Himmlische - Arnsteiner Patres
Himmlische - Arnsteiner Patres
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60800<br />
Mai 2009<br />
Apostel<br />
Zeitschrift der <strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong> Ausgabe 2/2009<br />
Themenheft zu Pater Damian De Veuster sscc<br />
• Ordensmann, Missionar und Apostel der Aussätzigen<br />
• Leben, Spiritualität und Wirkung<br />
• Menschen auf den Spuren von Pater Damian
Apostel. Zeitschrift der <strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong><br />
Sonderausgabe zur Heiligsprechung von Pater Damian<br />
Biographie »Aus dem Leben eines Heiligen« 4<br />
Damian und seine Ordensgemeinschaft heute 10<br />
Zur Spiritualität von Pater Damian 12<br />
Betende und aussätzige Hände 15<br />
Flüchtlingsarbeit in Deutschland 16<br />
Mutter der Müllmenschen von Kairo 21<br />
Krankenpfleger in den Slums von Manila 24<br />
Die Damian-Gedenkstätten in Belgien 28<br />
Lepra-Arbeit im Wandel der Zeit 30<br />
Pater Damian in der Kunst 34<br />
Impressum<br />
Apostel (ISSN 1611-0765)<br />
Herausgeber: Provinzialat der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens<br />
(<strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong> e. V.), Johannesstraße 36 A, 56112 Lahnstein, Tel.: 0 26 21 96 88 44, Fax: 0 26 21 62 99 20,<br />
E-Mail: provinzialat@sscc.de, Internet: www.sscc.de<br />
sscc ist die Abkürzung für die Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen, in Deutschland als <strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong><br />
und auch als Picpus (nach der Straße des Mutterhauses in Paris) bekannt.<br />
Redaktion: P. Peter Egenolf sscc (verantwortlich), P. Friedhelm Geller sscc, Kerstin Meinhardt,<br />
Thomas Meinhardt, Susanna Sargenti, P. Ludger Widmaier sscc<br />
Verlag: meinhardt, Verlag und Agentur, Magdeburgstr. 11, 65510 Idstein, Tel.: 0 61 26 9 53 63-0,<br />
Fax: 0 61 26 9 53 63-11, E-Mail: info@meinhardt.info, www.meinhardt.info<br />
Erscheinungsort: Lahnstein<br />
Auflage: 14.500 Exemplare, gedruckt auf 100 % Recyclingpapier<br />
Autoren: Sr. Emmanuelle Cinquin ✝ • Peter Egenolf sscc, Lahnstein • P. Friedhelm Geller sscc, Werne •<br />
Jochen Hövekenmeier, Kitzingen • P. Javier Álvarez-Ossorio sscc, Rom • P. Manfred Kollig sscc, Münster •<br />
André Madaus, Wiesbaden • Lars Maihöfner, z. Z. Philippinen • P. Ulrich Roos sscc ✝<br />
Titel: Gemälde von Edward Clifford, 1881, KNA<br />
Fotos: S. 2 und 3 KNA • S. 16 picture-alliance/dpa • S. 18 Arbeitsgemeinschaft Frieden, Trier • S. 21 Asmae<br />
Association Soeur Emmanuelle • S. 22 und 23 Agence France Presse • S. 23 Müll-Menschen-Hilfe e. V. •<br />
S. 24 bis 27 Franziska Kämper, Lars Maihöfner und Carolin Weber • S. 31 Repro: DAHW •<br />
S. 33 Jochen Hövekenmeier • S. 34 und 35 Bert Gerresheim und Wallfahrtsleitung der Marien-Basilika in<br />
Kevelaer • S. 36 KNA<br />
Alle weiteren Bilder aus dem Archiv der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen, Verlag und Agentur<br />
Meinhardt und von dem Fotografen Peter Zaloudek<br />
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung von Herausgeber und Redaktion<br />
wieder. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte und Fotos kann keine Haftung übernommen werden.<br />
Im Rahmen des Damian-Jahres finden Dankfeiern, Wallfahrten und eine Fahrt nach Rom<br />
zur Heiligsprechung statt. Zudem erscheint dieses Themenheft. Zur Finanzierung sind<br />
Spenden (Förderabos) nötig und willkommen. Überweisungen erbitten wir unter Angabe<br />
des Verwendungszweckes »Apostel« auf das Konto <strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong> e. V., Kontonummer<br />
656 120 010 bei der Nassauischen Sparkasse Lahnstein (BLZ 510 500 15). Für Zahlungen<br />
aus dem EU-Ausland: IBAN: DE86 5105 0015 0656 1200 10; SWIFT/BIC Code: NASS DE 55.<br />
Herzlichen Dank!<br />
Unsere Konvente<br />
<strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong><br />
Bohlweg 46<br />
48147 Münster<br />
Tel.: 02 51 48 25 33<br />
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<strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong><br />
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Johannesstraße 36 A<br />
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Tel.: 0 26 04 9 70 40<br />
Fax: 0 26 04 16 06<br />
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<strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong><br />
Marktstraße 13<br />
56746 Kempenich<br />
Tel.: 0 26 55 10 84<br />
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<strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong><br />
Kardinal-von-Galen-Straße 3<br />
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Pères des Sacrés Coeurs<br />
Rue de Marchienne, 12<br />
B-6000 Charleroi<br />
Tel.: 00 32 71 32 39 97<br />
Fax: 00 32 71 32 81 78<br />
»Die Liebe erträgt alles …«<br />
Liebe Leserin, Lieber Leser,<br />
der »Mann mit dem Strohhut«: Das Bild<br />
auf dem Titel stammt von Edward<br />
Clifford, einem englischen Künstler. Er<br />
besuchte Pater Damian im Dezember<br />
1888 auf Molokai, ungefähr vier Mo<br />
nate vor dessen Tod. Abends sitzt er<br />
lange mit ihm auf der Veranda seines<br />
Hauses und zeichnet ihn, während sie<br />
sich unterhalten oder der Priester sein<br />
Brevier betet.<br />
Als das Porträt schließlich fertig ist,<br />
beklagt sich Pater Damian: »Was für ein<br />
hässliches Gesicht. Ich wusste nicht,<br />
dass die Krankheit schon so weit fort<br />
geschritten ist.« Dabei hatte Clifford die<br />
Anzeichen der Lepra nur dezent andeu<br />
ten wollen. Ihm ging es darum, den<br />
Mann zu zeigen, der innerlich so ge<br />
sammelt schien und dessen gefühlvolles<br />
Gesicht er mit Vergnügen und Vereh<br />
rung betrachtete.<br />
Wie viel von der Krankheit darf man<br />
zeigen? Wie viel Bewunderung darf<br />
man in ein Bild legen? Der Streit um<br />
Cliffords Gemälde ist bezeichnend für<br />
die unterschiedlichen Bilder, die Men<br />
schen von Pater Damian hatten. Von<br />
Anfang an war er umstritten. Sein Vor<br />
gesetzter schrieb über ihn: »Guter Or<br />
densmann, guter Priester, sehr eifriger<br />
Missionar, doch übertriebener Einsatz<br />
für die Aussätzigen. Ich sage übertrie<br />
ben, denn er kann nicht Maß halten,<br />
und manchmal bringt ihn sein übertrie<br />
bener Eifer dazu, Dinge zu sagen, zu<br />
schreiben oder gar zu tun, welche die<br />
kirchliche Obrigkeit nur tadeln kann.«<br />
Viele Zeitgenossen aber hielten ihn für<br />
einen Helden. Gerade in sicherer Ent<br />
fernung, in Europa oder den USA fand<br />
er viele Bewunderer. Andere wehrten<br />
sich gegen dieses Bild. Ein protestan<br />
tischer Geistlicher streute den Verdacht,<br />
Damian habe sich den Aussatz durch<br />
heimliche Liebschaften zugezogen. Für<br />
ihn war der katholische Missionar ein<br />
»ungeschlachter, schmutziger Mensch,<br />
H<br />
eigensinnig und frömmlerisch«.<br />
Robert Louis Stevenson, der bekannte<br />
Autor der »Schatzinsel«, wollte dieses<br />
Urteil nicht gelten lassen. Selbst unheil<br />
bar krank, forscht er auf Molokai nach<br />
und kommt schließlich zu dem Urteil:<br />
Damian war »gewiss von Bauernart:<br />
pfiffig, unwissend und frömmlerisch,<br />
aber mit offenem Geist und ganz unge<br />
wöhnlich großherzig in den kleinsten<br />
wie in den größten Dingen und bereit,<br />
sein letztes Hemd wegzugeben, so wie<br />
er bereit war, sein Leben zu opfern, von<br />
Natur aus unbedacht und übereifrig,<br />
was ihn zu einem lästigen Zeitgenossen<br />
machte (…). Seine Unvollkommenheit<br />
zeigt sich in den Zügen seines Gesichts,<br />
an denen wir ihn als unseren Gefährten<br />
erkennen.«. Damian sei eben kein un<br />
fehlbarer Held gewesen und auch kein<br />
Heiliger von der feinen Art. Schmutzig<br />
unter den Aussätzigen sei aber besser<br />
H<br />
als rein und weit von ihnen entfernt.<br />
Vielleicht ist es diese unfeine Art von<br />
Pater Damian, die uns erkennen lässt,<br />
was es heißt, wenn die Kirche jemanden<br />
als einen »Heiligen« verehrt. Es zählt<br />
nicht, ob jemand viel oder wenig ge<br />
wusst oder geleistet oder geschrieben<br />
oder gebetet hat, sondern es zählt, wie<br />
sehr jemand geliebt hat. Paulus schreibt:<br />
»Die Liebe erträgt alles, glaubt alles,<br />
hofft alles, hält allem stand (…). Für<br />
jetzt bleiben Glaube, Hoffnung und<br />
Liebe, diese drei, doch am größten un<br />
ter ihnen ist die Liebe.« (1 Kor 13,13)<br />
Wie Jesus von Nazareth nach den<br />
Worten des Johannesevangeliums die<br />
Seinen bis zum Äußersten liebte, so ist<br />
auch Damian den Seinen treu geblie<br />
ben. »Wir Aussätzige«: So begann er<br />
seine Predigten auf Molokai, und so<br />
lebte und arbeitete er für die Seinen bis<br />
H<br />
zum Äußersten, bis zum Tod.<br />
Es ist eigentlich kein Wunder, wenn<br />
wir glauben, dass er auch »im Him<br />
mel«, also in der Vollendung seines<br />
Lebens, für die Seinen da ist und für<br />
die Kranken und Sterbenden bei Gott<br />
eintritt. »Die Liebe hört niemals auf«<br />
(1 Kor 13,8). Daher liegt nichts näher<br />
als das vertrauensvolle Gebet: »Heili<br />
ger Pater Damian, bitte für<br />
uns.« e<br />
p. peter egenolf sscc<br />
3
Das Leichte<br />
im Schweren<br />
Tabak und Kaffee<br />
Ein allgemeines Rauchverbot hätte ihm sicher nicht gefallen.<br />
Den Tabak brauchte er, um sich den Gestank der Krankheit<br />
vom Leib zu halten, »damit meine Kleider nicht nach Aussatz<br />
riechen«. Aber es war wohl mehr als bloße Nützlichkeit. In<br />
einem langen Brief an seinen Bruder Pamphile in Leuven<br />
steht mitten im französischen Text ein kleiner Satz in der<br />
flämischen Muttersprache: »Ich geh mal ein Pfeifchen rau-<br />
chen.« Den Tabak liebte er ebenso sehr wie eine andere<br />
»Droge« – den Kaffee. Beide Leidenschaften brachte er aus<br />
der Heimat mit. Einmal lud er in einem Brief scherzhaft seine<br />
alte Mutter nach Molokai ein und lockte sie mit dem guten<br />
H<br />
Kaffee, den er ihr dann servieren könnte.<br />
Es kam auch vor, dass er den Kaffee in einer Konservendose<br />
zusammen mit einem Ei kochte, das dann mit Schiffszwieback<br />
als essbarem Untersatz verzehrt wurde. Damian war und blieb<br />
ein praktischer Mann vom Bauernhof. Molokai wurde für ihn<br />
ein neues Heimatdorf, mit einer überschaubaren Anzahl von<br />
Menschen, Straßen und Häusern, abgegrenzt vom Rest der<br />
Welt. Paris, wo er einen Teil seines Noviziats verbrachte, oder<br />
später Honolulu blieben ihm fremd. Die großen Städte waren<br />
seine Sache nicht. In dem »neuen Tremelo« war er die wichtige<br />
Autorität, wie der Pastor in der Heimat. Die festliche Fron-<br />
leichnamsprozession mit Blaskapelle, Gesang und Blumen-<br />
schmuck hätte genauso im fernen Flandern stattfinden<br />
Aus dem Leben eines Heiligen<br />
können. Damian entwarf<br />
sogar einen Plan, die Lepra-<br />
siedlung nach Art einer Abtei<br />
zu führen, mit festen Zeiten<br />
für Gebet und Arbeit und ihm<br />
selbst als Abt.<br />
Zu Hause hatte Damian gelernt,<br />
mit einer großen Familie zu leben.<br />
Drei Generationen wohnten unter einem<br />
Dach: die Großeltern väterlicherseits, die<br />
Eltern und acht Kinder, von denen Damian das<br />
Siebte war. Das gemeinsame Essen aus einer einzigen<br />
Schüssel war ihm bekannt, sodass er in Hawaii ohne Zögern<br />
mit der »Herrgottsgabel« in die traditionelle Speise Poi-Mus<br />
griff, ohne Rücksicht auf eine mögliche Ansteckung. Auch<br />
seine Pfeife ließ er rundgehen. Ganz selbstverständlich über-<br />
nachtete er in den Hütten der Einheimischen, vor allem zu<br />
Anfang seiner missionarischen Arbeit auf der »großen Insel«<br />
Hawaii, als er noch keine eigene Unterkunft hatte. Solche<br />
Unbekümmertheit hat ihm später manche Verdächtigung im<br />
Hinblick auf Frauen eingetragen, auch vonseiten derer, die es<br />
eigentlich besser wissen mussten.<br />
Eine Schlittschuhpartie<br />
mit Folgen<br />
Damian blieb immer ein Landmensch. Mit dem Wasser war<br />
er nicht besonders Freund, obwohl er mitten in einem gro ßen<br />
Ozean lebte. Das Meer erschien ihm fremd und gefährlich.<br />
In seinem Bericht über die lange Schiffsreise 1863 erzählt er,<br />
wie die Seekrankheit ihn wieder und wieder überfiel. Vielleicht<br />
hat auch der Gedanke an die jährlichen Überschwemmungen<br />
zu Hause seine Wasserscheu verstärkt. Die traumatische Er-<br />
fahrung, als Junge beim Schlittschuhlaufen einmal fast er-<br />
trunken zu sein, hat er selbst geschildert:<br />
»An einem sehr kalten und nebligen Tag war ich auf Schlitt-<br />
schuhen unterwegs und fuhr mit einiger Geschwindigkeit die<br />
Dyle hinauf, um schnell nach Hause zu kommen. Das Eis war<br />
P. Damian als junger Missionar: Vor ihm lag ein schweres<br />
und außergewöhnliches Leben. Er selbst bezeichnete sich aber<br />
stets als glücklichen Menschen.<br />
prächtig und fest, und die Ufer des kleinen Flusses schienen<br />
nur so vorbei zu fliegen. Ich war in Eile und fühlte mich ir-<br />
gendwie wie ein Vogel im Sturzflug. Plötzlich – am Zusam-<br />
menfluss von Dyle und Laak – sehe ich, wie sich vor meinen<br />
Füßen ein Abgrund auftut, und ich hatte gerade noch Zeit,<br />
um mit vollem Körpereinsatz an zuhalten. Als ich zum Stehen<br />
gekommen war, konnte ich sehen – und allein schon der<br />
Gedanke daran lässt mich schaudern – dass ich direkt am<br />
Ende der Eisdecke stand. Meine erste Bewegung war, sofort<br />
auf die Knie zu fallen, um Gott zu loben und meinem guten<br />
Engel zu danken, dass er mich solch offenkundiger Gefahr<br />
entrissen hatte.«<br />
Kirche auf Molokai, von P. Damian<br />
und den Aussätzigen gebaut<br />
4 5<br />
H<br />
Diese Geschichte sagt viel über den Menschen Damian De<br />
Veuster. Sie zeigt, was ihn im Innersten zusammenhielt: seine<br />
Tatkraft und der Wille, nach vorn zu gehen, keine Angst zu<br />
haben vor Risiko und Gefahren sowie die feste Überzeugung,<br />
bei allem in der Hand Gottes und seines Engels zu sein.<br />
Heimatwurzeln<br />
Zu dieser Einstellung haben die Eltern den wohl größten Teil<br />
beigetragen. Nicht von ungefähr gehen drei ihrer Töchter und<br />
»Wir Aussätzige«, predigte P. Damian.<br />
Nach 14 Jahren auf der Leprakolonie Molokai erkrankt er<br />
selbst am Aussatz und wird auch äußerlich einer von ihnen.<br />
zwei Söhne ins Kloster. Die Mutter<br />
hielt immer etwas für die vielen<br />
Hilfesuchenden bereit, es gab jede<br />
Woche einen »Bettlertag« bei den<br />
De Veusters. Ein fester Punkt im<br />
