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Fachtagung 1994 in Ansbach, Ländliche Entwicklung dient Stadt ...

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<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>in</strong> Bayern<br />

<strong>Fachtagung</strong> <strong>1994</strong> <strong>Ansbach</strong><br />

»<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>dient</strong><br />

<strong>Stadt</strong> und Land«<br />

Bayerisches Staatsm<strong>in</strong>isterium<br />

für Ernährung,<br />

Landwirtschaft und Forsten<br />

Berichte 70/<strong>1994</strong>


Impressum:<br />

Herausgeber: Bayerisches Staatsm<strong>in</strong>isterium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ©<br />

<strong>1994</strong> — ISSN 0943-7622<br />

Schriftleitung: Prof. Dr.-Ing. Holger Magel, Ludwigstraße 2, 80539 München<br />

Claus Hager, Infanteriestraße 1, 80797 München<br />

Gestaltung und Satz: Bereich Zentrale Aufgaben der Bayerischen Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Fotos: Thomas Geiger — Fotografie und Bildjournalismus, 91217 Hersbruck<br />

Druck: Druckhaus Kastner GmbH, 85280 Wolnzach<br />

Diese Broschüre ist auf 100 % Altpapier gedruckt.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 71/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

1


Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 71/<strong>1994</strong><br />

Dem Begründer dieser<br />

Schriftenreihe und<br />

langjährigen Leiter der<br />

Bayerischen Verwaltung für<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Herrn M<strong>in</strong>isterialdirigenten<br />

Günther Strößner<br />

zum dienstlichen Abschied<br />

gewidmet.<br />

Die Schriftleitung<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

1


Inhaltsverzeichnis<br />

Der Schirmherr der <strong>Fachtagung</strong><br />

Dr. Edmund Stoiber<br />

Bayerischer M<strong>in</strong>isterpräsident<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>dient</strong> <strong>Stadt</strong> und Land 11<br />

Eröffnungsveranstaltung<br />

Günther Strößner<br />

M<strong>in</strong>isterialdirigent im Bayerischen Staatsm<strong>in</strong>isterium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten<br />

Begrüßung und E<strong>in</strong>führung 13<br />

Ralf Felber<br />

Oberbürgermeister der <strong>Stadt</strong> <strong>Ansbach</strong><br />

Grußwort 19<br />

Dr. Walter Eykmann<br />

Mitglied des Bayerischen Landtags und Vorsitzender des Ausschusses für Fragen des öffentlichen Dienstes<br />

Grußwort 21<br />

Re<strong>in</strong>hold Bocklet<br />

Bayerischer Staatsm<strong>in</strong>ister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> für Bayern und Europa 23<br />

Podiums- und Plenumsdiskussion 33<br />

Leitung: Dr. Gertrud Helm<br />

Bayerischer Rundfunk<br />

Empfang der Bayerischen Staatsregierung<br />

Marianne Deml<br />

Staatssekretär<strong>in</strong> im Bayerischen Staatsm<strong>in</strong>isterium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten<br />

Grußwort 35<br />

Teobald Belec<br />

Slowenisches M<strong>in</strong>isterium für Landwirtschaft und Forsten, Ljubljana<br />

Dank der Gäste 37<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

5


Schlußveranstaltung<br />

Berichte über die Arbeitskreise<br />

Johann Huber<br />

Bauoberrat an der Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Krumbach (Schwaben)<br />

Bericht über den Arbeitskreis 1:<br />

Möglichkeiten und Grenzen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 39<br />

Robert Bromma<br />

Bauoberrat an der Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Würzburg<br />

Bericht über den Arbeitskreis 2:<br />

Sicherung und Ausbau regionaler Infrastruktur 41<br />

Erich Sperle<strong>in</strong><br />

Bauoberrat an der Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Bamberg<br />

Bericht über den Arbeitskreis 3:<br />

Land- und Forstwirtschaft 45<br />

Dr.-Ing. Peter Jahnke<br />

Bauoberrat am Bereich Zentrale Aufgaben der Bayerischen Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Bericht über den Arbeitskreis 4:<br />

Dorfentwicklung 49<br />

Dr. agr. Mart<strong>in</strong> Hundsdorfer<br />

Baurat an der Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Regensburg<br />

Bericht über den Arbeitskreis 5:<br />

Landschaftsgestaltung 51<br />

Karl Braumiller<br />

Bauoberrat am Bereich Zentrale Aufgaben der Bayerischen Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Bericht über den Arbeitskreis 6:<br />

Informationstechnik 53<br />

Helene Stegmann<br />

Bauoberrät<strong>in</strong> an der Staatlichen Führungsakademie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Landshut<br />

Bericht über den Arbeitskreis 7:<br />

Aus- und Fortbildung 55<br />

Günter Bschor<br />

Bauoberrat an der Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Krumbach (Schwaben)<br />

Bericht über den Arbeitskreis 8:<br />

Unternehmenskultur 59<br />

6 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Schlußvorträge<br />

Marianne Deml<br />

Staatssekretär<strong>in</strong> im Bayerischen Staatsm<strong>in</strong>isterium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten<br />

Hilfe zur Selbsthilfe — <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> mit den Menschen für die Menschen 61<br />

Günther Strößner<br />

M<strong>in</strong>isterialdirigent im Bayerischen Staatsm<strong>in</strong>isterium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten<br />

Schlußwort 67<br />

Charles Konnen<br />

Präsident des Nationalen Flurbere<strong>in</strong>igungsamtes <strong>in</strong> Luxemburg<br />

Dank der Gäste 71<br />

E<strong>in</strong>führungsreferate <strong>in</strong> den Arbeitskreisen<br />

siehe gesondertes Inhaltsverzeichnis nächste Seite<br />

Bisher erschienene Berichte 207<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

7


E<strong>in</strong>führungsreferate <strong>in</strong> den Arbeitskreisen<br />

Arbeitskreis 1: Möglichkeiten und Grenzen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

Dipl.-Ing. Johann Huber<br />

Bauoberrat an der Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Krumbach (Schwaben)<br />

E<strong>in</strong>führung 73<br />

Dr. agr. Balthasar Huber<br />

Europäische Kommission GD VI, Brüssel<br />

Die Zukunft ländlicher Räume – <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> aus der Sicht der Europäischen Kommission 75<br />

Dr.-Ing. Karl-Friedrich Thöne<br />

Regierungsdirektor im Bundesm<strong>in</strong>isterium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Bonn<br />

Möglichkeiten und Grenzen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 85<br />

Arbeitskreis 2: Sicherung und Ausbau regionaler Infrastruktur<br />

Dipl.-Ing. Robert Bromma<br />

Bauoberrat an der Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Würzburg<br />

E<strong>in</strong>führung 99<br />

Emil Schneider<br />

F<strong>in</strong>anzreferent, Bayerischer Geme<strong>in</strong>detag, München<br />

Die Geme<strong>in</strong>den auf dem Weg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>anzkrise? 101<br />

Dipl.-Ing. Bernhard Böckeler<br />

1. Bürgermeister des Marktes Allersberg<br />

Strukturelle Probleme und Lösungswege am Rande e<strong>in</strong>es Ballungsraumes 107<br />

Dr. Walter Lohmeier<br />

Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Würzburg–Schwe<strong>in</strong>furt<br />

<strong>Ländliche</strong> Räume – <strong>in</strong>novative Wirtschaftsstandorte mit Zukunft? 109<br />

Dr. Karl-He<strong>in</strong>z Röhl<strong>in</strong><br />

Landjugendpfarrer und Leiter der Evangelischen Landvolkshochschule Pappenheim<br />

Lust auf’s Land – Erwartungen und Forderungen junger Menschen 115<br />

Gottfried Wieselhuber<br />

Gutsverwalter des Klosters Maria Bildhausen, Münnerstadt<br />

Regionale Interessengeme<strong>in</strong>schaft Maria Bildhausen (RIM) – E<strong>in</strong>e Initiative von unten! 119<br />

8 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Arbeitskreis 3: Land- und Forstwirtschaft<br />

Dipl.-Ing. agr. Erich Sperle<strong>in</strong><br />

Bauoberrat an der Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Bamberg<br />

E<strong>in</strong>führung 123<br />

Prof. Dr. agr. Otmar Seibert<br />

Fachhochschule Weihenstephan, Abteilung Triesdorf, Fachgebiet Agrarökonomie<br />

Strategien für e<strong>in</strong>e zukunftsorientierte Landwirtschaft 129<br />

Dipl.-Ing. agr. Walter Danner<br />

Unternehmens- und Market<strong>in</strong>gberater, Ruhstorf<br />

Umsetzung von Market<strong>in</strong>gkonzepten für die Land- und Forstwirtschaft <strong>in</strong> Verfahren<br />

der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 135<br />

Arbeitskreis 4: Dorfentwicklung<br />

Dr.-Ing. Peter Jahnke<br />

Bauoberrat am Bereich Zentrale Aufgaben der Bayerischen Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>, München<br />

Neue Wege <strong>in</strong> der Dorfentwicklung — von der Expertenplanung zur Moderation 141<br />

Professor Dipl.-Ing. Fritz Auweck<br />

Landschaftsarchitekt, Flurwerkstatt Auweck/Koetter, München<br />

Dorfentwicklung im Verbund 143<br />

Dipl.-Ing. Günter Naumann<br />

Architekt, Regensburg<br />

Der Architekt / Planer als Moderator 145<br />

Dipl.-Ing. Leonhard Rill<br />

Bauoberrat an der Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> München<br />

Neue Anforderungen an die Flurentwicklung 147<br />

Gruppenergebnisse 149<br />

Arbeitskreis 5: Landschaftsgestaltung<br />

Dipl.-Ing. (FH) Anne Wendl<br />

landimpuls GmbH, Mangold<strong>in</strong>g<br />

Dipl.-Ing. Michael Sch<strong>in</strong>dler<br />

Bauoberrat an der Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Regensburg<br />

Neue Aufgabenschwerpunkte <strong>in</strong> der Landschaftsentwicklung 157<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

9


Dipl.-Ing. Thomas Gollwitzer<br />

Bauoberrat an der Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Regensburg<br />

Dipl.-Ing. Karl Sp<strong>in</strong>dler<br />

Landschaftsarchitekt, Kastl<br />

Von der Bürgerbeteiligung zur Bürgerplanung<br />

Flurwerkstatt Fuhrn – e<strong>in</strong> Modell 163<br />

Arbeitskreis 6: Informationstechnik<br />

Dipl.-Ing. Karl Braumiller<br />

Bauoberrat am Bereich Zentrale Aufgaben der Bayerischen Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>, München<br />

E<strong>in</strong>führung 169<br />

Dipl.-Math. Holger Schellhaas<br />

CAPdebis, Bereich Telekommunikation, München<br />

Aktuelle <strong>Entwicklung</strong>en der Informations- und Kommunikationstechnik 173<br />

Prof. Dr. Jörg Maier<br />

Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie und Regionalplanung, Universität Bayreuth<br />

Telekommunikation im ländlichen Raum —<br />

Möglichkeiten und Grenzen der Errichtung von Telestuben 177<br />

Arbeitskreis 7: Aus- und Fortbildung<br />

Dipl.-Ing. Helene Stegmann<br />

Bauoberrät<strong>in</strong> an der Staatlichen Führungsakademie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Landshut<br />

E<strong>in</strong>führung 183<br />

Dipl.-Soz. Rudolf Bögel<br />

Lehrstuhl für Organisations- und Wirtschaftspsychologie, Ludwig-Maximilians-Universität München<br />

Systematische Personalentwicklung 185<br />

Arbeitskreis 8: Unternehmenskultur<br />

Dipl.-Ing. Günter Bschor<br />

Bauoberrat an der Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Krumbach (Schwaben)<br />

E<strong>in</strong>führung 189<br />

Dr. Norbert Hagemann<br />

Sietec Consult<strong>in</strong>g GmbH & Co. OHG, München<br />

Unternehmensstrategie und Unternehmenskultur –<br />

der Schlüssel zum Unternehmenserfolg 191<br />

10 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Edmund Stoiber<br />

Schirmherr der <strong>Fachtagung</strong><br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>dient</strong> <strong>Stadt</strong> und Land *<br />

Im Jahr 1989 hat sich <strong>in</strong> Freis<strong>in</strong>g nach jahrelangen<br />

Vorbereitungen auf Anregung Bayerns und<br />

Österreichs e<strong>in</strong>e Europäische Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

Landentwicklung und Dorferneuerung konstituiert,<br />

deren Ziel die möglichst umfassende Verbesserung<br />

der ländlichen Lebens-, Wohn-, Arbeits- und Erholungsbed<strong>in</strong>gungen<br />

ist. Maßnahmen wie Sanierung<br />

und <strong>Entwicklung</strong> der Dörfer, ökonomische und<br />

ökologische Flurgestaltung, ländlicher Wegbau etc.<br />

sollen helfen, den Standort ländlicher Raum als<br />

gleichberechtigten und unverzichtbaren Partner der<br />

städtischen Ballungszentren zu stärken. Diese Aufgabe<br />

stellt sich <strong>in</strong> Bayern und Österreich ebenso wie<br />

<strong>in</strong> den neuen deutschen Ländern oder gar <strong>in</strong> den<br />

Reformländern Osteuropas.<br />

Inzwischen fördert die Europäische Union auf<br />

Grundlage ihrer reformierten Strukturpolitik im<br />

großen Stil und mit erheblichem f<strong>in</strong>anziellen Mittele<strong>in</strong>satz<br />

die ländlichen Regionen Europas. Bayern<br />

hat <strong>in</strong> der soeben aufgelegten zweiten Tranche<br />

der Struktur-fonds <strong>1994</strong> bis 1999 e<strong>in</strong>e erhebliche<br />

Flächen- und Mittelaufstockung für die sogenannten<br />

5b-Programme erreicht. Aus den drei Fonds für<br />

Landwirtschaft (EAGFL), Wirtschaft (EFRE) und<br />

Soziales (ESF) sollen vielfältige Maßnahmen <strong>in</strong> ländlichen<br />

Gebieten <strong>in</strong>itiiert und gefördert werden. Aber<br />

auch außerhalb der bayerischen 5b-Gebiete (knapp<br />

die halbe Landesfläche) wollen und müssen wir ohne<br />

EU-Hilfe gute Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für gute Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

schaffen. Die Stärkung der ländlichen<br />

Räume ist und bleibt e<strong>in</strong> Schwerpunkt bayerischer<br />

Landes- und Agrarpolitik. Eigenart und Schönheit<br />

Bayerns s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> hohem Maße von se<strong>in</strong>en Dörfern<br />

und Fluren geprägt.<br />

Die Aufgaben der Flurbere<strong>in</strong>igung haben sich<br />

entscheidend geändert<br />

Um die Schönheit und Lebensfähigkeit unserer<br />

Dörfer und Fluren zu erhalten, bedienen wir uns seit<br />

langem <strong>in</strong>sbesondere der Erfahrungen und Kompetenz<br />

e<strong>in</strong>er Verwaltung, die über e<strong>in</strong> Jahrhundert lang<br />

den Namen Flurbere<strong>in</strong>igungsverwaltung trug.<br />

Entsprechend den politischen Vorgaben und ökonomischen<br />

Aufgabenstellungen der Vor- und Nach-<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

kriegszeiten hatte sie lange Zeit vor allem die Aufgabe,<br />

unsere Bauern bei der rationelleren Erzeugung<br />

möglichst vieler Nahrungsmittel zu unterstützen.<br />

Die Aufgaben der Flurbere<strong>in</strong>igung haben sich<br />

<strong>in</strong>zwischen entscheidend gewandelt und erweitert:<br />

Im Vordergrund stehen die Sorge um die Aufrechterhaltung<br />

umweltverträglicher und eigentumssichernder<br />

Landbewirtschaftung und vitaler Dörfer<br />

sowie das Bemühen um die Steuerung und den<br />

gerechten Ausgleich von mite<strong>in</strong>ander konkurrierenden<br />

Ansprüchen der öffentlichen und privaten Hand<br />

an die Nutzung von Grund und Boden.<br />

Die Flurbere<strong>in</strong>igungsverwaltung hat sich mehr<br />

und mehr von e<strong>in</strong>er Hoheitsverwaltung zu e<strong>in</strong>er<br />

Dienstleistungsbehörde für die Bauern, Bürger und<br />

Geme<strong>in</strong>den des ländlichen Raumes entwickelt. Ihr<br />

E<strong>in</strong>satz reicht von den<br />

— planerischen, strukturellen und bodenordnerischen<br />

Hilfen für die Land- und Forstwirtschaft<br />

und vom Landzwischenerwerb über die<br />

— Erstellung und den Vollzug von Landschaftspflegekonzepten<br />

und die Anlage von Biotopverbundsystemen<br />

zur<br />

— Dorferneuerung sowie Infrastrukturhilfen und<br />

Baulandumlegungen für die Geme<strong>in</strong>den bis h<strong>in</strong><br />

zur<br />

— unverzichtbaren Mithilfe bei der eigentümerfreundlichen<br />

Umsetzung von Großbauvorhaben<br />

wie Autobahnen, neuen Bahn-Trassen, Schifffahrtsstraßen,<br />

Ortsumgehungen etc. durch sog.<br />

Unternehmensverfahren.<br />

Gerade die deutsche Wiedervere<strong>in</strong>igung und die<br />

Öffnung der Grenzen zum Osten haben e<strong>in</strong>en besonderen<br />

Auftragsschub an Unternehmensverfahren für<br />

staatliche Großprojekte gebracht. Ich weiß, daß diese<br />

Arbeit wegen der unvermeidbaren E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong><br />

privates Eigentum den Mitarbeitern der Direktionen<br />

für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> besonders viel F<strong>in</strong>gerspitzengefühl<br />

abverlangt.<br />

* Veröffentlicht <strong>in</strong> der Bayerischen Staatszeitung Nr. 19 vom 13. Mai <strong>1994</strong><br />

Geleit<br />

11


<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> setzt auf Selbsthilfe und<br />

Geme<strong>in</strong>s<strong>in</strong>n<br />

Der bayerische Weg <strong>in</strong> Verfahren der <strong>Ländliche</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong> setzt durch konsequente Beachtung des<br />

Genossenschaftspr<strong>in</strong>zips auf ehrenamtlich tätige,<br />

dem Geme<strong>in</strong>s<strong>in</strong>n verpflichtete Bürger. Dies s<strong>in</strong>d jene,<br />

die seit vielen Jahren bereit s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> den Vorständen<br />

der Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaften mitzuarbeiten; es<br />

s<strong>in</strong>d aber zunehmend auch Bürger, die sich mit ihren<br />

Ideen, Kenntnissen und Fertigkeiten <strong>in</strong> dörfliche<br />

Arbeitskreise e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen. Diese Arbeitskreise werden<br />

zur Stärkung der lokalen Kompetenz <strong>in</strong> jeder Dorferneuerung<br />

und zunehmend auch bei der Flurentwicklung<br />

e<strong>in</strong>gerichtet. Die Erfahrungen s<strong>in</strong>d<br />

äußerst positiv: sie zeigen <strong>in</strong> ermutigender Weise,<br />

daß unsere Bürger nach wie vor bereit s<strong>in</strong>d, sich für<br />

ihre Heimat e<strong>in</strong>zusetzen, wenn sie dar<strong>in</strong> S<strong>in</strong>n und<br />

