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Himmlische - Arnsteiner Patres

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60800<br />

Mai 2009<br />

Apostel<br />

Zeitschrift der <strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong> Ausgabe 2/2009<br />

Themenheft zu Pater Damian De Veuster sscc<br />

• Ordensmann, Missionar und Apostel der Aussätzigen<br />

• Leben, Spiritualität und Wirkung<br />

• Menschen auf den Spuren von Pater Damian


Apostel. Zeitschrift der <strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong><br />

Sonderausgabe zur Heiligsprechung von Pater Damian<br />

Biographie »Aus dem Leben eines Heiligen« 4<br />

Damian und seine Ordensgemeinschaft heute 10<br />

Zur Spiritualität von Pater Damian 12<br />

Betende und aussätzige Hände 15<br />

Flüchtlingsarbeit in Deutschland 16<br />

Mutter der Müllmenschen von Kairo 21<br />

Krankenpfleger in den Slums von Manila 24<br />

Die Damian-Gedenkstätten in Belgien 28<br />

Lepra-Arbeit im Wandel der Zeit 30<br />

Pater Damian in der Kunst 34<br />

Impressum<br />

Apostel (ISSN 1611-0765)<br />

Herausgeber: Provinzialat der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens<br />

(<strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong> e. V.), Johannesstraße 36 A, 56112 Lahnstein, Tel.: 0 26 21 96 88 44, Fax: 0 26 21 62 99 20,<br />

E-Mail: provinzialat@sscc.de, Internet: www.sscc.de<br />

sscc ist die Abkürzung für die Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen, in Deutschland als <strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong><br />

und auch als Picpus (nach der Straße des Mutterhauses in Paris) bekannt.<br />

Redaktion: P. Peter Egenolf sscc (verantwortlich), P. Friedhelm Geller sscc, Kerstin Meinhardt,<br />

Thomas Meinhardt, Susanna Sargenti, P. Ludger Widmaier sscc<br />

Verlag: meinhardt, Verlag und Agentur, Magdeburgstr. 11, 65510 Idstein, Tel.: 0 61 26 9 53 63-0,<br />

Fax: 0 61 26 9 53 63-11, E-Mail: info@meinhardt.info, www.meinhardt.info<br />

Erscheinungsort: Lahnstein<br />

Auflage: 14.500 Exemplare, gedruckt auf 100 % Recyclingpapier<br />

Autoren: Sr. Emmanuelle Cinquin ✝ • Peter Egenolf sscc, Lahnstein • P. Friedhelm Geller sscc, Werne •<br />

Jochen Hövekenmeier, Kitzingen • P. Javier Álvarez-Ossorio sscc, Rom • P. Manfred Kollig sscc, Münster •<br />

André Madaus, Wiesbaden • Lars Maihöfner, z. Z. Philippinen • P. Ulrich Roos sscc ✝<br />

Titel: Gemälde von Edward Clifford, 1881, KNA<br />

Fotos: S. 2 und 3 KNA • S. 16 picture-alliance/dpa • S. 18 Arbeitsgemeinschaft Frieden, Trier • S. 21 Asmae<br />

Association Soeur Emmanuelle • S. 22 und 23 Agence France Presse • S. 23 Müll-Menschen-Hilfe e. V. •<br />

S. 24 bis 27 Franziska Kämper, Lars Maihöfner und Carolin Weber • S. 31 Repro: DAHW •<br />

S. 33 Jochen Hövekenmeier • S. 34 und 35 Bert Gerresheim und Wallfahrtsleitung der Marien-Basilika in<br />

Kevelaer • S. 36 KNA<br />

Alle weiteren Bilder aus dem Archiv der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen, Verlag und Agentur<br />

Meinhardt und von dem Fotografen Peter Zaloudek<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung von Herausgeber und Redaktion<br />

wieder. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte und Fotos kann keine Haftung übernommen werden.<br />

Im Rahmen des Damian-Jahres finden Dankfeiern, Wallfahrten und eine Fahrt nach Rom<br />

zur Heiligsprechung statt. Zudem erscheint dieses Themenheft. Zur Finanzierung sind<br />

Spenden (Förderabos) nötig und willkommen. Überweisungen erbitten wir unter Angabe<br />

des Verwendungszweckes »Apostel« auf das Konto <strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong> e. V., Kontonummer<br />

656 120 010 bei der Nassauischen Sparkasse Lahnstein (BLZ 510 500 15). Für Zahlungen<br />

aus dem EU-Ausland: IBAN: DE86 5105 0015 0656 1200 10; SWIFT/BIC Code: NASS DE 55.<br />