Tagesablauf der Familie war das<br />
Abendprogramm, das die Mutter<br />
gestaltete. Sie las den Kindern aus<br />
einem großen, schön verzierten Buch<br />
vor, dem »Leben der Heiligen«. Der<br />
kleine Sjef – Josef ist sein Taufname – war<br />
manchmal so begeistert, dass er die anderen<br />
überredete, im Wald »Einsiedler« zu spielen. Er<br />
war ein aufgewecktes Kind, das außer Eremit sicher<br />
auch Räuber und Schandit (Räuber und Gendarm,<br />
Anm. d. Red.) gespielt hat. Denn, dass er nur brav und in sich<br />
gekehrt war – »kaum geboren, auserkoren« –, dürfte das<br />
H<br />
Ergebnis frommer Legendenbildung sein.<br />
Die Männer seines Heimatortes Tremelo waren im Umkreis<br />
als »Messerstecher« bekannt. Vielleicht hat Damian auch<br />
davon etwas abbekommen. Der 18-Jährige schrieb aus der<br />
Mittelschule in Braine-le-Comte, wo er Französisch lernte:<br />
»Wenn die Wallonen über mich lachen, schlage ich sie mit<br />
einem Lineal.« Aber danach hatte er keine Schwierigkeit, beim<br />
gemeinsamen Spaziergang eben diese Wallonen immer<br />
wieder zu fragen, »wie die Dinge auf Französisch heißen«.<br />
Später in Molokai zog er mehr als ein Mal im übertragenen<br />
Sinn das Messer, wenn er für seine Schützlinge, die Aussätzi-
P. Damians Tor zur Welt.<br />
In zahlreichen Briefen hielt er<br />
Kontakt zu seiner Familie und<br />
den Mitbrüdern.<br />
Er informierte die Öffentlichkeit<br />
über Molokai und warb um<br />
Hilfe und Unterstützung.<br />
gen, kämpfte und mit Wut im<br />
Bauch den Behörden und auch<br />
seinen Oberen gegenübertrat.<br />
Der Vater bewirtschaftete einen<br />
kleinen Bauernhof mit vier Hektar<br />
Land. Die De Veusters waren nicht<br />
arm, ihnen gehörte das erste Back-<br />
steinhaus in Tremelo. Beide Eltern<br />
hatten im wallonischen Rebeq In-<br />
ternatsschulen besucht, was vor allem für Mädchen unge-<br />
wöhnlich war. Vom Vater lernte Damian sein eigenes Vater-<br />
Sein in Molokai, vielfältige Fertigkeiten und die Kunst, sich<br />
neuen Situationen anzupassen.<br />
Sechsunddreißig<br />
Handwerke …<br />
Mit 13 konnte der »dicke Sjef« schon die schweren Getreide-<br />
säcke stemmen. Er lernte die »36 Handwerke«, die ihm sein<br />
erster Biograf Charles Warren Stoddard später bescheinigen<br />
sollte. Sjef war ein »Holzwurm«, wie sein biblischer Namens-<br />
Sein Leben im Überblick<br />
1840 wird Joseph De Veuster am 3. Januar als siebtes von acht Kindern einer<br />
Bauernfamilie in Tremelo/Belgien geboren.<br />
1859 tritt er in das Noviziat der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten<br />
Herzen in Leuven ein, zu der auch schon sein älterer Bruder Pamphil<br />
gehörte.<br />
1860 legt er seine Gelübde ab und erhält den Ordensnamen Damian.<br />
1863 fährt Damian anstelle seines erkrankten Bruders als Missionar nach Hawaii.<br />
geber; Holz war sein Lieblingsmaterial.<br />
Eine Schreinerwerkstatt in der Nachbar-<br />
schaft war ihm ein beliebter Spielplatz.<br />
In Molokai baute er später Kapellen und<br />
Altäre aus Holz – und zimmerte Särge<br />
für die Toten. Einer dieser Altäre steht<br />
in seinem Geburtshaus, jetzt Museum,<br />
in Tremelo, und ist ganz so wie die<br />
Altäre der Heimat. Die Kerzenleuchter<br />
und den Dreh-Tabernakel fertigte er<br />
aus alten Ölkanistern, die spitzenver-<br />
zierten Tücher kamen von Schwestern<br />
seiner Ordensgemeinschaft.<br />
Aus Holz waren auch die neuen<br />
Wohnungen der Leprasiedlung, die<br />
Damian anstelle der feuchten und ungesunden Grashütten<br />
bauen ließ. Er zeigte den Eingeborenen, wie man Gemüse<br />
zieht, organisierte eine Blaskapelle, einen Chor und sportliche<br />
Wettbewerbe, leitete einen Tante-Emma-Laden, besorgte die<br />
Buchhaltung, erkundete eine Wasserquelle in einem benach-<br />
barten Tal und ließ eine Wasserleitung legen. Er fungierte als<br />
Schiedsrichter und Ombudsmann, war verantwortlich für<br />
Krankenstation und Waisenhaus, hielt den Kontakt zu Wohl-<br />
tätern, korrespondierte mit weltlichen und kirchlichen Amts-<br />
stellen und konnte wenigstens fünf Sprachen: Niederländisch,<br />
Französisch, Englisch, Hawaiisch, Portugiesisch. Er war Archi-<br />
1864 wird er am 21. Mai in Honolulu zum Priester geweiht und anschließend als Seelsorger<br />
in den Missionsbezirken Puna und Kohala auf der Insel Hawaii eingesetzt.<br />
1873 meldet sich Pater Damian freiwillig für den Dienst als Seelsorger in der Leprakolonie auf Molokai.<br />
Am 10. Mai trifft er ein und beginnt sofort, sich um die Ausgesetzten zu kümmern.<br />
1884 stellt man fest, dass der Missionar an Aussatz erkrankt ist.<br />
1889 stirbt Pater Damian am 15. April, dem Montag der Karwoche,<br />
im Alter von 49 Jahren und wird neben seiner Kirche in Molokai begraben.<br />
1936 werden seine Gebeine feierlich nach Belgien überführt und in der Krypta<br />
der Klosterkirche in Leuven beigesetzt.<br />
1995 wird Pater Damian von Papst Johannes Paul II in Brüssel selig gesprochen.<br />
tekt, Zimmermann und Maurer, Erfinder, Organisator,<br />
Lehrer, Pfarrer, Polizist und Notarzt – er half einer Frau<br />
bei der Geburt ihres Kindes.<br />
36 Handwerke – und mehr. Doch viel Licht erzeugt auch<br />
manchen Schatten. Sein späterer Gehilfe und treuer Freund<br />
Joseph Dutton musste bei aller Bewunderung sagen, dass der<br />
gute Pater hundert Sachen anfange, aber nicht zu Ende führe.<br />
… und eine Berufung<br />
Aber immer, und vor allem anderen, war Damian Priester:<br />
Jeder seiner Berufe wurde zu einer Berufung, jede Arbeit<br />
führte über die sichtbare Welt hinaus, wurde ein Weg zu<br />
einem Gott, der gut ist und ein Herz für die Menschen hat,<br />
so wie es ihn seine Ordensgemeinschaft gelehrt hatte. Einmal<br />
schrieb er den Eltern: »Wenn meine Leute den Priester lieben,<br />
der für Gott arbeitet, dann werden sie auch IHN lieben.« Wie<br />
der Diener, so der Herr, wie der Herr, so der Diener.<br />
Er begann und beschloss seinen Tag mit Gott. Am frühen<br />
Morgen hielt er Anbetung und feierte die Messe. Abends<br />
betete er auf dem Friedhof den Rosenkranz. Er wusste, dass<br />
die Toten leben, dass sie nicht endgültig im Grab verschwun-<br />
den sind. Er wusste sich als Mitglied der großen Familie mit<br />
Gott. Einer Familie, in der auch noch der scheinbar Letzte<br />
einen Platz beim Festessen erhält.<br />
6 7<br />
2009 wird er von Papst Benedikt XVI. in Rom heiliggesprochen.<br />
P. Damians Geburtshaus in Belgien<br />
H<br />
Damian war Praktiker und Mystiker. Das bekannte Bild des<br />
englischen Malers Clifford zeigt ihn im Schaukelstuhl auf der<br />
Veranda, die Beine übereinander geschlagen, in der »Nach-<br />
folge Christi« lesend, und die Bluejeans schauen unter der<br />
Soutane hervor.<br />
Studie des englischen Malers Edward Clifford,<br />
der P. Damian auf Molokai besuchte<br />
Von den 16 Jahren, die er in Molokai ver-<br />
brachte (1873 bis 1889), hatte er die meiste<br />
Zeit keinen Mitbruder an seiner Seite. Dieses<br />
Alleinsein war schlimmer als der Aussatz, und<br />
er beklagte sich mehr als einmal darüber,<br />
niemanden zu haben, mit dem er sich austau-<br />
schen und bei dem er beichten konnte. So ging<br />
er in die Kirche und hielt Zwiesprache mit dem<br />
gegenwärtigen Christus, bekannte ihm seine<br />
Sünden. »Ich weiß nicht, wo das noch enden<br />
wird, ergebe mich aber in die göttliche Vorse-<br />
hung und finde meinen Trost in dem einzigen<br />
Gefährten, der mich nicht verlässt: bei unserem<br />
Erlöser in der heiligen Eucharistie. Oft beichte ich vor dem<br />
Altar,« schrieb er im November 1885 an Pamphile; und an<br />
einen Mitbruder im Mai 1886: »Auf die Heilige Kommunion<br />
und das Heilige Sakrament verzichten, das wäre für mich das<br />
Schlimmste und würde meine Lage unhaltbar machen.«<br />
Den Berg hinauf<br />
Mit dem Aussatz, von dessen Infektion er vier Jahre vor seinem<br />
Tod sicher wusste, brachte ihn die seelische Isolation auf den<br />
Weg des Kreuzes, wie es bei allen Heiligen geschieht. Sechs<br />
Wochen vor seinem Tod schrieb er an Clifford: »Ich versuche,<br />
langsam meinen Kreuzweg hinaufzusteigen und hoffe, bald<br />
auf dem Gipfel meines Golgota anzukommen.« Der umtrie-<br />
bige Missionar des Anfangs, der in seinen Berichten stolz<br />
erzählte, welche Kapellen er gebaut und wie viele Leute er<br />
getauft habe, war ein kranker Mann geworden, der kaum noch<br />
laufen konnte, einen Arm in der Schlinge trug und vom<br />
Aussatz zerfressen wurde. Und doch machtvoller predigte als<br />
jemals zuvor!<br />
P. Damian bedeutet mir …<br />
Was mich an Pater Damian berührt ist seine Art, mit den<br />
Menschen zusammen zu sein. Er war jemand, der sein<br />
Leben bis zum Ende gegeben hat. Sein Engagement war endgültig. Er<br />
hätte nach einiger Zeit sagen können: »Ich gehe jetzt fort von hier, bevor<br />
auch ich an Lepra erkranke«. Obwohl er wusste, dass es ihn umbringen<br />
würde, blieb er – weil er sich mit den Menschen identifiziert hat, denen<br />
er diente und die frohe Botschaft brachte. Er sprach deshalb von »uns<br />
Leprakranken«, noch bevor er sich angesteckt hatte.<br />
sr. jeanne cadiou sscc, frankreich
Nicht zu zählen sind die Menschen, die von ihm auf die Spur<br />
Gottes gezogen wurden. Schon bald nach seinem Tod, in den<br />
1890er Jahren, entstanden in vielen Ländern Schulen,<br />
Kollegien und Institute mit seinem Namen, wie das<br />
Damianeum in Simpelveld, wo viele Jahrzehnte lang<br />
der deutsche Ordensnachwuchs ausgebildet wurde.<br />
Bis heute ist Damian die Leitfigur für die jungen<br />
Frauen und Männer in Afrika und Asien, die<br />
sich in seiner Gemeinschaft lebenslang engagieren<br />
möchten.<br />
H<br />
Damian hat viel Lob und Anerkennung<br />
erfahren. Er hat viele Künstler inspi-<br />
riert. Seine Statue steht für den Staat<br />
Hawaii im Kapitol von Washington,<br />
sein Bild findet sich in Hunderten<br />
von Kirchen, Kapellen und Häusern<br />
rund um den Erdball. Hilfswerke in<br />
aller Welt mühen sich in seinem<br />
Namen um Leprapatienten und<br />
andere stigmatisierte Kranke. Er<br />
wird in Büchern lebendig, in Ge-<br />
dichten und Liedern besungen.<br />
Die Flamen haben ihn 2007 zum<br />
»größten Belgier aller Zeiten« ge-<br />
wählt. Aber all das – so würde er<br />
uns wohl sagen – zählt wenig,<br />
verglichen mit den Menschen, die<br />
ihn ehren, indem sie leben und<br />
handeln wie er.<br />
Geschmack an Gott<br />
Wenn man nach einer Formel sucht,<br />
die den Heiligen und seine Anziehungs-<br />
kraft, das Geheimnis seiner Faszination<br />
erklären kann, so ist es vielleicht dieses: Er<br />
verstand es, die Wirklichkeit hinter der<br />
Oberfläche sichtbar zu machen, das Leichte<br />
im Schweren. Wenn er eine Wunde verband,<br />
so tat er es nicht nur, um den Eiter zu stoppen,<br />
sondern um den Kranken froh zu machen, sei es<br />
auch nur für kurze Zeit. Wenn er einen Sarg zim-<br />
merte, so um dem Toten eine letzte Ehre zu erweisen.<br />
Wenn er aus einer alten Blechdose eine Flöte fertigte, so<br />
um Musik zu machen, die das Herz erfreut. Wenn er Ge-<br />
P. Damian kurz vor seinem Tod. Er stirbt glücklich und mit der Gewissheit,<br />
seinem Herrn bis zum Ende gedient zu haben.<br />
müse und Kräuter anbauen ließ, so um dem üblichen faden<br />
Einheitsbrei etwas Geschmack zu geben.<br />
Immer schimmert das Andere und DER Andere durch. Hinter<br />
der Bedrohung wartet eine gute Botschaft. Selbst unter dem<br />
erbärmlichsten Elend verbirgt sich noch Hoffnung, auch die<br />
stinkende Fäulnis weckt noch den Wunsch nach Reinheit.<br />
Damian fand das Leichte im Schweren, was Paulus mit ande-<br />
ren Worten so beschreibt: »Jetzt trage ich meine Schwäche<br />
gern, ja, ich bin stolz darauf, weil dann Christus seine Kraft<br />
an mir erweisen kann.« (2 Kor 12,10)<br />
In seinem ersten Bericht, nach vier Monaten auf Molokai,<br />
schrieb Damian im August 1873 an den Generalobern in<br />
Paris: »Ich erinnere mich oft an einen Vergleich des hochwür-<br />
digen P. Euthyme Rouchouze (der vorherige<br />
Generalobere; Anm. des Verf.) bei unseren<br />
letzten Exerzitien. Nachdem er vier oder fünf<br />
Mal an einem Tag gepredigt hatte, sagte er:<br />
›Ich bewundere den Kanal, der von einem<br />
Behälter ausgeht und das Wasser weiterlei-<br />
tet.‹ « Ein solcher Kanal wollte Damian sein, ein<br />
leeres Rohr, durch das die Gnade fließen kann,<br />
ein Werkzeug in der Hand des Herrn. So sieht<br />
er am Ende sogar seine Krankheit. »Denn<br />
letztlich ist diese Krankheit ein Werkzeug der<br />
Vorsehung, um das Herz von aller Anhänglich-<br />
keit an das Irdische zu befreien und den<br />
Wunsch der christlichen Seele zu fördern, mit demjenigen<br />
vereinigt zu sein, der ihr ganzes Leben ist – und zwar je<br />
schneller, desto besser«, schrieb er in seinem letzten Brief an<br />
8 9<br />
Clifford.<br />
H<br />
Damian hat sein Programm in einem Brief vom 25. Novem-<br />
ber 1873 an seine Eltern geschrieben; es steht jetzt in eisernen<br />
Buchstaben auf seinem Grab in Leuven: »Ich finde mein<br />
größtes Glück darin, dem Herrn in seinen armen und kranken<br />
Kindern zu dienen, die von den anderen Menschen<br />
verstoßen werden.« e<br />
p. friedhelm geller sscc<br />
P. Damian bedeutet mir …<br />
Die Kirche ist gegenwärtig in einer Situation, die vergleichbar<br />
mit der Mission ist. Die Menschen wissen nichts mehr<br />
über das Christentum, und wenn sie etwas darüber wissen, sind es Dinge,<br />
die sie verabscheuen. Die Herausforderung besteht darin, in dieser<br />
Kultur die Frische des Christentums zu verkünden – wie es P. Damian<br />
getan hat: Inmitten der kranken Menschen baute er die Kirche auf, nicht<br />
bloß als Gebäude, sondern als Gemeinschaft.<br />
p. serge gougbèmon sscc, frankreich
Damian und seine Ordensgemeinschaft heute<br />
Pater Damian ist bei uns bekannt als Apostel der Aus-<br />
sätzigen, als ein Mensch, der sich bis zum Äußersten<br />
für die Leprakranken einsetzte. Viele sehen in Damian<br />
den Schutzpatron der Leprakranken oder den Heiligen<br />
der Aidskranken. Doch er war noch etwas anderes:<br />
Damian war Gesandter einer Ordensgemeinschaft mit<br />
einem klaren Auftrag. Pater Javier Álvarez-Ossorio,<br />
Generalsuperior der Ordensgemeinschaft der Hei-<br />
ligsten Herzen, schreibt über diesen Ordensmann und<br />
H<br />
seine Wirkung auf die Gemeinschaft.<br />
»Ich halte mich für den glücklichsten Missionar der ganzen<br />
Welt«, schrieb Damian in einem seiner Briefe aus Molokai.<br />