Möglichkeiten der Selbstentfaltung sehen.<br />

Der neue Name entspricht den tatsächlichen<br />

Aufgaben besser<br />

Bei allen Gesprächen, Planungen und Maßnahmen<br />

geht es um <strong>in</strong>tegrale und ke<strong>in</strong>eswegs sektorale<br />

Vorgehensweisen und Lösungspakete. Diesen Weg<br />

der ganzheitlichen Sicht hat bereits das novellierte<br />

Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetz von 1976 zugrundegelegt. Es<br />

war deshalb nur konsequent, daß der Bayerische<br />

M<strong>in</strong>isterrat im Herbst 1992 der Bayerischen Flurbere<strong>in</strong>igungsverwaltung<br />

e<strong>in</strong>en neuen Namen<br />

gegeben hat, der ihren tatsächlichen Aufgaben<br />

besser entspricht und Mißverständnisse ausschließt.<br />

Mit dem neuen Namen »Verwaltung für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong>« wurde die Mithilfe bei der Stärkung der<br />

ländlichen Lebens-, Wohn-, Arbeits- und Erholungsbed<strong>in</strong>gungen<br />

anerkannt.<br />

Hoher Beschäftigungseffekt durch Dorf- und<br />

Flurentwicklung<br />

Die Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> ist<br />

hauptsächlich mit dem Vollzug des Programms<br />

»<strong>Ländliche</strong> Neuordnung« auf der Grundlage der<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsaufgabe »Verbesserung der Agrarstruktur<br />

und des Küstenschutzes« und des Bayerischen<br />

Dorferneuerungsprogramms beauftragt.<br />

Zusätzlich ist sie nun auch <strong>in</strong> die Umsetzung der 5b-<br />

EU-Programme auf dem Gebiet der Dorferneuerung<br />

und Flurentwicklung e<strong>in</strong>gebunden. Immerh<strong>in</strong> hat die<br />

Verwaltung 1993 über 250 Mio. DM Fördermittel<br />

umgesetzt und damit viele weitere öffentliche und<br />

private Investitionen und Impulse ausgelöst. Das<br />

Münchener ifo-Institut hat den Maßnahmen der<br />

<strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong>en besonders hohen<br />

Beschäftigungs- und Multiplikatoreffekt (6- bis<br />

7fach) besche<strong>in</strong>igt.<br />

Mit Aufmerksamkeit verfolge ich auch die <strong>in</strong> jüngster<br />

Zeit von der Verwaltung <strong>in</strong>itiierten Ansätze<br />

geme<strong>in</strong>deüberschreitender Zusammenarbeit mit dem<br />

Ziel e<strong>in</strong>er ländlichen Regionalentwicklung. Angesichts<br />

e<strong>in</strong>er zurückgehenden F<strong>in</strong>anzausstattung können<br />

und müssen die Kommunen auf manche E<strong>in</strong>richtungen<br />

verzichten, die künftig der Nachbar im<br />

Rahmen dieser neuen Partnerschaft für sie bereithält.<br />

Nur e<strong>in</strong> selbstbewußter ländlicher Raum kann<br />

ernstgenommener Partner der Ballungsräume se<strong>in</strong>,<br />

nur eigen-bewußte Vertreter der ländlichen Räume<br />

können den Dialog mit den Städten führen. <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>dient</strong> nicht nur den Bewohnern<br />

und Geme<strong>in</strong>den im ländlichen Raum selbst, sondern<br />

erfüllt durch Schaffung e<strong>in</strong>er leistungsfähigen ländlichen<br />

Infrastruktur und Bewahrung schöner Dorfund<br />

Landschaftsbilder auch die Bedürfnisse und<br />

Lebens<strong>in</strong>teressen der Städte. Aus dieser Erkenntnis<br />

heraus habe ich gerne die Schirmherrschaft zur diesjährigen<br />

<strong>Fachtagung</strong> <strong>1994</strong> übernommen, bei der sich<br />

traditionell nahezu alle europäischen Experten der<br />

ländlichen Räume e<strong>in</strong> Stelldiche<strong>in</strong> geben. Das Motto<br />

dieses Kongresses »<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>dient</strong><br />

<strong>Stadt</strong> und Land« soll nicht nur me<strong>in</strong>en bayerischen<br />

Mitarbeitern, sondern auch den Gästen aus unseren<br />

Nachbarländern dar<strong>in</strong> Bestärkung geben, daß die<br />

Aufgabe der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> von großer<br />

Bedeutung für die Gesellschaft von heute und<br />

morgen ist.<br />

12 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Eröffnungsveranstaltung<br />

Günther Strößner<br />

Begrüßung und E<strong>in</strong>führung<br />

Sehr geehrter Herr Staatsm<strong>in</strong>ister,<br />

me<strong>in</strong>e sehr geehrten Damen und Herren<br />

Abgeordneten und Senatoren, sehr geehrte Gäste,<br />

liebe Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter!<br />

Zu unserer diesjährigen <strong>Fachtagung</strong> unter dem<br />

Motto »<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>dient</strong> <strong>Stadt</strong> und Land«<br />

heiße ich Sie <strong>in</strong> <strong>Ansbach</strong> sehr herzlich willkommen.<br />

Es freut mich, daß auch heuer wieder so viele Gäste<br />

aus ganz Deutschland und aus dem Ausland zu uns<br />

nach Bayern gekommen s<strong>in</strong>d. Wir werten Ihren<br />

Besuch als Interesse an unserer Arbeit, sicher aber<br />

auch als Interesse an dem schönen und gastfreundlichen<br />

Frankenland. Ich sage Ihnen allen e<strong>in</strong> herzliches<br />

Grüß Gott.<br />

Zwei Jahre s<strong>in</strong>d seit unserer letzten Tagung <strong>in</strong><br />

Bamberg vergangen, e<strong>in</strong>e kurze Zeitspanne und doch<br />

e<strong>in</strong>e Zeit, <strong>in</strong> der sich für unsere Verwaltung sehr viel<br />

ereignet hat. Sie gestatten, daß ich mich e<strong>in</strong>leitend<br />

auf unsere Verwaltung beschränke; die große L<strong>in</strong>ie<br />

wird sicher Herr Staatsm<strong>in</strong>ister Bocklet aufzeigen.<br />

Drei negative Nachrichten rufe ich zunächst <strong>in</strong><br />

Er<strong>in</strong>nerung.<br />

1. Wirbel hat die Bekanntgabe des Gutachtens der<br />

Kommission »Zukunft des öffentlichen Dienstes«,<br />

der sog. Badura-Kommission, verursacht. Danach<br />

sollten unsere sieben Direktionen aufgelöst und<br />

ihre Aufgaben auf derzeit 68 Landwirtschaftsämter<br />

und auf die sieben Regierungen, also auf<br />

über 70 Behörden, verteilt werden. Uns ist nicht<br />

klar geworden, wor<strong>in</strong> der Vorteil der Zersplitterung<br />

von sieben hochtechnisierten, mit kosten<strong>in</strong>tensiven<br />

Geräten ausgestatteten Behörden, deren<br />

schwerpunktmäßiger E<strong>in</strong>satz heute flexibel gehandhabt<br />

werden kann, auf e<strong>in</strong>e solch große Zahl<br />

von Stellen liegen soll. Die unwirtschaftlichen und<br />

sozialen Auswirkungen dieses Vorschlags haben<br />

schließlich zu e<strong>in</strong>er Welle von Protesten, u. a.<br />

auch zu e<strong>in</strong>er Resolution des Bayerischen Geme<strong>in</strong>detages<br />

geführt, wonach die Direktionen<br />

bestehen bleiben sollen. Ich gehe davon aus, daß<br />

es auch nach der Wahl dabei bleibt.<br />

2. Weiteren Wirbel hat die Untersuchung e<strong>in</strong>er<br />

Unternehmensberatungs-Firma erzeugt. Hier<br />

waren es die Bestandsaufnahme und die Vorstellung<br />

des Grobkonzepts, die zu heftiger Dis-<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

kussion mit der Firma Anlaß gaben. Die Wirbel<br />

haben sich noch nicht beruhigt. Aber wir hoffen,<br />

daß <strong>in</strong> guter Zusammenarbeit zwischen Verwaltung<br />

und Firma sachdienliche Vorschläge erarbeitet<br />

werden. Das hoffen wir im Interesse der Verwaltung,<br />

die e<strong>in</strong>er weiteren Effizienzsteigerung<br />

äußerst aufgeschlossen gegenübersteht. Wir me<strong>in</strong>en,<br />

realisierbare Ergebnisse müßten auch im<br />

Interesse der Firma liegen.<br />

3. Die dritte schlechte Nachricht s<strong>in</strong>d die Personale<strong>in</strong>sparungen<br />

nach dem Haushaltsgesetz und die<br />

Personalaushilfe bei den Landwirtschaftsämtern<br />

für den Vollzug der EU-Agrarreform. Dies führt<br />

zu e<strong>in</strong>er Reduzierung der Personalkapazität bei<br />

den Direktionen und verh<strong>in</strong>dert, daß der große<br />

Arbeitsüberhang rasch abgebaut wird. Wir müssen<br />

deshalb restriktive Regelungen zur E<strong>in</strong>leitung<br />

neuer Verfahren erlassen und bitten die betroffenen<br />

Geme<strong>in</strong>den und Bürger um Verständnis für<br />

die Verzögerungen. Das hat auch zur Folge, daß<br />

wir unsere Personalaushilfe bei der sächsischen<br />

Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> Neuordnung überdenken<br />

müssen. Die Kollegen aus Sachsen mögen<br />

verzeihen, daß ich das hier erwähne.<br />

Eröffnungsveranstaltung<br />

13


Nun aber drei andere Nachrichten <strong>in</strong> chronologischer<br />

Folge:<br />

1. Seit 1. November 1992 heißen wir nicht mehr<br />

Flurbere<strong>in</strong>igungsverwaltung, sondern »Bayerische<br />

Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>«, die<br />

Direktionen »Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>«.<br />

Damit ist mit Zustimmung des Bayerischen<br />

M<strong>in</strong>isterrats e<strong>in</strong>e Bezeichnung e<strong>in</strong>geführt worden,<br />

die dem heutigen Aufgabenfeld dieser Verwaltung<br />

gerecht wird. Wir verstehen diese Namensänderung<br />

als Aufforderung und Motivation, für<br />

den ländlichen Raum und die dort lebenden<br />

Menschen vollen E<strong>in</strong>satz zu leisten.<br />

2. Seit 17. Juni 1993 haben wir e<strong>in</strong>en neuen M<strong>in</strong>ister:<br />

Re<strong>in</strong>hold Bocklet. E<strong>in</strong>en M<strong>in</strong>ister, der Politiker<br />

und Experte ist. Wenn ich Experte sage, me<strong>in</strong>e<br />

ich europäische Gesellschafts- und Agrarpolitik<br />

bis h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> bayerische Detailfragen. Ich begrüße<br />

Sie, Herr Staatsm<strong>in</strong>ister, sehr herzlich und darf<br />

Ihnen sagen, daß unsere Gäste, aber vor allem<br />

natürlich die Mitarbeiter unserer Verwaltung<br />

gespannt s<strong>in</strong>d auf Ihre anschließenden Ausführungen<br />

zu aktuellen Fragen <strong>in</strong> Bayern und<br />

Europa.<br />

3. Die dritte Nachricht: Erstmals <strong>in</strong> der langen Reihe<br />

der <strong>Fachtagung</strong>en hat e<strong>in</strong> Bayerischer M<strong>in</strong>isterpräsident,<br />

Dr. Edmund Stoiber, die Schirmherrschaft<br />

über die <strong>Ansbach</strong>er <strong>Fachtagung</strong> übernommen.<br />

Wir s<strong>in</strong>d sehr dankbar für diese Schirmherrschaft.<br />

Sehen wir dar<strong>in</strong> doch e<strong>in</strong>e gewisse Anerkennung<br />

für die geleistete Arbeit, aber auch e<strong>in</strong>e<br />

Herausforderung für die Zukunft, die Probleme<br />

des ländlichen Raumes nachhaltig zu lösen. Auf<br />

den Artikel des Bayerischen M<strong>in</strong>isterpräsidenten<br />

<strong>in</strong> der Bayerischen Staatszeitung vom letzten<br />

Freitag darf ich h<strong>in</strong>weisen.<br />

Zum Motto der Tagung gestatten Sie mir bitte<br />

e<strong>in</strong>ige Vorbemerkungen.<br />

Agrarpolitik im weiteren S<strong>in</strong>ne ist Gesellschaftspolitik.<br />

Die Agrarpolitik wäre schlecht beraten, wenn<br />

sie sich auf die Betriebsberatung alle<strong>in</strong> und die<br />

term<strong>in</strong>gerechte Auszahlung der EU-Prämien<br />

beschränken würde, und dies bei e<strong>in</strong>er ständig<br />

abnehmenden Zahl landwirtschaftlicher Betriebe.<br />

In Bayern z. B. gibt es gerade noch etwas über<br />

200 000 Betriebe, und zwar mehr Nebenerwerbs-<br />

als Vollerwerbsbetriebe. Agrarpolitik muß diesem<br />

Strukturwandel Rechnung tragen, die landschaftlichen,<br />

siedlungsstrukturellen, aber vor allem die<br />

soziostrukturellen Folgen <strong>in</strong>s Kalkül ziehen.<br />

Agrarpolitik muß nach Problemlösungen suchen, die<br />

für die Menschen, für Dorf und Flur e<strong>in</strong>e Perspektive<br />

bieten. Und damit s<strong>in</strong>d wir unmittelbar bei der ländlichen<br />

<strong>Entwicklung</strong> als e<strong>in</strong>er gesellschaftspolitischen<br />

Aufgabe, die <strong>Stadt</strong> und Land <strong>dient</strong>.<br />

Über die Verflechtungen zwischen <strong>Stadt</strong> und Land<br />

gibt es vielfältige Literatur und gescheite Vorträge,<br />

so daß ich mir Ausführungen hierüber ersparen<br />

kann, zumal während dieser Tagung sicher noch viel<br />

dazu beigetragen wird. Deutlich möchte ich darauf<br />

h<strong>in</strong>weisen, daß die Verwaltung bei der Behandlung<br />

dieser Verflechtungen nicht im rechtsfreien Raum<br />

operieren kann. Sie hat die Gesetze und Verordnungen<br />

zu vollziehen, <strong>in</strong> denen sich politischer Wille<br />

zu diesem Themenkreis dokumentiert. Die Verwaltung<br />

hat dabei die Rechtsvorschriften zu transformieren,<br />

für den Bürger verständlich zu machen und<br />

beim Vollzug die gegebenen Ermessensspielräume zu<br />

nutzen. Und sie muß darüber h<strong>in</strong>aus alles tun, um<br />

das Mite<strong>in</strong>ander von <strong>Stadt</strong> und Land zu fördern und<br />

etwa vorhandene Gegensätze abzubauen.<br />

Als Beispiel nenne ich die Verordnung über das<br />

Landesentwicklungsprogramm Bayern vom<br />

25. Januar <strong>1994</strong> (GVBl S. 25), die am 1. März <strong>1994</strong><br />

<strong>in</strong> Kraft getreten ist. Die besondere politische Bedeutung<br />

dieser Verordnung der Bayerischen Staatsregierung<br />

liegt dar<strong>in</strong>, daß sie mit Zustimmung des<br />

Bayerischen Landtags ergangen ist. Gestatten Sie<br />

mir, daß ich aus den für die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

bedeutsamen Abschnitten auszugsweise — sehr<br />

trocken — zitiere (LEP B III 3):<br />

»Die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> Dorf und Flur soll<br />

zur Zukunftssicherung des ländlichen Raumes und<br />

der ländlich strukturierten Teile der Verdichtungsräume<br />

beitragen. Sie soll der Land- und Forstwirtschaft<br />

die Anpassung an die sich ändernden<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen erleichtern und die ökologischen,<br />

sozialen, siedlungsstrukturellen sowie wirtschaftlichen<br />

Belange des ländlichen Raumes und der<br />

ländlich strukturierten Teile der Verdichtungsräume<br />

unterstützen.«<br />

Es ist dann die Rede von jenen Gebieten, <strong>in</strong> denen<br />

Maßnahmen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> mit hoher<br />

Priorität angestrebt werden sollen, sowie vom Landauffang<br />

und dessen Verwendung z. B. für Naturschutz,<br />

Landschaftspflege und öffentliche Planungen.<br />

Weiter heißt es:<br />

»Die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> soll die Geme<strong>in</strong>den bei<br />

der Umsetzung der Bauleitplanung und der Bereitstellung<br />

von preiswertem Bauland unterstützen.<br />

Maßnahmen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> sollen<br />

zur Verbesserung der Struktur <strong>in</strong> den ländlichen<br />

Gebieten beitragen. Insbesondere sollen<br />

14 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


— die Dörfer <strong>in</strong> ihrem gewachsenen, eigenständigen<br />

Charakter erhalten sowie die Herstellung und<br />

Erneuerung bedarfsgerechter dorfgemäßer E<strong>in</strong>richtungen<br />

unterstützt<br />

— e<strong>in</strong> Beitrag zur Stärkung der Wirtschaftskraft<br />

geleistet<br />

— die Identifikation der Bürger mit ihrem heimatlichen<br />

Lebensraum gestärkt werden.«<br />

Wird diese Verordnung mit Leben erfüllt — und<br />

das muß für die zitierten Passagen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />

durch unsere Mitarbeiter sowie durch ihre Partner<br />

Geme<strong>in</strong>de und Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaft vor Ort<br />

geschehen — dann ist damit für unsere Direktionen<br />

e<strong>in</strong> Aufgabenfeld beschrieben, das <strong>in</strong> der Tat <strong>Stadt</strong><br />

und Land <strong>dient</strong>, ohne daß ich hier näher darauf e<strong>in</strong>gehen<br />

kann.<br />

Soweit Zweifel auftauchen, ob dieses Aufgabenfeld<br />

<strong>in</strong> Gänze mit dem Instrumentarium des Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes<br />

erfüllt werden kann, müßten gegebenenfalls<br />

die gesetzlichen Grundlagen entsprechend<br />

geändert werden. Bayern hat <strong>in</strong> der ArgeFlurb<br />

beantragt, diese Frage durch e<strong>in</strong>e Projektgruppe<br />

prüfen zu lassen. Zwischenergebnisse liegen vor.<br />

E<strong>in</strong>e erste Initiative unseres Nachbarlandes Baden-<br />

Württemberg zur Gesetzesänderung wurde bereits<br />

gestartet; von Bayern aus ist Unterstützung angekündigt.<br />

Sie sehen: Es wird nicht langweilig.<br />

Me<strong>in</strong>e sehr geehrten Damen und Herren, zu unserer<br />

<strong>Fachtagung</strong> möchte ich nun e<strong>in</strong>e Reihe hoher<br />