Herzlichen Dank!<br />

Unsere Konvente<br />

<strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong><br />

Bohlweg 46<br />

48147 Münster<br />

Tel.: 02 51 48 25 33<br />

Fax: 02 51 4 82 53 59<br />

E-Mail: Muenster@sscc.de<br />

<strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong><br />

Jesuitenplatz 4<br />

56068 Koblenz<br />

Tel.: 02 61 9 12 63-0<br />

E-Mail: Koblenz@sscc.de<br />

<strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong><br />

Johannesstraße 36 A<br />

56112 Lahnstein<br />

Tel.: 0 26 21 9 68 80<br />

Fax: 0 26 21 96 88 30<br />

E-Mail: Provinzialat@sscc.de<br />

Kloster Arnstein<br />

56379 Obernhof/Lahn<br />

Tel.: 0 26 04 9 70 40<br />

Fax: 0 26 04 16 06<br />

E-Mail: KlosterArnstein@sscc.de<br />

<strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong><br />

Marktstraße 13<br />

56746 Kempenich<br />

Tel.: 0 26 55 10 84<br />

Fax: 0 26 55 24 18<br />

E-Mail: Brohltal@sscc.de<br />

<strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong><br />

Kardinal-von-Galen-Straße 3<br />

59368 Werne<br />

Tel.: 0 23 89 97 00<br />

Fax: 0 23 89 97 01 11<br />

E-Mail: Werne@sscc.de<br />

Ordensgemeinschaft<br />

von den Heiligsten Herzen<br />

Immenstädter Straße 50<br />

87435 Kempten<br />

Tel.: 08 31 5 12 36 80<br />

Fax: 08 31 51 23 68 19<br />

Pères des Sacrés Coeurs<br />

Rue de Marchienne, 12<br />

B-6000 Charleroi<br />

Tel.: 00 32 71 32 39 97<br />

Fax: 00 32 71 32 81 78<br />

»Die Liebe erträgt alles …«<br />

Liebe Leserin, Lieber Leser,<br />

der »Mann mit dem Strohhut«: Das Bild<br />

auf dem Titel stammt von Edward<br />

Clifford, einem englischen Künstler. Er<br />

besuchte Pater Damian im Dezember<br />

1888 auf Molokai, ungefähr vier Mo­<br />

nate vor dessen Tod. Abends sitzt er<br />

lange mit ihm auf der Veranda seines<br />

Hauses und zeichnet ihn, während sie<br />

sich unterhalten oder der Priester sein<br />

Brevier betet.<br />

Als das Porträt schließlich fertig ist,<br />

beklagt sich Pater Damian: »Was für ein<br />

hässliches Gesicht. Ich wusste nicht,<br />

dass die Krankheit schon so weit fort­<br />

geschritten ist.« Dabei hatte Clifford die<br />

Anzeichen der Lepra nur dezent andeu­<br />

ten wollen. Ihm ging es darum, den<br />

Mann zu zeigen, der innerlich so ge­<br />

sammelt schien und dessen gefühlvolles<br />

Gesicht er mit Vergnügen und Vereh­<br />

rung betrachtete.<br />

Wie viel von der Krankheit darf man<br />

zeigen? Wie viel Bewunderung darf<br />

man in ein Bild legen? Der Streit um<br />

Cliffords Gemälde ist bezeichnend für<br />

die unterschiedlichen Bilder, die Men­<br />

schen von Pater Damian hatten. Von<br />

Anfang an war er umstritten. Sein Vor­<br />

gesetzter schrieb über ihn: »Guter Or­<br />

densmann, guter Priester, sehr eifriger<br />

Missionar, doch übertriebener Einsatz<br />

für die Aussätzigen. Ich sage übertrie­<br />

ben, denn er kann nicht Maß halten,<br />

und manchmal bringt ihn sein übertrie­<br />

bener Eifer dazu, Dinge zu sagen, zu<br />

schreiben oder gar zu tun, welche die<br />

kirchliche Obrigkeit nur tadeln kann.«<br />

Viele Zeitgenossen aber hielten ihn für<br />

einen Helden. Gerade in sicherer Ent­<br />

fernung, in Europa oder den USA fand<br />

er viele Bewunderer. Andere wehrten<br />

sich gegen dieses Bild. Ein protestan­<br />

tischer Geistlicher streute den Verdacht,<br />

Damian habe sich den Aussatz durch<br />

heimliche Liebschaften zugezogen. Für<br />

ihn war der katholische Missionar ein<br />

»ungeschlachter, schmutziger Mensch,<br />

H<br />

eigensinnig und frömmlerisch«.<br />

Robert Louis Stevenson, der bekannte<br />

Autor der »Schatzinsel«, wollte dieses<br />

Urteil nicht gelten lassen. Selbst unheil­<br />

bar krank, forscht er auf Molokai nach<br />

und kommt schließlich zu dem Urteil:<br />

Damian war »gewiss von Bauernart:<br />

pfiffig, unwissend und frömmlerisch,<br />

aber mit offenem Geist und ganz unge­<br />

wöhnlich großherzig in den kleinsten<br />

wie in den größten Dingen und bereit,<br />

sein letztes Hemd wegzugeben, so wie<br />

er bereit war, sein Leben zu opfern, von<br />

Natur aus unbedacht und übereifrig,<br />

was ihn zu einem lästigen Zeitgenossen<br />

machte (…). Seine Unvollkommenheit<br />

zeigt sich in den Zügen seines Gesichts,<br />

an denen wir ihn als unseren Gefährten<br />

erkennen.«. Damian sei eben kein un­<br />

fehlbarer Held gewesen und auch kein<br />

Heiliger von der feinen Art. Schmutzig<br />

unter den Aussätzigen sei aber besser<br />

H<br />

als rein und weit von ihnen entfernt.<br />

Vielleicht ist es diese unfeine Art von<br />

Pater Damian, die uns erkennen lässt,<br />

was es heißt, wenn die Kirche jemanden<br />

als einen »Heiligen« verehrt. Es zählt<br />

nicht, ob jemand viel oder wenig ge­<br />

wusst oder geleistet oder geschrieben<br />

oder gebetet hat, sondern es zählt, wie<br />

sehr jemand geliebt hat. Paulus schreibt:<br />

»Die Liebe erträgt alles, glaubt alles,<br />

hofft alles, hält allem stand (…). Für<br />

jetzt bleiben Glaube, Hoffnung und<br />

Liebe, diese drei, doch am größten un­<br />

ter ihnen ist die Liebe.« (1 Kor 13,13)<br />

Wie Jesus von Nazareth nach den<br />

Worten des Johannesevangeliums die<br />

Seinen bis zum Äußersten liebte, so ist<br />

auch Damian den Seinen treu geblie­<br />

ben. »Wir Aussätzige«: So begann er<br />

seine Predigten auf Molokai, und so<br />

lebte und arbeitete er für die Seinen bis<br />

H<br />

zum Äußersten, bis zum Tod.<br />

Es ist eigentlich kein Wunder, wenn<br />

wir glauben, dass er auch »im Him­<br />

mel«, also in der Vollendung seines<br />

Lebens, für die Seinen da ist und für<br />

die Kranken und Sterbenden bei Gott<br />

eintritt. »Die Liebe hört niemals auf«<br />

(1 Kor 13,8). Daher liegt nichts näher<br />

als das vertrauensvolle Gebet: »Heili­<br />

ger Pater Damian, bitte für<br />

uns.« e<br />

p. peter egenolf sscc<br />

3


Das Leichte<br />

im Schweren<br />

Tabak und Kaffee<br />

Ein allgemeines Rauchverbot hätte ihm sicher nicht gefallen.<br />

Den Tabak brauchte er, um sich den Gestank der Krankheit<br />

vom Leib zu halten, »damit meine Kleider nicht nach Aussatz<br />

riechen«. Aber es war wohl mehr als bloße Nützlichkeit. In<br />

einem langen Brief an seinen Bruder Pamphile in Leuven<br />

steht mitten im französischen Text ein kleiner Satz in der<br />

flämischen Muttersprache: »Ich geh mal ein Pfeifchen rau-<br />

chen.« Den Tabak liebte er ebenso sehr wie eine andere<br />

»Droge« – den Kaffee. Beide Leidenschaften brachte er aus<br />

der Heimat mit. Einmal lud er in einem Brief scherzhaft seine<br />

alte Mutter nach Molokai ein und lockte sie mit dem guten<br />

H<br />

Kaffee, den er ihr dann servieren könnte.<br />

Es kam auch vor, dass er den Kaffee in einer Konservendose<br />

zusammen mit einem Ei kochte, das dann mit Schiffszwieback<br />

als essbarem Untersatz verzehrt wurde. Damian war und blieb<br />

ein praktischer Mann vom Bauernhof. Molokai wurde für ihn<br />

ein neues Heimatdorf, mit einer überschaubaren Anzahl von<br />

Menschen, Straßen und Häusern, abgegrenzt vom Rest der<br />

Welt. Paris, wo er einen Teil seines Noviziats verbrachte, oder<br />

später Honolulu blieben ihm fremd. Die großen Städte waren<br />

seine Sache nicht. In dem »neuen Tremelo« war er die wichtige<br />

Autorität, wie der Pastor in der Heimat. Die festliche Fron-<br />

leichnamsprozession mit Blaskapelle, Gesang und Blumen-<br />

schmuck hätte genauso im fernen Flandern stattfinden<br />

Aus dem Leben eines Heiligen<br />

können. Damian entwarf<br />

sogar einen Plan, die Lepra-<br />

siedlung nach Art einer Abtei<br />

zu führen, mit festen Zeiten<br />

für Gebet und Arbeit und ihm<br />

selbst als Abt.<br />

Zu Hause hatte Damian gelernt,<br />

mit einer großen Familie zu leben.<br />

Drei Generationen wohnten unter einem<br />

Dach: die Großeltern väterlicherseits, die<br />

Eltern und acht Kinder, von denen Damian das<br />

Siebte war. Das gemeinsame Essen aus einer einzigen<br />

Schüssel war ihm bekannt, sodass er in Hawaii ohne Zögern<br />

mit der »Herrgottsgabel« in die traditionelle Speise Poi-Mus<br />

griff, ohne Rücksicht auf eine mögliche Ansteckung. Auch<br />

seine Pfeife ließ er rundgehen. Ganz selbstverständlich über-<br />

nachtete er in den Hütten der Einheimischen, vor allem zu<br />

Anfang seiner missionarischen Arbeit auf der »großen Insel«<br />

Hawaii, als er noch keine eigene Unterkunft hatte. Solche<br />

Unbekümmertheit hat ihm später manche Verdächtigung im<br />

Hinblick auf Frauen eingetragen, auch vonseiten derer, die es<br />

eigentlich besser wissen mussten.<br />

Eine Schlittschuhpartie<br />

mit Folgen<br />

Damian blieb immer ein Landmensch. Mit dem Wasser war<br />

er nicht besonders Freund, obwohl er mitten in einem gro ßen<br />

Ozean lebte. Das Meer erschien ihm fremd und gefährlich.<br />

In seinem Bericht über die lange Schiffsreise 1863 erzählt er,<br />

wie die Seekrankheit ihn wieder und wieder überfiel. Vielleicht<br />

hat auch der Gedanke an die jährlichen Überschwemmungen<br />

zu Hause seine Wasserscheu verstärkt. Die traumatische Er-<br />

fahrung, als Junge beim Schlittschuhlaufen einmal fast er-<br />

trunken zu sein, hat er selbst geschildert:<br />

»An einem sehr kalten und nebligen Tag war ich auf Schlitt-<br />

schuhen unterwegs und fuhr mit einiger Geschwindigkeit die<br />

Dyle hinauf, um schnell nach Hause zu kommen. Das Eis war<br />

P. Damian als junger Missionar: Vor ihm lag ein schweres<br />

und außergewöhnliches Leben. Er selbst bezeichnete sich aber<br />

stets als glücklichen Menschen.<br />

prächtig und fest, und die Ufer des kleinen Flusses schienen<br />

nur so vorbei zu fliegen. Ich war in Eile und fühlte mich ir-<br />

gendwie wie ein Vogel im Sturzflug. Plötzlich – am Zusam-<br />

menfluss von Dyle und Laak – sehe ich, wie sich vor meinen<br />

Füßen ein Abgrund auftut, und ich hatte gerade noch Zeit,<br />

um mit vollem Körpereinsatz an zuhalten. Als ich zum Stehen<br />

gekommen war, konnte ich sehen – und allein schon der<br />

Gedanke daran lässt mich schaudern – dass ich direkt am<br />

Ende der Eisdecke stand. Meine erste Bewegung war, sofort<br />

auf die Knie zu fallen, um Gott zu loben und meinem guten<br />

Engel zu danken, dass er mich solch offenkundiger Gefahr<br />

entrissen hatte.«<br />

Kirche auf Molokai, von P. Damian<br />

und den Aussätzigen gebaut<br />

4 5<br />

H<br />

Diese Geschichte sagt viel über den Menschen Damian De<br />

Veuster. Sie zeigt, was ihn im Innersten zusammenhielt: seine<br />

Tatkraft und der Wille, nach vorn zu gehen, keine Angst zu<br />

haben vor Risiko und Gefahren sowie die feste Überzeugung,<br />

bei allem in der Hand Gottes und seines Engels zu sein.<br />

Heimatwurzeln<br />

Zu dieser Einstellung haben die Eltern den wohl größten Teil<br />

beigetragen. Nicht von ungefähr gehen drei ihrer Töchter und<br />

»Wir Aussätzige«, predigte P. Damian.<br />

Nach 14 Jahren auf der Leprakolonie Molokai erkrankt er<br />

selbst am Aussatz und wird auch äußerlich einer von ihnen.<br />

zwei Söhne ins Kloster. Die Mutter<br />

hielt immer etwas für die vielen<br />

Hilfesuchenden bereit, es gab jede<br />

Woche einen »Bettlertag« bei den<br />

De Veusters. Ein fester Punkt im<br />

Tagesablauf der Familie war das<br />

Abendprogramm, das die Mutter<br />

gestaltete. Sie las den Kindern aus<br />

einem großen, schön verzierten Buch<br />

vor, dem »Leben der Heiligen«. Der<br />

kleine Sjef – Josef ist sein Taufname – war<br />

manchmal so begeistert, dass er die anderen<br />

überredete, im Wald »Einsiedler« zu spielen. Er<br />

war ein aufgewecktes Kind, das außer Eremit sicher<br />

auch Räuber und Schandit (Räuber und Gendarm,<br />

Anm. d. Red.) gespielt hat. Denn, dass er nur brav und in sich<br />

gekehrt war – »kaum geboren, auserkoren« –, dürfte das<br />

H<br />

Ergebnis frommer Legendenbildung sein.<br />

Die Männer seines Heimatortes Tremelo waren im Umkreis<br />

als »Messerstecher« bekannt. Vielleicht hat Damian auch<br />

davon etwas abbekommen. Der 18-Jährige schrieb aus der<br />

Mittelschule in Braine-le-Comte, wo er Französisch lernte:<br />

»Wenn die Wallonen über mich lachen, schlage ich sie mit<br />

einem Lineal.« Aber danach hatte er keine Schwierigkeit, beim<br />

gemeinsamen Spaziergang eben diese Wallonen immer<br />

wieder zu fragen, »wie die Dinge auf Französisch heißen«.<br />

Später in Molokai zog er mehr als ein Mal im übertragenen<br />

Sinn das Messer, wenn er für seine Schützlinge, die Aussätzi-


P. Damians Tor zur Welt.<br />

In zahlreichen Briefen hielt er<br />

Kontakt zu seiner Familie und<br />

den Mitbrüdern.<br />

Er informierte die Öffentlichkeit<br />

über Molokai und warb um<br />

Hilfe und Unterstützung.<br />

gen, kämpfte und mit Wut im<br />

Bauch den Behörden und auch<br />

seinen Oberen gegenübertrat.<br />

Der Vater bewirtschaftete einen<br />

kleinen Bauernhof mit vier Hektar<br />

Land. Die De Veusters waren nicht<br />

arm, ihnen gehörte das erste Back-<br />

steinhaus in Tremelo. Beide Eltern<br />

hatten im wallonischen Rebeq In-<br />

ternatsschulen besucht, was vor allem für Mädchen unge-<br />

wöhnlich war. Vom Vater lernte Damian sein eigenes Vater-<br />

Sein in Molokai, vielfältige Fertigkeiten und die Kunst, sich<br />

neuen Situationen anzupassen.<br />

Sechsunddreißig<br />

Handwerke …<br />

Mit 13 konnte der »dicke Sjef« schon die schweren Getreide-<br />

säcke stemmen. Er lernte die »36 Handwerke«, die ihm sein<br />

erster Biograf Charles Warren Stoddard später bescheinigen<br />

sollte. Sjef war ein »Holzwurm«, wie sein biblischer Namens-<br />

Sein Leben im Überblick<br />

1840 wird Joseph De Veuster am 3. Januar als siebtes von acht Kindern einer<br />

Bauernfamilie in Tremelo/Belgien geboren.<br />

1859 tritt er in das Noviziat der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten<br />

Herzen in Leuven ein, zu der auch schon sein älterer Bruder Pamphil<br />

gehörte.<br />

1860 legt er seine Gelübde ab und erhält den Ordensnamen Damian.<br />

1863 fährt Damian anstelle seines erkrankten Bruders als Missionar nach Hawaii.<br />

geber; Holz war sein Lieblingsmaterial.<br />

Eine Schreinerwerkstatt in der Nachbar-<br />

schaft war ihm ein beliebter Spielplatz.<br />

In Molokai baute er später Kapellen und<br />

Altäre aus Holz – und zimmerte Särge<br />

für die Toten. Einer dieser Altäre steht<br />

in seinem Geburtshaus, jetzt Museum,<br />

in Tremelo, und ist ganz so wie die<br />

Altäre der Heimat. Die Kerzenleuchter<br />

und den Dreh-Tabernakel fertigte er<br />

aus alten Ölkanistern, die spitzenver-<br />

zierten Tücher kamen von Schwestern<br />

seiner Ordensgemeinschaft.<br />

Aus Holz waren auch die neuen<br />

Wohnungen der Leprasiedlung, die<br />

Damian anstelle der feuchten und ungesunden Grashütten<br />

bauen ließ. Er zeigte den Eingeborenen, wie man Gemüse<br />

zieht, organisierte eine Blaskapelle, einen Chor und sportliche<br />

Wettbewerbe, leitete einen Tante-Emma-Laden, besorgte die<br />

Buchhaltung, erkundete eine Wasserquelle in einem benach-<br />

barten Tal und ließ eine Wasserleitung legen. Er fungierte als<br />

Schiedsrichter und Ombudsmann, war verantwortlich für<br />

Krankenstation und Waisenhaus, hielt den Kontakt zu Wohl-<br />

tätern, korrespondierte mit weltlichen und kirchlichen Amts-<br />

stellen und konnte wenigstens fünf Sprachen: Niederländisch,<br />

Französisch, Englisch, Hawaiisch, Portugiesisch. Er war Archi-<br />

1864 wird er am 21. Mai in Honolulu zum Priester geweiht und anschließend als Seelsorger<br />

in den Missionsbezirken Puna und Kohala auf der Insel Hawaii eingesetzt.<br />

1873 meldet sich Pater Damian freiwillig für den Dienst als Seelsorger in der Leprakolonie auf Molokai.<br />

Am 10. Mai trifft er ein und beginnt sofort, sich um die Ausgesetzten zu kümmern.<br />

1884 stellt man fest, dass der Missionar an Aussatz erkrankt ist.<br />

1889 stirbt Pater Damian am 15. April, dem Montag der Karwoche,<br />

im Alter von 49 Jahren und wird neben seiner Kirche in Molokai begraben.<br />

1936 werden seine Gebeine feierlich nach Belgien überführt und in der Krypta<br />

der Klosterkirche in Leuven beigesetzt.<br />

1995 wird Pater Damian von Papst Johannes Paul II in Brüssel selig gesprochen.<br />

