doch so ruhig und beschaulich, wie es sich die meisten<br />
Bewohner gewünscht hatten, sah der Alltag <strong>in</strong> der Siedlung nicht aus. Vor allem<br />
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