Gäste begrüßen:<br />

Ihnen, Herr Staatsm<strong>in</strong>ister Re<strong>in</strong>hold Bocklet, darf<br />

ich nochmals e<strong>in</strong>en Gruß entbieten. Ich bedanke<br />

mich, daß Sie den ganzen Tag aktiv bei uns se<strong>in</strong> werden<br />

und damit dieser Tagung besondere Bedeutung<br />

verleihen.<br />

Bundesm<strong>in</strong>ister Dr. Theo Waigel hat uns mitteilen<br />

lassen, daß er wegen dicht gedrängter Term<strong>in</strong>lage<br />

nicht teilnehmen könne. Er wünscht der Veranstaltung<br />

e<strong>in</strong>en guten und erfolgreichen Verlauf und<br />

bittet, allen Anwesenden se<strong>in</strong>e besten Grüße zu<br />

übermitteln, was ich hiermit tue.<br />

Dankbar b<strong>in</strong> ich, daß so viele Abgeordnete des<br />

Bayerischen Landtags zu uns gekommen s<strong>in</strong>d. Sie<br />

schaffen die Grundlagen für die Hilfen, die wir im<br />

ländlichen Raum geben können. Ich bedanke mich<br />

bei Ihnen deshalb auch namens der Bürger und<br />

Teilnehmer an unseren Verfahren und begrüße die<br />

Damen und Herren Abgeordneten<br />

— an erster Stelle Staatsm<strong>in</strong>ister a. D. Hans Maurer,<br />

unseren früheren Ressortm<strong>in</strong>ister, sodann<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

— Friedrich Bauereisen,<br />

— Klaus Dieter Breitschwert,<br />

— Kurt Eckste<strong>in</strong>,<br />

— Dr. Walter Eykmann,<br />

— Lothar Hübner,<br />

— Dr. Christoph Maier,<br />

— Rudolf Kl<strong>in</strong>ger,<br />

— Fritz Loscher-Frühwald,<br />

— Sophie Rieger,<br />

— Klaus Sommerkorn,<br />

— Wilhelm Wenn<strong>in</strong>g,<br />

und ich darf hier mit besonderer Freude anfügen<br />

den früheren Landtagsvizepräsidenten<br />

— Ernst Lechner.<br />

Der Vorsitzende des Ausschusses für Fragen<br />

des öffentlichen Dienstes, Herr Abgeordneter<br />

Dr. Eykmann, hat sich freundlicherweise bereit<br />

erklärt, zu uns e<strong>in</strong> Grußwort zu sprechen. Ich darf<br />

mich dafür bereits jetzt herzlich bedanken.<br />

Ich begrüße das Mitglied des Bayerischen Senats,<br />

Herrn Senator Heribert Thallmair, Präsident des<br />

Bayerischen Geme<strong>in</strong>detages. Herr Thallmair ist letzte<br />

Woche zum Präsidenten des Deutschen Städte —<br />

und Geme<strong>in</strong>debundes gewählt worden. Ich darf<br />

Ihnen von dieser Stelle aus sehr herzlich gratulieren<br />

und b<strong>in</strong> sicher, daß die Lösung von <strong>Stadt</strong>-Land-<br />

Problemen bei Ihnen <strong>in</strong> guten Händen liegt.<br />

Am Nachmittag stoßen zu uns noch die Herren<br />

Senatoren<br />

— Josef Deimer, Präsident des Bayerischen<br />

Städtetages,<br />

— Gerd Sonnleitner, Präsident des Bayerischen<br />

Bauernverbandes,<br />

— Ludwig D<strong>in</strong>kel, Präsident des BBV Oberbayern, und<br />

— Jürgen Ströbel, Präsident des BBV Mittelfranken.<br />

Die Anwesenheit der Herren Senatoren und<br />

Präsidenten möchte ich als Beleg für die guten Beziehungen<br />

zwischen ihren Verbänden und unserer<br />

Verwaltung werten. Wir wünschen, daß diese erfolgreiche<br />

Zusammenarbeit im Interesse unserer Bauern<br />

und des gesamten ländlichen Raumes fortgesetzt<br />

wird. Mit diesen Wünschen begrüße ich gleichzeitig<br />

die Repräsentanten Ihrer Verbände auf Bezirks-,<br />

Landkreis- und Geme<strong>in</strong>deebene und danke auch<br />

Ihnen sehr herzlich.<br />

Den Herren Senatoren Deimer, Sonnleitner und<br />

Thallmair danke ich vorweg schon für ihre Mitwirkung<br />

an der Podiumsdiskussion am heutigen Nachmittag.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

15


Me<strong>in</strong> besonderer Gruß gilt dem Oberbürgermeister<br />

der gastgebenden <strong>Stadt</strong> <strong>Ansbach</strong>, Herrn Ralf Felber.<br />

Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Oberbürgermeister,<br />

für die enge Zusammenarbeit zwischen der <strong>Stadt</strong><br />

und unserer Direktion <strong>Ansbach</strong>, die auch bei der<br />

Vorbereitung dieser Tagung deutlich wurde. Ich bitte,<br />

diesen Dank an Ihre Mitarbeiter weiterzugeben. Ich<br />

freue mich, daß Sie, Herr Oberbürgermeister, anschließend<br />

zu uns e<strong>in</strong> Grußwort sprechen.<br />

Sehr herzlich begrüße ich den Regierungspräsidenten<br />

von Mittelfranken, Herrn He<strong>in</strong>rich von<br />

Mosch, geme<strong>in</strong>sam mit den anwesenden Leitern der<br />

Abteilungen und Sachgebiete der Regierung. In den<br />

Gruß schließe ich e<strong>in</strong> die anwesenden Leiter und<br />

Vertreter der Ihnen nachgeordneten Behörden. Ich<br />

bedanke mich aufrichtig für die bisherige gute<br />

Zusammenarbeit und bitte auch <strong>in</strong> Zukunft darum.<br />

Trotz Badura!<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, viele Landräte s<strong>in</strong>d<br />

heute unter uns. Sie bestätigen mit ihrer Anwesenheit<br />

die seit jeher bestehenden guten Verb<strong>in</strong>dungen<br />

zwischen den Landkreisen und unseren Direktionen,<br />

um die ich weiterh<strong>in</strong> bitte. Mit besonderer Freude<br />

begrüße ich die Herren Landräte<br />

— Dr. Anton Dietrich (Dill<strong>in</strong>gen),<br />

— Rudolf Handwerker (Haßberge),<br />

— Klaus Hartmann (Nürnberger-Land),<br />

— Dr. Traugott Scherg (Pfaffenhofen),<br />

— Dr. Hermann Schreiber (<strong>Ansbach</strong>), der erst mittags<br />

zu uns kommen kann,<br />

— Dr. Karl Friedrich Z<strong>in</strong>k (Weißenburg-Gunzenhausen)<br />

und<br />

— Herrn stellvertr. Landrat He<strong>in</strong>rich Zörntle<strong>in</strong> (Roth).<br />

E<strong>in</strong> herzliches Willkommen sage ich allen anwesenden<br />

Damen und Herren Oberbürgermeistern und<br />

Bürgermeistern sowie den Bezirks-, Kreis- und<br />

Geme<strong>in</strong>deräten. Stellvertretend nennen möchte ich<br />

den Vorsitzenden des Bayerischen Kommunalen<br />

Prüfungsverbandes, Herrn Bürgermeister Willi Hilpert<br />

aus Gunzenhausen und den stellvertretenden<br />

Vorsitzenden unseres Landesverbandes für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> Bayern, Herrn Bürgermeister Werner<br />

Herzog, <strong>Stadt</strong> Herrieden, zugleich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eigenschaft<br />

als stellvertretender Landrat von <strong>Ansbach</strong>. Im<br />

gesamten Freistaat arbeiten Geme<strong>in</strong>den, Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaften<br />

und Direktionen vertrauensvoll<br />

zusammen. Ich bedanke mich dafür und bitte um<br />

Fortsetzung dieser guten Zusammenarbeit, die ich<br />

von unserer Seite gerne zusage.<br />

Die Wechselbeziehungen zwischen Naturschutz<br />

und <strong>Ländliche</strong>r <strong>Entwicklung</strong> wurden oft beschrieben.<br />

Das Zusammenwirken beider Partner wird seit langer<br />

Zeit <strong>in</strong>tensiv gefördert durch enge Kontakte zwischen<br />

<strong>Ländliche</strong>r <strong>Entwicklung</strong> und dem Bund Naturschutz<br />

auf Landes-, Kreis- und Ortsebene, auch<br />

wenn es manchmal kontroverse Me<strong>in</strong>ungen gibt.<br />

Ich begrüße sehr herzlich den Vorsitzenden des<br />

Bund Naturschutz <strong>in</strong> Bayern und des BUND, Herrn<br />

Hubert We<strong>in</strong>zierl, bei unserer Tagung; ich danke<br />

Ihnen, Herr We<strong>in</strong>zierl, auch für die Teilnahme an der<br />

Podiumsdiskussion.<br />

E<strong>in</strong> herzliches Grüß Gott sage ich den Akteuren<br />

dieser Tagung, den Leitern, Referenten und sonstigen<br />

Mitwirkenden der morgigen Arbeitskreise sowie den<br />

Organisatoren der Fachexkursionen. E<strong>in</strong> besonderes<br />

Dankeschön sage ich den vielen Bürgermeistern,<br />

die bei den Exkursionen am Mittwoch Gastgeber<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, unsere <strong>Fachtagung</strong> hat<br />

wieder e<strong>in</strong>e große Zahl von Fachleuten aus verschiedensten<br />

Bereichen zusammengeführt. Es würde zu<br />

weit führen, auch nur die wichtigsten Namen zu<br />

nennen. Ich bitte Sie hierfür um Verständnis. Ich<br />

begrüße sehr herzlich die Herren Abteilungsleiter<br />

und weitere Vertreter aus M<strong>in</strong>isterien bei Bund und<br />

Ländern und danke Ihnen, vor allem den bayerischen<br />

Kollegen, für die vertrauensvolle Zusammenarbeit;<br />

dabei darf ich e<strong>in</strong>schließen die anwesenden Herren<br />

Präsidenten der Landeszentral- und Mittelbehörden<br />

sowie die Leiter und Vertreter der nachgeordneten<br />

Behörden und Dienststellen aller Fachrichtungen<br />

e<strong>in</strong>schließlich der Bundeswehr, der Schulen und der<br />

Bezirke. Namentlich begrüße ich Herrn M<strong>in</strong>isterialdirigent<br />

Dr. Horst Menz<strong>in</strong>ger aus Wiesbaden, den<br />

derzeitigen Vorsitzenden der Bund-Länder-Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung, unserer ArgeFlurb.<br />

Wieder haben sich — wie auch bereits bei unseren<br />

letzten beiden <strong>Fachtagung</strong>en — viele Vertreter der<br />

neuen Bundesländer bei uns e<strong>in</strong>gefunden. Ich freue<br />

mich sehr, daß unsere Tagung Ihr Interesse f<strong>in</strong>det,<br />

und heiße Sie herzlich willkommen. Sie verstehen<br />

bitte, wenn ich besonders unsere »Bayern <strong>in</strong><br />

Sachsen«, die Leiter der Ämter für <strong>Ländliche</strong> Neuordnung<br />

<strong>in</strong> den Regierungsbezirken Chemnitz,<br />

Dresden und Leipzig begrüße. Wir haben ja bekanntlich<br />

<strong>in</strong> den letzten Jahren viele tüchtige Kollegen im<br />

Zuge der Aufbauhilfe nach Sachsen entsandt.<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, e<strong>in</strong>e große Zahl von<br />

Vertretern der Rechtssprechung aus dem Bayerischen<br />

Verwaltungsgerichtshof und den Oberverwaltungsgerichten<br />

der Länder, der bayerischen<br />

Spruchausschüsse und der für Mittelfranken zuständigen<br />

Gerichtsbarkeit ist zu uns gekommen. Seien<br />

16 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Sie bei unserer Tagung willkommen. Wir nehmen<br />

ihre Urteile als Maßstab für unsere künftige Arbeit,<br />

wollen jedoch Ihre Arbeitsbelastung von unserer<br />

Seite aus möglichst niedrig halten.<br />

Ich freue mich über die Anwesenheit von prom<strong>in</strong>enten<br />

Vertretern aus Lehre und Forschung. Sie liefern<br />

uns wissenschaftliche Erkenntnisse, durch deren<br />

Umsetzung wir unsere Arbeit an neue <strong>Entwicklung</strong>en<br />

anpassen können. Ich begrüße viele Vertreter deutscher<br />

Universitäten, Hochschulen und Akademien<br />

sowie Professoren und Dozenten aus den<br />

Universitäten<br />

— Hels<strong>in</strong>ki,<br />

— Prag,<br />

— Preßburg,<br />

— Riga,<br />

— Straßburg,<br />

— Taichung (Taiwan),<br />

— Trient,<br />

— Warschau und<br />

— Wien.<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, zahlreiche Verbände<br />

und Organisationen, die unsere Verwaltung bei ihrer<br />

Arbeit unterstützen oder mit denen wir auf vielerlei<br />

Weise zusammenwirken, erweisen uns die Ehre Ihrer<br />

Anwesenheit. Ich begrüße die Vertreter<br />

— der Europäischen Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

Landentwicklung und Dorferneuerung mit Sitz <strong>in</strong><br />

Wien,<br />

— der Bayerischen Architektenkammer,<br />

— der Industrie- und Handelskammern Mittelfranken<br />

und Würzburg-Schwe<strong>in</strong>furt,<br />

— der Handwerkskammer für München und<br />

Oberbayern,<br />

— des Fränkischen We<strong>in</strong>bauverbandes,<br />

— des Bayerischen Landesverbandes für Gartenbau<br />

und Landespflege,<br />

— des Landschaftspflegeverbandes Mittelfranken,<br />

— des Landesverbandes landwirtschaftlicher<br />

Fachschulabsolventen Bayern,<br />

— des Verbandes der Landwirtschaftsmeister Bayern,<br />

— der Evangelischen Landvolkshochschulen<br />

Hesselberg und Pappenheim,<br />

— der Evangelischen Landjugend <strong>in</strong> Bayern,<br />

— der Katholischen Landvolkbewegung <strong>in</strong> Bayern,<br />

— der Bayerischen Akademie <strong>Ländliche</strong>r Raum,<br />

— der drei bayerischen Schulen der Dorf- und<br />

Landentwicklung,<br />

— der Bahn-AG,<br />

— der Bayerischen Landessiedlung,<br />

— der Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft<br />

Bayern,<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

— des Bayerischen Sparkassen- und Giroverbandes,<br />

— der Deutschen Genossenschaftsbank Bayern,<br />

— der regionalen Banken und Sparkassen,<br />

— der BayWa und<br />

— der Bayern-Zement.<br />

Willkommen bei unserer Tagung!<br />

E<strong>in</strong> herzliches »Grüß Gott« sage ich den freischaffenden<br />

Architekten und Landschaftsarchitekten<br />

ebenso wie den Vertretern der Ingenieurbüros und<br />

Firmen. Wir haben lange vor der derzeitigen Privatisierungsdiskussion<br />

konsequent Arbeiten auf den<br />

freien Berufsstand übertragen und beste Erfahrungen<br />

gemacht. Diesen Weg wollen wir fortsetzen. Ich<br />

danke Ihnen für die gute Zusammenarbeit.<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, die Bayerische Verwaltung<br />

für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> war immer<br />

bestrebt, <strong>in</strong>novative <strong>Entwicklung</strong>en aus anderen<br />

Ländern <strong>in</strong> ihre eigene Arbeit aufzunehmen. Unsere<br />

ausländischen Partner haben wir an unseren Erfahrungen<br />

<strong>in</strong>tensiv teilhaben lassen, wenn daran Interesse<br />

bestand. Diese Kontakte dienen im H<strong>in</strong>blick<br />

auf das Zusammenwachsen Europas auch der Vertrauensbildung<br />

und Vertiefung freundschaftlicher<br />

Beziehungen. Das wird dadurch bestätigt, daß wir<br />

heute fast 100 Gäste aus 17 Ländern begrüßen dürfen.<br />

Ich wünsche Ihnen <strong>in</strong> Bayern, hier <strong>in</strong> Mittelfranken,<br />

e<strong>in</strong>en angenehmen Aufenthalt und begrüße<br />

Gäste aus Belgien, Estland, F<strong>in</strong>nland, Italien, Kroatien,<br />

Lettland, Litauen, Luxemburg, aus den Niederlanden,<br />

Österreich, Polen, der Schweiz, Slowakei, Slowenien<br />

und der Tschechischen Republik.<br />

Die weiteste Anreise haben drei Gäste aus der<br />

Volksrepublik Ch<strong>in</strong>a und sieben Experten aus Taiwan<br />

h<strong>in</strong>ter sich. Ich darf Sie besonders herzlich begrüßen<br />

und willkommen heißen.<br />

Ich begrüße sehr herzlich die Vertreter der Medien<br />

und bitte Sie, über diese Tagung für Experten der<br />

<strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> aus Bayern und vielen anderen<br />

Ländern ausführlich zu berichten.<br />

Stellvertretend für alle begrüße ich namentlich<br />

Frau Dr. Gertrud Helm, die anstelle der erkrankten<br />

Frau K<strong>in</strong>dhammer heute Nachmittag die Moderation<br />

der Podiumsdiskussion übernimmt. Gleichzeitig<br />

danke ich Ihnen und allen Vertretern der Presse für<br />

die stets objektive Berichterstattung über die<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> den letzten Jahren.<br />

Für die musikalische Gestaltung dieser<br />

Eröffnungsveranstaltung bedanke ich mich beim<br />

Blechbläserensemble der Berufsfachschule für Musik<br />

D<strong>in</strong>kelsbühl unter Leitung von Herrn Kircheis.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

17


Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, me<strong>in</strong> besonderer Gruß<br />

gilt schließlich den Präsidenten unserer Direktionen<br />

und allen Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeitern unserer<br />

Verwaltung e<strong>in</strong>schließlich der Repräsentanten der<br />

Personalvertretungen, Berufsverbände und Gewerkschaften.<br />

Ich weiß, daß unsere Mitarbeiter immer<br />

bestrebt s<strong>in</strong>d, durch gute Arbeit den Menschen auf<br />

dem Lande zu dienen. Die Diskussionen der letzten<br />

Monate über die Verwaltungsreform, über die<br />

schwierige Situation im Personalbereich und die<br />

damit verbundene Verunsicherung der Mitarbeiter<br />

haben Ihre Arbeit nicht leichter gemacht. Ich bitte<br />

Sie dennoch, auch künftig Ihre Aufgaben engagiert<br />

und mit Freude wahrzunehmen. Ich hoffe sehr, daß<br />

uns diese Tagung Motivation und Orientierung für<br />

die künftige Arbeit geben wird.<br />

Vielleicht hilft der Blick zurück: Es gab immer wieder<br />

Wandel und Verunsicherung. Und immer wieder<br />

gab es auch Perspektiven für die Zukunft. Das weiß<br />

niemand besser, als die anwesenden Pensionisten,<br />

die ich alle sehr herzlich begrüße. Namentlich nenne<br />

ich drei ehemalige Kollegen, mittelfränkische Kollegen,<br />

die jahrzehntelang für erfolgreiche Arbeit zum<br />

Wohle des ländlichen Raumes bürgten. Es s<strong>in</strong>d dies<br />

me<strong>in</strong> langjähriger Stellvertreter, Herr Ltd. M<strong>in</strong>isterialrat<br />

a. D. Kurt Zippelius, Herr Präsident a. D.<br />

Friedrich R<strong>in</strong>gler, und me<strong>in</strong> Freund, Regierungsvizepräsident<br />

a. D. Dr. Elmar Schuegraf. Herzlich<br />

willkommen!<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, alle, die ich vergessen<br />

habe oder nicht persönlich nennen konnte, mögen<br />

mir bitte verzeihen: Ich begrüße Sie besonders<br />

herzlich!<br />

E<strong>in</strong>e Tagung ist nur so gut, wie ihre Organisation.<br />

Große Mühen auf sich genommen haben Präsident<br />

Bischoff und se<strong>in</strong>e Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter.<br />