tekt, Zimmermann und Maurer, Erfinder, Organisator,<br />

Lehrer, Pfarrer, Polizist und Notarzt – er half einer Frau<br />

bei der Geburt ihres Kindes.<br />

36 Handwerke – und mehr. Doch viel Licht erzeugt auch<br />

manchen Schatten. Sein späterer Gehilfe und treuer Freund<br />

Joseph Dutton musste bei aller Bewunderung sagen, dass der<br />

gute Pater hundert Sachen anfange, aber nicht zu Ende führe.<br />

… und eine Berufung<br />

Aber immer, und vor allem anderen, war Damian Priester:<br />

Jeder seiner Berufe wurde zu einer Berufung, jede Arbeit<br />

führte über die sichtbare Welt hinaus, wurde ein Weg zu<br />

einem Gott, der gut ist und ein Herz für die Menschen hat,<br />

so wie es ihn seine Ordensgemeinschaft gelehrt hatte. Einmal<br />

schrieb er den Eltern: »Wenn meine Leute den Priester lieben,<br />

der für Gott arbeitet, dann werden sie auch IHN lieben.« Wie<br />

der Diener, so der Herr, wie der Herr, so der Diener.<br />

Er begann und beschloss seinen Tag mit Gott. Am frühen<br />

Morgen hielt er Anbetung und feierte die Messe. Abends<br />

betete er auf dem Friedhof den Rosenkranz. Er wusste, dass<br />

die Toten leben, dass sie nicht endgültig im Grab verschwun-<br />

den sind. Er wusste sich als Mitglied der großen Familie mit<br />

Gott. Einer Familie, in der auch noch der scheinbar Letzte<br />

einen Platz beim Festessen erhält.<br />

6 7<br />

2009 wird er von Papst Benedikt XVI. in Rom heiliggesprochen.<br />

P. Damians Geburtshaus in Belgien<br />

H<br />

Damian war Praktiker und Mystiker. Das bekannte Bild des<br />

englischen Malers Clifford zeigt ihn im Schaukelstuhl auf der<br />

Veranda, die Beine übereinander geschlagen, in der »Nach-<br />

folge Christi« lesend, und die Bluejeans schauen unter der<br />

Soutane hervor.<br />

Studie des englischen Malers Edward Clifford,<br />

der P. Damian auf Molokai besuchte<br />

Von den 16 Jahren, die er in Molokai ver-<br />

brachte (1873 bis 1889), hatte er die meiste<br />

Zeit keinen Mitbruder an seiner Seite. Dieses<br />

Alleinsein war schlimmer als der Aussatz, und<br />

er beklagte sich mehr als einmal darüber,<br />

niemanden zu haben, mit dem er sich austau-<br />

schen und bei dem er beichten konnte. So ging<br />

er in die Kirche und hielt Zwiesprache mit dem<br />

gegenwärtigen Christus, bekannte ihm seine<br />

Sünden. »Ich weiß nicht, wo das noch enden<br />

wird, ergebe mich aber in die göttliche Vorse-<br />

hung und finde meinen Trost in dem einzigen<br />

Gefährten, der mich nicht verlässt: bei unserem<br />

Erlöser in der heiligen Eucharistie. Oft beichte ich vor dem<br />

Altar,« schrieb er im November 1885 an Pamphile; und an<br />

einen Mitbruder im Mai 1886: »Auf die Heilige Kommunion<br />

und das Heilige Sakrament verzichten, das wäre für mich das<br />

Schlimmste und würde meine Lage unhaltbar machen.«<br />

Den Berg hinauf<br />

Mit dem Aussatz, von dessen Infektion er vier Jahre vor seinem<br />

Tod sicher wusste, brachte ihn die seelische Isolation auf den<br />

Weg des Kreuzes, wie es bei allen Heiligen geschieht. Sechs<br />

Wochen vor seinem Tod schrieb er an Clifford: »Ich versuche,<br />

langsam meinen Kreuzweg hinaufzusteigen und hoffe, bald<br />

auf dem Gipfel meines Golgota anzukommen.« Der umtrie-<br />

bige Missionar des Anfangs, der in seinen Berichten stolz<br />

erzählte, welche Kapellen er gebaut und wie viele Leute er<br />

getauft habe, war ein kranker Mann geworden, der kaum noch<br />

laufen konnte, einen Arm in der Schlinge trug und vom<br />

Aussatz zerfressen wurde. Und doch machtvoller predigte als<br />

jemals zuvor!<br />

P. Damian bedeutet mir …<br />

Was mich an Pater Damian berührt ist seine Art, mit den<br />

Menschen zusammen zu sein. Er war jemand, der sein<br />

Leben bis zum Ende gegeben hat. Sein Engagement war endgültig. Er<br />

hätte nach einiger Zeit sagen können: »Ich gehe jetzt fort von hier, bevor<br />

auch ich an Lepra erkranke«. Obwohl er wusste, dass es ihn umbringen<br />

würde, blieb er – weil er sich mit den Menschen identifiziert hat, denen<br />

er diente und die frohe Botschaft brachte. Er sprach deshalb von »uns<br />

Leprakranken«, noch bevor er sich angesteckt hatte.<br />

sr. jeanne cadiou sscc, frankreich


Nicht zu zählen sind die Menschen, die von ihm auf die Spur<br />

Gottes gezogen wurden. Schon bald nach seinem Tod, in den<br />

1890er Jahren, entstanden in vielen Ländern Schulen,<br />

Kollegien und Institute mit seinem Namen, wie das<br />

Damianeum in Simpelveld, wo viele Jahrzehnte lang<br />

der deutsche Ordensnachwuchs ausgebildet wurde.<br />

Bis heute ist Damian die Leitfigur für die jungen<br />

Frauen und Männer in Afrika und Asien, die<br />

sich in seiner Gemeinschaft lebenslang engagieren<br />

möchten.<br />

H<br />

Damian hat viel Lob und Anerkennung<br />

erfahren. Er hat viele Künstler inspi-<br />

riert. Seine Statue steht für den Staat<br />

Hawaii im Kapitol von Washington,<br />

sein Bild findet sich in Hunderten<br />

von Kirchen, Kapellen und Häusern<br />

rund um den Erdball. Hilfswerke in<br />

aller Welt mühen sich in seinem<br />

Namen um Leprapatienten und<br />

andere stigmatisierte Kranke. Er<br />

wird in Büchern lebendig, in Ge-<br />

dichten und Liedern besungen.<br />

Die Flamen haben ihn 2007 zum<br />

»größten Belgier aller Zeiten« ge-<br />

wählt. Aber all das – so würde er<br />

uns wohl sagen – zählt wenig,<br />

verglichen mit den Menschen, die<br />

ihn ehren, indem sie leben und<br />

handeln wie er.<br />

Geschmack an Gott<br />

Wenn man nach einer Formel sucht,<br />

die den Heiligen und seine Anziehungs-<br />

kraft, das Geheimnis seiner Faszination<br />

erklären kann, so ist es vielleicht dieses: Er<br />

verstand es, die Wirklichkeit hinter der<br />

Oberfläche sichtbar zu machen, das Leichte<br />

im Schweren. Wenn er eine Wunde verband,<br />

so tat er es nicht nur, um den Eiter zu stoppen,<br />

sondern um den Kranken froh zu machen, sei es<br />

auch nur für kurze Zeit. Wenn er einen Sarg zim-<br />

merte, so um dem Toten eine letzte Ehre zu erweisen.<br />

Wenn er aus einer alten Blechdose eine Flöte fertigte, so<br />

um Musik zu machen, die das Herz erfreut. Wenn er Ge-<br />

P. Damian kurz vor seinem Tod. Er stirbt glücklich und mit der Gewissheit,<br />

seinem Herrn bis zum Ende gedient zu haben.<br />

müse und Kräuter anbauen ließ, so um dem üblichen faden<br />

Einheitsbrei etwas Geschmack zu geben.<br />

Immer schimmert das Andere und DER Andere durch. Hinter<br />

der Bedrohung wartet eine gute Botschaft. Selbst unter dem<br />

erbärmlichsten Elend verbirgt sich noch Hoffnung, auch die<br />

stinkende Fäulnis weckt noch den Wunsch nach Reinheit.<br />

Damian fand das Leichte im Schweren, was Paulus mit ande-<br />

ren Worten so beschreibt: »Jetzt trage ich meine Schwäche<br />

gern, ja, ich bin stolz darauf, weil dann Christus seine Kraft<br />

an mir erweisen kann.« (2 Kor 12,10)<br />

In seinem ersten Bericht, nach vier Monaten auf Molokai,<br />

schrieb Damian im August 1873 an den Generalobern in<br />

Paris: »Ich erinnere mich oft an einen Vergleich des hochwür-<br />

digen P. Euthyme Rouchouze (der vorherige<br />

Generalobere; Anm. des Verf.) bei unseren<br />

letzten Exerzitien. Nachdem er vier oder fünf<br />

Mal an einem Tag gepredigt hatte, sagte er:<br />

›Ich bewundere den Kanal, der von einem<br />

Behälter ausgeht und das Wasser weiterlei-<br />

tet.‹ « Ein solcher Kanal wollte Damian sein, ein<br />

leeres Rohr, durch das die Gnade fließen kann,<br />

ein Werkzeug in der Hand des Herrn. So sieht<br />

er am Ende sogar seine Krankheit. »Denn<br />

letztlich ist diese Krankheit ein Werkzeug der<br />

Vorsehung, um das Herz von aller Anhänglich-<br />

keit an das Irdische zu befreien und den<br />

Wunsch der christlichen Seele zu fördern, mit demjenigen<br />

vereinigt zu sein, der ihr ganzes Leben ist – und zwar je<br />

schneller, desto besser«, schrieb er in seinem letzten Brief an<br />

8 9<br />

Clifford.<br />

H<br />

Damian hat sein Programm in einem Brief vom 25. Novem-<br />

ber 1873 an seine Eltern geschrieben; es steht jetzt in eisernen<br />

Buchstaben auf seinem Grab in Leuven: »Ich finde mein<br />

größtes Glück darin, dem Herrn in seinen armen und kranken<br />

Kindern zu dienen, die von den anderen Menschen<br />

verstoßen werden.« e<br />

p. friedhelm geller sscc<br />

P. Damian bedeutet mir …<br />

Die Kirche ist gegenwärtig in einer Situation, die vergleichbar<br />

mit der Mission ist. Die Menschen wissen nichts mehr<br />

über das Christentum, und wenn sie etwas darüber wissen, sind es Dinge,<br />

die sie verabscheuen. Die Herausforderung besteht darin, in dieser<br />

Kultur die Frische des Christentums zu verkünden – wie es P. Damian<br />

getan hat: Inmitten der kranken Menschen baute er die Kirche auf, nicht<br />

bloß als Gebäude, sondern als Gemeinschaft.<br />

p. serge gougbèmon sscc, frankreich


Damian und seine Ordensgemeinschaft heute<br />

Pater Damian ist bei uns bekannt als Apostel der Aus-<br />

sätzigen, als ein Mensch, der sich bis zum Äußersten<br />

für die Leprakranken einsetzte. Viele sehen in Damian<br />

den Schutzpatron der Leprakranken oder den Heiligen<br />

der Aidskranken. Doch er war noch etwas anderes:<br />

Damian war Gesandter einer Ordensgemeinschaft mit<br />

einem klaren Auftrag. Pater Javier Álvarez-Ossorio,<br />

Generalsuperior der Ordensgemeinschaft der Hei-<br />

ligsten Herzen, schreibt über diesen Ordensmann und<br />

H<br />

seine Wirkung auf die Gemeinschaft.<br />

»Ich halte mich für den glücklichsten Missionar der ganzen<br />

Welt«, schrieb Damian in einem seiner Briefe aus Molokai.<br />

Es geht freilich um ein »seltsames Glück«. Damian lebte<br />

unter harten Bedingungen und hatte Konflikte mit seinen<br />

Gefährten und Oberen. Viele verstanden ihn nicht. Er kämpfte<br />

mit seinen Skrupeln und dem Bewusstsein, ein Sünder zu<br />

sein. Schließlich erlitt er selbst den Verfallsprozess, den die<br />

Leprakrankheit hervorruft.<br />

H<br />

Damian verstand sich als »Missionar«. Er verband damit eine<br />

Vorstellung von »Mission«, die in seiner Zeit in der Ordens­<br />

gemeinschaft und in der Kirche verbreitet waren. Inspiriert<br />

war er vom Vorbild zweier großer Missionare: von Jean Marie<br />

Vianney, dem Pfarrer von Ars mit seinem unermüdlichen<br />

Eifer für die »Rettung der Seelen«, und von Franz Xaver, der<br />

in weit entfernte Länder reiste, um dort Menschen zum<br />

Christentum zu bekehren. Das große Abenteuer der Evange­<br />

lisierung der pazifischen Inseln, die uns vom Heiligen Stuhl<br />

anvertraut war, bot eine besondere Möglichkeit für diese<br />

heroische Art von Mission, die dem Auftrag Jesu im Matthäus­<br />

evangelium entsprach: »Geht in alle Welt und macht alle<br />

Menschen zu meinen Jüngern...« (Mt 28,19).<br />

Vor dem Hintergrund dieses Missionsverständnisses fällt bei<br />

Damian auf, dass er eine besondere Zuneigung zu den Men­<br />

In den beiden letzten Jahrzehnten beschäftigten sich viele<br />

Schwestern und Brüder der weltweiten Familie sscc mit dem<br />

Leben und Wirken Damian De Veusters. Viele Projekte und<br />

Neuaufbrüche der Ordensgemeinschaft legen davon ein<br />

Zeugnis ab. Auch die Gestaltung von Kapellen und Kirchen<br />

wurde von der Auseinandersetzung mit diesem Mitbruder<br />

beeinflusst: Fensterbild in der Pfarrei San Victor in Madrid.<br />

schen empfand, zu denen er gesandt war, zunächst auf der<br />

Hauptinsel Hawaii und später auf Molokai.<br />

Mission als Abenteuer<br />

Die unmittelbare Wirkung Damians auf die Sendung unserer<br />

Ordensgemeinschaft war und ist die Faszination, die sein<br />

Leben bei vielen von uns auslöste. Zahlreiche Mitbrüder und<br />

­schwestern sind aufgrund seines Zeugnisses in die Gemein­<br />

schaft eingetreten. Natürlich haben wir heute eine andere<br />

Vorstellung von Mission. Unsere Sendung, wie wir heute<br />

sagen, hat nichts mehr mit dem religiösen Bekehrungseifer<br />

des 19. Jahrhundert zu tun, der verdächtig eng mit poli­<br />

tischem, kulturellem oder wirtschaftlichem Kolonialismus<br />

verwoben war. Auch gibt es kaum jemanden von uns, der<br />

einen so radikalen Dienst an den Ärmsten verrichtet. Den­<br />

noch erzeugt Damian weiterhin einen machtvollen »missio­<br />

narischen Impuls«. Wie Damian wollen wir das Evangelium<br />

verkünden, sodass der Glaube nicht in Innerlichkeit verharrt –<br />

ohne Auswirkung nach außen. Wie Damian wollen wir uns<br />

in konkreter und wirksamer Weise den Menschen zuwenden,<br />

vor allem denen, die am meisten leiden. Schließlich sind wir<br />

mit ihm verbunden in der tiefen Erfahrung des Glücks, die<br />

ihm niemand rauben konnte. In diesem Impuls Damians<br />

H<br />

finden wir auch heute die Inspiration für unsere Sendung.<br />

Von »außen« gesehen, wirkt Damian wie ein Held der<br />

Menschlichkeit und des Dienstes an den Armen und Ausge­<br />

schlossenen. Dank seines Einsatzes veränderte sich die Sicht<br />

der Welt auf die Leprakranken. Viele Menschen haben sich<br />

an seinem Vorbild orientiert, zum Beispiel im Bemühen<br />

um Gerechtigkeit und Solidarität mit den<br />

Ärmsten.<br />

Geheimnis des Glaubens<br />

Will man aber wirklich wissen, wer Damian<br />

ist, muss man versuchen, sich in sein »Inneres«<br />

zu begeben, in das Heiligtum seines Herzens –<br />

wo jenes seltsame Glück entstand und einen<br />

Menschen bewegte, der sich vor allem als<br />

Glaubender und als Priester fühlte, als Sohn<br />

der Heiligsten Herzen Jesu und Mariens und<br />

als Missionar des Gottes der Barmherzigkeit<br />

und des Mitgefühls. Wie er selbst sagte, fand er die Kraft für<br />

seinen Einsatz im Geheimnis des Glaubens, in der Eucharistie<br />

und am Fuß des Kreuzes seines Herrn. Nur wer von diesem<br />

»Geheimnis« weiß, kann diesen starken und tatkräftigen<br />

Mann verstehen, der seine flämische Heimat verließ, um das<br />

Evangelium am anderen Ende der Welt zu verkünden und<br />

H<br />

schließlich sein Leben für die Leprakranken hinzugeben.<br />

Heute will unsere Ordensgemeinschaft ihre missionarische<br />

Dynamik erneuern, indem sie aus derselben Quelle schöpft,<br />

aus der auch Damian seine Kraft bezog. Damals wie heute<br />

geht es darum, die Menschen einzuladen, ihr Leben an der<br />

in Christus offenbarten Liebe Gottes festzumachen. Diese<br />

Liebe machen wir bekannt durch unsere eigene Erfahrung,<br />

die zweifellos begrenzt, aber dennoch aussagekräftig ist: Es<br />

ist die Freude, sich von Gott geliebt zu wissen! Wie Damian,<br />

wissen wir uns berufen, zu lieben und in besonderer Weise<br />

den Armen zu dienen, den Ausgeschlossenen, den Kleinen,<br />

den Verlassenen, den Leidenden. Das Mitgefühl – ein wesent­<br />

liches Merkmal Damians – lässt uns an der Barmherzigkeit<br />

Gottes teilhaben und an seiner Leidenschaft für das Anbre­<br />

chen seines Reiches. Dieses Mitgefühl öffnet uns auch die<br />

Augen dafür, dass ein großer Teil unserer Zeitgenossen im<br />

geistlichen Sinne verwaist ist. Es drängt uns, die Wärme der<br />

Liebe Gottes dieser Zivilisation anzubieten, die ihren Vater<br />

nicht zu kennen scheint. So werden wir jenes unglaubliche<br />

Glück empfinden, das uns niemand mehr rauben kann und<br />

das einfach daher rührt, dass man ohne Bedingung<br />

und ohne Maß zu lieben weiß. e<br />

p. javier álvarez-ossorio sscc<br />

P. Damian bedeutet mir …<br />

Es ist mir eine große Freude, dass unser Mitbruder, der<br />

eine große Persönlichkeit gewesen ist, jetzt als Erster aus<br />

der Kongregation heilig gesprochen wird. Mich hat immer beeindruckt,<br />

dass er keine Angst vor der Krankheit hatte und sich nicht scheute, mit<br />

den Leprakranken zusammen zu essen oder mit ihren Kindern zu spielen.<br />

Man muss schon heilig sein, um so etwas zu vollbringen.<br />

sr. hortense marie bouquet sscc, frankreich<br />

11


Zur Spiritualität<br />

von Pater Damian<br />

Wer sich mit dem Leben von Pater<br />

Damian auseinandersetzt, wird sich die<br />

Frage stellen: »Wie kommt er dazu, zu<br />

den Aussätzigen zu gehen? Wie kommt<br />

er dazu, das Risiko der Ansteckung<br />

einzugehen und sich damit freiwillig<br />

dem sicheren Tod auszuliefern?« Schon<br />

Mahatma Gandhi sagte im Blick auf<br />

Pater Damian: »Die Mühe lohnt sich,<br />

nach der Quelle zu suchen, aus der so<br />

H<br />

viel Heldentum kommt.«<br />

Vieles im Leben Damians ist ganz und<br />

gar nicht spektakulär. Dass der Bauern­<br />

sohn Priester und Missionar werden<br />

wollte, ist im damaligen katholischen<br />

Flandern nicht ungewöhnlich. Schon<br />

drei ältere Geschwister sind vor ihm ins<br />

Kloster gegangen. Man staunt vielleicht<br />

über die Hartnäckigkeit, mit der der<br />

junge Joseph sich mit seinem Berufs­<br />

wunsch durchsetzt. Denn der Vater will,<br />

dass er den elterlichen Hof übernimmt,<br />

zumal der Junge Freude am Handwerk<br />

und an der Landwirtschaft hat. Er ist<br />

alles andere als ein Intellektueller. Es<br />

fällt ihm schwer, in Schule und Studi­<br />

um mitzuhalten. Doch er strengt sich<br />

an, sein Ziel zu erreichen.<br />

Später sind es eher Zufälle und äußere<br />

Umstände, die sein Leben lenken. Der<br />

für die Mission auf Hawaii bestimmte<br />

ältere Bruder wird krank, und auf dem<br />

Schiff ist ein Platz frei. Damian bittet<br />

um die Erlaubnis, anstelle seines Bru­<br />