Es geht freilich um ein »seltsames Glück«. Damian lebte<br />
unter harten Bedingungen und hatte Konflikte mit seinen<br />
Gefährten und Oberen. Viele verstanden ihn nicht. Er kämpfte<br />
mit seinen Skrupeln und dem Bewusstsein, ein Sünder zu<br />
sein. Schließlich erlitt er selbst den Verfallsprozess, den die<br />
Leprakrankheit hervorruft.<br />
H<br />
Damian verstand sich als »Missionar«. Er verband damit eine<br />
Vorstellung von »Mission«, die in seiner Zeit in der Ordens<br />
gemeinschaft und in der Kirche verbreitet waren. Inspiriert<br />
war er vom Vorbild zweier großer Missionare: von Jean Marie<br />
Vianney, dem Pfarrer von Ars mit seinem unermüdlichen<br />
Eifer für die »Rettung der Seelen«, und von Franz Xaver, der<br />
in weit entfernte Länder reiste, um dort Menschen zum<br />
Christentum zu bekehren. Das große Abenteuer der Evange<br />
lisierung der pazifischen Inseln, die uns vom Heiligen Stuhl<br />
anvertraut war, bot eine besondere Möglichkeit für diese<br />
heroische Art von Mission, die dem Auftrag Jesu im Matthäus<br />
evangelium entsprach: »Geht in alle Welt und macht alle<br />
Menschen zu meinen Jüngern...« (Mt 28,19).<br />
Vor dem Hintergrund dieses Missionsverständnisses fällt bei<br />
Damian auf, dass er eine besondere Zuneigung zu den Men<br />
In den beiden letzten Jahrzehnten beschäftigten sich viele<br />
Schwestern und Brüder der weltweiten Familie sscc mit dem<br />
Leben und Wirken Damian De Veusters. Viele Projekte und<br />
Neuaufbrüche der Ordensgemeinschaft legen davon ein<br />
Zeugnis ab. Auch die Gestaltung von Kapellen und Kirchen<br />
wurde von der Auseinandersetzung mit diesem Mitbruder<br />
beeinflusst: Fensterbild in der Pfarrei San Victor in Madrid.<br />
schen empfand, zu denen er gesandt war, zunächst auf der<br />
Hauptinsel Hawaii und später auf Molokai.<br />
Mission als Abenteuer<br />
Die unmittelbare Wirkung Damians auf die Sendung unserer<br />
Ordensgemeinschaft war und ist die Faszination, die sein<br />
Leben bei vielen von uns auslöste. Zahlreiche Mitbrüder und<br />
schwestern sind aufgrund seines Zeugnisses in die Gemein<br />
schaft eingetreten. Natürlich haben wir heute eine andere<br />
Vorstellung von Mission. Unsere Sendung, wie wir heute<br />
sagen, hat nichts mehr mit dem religiösen Bekehrungseifer<br />
des 19. Jahrhundert zu tun, der verdächtig eng mit poli<br />
tischem, kulturellem oder wirtschaftlichem Kolonialismus<br />
verwoben war. Auch gibt es kaum jemanden von uns, der<br />
einen so radikalen Dienst an den Ärmsten verrichtet. Den<br />
noch erzeugt Damian weiterhin einen machtvollen »missio<br />
narischen Impuls«. Wie Damian wollen wir das Evangelium<br />
verkünden, sodass der Glaube nicht in Innerlichkeit verharrt –<br />
ohne Auswirkung nach außen. Wie Damian wollen wir uns<br />
in konkreter und wirksamer Weise den Menschen zuwenden,<br />
vor allem denen, die am meisten leiden. Schließlich sind wir<br />
mit ihm verbunden in der tiefen Erfahrung des Glücks, die<br />
ihm niemand rauben konnte. In diesem Impuls Damians<br />
H<br />
finden wir auch heute die Inspiration für unsere Sendung.<br />
Von »außen« gesehen, wirkt Damian wie ein Held der<br />
Menschlichkeit und des Dienstes an den Armen und Ausge<br />
schlossenen. Dank seines Einsatzes veränderte sich die Sicht<br />
der Welt auf die Leprakranken. Viele Menschen haben sich<br />
an seinem Vorbild orientiert, zum Beispiel im Bemühen<br />
um Gerechtigkeit und Solidarität mit den<br />
Ärmsten.<br />
Geheimnis des Glaubens<br />
Will man aber wirklich wissen, wer Damian<br />
ist, muss man versuchen, sich in sein »Inneres«<br />
zu begeben, in das Heiligtum seines Herzens –<br />
wo jenes seltsame Glück entstand und einen<br />
Menschen bewegte, der sich vor allem als<br />
Glaubender und als Priester fühlte, als Sohn<br />
der Heiligsten Herzen Jesu und Mariens und<br />
als Missionar des Gottes der Barmherzigkeit<br />
und des Mitgefühls. Wie er selbst sagte, fand er die Kraft für<br />
seinen Einsatz im Geheimnis des Glaubens, in der Eucharistie<br />
und am Fuß des Kreuzes seines Herrn. Nur wer von diesem<br />
»Geheimnis« weiß, kann diesen starken und tatkräftigen<br />
Mann verstehen, der seine flämische Heimat verließ, um das<br />
Evangelium am anderen Ende der Welt zu verkünden und<br />
H<br />
schließlich sein Leben für die Leprakranken hinzugeben.<br />
Heute will unsere Ordensgemeinschaft ihre missionarische<br />
Dynamik erneuern, indem sie aus derselben Quelle schöpft,<br />
aus der auch Damian seine Kraft bezog. Damals wie heute<br />
geht es darum, die Menschen einzuladen, ihr Leben an der<br />
in Christus offenbarten Liebe Gottes festzumachen. Diese<br />
Liebe machen wir bekannt durch unsere eigene Erfahrung,<br />
die zweifellos begrenzt, aber dennoch aussagekräftig ist: Es<br />
ist die Freude, sich von Gott geliebt zu wissen! Wie Damian,<br />
wissen wir uns berufen, zu lieben und in besonderer Weise<br />
den Armen zu dienen, den Ausgeschlossenen, den Kleinen,<br />
den Verlassenen, den Leidenden. Das Mitgefühl – ein wesent<br />
liches Merkmal Damians – lässt uns an der Barmherzigkeit<br />
Gottes teilhaben und an seiner Leidenschaft für das Anbre<br />
chen seines Reiches. Dieses Mitgefühl öffnet uns auch die<br />
Augen dafür, dass ein großer Teil unserer Zeitgenossen im<br />
geistlichen Sinne verwaist ist. Es drängt uns, die Wärme der<br />
Liebe Gottes dieser Zivilisation anzubieten, die ihren Vater<br />
nicht zu kennen scheint. So werden wir jenes unglaubliche<br />
Glück empfinden, das uns niemand mehr rauben kann und<br />
das einfach daher rührt, dass man ohne Bedingung<br />
und ohne Maß zu lieben weiß. e<br />
p. javier álvarez-ossorio sscc<br />
P. Damian bedeutet mir …<br />
Es ist mir eine große Freude, dass unser Mitbruder, der<br />
eine große Persönlichkeit gewesen ist, jetzt als Erster aus<br />
der Kongregation heilig gesprochen wird. Mich hat immer beeindruckt,<br />
dass er keine Angst vor der Krankheit hatte und sich nicht scheute, mit<br />
den Leprakranken zusammen zu essen oder mit ihren Kindern zu spielen.<br />
Man muss schon heilig sein, um so etwas zu vollbringen.<br />
sr. hortense marie bouquet sscc, frankreich<br />
11
Zur Spiritualität<br />
von Pater Damian<br />
Wer sich mit dem Leben von Pater<br />
Damian auseinandersetzt, wird sich die<br />
Frage stellen: »Wie kommt er dazu, zu<br />
den Aussätzigen zu gehen? Wie kommt<br />
er dazu, das Risiko der Ansteckung<br />
einzugehen und sich damit freiwillig<br />
dem sicheren Tod auszuliefern?« Schon<br />
Mahatma Gandhi sagte im Blick auf<br />
Pater Damian: »Die Mühe lohnt sich,<br />
nach der Quelle zu suchen, aus der so<br />
H<br />
viel Heldentum kommt.«<br />
Vieles im Leben Damians ist ganz und<br />
gar nicht spektakulär. Dass der Bauern<br />
sohn Priester und Missionar werden<br />
wollte, ist im damaligen katholischen<br />
Flandern nicht ungewöhnlich. Schon<br />
drei ältere Geschwister sind vor ihm ins<br />
Kloster gegangen. Man staunt vielleicht<br />
über die Hartnäckigkeit, mit der der<br />
junge Joseph sich mit seinem Berufs<br />
wunsch durchsetzt. Denn der Vater will,<br />
dass er den elterlichen Hof übernimmt,<br />
zumal der Junge Freude am Handwerk<br />
und an der Landwirtschaft hat. Er ist<br />
alles andere als ein Intellektueller. Es<br />
fällt ihm schwer, in Schule und Studi<br />
um mitzuhalten. Doch er strengt sich<br />
an, sein Ziel zu erreichen.<br />
Später sind es eher Zufälle und äußere<br />
Umstände, die sein Leben lenken. Der<br />
für die Mission auf Hawaii bestimmte<br />
ältere Bruder wird krank, und auf dem<br />
Schiff ist ein Platz frei. Damian bittet<br />
um die Erlaubnis, anstelle seines Bru<br />
ders gehen zu dürfen. Auf Hawaii be<br />
richtet der Bischof vom Schicksal der<br />
Aussätzigen und fragt nach Freiwilligen.<br />
Damian meldet sich und bittet darum,<br />
als Erster gehen zu können. Später<br />
bleibt er dann für immer.<br />
Auf der Suche nach der Quelle<br />
Es sind Zufälle und äußere Umstände.<br />
Und dennoch: Als die Gelegenheit sich<br />
bietet, sagt Damian: »Hier bin ich.<br />
Schickt mich.« Dass er die Gelegenheit<br />
ergreift und die Herausforderung an<br />
nimmt, zeichnet ihn aus. Der dänische<br />
Philosoph Sören Kierkegaard sagte ein<br />
mal: »Man muss im Leben darauf achten,<br />
wann für einen das Stichwort fällt.«<br />
Als sein Stichwort fiel,<br />
stand er auf<br />
Pater Damian wurde, was er war, weil<br />
er bereit war und aufgestanden ist, als<br />
sein Stichwort fiel. Im Theater des Le<br />
bens ist er nicht im Zuschauerraum<br />
geblieben. Er hat sich auf die Bühne<br />
gewagt, seine Rolle gespielt und die<br />
Aufgabe angenommen, die Gott für ihn<br />
bestimmt hatte und die kein anderer<br />
hätte übernehmen können. So wurde<br />
sein Leben auch kein Leben von der<br />
Stange und kein Leben aus zweiter<br />
Hand, sondern sein ureigener persön<br />
licher Weg, die Antwort auf einen per<br />
sönlichen Ruf. Um das zu verstehen<br />
und selbst zu erfahren, muss man wirk<br />
lich an »Berufung« glauben und an den<br />
Gott, der den Menschen beim Namen<br />
ruft und auf einen Weg schickt, den kein<br />
anderer gehen kann. Und um dem<br />
einmal eingeschlagenen Weg auch in<br />
Schwierigkeiten treu zu bleiben, muss<br />
man an den Gott glauben, der einen<br />
nicht alleinlässt, sondern begleitet und<br />
12 13<br />
trägt.<br />
Hier sind wir an der Quelle angelangt,<br />
aus der sich solch ein Leben nährt.<br />
Der Verweis auf die christliche Nächs<br />
tenliebe greift sicher zu kurz. Niemand<br />
Tisa von der Schulenburg: Damian.<br />
Eine Tuschezeichnung von 1993.<br />
wird sein Leben für andere einsetzen,<br />
weil er im Religionsunterricht einmal<br />
gehört hat, dass man seinen Nächsten<br />
lieben soll. Überhaupt sind christliche<br />
Werte ja nicht so etwas wie Ideen, die<br />
man mit dem Verstand aufnimmt und<br />
dann einfach umsetzt. Bei Damian wird<br />
sichtbar: Seinen eigenen Weg kann er<br />
nur gehen, weil er in einer tiefen inne<br />
ren Bindung an Gott lebt, die in der<br />
Beziehung zu Jesus Christus Gestalt<br />
annimmt.<br />
Diese in der Familie grundgelegte<br />
christliche Prägung Damians hat sich<br />
in der Ordensgemeinschaft von den<br />
Heiligsten Herzen Jesu und Mariens<br />
noch vertieft. In der Mitte der Spiri<br />
tualität der Gemeinschaft steht die<br />
Überzeugung, dass Gott die Menschen<br />
nicht alleinlässt. »Gott hat die Welt so<br />
sehr geliebt, dass er seinen einzigen<br />
Sohn hingab, damit jeder, der an ihn<br />
glaubt, nicht zugrunde geht, sondern<br />
das ewige Leben hat.« (Johannesevan<br />
gelium, Kapitel 3, Vers 16).<br />
Gott lässt die Menschen<br />
nicht allein<br />
Das am Kreuz durchbohrte Herz Jesu<br />
ist der höchste Ausdruck für die Liebe<br />
Gottes, der sich von der Bosheit und<br />
der Gewalt der Welt treffen lässt, sie<br />
aber durch die Kraft seiner Liebe über<br />
windet, erlöst und versöhnt. Das Herz<br />
Marias steht für die einzigartige Verbun<br />
denheit der Mutter mit ihrem Sohn,<br />
dem sie bis unter das Kreuz folgt. Wie<br />
Maria Jesus nachfolgen, seine Sendung<br />
weiterführen, seine versöhnende Liebe<br />
selbst erfahren und anderen mit Wort<br />
und Tat und, wenn es sein muss, auch<br />
im Leiden bezeugen, das ist der Auftrag
der Gemeinschaft. »In Jesus finden wir<br />
alles; seine Geburt, sein Leben und sein<br />
Tod: Das ist unsere Regel«, sagt der<br />
Gründer der Gemeinschaft, Pierre Cou<br />
drin.<br />
14<br />
H<br />
Das hat Damian geprägt. Daher ist es<br />
auch nicht die Arbeit oder der Fort<br />
schritt in der Leprakolonie oder gar der<br />
Dank der Regierung oder die zuneh<br />
mende Berühmtheit, die Damian vo<br />
rantreiben. Es ist das Bewusstsein, im<br />
Dienst an »seinen Aussätzigen« Jesus zu<br />
dienen und ihm nahe zu sein, der sein<br />
Leben für die »Seinen« hingab. Als der<br />
fleißige Arbeiter selbst krank wird und<br />
den eigenen Tod vor Augen sieht, spürt<br />
er tiefes Glück, weil er sich mit dem<br />
verbunden weiß, dem er in den Ordens<br />
gelübden sein Leben geweiht hat. Da<br />
mals wurde den Kandidaten vor der<br />
Ablegung der Gelübde ein Leichentuch<br />
übergelegt als Zeichen dafür, dass sie<br />
der Welt sterben und ihnen in der Ge<br />
meinschaft mit Christus ein neues<br />
Leben geschenkt wird. So schreibt Da<br />
mian an seinen Bischof Hermann Kö<br />
ckemann: »Die Erinnerung daran, dass<br />
ich vor 25 Jahren am Tag meiner Ge<br />
P. Damian bedeutet mir …<br />
lübde unter dem Leichentuch lag, hat<br />
mir geholfen, der Gefahr, diese schreck<br />
liche Krankheit zu bekommen, ins<br />
Gesicht zu sehen und hier meine Arbeit<br />
zu tun, indem ich versuchte, mir selbst<br />
immer mehr zu sterben. Je mehr die<br />
Krankheit voranschreitet, fühle ich mich<br />
zufrieden und glücklich in Kalawao.«<br />
(29. Oktober 1885). Vier Monate später<br />
schreibt er an Sr. Mary Gabrielle: »Die<br />
schreckliche Krankheit, die der allmäch<br />
tige Gott jetzt bei mir ausbrechen lässt,<br />
habe ich seit meiner ersten Ankunft in<br />
diesem Aussätzigenheim vor 13 Jahren<br />
erwartet und von vornherein angenom<br />
men, und ich hoffe, dass mithilfe des<br />
Gebetes vieler Menschen unser Herr<br />
mir die nötigen Gnaden geben wird,<br />
mein Kreuz – ihm nach – auf unser<br />
besonderes Golgota auf Kalawao zu<br />
tragen.« (15. März 1886)<br />
Er fand Trost in der<br />
ständigen Gegenwart<br />
Gottes – in der Eucharistie<br />
Die Verbundenheit mit Jesus kommt<br />
für die Ordensgemeinschaft Damians<br />
vor allem in der Feier der Eucharistie<br />
und in der stillen Anbetung des eucha<br />
ristischen Brotes zum Ausdruck: In der<br />
Seit einem Jahr beherbergen wir im Chateau de Graves<br />
ein Haus für delinquente Jugendliche. Zurzeit sind es<br />
sieben Jungen, vorwiegend aus Afrika und zum Teil illegal in Frankreich.<br />
Über das Fußballprojekt Penalty wird versucht, die Jungen wieder<br />
an Regeln und Gemeinschaft heranzuführen. Seit ich mit den Jungen<br />
arbeite, spüre ich Ablehnung und Schweigen bei vielen Bewohnern der<br />
Gegend. Fast fühle ich mich mit den Jungen zusammen an den Rand<br />
gedrängt – ich spüre aber auch Ermutigung und hoffe, dass P. Damian<br />
für diese Jugendlichen eintritt, die immer noch überzeugt sind, dass<br />
morgen so sein wird wie heute – nur schlimmer…<br />
p. bertrand cherrier sscc, frankreich<br />
Eucharistie feiert die Kirche die Liebe<br />