Ich danke sehr herzlich; ich b<strong>in</strong> überzeugt, daß sich<br />

Ihr E<strong>in</strong>satz lohnen wird.<br />

Me<strong>in</strong>e sehr verehrten Damen und Herren, die<br />

<strong>Fachtagung</strong> soll deutlich machen, daß <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>Stadt</strong> und Land und damit der gesamten<br />

Gesellschaft <strong>dient</strong>. Ich bitte Sie alle, bei der<br />

Podiumsdiskussion, <strong>in</strong> den Arbeitskreisen und bei<br />

den Exkursionen Ihre Erfahrungen e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Der<br />

Me<strong>in</strong>ungsaustausch über Fachbereiche und<br />

Ländergrenzen h<strong>in</strong>weg soll für uns alle bereichernd<br />

se<strong>in</strong>.<br />

Ich eröffne hiermit die <strong>Fachtagung</strong> <strong>1994</strong> der<br />

Bayerischen Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

und wünsche der Tagung e<strong>in</strong>en guten Verlauf.<br />

18 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Ralf Felber<br />

Grußwort *<br />

Sehr geehrter Herr Staatsm<strong>in</strong>ister Bocklet,<br />

me<strong>in</strong>e sehr geehrten Damen und Herren<br />

aus dem Bayerischen Landtag,<br />

sehr geehrte Herren Senatoren,<br />

Herr Regierungspräsident,<br />

sehr geehrte Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen,<br />

sehr geehrter Herr Präsident Bischoff,<br />

verehrte Gäste aus nah und fern,<br />

ich darf Sie recht herzlich <strong>in</strong> unserer schönen<br />

<strong>Stadt</strong> <strong>Ansbach</strong> zu Ihrer <strong>Fachtagung</strong> begrüßen.<br />

Wenn e<strong>in</strong> Oberbürgermeister bei so e<strong>in</strong>er Tagung<br />

e<strong>in</strong> Grußwort spricht, dann könnte es z. B. zur<br />

Geschichte der <strong>Stadt</strong>. Ich möchte dies nicht tun,<br />

denn es gibt hier sicherlich Berufenere, die das tun<br />

können.<br />

Wenn e<strong>in</strong> Oberbürgermeister <strong>in</strong> der heutigen Zeit<br />

e<strong>in</strong> Grußwort über die Gegenwart se<strong>in</strong>er <strong>Stadt</strong><br />

spricht, dann er<strong>in</strong>nert es sehr häufig an das Sprichwort<br />

der Kaufleute. Ich glaube, da haben die<br />

Bürgermeister sehr viel gelernt <strong>in</strong> letzter Zeit:<br />

Man sagt ja »Jammern ist der Gruß des Kaufmanns«<br />

und heute kann man vielleicht manchmal sagen<br />

»Jammern ist der Gruß der Bürgermeister«. Ich<br />

möchte heute aber auch nicht jammern, obwohl<br />

es sicherlich das e<strong>in</strong>e oder das andere <strong>in</strong> unserer<br />

<strong>Stadt</strong> gäbe.<br />

Ich kann Ihnen sagen, daß wir <strong>in</strong> <strong>Ansbach</strong> bei all<br />

den Problemen und Aufgaben, die es gibt, zufrieden<br />

s<strong>in</strong>d. Wir s<strong>in</strong>d zufrieden mit der <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong><br />

unserer <strong>Stadt</strong>, wir s<strong>in</strong>d zufrieden mit der <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>in</strong> unserem Raum, obwohl wir selbstverständlich<br />

auch große Aufgaben zu bewältigen haben, z. B.<br />

die Verkraftung e<strong>in</strong>es Truppenabzugs der Amerikaner<br />

und die damit entstehenden Aufgaben bei der neuen<br />

Nutzung der Kasernenareale. Aber ich me<strong>in</strong>e, daß<br />

uns das <strong>in</strong> unserer <strong>Stadt</strong> ganz gut gel<strong>in</strong>gt.<br />

Wir haben auch die Realität sehen müssen bei uns<br />

<strong>in</strong> der <strong>Stadt</strong>verwaltung und haben Sparmaßnahmen<br />

e<strong>in</strong>geleitet. So konnten wir schon <strong>in</strong> den letzten<br />

Jahren — im Jahr <strong>1994</strong> wird es noch gravierender<br />

ausfallen — ganz erhebliche E<strong>in</strong>sparungen verzeichnen<br />

und außerdem den städtischen Haushalt im Jahr<br />

1993 mit e<strong>in</strong>em Überschuß von ca. 4 Mio. DM<br />

abschließen. Ich me<strong>in</strong>e, das kann man auch e<strong>in</strong>mal<br />

sagen, bei all den negativen D<strong>in</strong>gen, bei all den<br />

Problemen, die es ja gibt.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Deshalb freue ich mich auch, wie ich e<strong>in</strong>gangs<br />

gehört habe, daß die Direktionen für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> erhalten bleiben. Dennoch verkenne ich<br />

nicht, daß man auch im öffentlichen Dienst alles<br />

was man tut, h<strong>in</strong>terfragen muß. Und es ist nicht so,<br />

daß e<strong>in</strong> Gutachten von vornhere<strong>in</strong> etwas Schlechtes<br />

oder etwas Negatives ist. Ich habe das Vertrauen <strong>in</strong><br />

die Politik, daß damit vernünftige Lösungen gefunden<br />

werden können und geme<strong>in</strong>sam getragen werden.<br />

Wir werden allerd<strong>in</strong>gs nicht mehr alles so<br />

machen können, wie es <strong>in</strong> den zurückliegenden<br />

10 oder 20 Jahren geschehen ist.<br />

Die Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> ist mit<br />

über 300 Beschäftigten e<strong>in</strong> wichtiger Arbeitgeber für<br />

unsere <strong>Stadt</strong>. Es ist heute besonders wichtig, qualifizierte<br />

Arbeitsplätze zu haben. Dieses Grußwort sollte<br />

auch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Wort des Dankes se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> Wort des<br />

Dankes an die Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>;<br />

denn wenn ich das Thema der Tagung sehe »<strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>dient</strong> <strong>Stadt</strong> und Land«, so können<br />

wir das aus der Sicht der <strong>Stadt</strong> <strong>Ansbach</strong> nur unterstreichen.<br />

Die Arbeit der Direktion für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> war für unseren Raum und für unsere<br />

<strong>Stadt</strong> eigentlich Wirtschaftsförderung — Wirtschaftsförderung<br />

im umfassenden S<strong>in</strong>ne. Zum e<strong>in</strong>en<br />

natürlich vor allem für die Landwirtschaft, aber auch<br />

für den gesamten Raum, <strong>in</strong> dem wichtige Infrastrukturmaßnahmen<br />

geschaffen werden konnten.<br />

* Redigierte Tonbandaufzeichnung<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

19


Ich denke hier an Autobahn-, an Verkehrswegeverb<strong>in</strong>dungen,<br />

aber auch an Gewerbegebiete <strong>in</strong><br />

unserer <strong>Stadt</strong>, z. B. das Industriegebiet <strong>in</strong><br />

Brodsw<strong>in</strong>den. Ich denke aber auch an die Leistungen,<br />

die für den Naturschutz erreicht worden s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong><br />

Paradebeispiel dafür ist das Gebiet um den<br />

Scheerweiher <strong>in</strong> Schalkhausen. Die Aufgaben, die<br />

noch anstehen, s<strong>in</strong>d sicher sehr umfassend. Ich b<strong>in</strong><br />

deshalb überzeugt, daß unsere Direktion hier <strong>in</strong><br />

<strong>Ansbach</strong> noch bis weit über das Jahr 2 000 genügend<br />

zu tun haben wird.<br />

Ich wünsche Ihnen bei Ihrer Tagung <strong>in</strong>teressante<br />

Gespräche und gute Ergebnisse! Ich wünsche Ihnen,<br />

daß Sie sich wohl fühlen <strong>in</strong> unserer <strong>Stadt</strong>. Schließlich<br />

haben wir extra e<strong>in</strong> großartiges <strong>Stadt</strong>fest arrangiert<br />

für diese <strong>Fachtagung</strong>. Ich hoffe, Sie besuchen unser<br />

<strong>Stadt</strong>fest und gehen mit dem E<strong>in</strong>druck nach Hause,<br />

daß <strong>Ansbach</strong> e<strong>in</strong>e freundliche und fröhliche <strong>Stadt</strong><br />

ist. Alles Gute für Ihre Tagung!<br />

Eröffnungsveranstaltung im Konzertsaal der markgräflichen Orangerie<br />

20 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Walter Eykmann<br />

Grußwort *<br />

Sehr gerne überbr<strong>in</strong>ge ich Ihnen die Grüße des<br />

Bayerischen Landtages. Ich b<strong>in</strong> selten <strong>in</strong> der glücklichen<br />

Lage, dies mit e<strong>in</strong>er solchen Schubkraft tun zu<br />

können. In der ersten Reihe sitzen auf der rechten<br />

Seite nur Abgeordnete des Bayerischen Landtages.<br />

Damit wünsche ich Ihnen also auch <strong>in</strong> deren Namen<br />

zu Beg<strong>in</strong>n Ihrer <strong>Fachtagung</strong> alles Gute für die<br />

gesamte Veranstaltung.<br />

Es ist heute e<strong>in</strong> sympathischer Zufall für mich,<br />

daß die literarische Welt e<strong>in</strong>es Mannes gedenkt, der<br />

just am 16. Mai im vorigen Jahrhundert <strong>in</strong> Unterfranken<br />

geboren wurde, <strong>in</strong> Oberfranken starb und<br />

von dem ich Ihnen e<strong>in</strong> Zitat nach Mittelfranken mitgebracht<br />

habe. Friedrich Rückert hat e<strong>in</strong>mal gesagt:<br />

»E<strong>in</strong> Hund, der sich regt, jagt mehr als e<strong>in</strong> Löwe, der<br />

sich legt«. Haben Sie ke<strong>in</strong>e Angst, daß ich jetzt die<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> mit e<strong>in</strong>em Hund vergleiche;<br />

aber ich denke mir — wenn ich mir Ihre Arbeit vor<br />

Ort anschaue — »Sie regen mehr, br<strong>in</strong>gen mehr fertig<br />

und jagen mehr als mancher Löwe, der <strong>in</strong> München<br />

liegt«. Sie merken, ich pirsche mich so langsam an<br />

Ihr Tagungsthema heran, zu dem ich von Herrn<br />

M<strong>in</strong>isterialdirigent Strößner zu e<strong>in</strong>em Grußwort e<strong>in</strong>geladen<br />

wurde.<br />

Daß ich aus der Sicht des Parlamentes zur<br />

Badurakommission heute etwas sage, haben Sie<br />

sicherlich auch erwartet. Dieser Bericht ist ja<br />

bekanntermaßen am 25. 1. <strong>1994</strong> <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Ausschuß,<br />

im Ausschuß für Fragen des öffentlichen<br />

Dienstes, der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Als<br />

Mann des öffentlichen Dienstes darf ich nicht die<br />

Augen davor verschließen, daß sich der öffentliche<br />

Dienst generell <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schwierigen Situation bef<strong>in</strong>det.<br />

Ich denke, man wäre e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tellektueller Scharlatan,<br />

wenn man dieses nicht zur Kenntnis nähme<br />

und auch zum Ausdruck brächte. Die problematische<br />

F<strong>in</strong>anzsituation der öffentlichen Haushalte — Stichwort<br />

Personalquote — zeigt an, daß hier begonnen<br />

werden muß, nachzudenken. E<strong>in</strong>e Anpassung an die<br />

veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen<br />

Erfordernisse ist notwendig. Von daher kann sich<br />

ke<strong>in</strong> <strong>in</strong>tellektueller, redlicher Mensch der Tatsache<br />

versagen, daß das Parlament — ich lege Wert darauf,<br />

daß es das Parlament war — e<strong>in</strong>e Kommission e<strong>in</strong>gerichtet<br />

hat, die sich mit der Zukunft des öffentlichen<br />

Dienstes beschäftigen sollte. Kurz genannt: Badurakommission.<br />

Und diese Kommission hat nun ver-<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

schiedene Verwaltungsstrukturen analysiert und ist<br />

auch zu verschiedenen Ergebnissen gekommen. Sie<br />

hat befriedigende, und sie hat unbefriedigende<br />

Ergebnisse gebracht. Ich möchte e<strong>in</strong> befriedigendes<br />

und zufriedenstellendes Ergebnis besonders hervorheben,<br />

zu dem me<strong>in</strong> Ausschuß schon vorher gekommen<br />

ist: Es sollte e<strong>in</strong>en prüfungsfreien Verwendungsaufstieg<br />

vom mittleren <strong>in</strong> den gehobenen<br />

Dienst geben. Diesen wird es demnächst geben! Ich<br />

möchte bei dieser Gelegenheit auch mal ganz deutlich<br />

hervorheben, daß die Politik etwas Positives<br />

erwirkt hat. Me<strong>in</strong>e sehr geehrten Damen und Herren,<br />

was zu den weniger befriedigenden Teilen <strong>in</strong> diesem<br />

Badurabericht gehört, ist die Feststellung, daß die<br />

Direktionen für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> aufgelöst<br />

werden sollten.<br />

Alle<strong>in</strong>e wenn ich — und Sie gestatten mir das<br />

sicherlich als Unterfranke — den unterfränkischen<br />

Bezirk betrachte, so kann ich ganz deutlich feststellen,<br />

daß hier e<strong>in</strong> sehr großer Andrang h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der Dorferneuerung besteht. Daß die Flurentwicklung,<br />

ökologische Flurbere<strong>in</strong>igung — z. B. Schwebheim<br />

<strong>in</strong> Unterfranken —, die Unternehmensverfahren,<br />

die Landnutzungsfragen sehr wohl im<br />

Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen, ist sehr offenkundig.<br />

E<strong>in</strong>e Verlagerung an die Landwirtschaftsämter wäre<br />

e<strong>in</strong> schwerer, sehr schwerer Fehler. Me<strong>in</strong>e Damen<br />

und Herren, wir leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit, <strong>in</strong> der immer<br />

* Redigierte Tonbandaufzeichnung<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

21


wieder von Synergie- und Integrationseffekten gesprochen<br />

und geschrieben wird. Ich me<strong>in</strong>e, gerade<br />

die Direktionen für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> br<strong>in</strong>gen<br />

sehr wohl Synergieeffekte, und mit e<strong>in</strong>er Auflösung<br />

der Direktionen würde man genau das Gegenteil<br />

erreichen. Man darf also nicht Fremdwörter aufgreifen<br />

und sie dann falsch umsetzen; offensichtlich tat<br />

das mancher <strong>in</strong> der Kommission.<br />

Dennoch, auch wenn ich das so deutlich formuliere,<br />

glaube ich, darf man se<strong>in</strong>en Blick nicht davon<br />

abwenden, daß es natürlich Möglichkeiten für<br />

Verbesserungen gibt und diese auch gefunden werden<br />

sollten. Hier denke ich mir aber und sage das<br />

auch völlig unverblümt: Es kann nicht immer richtig<br />

se<strong>in</strong>, alle Untersuchungen auf dem Gebiet der<br />

Effektivitätssteigerung von Wirtschaftsunternehmen<br />

durchführen zu lassen. Ich habe den E<strong>in</strong>druck und<br />

freue mich eigentlich darüber, daß <strong>in</strong> der veröffentlichten<br />

Me<strong>in</strong>ung — endlich mal was Positives über<br />

die Presse — sehr wohl die Kritik an den flotten<br />

Unternehmensberatern zunimmt. Denn die tun das<br />

nämlich nicht für ´nen Appel und ´n Ei, sondern sie<br />

kassieren ganz hohe, sehr hohe Summen. Da muß<br />

ich die Kommission unter Professor Badura loben,<br />

die hat es nämlich umsonst gemacht.<br />

Me<strong>in</strong>e sehr geehrten Damen und Herren, dennoch<br />

me<strong>in</strong>e ich, wir alle — ob Verwaltung, ob Personalvertretung,<br />

ob Gewerkschaft, ob Politik — müssen uns<br />

nach Verbesserungen umsehen, und ich kann Sie nur<br />

alle e<strong>in</strong>laden, sich selbst aktiv und konstruktiv bei<br />

notwendigen Veränderungen auf dem Gebiet der<br />

<strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> und anderen Bereichen e<strong>in</strong>zuschalten.<br />

Nun möchte ich noch e<strong>in</strong>en abschließenden<br />

Gedanken vortragen. Und Sie gestatten mir sicherlich,<br />

daß ich dies mit e<strong>in</strong>er Begründung, die sich<br />

nicht spontan, sondern aus me<strong>in</strong>er früheren Tätigkeit<br />

als Late<strong>in</strong>lehrer ableitet, tue. Die Investitionsmittel<br />

für Dorferneuerung und Flurentwicklung <strong>in</strong> Bayern<br />

s<strong>in</strong>d Ausdruck dessen, daß wir uns e<strong>in</strong>en Kulturstaat<br />

nennen können und Bayern e<strong>in</strong> Kulturstandort ist.<br />

Was hat das aber mit Late<strong>in</strong> zu tun? Bekanntlich<br />

kommt das Wort Kultur von »colere« und heißt: bebauen,<br />

pflegen, bilden. Me<strong>in</strong>e sehr geehrten Damen<br />

und Herren, »colere« wurde ursprünglich im landwirtschaflichen<br />

Sprachgebrauch verwendet! Es war<br />

also ke<strong>in</strong> Wort der Philosophen, sondern Kultur<br />

kommt schlicht und e<strong>in</strong>fach aus dem Bereich der<br />

Landwirtschaft. Und dieses sollte man sich bei der<br />

Gelegenheit wieder mal vor Augen führen. Dazu<br />

auch noch e<strong>in</strong> Sprichwort aus Spanien: »Wenn die<br />

Felder ke<strong>in</strong>e Frucht tragen, ernten auch die Heiligen<br />

nichts«. Ich will die <strong>in</strong> München nicht heilig sprechen,<br />

aber: »Wenn die Felder ke<strong>in</strong>e Frucht tragen,<br />

ernten auch die Heiligen <strong>in</strong> München nichts«. Also<br />

muß die Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

bestehen bleiben.<br />

Me<strong>in</strong>e sehr geehrten Damen und Herren. Solange<br />

ich und me<strong>in</strong>e beiden Ausschußkollegen, die<br />

Herren Abgeordneten Wilhelm Wenn<strong>in</strong>g und Klaus<br />

Sommerkorn, im Parlament se<strong>in</strong> werden, werden wir<br />

gegen die Auflösung der Direktionen für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> stimmen.<br />