ders gehen zu dürfen. Auf Hawaii be­<br />

richtet der Bischof vom Schicksal der<br />

Aussätzigen und fragt nach Freiwilligen.<br />

Damian meldet sich und bittet darum,<br />

als Erster gehen zu können. Später<br />

bleibt er dann für immer.<br />

Auf der Suche nach der Quelle<br />

Es sind Zufälle und äußere Umstände.<br />

Und dennoch: Als die Gelegenheit sich<br />

bietet, sagt Damian: »Hier bin ich.<br />

Schickt mich.« Dass er die Gelegenheit<br />

ergreift und die Herausforderung an­<br />

nimmt, zeichnet ihn aus. Der dänische<br />

Philosoph Sören Kierkegaard sagte ein­<br />

mal: »Man muss im Leben darauf achten,<br />

wann für einen das Stichwort fällt.«<br />

Als sein Stichwort fiel,<br />

stand er auf<br />

Pater Damian wurde, was er war, weil<br />

er bereit war und aufgestanden ist, als<br />

sein Stichwort fiel. Im Theater des Le­<br />

bens ist er nicht im Zuschauerraum<br />

geblieben. Er hat sich auf die Bühne<br />

gewagt, seine Rolle gespielt und die<br />

Aufgabe angenommen, die Gott für ihn<br />

bestimmt hatte und die kein anderer<br />

hätte übernehmen können. So wurde<br />

sein Leben auch kein Leben von der<br />

Stange und kein Leben aus zweiter<br />

Hand, sondern sein ureigener persön­<br />

licher Weg, die Antwort auf einen per­<br />

sönlichen Ruf. Um das zu verstehen<br />

und selbst zu erfahren, muss man wirk­<br />

lich an »Berufung« glauben und an den<br />

Gott, der den Menschen beim Namen<br />

ruft und auf einen Weg schickt, den kein<br />

anderer gehen kann. Und um dem<br />

einmal eingeschlagenen Weg auch in<br />

Schwierigkeiten treu zu bleiben, muss<br />

man an den Gott glauben, der einen<br />

nicht alleinlässt, sondern begleitet und<br />

12 13<br />

trägt.<br />

Hier sind wir an der Quelle angelangt,<br />

aus der sich solch ein Leben nährt.<br />

Der Verweis auf die christliche Nächs­<br />

tenliebe greift sicher zu kurz. Niemand<br />

Tisa von der Schulenburg: Damian.<br />

Eine Tuschezeichnung von 1993.<br />

wird sein Leben für andere einsetzen,<br />

weil er im Religionsunterricht einmal<br />

gehört hat, dass man seinen Nächsten<br />

lieben soll. Überhaupt sind christliche<br />

Werte ja nicht so etwas wie Ideen, die<br />

man mit dem Verstand aufnimmt und<br />

dann einfach umsetzt. Bei Damian wird<br />

sichtbar: Seinen eigenen Weg kann er<br />

nur gehen, weil er in einer tiefen inne­<br />

ren Bindung an Gott lebt, die in der<br />

Beziehung zu Jesus Christus Gestalt<br />

annimmt.<br />

Diese in der Familie grundgelegte<br />

christliche Prägung Damians hat sich<br />

in der Ordensgemeinschaft von den<br />

Heiligsten Herzen Jesu und Mariens<br />

noch vertieft. In der Mitte der Spiri­<br />

tualität der Gemeinschaft steht die<br />

Überzeugung, dass Gott die Menschen<br />

nicht alleinlässt. »Gott hat die Welt so<br />

sehr geliebt, dass er seinen einzigen<br />

Sohn hingab, damit jeder, der an ihn<br />

glaubt, nicht zugrunde geht, sondern<br />

das ewige Leben hat.« (Johannesevan­<br />

gelium, Kapitel 3, Vers 16).<br />

Gott lässt die Menschen<br />

nicht allein<br />

Das am Kreuz durchbohrte Herz Jesu<br />

ist der höchste Ausdruck für die Liebe<br />

Gottes, der sich von der Bosheit und<br />

der Gewalt der Welt treffen lässt, sie<br />

aber durch die Kraft seiner Liebe über­<br />

windet, erlöst und versöhnt. Das Herz<br />

Marias steht für die einzigartige Verbun­<br />

denheit der Mutter mit ihrem Sohn,<br />

dem sie bis unter das Kreuz folgt. Wie<br />

Maria Jesus nachfolgen, seine Sendung<br />

weiterführen, seine versöhnende Liebe<br />

selbst erfahren und anderen mit Wort<br />

und Tat und, wenn es sein muss, auch<br />

im Leiden bezeugen, das ist der Auftrag


der Gemeinschaft. »In Jesus finden wir<br />

alles; seine Geburt, sein Leben und sein<br />

Tod: Das ist unsere Regel«, sagt der<br />

Gründer der Gemeinschaft, Pierre Cou­<br />

drin.<br />

14<br />

H<br />

Das hat Damian geprägt. Daher ist es<br />

auch nicht die Arbeit oder der Fort­<br />

schritt in der Leprakolonie oder gar der<br />

Dank der Regierung oder die zuneh­<br />

mende Berühmtheit, die Damian vo­<br />

rantreiben. Es ist das Bewusstsein, im<br />

Dienst an »seinen Aussätzigen« Jesus zu<br />

dienen und ihm nahe zu sein, der sein<br />

Leben für die »Seinen« hingab. Als der<br />

fleißige Arbeiter selbst krank wird und<br />

den eigenen Tod vor Augen sieht, spürt<br />

er tiefes Glück, weil er sich mit dem<br />

verbunden weiß, dem er in den Ordens­<br />

gelübden sein Leben geweiht hat. Da­<br />

mals wurde den Kandidaten vor der<br />

Ablegung der Gelübde ein Leichentuch<br />

übergelegt als Zeichen dafür, dass sie<br />

der Welt sterben und ihnen in der Ge­<br />

meinschaft mit Christus ein neues<br />

Leben geschenkt wird. So schreibt Da­<br />

mian an seinen Bischof Hermann Kö­<br />

ckemann: »Die Erinnerung daran, dass<br />

ich vor 25 Jahren am Tag meiner Ge­<br />

P. Damian bedeutet mir …<br />

lübde unter dem Leichentuch lag, hat<br />

mir geholfen, der Gefahr, diese schreck­<br />

liche Krankheit zu bekommen, ins<br />

Gesicht zu sehen und hier meine Arbeit<br />

zu tun, indem ich versuchte, mir selbst<br />

immer mehr zu sterben. Je mehr die<br />

Krankheit voranschreitet, fühle ich mich<br />

zufrieden und glücklich in Kalawao.«<br />

(29. Oktober 1885). Vier Monate später<br />

schreibt er an Sr. Mary Gabrielle: »Die<br />

schreckliche Krankheit, die der allmäch­<br />

tige Gott jetzt bei mir ausbrechen lässt,<br />

habe ich seit meiner ersten Ankunft in<br />

diesem Aussätzigenheim vor 13 Jahren<br />

erwartet und von vornherein angenom­<br />

men, und ich hoffe, dass mithilfe des<br />

Gebetes vieler Menschen unser Herr<br />

mir die nötigen Gnaden geben wird,<br />

mein Kreuz – ihm nach – auf unser<br />

besonderes Golgota auf Kalawao zu<br />

tragen.« (15. März 1886)<br />

Er fand Trost in der<br />

ständigen Gegenwart<br />

Gottes – in der Eucharistie<br />

Die Verbundenheit mit Jesus kommt<br />

für die Ordensgemeinschaft Damians<br />

vor allem in der Feier der Eucharistie<br />

und in der stillen Anbetung des eucha­<br />

ristischen Brotes zum Ausdruck: In der<br />

Seit einem Jahr beherbergen wir im Chateau de Graves<br />

ein Haus für delinquente Jugendliche. Zurzeit sind es<br />

sieben Jungen, vorwiegend aus Afrika und zum Teil illegal in Frankreich.<br />

Über das Fußballprojekt Penalty wird versucht, die Jungen wieder<br />

an Regeln und Gemeinschaft heranzuführen. Seit ich mit den Jungen<br />

arbeite, spüre ich Ablehnung und Schweigen bei vielen Bewohnern der<br />

Gegend. Fast fühle ich mich mit den Jungen zusammen an den Rand<br />

gedrängt – ich spüre aber auch Ermutigung und hoffe, dass P. Damian<br />

für diese Jugendlichen eintritt, die immer noch überzeugt sind, dass<br />

morgen so sein wird wie heute – nur schlimmer…<br />

p. bertrand cherrier sscc, frankreich<br />

Eucharistie feiert die Kirche die Liebe<br />

Jesu, der sein Leben für die Seinen<br />

hingibt. In dieser Feier und in der kon­<br />

templativen Anbetung finden die Or­<br />

densleute die tägliche Quelle für ihren<br />

missionarischen Einsatz. Die Briefe<br />

Pater Damians verweisen immer wieder<br />

auf diese Quelle. Als seine Krankheit<br />

voranschreitet und ihn immer weiter<br />

schwächt, schreibt er an seinen Bruder<br />

Pamphil: »Ich ergebe mich in die gött­<br />

liche Vorsehung und finde meinen Trost<br />

in meinem einzigen Gefährten, der<br />

mich nicht verlässt, das heißt unserem<br />

Erlöser in der heiligen Eucharistie.«<br />

(26. November 1885). An den anglika­<br />

nischen Geistlichen Hugh B. Chapman<br />

schreibt er: »Ohne die ständige Gegen­<br />

wart unseres Göttlichen Meisters auf<br />

dem Altar in meinen armen Kapellen<br />

hätte ich niemals mein Los bei den<br />

Aussätzigen von Molokai durchhalten<br />

können.« (26. August 1886)<br />

Auf der Suche nach der Quelle für<br />

Damians Leben macht man unwillkür­<br />

lich eine weitere Entdeckung. Was ihn<br />

antrieb, war nicht nur eine Quelle für<br />

einen außergewöhnlichen Einsatz und<br />

für »Heldentum« (Gandhi), sondern<br />

auch für ein erfülltes Leben. Kurz vor<br />

seinem Tod schreibt er an seinen Bru­<br />

der: »Ich bin immer noch glücklich und<br />

zufrieden und wünsche, wenngleich<br />

ziemlich krank, nichts mehr als die Er­<br />

füllung des heiligen Willens des guten<br />

Gottes.« (12. Februar 1889). Es sind<br />

ganz eigene Maßstäbe, die Damian für<br />

ein glückliches und erfülltes Leben hat:<br />

nicht Gesundheit oder ein hohes Alter<br />

oder Wohlstand und Sicherheit, auch<br />

nicht eine besondere Lebensleistung,<br />

sondern das Bewusstsein, der eigenen<br />

Berufung gefolgt zu sein und dem<br />

Willen des guten Gottes zu<br />

dienen. e<br />

p. peter egenolf sscc


Betende und aussätzige Hände<br />

Betende Hände – aussätzige Hände<br />

wie gegensätzlich stehen sie nebeneinander:<br />

Nach oben gerichtet und zur Seite,<br />

gesund und krank,<br />

schön und unansehnlich,<br />

gesammelt und verausgabt.<br />

Und doch sind sie verbunden.<br />

In Gott sind sie verbunden,<br />

in Gott, der im Himmel ist,<br />

und in Gott, der genau so auf dieser Erde ist.<br />

Und in Jesus sind sie verbunden,<br />

in Jesus, der beim Vater ist;<br />

und in Jesus, der uns in jeder Schwester<br />

und in jedem Bruder entgegentritt.<br />

Betend heilen diese Hände<br />

und helfend, zupackend beten sie.<br />

Betende Hände sind Damians Hände<br />

und aussätzig sind sie, seine Hände.<br />

Die betenden Hände<br />

Schaut diese Hände an:<br />

Sie zeigen weg von dem, dem sie gehören,<br />

hin auf den anderen.<br />

Sie sind, so könnte man fast sagen,<br />

nicht mehr bei sich, sondern außer sich.<br />

Wer bei sich selbst stehen bleibt, tritt auf der Stelle.<br />

Wer heraustritt aus sich, der kommt weiter.<br />

Wie diese Hände: Mit ganzer Kraft nach oben ausgestreckt,<br />

so als wollten sie den Himmel berühren,<br />

den Himmel auf die Erde holen<br />

und die Erde mit dem Himmel verbinden.<br />

Die aussätzige Hand<br />

Offene Wunden überall –<br />

wer sich einläßt, kommt nicht ungeschoren davon;<br />

wer sich einsetzt, der trägt Wunden davon.<br />

Aber auch: Wenn ich die Finger davonlasse,<br />

kann ich mir auch die Hände schmutzig machen.<br />

So oder so – es bleiben Spuren,<br />

Spuren des Lebens oder Spuren des Todes<br />

in meinen Händen...?<br />

Betende Hände – aussätzige Hände<br />

Sie gehören zusammen,<br />

sind nur wie zwei Seiten der einen und selben Hände.<br />

Die betenden Hände unter der aussätzigen Hand;<br />

die Hand, selber getragen, kann andere tragen.<br />

Wer um Liebe weiß, kann auch andere lieben.<br />

Wer sich selbst heilen läßt, kann andere heilen.<br />

Pater Damian lebt mit Händen,<br />

die ihren Halt in Gott suchten<br />

und sich von ihm gehalten wußten,<br />

und darum auch die Schwester und<br />

den Bruder halten konnten. ulrich roos sscc ✝<br />

15


Auf Pater Damians Spuren: P. Wolfgang betreut Flüchtlinge in Deutschland<br />

Für ein Leben in Würde<br />

Anfang Januar ist das Land im Frost erstarrt. Selbst an der<br />

Loreley liegen die Temperaturen weit unter null Grad. An<br />

einem trüben Montagnachmittag stehe ich mit P. Wolfgang<br />

Jungheim und Jürgen Pirrong an der Hauptstraße von St.<br />

Go ars hausen und warte, dass uns jemand die Tür öffnet.<br />

P. Wolfgang scheint die Kälte nicht viel auszumachen, er trägt<br />

keine Mütze, seine Jacke steht offen. Im<br />

Arm hält er eine weihnachtliche Ge-<br />

schenktüte mit Tee und Schokolade.<br />

Noch einmal klingelt er. Niemand öffnet. Frau Banafsche*,<br />

eine Christin aus dem Iran, deren Ehemann in Deutschland<br />

verstorben ist, ist nicht zuhause. Nach einer Weile geben wir<br />

auf, hinterlassen aber die Geschenke im Briefkasten. »Sie<br />

besucht wahrscheinlich ihre beiden Töchter«, vermutet P.<br />

Wolfgang. »Sie sind verheiratet und leben in Norddeutschland.<br />

Dann fahren wir als Nächstes zu Familie Ahmeti.«<br />

Wir müssen die Fluchtursachen<br />

bekämpfen, nicht die Flüchtlinge<br />

Iran ... P. Wolfgang Jungheim sscc gehört zur Lahnsteiner<br />

Kommunität der <strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong>, in deren Auftrag er haupt-<br />

amtlich Flüchtlingsarbeit leistet – viele Jahre Vollzeit, seit<br />

2004 mit einer halben Stelle, da er noch mit einer 50 Prozent-<br />

Stelle als Seelsorger von St. Barbara in Niederlahnstein wirkt.<br />

Sein Mitstreiter Jürgen Pirrong ist der Beauftragte für Migra-<br />

tion und Integration des Rhein-Lahn-<br />

Kreises. Ich begleite die beiden auf einer<br />

Rundreise durch die Region, um in ver-<br />

schiedenen Gemeinden Flüchtlingsfamilien zu besuchen.<br />

Gemeinsam mit dem Initiativkreis für Flüchtlinge und Asyl-<br />

suchende Rhein-Lahn setzen sich die beiden Männer seit<br />

vielen Jahren für die Rechte von Asylsuchenden ein, die vor<br />

der Bedrohung durch Krieg oder Verfolgung aus ihrer Heimat<br />

geflüchtet sind. »Wir schauen jedes Jahr kurz nach Weihnach-<br />

ten bei einigen Familien vorbei, um die Kontakte zu pflegen«,<br />

erzählt P. Wolfgang. »Oft erfahren wir bei dieser Gelegenheit,<br />

welche Probleme es aktuell gibt und wie wir die Menschen<br />

unterstützen können.«<br />

16 17<br />

H<br />

Medhi Ahmeti trägt einen weißen Overall. Weil die Arbeit auf<br />

der Baustelle wegen der Kälte ruht, bastelt der Bauhandwerks-<br />

Meister in den kürzlich erworbenen eigenen vier Wänden.<br />

»Kommen Sie rein, meine Frau kocht uns Kaffee«, lädt er uns<br />

freundlich ein. Seit fast 17 Jahren leben die Ahmetis in<br />

Deutschland, P. Wolfgang und Jürgen Pirrong haben die Fa-<br />

milie aus dem Kosovo ein großes Stück des Weges begleitet.<br />

Dieser Besuch geschieht vor allem aus alter Verbundenheit.<br />

Im Wohnzimmer plaudern die Männer über aktuelle Flug-<br />

preise nach Pristina im Rahmen der Partnerschaft Lahnstein-<br />

Peje und die guten Schulnoten der Kinder. Medhi Ahmeti<br />

und seine Frau sprechen Deutsch fast ohne Akzent, seit<br />

letztem Jahr besitzt er auch die deutsche Staatsbürgerschaft.<br />

Familie Ahmeti hat das geschafft, wovon andere Flüchtlinge<br />

träumen.<br />

Kosovo ... Der Krieg im Kosovo hat viele Menschen gezwun-<br />

gen, ihre Heimat zu verlassen. Familie Gashi hofft seit Jahren<br />

darauf, dauerhaft in Deutschland bleiben zu dürfen. Bislang<br />

hat sie nur eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Der Krieg<br />

hat bei Elidon Gashi tiefe Spuren hinterlassen. Weil die Be-<br />

handlung des schwer traumatisierten Mannes im Kosovo nicht<br />

möglich wäre, kann er für sich und seine Familie eine Verlän-<br />

gerung des Aufenthalts beantragen. Nach dem seit 1. Januar<br />

2005 geltenden neuen Aufenthaltsgesetz wird die befristete<br />

Aufenthaltserlaubnis nur erteilt bzw. verlängert, wenn damit<br />

ein »Zweck« verbunden ist. Für Herrn Gashi gilt laut Paragraf<br />

25 der »Aufenthalt aus humanitären Grün-<br />

den«. Hastig reicht er P. Wolfgang ein<br />

Schreiben, dessen Inhalt ihn aus der Fassung<br />

bringt. Schnell und undeutlich sprudeln die<br />

Worte hervor: »Der ist kriminell, kriminell,<br />

solche müssen raus!« Seine 18 Jahre alte<br />

Tochter ist auf einen jungen Kosovaren herein-<br />

gefallen, der bereits mit einer anderen deut-<br />

schen Frau verheiratet ist. Nun ist die junge<br />

Frau, die gerade aus der viel zu engen Wohnung<br />

Aufgrund der Unruhen in Albanien flohen 1997<br />

Tausende Menschen in Booten über die Adria,<br />

um sich in Italien in Sicherheit zu bringen.<br />

Dabei wurden sie nicht immer mit so offenen<br />

Armen empfangen wie der kleine Junge von<br />

dem italienischen Marinesoldaten.<br />

*Alle im Text genannten Namen von Asylsuchenden wurden von der Redaktion geändert.<br />

P. Wolfgang Jungheim sscc<br />

der Eltern ausgezogen ist, von dem Betrüger schwanger. Herr<br />

Gashi kann sich ob dieser Gemeinheit kaum beruhigen,<br />

immer wieder platzt es aus ihm heraus: »Kriminell, kriminell!«<br />

Die Familie erhofft sich von P. Wolfgang und Jürgen Pirrong<br />

einen Rat, doch in diesem Fall können auch die beiden nur<br />

H<br />

hoffen, dass die Justiz für Gerechtigkeit sorgt.<br />

Seit fast drei Jahrzehnten setzt sich P. Wolfgang Jungheim für<br />

eine gerechte und menschenwürdige Behandlung von Men-<br />

schen ein, die ihre Heimat bedingt durch Kriege, politische<br />

Krisen oder andere existenzielle Notlagen verlassen mussten.<br />

Während seiner Ausbildung zum Priester leistete er ein Prak-<br />

tikum im Friedensdorf in Oberhausen und begegnete Wai-<br />

senkindern aus Vietnam, die dort gesund gepflegt wurden.<br />

Später lernte er in der Gemeindearbeit in Pirmasens Flücht-<br />

linge aus Bangladesch, Vietnam, Äthiopien und Eritrea ken-<br />

nen, die damals noch bei Privatpersonen untergebracht waren.<br />

»Armut, Elend und Not werden ganz oft von Menschenhand<br />

P. Damian bedeutet mir …<br />

Damian ist der Mitbruder, der mich beständig auf meinem<br />

Weg begleitet. Er erzählt mir von Gott und von den Armen,<br />

vom Gebet und von der Arbeit, vom Leben und von der Aufrichtigkeit,<br />

vom Schmerz und von einem seltsamen Glück. Wenn die Dinge<br />

scheinbar kompliziert werden, schaue ich auf ihn und finde eine unbeschreibliche<br />

