gewinnt 6. Shalom - Bandcontest - Evangelisches Jugendhaus ...
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Anna Achmatova<br />
Requiem<br />
vor 70 Jahren tobte der Höhepunkt<br />
des stalinistischen Terrors<br />
Sie führten dich fort im Morgengrauen,<br />
Wie zum Begräbnis folgte ich dir,<br />
Die Kinder weinten im dunklen Zimmer,<br />
Bei den Heiligenbildern tropft das Licht,<br />
Auf deinen Lippen Ikonenkälte,<br />
Und Todesschweiß auf deiner Stirn,<br />
Ich werde, wie einst die Strelitzenfrauen,<br />
Heulen unter den Kremltürmen.<br />
Anna Achmatova brachte zwischen 1935 und 1943 das erschütternde Poem „Requiem“ zu<br />
Papier. Darin beschrieb sie mit Worten tiefer Menschlichkeit das unsagbare Leid all derer,<br />
die während der Jahre der sogenannten „Säuberungen“ in den Strudel des allgegenwärtigen<br />
Terrors hineingezogen wurden.<br />
Anna Achmatova kannte den Schmerz an eigener Seele. Monatelang stand sie selbst mit<br />
in der endlosen Warteschlange vor dem Leningrader Gefängnis, um eine Nachricht vom<br />
Verbleib ihres Sohnes zu erfahren. Ihr erster Mann, der Schriftsteller Nicolai Gumilev, war<br />
bereits 1921 wegen des Vorwurfes konterrevolutionärer Betätigung erschossen wurden.<br />
Und 1934 wurde der Lyriker Ossip Mandelstam, mit dem sie verbunden war, verhaftet. Er<br />
stirbt am 27. Dezember 1938 in einem sibirischen Lager in der Nähe von Wladiwostok.<br />
Vor genau siebzig Jahren erlitt das russische Volk den Höhepunkt von Stalins „Großem<br />
Terror“. In den Moskauer Schauprozessen wurden die ursprünglichen Träger der Oktoberrevolution<br />
unsinnigster Verbrechen angeklagt und zum Tode verurteilt. Der Geheimdienst<br />
NKDW war unermüdlich auf der Jagd nach vermeintlichen Feinden.<br />
Ein System allumfassender Bespitzelung und Denunziation lähmte den Alltag des ganzen<br />
Volkes. Es konnte jeden und jede treffen: ehemalige Anhänger anderer politischer Parteien<br />
ebenso wie überzeugte Bolschewisten, hohe Funktionäre ebenso wie einfache Menschen.<br />
Stalins Diktatur erhob absoluten Anspruch und machte vor niemandem Halt. Die Schatten<br />
dieser Barbarei waren noch Jahrzehnte später im Bewusstsein zahlloser Menschen präsent.<br />
Anna Achmatova gilt heute als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der russischen<br />
Literatur. Zu Lebzeiten musste sie es aushalten, dass ihre Lyrik in der eigenen Heimat verboten<br />
war. Ihr erschütterndstes Werk – „Requiem“, dieser Trauergesang für die namenlosen<br />
Opfer stalinistischen Terrors – konnte erst 1987 in Russland erscheinen. Ihr Meisterwerk<br />
mahnt noch heute, die Zeiten der politischen Gewalt nicht aus der Erinnerung zu streichen<br />
– zu nah scheint auch in Russland schon wieder die autoritäre Versuchung.<br />
1 Anna Achmatova „Requiem“ S. 17 Oberbaum Verlag 1987<br />
Seite 19