Sie haben gemerkt, daß es mir bei dem Grußwort<br />

Freude machte, manches mit Zitaten zu würzen.<br />

Jetzt schließe ich mit dem Zitat e<strong>in</strong>es Mannes, der<br />

unbestritten der Politiker des letzten Jahrhunderts<br />

schlechth<strong>in</strong> war, nämlich Bismarck. Bismarck hat<br />

e<strong>in</strong>mal gesagt: »Mit schlechten Gesetzen und guten<br />

Beamten läßt sich immer noch regieren. Bei schlechten<br />

Beamten aber helfen uns die besten Gesetze<br />

nichts«. Wir <strong>in</strong> Bayern haben beste Beamte und gute<br />

Gesetze, so soll es bleiben!<br />

Ich bedanke mich für Ihr Zuhören und wünsche<br />

Ihnen e<strong>in</strong>e gute Tagung.<br />

22 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Re<strong>in</strong>hold Bocklet<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> für Bayern und Europa<br />

Ich freue mich, daß Sie so zahlreich zu dieser<br />

Tagung gekommen s<strong>in</strong>d; gerne darf ich Ihnen<br />

zunächst die herzlichen Grüße des Schirmherrn<br />

unserer Veranstaltung, Herrn M<strong>in</strong>isterpräsident<br />

Dr. Edmund Stoiber, übermitteln. Se<strong>in</strong>e wohlwollende<br />

E<strong>in</strong>stellung zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> hat er ja<br />

anläßlich dieser Tagung <strong>in</strong> der Bayerischen Staatszeitung<br />

deutlich zum Ausdruck gebracht.<br />

Es ist jetzt ziemlich genau acht Jahre her, daß<br />

ich — zum 100jährigen Jubiläum Ihrer Verwaltung<br />

1986 — Gelegenheit hatte, zu Ihnen zu sprechen.<br />

Me<strong>in</strong> damaliges Thema »Probleme der Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

und Agrarstruktur <strong>in</strong> den EG-Staaten« hat seither<br />

an Aktualität nichts e<strong>in</strong>gebüßt.<br />

Geänderte Rahmenbed<strong>in</strong>gungen —<br />

neue Perspektiven<br />

Dennoch: Heute, acht Jahre später, leben wir <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em völlig veränderten Europa.<br />

Die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen haben sich gewandelt<br />

durch<br />

— den Zusammenbruch des Kommunismus und das<br />

Verschw<strong>in</strong>den des Ost-West-Gegensatzes,<br />

— die außenpolitische Neuorientierung <strong>in</strong> Mittelund<br />

Osteuropa,<br />

— die E<strong>in</strong>heit Deutschlands,<br />

— die Zusammenführung der Volkswirtschaften von<br />

EFTA und EG im Europäischen Wirtschaftsraum,<br />

— den Vertrag von Maastricht sowie die geplante<br />

Erweiterung der Europäischen Union.<br />

Das Zusammenwachsen von seit Jahrzehnten<br />

getrennten Wirtschaftsräumen führt zur Wiederbelebung<br />

alter Kultur-, Verkehrs- und Handelsbeziehungen<br />

und eröffnet neue Perspektiven. Wenn<br />

wir von e<strong>in</strong>em positiven Ausgang der anstehenden<br />

Volksabstimmungen <strong>in</strong> Österreich und Skand<strong>in</strong>avien<br />

e<strong>in</strong>mal ausgehen, dann wird sich das »Europa der<br />

12« schon bald zum »Europa der 16« erweitern.<br />

Föderalismus und Subsidiarität s<strong>in</strong>d die Grundsätze,<br />

die die Union <strong>in</strong> Zukunft bestimmen sollen.<br />

Dies ist auch e<strong>in</strong> wesentlicher Verdienst deutscher<br />

und nicht zuletzt bayerischer Europapolitik.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Die Union der 12 oder bald 16 Staaten ist längst<br />

zum Gravitationszentrum geworden, auf dessen<br />

Kraftl<strong>in</strong>ien h<strong>in</strong> sich vor allem die Staaten Mittel- und<br />

Osteuropas ausrichten.<br />

GATT-Abkommen<br />

Diese europäischen <strong>Entwicklung</strong>en s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den<br />

Kontext der globalen Zusammenhänge e<strong>in</strong>geordnet.<br />

Es würde zu weit führen, an dieser Stelle den<br />

gesamten Kontext auszubreiten. Ich will vielmehr<br />

e<strong>in</strong>en Komplex ansprechen, der sich auch <strong>in</strong> unserem<br />

Land bis <strong>in</strong> das kle<strong>in</strong>ste Dorf, bis <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen<br />

landwirtschaftlichen Betrieb h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> auswirkt.<br />

Nach siebenjährigen Verhandlungen wurde die<br />

Uruguay-Runde des Allgeme<strong>in</strong>en Zoll- und Handelsabkommens<br />

(GATT) im Dezember 1993 abgeschlossen<br />

und im April <strong>1994</strong> <strong>in</strong> Marrakesch feierlich<br />

schriftlich besiegelt.<br />

Die EG-Agrarreform hat die Zustimmung der EU<br />

zum GATT-Abschluß erst ermöglicht. Umgekehrt wird<br />

die EG-Agrarreform <strong>in</strong> ihren wesentlichen Elementen<br />

durch das GATT-Abkommen <strong>in</strong>ternational festgeschrieben<br />

und abgesichert. Damit können nur noch<br />

Details der Reform verändert werden. EG-Agrarreform<br />

und GATT-Abkommen bilden die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

für die Landwirtschaft bis zum<br />

Jahr 2000 und darüber h<strong>in</strong>aus.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

23


Bei e<strong>in</strong>em Urteil über das GATT-Abkommen müssen<br />

wir mehrere Aspekte berücksichtigen.<br />

Unser Land nimmt im Welthandel e<strong>in</strong>e herausragende<br />

Stellung e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> offener Weltmarkt ist<br />

besonders für die exportorientierte deutsche Wirtschaft<br />

lebenswichtig. Jeder dritte Arbeitsplatz <strong>in</strong><br />

Deutschland ist vom Export abhängig. Der weltweite<br />

Abbau von Handelshemmnissen wird der Konjunktur<br />

neue Impulse geben; erste Anzeichen dafür s<strong>in</strong>d<br />

nach den neuesten Wirtschaftsgutachten bereits<br />

erkennbar.<br />

Aufgrund ihrer engen Verflechtungen mit den<br />

übrigen Wirtschaftsbereichen hängt aber auch die<br />

Landwirtschaft von der gesamtwirtschaft-lichen<br />

<strong>Entwicklung</strong> ab.<br />

Deutschland ist außerdem nicht nur der Welt<br />

größter Agrarimporteur, vielmehr s<strong>in</strong>d wir weltweit<br />

auch der viertgrößte Agrarexporteur. Der GATT-<br />

Abschluß ist ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>bahnstraße. Im Gegenteil: die<br />

USA und e<strong>in</strong>ige andere kaufkräftige Länder wie<br />

Japan, die ihre Agrarmärkte bislang gegen Konkurrenten<br />

von außerhalb abgeschottet haben, müssen<br />

diese jetzt auch für europäische Agrarerzeugnisse<br />

öffnen. Aufgrund ihres vielfältigen Angebots an<br />

ausgezeichneten Spezialitäten hat die bayerische<br />

Agrar- und Ernährungswirtschaft Chancen, von<br />

dieser Marktöffnung zu profitieren.<br />

GATT-Folgen für den ländlichen Raum und die<br />

Landwirtschaft<br />

Die Sicherung der EG-Agrarreform durch das<br />

GATT-Abkommen hat durch den ertragsunabhängigen<br />

E<strong>in</strong>kommenssockel und die flankierenden<br />

Maßnahmen zur Förderung der extensiven Bewirtschaftung<br />

die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für die bäuerliche<br />

Landwirtschaft erheblich verändert. Mehr<br />

denn je kommt es jetzt darauf an<br />

— die unternehmerische Leistungsfähigkeit jedes<br />

e<strong>in</strong>zelnen Landwirts zu stärken;<br />

— höchste Qualität zu produzieren;<br />

— die Vertragslandwirtschaft als Stabilitätsanker<br />

auszubauen;<br />

— den Markt für nachwachsende Rohstoffe auszuweiten<br />

und<br />

— die Leistungen der Bauern für die Erhaltung der<br />

Kulturlandschaft gerecht zu entlohnen.<br />

Agrarpolitik — Politik für den gesamten<br />

ländlichen Raum<br />

Das s<strong>in</strong>d aber nur die unmittelbaren Auswirkungen.<br />

Die durch das GATT-Abkommen zu erwartende<br />

Stärkung der Wirtschaft und die Steigerung<br />

des Wohlstandes unserer Gesellschaft kommen auch<br />

<strong>in</strong>direkt der Landwirtschaft zugute. Sie ist auf e<strong>in</strong>e<br />

kaufkräftige Nachfrage angewiesen. Das setzt e<strong>in</strong>e<br />

florierende Wirtschaft und e<strong>in</strong> entsprechendes E<strong>in</strong>kommen<br />

voraus. E<strong>in</strong>e expandie-rende Wirtschaft<br />

schafft auch zusätzliche außerlandwirtschaftliche<br />

Arbeitsplätze, wodurch der Strukturwandel <strong>in</strong> der<br />

Landwirtschaft abgefedert und die E<strong>in</strong>kommenschancen<br />

<strong>in</strong>sgesamt verbessert werden. Die Nebenerwerbslandwirtschaft<br />

und die Bauerntöchter und<br />

Bauernsöhne, die nicht den Hof übernehmen, profitieren<br />

von e<strong>in</strong>em Zuwachs an Arbeitsplätzen. Mehr<br />

als die Hälfte der landwirtschaftlichen Haushalte <strong>in</strong><br />

Bayern erwirtschaftet bereits den überwiegenden Teil<br />

ihres E<strong>in</strong>kommens außerhalb der Landwirtschaft.<br />

Die Agrarpolitik kann sich angesichts dieser<br />

<strong>Entwicklung</strong> nicht auf e<strong>in</strong>e Politik für den Berufsstand<br />

beschränken, sondern sie muß e<strong>in</strong>e umfassende<br />

Politik für den ganzen ländlichen Raum<br />

se<strong>in</strong>.<br />

EU-Strukturpolitik<br />

Agrarpolitik als umfassende Strukturpolitik für das<br />

Land — <strong>in</strong> dieser Aufgabe unterstützt uns auch die<br />

EU. Die Europäische Kommission verfolgt seit Jahren<br />

e<strong>in</strong>e gezielte Strukturpolitik zur <strong>Entwicklung</strong> der<br />

ländlichen Räume.<br />

Wachsende regionale Disparitäten und die zunehmende<br />

Gefahr der Entleerung vor allem der peripheren<br />

ländlichen Räume zwangen zum Handeln.<br />

Zudem konzentrierte sich die Wirtschaftsentwicklung<br />

<strong>in</strong> der EG mehr und mehr auf die sogenannte<br />

»Wachstumsbanane«, die von London über die Benelux-Länder,<br />

das Pariser Becken und Westdeutschland<br />

bis Norditalien reicht; sie wird heute bereits überlagert<br />

von e<strong>in</strong>er neuen <strong>Entwicklung</strong>sachse von Norditalien<br />

über Südfrankreich bis <strong>in</strong> den Nordosten<br />

Spaniens h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.<br />

Reform der Strukturfonds 1988<br />

Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund wurde mit der Reform<br />

der Strukturfonds im Jahre 1988 e<strong>in</strong> eigener strukturpolitischer<br />

Schwerpunkt festgelegt: die Politik<br />

zur <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume. Im Westen<br />

24 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Deutschlands ist diese Politik <strong>in</strong> Form der sog.<br />

Ziel 5 b-Förderung bekannt geworden, im Osten<br />

Deutschlands seit Anfang dieses Jahres als Ziel1-<br />

Programm.<br />

Die EU-Ziele der <strong>Entwicklung</strong> ländlichen Räume<br />

s<strong>in</strong>d dabei vor allem:<br />

— die Verbesserung der Lebensqualität <strong>in</strong> den<br />

Dörfern;<br />

— die Erhaltung e<strong>in</strong>er flächendeckenden Landwirtschaft<br />

und ihre Stärkung durch das Angebot<br />

neuer E<strong>in</strong>kommenschancen;<br />

— die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen.<br />

Subsidiarität <strong>in</strong> der Strukturpolitik<br />

Bayern unterstreicht diese Ziele und verweist aus<br />

Erfahrung mit großem Nachdruck auf die Feststellung<br />

der Europäischen Kommission, daß mit der<br />

Planung und Durchführung der Strukturmaßnahmen<br />

— <strong>in</strong>sbesondere im Bereich des ländichen Raums —<br />

die regionalen und lokalen Ebenen eigenverantwortlich<br />

befaßt werden müssen. Die Delegation der Verantwortung<br />

auf die unteren Ebenen ist erklärtes Ziel<br />

der Politik der Staatsregierung. Bei der Reform der<br />

Strukturfonds wurden diese Vorstellungen weitgehend<br />

berücksichtigt.<br />

Erfolgreiche Partnerschaft setzt Gleichberechtigung<br />

voraus. Die Konzepte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

dürfen deshalb auch nicht <strong>in</strong> Brüssel, sondern<br />

müssen <strong>in</strong> den Regionen selbst entwickelt werden<br />

und zwar geme<strong>in</strong>sam mit den Menschen und<br />

Institutionen, die dort leben und wirken, und die die<br />

Konzepte auch überzeugt mittragen sollen.<br />

Neben diesem konsequent verwirklichten Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip<br />

ist der »<strong>in</strong>tegrierte« Ansatz e<strong>in</strong> weiteres<br />

Wesensmerkmal der neuen und von uns mitgetragenen<br />

europäischen Strukturpolitik. Darunter ist<br />

die <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre und <strong>in</strong>tegrierende Vernetzung<br />

aller Lebens- und Strukturbereiche des ländlichen<br />

Raumes zu verstehen.<br />

EU-Politik entspricht bayerischen Zielen<br />

Diese neuen Bestrebungen der EU-Kommission<br />

fügen sich somit fast nahtlos e<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Strukturpolitik,<br />

die Bayern seit vielen Jahren für den ländlichen<br />

Raum betrieben hat. Gerade <strong>in</strong> der <strong>Ländliche</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong> ist das Pr<strong>in</strong>zip der umfassenden<br />

und bürgernahen Konzepte seit langem e<strong>in</strong>e<br />

Selbstverständlichkeit. Bund und Freistaat haben<br />

vor allem im Rahmen der Geme<strong>in</strong>schaftsaufgabe<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

»Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes«<br />

die entsprechenden Mittel bereitgestellt<br />

und die Konzepte von lokalen Verantwortlichen,<br />

nämlich den Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaften Flurbere<strong>in</strong>igung,<br />

erstellen lassen. Ich muß auch nicht eigens<br />

betonen, daß wir <strong>in</strong> den beiden zentralen Bereichen<br />

der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong>, <strong>in</strong> der Flurgestaltung<br />

und <strong>in</strong> der Dorfentwicklung, seit Jahren <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är<br />

und <strong>in</strong>tegrierend planen und handeln.<br />

Ich me<strong>in</strong>e, daß diese spezielle Ausprägung der<br />

<strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong>e ausgezeichnete Voraussetzung<br />

für die Anwendung der entsprechenden EU-<br />

Programme und die Umsetzung ihrer Fördermittel<br />

war und ist.<br />

Man würde die EU-Förderung gründlich mißverstehen,<br />

wollte man sie als enge Landwirtschaftsförderung<br />

<strong>in</strong>terpretieren. Sie ist vielmehr e<strong>in</strong>e<br />

globale Förderung des ländlichen Raumes. Am<br />

Beispiel der bayerischen 5 b-Programme wurde und<br />

wird dies künftig noch deutlicher.<br />

5 b-Förderung<br />

Bekanntlich ist es uns gelungen, den Förderumfang<br />

für die Bundesrepublik und für Bayern auszuweiten.<br />

Nunmehr kommen mit 3,5 Mio. Menschen<br />

31 % der E<strong>in</strong>wohner Bayerns und mit knapp 4 Mio.<br />

ha 57 % des Staatsgebietes <strong>in</strong> den Genuß der 5 b-<br />

Förderung.<br />

Landwirtschaft<br />

Die Bedeutung der Landwirtschaft für die ländlichen<br />

Räume ist unbestritten; sie hat bis vor wenigen<br />

Jahrzehnten Gesicht und Wohlergehen des ländlichen<br />

Raums bestimmt. Steigende Produktivität <strong>in</strong><br />

der Landwirtschaft und stagnierende Nachfrage<br />

haben dazu geführt, daß im Zuge des Generationenwechsels<br />

immer mehr Erwerbstätige aus der Landwirtschaft<br />

ausgeschieden s<strong>in</strong>d.<br />

Unsere Landwirte sehen sich heute mit e<strong>in</strong>em<br />

völlig geänderten Berufsbild konfrontiert. Seit die<br />

ersten Menschen seßhaft wurden und begannen<br />

Ackerbau zu treiben, war die Erzeugung möglichst<br />

großer Nahrungsmittelmengen oberstes Ziel der<br />

Bauern. Heute wird den Landwirten ihre hohe Produktivität<br />

be<strong>in</strong>ahe zum Vorwurf gemacht. Machen<br />

wir uns bewußt: Erstmals <strong>in</strong> der Geschichte der<br />

Menschheit ist <strong>in</strong> unserer Zeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Regionen<br />

dieser Welt landwirtschaftliche Überproduktion zum<br />

Problem geworden.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

25


Nahrungsmittel — Lebens-Mittel<br />

Unsere Gesellschaft braucht aber mehr als e<strong>in</strong>e<br />

ausreichende Versorgung mit Nahrung. Bauern müssen<br />

heute nicht mehr nur Nahrungsmittel produzieren,<br />

sondern Lebensmittel, Über-Lebens-Mittel:<br />

Dazu gehören außer Essen und Tr<strong>in</strong>ken auch sauberes<br />

Wasser und gesunde Böden; dazu gehören e<strong>in</strong>e<br />

bäuerlich geprägte artenreiche Kulturlandschaft und<br />

dörfliches Leben.<br />

Die gesellschaftliche und ökonomische Bedeutung<br />

der Landwirtschaft geht weit über ihren Anteil am<br />

Bruttosozialprodukt h<strong>in</strong>aus.<br />

Marktchancen nützen<br />

Landwirte müssen heute mehr denn je alle<br />

Marktchancen nützen. Ich nenne hier die Möglichkeiten<br />

der E<strong>in</strong>kommenskomb<strong>in</strong>ation; Stichworte s<strong>in</strong>d<br />