Sicherheit. Ich vertraue darauf, wie der Gute Samaritaner<br />

lieben zu können, weil Damian von Herzen liebte und mit großer Einfachheit<br />

die größte Armut auf sich nahm: Mit den Leprakranken das<br />

Schicksal zu teilen.<br />

p. fernando cordero sscc, spanien


P. Wolfgang Jungheim sscc und sein Mitstreiter Jürgen Pirrong (2. vl) zu Besuch bei der Familie Manali aus Indien<br />

geschaffen, und damit auch Flüchtlinge«, sagt er mit Nach-<br />

druck. Dieser Zusammenhang, der ihm damals auch mit<br />

Hilfe von Misereor klar geworden sei, bilde noch heute die<br />

Grundlage seiner Engagements. Seit der Pater 1987 nach<br />

Arnstein gekommen ist, streitet er gemeinsam mit anderen<br />

ehrenamtlichen Helfern und Organisationen wie terre des<br />

hommes, pax christi und Caritas dafür, die Situation der<br />

Asylsuchenden zu verbessern. »Es geht immer nur darum,<br />

den Flüchtlingsstrom einzudämmen,« klagt P. Wolfgang die<br />

vorherrschende Mentalität in Deutschland und Europa an.<br />

»Anstatt die Fluchtursachen zu bekämpfen, werden Flücht-<br />

linge bekämpft,« fügt er nach einer Weile hinzu. Der ruhige<br />

und sachliche Ton kann seinen Groll kaum verbergen. Er bricht<br />

aber auch eine Lanze für die Behörden im Kreis, wo eine gute<br />

Zusammenarbeit zwischen dem Initiativkreis und den Behör-<br />

den zugunsten der Flüchtlinge gewachsen ist, vor allem dank<br />

Jürgen Pirrong.<br />

H<br />

Indien ... Der studierte Informationstechniker Karan Manali<br />

stammt aus dem indischen Bundesstaat Kerala, der traditio-<br />

nell für ein harmonisches Zusammenleben von Hindus,<br />

Muslimen und Christen steht. Das immer stärkere Aufkom-<br />

men von Hindu-Nationalisten ist jedoch für den muslimischen<br />

Inder und seine junge Hindu-Frau selbst dort zu einer unmit-<br />

telbaren Bedrohung geworden. Familie Manali wollte zunächst<br />

in den Oman, aber weil es dort keine berufliche Perspektive<br />

gab, kamen sie vor knapp einem Jahr nach Deutschland. Da<br />

ihr Asylantrag abgelehnt wurde, besitzen die Manalis aktuell<br />

keinen »gültigen Aufenthaltsstatus«.<br />

Savarna Manali serviert uns einen Tee, während ihre drei-<br />

jährige Tochter Hasila mit großen Augen das Geschenk von<br />

P. Wolfgang betrachtet. Ihr Vater sitzt mit fragendem Blick<br />

auf der 80er-Jahre Couch und scheint die Welt nicht mehr zu<br />

Familie Manali befürchtet, zwangsweise in der sogenannten<br />

»Landesunterkunft für Ausreisepflichtige« untergebracht zu<br />

werden. Schon ein Blick in das Badezimmer dieser fragwürdigen<br />

Einrichtung zeugt von der dort herrschenden Tristesse.<br />

verstehen. Vor einigen Wochen hatte er eine Unmenge For-<br />

mulare ausgefüllt, um der rheinland-pfälzischen »Clearing-<br />

Stelle für Passbeschaffung und Flugabschiebung« in Trier die<br />

Beschaffung seiner Ausweisdokumente bei den indischen<br />

Behörden zu ermöglichen. Dazu ist er aufgrund der Bestim-<br />

mungen des Aufenthaltsgesetzes verpflichtet. Für den Fall,<br />

dass die indischen Behörden keine Passpapiere ausstellen,<br />

haben er und seine Familie die Chance, eine Aufenthaltser-<br />

laubnis für Deutschland zu erhalten. Andererseits könnte Herr<br />

Manali damit auch an seiner eigenen Abschiebung mitgewirkt<br />

haben, denn sobald gültige indische<br />

Papiere für ihn vorliegen, könnte die<br />

Familie nach Indien zurückgeschickt<br />

werden. Die »Clearing-Stelle« wirft ihm<br />

nun vor, falsche Angaben über seine<br />

Identität gemacht zu haben. Dies behaupten jedenfalls die<br />

Behörden in Indien, wie im letzten Schreiben der Clearing-<br />

Stelle zu lesen ist. Karan Manali beteuert uns gegenüber,<br />

seine Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht<br />

zu haben. Keiner von uns zweifelt daran. Wahrscheinlicher<br />

ist, dass die Familie in Indien nicht mehr erwünscht ist, wo-<br />

möglich wegen ihres Glaubens. Jürgen Pirrong rät Karan<br />

Manali deshalb, seine ehemalige Universität in Kerala anzu-<br />

schreiben und darum zu bitten, ihm eine Bescheinigung<br />

seines Abschlusses zuzusenden.<br />

Karan Manali sagt, dass er gerne arbeiten würde, um seine<br />

Familie selbst zu ernähren. Kürzlich sei ihm sogar ein Job bei<br />

einer Spedition angeboten worden. Wegen der angeblichen<br />

Identitätsverschleierung bleibt ihm der Zugang zum Arbeits-<br />

markt jedoch verwehrt. Im schlimmsten Fall droht der Fami-<br />

lie sogar der zwangsweise Aufenthalt in einem so genannten<br />

»Ausreisezentrum«, das in Rheinland-Pfalz »Landesunterkunft<br />

für Ausreisepflichtige« heißt. In dieser<br />

fragwürdigen Einrichtung in Trier werden<br />

Asylsuchende, die keine gültigen Papiere<br />

besitzen und von den Behörden als »vollzieh-<br />

bar ausreisepflichtig« eingestuft werden, unter<br />

primitiven Bedingungen untergebracht, bis<br />

ihre Identität geklärt ist. Dort herrscht ein<br />

Klima der Hoffnungs- und Orientierungslosig-<br />

keit. Als Karan Manali sich mit leiser und unsi-<br />

cherer Stimme danach erkundigt, spricht der<br />

<strong>Arnsteiner</strong> Pater ihm Mut zu. »Keine Sorge,<br />

soweit sind wir noch lange nicht«, beruhigt er<br />

den jungen Mann, dem diese Vorstellung ver-<br />

ständlicherweise Angst bereitet. Vielleicht ist<br />

Not, Elend und Krieg sind nicht<br />

»Gott gegeben«, sondern Menschenwerk.<br />

Menschen können deshalb – mit Gottes<br />

Hilfe – dies auch ändern.<br />

ausgerechnet die kleine Hasila ein Hoffnungsschimmer, denn<br />

sie leidet an einer Nierenerkrankung und muss täglich Anti-<br />

biotika einnehmen. P. Wolfgang will nun prüfen, ob sich<br />

vielleicht auf diesem Weg wenigstens eine befristete Aufent-<br />

haltserlaubnis für die indische Familie erwirken lässt.<br />

Die Recherche nach ähnlichen Fällen und Anhaltspunkten<br />

für das weitere Vorgehen sei ein wichtiger Teil seiner Arbeit,<br />

sagt P. Wolfgang. »Jürgen kennt wiederum die rechtliche<br />

Seite besser«, beschreibt er die Zusammenarbeit zwischen<br />

Integrationsbeauftragtem und Priester für die gerechte Sache,<br />

während wir auf der kurvigen Landstra-<br />

ße in den eisigen Taunus fahren. »In<br />

Indien geschehen derzeit horrende Din-<br />

ge, dort sterben Menschen in Gefäng-<br />

nissen! Aber unsere Behörden behan-<br />

deln Flüchtlinge wie Aussätzige. Man will sie einfach raus<br />

haben, und wenn sie da sind, werden sie streng beäugt«, wirft<br />

er den verantwortlichen Politikern vor.<br />

18 19<br />

H<br />

Afghanistan … Unsere letzte Station führt uns nach Nastät-<br />

ten, wo wir die Familie Bijan aus Afghanistan besuchen. Die<br />

Einrichtung ihrer Wohnung mutet orientalisch an, über dem<br />

kleinen Fernseher hängen die Umrisse der fernen Heimat in<br />

den Landesfarben Schwarz, Rot und Grün. Der junge Famili-<br />

envater Jawed Bijan hat in dem von Kriegen zerrütteten Land<br />

Schreckliches erlebt. Sein schweres Trauma, das von einer<br />

Psychologin in regelmäßigen Sitzungen behandelt wird,<br />

verbirgt er so gut es geht hinter einem offenen Lächeln. Oft<br />

jedoch wirkt sein Blick leer und abwesend. Durch seine<br />

Krankheit hat die Familie zwar mithilfe von P. Wolfgang und<br />

Jürgen Pirrong eine befristete Aufenthaltserlaubnis erwirkt.<br />

P. Damian bedeutet mir …<br />

Damian ist ein Zeuge der Barmherzigkeit Gottes. Seine<br />

schönste Seite ist für mich, dass er sein Herz öffnet, dass<br />

er mit den Menschen mitfühlt, dass er aus sich selbst herausgeht. Er<br />

stellt sein Leben in den Dienst von Menschen, die ihm nichts zurückgeben<br />

können, außer ihrer Zuneigung. Dasselbe tat auch er – sie gaben<br />

sich gegenseitig ihr Leben. Im leidenschaftlichen Mitfühlen entdecken<br />

wir den Sinn, gläubige Menschen sowie Schwestern und Brüder unserer<br />

Ordensgemeinschaft zu sein.<br />

p. nacho moreno sscc, spanien


20<br />

Die Zahl der Asylbewerber ist durch die erhebliche Einschrän-<br />

kung des Asylrechts zu Beginn der 1990er Jahre kontinuierlich<br />

gesunken. 2007 erreichte sie den historischen Tiefstand von<br />

ca. 19.000 Asyl-Erstanträgen. Von den rund 30.000 Anträgen<br />

des Jahres 2006 wurden außerdem nur 251 (0,8 Prozent) als<br />

berechtigt anerkannt! Entsprechend sind die Leistungen des<br />

Staates zurückgegangen: 2007 wurden Asylbewerber leistungen<br />

nur noch an rund 154.000 Menschen ausgezahlt, 20,7 Prozent<br />

weniger als 2006 (1996: Höchststand mit 490.000 Menschen).<br />

Gegenüber 1997 sind die Leistungen damit von 2,65 Milliarden<br />

auf 1,03 Milliarden Euro gesunken.<br />

Quellen: Bundesamt für Statistik; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge<br />

Um jedoch ein dauerhaftes Bleiberecht zu erhalten, müssten<br />

sie ein Einkommen zur Sicherung des Lebensunterhaltes<br />

nachweisen, das über dem Sozialhilfesatz liegt. Der Lohn von<br />

Jawed Bijan, der trotz seiner psychischen Probleme halbtags<br />

als Reinigungskraft in einer Metzgerei<br />

arbeitet, reiche dafür bei Weitem nicht<br />

aus, erläutert Jürgen Pirrong. Nur wenn<br />

auch Malalai Bijan eine Arbeit fände, könnte es für die vier-<br />

köpfige Familie aus Afghanistan zu einer Niederlassungser-<br />

laubnis reichen. Die junge Frau, die sehr gut Deutsch spricht,<br />

sucht schon seit Längerem nach Arbeit, bislang jedoch ohne<br />

Erfolg. P. Wolfgang gibt ihr ein paar Tipps für die Jobsuche:<br />

»Ich werde mich mal umhören«, verspricht er ihr.<br />

Flüchtlinge werden oft wie<br />

Aussätzige behandelt<br />

Die Familie Bijan aus Afghanistan hat allen Schwierigkeiten zum Trotz ihre Hoffnung<br />