Jesu, der sein Leben für die Seinen<br />
hingibt. In dieser Feier und in der kon<br />
templativen Anbetung finden die Or<br />
densleute die tägliche Quelle für ihren<br />
missionarischen Einsatz. Die Briefe<br />
Pater Damians verweisen immer wieder<br />
auf diese Quelle. Als seine Krankheit<br />
voranschreitet und ihn immer weiter<br />
schwächt, schreibt er an seinen Bruder<br />
Pamphil: »Ich ergebe mich in die gött<br />
liche Vorsehung und finde meinen Trost<br />
in meinem einzigen Gefährten, der<br />
mich nicht verlässt, das heißt unserem<br />
Erlöser in der heiligen Eucharistie.«<br />
(26. November 1885). An den anglika<br />
nischen Geistlichen Hugh B. Chapman<br />
schreibt er: »Ohne die ständige Gegen<br />
wart unseres Göttlichen Meisters auf<br />
dem Altar in meinen armen Kapellen<br />
hätte ich niemals mein Los bei den<br />
Aussätzigen von Molokai durchhalten<br />
können.« (26. August 1886)<br />
Auf der Suche nach der Quelle für<br />
Damians Leben macht man unwillkür<br />
lich eine weitere Entdeckung. Was ihn<br />
antrieb, war nicht nur eine Quelle für<br />
einen außergewöhnlichen Einsatz und<br />
für »Heldentum« (Gandhi), sondern<br />
auch für ein erfülltes Leben. Kurz vor<br />
seinem Tod schreibt er an seinen Bru<br />
der: »Ich bin immer noch glücklich und<br />
zufrieden und wünsche, wenngleich<br />
ziemlich krank, nichts mehr als die Er<br />
füllung des heiligen Willens des guten<br />
Gottes.« (12. Februar 1889). Es sind<br />
ganz eigene Maßstäbe, die Damian für<br />
ein glückliches und erfülltes Leben hat:<br />
nicht Gesundheit oder ein hohes Alter<br />
oder Wohlstand und Sicherheit, auch<br />
nicht eine besondere Lebensleistung,<br />
sondern das Bewusstsein, der eigenen<br />
Berufung gefolgt zu sein und dem<br />
Willen des guten Gottes zu<br />
dienen. e<br />
p. peter egenolf sscc
Betende und aussätzige Hände<br />
Betende Hände – aussätzige Hände<br />
wie gegensätzlich stehen sie nebeneinander:<br />
Nach oben gerichtet und zur Seite,<br />
gesund und krank,<br />
schön und unansehnlich,<br />
gesammelt und verausgabt.<br />
Und doch sind sie verbunden.<br />
In Gott sind sie verbunden,<br />
in Gott, der im Himmel ist,<br />
und in Gott, der genau so auf dieser Erde ist.<br />
Und in Jesus sind sie verbunden,<br />
in Jesus, der beim Vater ist;<br />
und in Jesus, der uns in jeder Schwester<br />
und in jedem Bruder entgegentritt.<br />
Betend heilen diese Hände<br />
und helfend, zupackend beten sie.<br />
Betende Hände sind Damians Hände<br />
und aussätzig sind sie, seine Hände.<br />
Die betenden Hände<br />
Schaut diese Hände an:<br />
Sie zeigen weg von dem, dem sie gehören,<br />
hin auf den anderen.<br />
Sie sind, so könnte man fast sagen,<br />
nicht mehr bei sich, sondern außer sich.<br />
Wer bei sich selbst stehen bleibt, tritt auf der Stelle.<br />
Wer heraustritt aus sich, der kommt weiter.<br />
Wie diese Hände: Mit ganzer Kraft nach oben ausgestreckt,<br />
so als wollten sie den Himmel berühren,<br />
den Himmel auf die Erde holen<br />
und die Erde mit dem Himmel verbinden.<br />
Die aussätzige Hand<br />
Offene Wunden überall –<br />
wer sich einläßt, kommt nicht ungeschoren davon;<br />
wer sich einsetzt, der trägt Wunden davon.<br />
Aber auch: Wenn ich die Finger davonlasse,<br />
kann ich mir auch die Hände schmutzig machen.<br />
So oder so – es bleiben Spuren,<br />
Spuren des Lebens oder Spuren des Todes<br />
in meinen Händen...?<br />
Betende Hände – aussätzige Hände<br />
Sie gehören zusammen,<br />
sind nur wie zwei Seiten der einen und selben Hände.<br />
Die betenden Hände unter der aussätzigen Hand;<br />
die Hand, selber getragen, kann andere tragen.<br />
Wer um Liebe weiß, kann auch andere lieben.<br />
Wer sich selbst heilen läßt, kann andere heilen.<br />
Pater Damian lebt mit Händen,<br />
die ihren Halt in Gott suchten<br />
und sich von ihm gehalten wußten,<br />
und darum auch die Schwester und<br />
den Bruder halten konnten. ulrich roos sscc ✝<br />
15
Auf Pater Damians Spuren: P. Wolfgang betreut Flüchtlinge in Deutschland<br />
Für ein Leben in Würde<br />
Anfang Januar ist das Land im Frost erstarrt. Selbst an der<br />
Loreley liegen die Temperaturen weit unter null Grad. An<br />
einem trüben Montagnachmittag stehe ich mit P. Wolfgang<br />
Jungheim und Jürgen Pirrong an der Hauptstraße von St.<br />
Go ars hausen und warte, dass uns jemand die Tür öffnet.<br />
P. Wolfgang scheint die Kälte nicht viel auszumachen, er trägt<br />
keine Mütze, seine Jacke steht offen. Im<br />
Arm hält er eine weihnachtliche Ge-<br />
schenktüte mit Tee und Schokolade.<br />
Noch einmal klingelt er. Niemand öffnet. Frau Banafsche*,<br />
eine Christin aus dem Iran, deren Ehemann in Deutschland<br />
verstorben ist, ist nicht zuhause. Nach einer Weile geben wir<br />
auf, hinterlassen aber die Geschenke im Briefkasten. »Sie<br />
besucht wahrscheinlich ihre beiden Töchter«, vermutet P.<br />
Wolfgang. »Sie sind verheiratet und leben in Norddeutschland.<br />
Dann fahren wir als Nächstes zu Familie Ahmeti.«<br />
Wir müssen die Fluchtursachen<br />
bekämpfen, nicht die Flüchtlinge<br />
Iran ... P. Wolfgang Jungheim sscc gehört zur Lahnsteiner<br />
Kommunität der <strong>Arnsteiner</strong> <strong>Patres</strong>, in deren Auftrag er haupt-<br />
amtlich Flüchtlingsarbeit leistet – viele Jahre Vollzeit, seit<br />
2004 mit einer halben Stelle, da er noch mit einer 50 Prozent-<br />
Stelle als Seelsorger von St. Barbara in Niederlahnstein wirkt.<br />
Sein Mitstreiter Jürgen Pirrong ist der Beauftragte für Migra-<br />
tion und Integration des Rhein-Lahn-<br />
Kreises. Ich begleite die beiden auf einer<br />
Rundreise durch die Region, um in ver-<br />
schiedenen Gemeinden Flüchtlingsfamilien zu besuchen.<br />
Gemeinsam mit dem Initiativkreis für Flüchtlinge und Asyl-<br />
suchende Rhein-Lahn setzen sich die beiden Männer seit<br />
vielen Jahren für die Rechte von Asylsuchenden ein, die vor<br />
der Bedrohung durch Krieg oder Verfolgung aus ihrer Heimat<br />
geflüchtet sind. »Wir schauen jedes Jahr kurz nach Weihnach-<br />
ten bei einigen Familien vorbei, um die Kontakte zu pflegen«,<br />
erzählt P. Wolfgang. »Oft erfahren wir bei dieser Gelegenheit,<br />
welche Probleme es aktuell gibt und wie wir die Menschen<br />
unterstützen können.«<br />
16 17<br />
H<br />
Medhi Ahmeti trägt einen weißen Overall. Weil die Arbeit auf<br />
der Baustelle wegen der Kälte ruht, bastelt der Bauhandwerks-<br />
Meister in den kürzlich erworbenen eigenen vier Wänden.<br />
»Kommen Sie rein, meine Frau kocht uns Kaffee«, lädt er uns<br />
freundlich ein. Seit fast 17 Jahren leben die Ahmetis in<br />
Deutschland, P. Wolfgang und Jürgen Pirrong haben die Fa-<br />
milie aus dem Kosovo ein großes Stück des Weges begleitet.<br />
Dieser Besuch geschieht vor allem aus alter Verbundenheit.<br />
Im Wohnzimmer plaudern die Männer über aktuelle Flug-<br />
preise nach Pristina im Rahmen der Partnerschaft Lahnstein-<br />
Peje und die guten Schulnoten der Kinder. Medhi Ahmeti<br />
und seine Frau sprechen Deutsch fast ohne Akzent, seit<br />
letztem Jahr besitzt er auch die deutsche Staatsbürgerschaft.<br />
Familie Ahmeti hat das geschafft, wovon andere Flüchtlinge<br />
träumen.<br />
Kosovo ... Der Krieg im Kosovo hat viele Menschen gezwun-<br />
gen, ihre Heimat zu verlassen. Familie Gashi hofft seit Jahren<br />
darauf, dauerhaft in Deutschland bleiben zu dürfen. Bislang<br />
hat sie nur eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Der Krieg<br />
hat bei Elidon Gashi tiefe Spuren hinterlassen. Weil die Be-<br />
handlung des schwer traumatisierten Mannes im Kosovo nicht<br />
möglich wäre, kann er für sich und seine Familie eine Verlän-<br />
gerung des Aufenthalts beantragen. Nach dem seit 1. Januar<br />
2005 geltenden neuen Aufenthaltsgesetz wird die befristete<br />
Aufenthaltserlaubnis nur erteilt bzw. verlängert, wenn damit<br />
ein »Zweck« verbunden ist. Für Herrn Gashi gilt laut Paragraf<br />
25 der »Aufenthalt aus humanitären Grün-<br />
den«. Hastig reicht er P. Wolfgang ein<br />
Schreiben, dessen Inhalt ihn aus der Fassung<br />
bringt. Schnell und undeutlich sprudeln die<br />
Worte hervor: »Der ist kriminell, kriminell,<br />
solche müssen raus!« Seine 18 Jahre alte<br />
Tochter ist auf einen jungen Kosovaren herein-<br />
gefallen, der bereits mit einer anderen deut-<br />
schen Frau verheiratet ist. Nun ist die junge<br />
Frau, die gerade aus der viel zu engen Wohnung<br />
Aufgrund der Unruhen in Albanien flohen 1997<br />
Tausende Menschen in Booten über die Adria,<br />
um sich in Italien in Sicherheit zu bringen.<br />
Dabei wurden sie nicht immer mit so offenen<br />
Armen empfangen wie der kleine Junge von<br />
dem italienischen Marinesoldaten.<br />
*Alle im Text genannten Namen von Asylsuchenden wurden von der Redaktion geändert.<br />
P. Wolfgang Jungheim sscc<br />
der Eltern ausgezogen ist, von dem Betrüger schwanger. Herr<br />
Gashi kann sich ob dieser Gemeinheit kaum beruhigen,<br />
immer wieder platzt es aus ihm heraus: »Kriminell, kriminell!«<br />
Die Familie erhofft sich von P. Wolfgang und Jürgen Pirrong<br />
einen Rat, doch in diesem Fall können auch die beiden nur<br />
H<br />
hoffen, dass die Justiz für Gerechtigkeit sorgt.<br />
Seit fast drei Jahrzehnten setzt sich P. Wolfgang Jungheim für<br />
eine gerechte und menschenwürdige Behandlung von Men-<br />
schen ein, die ihre Heimat bedingt durch Kriege, politische<br />
Krisen oder andere existenzielle Notlagen verlassen mussten.<br />
Während seiner Ausbildung zum Priester leistete er ein Prak-<br />
tikum im Friedensdorf in Oberhausen und begegnete Wai-<br />
senkindern aus Vietnam, die dort gesund gepflegt wurden.<br />
Später lernte er in der Gemeindearbeit in Pirmasens Flücht-<br />
linge aus Bangladesch, Vietnam, Äthiopien und Eritrea ken-<br />
nen, die damals noch bei Privatpersonen untergebracht waren.<br />
»Armut, Elend und Not werden ganz oft von Menschenhand<br />
P. Damian bedeutet mir …<br />
Damian ist der Mitbruder, der mich beständig auf meinem<br />
Weg begleitet. Er erzählt mir von Gott und von den Armen,<br />
vom Gebet und von der Arbeit, vom Leben und von der Aufrichtigkeit,<br />
vom Schmerz und von einem seltsamen Glück. Wenn die Dinge<br />
scheinbar kompliziert werden, schaue ich auf ihn und finde eine unbeschreibliche<br />
Sicherheit. Ich vertraue darauf, wie der Gute Samaritaner<br />
lieben zu können, weil Damian von Herzen liebte und mit großer Einfachheit<br />
die größte Armut auf sich nahm: Mit den Leprakranken das<br />
Schicksal zu teilen.<br />
p. fernando cordero sscc, spanien
P. Wolfgang Jungheim sscc und sein Mitstreiter Jürgen Pirrong (2. vl) zu Besuch bei der Familie Manali aus Indien<br />
geschaffen, und damit auch Flüchtlinge«, sagt er mit Nach-<br />
druck. Dieser Zusammenhang, der ihm damals auch mit<br />
Hilfe von Misereor klar geworden sei, bilde noch heute die<br />
Grundlage seiner Engagements. Seit der Pater 1987 nach<br />
Arnstein gekommen ist, streitet er gemeinsam mit anderen<br />
ehrenamtlichen Helfern und Organisationen wie terre des<br />
hommes, pax christi und Caritas dafür, die Situation der<br />
Asylsuchenden zu verbessern. »Es geht immer nur darum,<br />
den Flüchtlingsstrom einzudämmen,« klagt P. Wolfgang die<br />
vorherrschende Mentalität in Deutschland und Europa an.<br />
»Anstatt die Fluchtursachen zu bekämpfen, werden Flücht-<br />
linge bekämpft,« fügt er nach einer Weile hinzu. Der ruhige<br />
und sachliche Ton kann seinen Groll kaum verbergen. Er bricht<br />
aber auch eine Lanze für die Behörden im Kreis, wo eine gute<br />
Zusammenarbeit zwischen dem Initiativkreis und den Behör-<br />
den zugunsten der Flüchtlinge gewachsen ist, vor allem dank<br />
Jürgen Pirrong.<br />
H<br />
Indien ... Der studierte Informationstechniker Karan Manali<br />
stammt aus dem indischen Bundesstaat Kerala, der traditio-<br />
nell für ein harmonisches Zusammenleben von Hindus,<br />
Muslimen und Christen steht. Das immer stärkere Aufkom-<br />
men von Hindu-Nationalisten ist jedoch für den muslimischen<br />
Inder und seine junge Hindu-Frau selbst dort zu einer unmit-<br />
telbaren Bedrohung geworden. Familie Manali wollte zunächst<br />
in den Oman, aber weil es dort keine berufliche Perspektive<br />
gab, kamen sie vor knapp einem Jahr nach Deutschland. Da<br />
ihr Asylantrag abgelehnt wurde, besitzen die Manalis aktuell<br />
keinen »gültigen Aufenthaltsstatus«.<br />
Savarna Manali serviert uns einen Tee, während ihre drei-<br />
jährige Tochter Hasila mit großen Augen das Geschenk von<br />
P. Wolfgang betrachtet. Ihr Vater sitzt mit fragendem Blick<br />
auf der 80er-Jahre Couch und scheint die Welt nicht mehr zu<br />
Familie Manali befürchtet, zwangsweise in der sogenannten<br />
»Landesunterkunft für Ausreisepflichtige« untergebracht zu<br />
werden. Schon ein Blick in das Badezimmer dieser fragwürdigen<br />
Einrichtung zeugt von der dort herrschenden Tristesse.<br />
verstehen. Vor einigen Wochen hatte er eine Unmenge For-<br />
mulare ausgefüllt, um der rheinland-pfälzischen »Clearing-<br />
Stelle für Passbeschaffung und Flugabschiebung« in Trier die<br />
Beschaffung seiner Ausweisdokumente bei den indischen<br />
Behörden zu ermöglichen. Dazu ist er aufgrund der Bestim-<br />
mungen des Aufenthaltsgesetzes verpflichtet. Für den Fall,<br />
dass die indischen Behörden keine Passpapiere ausstellen,<br />
haben er und seine Familie die Chance, eine Aufenthaltser-<br />
laubnis für Deutschland zu erhalten. Andererseits könnte Herr<br />
Manali damit auch an seiner eigenen Abschiebung mitgewirkt<br />
haben, denn sobald gültige indische<br />
Papiere für ihn vorliegen, könnte die<br />
Familie nach Indien zurückgeschickt<br />
werden. Die »Clearing-Stelle« wirft ihm<br />
nun vor, falsche Angaben über seine<br />
Identität gemacht zu haben. Dies behaupten jedenfalls die<br />
Behörden in Indien, wie im letzten Schreiben der Clearing-<br />
Stelle zu lesen ist. Karan Manali beteuert uns gegenüber,<br />
seine Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht<br />
zu haben. Keiner von uns zweifelt daran. Wahrscheinlicher<br />
ist, dass die Familie in Indien nicht mehr erwünscht ist, wo-<br />
möglich wegen ihres Glaubens. Jürgen Pirrong rät Karan<br />
Manali deshalb, seine ehemalige Universität in Kerala anzu-<br />
schreiben und darum zu bitten, ihm eine Bescheinigung<br />
seines Abschlusses zuzusenden.<br />
Karan Manali sagt, dass er gerne arbeiten würde, um seine<br />
Familie selbst zu ernähren. Kürzlich sei ihm sogar ein Job bei<br />