Direktvermarktung, Urlaub auf dem Bauernhof,<br />

Übernahme von Dienstleistungen für die Kommunen<br />

etc. Zukünftige Märkte, wie den Anbau nachwachsender<br />

Rohstoffe, darf die bayerische Landwirtschaft<br />

nicht der Konkurrenz überlassen.<br />

E<strong>in</strong>e Nachfrage besteht heute allerd<strong>in</strong>gs auch<br />

nach der Erhaltung unserer überlieferten Kulturlandschaft.<br />

Die Landwirtschaft muß bereit se<strong>in</strong>, auch<br />

diese Nachfrage zu befriedigen.<br />

Wirtschaftsstandort ländlicher Raum<br />

Die Sicherung des Wirtschaftsstandortes<br />

Bayern, und dazu zählt auch der ländliche Raum,<br />

sieht die Bayerische Staatsregierung als derzeit<br />

wichtigste Aufgabe ihrer Politik an. Aufgabe des<br />

Staates ist es, optimale Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für<br />

Investitionen zu schaffen. Dadurch erst können auch<br />

im ländlichen Raum Arbeitsplätze gesichert bzw. neu<br />

geschaffen werden.<br />

E<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung für Neu-Investitionen<br />

der Wirtschaft stellt e<strong>in</strong>e ausreichende Ausstattung<br />

mit Infrastrukture<strong>in</strong>richtungen dar; hier<br />

me<strong>in</strong>e ich vor allem gute Verkehrsverb<strong>in</strong>dungen. E<strong>in</strong><br />

weiterer Schwerpunkt ist die möglichst flächendeckende<br />

Nutzung neuer Technologien für den ländlichen<br />

Raum.<br />

Die E<strong>in</strong>richtung von Telekommunikationsnetzen<br />

auch <strong>in</strong> schwach besiedelten ländlichen Räumen<br />

kann nach Ansicht vieler Experten e<strong>in</strong>en wesentlichen<br />

Beitrag zur Dezentralisierung e<strong>in</strong>es qualifizierten<br />

Arbeitsplatzangebotes leisten. Durch die Nutzung<br />

dieser Technik kann die Abwanderung mancher<br />

gutausgebildeter junger Menschen aus den Dörfern<br />

gebremst werden.<br />

Stärkung von dörflichem Handwerk und<br />

Gewerbe<br />

Die Ansiedlung großer Betriebe im ländlichen<br />

Raum, wie es z. B. bei der Firma BMW <strong>in</strong> D<strong>in</strong>golf<strong>in</strong>g<br />

der Fall war, wird die Ausnahme se<strong>in</strong>. Wir müssen<br />

unser Hauptaugenmerk auf die Erhaltung bestehender<br />

Handwerks- und Gewerbebetriebe und die kle<strong>in</strong>eren<br />

und mittleren Unternehmen (KMU) im ländlichen<br />

Raum richten bzw. die Neuansiedlung solcher<br />

Betriebe anstreben. Gerade dieser Mittelstand hat<br />

sich <strong>in</strong> der Vergangenheit als sehr krisen-sicher<br />

erwiesen. Er bildet das Rückgrat des Arbeitsplatzangebotes<br />

im ländlichen Raum. Dies gilt vor allem<br />

auch für die Möglichkeiten zur E<strong>in</strong>kommenskomb<strong>in</strong>ation<br />

für Landwirte. Arbeitsplätze im ländlichen<br />

Raum verh<strong>in</strong>dern das Abwandern der Menschen <strong>in</strong><br />

die Ballungsräume.<br />

Zukunftsmarkt Dienstleistungen<br />

E<strong>in</strong>e wichtige Chance der derzeitigen wirtschaftlichen<br />

<strong>Entwicklung</strong> liegt im Ausbau des Zukunftsmarktes<br />

Dienstleistungen. Für die ländlichen Räume<br />

stellt sich die Aufgabe, die hier sich bietenden<br />

Möglichkeiten offensiv und kreativ zu nützen.<br />

Ich denke vor allem an den Ausbau des naturnahen<br />

Tourismus mit regionaler Wertschöpfung.<br />

Dabei reicht es nicht mehr aus, den Urlaubern lediglich<br />

komfortable Unterkunftsmöglichkeiten anzubieten.<br />

Es ist vielmehr e<strong>in</strong> Erlebniskonzept erforderlich,<br />

das sich geme<strong>in</strong>deübergreifend u. a. mit den<br />

Fragen Ausbau der Infrastruktur, Anbieten der regionalen<br />

Attraktionen und verbraucherorientiertes<br />

Market<strong>in</strong>g beschäftigt. In diesen Konzepten und<br />

Strategien stellt e<strong>in</strong>e wohlgeordnete, bäuerlich<br />

gepflegte Kulturlandschaft die Voraussetzung für<br />

Attraktivität und Akzeptanz der Landschaft dar. Der<br />

Landwirtschaft kommt also e<strong>in</strong>e besondere Bedeutung<br />

zu; immer mehr Tourismusmanager wissen<br />

darum und schließen e<strong>in</strong>en Pakt mit ihren Bauern.<br />

E<strong>in</strong> anschauliches Beispiel für den erfolgreichen<br />

Ausbau des ländlichen Dienstleistungssektors ist<br />

»Das Neue Fränkische Seenland«. Landwirte haben<br />

den nötigen Strukturwandel, der mit dem Verlust<br />

vieler Flächen verbunden war, als Chance erkannt.<br />

Sie pflegen Flächen im Umfeld der Seen und bieten<br />

den Urlaubern Unterkunftsmöglichkeiten an. Alle<br />

26 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


notwendigen Infrastrukture<strong>in</strong>richtungen wurden<br />

vielfach mit Unterstützung von flächendeckenden<br />

Flur- und Dorfentwicklungsvorhaben neu geschaffen.<br />

Attraktiv erneuerte Dörfer ziehen die Gäste an.<br />

Das Neue Fränkische Seenland ist e<strong>in</strong> überzeugendes<br />

Beispiel dafür, wie der ländliche Raum die Bedürfnisse<br />

der Städte zu erfüllen hilft: die neuen Seen<br />

s<strong>in</strong>d längst attraktiver Naherholungsraum für die<br />

Nürnberger Großstadtbevölkerung geworden. Die<br />

Leistungen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> im Seenland<br />

wurden mit dem Staatspreis für vorbildliche Neuordnungen<br />

ausgezeichnet.<br />

Von der Flurbere<strong>in</strong>igung zur <strong>Ländliche</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong><br />

Me<strong>in</strong>e sehr geehrten Damen und Herren, damit<br />

b<strong>in</strong> ich endgültig beim Anlaß unserer Tagung und<br />

Ihres Zusammenkommens: Im Grunde habe ich mit<br />

dem erweiterten Rahmen <strong>in</strong> wesentlichen Bereichen<br />

Ihren, d. h. den heutigen Tätigkeitsbereich der <strong>Ländliche</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong> bereits skizziert. Es ist längst e<strong>in</strong>e<br />

imponierende und ebenso anspruchsvolle wie<br />

schwierige Aufgabe, die Bereitschaft zum Wandel<br />

und zur Anpassung althergebrachter Instrumentarien<br />

abverlangt. Mit dem Schritt von der Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> hat sich Ihre Verwaltung<br />

nicht nur namensmäßig diesen Anforderungen<br />

früh und — wie ich me<strong>in</strong>e — rechtzeitig<br />

gestellt. Bei dieser Gelegenheit darf ich mich bei<br />

me<strong>in</strong>em Vorgänger Hans Maurer herzlich bedanken,<br />

daß er im Jahre 1992 die Konsequenzen aus dieser<br />

<strong>Entwicklung</strong> gezogen und die Umbenennung erreicht<br />

hat. Sprachstrategisch war dies sicher e<strong>in</strong> wichtiger<br />

Schritt, um die heutige Bedeutung der Verwaltung<br />

für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> heraus- und für die<br />

Zukunft sicherzustellen. Sicher ist dies e<strong>in</strong> entscheidender<br />

Schritt, um den Menschen die vielseitigen<br />

Anforderungen an die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> deutlich<br />

zu machen.<br />

Die Verbesserung der Arbeits- und Produktionsbed<strong>in</strong>gungen<br />

der Landwirtschaft war ursprünglich<br />

das Hauptziel der Flurbere<strong>in</strong>igung. Im Laufe der Zeit<br />

haben sich die Schwerpunkte verlagert; die Steigerung<br />

der Produktion wurde abgelöst vom Ziel der<br />

Produktivitätsverbesserung. Dadurch auch entstanden<br />

Raum und Bereitschaft für die stärkere Verfolgung<br />

der Ziele der Landeskultur und Landentwicklung.<br />

Längst geht es heute um<br />

— wirksame Hilfen für e<strong>in</strong>e stärker unternehmerisch<br />

ausgerichtete Landwirtschaft,<br />

— die Erhaltung und Gestaltung e<strong>in</strong>er ökologisch<br />

und ästhetisch ansprechenden Kulturlandschaft,<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

— die zukunftsorientierte <strong>Entwicklung</strong> der Dörfer<br />

und<br />

— die aktive Mitwirkung der Bürger an der<br />

Gestaltung ihres dörflichen und landschaftlichen<br />

Lebensumfeldes.<br />

Dies s<strong>in</strong>d die Schwerpunkte Ihrer Arbeit für die<br />

ländlichen Räume <strong>in</strong> Bayern. Im vom Bayerischen<br />

Landtag geforderten und gebilligten Programm<br />

<strong>Ländliche</strong> Neuordnung durch Flurbere<strong>in</strong>igung und<br />

Dorferneuerung von 1989 haben wir sie festgeschrieben.<br />

Die neuen Dorferneuerungsrichtl<strong>in</strong>ien und<br />

die F<strong>in</strong>anzierungsrichtl<strong>in</strong>ien <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

führen diese vorgenommene Schwerpunktsetzung<br />

der letzten Jahre konsequent fort.<br />

Bayerisches Programm <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>in</strong> der nächsten Legislaturperiode<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergrund der veränderten europäischen<br />

und nationalen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen und<br />

Aufgabenstellungen und deren Konsequenzen für die<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> ist e<strong>in</strong>e Fortschreibung des<br />

Programms <strong>Ländliche</strong> Neuordnung erforderlich. Dazu<br />

hat der Bayerische Landtag bereits aufgerufen. Die<br />

Fortschreibung wird e<strong>in</strong> Schwerpunkt der nächsten<br />

Legislaturperiode se<strong>in</strong>. Die angestrebte Novellierung<br />

der gesetzlichen Grundlagen <strong>in</strong> Richtung mehr<br />

Landentwicklung sollte Sie zu <strong>in</strong>novativen Vorschlägen<br />

ermuntern. Ich denke, daß gerade diese <strong>Fachtagung</strong><br />

e<strong>in</strong>e hervorragende Gelegenheit bietet, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e solche Diskussion e<strong>in</strong>zusteigen; ja, ich me<strong>in</strong>e, es<br />

liegt sogar ihre besondere Berechtigung dar<strong>in</strong>, dies<br />

zu tun. Auch das ist für mich e<strong>in</strong> wichtiges Stück<br />

Unternehmenskultur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er öffentlichen<br />

Verwaltung.<br />

Das künftige Bayerische Programm <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> sollte e<strong>in</strong> Grundsatzprogramm se<strong>in</strong>, <strong>in</strong><br />

dem die schon angesprochenen Zukunftsperspektiven<br />

pragmatisch und realisierbar konkretisiert<br />

werden.<br />

Bürger gestalten Dorf und Flur<br />

Ob es nun um den Schwerpunkt Landwirtschaft<br />

und Landbewirtschaftung, Dorf- und Landentwicklung<br />

oder um Hilfen für öffentliche Maßnahmen<br />

geht — e<strong>in</strong> primäres unternehmerisches Leit- und<br />

Führungspr<strong>in</strong>zip müssen die Sorge um den Bürger<br />

und das Ernstnehmen se<strong>in</strong>er Ansprüche und<br />

Me<strong>in</strong>ungen se<strong>in</strong>. Ich sage dies vor dem H<strong>in</strong>tergrund<br />

der aktuellen Diskussionen um mehr Demokratie <strong>in</strong><br />

den Geme<strong>in</strong>den.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

27


<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> ist heute und morgen nur<br />

möglich und effizient, wenn die Bürger selbst sich<br />

<strong>in</strong>tensiv mit ihrem Lebensraum beschäftigen und zu<br />

verantwortlichem Handeln angeregt werden.<br />

Planungen und Maßnahmen <strong>in</strong> der <strong>Ländliche</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong> sollen von der Basis aus unterstützt und<br />

bee<strong>in</strong>flußt werden. Diese Grundforderung ist bei der<br />

Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> längst geübte<br />

Praxis; das bayerische Genossenschaftspr<strong>in</strong>zip<br />

sichert seit jeher Mitbestimmung und Mitverantwortung<br />

der Teilnehmer vor Ort. Die Delegation von<br />

Zuständigkeiten auf die untere Ebene wird bei Ihnen<br />

ebenso vollzogen wie die Privatisierung vieler<br />

Planungsleistungen.<br />

Mit der E<strong>in</strong>richtung von Arbeitskreisen <strong>in</strong> den<br />

Dörfern haben Sie das Fundament für Planerstellung<br />

und nachfolgende Projekte noch zusätzlich und<br />

erfolgreich verbreitert. Es ist damit gewährleistet,<br />

daß alle Bürger vor Ort ihre Ideen e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen und<br />

sich mit den Projekten identifizieren können.<br />

Wie erfolgreich dies im Rahmen der Dorferneuerung<br />

geschieht, konnte ich erst am Samstagabend <strong>in</strong><br />

Kickl<strong>in</strong>gen bei der Verleihung des Staatspreises erleben.<br />

Hier ist e<strong>in</strong>e lebendige Geme<strong>in</strong>schaft entstanden<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Dorf, das vor 10 oder 15 Jahren noch<br />

als letztes »Kaff« bezeichnet worden ist und <strong>in</strong> dem<br />

die Bürger kaum mite<strong>in</strong>ander kommuniziert haben;<br />

das ist schon erstaunlich! Manche Demokratietheoretiker<br />

sollte dies zum Nachdenken bewegen, ob die<br />

Formen unserer Demokratie immer geeignet s<strong>in</strong>d,<br />

mehr Gespräche und e<strong>in</strong> offeneres Mite<strong>in</strong>ander der<br />

Menschen bei der Bewältigung der Probleme des<br />

Dase<strong>in</strong>s zu erreichen.<br />

<strong>Ländliche</strong> Bildungsstätten fördern lebendige<br />

Demokratie<br />

Um die Vorbereitungs- oder Startphase möglichst<br />

effizient zu gestalten und die Information und Beratung<br />

der Bürger zu optimieren, wollen wir uns verstärkt<br />

der sog. Schulen der Dorf- und Landentwicklung<br />

sowie der Landvolkshochschulen bedienen.<br />

Diese Bildungse<strong>in</strong>richtungen sollen die <strong>in</strong>teressierten<br />

Multiplikatoren und Bürger befähigen, komplexe<br />

Zusammenhänge besser zu erkennen, eigenständige<br />

Lösungen und Alternativen zu erarbeiten und zu diskutieren<br />

sowie e<strong>in</strong>em Konsens zuzuführen. Dadurch<br />

erwächst Identifikation mit den Lösungen und dem<br />

eigenen Lebensraum.<br />

Auch oder gerade die Bewohner der ländlichen<br />

Räume sollen im zusammenwachsenden Europa<br />

Identität bewahren. Gerade <strong>in</strong> diesem Zusammen-<br />

hang ist die Dorferneuerung besonders gefordert.<br />

Die Nähe unserer Verwaltungen zu den Menschen <strong>in</strong><br />

den Dörfern und deren Problemen und ihre besondere<br />

Kompetenz s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>es Erachtens auch <strong>in</strong><br />

Zukunft zuverlässiger Garant dafür, daß die Dorferneuerung,<br />

wie <strong>in</strong> allen anderen deutschen<br />

Flächenstaaten, im Bereich des Agrarressorts angesiedelt<br />

bleibt. Die Betreuung der Maßnahmen durch<br />

Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaft, Amt für Landwirtschaft<br />

und Ernährung und die Direktion für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> hat sich bewährt.<br />

Dorfentwicklung bleibt vorrangige Aufgabe der<br />

<strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

Die Bayerische Staatsregierung und der Bayerische<br />

Landtag sehen <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der Dorferneuerung<br />

e<strong>in</strong> überragendes Instrument zur<br />

Stärkung der ländlichen Räume. Deshalb hat der<br />

Landtag <strong>in</strong> den letzten Jahren die Mittel für die<br />

Dorferneuerung konsequent angehoben und den<br />

<strong>in</strong>haltlichen Ausbau der Dorferneuerungsrichtl<strong>in</strong>ien<br />

bewirkt. Inzwischen setzen wir auch Mittel der<br />

Europäischen Union <strong>in</strong> der Dorferneuerung e<strong>in</strong>, da<br />

auch die Europäische Kommission die Dorferneuerung<br />

als zentrale Maßnahme zur Erhaltung der dörflichen<br />

Siedlungen sieht.<br />

Trotz dieser positiven Perspektiven b<strong>in</strong> ich nicht<br />

ohne Sorge: Viele bayerische Dörfer stehen auf der<br />

Warteliste und können bei der derzeitigen Personalund<br />

F<strong>in</strong>anzsituation nicht <strong>in</strong> das Programm aufgenommen<br />

werden. Die Bürgermeister dieser Dörfer<br />

drängen bei mir auf die E<strong>in</strong>leitung von Maßnahmen.<br />

Ich lege deshalb großen Wert darauf, daß bei den<br />

<strong>in</strong> Bearbeitung stehenden Dorferneuerungen die<br />

f<strong>in</strong>anzielle Hilfe auf die wichtigsten strukturellen<br />

Maßnahmen beschränkt bleibt. Es darf ke<strong>in</strong>e Luxussanierungen<br />

oder Endloserneuerungen von Dörfern<br />

geben. Mit Hilfe der neuen Startphase wollen wir<br />

schneller zur Prioritätensetzung und Realisierung<br />

der Maßnahmen kommen.<br />

Gleichzeitig müssen wir noch mehr als bisher verdeutlichen,<br />

daß bauliche, <strong>in</strong>frastrukturelle und bodenordnerische<br />

Maßnahmen zwar unverändert wichtige<br />

Ausprägung e<strong>in</strong>er Dorferneuerung s<strong>in</strong>d, nicht<br />

aber ausschließlicher Inhalt e<strong>in</strong>er Dorfentwicklung<br />

se<strong>in</strong> können. Vielmehr sollen motivierte und unternehmerisch<br />

ges<strong>in</strong>nte Bürger wirtschaftlich und<br />

sozio-kulturell tragfähige Strategiekonzepte für die<br />

Zukunft nach der Dorferneuerung erarbeiten. Dazu<br />

gehören auch Konzepte zur Zukunftssicherung der<br />

landwirtschaftlichen Betriebe.<br />

28 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


All das erfordert neben dem nötigen Geld auch<br />

erheblichen beratenden, moderierenden und planerischen<br />

E<strong>in</strong>satz der Mitarbeiter unserer Verwaltung.<br />

Ich weiß, wie sehr Sie sich über Ihre normale Dienstzeit<br />

h<strong>in</strong>aus engagieren. Dafür danke ich Ihnen herzlich;<br />

ich bitte aber gleichwohl die anwesenden<br />

Bürgermeister um Verständnis dafür, daß wir neue<br />

Dorferneuerungsvorhaben nur noch e<strong>in</strong>leiten können,<br />

wenn die Personal- und F<strong>in</strong>anzsituation der<br />

Direktionen dies zuläßt<br />

Überörtliche Zusammenarbeit ist das Gebot<br />

der Stunde<br />

In der Vergangenheit hat sich immer wieder<br />

gezeigt, daß viele Probleme von e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de oder<br />

