58Wesen sie auffassen sollte, und sie wird dadurch, daß ein, zwei, drei odermehr Wesen sie denken, nicht vervielfacht... Die objektive Vorstellung,die irgendein Wort bezeichnet, ist, sofern dies Wort nur kein mehrdeutigesist, eben deshalb nur eine einzige; der subjektiven Vorstellungen aber,die dieses Wort erweckt, gibt es unzählige...^'Die Zahl der in Italien im letzten Sommer gereiften Weinbeeren,welche Zahl niemand kennt, ist ein Beispiel für die Vorstellung ansich.^' - Von der Vorstellung - sowohl von der gedachten, als auchvon der Vorstellung an sich - unterscheidet Bolzano streng denGegenstand der Vorstellung, "jenes (bald existierende, bald nicht existierende)Etwas, von dem wir zu sagen pflegen, daß sie es vorstelle,oder daß sie die Vorstellung davon sei"^'. Es gibt auch Vorstellungen,zu denen kein einziger Gegenstand gehört. Solche gegenstandloseVorstellungen sind: Nichts, rundes Viereck, grüne Tugend, und freilichgoldener Berg - indem nämlich, wie Bolzano vorsichtig bemerkt, dergoldene Berg tatsächlich nicht existiert^*. Da in der Aussage (in demgedachten oder ausgesprochenen Satz) "der goldene Berg existiertnicht" die Bedeutung des Ausdruckes (der subjektiven Vorstellung)"goldener Berg" nichts anderes ist, als die objektive Vorstellung goldenerBerg, diese aber zeitlos besteht, muß man aus der Nichtexistenzdes goldenen Berges ebenso wenig auf die Sinnlosigkeit der Aussage"der goldene Berg existiert nicht" schließen, wie man, umgekehrt,aus der Tatsache, daß diese Aussage einen Sinn hat, nicht auf dietatsächliche Existenz des goldenen Berges schließen muß. Indem Bolzanodas Problem des Nichtexistierenden durch das Schaffen einerArt von Ideenwelt löst, geht er - mutatis mutandis - Piatons Weg.Piaton freilich hielt die Welt der Ideen für wirklich seiend, die empirischeWelt aber für eine bloße Schattenwelt. Bei Bolzano, könnte mansagen, steht die Sache ganz anders, betont er doch immer, daß seinezeitlosen Seienden eigentlich gar nicht existieren, nur bestehen: ihreObjektivität ist eine ontologisch gleichgültige, bloß logische Objektivität;oder, anders (das aber sind bereits nicht Bolzanos Worte): dieUnterscheidung zwischen dem gedanklichen bzw. sprachlichen Aktund seiner Bedeutung hat einen nur methodologischen Belang. Und25 Ebd., S.217f.26 Ebd., S.218.27 Ebd., S.219.28 Ebd., S.304f.
59doch sind die Tendenzen sehr stark, welche innerhalb des BolzanoschenSystems in die Richtung einer Substanzialisierung, einer Objektivierungzum Existierenden der logisch Bestehenden wirken." Auchdie eben erwähnte logische Funktion (die von Nichtexistierendenhandelnde Aussagen sinnvoll zu machen) ist schon von solcher Art,daß, um sie auszuüben, die Vorstellung an sich irgendeiner wahrenObjektivität bedarf: sie muß doch einen tatsächlichen psychischenAkt, eine diesseitige, auf den goldenen Berg gerichtete räumlichzeitlicheseelische Tätigkeit mit Inhalt füllen. Die ethische Bedeutung derlogischen Sphäre, mit welcher wir uns alsbald befassen werden, ist einnoch offensichtlicher substanzialisierender Faktor. ^°Für die Untersuchung der gegenseitigen logischen Verhältnissevon Sätzen an sich führt Bolzano den Begriff der veränderlichen Vorstellungein. Da die objektiven Vorstellungen zeitlos sind, könntedieser Begriff sonderbar erscheinen, im Wortgebrauch von Bolzanohat der Ausdruck "veränderlich" jedoch einen nur bildlichen Sinn.Wenn wir in irgendeinem Satz A die Vorstellung / als veränderlichbezeichnen, dann verstehen wir darunter nichts anderes, als daß wirunsere Aufmerksamkeit jetzt auf all die 5, C,... Sätze richten, die vonA nur insofern verschieden sind, daß sie an der Stelle von / die Vorstellung/Ä^,...enthalten. Es besteht ein Verhältnis von Ableitbarkeitzwischen den Sätzen A,B,C,D,... bzw. M.N.O,... hinsichtlich auf die29 "Die methodologische Tat Bolzanos", schrieb Bela Fogarasi, "schließtnicht aus, daß er auch die metaphysische Bedeutung seines Problems fühlte,ja sogar daß gerade dieses Gefühl ihm den wahren Impuls gegeben hat."Fogarasi, "Bolzano igazsägelmelete" [Die Wahrheitstheorie Bolzanos].Huszadik Szdzad, 1913, S.625.30 Es gilt von der Unterscheidung zwischen Bestehen und Existieren auchim allgemeinen, daß man es nur in Worten durchführen kann. Das "Seinhafteder letzten Gegebenheiten", schreibt Karoly [Karl] Mannheim, "kannman für eine Zeit aufschieben, jede zuendegedachte Erkenntnistheorie istjedoch gezwungen, an einem bestimmten Punkt, aufs Neue, die Seinhaftigkeitzu setzen, denn die letzten Gegebenheiten kann man nicht als nichtseinhaft gegeben betrachten... Die Korrelation von dem Erkannten und demzu Erkennenden kann man, ohne daß man deren Existenz, deren ontologischenCharakter in irgendeiner Art anerkennen würde, nicht aufstellen."Mannheim, "Az ismeretelmelet szerkezeti elemzese" [Strukturelle Analyseder Erkenntnistheorie], y4/Ae«aeMm, 1918-19, S.245f.
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