auf ein friedliches Leben in Deutschland nicht aufgegeben<br />

Den Flüchtlingen im Dschungel der deutschen<br />

Bürokratie eine Orientierungshilfe zu sein, ist<br />

ein Hauptbestandteil der Arbeit von P. Wolfgang<br />

und Jürgen Pirrong. Darüber hinaus sei es<br />

wichtig, Lobbyarbeit in den Gemeinden und<br />

Kommunen zu leisten, sagt P. Wolfgang, als wir<br />

uns am späten Abend auf den Rückweg machen.<br />

Die Zahl der Asyl bewerber sei in den letzten 15<br />

Jahren stark zurückgegangen, von etwa 100.000<br />

Asylanträgen jährlich vor Einführung der Dritt-<br />

staatenregelung 1993 auf zuletzt noch 20.000,<br />

den niedrigsten Stand seit 30 Jahren. »Es ist<br />

dadurch viel schwieriger geworden, Unterstüt-<br />

zung für unsere Arbeit zu bekommen«, betont<br />

er. »An den Außengrenzen Europas werden die<br />

Flüchtlinge bekämpft, auch in Osteuropa – aber davon<br />

nimmt kaum jemand Notiz.« Ende März sind erneut zwei<br />

überfüllte Boote bei dem verzweifelten Versuch, über das<br />

Mittelmeer nach Italien zu gelangen, vor der Küste Libyens<br />

gekentert. Hunderte Flüchtlinge sind<br />

dabei ertrunken. In Zeiten der großen<br />

Weltwirtschaftskrise ist die Tragödie der<br />

»Ausgegrenzten« von heute nur eine weitere schlimme<br />

Nachricht am Rande. Deshalb ist es umso wichtiger, dass<br />

Menschen wie P. Wolfgang und Jürgen Pirrong die Lebens-<br />

situation von Flüchtlingen wieder mehr ins Be-<br />

wusstsein der Öffentlichkeit rücken. e<br />

andré madaus


Auf Pater Damians Spuren: Sr. Emmanuelles Leben mit den Müllmenschen<br />

Das Abenteuer der Liebe<br />

Welch große Faszination und lebenslange Wirkung<br />

Leben und Werk Pater Damians auf Menschen ausü­<br />

ben kann, führt uns der nachfolgende Text von Schwes­<br />

ter Emmanuelle Cinquin eindrücklich vor Augen. Sr.<br />

Emmanuelle, die »Mutter der Müllmenschen«, ist bis<br />

heute eine der beliebtesten Persönlichkeiten in Frank­<br />

reich. In diesem 1993 entstandenen und in der Zeit­<br />

schrift der französischen Provinz sscc »Horizons<br />

Blancs« veröffentlichten Brief (Übersetzung und Bear­<br />

beitung durch die Redaktion) beschreibt sie, welchen<br />

H<br />

Einfluss Pater Damian auf ihr Leben hatte.<br />

Schon als Jugendliche berührte mich die heroische Gestalt<br />

von P. Damian sehr. Es auf sich zu nehmen, auf eine ferne<br />

Insel zu gehen und dort bis zum Tode zu leben, um den von<br />

allen verlassenen, unglücklichen Aussätzigen die Hoffnung<br />

Christi zu bringen, das war wirklich der Gipfel der Liebe. Das<br />

Antlitz P. Damians, aus Liebe aussätzig geworden, und seine<br />

Hingabe bis zum Ende faszinierten mich. Unser P. Derély<br />

begeisterte uns damals mit dem Herzen Christi, der sich für<br />

das Heil der Menschen opferte: Wie schön das Leben wäre,<br />

wenn man seinen Schritten nachfolgen könnte, um den<br />

Leidenden Trost und Freude zu bringen.<br />

Die »Mutter der Müllmenschen« von Kairo<br />

Schwester Emmanuelle wird 1908 als Madeleine Cinquin<br />

in Brüssel geboren. Ihre Mutter ist Belgierin, ihr Vater<br />

Franzose. Schon früh lernt die behütete Tochter die Ge­<br />

schichten ihres Landsmannes Pater Damian kennen. Wie<br />

er tritt sie mit 20 Jahren einer Ordensgemeinschaft bei,<br />

den »Schwestern Unserer Lieben Frau von Sion«. Nach<br />

ihrem Studium unterrichtet sie in der Türkei und Nord­<br />

afrika 40 Jahre lang an Eliteschulen. Doch der Ruf ihres<br />

Herzens ist noch ein anderer! 1971 schließlich folgt sie<br />

ihm. Bis ihr 1993 im Alter von 85 Jahren der Ruhestand<br />

befohlen wird, lebt sie in Kairo mit den Lumpensamm­<br />

lern. Ein Ziegenstall ohne Wasser und Strom in der<br />

Müllsiedlung »Ezbeth­El­Nakhl« wird ihr Zuhause. Nach<br />

dem Vorbild P. Damians versorgt sie »ihre Müllmen­<br />

schen« mit geistlichem Beistand und errichtet Kranken­<br />

häuser, Schulen, Kindergärten, Alphabetisierungszentren<br />

und Altenheime. Von ihr gegründe­<br />

te Hilfsorganisationen setzen heu­<br />

te diese Arbeit fort. Im Oktober<br />

2008 stirbt Schwester Emmanuelle<br />

kurz vor ihrem 100. Geburtstag in<br />

Frankreich.<br />

21


Müllverwertung in der dritten Welt: Tonnenweise werden die<br />

Abfälle gesammelt, getrennt, der Wiederverwertung zugeführt<br />

oder einfach verbrannt.<br />

Meine Schwester hatte gerade geheiratet, und ich sah ihr<br />

Glück, Mutter zu werden. Aber meine Berufung war eine<br />

andere. Ihr musste ich folgen, um dort meine Erfüllung zu<br />

finden: Es waren die kleinen Aussätzigen, die in den Armen<br />

zu wiegen ich mich berufen fühlte! Bei einem Aufenthalt in<br />

London lernte ich die Ordensgemeinschaft »Die Schwestern<br />

Unserer Lieben Frau von Sion« kennen. Von ihrer Spiritualität<br />

war ich angetan und mir gefiel die Hingabe der Schwestern,<br />

die sich um die armen Kinder kümmerten. Doch war ich sehr<br />

enttäuscht, als man mir erklärte, dass es zwar in ihren Missi-<br />

onen auf der ganzen Welt viele Leiden zu lindern gibt, aber<br />

keine Leprakranken! So suchte ich zunächst nach anderen<br />

Ordensgemeinschaften, aber keine kümmerte sich um Lepra-<br />

kranke …<br />

Auf der Suche nach meiner Berufung<br />

Mit 20 Jahren bin ich dann bei den Schwestern von Sion<br />

eingetreten. Im Herzen habe ich die Erinnerung an P. Dami-<br />

an bewahrt und ich betete darum, dass auch ich – wie er – den<br />

Ärmsten den Frieden des Himmels bringen könnte ...<br />

1971 erreichte mich dann der nie vergessene Ruf der Aussät-<br />

zigen doch noch. Unsere Schule in Alexandria wurde an eine<br />

ägyptische Ordensgemeinschaft übergeben und ich war somit<br />

P. Damian bedeutet mir …<br />

Für mich ist Damian das Vorbild für Mission. Ihm möchte<br />

ich folgen, so möchte ich sein … Wie Jesus hat er sein<br />

Leben ganz gegeben… bis zum Ende. Sein Eifer, seine Menschlichkeit,<br />

seine Offenheit, den Menschen auch bei der Bewältigung ihres Alltags<br />

zu helfen: Häuser für sie zu bauen, Waisenhäuser zu gründen, mit Ärzten<br />

nach Medizin gegen die Lepra zu suchen… Sein Leben inspiriert mich<br />

stark, denn es ist voll Hingabe.<br />

sr. monique darveau sscc, philippinen<br />

frei für andere Aufgaben. 61 Jahre alt und Gott sei Dank bei<br />

guter Gesundheit! Konnte ich nun meinen Herzenstraum<br />

erfüllen und P. Damian zu den Aussätzigen folgen? Ich erhielt<br />

die Erlaubnis nach Kairo zu gehen, um sie im Leprosorium<br />

eines riesigen Krankenhauses zu besuchen. Dort angekom-<br />

men wurde ich sofort festgenommen und verhört: 1971 lag<br />

Ägypten mitten im Krieg mit Israel und das Krankenhaus<br />

befand sich in einer Militärzone! Ich war der Spionage ver-<br />

dächtig und lief Gefahr, ins Gefängnis zu kommen ... Ob<br />

P. Damian vom Himmel her für mich eingetreten ist, damit<br />

H<br />

ich dem entrinne? Das ist gut möglich.<br />

Auf jeden Fall ließ ich mich nicht entmutigen. Mit der Unter-<br />

stützung des Apostolischen Nuntius, Monsignore Bruno<br />

Heim, erhielt ich vom Gesundheitsminister eine Sonderer-<br />

laubnis und durfte das Leprosorium besuchen: Ich werde den<br />

schrecklichen Anblick der eingesperrten Frauen nie mehr<br />

vergessen. Sie hegten keine Hoffnung mehr, ihre Familien<br />

und ihre Kinder jemals wiederzusehen! Sie scharrten sich<br />

begierig um mich ... Endlich war da jemand, der zu ihnen<br />

kam! Von da an wollte ich zu ihnen gehören auf Leben und<br />

Tod, wie P. Damian ... Denn die Liebe ist stärker als der Tod.<br />

Zurück in Kairo ersuchte ich um die offizielle Aufenthaltser-<br />

laubnis im Leprosorium. Dazu benötigte ich jedoch eine<br />

ganze Reihe von Genehmigungen:<br />

* vom Gesundheitsministerium,<br />

weil es sich um ein Krankenhaus handelt;<br />

* vom Außenministerium, weil ich keine Ägypterin bin;<br />

* vom Verteidigungsministerium,<br />

weil es sich in einem militärischen Sperrgebiet befindet;<br />

* vom Innenministerium, das für die Sicherheit verantwortlich<br />

ist, damit Spionage ausgeschlossen werden kann. Es<br />

war einfach unvorstellbar, dass ich – noch<br />

dazu als Ausländerin – zu den Leprakran-<br />

ken wollte, ohne ein geheimes Ziel zu<br />

haben!<br />

Wie viele Minister, wie viele Hindernisse!<br />

Ich dachte: »P. Damian, Du hast mir bis<br />

hierher geholfen, wirst Du mich nun al-<br />

leine lassen?«<br />

Liebe ist stärker als der Tod<br />

Mein schöner Jugendtraum schien für<br />

immer verflogen! Aber P. Damian schickte<br />

mich in ein anderes Abenteuer: Monsi-<br />

gnore Heim schlug mir vor, mich um die Lumpensammler zu<br />

kümmern, andere Parias, von allen verachtet und ohne<br />

menschlichen Beistand in die Slums gesperrt. Als er mich<br />

dorthin führte, fühlte ich mich sofort angezogen, als ich die<br />

Gassen sah, in denen sich die täglich gesammelten Abfälle<br />

auftürmten, die Hütten aus löchrigem Wellblech, ohne Was-<br />

ser und ohne Strom. Es gab keine Schule, keine Kirche, keine<br />

Krankenstationen – es gab nichts außer zerlumpten Kindern<br />

mit Fliegen in den Augen ... So muss es auch P. Damian mit<br />

seinen Leprakranken ergangen sein! Ich fühlte, dass Gott mich<br />

rief, um in ihrer Mitte zu leben, um sie in der Nachfolge P.<br />

Damians zu retten, um zu versuchen, ein Herz zu haben, das<br />

genau so sehr vor Liebe glüht wie seins. Dafür brauchte ich<br />

nur aus derselben Quelle zu schöpfen – dem brennenden<br />

Feuerofen des Herzens Jesu.<br />

H<br />

P. Damian verdanke ich, dass ich schließlich bei den Lumpen-<br />

sammlern gelandet bin. Hier führe ich wie er seit 22 Jahren<br />

das interessanteste Leben, das ein Mensch auf dieser Welt<br />

führen kann. Alle, die sich mit Christus mit Leib und Seele<br />

der Liebe zu ihren Brüdern und Schwestern verschreiben,<br />

machen diese außergewöhnliche Erfahrung: »Der blaue Vo-<br />

gel« des Glücks fliegt nie mehr aus ihrer Bleibe davon ... Selbst<br />

in den schmerzhaftesten Stunden regiert auf dem Grunde<br />

ihrer Seele ein seltsames Glück, die Freude Gottes selbst, ein<br />

Strahl der vollkommenen Freude des Heiligen Franz von<br />

Assisi. e<br />

Elhamdulillah! Ehre sei Dir, oh Herr!<br />

Die Zabbalin aus Kairo<br />

schwester emmanuelle ✝,<br />

im september 1993<br />

Die Müllmenschen aus Kairo sind koptische Chris­<br />

ten, sie leben im und vom Müll der Großstadt. Die<br />

etwa 60.000 Zabbalin sammeln täglich 80 Tonnen<br />

Müll, den sie mit bloßen Händen trennen: Wie­<br />

derverwertbares verkaufen sie an Händler, Rest­<br />

müll wird mitten in der Siedlung verbrannt. Tags­<br />

über trennen sie den Müll dort, wo sie nachts<br />

schlafen. Sie führen ein gefährliches Leben: Sie<br />

atmen giftige Dämpfe ein, kommen mit Sonder­<br />

müll in Berührung, verletzen sich an Spritzen und<br />

stecken sich mit lebensgefährlichen Krankheiten<br />

wie AIDS oder Hepatitis an.<br />

Ein scheinbar normales Leben auf der Müllhalde.<br />

Kinder mit Schuluniform in ihrem Zuhause, einem<br />

Hüttendorf auf Abfällen errichtet.<br />

22 Das Foto wurde uns von der Müll-Menschen-Hilfe e. V.<br />

23<br />

zur Verfügung gestellt: www.muell-menschen-hilfe.org


Auf Pater Damians Spuren: Ein Jahr als Freiwilliger in Manila<br />

Die Welt – ein wenig – besser machen!<br />

Fernweh! Abenteuer! Sich einset-<br />

zen für diese eine Welt! Diese und<br />

noch viele andere Gedanken dreh-<br />

ten sich vor der Abreise in meinem<br />

Kopf. Und immer wieder auch die<br />

Frage, was ich nun, nach meiner<br />

Ausbildung zum Krankenpfleger,<br />

mit meinem Leben anfangen will.<br />

Ideen habe ich viele, vielleicht so-<br />

gar zu viele? Eine davon ist, Priester<br />

zu werden. Vielleicht sogar im sel-<br />

ben Orden wie einst Pater Damian,<br />

in der Ordensgemeinschaft von<br />

den Heiligsten Herzen. Um diesen<br />

Gedanken weiter zu verfolgen,<br />

machte ich mich im Oktober 2008<br />

auf den Weg zu den Philippinen.<br />

Ein Jahr lang leiste ich hier in der<br />

sscc-Pfarrei in Bagong Silang, ei-<br />

nem Armenviertel am Rande der<br />

Hauptstadt Manila, meinen Sozi-<br />

alen Friedensdienst im Rahmen<br />

des Projekts »weltwärts«, das vom<br />

Bundesministerium für wirtschaft-<br />

liche Zusammenarbeit und Ent-<br />

wicklung initiiert wurde.<br />

24<br />

Bei meiner Ankunft am Flughafen wur­<br />

de ich von P. Harald Adler und Sr. Inés<br />

Gil de Antunano von der sscc­Pfarrei in<br />

Bagong Silang herzlich empfangen. Sie<br />

brachten mir Wasser mit – ein herr­<br />

liches Geschenk bei diesem Klima. Ganz<br />

besonders weil das Servicepersonal<br />

während des langen Fluges damit eher<br />

sparsam umgegangen war. Die ersten<br />

Eindrücke in der fremden Umgebung<br />

waren überwältigend. Vom Flughafen<br />

Manilas nach Bagong Silang benötigt<br />

man bei einer guten Verkehrslage mit<br />

dem Auto etwa 90 Minuten. Auf den<br />

Straßen herrschen für deutsche Verhält­<br />

nisse schlicht unbeschreibliche Zustän­<br />

de. Man hat den Eindruck, jeder der 19<br />

Millionen Menschen, die im Großraum<br />

von Manila leben, ist mit irgendeinem<br />

Gefährt unterwegs, sei es im Auto, auf<br />

einem Motorroller oder Tricycle, im<br />

Jeepney oder einfach nur mit dem Fahr­<br />

rad.<br />

Die Philippinen sind ein Land großer<br />

Gegensätze. Es gibt die vielen freund­<br />

Aus dem obersten Stockwerk der sscc-Pfarrei in Manila geht der Blick<br />

über die Wellblechdächer der Siedlung Bagong Silang<br />

lichen Menschen, die einen offenherzig<br />

begrüßen, und es gibt eine zum Himmel<br />

schreiende Armut. Während den für<br />

einen Hungerlohn arbeitenden Men­<br />

schen in der glühenden Hitze des Tages<br />

der Schweiß in Bächen herunterläuft,<br />

amüsieren sich die Reichen beim Ein­<br />

kaufen in den riesigen Einkaufszentren,<br />

wo sie sich Pullover überziehen, weil<br />

die Klimaanlagen ins andere Extrem<br />

abkühlen. Der Kontrast von Arm und<br />

Reich ist nur einer der vielen Gegensät­<br />

ze. Es überwältigt mich auch immer<br />

wieder aufs Neue, wenn ich die Stadt­<br />

grenzen des vom Smog verpesteten<br />

Manila passiere und mich plötzlich in<br />

einer paradiesischen Idylle wiederfinde.<br />

Die Stadt Baguio etwa liegt auf einem<br />

1500 Meter hohen, grünen Gebirgszug.<br />

Dort ist es angenehm kühl, weshalb<br />

Baguio die Sommerhauptstadt der<br />

Philippinen genannt wird. Auch die bei­<br />

den Jahreszeiten, Regenzeit und Trocken­<br />

zeit, bilden einen krassen Kontrast.<br />

Bagong Silang selbst ist eine Ansiedlung<br />

dicht an dicht stehender Betonbunker<br />

inmitten eines urwaldähnlichen Gebie­<br />

t es. Aus dem obersten der drei Stock­<br />

werke des sscc­Pfarrhauses blickt man<br />

hinab auf die rostigen Wellblechdächer<br />

unter den grünen Baumkronen. In und<br />

um dies Pfarrhaus spielt sich ein großer<br />

Teil des Lebens vieler Menschen aus der<br />

Pfarrei ab. Es gibt verschiedene Grup­<br />

pen und Projekte, angefangen bei der<br />

Behindertenwerkstatt über die Schüler­<br />

Betreuungsprogramme bis zu den<br />

Handwerksgruppen der Mütter. Durch<br />

den Dienst, den die Gemeinschaft der<br />

Schwestern und Brüder und die Pfarrei<br />

leisten, erhalten viele Bedürftige einen<br />

großen Teil der dringend benötigten<br />

Hilfe zum Überleben.<br />

Medikamentenlehre in der<br />

Pfarr-Apotheke<br />

Eines dieser Projekte ist die Apotheke<br />

der Pfarrei. Die Arbeit dort zählt zu<br />

meinen absoluten Lieblingstätigkeiten.<br />

In der Pfarrei­Apotheke sind die Medi­<br />

kamente zum Einkaufspreis zu erhalten<br />

Bagong Silang: Von morgens bis abends verkauft diese Familie Obst und Gemüse.<br />

Solche privaten Marktstände trifft man vielerorts in Manila.<br />

und somit deutlich billiger als in her­<br />

kömmlichen Apotheken. Trotzdem sind<br />

die meisten Präparate noch so teuer,<br />

dass viele sich nur eine oder zwei<br />

Tabletten leisten können. Oft wirken<br />

Me di kamente aber nur, wenn sie regel­<br />

mäßig eingenommen werden. Mittel<br />

gegen Bluthochdruck oder Antibiotika<br />

können sogar schädlich sein, wenn man<br />

sie nur kurzfristig und unregelmäßig<br />

einnimmt. Weil aber die Menschen hier<br />

über Krankheiten und ihre Behandlung<br />

oft wenig oder gar nichts wissen, sind<br />

sie entsprechend hilflos. Die Apotheke<br />

ist deshalb auch gleichzeitig der geeig­<br />

nete Ort, um direkt an die Patienten<br />

heranzukommen und sie zu schulen.<br />

Hier unterrichte ich insgesamt 16 frei­<br />

willige Helferinnen, meist unterstützt<br />

von einer Übersetzerin. Der »Lehrplan«<br />

erstreckt sich von Erster Hilfe bis Medi­<br />

kamentenlehre. Besonders die Gruppe<br />

der Mütter und Großmütter, die zwi­<br />

schen 28 und 72 Jahren alt sind, ist mir<br />

sehr ans Herz gewachsen. Es ist zwar<br />

manchmal nicht so einfach sie zu un­<br />

terrichten, weil sie albern wie Kinder<br />

sein können. Aber dennoch sind sie aus<br />

persönlichem Interesse sehr engagiert<br />

und begeisterungsfähig. Alle sind hu­<br />

morvoll und freundlich, manche biswei­<br />

H<br />

len sogar mütterlich um mich besorgt.<br />

Die Apotheke liegt vor dem Eingang<br />

zum Pfarrbüro, direkt neben der Kirche.<br />

Hier kommen oft Bekannte, Freunde<br />

und Angehörige der Pfarrei auf einen<br />

Plausch vorbei. Das kommt meinem<br />

Tagalog* sehr zugute, außerdem erfährt<br />

man auf diese Weise neben den aktu­<br />

ellen Marktpreisen auch den neusten<br />

Tratsch aus der Gegend. Das kann sehr<br />

amüsant sein, aber leider ist es oft auch<br />

traurig oder schockierend. Eine Jugend­<br />

liche, die in der Pfarrei sehr aktiv ist,<br />

erzählte mir einmal, dass ihre Familie<br />

wegen einer viel zu hohen Kranken­<br />

* Tagalog, ursprünglich die Sprache der in der<br />

Region Manila lebenden Bevölkerungsgruppe,<br />

ist heute die am stärksten verbreitete Sprache<br />

auf den Philippinen.