gar e<strong>in</strong>em Dorf, alle<strong>in</strong> schon aus f<strong>in</strong>anziellen Gründen,<br />

im Alle<strong>in</strong>gang nicht angepackt werden können.<br />

Das neue Bayerische Landesentwicklungsprogramm<br />

fordert deshalb ebenso wie der Bundesraumordnungsm<strong>in</strong>ister<br />

neue Wege der Partnerschaft und<br />

überörtlichen Handelns. Wir fördern <strong>in</strong> zwei Modellversuchen<br />

die landkreis- und regierungsbezirksübergreifende<br />

Zusammenarbeit von mehreren Geme<strong>in</strong>den.<br />

Die bisherigen Reaktionen der Geme<strong>in</strong>den und<br />

die ersten planerischen Erfahrungen s<strong>in</strong>d positiv.<br />

Unternehmensverfahren zum Wohle<br />

der Allgeme<strong>in</strong>heit haben Vorrang<br />

Ich habe bereits darauf h<strong>in</strong>gewiesen, daß die<br />

Sicherung des Wirtschafts- und Arbeitsplatzstandortes<br />

Bayern e<strong>in</strong> großes Anliegen der Bayerischen<br />

Staatsregierung ist. Derzeit stehen im ganzen Freistaat<br />

wichtige Verkehrsprojekte zur Verwirklichung<br />

an, darunter besonders die Verkehrsprojekte<br />

Deutsche E<strong>in</strong>heit.<br />

Bei den Unternehmensverfahren handelt es sich<br />

um e<strong>in</strong>e politisch vordr<strong>in</strong>gliche Aufgabe der Verwaltung<br />

für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>. Die geplanten Vorhaben<br />

s<strong>in</strong>d für unsere Wirtschaftskraft und den<br />

Standort ländlicher Raum äußerst wichtig. Aufgabe<br />

der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> ist es, Enteignungen zu<br />

vermeiden. Nachteile, die mit der Durchschneidung<br />

von Feld und Flur für die Landwirtschaft wie auch<br />

für die Kulturlandschaft verbunden s<strong>in</strong>d, sollen<br />

gemildert werden. Ich appelliere an die Öffentlichkeit<br />

und <strong>in</strong>sbesondere auch an die Vertreter des Naturschutzes,<br />

die unverzichtbare Arbeit der <strong>Ländliche</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong> bei den Unternehmensverfahren als<br />

besonders sozial verträgliche Hilfe zu sehen und<br />

mehr als bisher anzuerkennen.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Ich will nicht versäumen, allen Mitarbeitern, die<br />

bei den sehr schwierigen Unternehmensverfahren<br />

mitgearbeitet haben, für ihre engagierte, bürgernahe<br />

und umsichtige Arbeit zu danken.<br />

Wege der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> zu mehr<br />

Bauland<br />

Von großer Bedeutung für den Wirtschaftsstandort<br />

Deutschland ist derzeit auch der Faktor Baulandmobilisierung.<br />

Bekanntlich fehlen Millionen Wohnungen<br />

<strong>in</strong> unserem Land, zugegebenermaßen vor<br />

allem <strong>in</strong> den Verdichtungsräumen. Aber auch im<br />

ländlichen Raum muß im S<strong>in</strong>ne der Schaffung neuer<br />

Arbeitsplätze und der Versorgung der Bürger entschlossen<br />

gehandelt werden. Wohnungen und<br />

Bauland können vielfach durch Innenverdichtung<br />

und Umnutzung leerstehender landwirtschaftlicher<br />

Gebäude z. B. im Rahmen von Dorferneuerung<br />

geschaffen werden. Aber auch neues, planvoll<br />

geschaffenes Bauland auf der grünen Wiese bleibt<br />

unverzichtbar.<br />

Dies sollte verstärkt e<strong>in</strong>e Aufgabe der <strong>Ländliche</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong> se<strong>in</strong>. Immerh<strong>in</strong> wurden <strong>in</strong> den letzten<br />

10 Jahren <strong>in</strong> Neuordnungsverfahren nach dem<br />

Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetz und bei Umlegungsverfahren,<br />

bei denen die Befugnis zur Durchführung der<br />

Umlegung auf die Direktionen für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> übertragen war, über 7 000 Baugrundstücke<br />

ausgewiesen. Es ist leider immer noch viel zu<br />

wenig bekannt, daß Landwirte von den bodenordnerischen<br />

Wegen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> zum<br />

Bauland besonders profitieren. Sie stehen nicht vor<br />

der Alternative »verkaufen oder behalten«, sondern<br />

können im Zuge der Bodenordnung tauschen und an<br />

anderer Stelle mit landwirtschaftlichen Flächen<br />

abgefunden werden. Gew<strong>in</strong>ner s<strong>in</strong>d die Landwirte<br />

und die baulandsuchende Geme<strong>in</strong>de und Öffentlichkeit.<br />

Den Geme<strong>in</strong>den biete ich ausdrücklich die<br />

Hilfe der Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

an. Möglichkeiten dazu werden dankenswerter<br />

Weise <strong>in</strong> dem neuen Buch »Wege zum Bauland« aufgezeigt,<br />

das der Fraktionsvorsitzende Alois Glück<br />

unter Mitwirkung vieler Experten vor kurzem herausgegeben<br />

hat.<br />

Zukunft des Landes nur durch Stärkung der<br />

Landwirtschaft und Erhaltung der Kulturlandschaft<br />

Vielleicht hat sich schon mancher unter Ihnen<br />

gefragt, ob denn die Aufgaben der Stärkung der<br />

Landwirtschaft und Erhaltung der Kulturlandschaft<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

29


nun schon so nachrangig geworden s<strong>in</strong>d, daß sie gar<br />

nicht mehr an vorderster Stelle erwähnt werden. Ich<br />

kann Sie beruhigen: E<strong>in</strong>e der unverändert wichtigen<br />

Haupt-, ja Zukunftsaufgaben der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

ist und bleibt die Erhaltung und Gestaltung<br />

unserer bäuerlich bewirtschafteten Kulturlandschaft<br />

und damit untrennbar verbunden die Stärkung e<strong>in</strong>er<br />

unternehmerisch orientierten Landwirtschaft. Nirgendwo<br />

als hier im bäuerlich geprägten Westmittelfranken<br />

ist diese Aussage mehr berechtigt.<br />

Heute muß ke<strong>in</strong> Naturschützer mehr e<strong>in</strong>e Ausräumung<br />

der Landschaft befürchten; längst ist die<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung dank ihrer allseits anerkannten<br />

hohen ökologischen Kompetenz und dank e<strong>in</strong>er pionierhaften<br />

Landschaftsplanung zu e<strong>in</strong>er echten<br />

Flurbereicherung geworden. Naturschutz und Landwirtschaft<br />

können sich ke<strong>in</strong>en besseren Partner und<br />

Mittler wünschen, der für den gerechten Ausgleich<br />

der Interessen und bei allen ökologischen Maßnahmen<br />

für die Wahrung der bäuerlichen Interessen<br />

sorgt. Die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> ist e<strong>in</strong> ehrlicher<br />

Makler der Grundstückseigentümer. Diese hohe<br />

Verantwortung bitte ich Sie auch künftig gerecht<br />

wahrzunehmen.<br />

Schnellere Hilfen für die Landwirtschaft<br />

Ich sage es zwar ungern, aber im Interesse von<br />

uns allen muß ich es deutlich aussprechen: Bei der<br />

Wahrnehmung dieser bedeutenden Aufgaben müssen<br />

wir für die nächste Zeit Prioritäten setzen bei der<br />

Annahme und Erledigung neuer Aufträge und Aufgaben.<br />

Hier ist <strong>in</strong> der Vergangenheit wohl aufgrund<br />

des heftigen Drängens verschiedenster Stellen e<strong>in</strong> zu<br />

großer Arbeitsüberhang entstanden. Ihn gilt es nun<br />

konsequent und rasch abzubauen. Wir müssen <strong>in</strong><br />

nächster Zeit deshalb bei der E<strong>in</strong>leitung neuer Regelverfahren<br />

sehr restriktiv vorgehen, sie praktisch<br />

überhaupt nicht mehr anwenden, um wieder flexibler<br />

zu werden und Handlungsspielräume rückzugew<strong>in</strong>nen.<br />

Absolute Priorität haben e<strong>in</strong>fachere<br />

Verfahren mit der Aufgabe der schnellen Hilfe für<br />

unsere bäuerlichen Betriebe und Familien. Es ist e<strong>in</strong><br />

Gebot der Stunde, die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für die<br />

Landwirte wirkungsvoll zu verbessern. Die <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> ist hierfür e<strong>in</strong> erprobtes und nach wie<br />

vor hochgeschätztes Instrument. Sie senkt die<br />

Produktionskosten und sorgt dafür, daß die Bauern<br />

weniger Arbeitszeit aufwenden müssen, um die<br />

Felder zu bestellen. Das ist neben dem wirtschaftlichen<br />

auch e<strong>in</strong> sozialer Faktor. Unsere Landwirte<br />

haben extrem hohe Arbeitszeiten.<br />

Ich bitte die Direktionen, auf der Grundlage des<br />

von unserem Hause zusammen mit dem Bayerischen<br />

Bauernverband erarbeiteten Merkblatts jeweils<br />

gründlich zu prüfen, wieweit mehr als bisher e<strong>in</strong>fachere<br />

Verfahren e<strong>in</strong>geleitet werden können. E<strong>in</strong>en<br />

gesetzlichen Etikettenschw<strong>in</strong>del soll es dabei aber<br />

nicht geben.<br />

Gesetzliche Grundlagen ausbauen<br />

E<strong>in</strong>e gewisse Erleichterung wird uns demnächst<br />

hoffentlich e<strong>in</strong>e Änderung des Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes<br />

br<strong>in</strong>gen; Bayern hat bereits 1992 die Überarbeitung<br />

des Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes zu e<strong>in</strong>em<br />

Landentwicklungsgesetz angeregt.<br />

Darauf b<strong>in</strong> ich im Vorjahr bei der Flurbere<strong>in</strong>igungsrichtertagung<br />

aller Bundesländer <strong>in</strong> Würzburg<br />

ausführlich e<strong>in</strong>gegangen. Ich halte e<strong>in</strong>e Fortentwicklung<br />

des Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes <strong>in</strong> Richtung<br />

Landentwicklungsgesetz und e<strong>in</strong>e Erweiterung der<br />

rechtlichen Kompetenzen für Dorferneuerung und<br />

landschaftsgestaltende Maßnahmen für dr<strong>in</strong>gend<br />

erforderlich.<br />

E<strong>in</strong>e Projektgruppe der Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

beschäftigt sich <strong>in</strong>tensiv mit entsprechenden<br />

Vorschlägen. Zunächst ist aber e<strong>in</strong>e Novellierung<br />

des § 86 FlurbG das Ziel, um e<strong>in</strong>fachere Verfahren<br />

wirkungsvoller e<strong>in</strong>setzen zu können. E<strong>in</strong>e entsprechende<br />

Gesetzes<strong>in</strong>itiative wurde mit Unterstützung<br />

Bayerns im Bundesrat e<strong>in</strong>gebracht.<br />

Bisher gelten ja die Vere<strong>in</strong>fachungen des § 86 nur<br />

für e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>geschränkte Zielsetzung. Die Anwendungsmöglichkeiten<br />

sollen nun den geänderten<br />

strukturellen und gesellschaftlichen Anforderungen<br />

entsprechend auf allgeme<strong>in</strong>e Maßnahmen der<br />

Landentwicklung erweitert werden.<br />

Stichwort »e<strong>in</strong>facher und schneller«: Ich bitte<br />

Sie e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich, <strong>in</strong> allen Bereichen Ihrer Verwaltung<br />

den Planungsaufwand zu überdenken. Ich weiß, daß<br />

uns hierbei nicht nur gesetzliche, sondern auch<br />

gesellschaftliche Schranken gesetzt s<strong>in</strong>d. Wir wollen<br />

ke<strong>in</strong>en planerischen Kahlschlag. Gebot der Stunde<br />

s<strong>in</strong>d aber mögliche Entschlackungen und Verschlankungen.<br />

Zur Zukunft der Verwaltung<br />

Dieses notwendige und vernünftige Maß an<br />

Deregulierung und Entstaatlichung gilt auch für den<br />

Bereich, den ich abschließend ansprechen möchte.<br />

Nämlich den Bereich Reform der Bayerischen<br />

Verwaltung, Zukunft des öffentlichen Dienstes.<br />

30 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Dazu gibt und gab es ja <strong>in</strong> der letzten Zeit e<strong>in</strong>e<br />

Reihe von Aktivitäten. Ich nenne<br />

— den Bericht »Zukunft des öffentlichen Dienstes«<br />

der sog. Badura-Kommission,<br />

— die »Projektgruppe Verwaltungsreform« an der<br />

Staatskanzlei unter der politischen Leitung des<br />

Innenm<strong>in</strong>isters,<br />

— die Personale<strong>in</strong>sparungen nach Art. 6 a des<br />

Haushaltsgesetzes, von denen unser Haus, hierbei<br />

auch Ihre Verwaltung überproportional berührt<br />

s<strong>in</strong>d,<br />

— die derzeit laufende Untersuchung Ihrer Verwaltung<br />

durch e<strong>in</strong>en Unternehmensberater<br />

aufgrund e<strong>in</strong>es M<strong>in</strong>isterratsbeschlusses von<br />

1993. Ich möchte dem, was Herr Abgeordneter<br />

Dr. Eykmann zu Unternehmensberatern gesagt<br />

hat, nichts h<strong>in</strong>zufügen. Aus me<strong>in</strong>en eigenen<br />

Beobachtungen kann ich das nur voll unterstreichen<br />

und habe manchmal e<strong>in</strong> bißchen das Gefühl,<br />

daß mich das Geld reut, daß <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang ausgegeben wird.<br />

Ich habe Verständnis für die Sorgen, die Herr<br />

Strößner zum Ausdruck gebracht hat, und auch<br />

Verständnis für die Verunsicherung, die all das bei<br />

Ihnen bewirkt hat.<br />

Dazu möchte und kann ich heute nur sagen: Die<br />

Staatsregierung kann me<strong>in</strong>es Erachtens auf das<br />

hochwirksame Instrument <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

und damit auch auf die gleichnamige Verwaltung<br />

nicht verzichten. Kollege Dr. Eykmann hat soeben<br />

signalisiert, daß die Landtagsfraktion der CSU ähnlich<br />

denkt. Ich habe me<strong>in</strong>e klare Auffassung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Schreiben an den Herrn M<strong>in</strong>isterpräsidenten dargelegt<br />

und gleichzeitig darauf verwiesen, daß die<br />

Bayerische Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong><br />

vielen Bereichen den Grundsätzen e<strong>in</strong>er modernen<br />

und effizienten Verwaltung entspricht. Um es klar zu<br />

sagen; ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>deutig gegen die Zerschlagung und<br />

die Auflösung der Direktionen für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>.<br />

Die Gründe dafür hat Ihnen Herr Dr. Eykmann<br />

e<strong>in</strong>drucksvoll geschildert. Ich muß dem nichts h<strong>in</strong>zufügen;<br />

es ist genauso me<strong>in</strong>e Überzeugung.<br />

Gewisse Potentiale zur Vere<strong>in</strong>fachung und<br />

Straffung bestehen gleichwohl. Das Ziel e<strong>in</strong>er »lean<br />

adm<strong>in</strong>istration« muß uns allen geme<strong>in</strong>sam se<strong>in</strong>.<br />

Dafür bitte ich um Ihr Verständnis und Ihre Unterstützung.<br />

Es darf aber nicht soweit gehen, daß es<br />

zum Kahlschlag beim Personal, zur Auflösung der<br />

Direktionen oder zur vollständigen Privatisierung<br />

Ihrer Aufgaben kommt. Ich werde mich solchen<br />

Bestrebungen entschlossen entgegenstellen. Die vor-<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

h<strong>in</strong> erwähnte Untersuchung der Unternehmensberatung<br />

soll <strong>in</strong> Kürze abgeschlossen se<strong>in</strong>; die Ergebnisse<br />

des Gutachtens werden wir dann auf allen<br />

Ebenen diskutieren müssen.<br />

Davon unabhängig zw<strong>in</strong>gt uns bereits jetzt schon<br />

der Art. 6 a Haushaltsgesetz zum Abbau von Personal.<br />

Ich weiß, daß dieser Abbau maßvoll erfolgen<br />

muß, weil er durch Vere<strong>in</strong>fachungen <strong>in</strong> Verwaltungsund<br />

Verfahrensabläufen nur begrenzt aufgefangen<br />

werden kann.<br />

Das Badura-Gutachten hat bereits e<strong>in</strong>e breite<br />

Welle der Unterstützung für Ihre Verwaltung ausgelöst.<br />

Der Bayerische Geme<strong>in</strong>detag hat sich e<strong>in</strong>stimmig<br />

gegen e<strong>in</strong>e Auflösung der Direktionen<br />

gewandt und die große Hilfe der Verwaltung für die<br />

<strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Geme<strong>in</strong>den betont. Für<br />

diese Unterstützung danke ich dem Bayerischen<br />

Geme<strong>in</strong>detag ebenso ausdrücklich wie allen anderen<br />

Stellen, die ihre Sympathie bekundet haben.<br />

Gleichwohl bitte ich Sie alle erneut um die<br />

Unterstützung bei dem politisch schwierigen Weg<br />

der Reform der Verwaltung und des öffentlichen<br />

Dienstes. An dieser Reform geht ke<strong>in</strong> Weg vorbei<br />

und das muß auch <strong>in</strong> Ihrem Interesse liegen. Ich<br />

kann Ihnen versichern: Ich werde dafür sorgen, daß<br />

trotz notwendigen Stellene<strong>in</strong>sparungen e<strong>in</strong> kont<strong>in</strong>uierlicher<br />

und organischer Personalaufbau auch mit<br />

E<strong>in</strong>stellungschancen gewährleistet bleibt.<br />

Nach den ersten Entwürfen zur Personale<strong>in</strong>sparung<br />

sollten <strong>in</strong> diesem Jahr überhaupt ke<strong>in</strong>e Berufsanfänger<br />

e<strong>in</strong>gestellt werden. Der M<strong>in</strong>isterpräsident<br />

hat dies nicht gebilligt. Daraufh<strong>in</strong> wurden maßvolle<br />

Neue<strong>in</strong>stellungen ermöglicht. So können nun junge<br />

Menschen nach ihrer Ausbildung e<strong>in</strong>en Arbeitsplatz<br />

f<strong>in</strong>den. Entscheidend daran ist, daß damit Vertrauen<br />

<strong>in</strong> die Politik und Zukunft geschaffen wird.<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> Bayern — Beispiel<br />