einer Spedition angeboten worden. Wegen der angeblichen<br />
Identitätsverschleierung bleibt ihm der Zugang zum Arbeits-<br />
markt jedoch verwehrt. Im schlimmsten Fall droht der Fami-<br />
lie sogar der zwangsweise Aufenthalt in einem so genannten<br />
»Ausreisezentrum«, das in Rheinland-Pfalz »Landesunterkunft<br />
für Ausreisepflichtige« heißt. In dieser<br />
fragwürdigen Einrichtung in Trier werden<br />
Asylsuchende, die keine gültigen Papiere<br />
besitzen und von den Behörden als »vollzieh-<br />
bar ausreisepflichtig« eingestuft werden, unter<br />
primitiven Bedingungen untergebracht, bis<br />
ihre Identität geklärt ist. Dort herrscht ein<br />
Klima der Hoffnungs- und Orientierungslosig-<br />
keit. Als Karan Manali sich mit leiser und unsi-<br />
cherer Stimme danach erkundigt, spricht der<br />
<strong>Arnsteiner</strong> Pater ihm Mut zu. »Keine Sorge,<br />
soweit sind wir noch lange nicht«, beruhigt er<br />
den jungen Mann, dem diese Vorstellung ver-<br />
ständlicherweise Angst bereitet. Vielleicht ist<br />
Not, Elend und Krieg sind nicht<br />
»Gott gegeben«, sondern Menschenwerk.<br />
Menschen können deshalb – mit Gottes<br />
Hilfe – dies auch ändern.<br />
ausgerechnet die kleine Hasila ein Hoffnungsschimmer, denn<br />
sie leidet an einer Nierenerkrankung und muss täglich Anti-<br />
biotika einnehmen. P. Wolfgang will nun prüfen, ob sich<br />
vielleicht auf diesem Weg wenigstens eine befristete Aufent-<br />
haltserlaubnis für die indische Familie erwirken lässt.<br />
Die Recherche nach ähnlichen Fällen und Anhaltspunkten<br />
für das weitere Vorgehen sei ein wichtiger Teil seiner Arbeit,<br />
sagt P. Wolfgang. »Jürgen kennt wiederum die rechtliche<br />
Seite besser«, beschreibt er die Zusammenarbeit zwischen<br />
Integrationsbeauftragtem und Priester für die gerechte Sache,<br />
während wir auf der kurvigen Landstra-<br />
ße in den eisigen Taunus fahren. »In<br />
Indien geschehen derzeit horrende Din-<br />
ge, dort sterben Menschen in Gefäng-<br />
nissen! Aber unsere Behörden behan-<br />
deln Flüchtlinge wie Aussätzige. Man will sie einfach raus<br />
haben, und wenn sie da sind, werden sie streng beäugt«, wirft<br />
er den verantwortlichen Politikern vor.<br />
18 19<br />
H<br />
Afghanistan … Unsere letzte Station führt uns nach Nastät-<br />
ten, wo wir die Familie Bijan aus Afghanistan besuchen. Die<br />
Einrichtung ihrer Wohnung mutet orientalisch an, über dem<br />
kleinen Fernseher hängen die Umrisse der fernen Heimat in<br />
den Landesfarben Schwarz, Rot und Grün. Der junge Famili-<br />
envater Jawed Bijan hat in dem von Kriegen zerrütteten Land<br />
Schreckliches erlebt. Sein schweres Trauma, das von einer<br />
Psychologin in regelmäßigen Sitzungen behandelt wird,<br />
verbirgt er so gut es geht hinter einem offenen Lächeln. Oft<br />
jedoch wirkt sein Blick leer und abwesend. Durch seine<br />
Krankheit hat die Familie zwar mithilfe von P. Wolfgang und<br />
Jürgen Pirrong eine befristete Aufenthaltserlaubnis erwirkt.<br />
P. Damian bedeutet mir …<br />
Damian ist ein Zeuge der Barmherzigkeit Gottes. Seine<br />
schönste Seite ist für mich, dass er sein Herz öffnet, dass<br />
er mit den Menschen mitfühlt, dass er aus sich selbst herausgeht. Er<br />
stellt sein Leben in den Dienst von Menschen, die ihm nichts zurückgeben<br />
können, außer ihrer Zuneigung. Dasselbe tat auch er – sie gaben<br />
sich gegenseitig ihr Leben. Im leidenschaftlichen Mitfühlen entdecken<br />
wir den Sinn, gläubige Menschen sowie Schwestern und Brüder unserer<br />
Ordensgemeinschaft zu sein.<br />
p. nacho moreno sscc, spanien
20<br />
Die Zahl der Asylbewerber ist durch die erhebliche Einschrän-<br />
kung des Asylrechts zu Beginn der 1990er Jahre kontinuierlich<br />
gesunken. 2007 erreichte sie den historischen Tiefstand von<br />
ca. 19.000 Asyl-Erstanträgen. Von den rund 30.000 Anträgen<br />
des Jahres 2006 wurden außerdem nur 251 (0,8 Prozent) als<br />
berechtigt anerkannt! Entsprechend sind die Leistungen des<br />
Staates zurückgegangen: 2007 wurden Asylbewerber leistungen<br />
nur noch an rund 154.000 Menschen ausgezahlt, 20,7 Prozent<br />
weniger als 2006 (1996: Höchststand mit 490.000 Menschen).<br />
Gegenüber 1997 sind die Leistungen damit von 2,65 Milliarden<br />
auf 1,03 Milliarden Euro gesunken.<br />
Quellen: Bundesamt für Statistik; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge<br />
Um jedoch ein dauerhaftes Bleiberecht zu erhalten, müssten<br />
sie ein Einkommen zur Sicherung des Lebensunterhaltes<br />
nachweisen, das über dem Sozialhilfesatz liegt. Der Lohn von<br />
Jawed Bijan, der trotz seiner psychischen Probleme halbtags<br />
als Reinigungskraft in einer Metzgerei<br />
arbeitet, reiche dafür bei Weitem nicht<br />
aus, erläutert Jürgen Pirrong. Nur wenn<br />
auch Malalai Bijan eine Arbeit fände, könnte es für die vier-<br />
köpfige Familie aus Afghanistan zu einer Niederlassungser-<br />
laubnis reichen. Die junge Frau, die sehr gut Deutsch spricht,<br />
sucht schon seit Längerem nach Arbeit, bislang jedoch ohne<br />
Erfolg. P. Wolfgang gibt ihr ein paar Tipps für die Jobsuche:<br />
»Ich werde mich mal umhören«, verspricht er ihr.<br />
Flüchtlinge werden oft wie<br />
Aussätzige behandelt<br />
Die Familie Bijan aus Afghanistan hat allen Schwierigkeiten zum Trotz ihre Hoffnung<br />
auf ein friedliches Leben in Deutschland nicht aufgegeben<br />
Den Flüchtlingen im Dschungel der deutschen<br />
Bürokratie eine Orientierungshilfe zu sein, ist<br />
ein Hauptbestandteil der Arbeit von P. Wolfgang<br />
und Jürgen Pirrong. Darüber hinaus sei es<br />
wichtig, Lobbyarbeit in den Gemeinden und<br />
Kommunen zu leisten, sagt P. Wolfgang, als wir<br />
uns am späten Abend auf den Rückweg machen.<br />
Die Zahl der Asyl bewerber sei in den letzten 15<br />
Jahren stark zurückgegangen, von etwa 100.000<br />
Asylanträgen jährlich vor Einführung der Dritt-<br />
staatenregelung 1993 auf zuletzt noch 20.000,<br />
den niedrigsten Stand seit 30 Jahren. »Es ist<br />
dadurch viel schwieriger geworden, Unterstüt-<br />
zung für unsere Arbeit zu bekommen«, betont<br />
er. »An den Außengrenzen Europas werden die<br />
Flüchtlinge bekämpft, auch in Osteuropa – aber davon<br />
nimmt kaum jemand Notiz.« Ende März sind erneut zwei<br />
überfüllte Boote bei dem verzweifelten Versuch, über das<br />
Mittelmeer nach Italien zu gelangen, vor der Küste Libyens<br />
gekentert. Hunderte Flüchtlinge sind<br />
dabei ertrunken. In Zeiten der großen<br />
Weltwirtschaftskrise ist die Tragödie der<br />
»Ausgegrenzten« von heute nur eine weitere schlimme<br />
Nachricht am Rande. Deshalb ist es umso wichtiger, dass<br />
Menschen wie P. Wolfgang und Jürgen Pirrong die Lebens-<br />
situation von Flüchtlingen wieder mehr ins Be-<br />
wusstsein der Öffentlichkeit rücken. e<br />
andré madaus
Auf Pater Damians Spuren: Sr. Emmanuelles Leben mit den Müllmenschen<br />
Das Abenteuer der Liebe<br />
Welch große Faszination und lebenslange Wirkung<br />
Leben und Werk Pater Damians auf Menschen ausü<br />
ben kann, führt uns der nachfolgende Text von Schwes<br />
ter Emmanuelle Cinquin eindrücklich vor Augen. Sr.<br />
Emmanuelle, die »Mutter der Müllmenschen«, ist bis<br />
heute eine der beliebtesten Persönlichkeiten in Frank<br />
reich. In diesem 1993 entstandenen und in der Zeit<br />
schrift der französischen Provinz sscc »Horizons<br />
Blancs« veröffentlichten Brief (Übersetzung und Bear<br />
beitung durch die Redaktion) beschreibt sie, welchen<br />
H<br />
Einfluss Pater Damian auf ihr Leben hatte.<br />
Schon als Jugendliche berührte mich die heroische Gestalt<br />
von P. Damian sehr. Es auf sich zu nehmen, auf eine ferne<br />
Insel zu gehen und dort bis zum Tode zu leben, um den von<br />
allen verlassenen, unglücklichen Aussätzigen die Hoffnung<br />
Christi zu bringen, das war wirklich der Gipfel der Liebe. Das<br />
Antlitz P. Damians, aus Liebe aussätzig geworden, und seine<br />
Hingabe bis zum Ende faszinierten mich. Unser P. Derély<br />
begeisterte uns damals mit dem Herzen Christi, der sich für<br />
das Heil der Menschen opferte: Wie schön das Leben wäre,<br />
wenn man seinen Schritten nachfolgen könnte, um den<br />
Leidenden Trost und Freude zu bringen.<br />
Die »Mutter der Müllmenschen« von Kairo<br />
Schwester Emmanuelle wird 1908 als Madeleine Cinquin<br />
in Brüssel geboren. Ihre Mutter ist Belgierin, ihr Vater<br />
Franzose. Schon früh lernt die behütete Tochter die Ge<br />
schichten ihres Landsmannes Pater Damian kennen. Wie<br />
er tritt sie mit 20 Jahren einer Ordensgemeinschaft bei,<br />
den »Schwestern Unserer Lieben Frau von Sion«. Nach<br />
ihrem Studium unterrichtet sie in der Türkei und Nord<br />
afrika 40 Jahre lang an Eliteschulen. Doch der Ruf ihres<br />
Herzens ist noch ein anderer! 1971 schließlich folgt sie<br />
ihm. Bis ihr 1993 im Alter von 85 Jahren der Ruhestand<br />
befohlen wird, lebt sie in Kairo mit den Lumpensamm<br />
lern. Ein Ziegenstall ohne Wasser und Strom in der<br />
Müllsiedlung »EzbethElNakhl« wird ihr Zuhause. Nach<br />
dem Vorbild P. Damians versorgt sie »ihre Müllmen<br />
schen« mit geistlichem Beistand und errichtet Kranken<br />
häuser, Schulen, Kindergärten, Alphabetisierungszentren<br />
und Altenheime. Von ihr gegründe<br />
te Hilfsorganisationen setzen heu<br />
te diese Arbeit fort. Im Oktober<br />
2008 stirbt Schwester Emmanuelle<br />
kurz vor ihrem 100. Geburtstag in<br />
Frankreich.<br />
21
Müllverwertung in der dritten Welt: Tonnenweise werden die<br />
Abfälle gesammelt, getrennt, der Wiederverwertung zugeführt<br />
oder einfach verbrannt.<br />
Meine Schwester hatte gerade geheiratet, und ich sah ihr<br />
Glück, Mutter zu werden. Aber meine Berufung war eine<br />
andere. Ihr musste ich folgen, um dort meine Erfüllung zu<br />
finden: Es waren die kleinen Aussätzigen, die in den Armen<br />
zu wiegen ich mich berufen fühlte! Bei einem Aufenthalt in<br />
London lernte ich die Ordensgemeinschaft »Die Schwestern<br />
Unserer Lieben Frau von Sion« kennen. Von ihrer Spiritualität<br />
war ich angetan und mir gefiel die Hingabe der Schwestern,<br />
die sich um die armen Kinder kümmerten. Doch war ich sehr<br />
enttäuscht, als man mir erklärte, dass es zwar in ihren Missi-<br />
onen auf der ganzen Welt viele Leiden zu lindern gibt, aber<br />
keine Leprakranken! So suchte ich zunächst nach anderen<br />
Ordensgemeinschaften, aber keine kümmerte sich um Lepra-<br />
kranke …<br />
Auf der Suche nach meiner Berufung<br />
Mit 20 Jahren bin ich dann bei den Schwestern von Sion<br />
eingetreten. Im Herzen habe ich die Erinnerung an P. Dami-<br />
an bewahrt und ich betete darum, dass auch ich – wie er – den<br />
Ärmsten den Frieden des Himmels bringen könnte ...<br />
1971 erreichte mich dann der nie vergessene Ruf der Aussät-<br />
zigen doch noch. Unsere Schule in Alexandria wurde an eine<br />
ägyptische Ordensgemeinschaft übergeben und ich war somit<br />
P. Damian bedeutet mir …<br />
Für mich ist Damian das Vorbild für Mission. Ihm möchte<br />
ich folgen, so möchte ich sein … Wie Jesus hat er sein<br />
Leben ganz gegeben… bis zum Ende. Sein Eifer, seine Menschlichkeit,<br />
seine Offenheit, den Menschen auch bei der Bewältigung ihres Alltags<br />
zu helfen: Häuser für sie zu bauen, Waisenhäuser zu gründen, mit Ärzten<br />
nach Medizin gegen die Lepra zu suchen… Sein Leben inspiriert mich<br />
stark, denn es ist voll Hingabe.<br />
sr. monique darveau sscc, philippinen<br />
frei für andere Aufgaben. 61 Jahre alt und Gott sei Dank bei<br />
guter Gesundheit! Konnte ich nun meinen Herzenstraum<br />
erfüllen und P. Damian zu den Aussätzigen folgen? Ich erhielt<br />
die Erlaubnis nach Kairo zu gehen, um sie im Leprosorium<br />
eines riesigen Krankenhauses zu besuchen. Dort angekom-<br />
men wurde ich sofort festgenommen und verhört: 1971 lag<br />
Ägypten mitten im Krieg mit Israel und das Krankenhaus<br />
befand sich in einer Militärzone! Ich war der Spionage ver-<br />
dächtig und lief Gefahr, ins Gefängnis zu kommen ... Ob<br />
P. Damian vom Himmel her für mich eingetreten ist, damit<br />
H<br />
ich dem entrinne? Das ist gut möglich.<br />
Auf jeden Fall ließ ich mich nicht entmutigen. Mit der Unter-<br />
stützung des Apostolischen Nuntius, Monsignore Bruno<br />
Heim, erhielt ich vom Gesundheitsminister eine Sonderer-<br />
laubnis und durfte das Leprosorium besuchen: Ich werde den<br />
schrecklichen Anblick der eingesperrten Frauen nie mehr<br />
vergessen. Sie hegten keine Hoffnung mehr, ihre Familien<br />
und ihre Kinder jemals wiederzusehen! Sie scharrten sich<br />
begierig um mich ... Endlich war da jemand, der zu ihnen<br />
kam! Von da an wollte ich zu ihnen gehören auf Leben und<br />
Tod, wie P. Damian ... Denn die Liebe ist stärker als der Tod.<br />
Zurück in Kairo ersuchte ich um die offizielle Aufenthaltser-<br />
laubnis im Leprosorium. Dazu benötigte ich jedoch eine<br />
ganze Reihe von Genehmigungen:<br />
* vom Gesundheitsministerium,<br />
weil es sich um ein Krankenhaus handelt;<br />
* vom Außenministerium, weil ich keine Ägypterin bin;<br />
* vom Verteidigungsministerium,<br />
weil es sich in einem militärischen Sperrgebiet befindet;<br />
* vom Innenministerium, das für die Sicherheit verantwortlich<br />
ist, damit Spionage ausgeschlossen werden kann. Es<br />
war einfach unvorstellbar, dass ich – noch<br />
dazu als Ausländerin – zu den Leprakran-<br />
ken wollte, ohne ein geheimes Ziel zu<br />
haben!<br />
Wie viele Minister, wie viele Hindernisse!<br />
Ich dachte: »P. Damian, Du hast mir bis<br />
hierher geholfen, wirst Du mich nun al-<br />
leine lassen?«<br />
Liebe ist stärker als der Tod<br />
Mein schöner Jugendtraum schien für<br />
immer verflogen! Aber P. Damian schickte<br />
mich in ein anderes Abenteuer: Monsi-<br />
gnore Heim schlug mir vor, mich um die Lumpensammler zu<br />
kümmern, andere Parias, von allen verachtet und ohne<br />
menschlichen Beistand in die Slums gesperrt. Als er mich<br />
dorthin führte, fühlte ich mich sofort angezogen, als ich die<br />
Gassen sah, in denen sich die täglich gesammelten Abfälle<br />
auftürmten, die Hütten aus löchrigem Wellblech, ohne Was-<br />
ser und ohne Strom. Es gab keine Schule, keine Kirche, keine<br />
Krankenstationen – es gab nichts außer zerlumpten Kindern<br />
mit Fliegen in den Augen ... So muss es auch P. Damian mit<br />
seinen Leprakranken ergangen sein! Ich fühlte, dass Gott mich<br />
rief, um in ihrer Mitte zu leben, um sie in der Nachfolge P.<br />
Damians zu retten, um zu versuchen, ein Herz zu haben, das<br />
genau so sehr vor Liebe glüht wie seins. Dafür brauchte ich<br />