Einer der jungen Patienten, um die sich der Freiwillige<br />

aus Deutschland kümmert, vor und nach der Operation<br />

hausrechnung nun kein Geld mehr<br />

habe, um die folgende Kortisontherapie<br />

für den an Asthma erkrankten Vater<br />

fortzuführen. Die Menschen hier müs­<br />

sen bei Operationen oder Behand­<br />

lungen in staatlichen Krankenhäusern<br />

die benötigten Utensilien wie Verbands­<br />

material, Spritzen oder Infusionen<br />

selbst besorgen, da es kein staatliches<br />

Gesundheitssystem wie in Deutschland<br />

gibt. Die sscc­Pfarrei übernimmt oft<br />

einen großen Teil der Kosten und be­<br />

sorgt die benötigten Medikamente. Ein<br />

anderes Schicksal erzählt von der klei­<br />

nen Angel Mae. Sie war gerade zwei<br />

Monate alt, als ihre Mutter auf der<br />

Straße zu Tode geprügelt wurde. Als<br />

wäre das nicht grausam genug, erfuhr<br />

P. Damian bedeutet mir …<br />

ich später, dass der Vater sein eigenes<br />

Kind für umgerechnet acht Euro ver­<br />

kaufen wollte. Die Würde der Menschen<br />

geht in diesem Elend häufig völlig ver­<br />

loren. Doch was mich in manchen<br />

Momenten wirklich tief berührt, ist die<br />

große Dankbarkeit, die Menschen zum<br />

Ausdruck bringen, wenn ihnen einmal<br />

H<br />

etwas Gutes widerfährt.<br />

Das Verhalten der Filipinos erscheint<br />

mir manchmal widersprüchlich. Man<br />

wird begrüßt, als wäre man der beste<br />

Freund, will man aber die Schwelle ihres<br />

Hauses übertreten, zögern manche, weil<br />

sie sich wegen ihrer Armut schämen.<br />

Niemand möchte sein Gesicht verlieren.<br />

Damian ist eine große Inspiration für mich. Er hatte<br />

Überzeugungen und lebte sie bis zum Ende, er überwand<br />

Schwierigkeiten, ertrug Kritik und Konflikte. Sein Verlangen eins zu<br />

werden mit den Menschen, denen er diente, erstaunt mich immer wieder.<br />

Woher kommt dieses Feuer? Ich bin sicher, dass es nicht aus ihm selbst<br />

kam. Damian war ein Mensch wie Du und ich, seine Beziehung zu Jesus<br />

hat ihn außergewöhnlich gemacht. Er hatte ein tiefes inneres Leben,<br />

spürte die Liebe Gottes und das Herz Jesu, der das Leiden seiner Völker<br />

sah, der linderte, liebte, Würde und Anerkennung verlieh.<br />

sr. ines gil-antunano sscc, philippinen<br />

Lars Maihöfner (rechts) hat in der sscc-Pfarrei eine<br />

Wundklinik eingerichtet<br />

Selten begegnet man einem Filipino mit<br />

schmutziger oder gar stinkender Klei­<br />

dung, denn das Ansehen ist den Men­<br />

schen enorm wichtig. Selbst wenn sie<br />

kaum das Geld für den täglichen Reis<br />

aufbringen, der hier absolut unverzicht­<br />

bar ist und zu jeder Mahlzeit gereicht<br />

wird, besitzen die meisten ein Handy.<br />

»Medical Mission«<br />

im Monsunwald<br />

Samstags ist immer sehr viel los im<br />

Pfarrhaus, das in Wirklichkeit viel mehr<br />

ein Haus für die Gemeinde als eine<br />

Residenz für die Pfarrgeistlichen ist.<br />

Von oben ist dann der gedämpfte Lärm<br />

der etwa 60 Schülerinnen und Schüler<br />

zu hören, die in Kleingruppen Nach­<br />

hilfeunterricht erhalten: die Grundschü­<br />

ler von den Schülern der »High­School«,<br />

diese wiederum von den College­Stu­<br />

denten. Nebenan wird eine Gruppe<br />

Erwachsener von einem kundigen Ge­<br />

meindemitglied in kontemplatives Be­<br />

ten eingeführt. Auch im Computerraum<br />

und in der Küche, dem heimlichen<br />

Zentrum des Gemeindelebens, herrscht<br />

reges Treiben. In der Bücherei sind ei­<br />

nige Frauen mit dem Herstellen von<br />

Karten beschäftigt, die ihnen ein win­<br />

ziges Einkommen verschaffen, während<br />

in der Garage die behinderten Kinder<br />

betreut werden.<br />

In der Pfarrei-Apotheke werden Medikamente zum Einkaufspreis angeboten,<br />

um zumindest eine medizinische Grundversorgung zu ermöglichen<br />

Eines der für mich aufregendsten Erleb­<br />

nisse während der ersten Monate auf<br />

den Philippinen war die »Medical Mis­<br />

sion«, die uns an einem Wochenende<br />

im Januar mitten hinein in den Mon­<br />

sunwald führte. Ohne Strom und Funk­<br />

verbindung leben dort die indigenen<br />

Ureinwohner der Philippinen, und<br />

schon allein der Weg dorthin, mit ge­<br />

ländegängigen LKW durch Urwald und<br />

Flüsse, war ein Abenteuer. Wir waren<br />

mit einer etwa 50­köpfigen Gruppe aus<br />

Ärzten, Krankenschwestern, Apotheke­<br />

rinnen und vielen Freiwilligen über<br />

drei Stunden unterwegs, ehe wir in<br />

dem kleinen Dorf ankamen. Die<br />

Menschen dort sind die meiste Zeit<br />

völlig auf sich alleine gestellt. Einmal<br />

im Jahr kommt ein Priester vorbei, um<br />

mit ihnen eine Messe zu feiern, und<br />

ebenfalls nur einmal im Jahr werden sie<br />

medizinisch versorgt. Wir haben an<br />

diesem Wochenende fünfhundert Pati­<br />

enten behandelt. Aber obwohl diese<br />

Menschen wohl zu den Ärmsten der<br />

Armen gehören, haben sie auf mich<br />

einen zufriedenen Eindruck gemacht.<br />

Der Rückhalt der<br />

sscc-Gemeinschaft<br />

Mit Unterstützung der Ordensgemein­<br />

schaft habe ich begonnen, in der Pfarrei<br />

eine Wundklinik einzurichten. Dieses<br />

neue Projekt ist dringend notwendig,<br />

weil es hier häufig Verletzungen aller<br />

Art gibt, die Menschen aber aus Geld­<br />

mangel nicht zum Arzt gehen und sich<br />

so zunächst kleine Wunden infizieren,<br />

immer größer werden und dann schlech­<br />

ter behandelbar sind. Oft betrifft dies<br />

gerade kleine Kinder sehr schlimm.<br />

Einer unserer ersten Patienten ist ein<br />

dreijähriger Junge mit einer eitrigen<br />

Beinwunde. Er wird von seiner Groß­<br />

mutter betreut, weil die Mutter wegen<br />

Prostitution im Gefängnis sitzt. Da die<br />

Großmutter jetzt allerdings 14 Kinder<br />

hüten muss, ist es ganz klar, dass eini­<br />

ges auf der Strecke bleibt. Das ist ein<br />

Beispiel für eine der ärmsten Familien<br />

hier. Die fünfzehnköpfige Familie lebt<br />

auf engstem Raum zusammen, die<br />

Decke ist so niedrig, dass ein Erwach­<br />

sener sich beim Eintreten bücken muss.<br />

Doch in all dem Elend werde ich von<br />

den Einheimischen akzeptiert und darf<br />

sogar die Türschwelle überschreiten.<br />

Nicht zuletzt ist es die Dankbarkeit<br />

speziell dieser Menschen, die mir die<br />

Kraft gibt, weiterzumachen.<br />

26 27<br />

H<br />

Auch die Gemeinschaft der Brüder und<br />

Schwestern gibt mir viel Rückhalt, ich<br />

schlafe Tür an Tür mit den <strong>Patres</strong> und<br />

fühle mich dabei sehr gut aufgehoben.<br />

Durch die wertvollen Erfahrungen hier,<br />

weit weg von zuhause, komme ich auch<br />

in der Frage meiner eigenen Berufung<br />

jeden Tag ein Stück weiter. Da für bin ich<br />

sehr dankbar. e<br />

P. Damian bedeutet mir …<br />

Damian?<br />

Vom Aussatz zerstörte Gesichter –<br />

wie kann man den Anblick ertragen?<br />

Faulende Glieder – wie kann man den Geruch aushalten?<br />

Eine Horde von Verzweifelten, Gesetzlosen –<br />

wie willst Du mit ihnen leben?<br />

lars maihöfner<br />

Du sagtest zu Ihnen:<br />

»Ihr seid Gottes Ebenbilder, Gott ruft jeden von Euch beim Namen.«<br />

»Ihr seid Gotteskinder, berufen zur Auferstehung und zu ewigem Leben.«<br />

»Wir sind Brüder und Schwestern in Christus.«<br />

Damian, Du holst die Ausgestoßenen, die von Gott Verlassenen aus<br />

ihrer Verzweiflung. Du verwandelst einen Haufen von Gesetzlosen in eine<br />

menschenwürdige Gemeinschaft, in eine Familie von Gotteskindern.<br />

p. harald adler sscc, philippinen


Das Geburtshaus P. Damians ist heute ein Museum<br />

Pater Damian in seiner belgischen Heimat<br />

Im Jahre 2005 wurde Pater Damian De Veuster von<br />

seinen belgischen Landsleuten zum »größten Belgier<br />

aller Zeiten« gewählt. Und dies mehr als 100 Jahre<br />

nach seinem Tod auf einer fernen Insel im Pazifik. Al-<br />

lein das belegt, welch große Popularität P. Damian<br />

genießt und welch großer Respekt diesem »Apostel<br />

der Aussätzigen« entgegengebracht wird – über alle<br />

religiösen und ethnischen Grenzen hinweg. Keine<br />

Selbstverständlichkeit im tief gespaltenen und kirchen-<br />

kritischen Belgien.<br />

Insbesondere in Leuven, wo sich sein Grab befindet<br />

und in seiner Heimatstadt Tremelo werden sein Leben<br />

und Wirken lebendig gehalten.<br />

Tremelo Damian-Museum<br />

Öffnungszeiten<br />

Das Museum ist für einzelne Besucher von Dienstag bis<br />

Sonntag jeweils von 14.00 Uhr bis 16.30 Uhr geöffnet.<br />

Darüber hinaus öffnet es für Gruppen (bis 50 Personen)<br />

nach Vereinbarung.<br />

Eintrittspreise<br />

Erwachsene: 3 Euro<br />

(für Gruppen ab 20 Personen: 2 Euro pro Person)<br />

Kinder: 1,50 Euro (in Gruppen 1 Euro pro Kind)<br />

Informationen über das Museum erhalten Sie über:<br />

Museum en geboortehuis Pater Damiaan,<br />

Pater Damiaanstraat 37, 3120 Tremelo<br />

Tel: 00 32 16 53 05 19<br />

damiaanmuseum@skynet.be, www.damiaanvandaag.be<br />

Das Museum in Tremelo<br />

Wer das Leben von Pater Damian und die Wurzeln seiner<br />

Persönlichkeit verstehen will, sollte nach Tremelo, seinem<br />

Geburtsort in der Nähe von Leuven, fahren. In P. Damians<br />

Geburtshaus ist ein kleines Museum eingerichtet, das die<br />

Kindheit in der Familie de Veuster veranschaulicht. Es beher-<br />

bergt zudem Ausstellungsräume, die einen Eindruck von der<br />

hawaiianischen Kultur zurzeit Pater Damians vermitteln und<br />

eine Reihe von Gegenständen zeigen, die der Apostel der<br />

Aussätzigen auf der Insel Molokai benutzt hat. Kunstwerke,<br />

die das Wirken und die Person von Pater Damian darstellen,<br />

sind ebenfalls ausgestellt.<br />

Eine Bilderschau über Pater Damian steht in verschiedenen<br />

Sprachen (Niederländisch, Französisch, Deutsch, Englisch<br />

und Spanisch) zur Verfügung.<br />

Der Besuch des Museums mit einer Führung – die im Preis<br />

inbegriffen ist – dauert etwa eine Stunde.<br />

St. Antonius-Kirche und<br />

Damian-Zentrum in Leuven<br />

Seit seiner Überführung im Jahre 1936 ist Pater Damian, der<br />

auf den Namen Josef De Veuster getauft wurde, in Leuven<br />

bestattet. Sein Grab befindet sich in der Krypta der Kirche St.<br />

Antonius, die von der Ordensgemeinschaft der Heiligsten<br />

Herzen betreut wird. Nach Absprache können Gruppen in<br />

der Kirche oder in der Krypta ihren eigenen Gottesdienst<br />

feiern. Liturgische Texte in verschiedenen Sprachen stehen<br />

dafür zur Verfügung.<br />

P. Damians letzte Ruhestätte in der Krypta der<br />

St. Antonius-Kirche<br />

Leuven Damian-Zentrum<br />

Öffnungszeiten<br />

Kirche und Krypta können jeden Tag<br />

von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr besucht werden.<br />

Eucharistiefeiern<br />

an Werktagen um 9.00 Uhr, am Samstagabend<br />

um 18.00 Uhr und am Sonntagmorgen<br />

um 11.00 Uhr.<br />

Weitere Informationen erhalten Sie unter:<br />

Patrik Jaspers<br />

Damiaancentrum,<br />

Sint-Antoniusberg 5, 3000 Leuven,<br />

Tel.00 32 16 31 63 68, Mobil 00 32 4 96 99 76 02,<br />

Damiaanvandaag@chello.be<br />

www.damiaanvandaag.be<br />

Auf dem St. Antonius-Berg befindet sich direkt oberhalb der<br />

Kirche und des Klosters das Damian-Zentrum. Hier finden<br />

regelmäßig Vorträge und Veranstaltungen statt, mit denen<br />

die Botschaft Pater Damians für unsere Zeit lebendig gehal-<br />

ten werden soll. Nach Absprache können Gruppen hier einen<br />

Vortrag über Pater Damian vereinbaren oder auch ihr eige-<br />

nes Programm durchführen. Dafür stehen ein Foyer und ein<br />

Vortragssaal für jeweils 110 Personen zur Verfügung. Das<br />

Damian-Informationszentrum verfügt über eine Kerzenka-<br />

pelle und hat zahlreiche Informationsmaterialien und An-<br />

dachtsgegenstände im Angebot. Sowohl das Zentrum als<br />

auch die Krypta sind gut für Menschen mit Behinderungen<br />

zugänglich. e<br />

P. Damian bedeutet mir …<br />

So weit ich zurückschauen kann: P. Damian<br />

steht an meinem Lebensweg.<br />

Ich erinnere mich an die Zeiten, als es Sonntag<br />

nachmittags noch eine Christenlehre gab, und unser Dechant<br />

mit glühender Begeisterung erzählte wie P. Damian,<br />

in einem kleinen Boot stehend, seine Sünden dem Priester<br />

bekannte, der hoch oben an der Reling des Segelschiffes<br />

stehend, das Bekenntnis entgegennahm. Das machte Eindruck.<br />

Einige Jahre später, vielleicht 1965, sitzen wir – eine Horde<br />

pubertärer Lümmel – im Kellerspeisesaal des Internats im<br />

Johanneskloster in Niederlahnstein. Während wir essen, wird<br />

der »Priester der Verbannten« vorgelesen. Das Buch beschreibt<br />

eindrucksvoll die schrecklichen Wunden der Aussätzigen.<br />

Wir ächzen und stöhnen mit gut gespieltem Ekel<br />

und Abscheu, lassen uns aber letztlich den Appetit nicht<br />

verderben.<br />

Lahnstein – Damian und …? Es fällt nicht schwer, sich<br />

weiter zu erinnern. Lahnstein – Damian und P. Richard Ott<br />

mit den Sammeldosen des Aussätzigenhilfswerkes. Wir<br />

glaubten, dass wir für ihn auf den Wein- und Volksfesten<br />

der Umgebung unterwegs waren und begriffen nicht, dass<br />

wir es letztlich für P. Damian machten.<br />

Dann die Studienzeit in Simpelveld: Die Sammelbüchse steht<br />

nicht länger im Vordergrund. Damian ist ja »einer von uns«,<br />

ein Mitbruder! Warum machte Damian das alles? Wo holt<br />

er die innere Kraft her? Wo liegen seine spirituellen Wurzeln?<br />

Was kann ich von ihm lernen?<br />

Und schließlich – seit 1977 – als Priester in Deutschland<br />

und Norwegen: In Trondheim wankte ein alter Alkoholiker<br />

zur Tür, übel riechend und lästig. Er wollte heimgefahren<br />

werden. Ich hatte keine Lust und auch Angst um das saubere<br />

Auto. Oder die ausgezehrte und schwerstkranke Aidspatientin<br />

auf der Infektionsabteilung eines norwegischen<br />

Krankenhauses. Ich hatte Angst vor der Krankheit und jeder<br />

Besuch kostete Überwindung.<br />

Was bedeutet Damian für mein Leben? Ich finde keine<br />

rechte Antwort. Ich kann nur sagen: Seit meiner frühen<br />

Kindheit begleitet er mich und oft hat er mich daran erinnert:<br />

»Als Mitbruder P. Damians darfst du nicht zimperlich sein!«<br />

Wichtiger noch ist die geistliche Dimension. Pater Damian<br />

ist ein Vorbild der Nächstenliebe und Selbstaufopferung.<br />

Die Kraft dazu empfing er aus der heiligen Eucharistie. Sie<br />

war Mittelpunkt seines Lebens und sein Leben ist eine einzige<br />

Aufforderung, aus den gleichen Quellen zu schöpfen.<br />

p. heinz-josef catrein sscc,<br />

neuer provinzial der deutschen provinz<br />

28 29


Lepra-Arbeit im Wandel der Zeit<br />

Eine Krankheit fast so alt wie die Menschheit<br />

Sie ist die älteste Infektionskrankheit<br />

der Menschheit und immer noch aktu-<br />

ell: Lepra wurde schon in den frühen<br />

Büchern der Bibel erwähnt. Die Krank-<br />

heit wird dort als »Aussatz« bezeichnet,<br />

die befallenen Körperteile als »unreine<br />

Stellen«, die betroffenen Menschen<br />

selbst als »Unreine« oder eben »Aussät-<br />

zige«. In vielen Ländern gilt Lepra bis<br />

heute als »unrein«, die Patienten sind<br />

»Aussätzige«. Die Existenz der Krankheit<br />

wird noch oft geleugnet. Doch zu allen<br />

Zeiten gab es Menschen, die mit Erfolg<br />

diese Konventionen durchbrochen und<br />

sich intensiv um Leprapatienten geküm-<br />

mert haben.<br />

H<br />

Mit sieben Typen und neunzehn ver-<br />

schiedenen Fällen gab das Buch Leviti-<br />

kus im alten Testament den Priestern<br />

der damaligen Zeit eine strenge Richt-<br />

schnur des Handelns: Sie mussten einen<br />

Menschen als »rein« oder »unrein«<br />

kennzeichnen – die Heilige Schrift gab<br />

ihnen dafür die Anweisung. Schon ein<br />

Ausschlag oder Flecken auf der Haut<br />

waren Gründe, um einen Menschen als<br />

»unrein« zu erklären. Die Bezeichnung<br />

»Aussatz« ergab sich aus der gestrengen<br />

Anweisung (Lev 13,45 f.): »Wer nun<br />

aussätzig ist, soll zerrissene Kleider<br />

tragen und das Haar lose und den Bart<br />

verhüllt und soll rufen: Unrein, unrein!<br />

Und solange die Stelle an ihm ist, soll<br />

er unrein sein, allein wohnen, und seine<br />

Wohnung soll außerhalb des Lagers<br />

sein.«<br />

Wahrscheinlich waren viele der Aussät-<br />

zigen in vorchristlicher Zeit gar nicht<br />

von Lepra betroffen, sondern litten<br />

unter eher harmlosen Hautkrankheiten.<br />

Aber die Angst vor der ansteckenden<br />

Lepra kannte keine Gnade. Unklar ist<br />

bis heute, ob die Menschen damals eine<br />

Ansteckungsgefahr vermutet haben<br />

oder ob es eher die Abscheu vor den<br />

entsetzlichen Entstellungen und Ver-<br />

stümmelungen war, die sie zu diesen<br />

drakonischen Maßnahmen greifen ließ.<br />

Der wahrscheinlichste Grund für das<br />

Verstoßen der Erkrankten ist aber, dass<br />

Lepra als »Strafe Gottes« galt (vgl. 2Ch<br />

26,16 ff.: die Begründung des Aussatzes<br />

von König Usija). Niemand durfte oder<br />

wollte sich gegen Gott und dessen Be-<br />

strafung stellen, denn ein konsequenter<br />

Ausschluss aus dem gesellschaftlichen<br />

Leben wäre die Folge gewesen.<br />

Lepraschau und Zwangsisolation<br />

im Mittelalter<br />

Erst das Vorbild Jesu Christi selbst und<br />

sein Gebot der Nächstenliebe änderten<br />

die Einstellung zu den »Aussätzigen«:<br />

Mehr und mehr wurde der Einsatz für<br />

die Kranken sogar als ein Dienst am<br />

leidenden Christus verstanden. Beispiel<br />

dafür sind die Heilige Elisabeth von<br />

Thüringen, die Aussätzigen die Wunden<br />

wusch, sowie der Heilige Franz von<br />

Assisi, der Kranke mit Liebe und Ach-<br />

tung pflegte.<br />

Die meisten Menschen aber fürchteten<br />

nach wie vor einen Kontakt mit den<br />

Leprakranken so sehr, dass man begann,<br />

diese zwangsweise zu isolieren. Um die<br />

Krankheit zurückzudrängen, war diese<br />

Maßnahme indes völlig ungeeignet: Die Zahl der Leprakran-<br />

ken stieg ab dem 12. Jahrhundert deutlich an. Zu dieser Zeit<br />

gab es in Europa rund 19.000 Leprosenhäuser. Die Einweisung<br />

in diese Häuser geschah oft unter Anwendung von Zwangs-<br />

maßnahmen, in Zweifelsfällen mussten sich die Verdächtigen<br />

einem Prüfungsverfahren unterziehen – dem sogenannten<br />

Examen leprosorum, der Lepraschau.<br />

30 31<br />

H<br />

Worte und Taten Jesu rückten wie so oft im Mittelalter in den<br />

Hintergrund, an ihre Stelle traten Maßnahmen, die man aus<br />

dem Blickwinkel der damaligen Zeit als »gegeben« ansah,<br />

wenn nicht sogar als »von Gott gegeben«. So beschloss das<br />

III. Laterankonzil von 1179, den Leprakranken einen Umgang<br />

mit Gesunden strikt zu verbieten. Infolgedessen wurden sie<br />

noch stärker stigmatisiert, mussten ein kuttenähnliches Ge-<br />

wand tragen, die sogenannte Leprosentracht, und sich bei der<br />

Annäherung an die Welt der Gesunden mit akustischen<br />

Warninstrumenten bemerkbar machen. Dies geschah mit<br />

»Siechenschellen«, später mit einem »Leprosenhorn« oder der<br />

»Lepraklapper«. Um eine direkte Berührung mit den Gesun-<br />

den zu vermeiden, mussten sie Handschuhe tragen und einen<br />

Stock mit sich führen, um beim Erwerb von Gegenständen<br />

oder Gütern auf diese zeigen zu können. Erst im Spätmittel-<br />

alter und der frühen Neuzeit setzte in Europa ein Rückgang<br />

der Lepra ein, unter anderem infolge der deutlich verbesserten<br />

hygienischen Bedingungen und der verbesserten Ernährung.<br />

Am Ende des 16. Jahrhunderts war der »Aussatz« in Europa<br />

so gut wie nicht mehr vorhanden.<br />

Im Zuge der zahlreichen Erfindungen und Entdeckungen des<br />

19. Jahrhunderts wurde Lepra auch in Europa wieder zum<br />

Thema: Missionare reisten in tropische Länder, um Leprakran-<br />

ke zu pflegen – allen voran der selige Pater Damian De Veuster<br />

sscc auf der hawaiianischen Leprainsel Molokai. Er war ein<br />

wahrer Pionier der modernen Lepra-Arbeit, denn erstmals<br />

kümmerte sich ein Helfer intensiv um das medizinische, so-<br />

ziale und seelische Wohl der Patienten. Erstmals wurden die<br />

Patienten also als gleichwertige Menschen wahrgenommen.<br />

1947 gab es das erste wirksame<br />

Medikament<br />

Zu dieser Zeit begannen auch Wissenschaftler, die Lepra zu<br />

erforschen: Der Norweger Gerhard Armauer Hansen ent-<br />

deckte 1873 das Mycobacterium leprae, den Erreger der<br />

Krankheit. Trotzdem dauerte es noch gut 70 Jahre, bis 1947<br />

mit dem Präparat Dapson erstmals ein wirksames Medika-<br />

Historische Darstellungen vom Leben der Aussätzigen und<br />

ihrer Umgebung. Bild oben: Ein scheinbar am Aussatz<br />

Erkrankter muss sich der Lepraschau unterziehen.<br />

Bild unten: Ein Leprakranker muss mit der sogenannten<br />

Lepraklapper auf sich aufmerksam machen.<br />

Auf diese Weise sollten Ansteckungen vermieden werden.