nur aus derselben Quelle zu schöpfen – dem brennenden<br />
Feuerofen des Herzens Jesu.<br />
H<br />
P. Damian verdanke ich, dass ich schließlich bei den Lumpen-<br />
sammlern gelandet bin. Hier führe ich wie er seit 22 Jahren<br />
das interessanteste Leben, das ein Mensch auf dieser Welt<br />
führen kann. Alle, die sich mit Christus mit Leib und Seele<br />
der Liebe zu ihren Brüdern und Schwestern verschreiben,<br />
machen diese außergewöhnliche Erfahrung: »Der blaue Vo-<br />
gel« des Glücks fliegt nie mehr aus ihrer Bleibe davon ... Selbst<br />
in den schmerzhaftesten Stunden regiert auf dem Grunde<br />
ihrer Seele ein seltsames Glück, die Freude Gottes selbst, ein<br />
Strahl der vollkommenen Freude des Heiligen Franz von<br />
Assisi. e<br />
Elhamdulillah! Ehre sei Dir, oh Herr!<br />
Die Zabbalin aus Kairo<br />
schwester emmanuelle ✝,<br />
im september 1993<br />
Die Müllmenschen aus Kairo sind koptische Chris<br />
ten, sie leben im und vom Müll der Großstadt. Die<br />
etwa 60.000 Zabbalin sammeln täglich 80 Tonnen<br />
Müll, den sie mit bloßen Händen trennen: Wie<br />
derverwertbares verkaufen sie an Händler, Rest<br />
müll wird mitten in der Siedlung verbrannt. Tags<br />
über trennen sie den Müll dort, wo sie nachts<br />
schlafen. Sie führen ein gefährliches Leben: Sie<br />
atmen giftige Dämpfe ein, kommen mit Sonder<br />
müll in Berührung, verletzen sich an Spritzen und<br />
stecken sich mit lebensgefährlichen Krankheiten<br />
wie AIDS oder Hepatitis an.<br />
Ein scheinbar normales Leben auf der Müllhalde.<br />
Kinder mit Schuluniform in ihrem Zuhause, einem<br />
Hüttendorf auf Abfällen errichtet.<br />
22 Das Foto wurde uns von der Müll-Menschen-Hilfe e. V.<br />
23<br />
zur Verfügung gestellt: www.muell-menschen-hilfe.org
Auf Pater Damians Spuren: Ein Jahr als Freiwilliger in Manila<br />
Die Welt – ein wenig – besser machen!<br />
Fernweh! Abenteuer! Sich einset-<br />
zen für diese eine Welt! Diese und<br />
noch viele andere Gedanken dreh-<br />
ten sich vor der Abreise in meinem<br />
Kopf. Und immer wieder auch die<br />
Frage, was ich nun, nach meiner<br />
Ausbildung zum Krankenpfleger,<br />
mit meinem Leben anfangen will.<br />
Ideen habe ich viele, vielleicht so-<br />
gar zu viele? Eine davon ist, Priester<br />
zu werden. Vielleicht sogar im sel-<br />
ben Orden wie einst Pater Damian,<br />
in der Ordensgemeinschaft von<br />
den Heiligsten Herzen. Um diesen<br />
Gedanken weiter zu verfolgen,<br />
machte ich mich im Oktober 2008<br />
auf den Weg zu den Philippinen.<br />
Ein Jahr lang leiste ich hier in der<br />
sscc-Pfarrei in Bagong Silang, ei-<br />
nem Armenviertel am Rande der<br />
Hauptstadt Manila, meinen Sozi-<br />
alen Friedensdienst im Rahmen<br />
des Projekts »weltwärts«, das vom<br />
Bundesministerium für wirtschaft-<br />
liche Zusammenarbeit und Ent-<br />
wicklung initiiert wurde.<br />
24<br />
Bei meiner Ankunft am Flughafen wur<br />
de ich von P. Harald Adler und Sr. Inés<br />
Gil de Antunano von der ssccPfarrei in<br />
Bagong Silang herzlich empfangen. Sie<br />
brachten mir Wasser mit – ein herr<br />
liches Geschenk bei diesem Klima. Ganz<br />
besonders weil das Servicepersonal<br />
während des langen Fluges damit eher<br />
sparsam umgegangen war. Die ersten<br />
Eindrücke in der fremden Umgebung<br />
waren überwältigend. Vom Flughafen<br />
Manilas nach Bagong Silang benötigt<br />
man bei einer guten Verkehrslage mit<br />
dem Auto etwa 90 Minuten. Auf den<br />
Straßen herrschen für deutsche Verhält<br />
nisse schlicht unbeschreibliche Zustän<br />
de. Man hat den Eindruck, jeder der 19<br />
Millionen Menschen, die im Großraum<br />
von Manila leben, ist mit irgendeinem<br />
Gefährt unterwegs, sei es im Auto, auf<br />
einem Motorroller oder Tricycle, im<br />
Jeepney oder einfach nur mit dem Fahr<br />
rad.<br />
Die Philippinen sind ein Land großer<br />
Gegensätze. Es gibt die vielen freund<br />
Aus dem obersten Stockwerk der sscc-Pfarrei in Manila geht der Blick<br />
über die Wellblechdächer der Siedlung Bagong Silang<br />
lichen Menschen, die einen offenherzig<br />
begrüßen, und es gibt eine zum Himmel<br />
schreiende Armut. Während den für<br />
einen Hungerlohn arbeitenden Men<br />
schen in der glühenden Hitze des Tages<br />
der Schweiß in Bächen herunterläuft,<br />
amüsieren sich die Reichen beim Ein<br />
kaufen in den riesigen Einkaufszentren,<br />
wo sie sich Pullover überziehen, weil<br />
die Klimaanlagen ins andere Extrem<br />
abkühlen. Der Kontrast von Arm und<br />
Reich ist nur einer der vielen Gegensät<br />
ze. Es überwältigt mich auch immer<br />
wieder aufs Neue, wenn ich die Stadt<br />
grenzen des vom Smog verpesteten<br />
Manila passiere und mich plötzlich in<br />
einer paradiesischen Idylle wiederfinde.<br />
Die Stadt Baguio etwa liegt auf einem<br />
1500 Meter hohen, grünen Gebirgszug.<br />
Dort ist es angenehm kühl, weshalb<br />
Baguio die Sommerhauptstadt der<br />
Philippinen genannt wird. Auch die bei<br />
den Jahreszeiten, Regenzeit und Trocken<br />
zeit, bilden einen krassen Kontrast.<br />
Bagong Silang selbst ist eine Ansiedlung<br />
dicht an dicht stehender Betonbunker<br />
inmitten eines urwaldähnlichen Gebie<br />
t es. Aus dem obersten der drei Stock<br />
werke des ssccPfarrhauses blickt man<br />
hinab auf die rostigen Wellblechdächer<br />
unter den grünen Baumkronen. In und<br />
um dies Pfarrhaus spielt sich ein großer<br />
Teil des Lebens vieler Menschen aus der<br />
Pfarrei ab. Es gibt verschiedene Grup<br />
pen und Projekte, angefangen bei der<br />
Behindertenwerkstatt über die Schüler<br />
Betreuungsprogramme bis zu den<br />
Handwerksgruppen der Mütter. Durch<br />
den Dienst, den die Gemeinschaft der<br />
Schwestern und Brüder und die Pfarrei<br />
leisten, erhalten viele Bedürftige einen<br />
großen Teil der dringend benötigten<br />
Hilfe zum Überleben.<br />
Medikamentenlehre in der<br />
Pfarr-Apotheke<br />
Eines dieser Projekte ist die Apotheke<br />
der Pfarrei. Die Arbeit dort zählt zu<br />
meinen absoluten Lieblingstätigkeiten.<br />
In der PfarreiApotheke sind die Medi<br />
kamente zum Einkaufspreis zu erhalten<br />
Bagong Silang: Von morgens bis abends verkauft diese Familie Obst und Gemüse.<br />
Solche privaten Marktstände trifft man vielerorts in Manila.<br />
und somit deutlich billiger als in her<br />
kömmlichen Apotheken. Trotzdem sind<br />
die meisten Präparate noch so teuer,<br />
dass viele sich nur eine oder zwei<br />
Tabletten leisten können. Oft wirken<br />
Me di kamente aber nur, wenn sie regel<br />
mäßig eingenommen werden. Mittel<br />
gegen Bluthochdruck oder Antibiotika<br />
können sogar schädlich sein, wenn man<br />
sie nur kurzfristig und unregelmäßig<br />
einnimmt. Weil aber die Menschen hier<br />
über Krankheiten und ihre Behandlung<br />
oft wenig oder gar nichts wissen, sind<br />
sie entsprechend hilflos. Die Apotheke<br />
ist deshalb auch gleichzeitig der geeig<br />
nete Ort, um direkt an die Patienten<br />
heranzukommen und sie zu schulen.<br />
Hier unterrichte ich insgesamt 16 frei<br />
willige Helferinnen, meist unterstützt<br />
von einer Übersetzerin. Der »Lehrplan«<br />
erstreckt sich von Erster Hilfe bis Medi<br />
kamentenlehre. Besonders die Gruppe<br />
der Mütter und Großmütter, die zwi<br />
schen 28 und 72 Jahren alt sind, ist mir<br />
sehr ans Herz gewachsen. Es ist zwar<br />
manchmal nicht so einfach sie zu un<br />
terrichten, weil sie albern wie Kinder<br />
sein können. Aber dennoch sind sie aus<br />
persönlichem Interesse sehr engagiert<br />
und begeisterungsfähig. Alle sind hu<br />
morvoll und freundlich, manche biswei<br />
H<br />
len sogar mütterlich um mich besorgt.<br />
Die Apotheke liegt vor dem Eingang<br />
zum Pfarrbüro, direkt neben der Kirche.<br />
Hier kommen oft Bekannte, Freunde<br />
und Angehörige der Pfarrei auf einen<br />
Plausch vorbei. Das kommt meinem<br />
Tagalog* sehr zugute, außerdem erfährt<br />
man auf diese Weise neben den aktu<br />
ellen Marktpreisen auch den neusten<br />
Tratsch aus der Gegend. Das kann sehr<br />
amüsant sein, aber leider ist es oft auch<br />
traurig oder schockierend. Eine Jugend<br />
liche, die in der Pfarrei sehr aktiv ist,<br />
erzählte mir einmal, dass ihre Familie<br />
wegen einer viel zu hohen Kranken<br />
* Tagalog, ursprünglich die Sprache der in der<br />
Region Manila lebenden Bevölkerungsgruppe,<br />
ist heute die am stärksten verbreitete Sprache<br />
auf den Philippinen.
Einer der jungen Patienten, um die sich der Freiwillige<br />
aus Deutschland kümmert, vor und nach der Operation<br />
hausrechnung nun kein Geld mehr<br />
habe, um die folgende Kortisontherapie<br />
für den an Asthma erkrankten Vater<br />
fortzuführen. Die Menschen hier müs<br />
sen bei Operationen oder Behand<br />
lungen in staatlichen Krankenhäusern<br />
die benötigten Utensilien wie Verbands<br />
material, Spritzen oder Infusionen<br />
selbst besorgen, da es kein staatliches<br />
Gesundheitssystem wie in Deutschland<br />
gibt. Die ssccPfarrei übernimmt oft<br />
einen großen Teil der Kosten und be<br />
sorgt die benötigten Medikamente. Ein<br />
anderes Schicksal erzählt von der klei<br />
nen Angel Mae. Sie war gerade zwei<br />
Monate alt, als ihre Mutter auf der<br />
Straße zu Tode geprügelt wurde. Als<br />
wäre das nicht grausam genug, erfuhr<br />
P. Damian bedeutet mir …<br />
ich später, dass der Vater sein eigenes<br />
Kind für umgerechnet acht Euro ver<br />
kaufen wollte. Die Würde der Menschen<br />
geht in diesem Elend häufig völlig ver<br />
loren. Doch was mich in manchen<br />
Momenten wirklich tief berührt, ist die<br />
große Dankbarkeit, die Menschen zum<br />
Ausdruck bringen, wenn ihnen einmal<br />
H<br />
etwas Gutes widerfährt.<br />
Das Verhalten der Filipinos erscheint<br />
mir manchmal widersprüchlich. Man<br />
wird begrüßt, als wäre man der beste<br />
Freund, will man aber die Schwelle ihres<br />
Hauses übertreten, zögern manche, weil<br />
sie sich wegen ihrer Armut schämen.<br />
Niemand möchte sein Gesicht verlieren.<br />
Damian ist eine große Inspiration für mich. Er hatte<br />
Überzeugungen und lebte sie bis zum Ende, er überwand<br />
Schwierigkeiten, ertrug Kritik und Konflikte. Sein Verlangen eins zu<br />
werden mit den Menschen, denen er diente, erstaunt mich immer wieder.<br />
Woher kommt dieses Feuer? Ich bin sicher, dass es nicht aus ihm selbst<br />
kam. Damian war ein Mensch wie Du und ich, seine Beziehung zu Jesus<br />
hat ihn außergewöhnlich gemacht. Er hatte ein tiefes inneres Leben,<br />
spürte die Liebe Gottes und das Herz Jesu, der das Leiden seiner Völker<br />
sah, der linderte, liebte, Würde und Anerkennung verlieh.<br />
sr. ines gil-antunano sscc, philippinen<br />
Lars Maihöfner (rechts) hat in der sscc-Pfarrei eine<br />
Wundklinik eingerichtet<br />
Selten begegnet man einem Filipino mit<br />
schmutziger oder gar stinkender Klei<br />
dung, denn das Ansehen ist den Men<br />
schen enorm wichtig. Selbst wenn sie<br />
kaum das Geld für den täglichen Reis<br />
aufbringen, der hier absolut unverzicht<br />
bar ist und zu jeder Mahlzeit gereicht<br />
wird, besitzen die meisten ein Handy.<br />
»Medical Mission«<br />
im Monsunwald<br />
Samstags ist immer sehr viel los im<br />
Pfarrhaus, das in Wirklichkeit viel mehr<br />
ein Haus für die Gemeinde als eine<br />
Residenz für die Pfarrgeistlichen ist.<br />
Von oben ist dann der gedämpfte Lärm<br />
der etwa 60 Schülerinnen und Schüler<br />
zu hören, die in Kleingruppen Nach<br />
hilfeunterricht erhalten: die Grundschü<br />
ler von den Schülern der »HighSchool«,<br />
diese wiederum von den CollegeStu<br />
denten. Nebenan wird eine Gruppe<br />
Erwachsener von einem kundigen Ge<br />
meindemitglied in kontemplatives Be<br />
ten eingeführt. Auch im Computerraum<br />
und in der Küche, dem heimlichen<br />
Zentrum des Gemeindelebens, herrscht<br />
reges Treiben. In der Bücherei sind ei<br />
nige Frauen mit dem Herstellen von<br />
Karten beschäftigt, die ihnen ein win<br />
ziges Einkommen verschaffen, während<br />
in der Garage die behinderten Kinder<br />
betreut werden.<br />
In der Pfarrei-Apotheke werden Medikamente zum Einkaufspreis angeboten,<br />
um zumindest eine medizinische Grundversorgung zu ermöglichen<br />
Eines der für mich aufregendsten Erleb<br />
nisse während der ersten Monate auf<br />
den Philippinen war die »Medical Mis<br />
sion«, die uns an einem Wochenende<br />
im Januar mitten hinein in den Mon<br />
sunwald führte. Ohne Strom und Funk<br />
verbindung leben dort die indigenen<br />
Ureinwohner der Philippinen, und<br />
schon allein der Weg dorthin, mit ge<br />
ländegängigen LKW durch Urwald und<br />
Flüsse, war ein Abenteuer. Wir waren<br />
mit einer etwa 50köpfigen Gruppe aus<br />
Ärzten, Krankenschwestern, Apotheke<br />
rinnen und vielen Freiwilligen über<br />
drei Stunden unterwegs, ehe wir in<br />
dem kleinen Dorf ankamen. Die<br />
Menschen dort sind die meiste Zeit<br />
völlig auf sich alleine gestellt. Einmal<br />
im Jahr kommt ein Priester vorbei, um<br />
mit ihnen eine Messe zu feiern, und<br />
ebenfalls nur einmal im Jahr werden sie<br />
medizinisch versorgt. Wir haben an<br />
diesem Wochenende fünfhundert Pati<br />
enten behandelt. Aber obwohl diese<br />
Menschen wohl zu den Ärmsten der<br />
Armen gehören, haben sie auf mich<br />
einen zufriedenen Eindruck gemacht.<br />
Der Rückhalt der<br />
sscc-Gemeinschaft<br />
Mit Unterstützung der Ordensgemein<br />
schaft habe ich begonnen, in der Pfarrei<br />
eine Wundklinik einzurichten. Dieses<br />
neue Projekt ist dringend notwendig,<br />
weil es hier häufig Verletzungen aller<br />
Art gibt, die Menschen aber aus Geld<br />
mangel nicht zum Arzt gehen und sich<br />
so zunächst kleine Wunden infizieren,<br />
immer größer werden und dann schlech<br />
ter behandelbar sind. Oft betrifft dies<br />
gerade kleine Kinder sehr schlimm.<br />
Einer unserer ersten Patienten ist ein<br />
dreijähriger Junge mit einer eitrigen<br />
Beinwunde. Er wird von seiner Groß<br />
mutter betreut, weil die Mutter wegen<br />
Prostitution im Gefängnis sitzt. Da die<br />
Großmutter jetzt allerdings 14 Kinder<br />
hüten muss, ist es ganz klar, dass eini<br />
ges auf der Strecke bleibt. Das ist ein<br />
Beispiel für eine der ärmsten Familien<br />
hier. Die fünfzehnköpfige Familie lebt<br />
auf engstem Raum zusammen, die<br />
Decke ist so niedrig, dass ein Erwach<br />
sener sich beim Eintreten bücken muss.<br />
Doch in all dem Elend werde ich von<br />
den Einheimischen akzeptiert und darf<br />
sogar die Türschwelle überschreiten.<br />
Nicht zuletzt ist es die Dankbarkeit<br />
speziell dieser Menschen, die mir die<br />
Kraft gibt, weiterzumachen.<br />
26 27<br />
H<br />
Auch die Gemeinschaft der Brüder und<br />
Schwestern gibt mir viel Rückhalt, ich<br />
schlafe Tür an Tür mit den <strong>Patres</strong> und<br />
fühle mich dabei sehr gut aufgehoben.<br />
Durch die wertvollen Erfahrungen hier,<br />
weit weg von zuhause, komme ich auch<br />
in der Frage meiner eigenen Berufung<br />
jeden Tag ein Stück weiter. Da für bin ich<br />
sehr dankbar. e<br />
P. Damian bedeutet mir …<br />
Damian?<br />
Vom Aussatz zerstörte Gesichter –<br />
wie kann man den Anblick ertragen?<br />
Faulende Glieder – wie kann man den Geruch aushalten?<br />
Eine Horde von Verzweifelten, Gesetzlosen –<br />
wie willst Du mit ihnen leben?<br />
lars maihöfner<br />
Du sagtest zu Ihnen:<br />
»Ihr seid Gottes Ebenbilder, Gott ruft jeden von Euch beim Namen.«<br />
»Ihr seid Gotteskinder, berufen zur Auferstehung und zu ewigem Leben.«<br />
»Wir sind Brüder und Schwestern in Christus.«<br />
Damian, Du holst die Ausgestoßenen, die von Gott Verlassenen aus<br />
ihrer Verzweiflung. Du verwandelst einen Haufen von Gesetzlosen in eine<br />
menschenwürdige Gemeinschaft, in eine Familie von Gotteskindern.<br />
p. harald adler sscc, philippinen
Das Geburtshaus P. Damians ist heute ein Museum<br />
Pater Damian in seiner belgischen Heimat<br />
Im Jahre 2005 wurde Pater Damian De Veuster von<br />
seinen belgischen Landsleuten zum »größten Belgier<br />
aller Zeiten« gewählt. Und dies mehr als 100 Jahre<br />
nach seinem Tod auf einer fernen Insel im Pazifik. Al-<br />
lein das belegt, welch große Popularität P. Damian<br />
genießt und welch großer Respekt diesem »Apostel<br />
der Aussätzigen« entgegengebracht wird – über alle<br />
religiösen und ethnischen Grenzen hinweg. Keine<br />
Selbstverständlichkeit im tief gespaltenen und kirchen-<br />
kritischen Belgien.<br />
Insbesondere in Leuven, wo sich sein Grab befindet<br />
und in seiner Heimatstadt Tremelo werden sein Leben<br />
und Wirken lebendig gehalten.<br />
Tremelo Damian-Museum<br />
Öffnungszeiten<br />
Das Museum ist für einzelne Besucher von Dienstag bis<br />
Sonntag jeweils von 14.00 Uhr bis 16.30 Uhr geöffnet.<br />
Darüber hinaus öffnet es für Gruppen (bis 50 Personen)<br />
nach Vereinbarung.<br />
Eintrittspreise<br />
Erwachsene: 3 Euro<br />
(für Gruppen ab 20 Personen: 2 Euro pro Person)<br />
Kinder: 1,50 Euro (in Gruppen 1 Euro pro Kind)<br />
Informationen über das Museum erhalten Sie über:<br />
Museum en geboortehuis Pater Damiaan,<br />
Pater Damiaanstraat 37, 3120 Tremelo<br />
Tel: 00 32 16 53 05 19<br />
damiaanmuseum@skynet.be, www.damiaanvandaag.be<br />
Das Museum in Tremelo<br />
Wer das Leben von Pater Damian und die Wurzeln seiner<br />
Persönlichkeit verstehen will, sollte nach Tremelo, seinem<br />
Geburtsort in der Nähe von Leuven, fahren. In P. Damians<br />
Geburtshaus ist ein kleines Museum eingerichtet, das die<br />
Kindheit in der Familie de Veuster veranschaulicht. Es beher-<br />
bergt zudem Ausstellungsräume, die einen Eindruck von der<br />
hawaiianischen Kultur zurzeit Pater Damians vermitteln und<br />
eine Reihe von Gegenständen zeigen, die der Apostel der<br />
Aussätzigen auf der Insel Molokai benutzt hat. Kunstwerke,<br />
die das Wirken und die Person von Pater Damian darstellen,<br />
sind ebenfalls ausgestellt.<br />
Eine Bilderschau über Pater Damian steht in verschiedenen<br />
Sprachen (Niederländisch, Französisch, Deutsch, Englisch<br />
und Spanisch) zur Verfügung.<br />
Der Besuch des Museums mit einer Führung – die im Preis<br />
inbegriffen ist – dauert etwa eine Stunde.<br />
St. Antonius-Kirche und<br />
Damian-Zentrum in Leuven<br />
Seit seiner Überführung im Jahre 1936 ist Pater Damian, der<br />
auf den Namen Josef De Veuster getauft wurde, in Leuven<br />
bestattet. Sein Grab befindet sich in der Krypta der Kirche St.<br />
Antonius, die von der Ordensgemeinschaft der Heiligsten<br />
Herzen betreut wird. Nach Absprache können Gruppen in<br />
der Kirche oder in der Krypta ihren eigenen Gottesdienst<br />
feiern. Liturgische Texte in verschiedenen Sprachen stehen<br />
dafür zur Verfügung.<br />
P. Damians letzte Ruhestätte in der Krypta der<br />
St. Antonius-Kirche<br />
Leuven Damian-Zentrum<br />
Öffnungszeiten<br />
Kirche und Krypta können jeden Tag<br />
von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr besucht werden.<br />
Eucharistiefeiern<br />
an Werktagen um 9.00 Uhr, am Samstagabend<br />
um 18.00 Uhr und am Sonntagmorgen<br />
um 11.00 Uhr.<br />
Weitere Informationen erhalten Sie unter:<br />
Patrik Jaspers<br />
Damiaancentrum,<br />
Sint-Antoniusberg 5, 3000 Leuven,<br />
Tel.00 32 16 31 63 68, Mobil 00 32 4 96 99 76 02,<br />
Damiaanvandaag@chello.be<br />
www.damiaanvandaag.be<br />
Auf dem St. Antonius-Berg befindet sich direkt oberhalb der<br />
Kirche und des Klosters das Damian-Zentrum. Hier finden<br />
regelmäßig Vorträge und Veranstaltungen statt, mit denen<br />
die Botschaft Pater Damians für unsere Zeit lebendig gehal-<br />
ten werden soll. Nach Absprache können Gruppen hier einen<br />
Vortrag über Pater Damian vereinbaren oder auch ihr eige-<br />
nes Programm durchführen. Dafür stehen ein Foyer und ein<br />
Vortragssaal für jeweils 110 Personen zur Verfügung. Das<br />
Damian-Informationszentrum verfügt über eine Kerzenka-<br />
pelle und hat zahlreiche Informationsmaterialien und An-<br />
dachtsgegenstände im Angebot. Sowohl das Zentrum als<br />
auch die Krypta sind gut für Menschen mit Behinderungen<br />
zugänglich. e<br />
P. Damian bedeutet mir …<br />
So weit ich zurückschauen kann: P. Damian<br />
steht an meinem Lebensweg.<br />
Ich erinnere mich an die Zeiten, als es Sonntag<br />
nachmittags noch eine Christenlehre gab, und unser Dechant<br />
mit glühender Begeisterung erzählte wie P. Damian,<br />
in einem kleinen Boot stehend, seine Sünden dem Priester<br />
bekannte, der hoch oben an der Reling des Segelschiffes<br />
stehend, das Bekenntnis entgegennahm. Das machte Eindruck.<br />
Einige Jahre später, vielleicht 1965, sitzen wir – eine Horde<br />
pubertärer Lümmel – im Kellerspeisesaal des Internats im<br />
Johanneskloster in Niederlahnstein. Während wir essen, wird<br />
der »Priester der Verbannten« vorgelesen. Das Buch beschreibt<br />
eindrucksvoll die schrecklichen Wunden der Aussätzigen.<br />
Wir ächzen und stöhnen mit gut gespieltem Ekel<br />
und Abscheu, lassen uns aber letztlich den Appetit nicht<br />
verderben.<br />
Lahnstein – Damian und …? Es fällt nicht schwer, sich<br />
weiter zu erinnern. Lahnstein – Damian und P. Richard Ott<br />
mit den Sammeldosen des Aussätzigenhilfswerkes. Wir<br />
glaubten, dass wir für ihn auf den Wein- und Volksfesten<br />
der Umgebung unterwegs waren und begriffen nicht, dass<br />
wir es letztlich für P. Damian machten.<br />
Dann die Studienzeit in Simpelveld: Die Sammelbüchse steht<br />
nicht länger im Vordergrund. Damian ist ja »einer von uns«,<br />
ein Mitbruder! Warum machte Damian das alles? Wo holt<br />
er die innere Kraft her? Wo liegen seine spirituellen Wurzeln?<br />
Was kann ich von ihm lernen?<br />
Und schließlich – seit 1977 – als Priester in Deutschland<br />
und Norwegen: In Trondheim wankte ein alter Alkoholiker<br />
zur Tür, übel riechend und lästig. Er wollte heimgefahren<br />
werden. Ich hatte keine Lust und auch Angst um das saubere<br />
Auto. Oder die ausgezehrte und schwerstkranke Aidspatientin<br />
auf der Infektionsabteilung eines norwegischen<br />
Krankenhauses. Ich hatte Angst vor der Krankheit und jeder<br />
Besuch kostete Überwindung.<br />
Was bedeutet Damian für mein Leben? Ich finde keine<br />
rechte Antwort. Ich kann nur sagen: Seit meiner frühen<br />
Kindheit begleitet er mich und oft hat er mich daran erinnert:<br />
»Als Mitbruder P. Damians darfst du nicht zimperlich sein!«<br />
Wichtiger noch ist die geistliche Dimension. Pater Damian<br />
ist ein Vorbild der Nächstenliebe und Selbstaufopferung.<br />
Die Kraft dazu empfing er aus der heiligen Eucharistie. Sie<br />
war Mittelpunkt seines Lebens und sein Leben ist eine einzige<br />
Aufforderung, aus den gleichen Quellen zu schöpfen.<br />
p. heinz-josef catrein sscc,<br />
neuer provinzial der deutschen provinz<br />
28 29
Lepra-Arbeit im Wandel der Zeit<br />
Eine Krankheit fast so alt wie die Menschheit<br />
Sie ist die älteste Infektionskrankheit<br />
der Menschheit und immer noch aktu-<br />
ell: Lepra wurde schon in den frühen<br />
Büchern der Bibel erwähnt. Die Krank-<br />
heit wird dort als »Aussatz« bezeichnet,<br />
die befallenen Körperteile als »unreine<br />
Stellen«, die betroffenen Menschen<br />
selbst als »Unreine« oder eben »Aussät-<br />
zige«. In vielen Ländern gilt Lepra bis<br />
heute als »unrein«, die Patienten sind<br />
»Aussätzige«. Die Existenz der Krankheit<br />
wird noch oft geleugnet. Doch zu allen<br />
Zeiten gab es Menschen, die mit Erfolg<br />
diese Konventionen durchbrochen und<br />
sich intensiv um Leprapatienten geküm-<br />
mert haben.<br />
H<br />
Mit sieben Typen und neunzehn ver-<br />
schiedenen Fällen gab das Buch Leviti-<br />
kus im alten Testament den Priestern<br />
der damaligen Zeit eine strenge Richt-<br />
schnur des Handelns: Sie mussten einen<br />
Menschen als »rein« oder »unrein«<br />
kennzeichnen – die Heilige Schrift gab<br />
ihnen dafür die Anweisung. Schon ein<br />
Ausschlag oder Flecken auf der Haut<br />
waren Gründe, um einen Menschen als<br />
»unrein« zu erklären. Die Bezeichnung<br />
»Aussatz« ergab sich aus der gestrengen<br />
Anweisung (Lev 13,45 f.): »Wer nun<br />
aussätzig ist, soll zerrissene Kleider<br />
tragen und das Haar lose und den Bart<br />
verhüllt und soll rufen: Unrein, unrein!<br />
Und solange die Stelle an ihm ist, soll<br />
er unrein sein, allein wohnen, und seine<br />
Wohnung soll außerhalb des Lagers<br />
sein.«<br />
Wahrscheinlich waren viele der Aussät-<br />
zigen in vorchristlicher Zeit gar nicht<br />
von Lepra betroffen, sondern litten<br />
unter eher harmlosen Hautkrankheiten.<br />
Aber die Angst vor der ansteckenden<br />
Lepra kannte keine Gnade. Unklar ist<br />
bis heute, ob die Menschen damals eine<br />
Ansteckungsgefahr vermutet haben<br />
oder ob es eher die Abscheu vor den<br />
entsetzlichen Entstellungen und Ver-<br />
stümmelungen war, die sie zu diesen<br />
drakonischen Maßnahmen greifen ließ.<br />
Der wahrscheinlichste Grund für das<br />
Verstoßen der Erkrankten ist aber, dass<br />
Lepra als »Strafe Gottes« galt (vgl. 2Ch<br />
26,16 ff.: die Begründung des Aussatzes<br />
von König Usija). Niemand durfte oder<br />
wollte sich gegen Gott und dessen Be-<br />
strafung stellen, denn ein konsequenter<br />
Ausschluss aus dem gesellschaftlichen<br />
Leben wäre die Folge gewesen.<br />
Lepraschau und Zwangsisolation<br />
im Mittelalter<br />
Erst das Vorbild Jesu Christi selbst und<br />
sein Gebot der Nächstenliebe änderten<br />
die Einstellung zu den »Aussätzigen«:<br />
Mehr und mehr wurde der Einsatz für<br />
die Kranken sogar als ein Dienst am<br />
leidenden Christus verstanden. Beispiel<br />
dafür sind die Heilige Elisabeth von<br />
Thüringen, die Aussätzigen die Wunden<br />
wusch, sowie der Heilige Franz von<br />
Assisi, der Kranke mit Liebe und Ach-<br />
tung pflegte.<br />
Die meisten Menschen aber fürchteten<br />
nach wie vor einen Kontakt mit den<br />
Leprakranken so sehr, dass man begann,<br />
diese zwangsweise zu isolieren. Um die<br />
Krankheit zurückzudrängen, war diese<br />
Maßnahme indes völlig ungeeignet: Die Zahl der Leprakran-<br />
ken stieg ab dem 12. Jahrhundert deutlich an. Zu dieser Zeit<br />
gab es in Europa rund 19.000 Leprosenhäuser. Die Einweisung<br />
in diese Häuser geschah oft unter Anwendung von Zwangs-<br />
maßnahmen, in Zweifelsfällen mussten sich die Verdächtigen<br />
einem Prüfungsverfahren unterziehen – dem sogenannten<br />
Examen leprosorum, der Lepraschau.<br />
30 31<br />
H<br />
Worte und Taten Jesu rückten wie so oft im Mittelalter in den<br />
Hintergrund, an ihre Stelle traten Maßnahmen, die man aus<br />
dem Blickwinkel der damaligen Zeit als »gegeben« ansah,<br />
wenn nicht sogar als »von Gott gegeben«. So beschloss das<br />
III. Laterankonzil von 1179, den Leprakranken einen Umgang<br />
mit Gesunden strikt zu verbieten. Infolgedessen wurden sie<br />
noch stärker stigmatisiert, mussten ein kuttenähnliches Ge-<br />
wand tragen, die sogenannte Leprosentracht, und sich bei der<br />
Annäherung an die Welt der Gesunden mit akustischen<br />
Warninstrumenten bemerkbar machen. Dies geschah mit<br />
»Siechenschellen«, später mit einem »Leprosenhorn« oder der<br />
»Lepraklapper«. Um eine direkte Berührung mit den Gesun-<br />
den zu vermeiden, mussten sie Handschuhe tragen und einen<br />
Stock mit sich führen, um beim Erwerb von Gegenständen<br />
oder Gütern auf diese zeigen zu können. Erst im Spätmittel-<br />
alter und der frühen Neuzeit setzte in Europa ein Rückgang<br />
der Lepra ein, unter anderem infolge der deutlich verbesserten<br />
hygienischen Bedingungen und der verbesserten Ernährung.<br />
Am Ende des 16. Jahrhunderts war der »Aussatz« in Europa<br />
so gut wie nicht mehr vorhanden.<br />
Im Zuge der zahlreichen Erfindungen und Entdeckungen des<br />
19. Jahrhunderts wurde Lepra auch in Europa wieder zum<br />
Thema: Missionare reisten in tropische Länder, um Leprakran-<br />
ke zu pflegen – allen voran der selige Pater Damian De Veuster<br />
sscc auf der hawaiianischen Leprainsel Molokai. Er war ein<br />
wahrer Pionier der modernen Lepra-Arbeit, denn erstmals<br />
kümmerte sich ein Helfer intensiv um das medizinische, so-<br />
ziale und seelische Wohl der Patienten. Erstmals wurden die<br />
Patienten also als gleichwertige Menschen wahrgenommen.<br />
1947 gab es das erste wirksame<br />
Medikament<br />
Zu dieser Zeit begannen auch Wissenschaftler, die Lepra zu<br />
erforschen: Der Norweger Gerhard Armauer Hansen ent-<br />
deckte 1873 das Mycobacterium leprae, den Erreger der<br />
Krankheit. Trotzdem dauerte es noch gut 70 Jahre, bis 1947<br />
mit dem Präparat Dapson erstmals ein wirksames Medika-<br />
Historische Darstellungen vom Leben der Aussätzigen und<br />
ihrer Umgebung. Bild oben: Ein scheinbar am Aussatz<br />
Erkrankter muss sich der Lepraschau unterziehen.<br />
Bild unten: Ein Leprakranker muss mit der sogenannten<br />
Lepraklapper auf sich aufmerksam machen.<br />
Auf diese Weise sollten Ansteckungen vermieden werden.