ment gegen Lepra zur Verfügung stand.<br />

Da dies jedoch täglich und lebenslang<br />

eingenommen werden musste, drängten<br />

Leprapioniere wie der DAHW-Mitbe-<br />

gründer Hermann Kober die pharma-<br />

zeutische Forschung zu neuen Medika-<br />

menten, die eine zeitlich begrenzte<br />

Chemotherapie ermöglichten. Heute<br />

gibt es dank der Kombination aus drei<br />

verschiedenen Antibiotika eine sehr<br />

erfolgreiche Therapie gegen die Krank-<br />

heit: Nach sechs bis achtzehn Monaten,<br />

je nach Art der Infektion, ist der Patient<br />

H<br />

geheilt – zumindest medizinisch.<br />

Was auch nach der Behandlung bleibt,<br />

ist das Stigma der Lepra: die typischen<br />

Verstümmelungen an Händen und<br />

Füßen, manchmal auch im Gesicht. Sie<br />

gelten als »Warnzeichen« für viele nicht<br />

erkrankte Menschen und führen dazu,<br />

dass die »Aussätzigkeit« auch heute<br />

noch aktuell ist. Dass Lepra inzwischen<br />

vollständig heilbar ist, spielt dabei keine<br />

Rolle – die jahrtausendealte Geschich-<br />

Gelungene Integration damals:<br />

P. Damian lebt als junger Missionar<br />

mit seinen Kranken auf Molokai und<br />

gibt ihnen ihre Würde zurück<br />

te dieser Krankheit hat die Vorurteile so<br />

tief in das gesellschaftliche Leben und<br />

Handeln eingebrannt, dass eine Ent-<br />

wicklung nur in sehr kleinen Schritten<br />

erfolgt.<br />

H<br />

Ganze Staaten fürchten um ihr Image<br />

als aufstrebende Nationen an der<br />

Schwelle vom Entwicklungs- zum Indus-<br />

trieland oder als Idylle für Erholung<br />

suchende Touristen. Waren noch vor 50<br />

Jahren die Hilferufe deutlich hörbar,<br />

als die gerade entstandenen Lepra-<br />

hilfswerke mit ihrer Arbeit begannen,<br />

so sind es heute oftmals die gleichen<br />

Staaten, die Statistiken zumindest<br />

»schönen«, um die Lepra offiziell für<br />

besiegt zu erklären. Dabei nutzen<br />

sie geschickt die Eliminierungskampag-<br />

ne der Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO), die statistische Größen defi-<br />

niert hat. So gilt Lepra nicht etwa dann<br />

als eliminiert, wenn die Krankheit tat-<br />

sächlich besiegt wurde, sondern wenn<br />

sich zu bestimmten Stichtagen weniger<br />

als ein Patient pro 10.000 Einwohner<br />

in Behandlung befindet. Mit etwas<br />

Kreativität ist diese Grenze für fast alle<br />

von Lepra betroffenen Staaten zu un-<br />

terbieten, die offizielle »Eliminierung«<br />

der Lepra wurde schon fast überall<br />

verkündet.<br />

Der Mensch steht im<br />

Zentrum der Lepra-Arbeit<br />

Trotzdem sind nach offiziellen WHO-<br />

Angaben mehr als 250.000 Menschen<br />

im vergangenen Jahr neu an Lepra er-<br />

krankt, die Dunkelziffer dürfte weit<br />

höher sein. Ein Grund dafür ist, dass<br />

die Infektionskrankheiten insgesamt in<br />

den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />

für faktisch besiegt erklärt wurden. Der<br />

blinde Glaube an den Fortschritt der<br />

chemisch-pharmazeutischen Industrie<br />

führte zu diesem aus heutiger Sicht<br />

fatalen Trugschluss: Die Tuberkulose<br />

beispielsweise ist auf einem gefähr-<br />

lichen Vormarsch, weil die Immun-<br />

schwäche HIV/Aids die Krankheit be-<br />

günstigt und die Tuberkulose-Erreger<br />

Resistenzen gegen die bekannten Me-<br />

dikamente entwickelt haben. Da aller-<br />

dings wegen der vermeintlich kurz be-<br />

vorstehenden Ausrottung aller Infekt-<br />

ionskrankheiten die Forschung in<br />

diesen Bereichen fast komplett einge-<br />

stellt wurde, fehlen heute wirksame<br />

Medikamente. Die Entwicklung und<br />

Freigabe neuer Präparate kann Jahre<br />

oder gar Jahrzehnte dauern.<br />

Auch die Lepra wurde nicht weiter er-<br />

forscht. Wissenschaftler in aller Welt<br />

rätseln heute noch über die genauen<br />

Übertragungswege und können dabei<br />

nur Vermutungen anstellen. Bei Inku-<br />

bationszeiten von vier bis acht Jahren –<br />

in Ausnahmefällen bis zu 30 Jahren! –<br />

ist dies wenig Erfolg versprechend.<br />

32 33<br />

H<br />

Die wichtigste Komponente der heu-<br />

tigen Lepra-Arbeit jedoch ist der be-<br />

troffene Mensch. Nicht nur Patienten<br />

selbst, auch ihre Angehörigen werden<br />

oftmals diskriminiert. Eine Arbeit zu<br />

finden, mit der man sich und seine<br />

Familie ernähren kann, gleicht einem<br />

Spießrutenlauf zwischen alten Vorurtei-<br />

len und modernem Imagedenken. Ne-<br />

ben der rein medizinischen Behand-<br />

lung, die trotz fehlender Forschung seit<br />

Einführung der Multidrug-Therapie sehr<br />

einfach ist, liegt der Schwerpunkt der<br />

Arbeit heute auf dem Kampf gegen die<br />

Diskriminierung, weil sie das größte<br />

Hindernis bei der Überwindung der<br />

Lepra darstellt: Infizierte Menschen, die<br />

ihre Erkrankung selbst schon bemerkt<br />

haben, verstecken die Hautflecken vor<br />

ihren Mitmenschen, weil sie soziale<br />

Ausgrenzung fürchten. Kaum ein Pati-<br />

ent würde sich in ein Behandlungszen-<br />

trum wagen, das ausschließlich Lepra-<br />

patienten behandelt. Daher kümmern<br />

sich Leprazentren heute um viele Haut-<br />

krankheiten.<br />

H<br />

Nach erfolgreicher medizinischer Be-<br />

handlung ist für die meisten Patienten<br />

eine soziale Betreuung notwendig. Trotz<br />

aller Vorsicht haben Verwandte, Nach-<br />

barn oder Arbeitskollegen von der Er-<br />

krankung erfahren. Der Verlust des<br />

Arbeitsplatzes, der Verweis von der<br />

Schule oder die soziale Ächtung durch<br />

Nachbarn sind dann die Folge. Oft<br />

werden sogar Verwandte aus der ge-<br />

meinsamen Wohnung verbannt. In<br />

zahlreichen Hilfsprojekten haben Le-<br />

prahelfer diesen Menschen geholfen,<br />

Gelungene Integration heute: Joseph B. hat den Aussatz besiegt und lebt wieder mit<br />

seiner Familie im Heimatdorf<br />

wieder Zugang zum gesellschaftlichen<br />

Leben zu finden: zu einem Arbeitsplatz<br />

und einem Wohnumfeld, das ein nor-<br />

males, selbstbestimmtes Leben ermög-<br />

licht. Diese Arbeit geht über die medi-<br />

zinische Heilung hinaus. Viele Menschen<br />

in diesen Einrichtungen hatten selbst<br />

keine Lepra, sondern waren lediglich als<br />

Angehörige von Kranken ausgestoßen<br />

worden. Rund vier Millionen Menschen<br />

weltweit müssen derzeit mit Behinde-<br />

rungen aufgrund einer eigenen Lepra-<br />

Erkrankung leben, mindestens doppelt<br />

so viele Angehörige sind von Diskrimi-<br />

nierungen mitbetroffen.<br />

Die rein medizinische Arbeit der DAHW<br />

war bereits ein großer Erfolg: Seit ihr er<br />

Gründung 1957 ist die Zahl der aku -<br />

t en Leprakranken von geschätzten<br />

12.000.000 auf heute 250.000 gesunken.<br />

Für die zukünftige Arbeit der Deutschen<br />

Lepra- und Tuberkulosehilfe lautet das<br />

Motto: »mehr care als cure«. Wir können<br />

die Menschen nicht nur medizinisch<br />

heilen und sie dann ihrem Schicksal<br />

überlassen, sondern müssen sie auf ihrem<br />

weiteren Lebensweg unterstützen – nach-<br />

haltig und verantwortungsbe-<br />

wusst. e<br />

Die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe wurde<br />

1957 unter dem Namen Deutsches Aussätzigen-<br />

Hilfswerk gegründet. 2003 erfolgte die Namens-<br />

änderung, um den Schwerpunkt Tuberkulose<br />

auch im Namen darzustellen. Die Abkürzung<br />

jochen hövekenmeier<br />

DAHW wird zur besseren Wiedererkennung vor allem bei Förderern<br />

weiter verwendet. Die DAHW ist ein eingetragener Verein mit<br />

Hauptsitz in Würzburg, der unabhängig von politischen und kon-<br />

fessionellen Überzeugungen gezielt Hilfe für kranke und ausge-<br />

grenzte Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern leistet.<br />

Aktuell unterstützt das Hilfswerk 295 Projekte in 35 Ländern und<br />

arbeitet dabei innerhalb verschiedener Netzwerke mit anderen<br />

Lepra-Hilfsorganisationen zusammen (www.dahw.de).


»Himmelserscheinungen«, so<br />

lautet das Motto der Wohlfahrts-<br />

marken 2009 und auch der Kölner<br />

Karneval ging in diesem Jahr mit<br />

der Losung »Himmlisch jeck« auf<br />

die Straßen. Das zeigt: Mit dem<br />

Himmel kann man wieder punk-<br />

ten – und in Zeiten, in denen es<br />

der Welt weder ökonomisch noch<br />

ökologisch gut geht, weiten sich<br />

Sehnsucht und Blick der Men-<br />

schen über die Grenzen des Welt-<br />

lichen, des Machbaren und Mess-<br />

baren hinaus.<br />

H<br />

Kunst hat nicht nur mit Können zu tun,<br />

sondern auch – und das ist nicht weni-<br />

ger wichtig – mit Künden. An der Ma-<br />

rien-Basilika in Kevelaer wird dies<br />

gleich zweimal bewiesen. Bert Gerres-<br />

heim hat das Südportal der Kirche als<br />

Portal der Nachfolge Christi gestaltet<br />

und das Fenstermaßwerk über dem<br />

Hauptportal für die reliefartige Darstel-<br />

lung der Apokalypse genutzt. In beiden<br />

Bert Gerresheim, geboren 1935 in Düsseldorf,<br />

ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen<br />

Bildhauer. In seinen Werken ließ er sich unter<br />

anderem von Michelangelo, Bernini, Antonio<br />

Gaudí und Auguste Rodin inspirieren.<br />

Zunehmend stellt er die Größe des Menschen<br />

dar, die ihm von Gott verliehen wird<br />

(»Verwandlung und Vergöttlichung«).<br />

Er lenkt den Blick auf einen Ausschnitt des<br />

menschlichen Körpers, auf die Physiognomie<br />

und Körpergestik, in dem sich das ganze<br />

Leben des jeweiligen Menschen abbildet.<br />

Bert Gerresheim hat mit Zustimmung der<br />

Wallfahrtsleitung der Marien-Basilika in<br />

Kevelaer den kostenfreien Abdruck seines<br />

Kunstwerkes genehmigt.<br />

Das außergewöhnliche Leben Pater Damians hat nicht nur vielen Gläubigen<br />

wichtige Anstöße gegeben, sondern auch zahlreiche Künstler inspiriert, diese Gestalt,<br />

ihr Leben und Wirken in Büchern, Bildern und Skulpturen zu interpretieren.<br />

<strong>Himmlische</strong> Aussichten<br />

Kunstwerken ist auch Damian De Veuster zu sehen, nicht als<br />

einsamer Held, sondern in der Gemeinschaft der Seligen und<br />

Heiligen: mit Mutter Teresa, Hedwig Dransfeld, Maria Stol-<br />

lenwerk und Josepha Stenmans und in unmittelbarer Nach-<br />

barschaft von Pauline von Mallinckrodt, Franziska Schervier<br />

sowie Vinzenz von Paul.<br />

In die größere Gemeinschaft der Heiligen eingebunden zu<br />

sein, erinnert daran, dass Menschen nicht aus eigener Kraft<br />

heilig werden. Sie verbindet, dass sie aus demselben Heiligen<br />

Geist leben, der sie begnadet und befähigt. Von ihm werden<br />

sie »ausgestattet« mit den Gaben, die sie für ihre Zeit benö-<br />

tigen, damit Menschen spüren, was Gott heute wirken will.<br />

Es ist genau dieser Geist, der sie nicht untätig warten lässt,<br />

bis der Herr wiederkommt; der sie durch Taten der Nächsten-<br />

liebe sagen lässt: »Amen, komm Herr Jesus«. Zudem wirken<br />

sie im Sinne der Apokalypse mit, damit Menschen erfahren,<br />

dass die Erlösung begonnen hat und ihr Leben, ihre Situation<br />

bereits jetzt verwandelt.<br />

34<br />

35<br />

H<br />

Im Falle P. Damians bedeutet dies: Gott wollte den Aussätzi-<br />

gen, den Ausgestoßenen durch Damian mitteilen, ihr seid<br />

nicht von Gott und »allen guten Geistern« verlassen. Vielmehr<br />

lässt er sie in ihrem Elend spüren, welche Würde sie trotz<br />

allem haben und welche himmlische Perspektive.<br />

Damian hat wie die Heiligen, die ihn auf dem Portal und<br />

in der Apokalypse umgeben, konsequent vorgelebt: Diese<br />

himmlische Perspektive beginnt nicht erst nach dem Tod und<br />

bleibt auch nicht denen vorbehalten, denen es gut geht auf<br />

der Erde. Spätestens nachdem Jesus Christus mit seinem<br />

Auftritt im Tempel und der Lesung aus dem Propheten Jesa-<br />

ja verkündet, dass das Reich Gottes heute angebrochen ist<br />

und sich die Verheißung heute erfüllt (Lukas 4,21), können<br />

Christen nicht mehr so tun, als habe die Gegenwart nichts<br />

mit der Zukunft, die Erde nichts mit dem Himmel und der<br />

Mensch nichts mit Gott zu tun.<br />

Die Menschen auf Molokai mussten nicht auf die Zeit nach<br />

dem Tod warten, um zu erfahren, wie sehr sie geschätzt sind<br />

und dass das Reich Gottes bereits heute<br />

H<br />

anfanghaft verwirklicht ist.<br />

Warum Menschen wie Damian sich frei-<br />

willig so konsequent auf die Seite der<br />

Leidenden, der Verfolgten und der Ver-<br />

achteten stellen können?<br />

Hierfür gibt es viele Gründe. Allen, die in<br />

Kevelaer dargestellt werden, ist gemein-<br />

sam, dass sie sich von Jesus Christus, dem<br />

menschgewordenen Evangelium, begeis-<br />

tern und leiten ließen; dass sie sich von<br />

Gott grenzenlos geliebt fühlten und dass<br />

sie nicht sich beweisen, sondern durch<br />

ihre Liebe »Gott beweisen« wollten.<br />

Dass Damian auf seiner Soutane das<br />

Emblem der Heiligsten Herzen, gleich-<br />

sam das Leitbild seiner Ordensgemein-<br />

schaft, trägt, zeigt den Grund für sein<br />

entschiedenes Leben: Nach dem Vorbild<br />

Mariens lebte er in der Überzeugung,<br />

ganz und gar, unter allen Umständen und<br />

überall von Gott geliebt zu sein. So konn-<br />

te er auch »am Ende der Welt« und »am<br />

Ende seiner Kraft« die Menschen noch<br />

immer lieben.<br />

H<br />

Heilige Menschen, »Himmelserschei-<br />

nungen«, begegnen uns, wo Menschen<br />

ganz anwesend sind, indem sie sich für<br />

Menschen einsetzen und ihnen gut tun;<br />

wo sie stellvertretend für Gott lieben, da-<br />

mit er spürbar wird, denn er hat heute kein<br />

anderes Herz als das eines je-<br />

den Menschen. e<br />

p. manfred kollig sscc


»Seliger Damian, Du hast dich<br />

durch den Heiligen Geist<br />

führen lassen als ein gehor-<br />

sames Kind Gottes. In deinem<br />

Leben und deinem missiona-<br />

rischen Wirken zeigst du, dass<br />

Christus jeden Menschen<br />

zärtlich und barmherzig liebt<br />

und eine Schönheit seines<br />

inneren Wesens enthüllt, die<br />

von keiner Krankheit, keiner<br />

Missbildung und keiner<br />

Schwäche völlig entstellt<br />

werden kann.« (Gebet am Ende<br />

der Predigt bei der Seligspre-<br />

chung am 4. Juni 1995 in<br />

Brüssel)<br />

papst johannes paul II<br />

»Um die Arbeit der Liebe und<br />

Heilung bei den Aussätzigen<br />

weiterführen zu können,<br />

brauchen wir einen Heiligen,<br />

der uns führt und beschützt.<br />

Pater Damian könnte dieser<br />

Heilige sein – ein Heiliger und<br />

Martyrer von so großer Liebe<br />

und ein wunderbares Beispiel<br />

des Gehorsams für uns<br />

Ordensleute. Ich glaube, dass<br />

dafür ein Wunder gefordert<br />

wird. Ich kenne ein wirkliches<br />

Wunder: dass die Angst aus<br />

den Herzen der Aussätzigen<br />

verschwunden ist, dass sie ihre<br />

Krankheit nicht mehr<br />

verstecken, sondern offen<br />

darüber reden und um<br />

Medizin bitten – und dass sie<br />

hoffen, geheilt zu werden. Die<br />

Veränderung des Herzens bei<br />

den Menschen und den<br />

Regierenden gegenüber den<br />

Aussätzigen – mehr Interesse,<br />

weniger Furcht,<br />

Bereitschaft zu helfen immer<br />

und überall: Das ist für mich<br />

das größte Wunder über-<br />

haupt.« (Brief vom Mai 1984<br />

an Papst Johannes Paul II.)<br />

mutter teresa<br />

»Die Welt der Politik und der<br />

Presse kennt nur wenige<br />

Helden, die mit Pater Damian<br />

von der Aussätzigensiedlung zu<br />

vergleichen sind. Die Mühe<br />

lohnt sich, nach der Quelle zu<br />

suchen, aus der so viel<br />

Heldentum kommt.«<br />

(Aus: T. N. Jagadisan, Mahatma<br />

Gandhi Answers the Challenge<br />

of Leprosy, Madras 1965)<br />

mahatma gandhi

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