ment gegen Lepra zur Verfügung stand.<br />
Da dies jedoch täglich und lebenslang<br />
eingenommen werden musste, drängten<br />
Leprapioniere wie der DAHW-Mitbe-<br />
gründer Hermann Kober die pharma-<br />
zeutische Forschung zu neuen Medika-<br />
menten, die eine zeitlich begrenzte<br />
Chemotherapie ermöglichten. Heute<br />
gibt es dank der Kombination aus drei<br />
verschiedenen Antibiotika eine sehr<br />
erfolgreiche Therapie gegen die Krank-<br />
heit: Nach sechs bis achtzehn Monaten,<br />
je nach Art der Infektion, ist der Patient<br />
H<br />
geheilt – zumindest medizinisch.<br />
Was auch nach der Behandlung bleibt,<br />
ist das Stigma der Lepra: die typischen<br />
Verstümmelungen an Händen und<br />
Füßen, manchmal auch im Gesicht. Sie<br />
gelten als »Warnzeichen« für viele nicht<br />
erkrankte Menschen und führen dazu,<br />
dass die »Aussätzigkeit« auch heute<br />
noch aktuell ist. Dass Lepra inzwischen<br />
vollständig heilbar ist, spielt dabei keine<br />
Rolle – die jahrtausendealte Geschich-<br />
Gelungene Integration damals:<br />
P. Damian lebt als junger Missionar<br />
mit seinen Kranken auf Molokai und<br />
gibt ihnen ihre Würde zurück<br />
te dieser Krankheit hat die Vorurteile so<br />
tief in das gesellschaftliche Leben und<br />
Handeln eingebrannt, dass eine Ent-<br />
wicklung nur in sehr kleinen Schritten<br />
erfolgt.<br />
H<br />
Ganze Staaten fürchten um ihr Image<br />
als aufstrebende Nationen an der<br />
Schwelle vom Entwicklungs- zum Indus-<br />
trieland oder als Idylle für Erholung<br />
suchende Touristen. Waren noch vor 50<br />
Jahren die Hilferufe deutlich hörbar,<br />
als die gerade entstandenen Lepra-<br />
hilfswerke mit ihrer Arbeit begannen,<br />
so sind es heute oftmals die gleichen<br />
Staaten, die Statistiken zumindest<br />
»schönen«, um die Lepra offiziell für<br />
besiegt zu erklären. Dabei nutzen<br />
sie geschickt die Eliminierungskampag-<br />
ne der Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO), die statistische Größen defi-<br />
niert hat. So gilt Lepra nicht etwa dann<br />
als eliminiert, wenn die Krankheit tat-<br />
sächlich besiegt wurde, sondern wenn<br />
sich zu bestimmten Stichtagen weniger<br />
als ein Patient pro 10.000 Einwohner<br />
in Behandlung befindet. Mit etwas<br />
Kreativität ist diese Grenze für fast alle<br />
von Lepra betroffenen Staaten zu un-<br />
terbieten, die offizielle »Eliminierung«<br />
der Lepra wurde schon fast überall<br />
verkündet.<br />
Der Mensch steht im<br />
Zentrum der Lepra-Arbeit<br />
Trotzdem sind nach offiziellen WHO-<br />
Angaben mehr als 250.000 Menschen<br />
im vergangenen Jahr neu an Lepra er-<br />
krankt, die Dunkelziffer dürfte weit<br />
höher sein. Ein Grund dafür ist, dass<br />
die Infektionskrankheiten insgesamt in<br />
den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />
für faktisch besiegt erklärt wurden. Der<br />
blinde Glaube an den Fortschritt der<br />
chemisch-pharmazeutischen Industrie<br />
führte zu diesem aus heutiger Sicht<br />
fatalen Trugschluss: Die Tuberkulose<br />
beispielsweise ist auf einem gefähr-<br />
lichen Vormarsch, weil die Immun-<br />
schwäche HIV/Aids die Krankheit be-<br />
günstigt und die Tuberkulose-Erreger<br />
Resistenzen gegen die bekannten Me-<br />
dikamente entwickelt haben. Da aller-<br />
dings wegen der vermeintlich kurz be-<br />
vorstehenden Ausrottung aller Infekt-<br />
ionskrankheiten die Forschung in<br />
diesen Bereichen fast komplett einge-<br />
stellt wurde, fehlen heute wirksame<br />
Medikamente. Die Entwicklung und<br />
Freigabe neuer Präparate kann Jahre<br />
oder gar Jahrzehnte dauern.<br />
Auch die Lepra wurde nicht weiter er-<br />
forscht. Wissenschaftler in aller Welt<br />
rätseln heute noch über die genauen<br />
Übertragungswege und können dabei<br />
nur Vermutungen anstellen. Bei Inku-<br />
bationszeiten von vier bis acht Jahren –<br />
in Ausnahmefällen bis zu 30 Jahren! –<br />
ist dies wenig Erfolg versprechend.<br />
32 33<br />
H<br />
Die wichtigste Komponente der heu-<br />
tigen Lepra-Arbeit jedoch ist der be-<br />
troffene Mensch. Nicht nur Patienten<br />
selbst, auch ihre Angehörigen werden<br />
oftmals diskriminiert. Eine Arbeit zu<br />
finden, mit der man sich und seine<br />
Familie ernähren kann, gleicht einem<br />
Spießrutenlauf zwischen alten Vorurtei-<br />
len und modernem Imagedenken. Ne-<br />
ben der rein medizinischen Behand-<br />
lung, die trotz fehlender Forschung seit<br />
Einführung der Multidrug-Therapie sehr<br />
einfach ist, liegt der Schwerpunkt der<br />
Arbeit heute auf dem Kampf gegen die<br />
Diskriminierung, weil sie das größte<br />
Hindernis bei der Überwindung der<br />
Lepra darstellt: Infizierte Menschen, die<br />
ihre Erkrankung selbst schon bemerkt<br />
haben, verstecken die Hautflecken vor<br />
ihren Mitmenschen, weil sie soziale<br />
Ausgrenzung fürchten. Kaum ein Pati-<br />
ent würde sich in ein Behandlungszen-<br />
trum wagen, das ausschließlich Lepra-<br />
patienten behandelt. Daher kümmern<br />
sich Leprazentren heute um viele Haut-<br />
krankheiten.<br />
H<br />
Nach erfolgreicher medizinischer Be-<br />
handlung ist für die meisten Patienten<br />
eine soziale Betreuung notwendig. Trotz<br />
aller Vorsicht haben Verwandte, Nach-<br />
barn oder Arbeitskollegen von der Er-<br />
krankung erfahren. Der Verlust des<br />
Arbeitsplatzes, der Verweis von der<br />
Schule oder die soziale Ächtung durch<br />
Nachbarn sind dann die Folge. Oft<br />
werden sogar Verwandte aus der ge-<br />
meinsamen Wohnung verbannt. In<br />
zahlreichen Hilfsprojekten haben Le-<br />
prahelfer diesen Menschen geholfen,<br />
Gelungene Integration heute: Joseph B. hat den Aussatz besiegt und lebt wieder mit<br />
seiner Familie im Heimatdorf<br />
wieder Zugang zum gesellschaftlichen<br />
Leben zu finden: zu einem Arbeitsplatz<br />
und einem Wohnumfeld, das ein nor-<br />
males, selbstbestimmtes Leben ermög-<br />
licht. Diese Arbeit geht über die medi-<br />
zinische Heilung hinaus. Viele Menschen<br />
in diesen Einrichtungen hatten selbst<br />
keine Lepra, sondern waren lediglich als<br />
Angehörige von Kranken ausgestoßen<br />
worden. Rund vier Millionen Menschen<br />
weltweit müssen derzeit mit Behinde-<br />
rungen aufgrund einer eigenen Lepra-<br />
Erkrankung leben, mindestens doppelt<br />
so viele Angehörige sind von Diskrimi-<br />
nierungen mitbetroffen.<br />
Die rein medizinische Arbeit der DAHW<br />
war bereits ein großer Erfolg: Seit ihr er<br />
Gründung 1957 ist die Zahl der aku -<br />
t en Leprakranken von geschätzten<br />
12.000.000 auf heute 250.000 gesunken.<br />
Für die zukünftige Arbeit der Deutschen<br />
Lepra- und Tuberkulosehilfe lautet das<br />
Motto: »mehr care als cure«. Wir können<br />
die Menschen nicht nur medizinisch<br />
heilen und sie dann ihrem Schicksal<br />
überlassen, sondern müssen sie auf ihrem<br />
weiteren Lebensweg unterstützen – nach-<br />
haltig und verantwortungsbe-<br />
wusst. e<br />
Die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe wurde<br />
1957 unter dem Namen Deutsches Aussätzigen-<br />
Hilfswerk gegründet. 2003 erfolgte die Namens-<br />
änderung, um den Schwerpunkt Tuberkulose<br />
auch im Namen darzustellen. Die Abkürzung<br />
jochen hövekenmeier<br />
DAHW wird zur besseren Wiedererkennung vor allem bei Förderern<br />
weiter verwendet. Die DAHW ist ein eingetragener Verein mit<br />
Hauptsitz in Würzburg, der unabhängig von politischen und kon-<br />
fessionellen Überzeugungen gezielt Hilfe für kranke und ausge-<br />
grenzte Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern leistet.<br />
Aktuell unterstützt das Hilfswerk 295 Projekte in 35 Ländern und<br />
arbeitet dabei innerhalb verschiedener Netzwerke mit anderen<br />
Lepra-Hilfsorganisationen zusammen (www.dahw.de).
»Himmelserscheinungen«, so<br />
lautet das Motto der Wohlfahrts-<br />
marken 2009 und auch der Kölner<br />
Karneval ging in diesem Jahr mit<br />
der Losung »Himmlisch jeck« auf<br />
die Straßen. Das zeigt: Mit dem<br />
Himmel kann man wieder punk-<br />
ten – und in Zeiten, in denen es<br />
der Welt weder ökonomisch noch<br />
ökologisch gut geht, weiten sich<br />
Sehnsucht und Blick der Men-<br />
schen über die Grenzen des Welt-<br />
lichen, des Machbaren und Mess-<br />
baren hinaus.<br />
H<br />
Kunst hat nicht nur mit Können zu tun,<br />
sondern auch – und das ist nicht weni-<br />
ger wichtig – mit Künden. An der Ma-<br />
rien-Basilika in Kevelaer wird dies<br />
gleich zweimal bewiesen. Bert Gerres-<br />
heim hat das Südportal der Kirche als<br />
Portal der Nachfolge Christi gestaltet<br />
und das Fenstermaßwerk über dem<br />
Hauptportal für die reliefartige Darstel-<br />
lung der Apokalypse genutzt. In beiden<br />
Bert Gerresheim, geboren 1935 in Düsseldorf,<br />
ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen<br />
Bildhauer. In seinen Werken ließ er sich unter<br />
anderem von Michelangelo, Bernini, Antonio<br />
Gaudí und Auguste Rodin inspirieren.<br />
Zunehmend stellt er die Größe des Menschen<br />
dar, die ihm von Gott verliehen wird<br />
(»Verwandlung und Vergöttlichung«).<br />
Er lenkt den Blick auf einen Ausschnitt des<br />
menschlichen Körpers, auf die Physiognomie<br />
und Körpergestik, in dem sich das ganze<br />
Leben des jeweiligen Menschen abbildet.<br />
Bert Gerresheim hat mit Zustimmung der<br />
Wallfahrtsleitung der Marien-Basilika in<br />
Kevelaer den kostenfreien Abdruck seines<br />
Kunstwerkes genehmigt.<br />
Das außergewöhnliche Leben Pater Damians hat nicht nur vielen Gläubigen<br />
wichtige Anstöße gegeben, sondern auch zahlreiche Künstler inspiriert, diese Gestalt,<br />
ihr Leben und Wirken in Büchern, Bildern und Skulpturen zu interpretieren.<br />
<strong>Himmlische</strong> Aussichten<br />
Kunstwerken ist auch Damian De Veuster zu sehen, nicht als<br />
einsamer Held, sondern in der Gemeinschaft der Seligen und<br />
Heiligen: mit Mutter Teresa, Hedwig Dransfeld, Maria Stol-<br />
lenwerk und Josepha Stenmans und in unmittelbarer Nach-<br />
barschaft von Pauline von Mallinckrodt, Franziska Schervier<br />
sowie Vinzenz von Paul.<br />
In die größere Gemeinschaft der Heiligen eingebunden zu<br />
sein, erinnert daran, dass Menschen nicht aus eigener Kraft<br />
heilig werden. Sie verbindet, dass sie aus demselben Heiligen<br />
Geist leben, der sie begnadet und befähigt. Von ihm werden<br />
sie »ausgestattet« mit den Gaben, die sie für ihre Zeit benö-<br />
tigen, damit Menschen spüren, was Gott heute wirken will.<br />
Es ist genau dieser Geist, der sie nicht untätig warten lässt,<br />
bis der Herr wiederkommt; der sie durch Taten der Nächsten-<br />
liebe sagen lässt: »Amen, komm Herr Jesus«. Zudem wirken<br />
sie im Sinne der Apokalypse mit, damit Menschen erfahren,<br />
dass die Erlösung begonnen hat und ihr Leben, ihre Situation<br />
bereits jetzt verwandelt.<br />
34<br />
35<br />
H<br />
Im Falle P. Damians bedeutet dies: Gott wollte den Aussätzi-<br />
gen, den Ausgestoßenen durch Damian mitteilen, ihr seid<br />
nicht von Gott und »allen guten Geistern« verlassen. Vielmehr<br />
lässt er sie in ihrem Elend spüren, welche Würde sie trotz<br />
allem haben und welche himmlische Perspektive.<br />
Damian hat wie die Heiligen, die ihn auf dem Portal und<br />
in der Apokalypse umgeben, konsequent vorgelebt: Diese<br />
himmlische Perspektive beginnt nicht erst nach dem Tod und<br />
bleibt auch nicht denen vorbehalten, denen es gut geht auf<br />
der Erde. Spätestens nachdem Jesus Christus mit seinem<br />
Auftritt im Tempel und der Lesung aus dem Propheten Jesa-<br />
ja verkündet, dass das Reich Gottes heute angebrochen ist<br />
und sich die Verheißung heute erfüllt (Lukas 4,21), können<br />
Christen nicht mehr so tun, als habe die Gegenwart nichts<br />
mit der Zukunft, die Erde nichts mit dem Himmel und der<br />
Mensch nichts mit Gott zu tun.<br />
Die Menschen auf Molokai mussten nicht auf die Zeit nach<br />
dem Tod warten, um zu erfahren, wie sehr sie geschätzt sind<br />
und dass das Reich Gottes bereits heute<br />
H<br />
anfanghaft verwirklicht ist.<br />
Warum Menschen wie Damian sich frei-<br />
willig so konsequent auf die Seite der<br />
Leidenden, der Verfolgten und der Ver-<br />
achteten stellen können?<br />
Hierfür gibt es viele Gründe. Allen, die in<br />
Kevelaer dargestellt werden, ist gemein-<br />
sam, dass sie sich von Jesus Christus, dem<br />
menschgewordenen Evangelium, begeis-<br />
tern und leiten ließen; dass sie sich von<br />
Gott grenzenlos geliebt fühlten und dass<br />
sie nicht sich beweisen, sondern durch<br />
ihre Liebe »Gott beweisen« wollten.<br />
Dass Damian auf seiner Soutane das<br />
Emblem der Heiligsten Herzen, gleich-<br />
sam das Leitbild seiner Ordensgemein-<br />
schaft, trägt, zeigt den Grund für sein<br />
entschiedenes Leben: Nach dem Vorbild<br />
Mariens lebte er in der Überzeugung,<br />
ganz und gar, unter allen Umständen und<br />
überall von Gott geliebt zu sein. So konn-<br />
te er auch »am Ende der Welt« und »am<br />
Ende seiner Kraft« die Menschen noch<br />
immer lieben.<br />
H<br />
Heilige Menschen, »Himmelserschei-<br />
nungen«, begegnen uns, wo Menschen<br />
ganz anwesend sind, indem sie sich für<br />
Menschen einsetzen und ihnen gut tun;<br />
wo sie stellvertretend für Gott lieben, da-<br />
mit er spürbar wird, denn er hat heute kein<br />
anderes Herz als das eines je-<br />
den Menschen. e<br />
p. manfred kollig sscc
»Seliger Damian, Du hast dich<br />
durch den Heiligen Geist<br />
führen lassen als ein gehor-<br />
sames Kind Gottes. In deinem<br />
Leben und deinem missiona-<br />
rischen Wirken zeigst du, dass<br />
Christus jeden Menschen<br />
zärtlich und barmherzig liebt<br />
und eine Schönheit seines<br />
inneren Wesens enthüllt, die<br />
von keiner Krankheit, keiner<br />
Missbildung und keiner<br />
Schwäche völlig entstellt<br />
werden kann.« (Gebet am Ende<br />
der Predigt bei der Seligspre-<br />
chung am 4. Juni 1995 in<br />
Brüssel)<br />
papst johannes paul II<br />
»Um die Arbeit der Liebe und<br />
Heilung bei den Aussätzigen<br />
weiterführen zu können,<br />
brauchen wir einen Heiligen,<br />
der uns führt und beschützt.<br />
Pater Damian könnte dieser<br />
Heilige sein – ein Heiliger und<br />
Martyrer von so großer Liebe<br />
und ein wunderbares Beispiel<br />
des Gehorsams für uns<br />
Ordensleute. Ich glaube, dass<br />
dafür ein Wunder gefordert<br />
wird. Ich kenne ein wirkliches<br />
Wunder: dass die Angst aus<br />
den Herzen der Aussätzigen<br />
verschwunden ist, dass sie ihre<br />
Krankheit nicht mehr<br />
verstecken, sondern offen<br />
darüber reden und um<br />
Medizin bitten – und dass sie<br />
hoffen, geheilt zu werden. Die<br />
Veränderung des Herzens bei<br />
den Menschen und den<br />
Regierenden gegenüber den<br />
Aussätzigen – mehr Interesse,<br />
weniger Furcht,<br />
Bereitschaft zu helfen immer<br />
und überall: Das ist für mich<br />
das größte Wunder über-<br />
haupt.« (Brief vom Mai 1984<br />
an Papst Johannes Paul II.)<br />
mutter teresa<br />
»Die Welt der Politik und der<br />
Presse kennt nur wenige<br />
Helden, die mit Pater Damian<br />
von der Aussätzigensiedlung zu<br />
vergleichen sind. Die Mühe<br />
lohnt sich, nach der Quelle zu<br />
suchen, aus der so viel<br />
Heldentum kommt.«<br />
(Aus: T. N. Jagadisan, Mahatma<br />
Gandhi Answers the Challenge<br />
of Leprosy, Madras 1965)<br />
mahatma gandhi