<strong>in</strong> Europa<br />

Ich fasse zusammen: Mit Genugtuung sehe ich,<br />

daß wir mit unserem Verständnis der <strong>Ländliche</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong> europaweit nicht nur im Trend liegen,<br />

sondern Vielen sogar als Beispiel dienen. Vertreter<br />

der Europäischen Kommission geben immer wieder<br />

zu erkennen, daß sie unsere Maßnahmen der<br />

Dorfentwicklung und Flurgestaltung als impulsgebend<br />

für die neue europäische Strukturpolitik erachten.<br />

Insbesondere die Reformstaaten, vor allem<br />

Polen, die Tschechische Republik, die Slowakische<br />

Republik, Ungarn, Kroatien und Slowenien erwarten<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

31


sich von bayerischen Experten Hilfe bei der Erhaltung<br />

und Gestaltung ihrer ländlichen Räume. Ich<br />

freue mich, daß e<strong>in</strong>e ganze Reihe hochrangiger<br />

Vertreter dieser Länder heute unter uns weilt.<br />

E<strong>in</strong> Instrument, das <strong>in</strong> Europa und darüber h<strong>in</strong>aus<br />

Vorbildcharakter hat, hat Zukunft. Wer e<strong>in</strong>e Zukunft<br />

für sich sieht, ist optimistisch und mobilisiert Kräfte<br />

und Energie zur Bewältigung der anstehenden<br />

Herausforderungen. Darum bitte ich Sie, me<strong>in</strong>e sehr<br />

geehrten Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter: Erhalten<br />

Sie sich Ihr außerordentliches Engagement, das Sie<br />

dankenswerter Weise bisher bei der Erfüllung Ihrer<br />

Dienstaufgaben zeigen. Ich appelliere an Sie, trotz<br />

allen Belastungen, die auf Sie und uns zukommen<br />

werden, auch künftig die gestellten Aufgaben mit<br />

Freude und Zuversicht zu erfüllen.<br />

Wenn Sie erfolgreich s<strong>in</strong>d, werden es <strong>in</strong> kurzer<br />

Zeit auch die ländlichen Räume und unsere Partner<br />

im europäischen Osten se<strong>in</strong>. Dies wiederum liegt<br />

nicht nur im Interesse der Idee der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong>,<br />

sondern im Interesse von uns allen, von<br />

Bayern, Deutschland und Europa.<br />

Lassen Sie mich am Schluß me<strong>in</strong>er Ausführungen<br />

noch e<strong>in</strong>en ganz besonderen Dank anfügen. Die<br />

Leistungen der Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

können sich sehen lassen. So e<strong>in</strong>e Leistung<br />

braucht natürlich auch e<strong>in</strong>e gute Führung über all<br />

die Jahre h<strong>in</strong>weg. M<strong>in</strong>isterialdirigent Günther<br />

Strößner hat mit se<strong>in</strong>er souveränen und kompetenten<br />

Leitung der Bayerischen Verwaltung für<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> viel zum Erfolg der Flurentwicklung<br />

und Dorferneuerung <strong>in</strong> Bayern beigetragen.<br />

Dafür möchte ich ihm an dieser Stelle den ausdrücklichen<br />

Dank der Bayerischen Staatsregierung aussprechen.<br />

Die Erfolge, die die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>in</strong> Bayern vorweisen kann, s<strong>in</strong>d sicherlich der größte<br />

Dank für Sie!<br />

32 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Podiums- und Plenumsdiskussion<br />

Leitung: Dr. Gertrud Helm<br />

Überraschende Harmonie zwischen dem Präsidenten des Bayerischen Städtetages Oberbürgermeister Josef Deimer, MdS<br />

und den Vertretern des ländlichen Raumes: Die Städte brauchen e<strong>in</strong>en gesunden ländlichen Raum. Es gilt aber auch<br />

umgekehrt: die Dörfer s<strong>in</strong>d auf starke zentrale Orte und Städte angewiesen. Deshalb gilt die Devise: <strong>Stadt</strong> und Land —<br />

Hand <strong>in</strong> Hand. Bei der Realisierung dieses partnerschaftlichen Gebens und Nehmens ist das Instrumentarium der<br />

<strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> hoch willkommen.<br />

Im Bild (v. l.) Präsident Deimer, MdS, BBV-Präsident Sonnleitner, MdS, Dr. Gertrud Helm, Staatsm<strong>in</strong>ister Bocklet, Präsident<br />

Thallmair, MdS, BUND-Vorsitzender We<strong>in</strong>zierl.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

33


Empfang der Bayerischen Staatsregierung<br />

Marianne Deml<br />

Grußwort<br />

Me<strong>in</strong>e sehr geehrten Damen und Herren!<br />

Im Namen der Bayerischen Staatsregierung und<br />

auch persönlich heiße ich Sie beim Staatsempfang<br />

im Prunksaal der Residenz <strong>in</strong> <strong>Ansbach</strong> herzlich willkommen.<br />

Ich überbr<strong>in</strong>ge Ihnen die Grüße unseres<br />

M<strong>in</strong>isterpräsidenten Dr. Edmund Stoiber, der Ihnen<br />

als Schirmherr dieser Veranstaltung angenehme<br />

Stunden, fruchtbare Gespräche und der <strong>Fachtagung</strong><br />

e<strong>in</strong>en erfolgreichen Verlauf wünscht.<br />

Liebe Gäste, versetzen Sie sich doch bitte e<strong>in</strong>mal<br />

mit mir weit <strong>in</strong> die Vergangenheit zurück, <strong>in</strong> die Zeit<br />

des höfischen Rokoko und stellen Sie sich vor, Sie<br />

haben als e<strong>in</strong>facher Bürger e<strong>in</strong>e Audienz hier am<br />

Hofe Markgraf Carl Wilhelm Friedrichs, im volksmund<br />

der »Wilde Markgraf« genannt.<br />

Begleitet von zwei livrierten Dienern schreiten Sie<br />

durch die elegante Pracht der markgräflichen<br />

Residenz, durch stuckverzierte Räume, vorbei an den<br />

2 800 bemalten Fliesen des Kachelsaales. Sie gelangen<br />

vom edelgetäfelten Braunen Kab<strong>in</strong>ett <strong>in</strong>s<br />

Marmorkab<strong>in</strong>ett und schließlich <strong>in</strong> das glitzernde<br />

Spiegelkab<strong>in</strong>ett der Markgräf<strong>in</strong> Friederike Louise,<br />

übrigens e<strong>in</strong>e Schwester Friedrichs des Großen.<br />

Dann öffnet sich die Tür zum prächtigen Audienzzimmer<br />

des Markgrafen. Ehrfürchtig treten Sie<br />

näher; und wenn Sie Ihr Anliegen dann vor Aufregung<br />

nocht nicht vergessen haben, beg<strong>in</strong>nen Sie mit<br />

»Euer hochfürstliche Durchlaucht . . .«.<br />

Empfang der Bayerischen Staatsregierung<br />

im Prunksaal der markgräflichen Residenz <strong>in</strong> <strong>Ansbach</strong><br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Nun, zweie<strong>in</strong>halb Jahrhunderte später, verlaufen<br />

die Gespräche zwischen dem Bürger und der staatlichen<br />

Repräsentanz etwas anders. Und das ist natürlich<br />

auch gut so. Der richtige Umgang mit dem<br />

Bürger verlangt heute auf staatlicher Seite ungleich<br />

mehr persönliches Engagement als früher. Die<br />

Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>, an deren<br />

<strong>Fachtagung</strong> Sie teilnehmen, hat sich me<strong>in</strong>es Erachtens<br />

gut auf diese Anforderungen e<strong>in</strong>gestellt und ist<br />

heute zu Recht stolz auf ihre <strong>Entwicklung</strong>, von e<strong>in</strong>er<br />

Hoheitsverwaltung h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er Dienstleistungsverwaltung<br />

für alle Bürger im ländlichen Raum.<br />

Die Arbeit der Verwaltung zusammen mit den<br />

Bürgern hat sich längst vom Anhören über das<br />

Mitreden und Mitwirken h<strong>in</strong> zum Mitbestimmen entwickelt,<br />

also zu e<strong>in</strong>er aktiven Partizipation der Bürger<br />

an Planung und Umsetzung<br />

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als diese<br />

wunderbare Residenz durch die Architekten Gabrieli,<br />

Zocha und Retti ihre heutige Gestalt erhielt, lagen<br />

die Geschicke der <strong>Stadt</strong> und des Umlandes ausschließlich<br />

<strong>in</strong> der Hand des Markgrafen. Bürger und<br />

Bauern waren Untertanen. Ihr Schicksal war auf das<br />

engste mit dem des Herrschers verbunden. E<strong>in</strong>e <strong>Entwicklung</strong><br />

abseits des Regierungssitzes fand praktisch<br />

nicht statt, und die Menschen waren schon froh,<br />

wenn ihre kärgliche Habe nicht geplündert oder gebrandschatzt<br />

wurde.<br />

Noch heute haben die ländlichen Gebiete ihre<br />

Probleme, auch wenn diese nicht mehr unmittelbar<br />

lebensbedrohend s<strong>in</strong>d. Der Strukturwandel br<strong>in</strong>gt <strong>in</strong><br />

vielen europäischen Regionen erneut das Problem<br />

der Überalterung und der Entvölkerung. Probleme,<br />

die mittlerweile fast allen europäischen Regionen<br />

geme<strong>in</strong>sam s<strong>in</strong>d und die wir auch <strong>in</strong> bayerischen<br />

Landkreisen hatten und zum Teil auch noch haben.<br />

Die bayerische Politik für den ländlichen Raum trägt<br />

aber bereits Früchte. Der ländliche Raum hat <strong>in</strong> der<br />

Attraktivität mit den Verdichtungsräumen bereits<br />

gleichgezogen; abgesehen von e<strong>in</strong>em Nachholbedarf<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen wenigen Landkreisen.<br />

In allen Regierungsbezirken Bayerns können wir<br />

mittlerweile Bevölkerungszunahmen verzeichnen,<br />

auch wenn es noch »regionale Sorgenk<strong>in</strong>der«, wie<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

35


z. B. die Landkreise Wunsiedel, Hof und Kronach im<br />

nördlichen Oberfranken gibt. In anderen Landkreisen<br />

früherer Problemgebiete wie z. B. <strong>in</strong> Schwandorf und<br />

Cham hat die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> bereits dazu<br />

beigetragen, den Trend <strong>in</strong>s Positive umzukehren. Wir<br />

brauchen aber <strong>in</strong> allen Regionen lebens- und leistungsfähige<br />

ländliche Räume, nicht nur für die dort<br />

lebenden Bürger, sondern auch als Ausgleichs- und<br />

Erholungsraum für die Städter. Und so ist es geradezu<br />

selbstverständlich, daß sich die Europäische<br />

Union zu e<strong>in</strong>er neuen geme<strong>in</strong>schaftlichen Strukturpolitik<br />

zur Förderung und <strong>Entwicklung</strong> des ländlichen<br />

Raumes entschloß. Mittlerweile fördert die<br />

Europäische Union mit erheblichem Mittele<strong>in</strong>satz die<br />

ländlichen Regionen Europas. Mit f<strong>in</strong>anziellen<br />

Mitteln alle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d die Schwierigkeiten aber nicht zu<br />

meistern. Notwendig s<strong>in</strong>d vor allem Perspektiven,<br />

d. h. e<strong>in</strong>e Vorstellung davon, wie die großen Aufgaben<br />

gemeistert und die Zeit des Umbruchs für die<br />

Zukunft gestaltet werden können. Denken wir nur<br />

daran, daß <strong>in</strong> Europa von den 45 Mio. Jugendlichen<br />

im Alter zwischen 15 und 25 Jahren nur 18 Mio.<br />

e<strong>in</strong>en Arbeitsplatz haben!<br />

Mit der Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> hat<br />

Bayern e<strong>in</strong> leistungsfähiges Instrument, um die politischen<br />

Initiativen zur Stärkung des ländlichen<br />

Raumes auch wirksam werden zu lassen und die<br />

Bürger anzuleiten, ihre Geschicke selbst <strong>in</strong> die Hand<br />

zu nehmen und eigene Zukunftsperspektiven zu entwickeln.<br />

Der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von<br />

Weizsäcker fordert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch »Die Zeit drängt«<br />

e<strong>in</strong>e Weltversammlung aller Gutges<strong>in</strong>nten zur<br />

Lösung der drängendsten Probleme unserer Zeit. Er<br />

verlangt länderübergreifend geme<strong>in</strong>sames Nachdenken<br />

und Handeln und mahnt die Teilnehmer an der<br />

Versammlung »zur Bereitschaft zum Gespräch, zum<br />

Zuhören, zum vernünftigen Kompromiß und zur<br />

selbstkritischen Vernunft«. Weizsäcker regte an, diese<br />

Versammlung »convocatio« zu nennen, das bedeutet<br />

»Zusammenruf«, denn es geht um e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />

Sache. In diesem S<strong>in</strong>ne freue ich mich sehr, daß wir<br />

zu dieser Tagung hohe und höchste Vertreter von<br />

Politik, Wissenschaft und Verwaltung aus 18 Ländern<br />

begrüßen können; Gäste nicht nur aus der Europäischen<br />

Union und ihren Nachbarstaaten. Sogar aus<br />

der Volksrepublik Ch<strong>in</strong>a und aus Taiwan s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>teressierte<br />

Repräsentaten erschienen.<br />

Über das große Interesse an dieser Veranstaltung<br />

kann man spekulieren:<br />

— Zum e<strong>in</strong>en mag für Sie der besondere bayerische<br />

Weg von Interesse se<strong>in</strong>; mit dem Genossen-<br />

schaftspr<strong>in</strong>zip, der Bürgerpartizipation und der<br />

geme<strong>in</strong>samen Erarbeitung von Zukunftsperspektiven.<br />

— Zum anderen ist vielleicht auch der Vorsatz der<br />

Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong>teressant,<br />

sich mit ihrem Angebot, ihrer Dienstleistung<br />

sozusagen »am Markt« zu orientieren, d. h. eng an<br />

den Bedürfnissen ihrer »Kunden«. Das mag für<br />

das Selbstverständnis e<strong>in</strong>er staatlichen Verwaltung<br />

etwas neues, etwas ungewöhnliches se<strong>in</strong>;<br />

führt jedoch gleichwohl zu hoher Effizenz, zu<br />

großer Akzeptanz und Nachfrage.<br />

— Vor allem aber erkennen wir wohl, daß geme<strong>in</strong>same<br />

Probleme am besten auch geme<strong>in</strong>sam zu<br />

lösen s<strong>in</strong>d.<br />

Liebe ausländische Gäste!<br />

Mit den meisten von Ihnen pflegen wir seit Jahren<br />

<strong>in</strong>tensive und für beide Seiten gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>gende<br />

Beziehungen. Wir wollen aber unsere Erfahrungen<br />

und Kenntnisse <strong>in</strong> der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong><br />

Dorf und Flur während dieser Tage nicht nur weitergeben,<br />

sondern sie mit ihren eigenen auch zu unserem<br />

Nutzen vorteilhaft austauschen.<br />

Dies hier <strong>in</strong> <strong>Ansbach</strong> ist zwar ke<strong>in</strong>e Weltversammlung,<br />

aber e<strong>in</strong>e Versammlung vieler gutges<strong>in</strong>nter<br />

Europäer und dies bietet sicherliche e<strong>in</strong>e Chance,<br />

nicht nur e<strong>in</strong>e der üblichen Tagungen abzuhalten,<br />

sondern im S<strong>in</strong>ne von Carl Friedrich von Weizsäcker<br />

e<strong>in</strong>e echte »convocatio« zu den Problemen im ländlichen<br />

Raum.<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, die <strong>Stadt</strong> <strong>Ansbach</strong> ist<br />

die <strong>Stadt</strong> des fränkischen Rokoko. Sie ist wegen ihrer<br />

Schönheit viel gerühmt. Und diese Schönheit verdankt<br />

sie übrigens auch e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>ternationalen<br />

Ensemble. Maler, Bildhauer, Stukkateure vor allem<br />

aus Italien und Frankreich verhalfen <strong>Ansbach</strong> zu se<strong>in</strong>em<br />

zauberhaften Charme. Und natürlich: Was wäre<br />

<strong>Ansbach</strong> ohne se<strong>in</strong>e Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>?<br />

Genießen Sie also <strong>in</strong> den nächsten Tagen nicht<br />

nur Fachliches, sondern auch die Schönheiten dieser<br />

<strong>Stadt</strong> und ihre Lebensart.<br />

Ich wünsche Ihnen anregende Gespräche <strong>in</strong> angenehmer<br />

Atmosphäre und ihrer »convocatio« e<strong>in</strong>en<br />

erfolgreichen Verlauf.<br />

36 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Teobald Belec<br />

Dank der Gäste<br />

Mir wird die angenehme Pflicht zuteil, beim<br />

Staatsempfang stellvertretend für die hier Anwesenden<br />

und auch für alle <strong>in</strong>- und ausländischen Gäste<br />

der <strong>Fachtagung</strong> zu den Veranstaltern sprechen zu<br />

können. Ich komme dieser Aufgabe mit großer<br />

Freude nach. Die <strong>Fachtagung</strong>en der Bayerischen<br />

Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> waren und<br />

s<strong>in</strong>d für uns alle immer wieder e<strong>in</strong> weiteres Erlebnis.<br />

Bei weitem fühle ich mich hier nicht <strong>in</strong> der Lage,<br />

schwerwiegende Urteile abzugeben. Doch mit<br />

Sicherheit kann ich feststellen, daß die <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> längst ke<strong>in</strong>e Alternative für den ländlichen<br />

Raum mehr ist; sie ist zur unumgänglichen<br />

Notwendigkeit aller europäischen Staaten geworden.<br />

An dieser <strong>Entwicklung</strong> ist dem Bayerischen Staatsm<strong>in</strong>isterium<br />

für Ernährung, Landwirtschaft und<br />

Forsten und deren Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

e<strong>in</strong> großer Verdienst zuzuschreiben. So soll<br />

es auch nicht als unüberlegte Behauptung e<strong>in</strong>gestuft<br />

werden, wenn ich feststelle, daß Bayern e<strong>in</strong> Vorbild<br />

ist, wie <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> praktisch und politisch<br />

ausgestaltet werden kann, damit sie erfolgreich<br />

ist. Allen Damen und Herren, die die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>in</strong> Bayern personifizieren, sei unser aller<br />

Dank für diese Pionierleistungen und ihre harte<br />

Arbeit ausgesprochen.<br />

Nur mit Interesse — nicht mit Besorgnis — nehme<br />

ich das gegenwärtige Geschehen um die Bayerische<br />

Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> zur Kenntnis.<br />

Herr Staatsm<strong>in</strong>ister Bocklet und Herr M<strong>in</strong>isterialdirigent<br />

Strößner sprachen heute Vormittag <strong>in</strong> ihren<br />

Reden bei der Eröffnungsveranstaltung von möglichen<br />

Schwierigkeiten verwaltungswirtschaftlichen<br />

Ursprungs. In diesem Zusammenhang muß ich auf<br />

die führende Rolle Bayerns auf dem Gebiet der <strong>in</strong>tegralen<br />

<strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> h<strong>in</strong>weisen, die den<br />

ehemaligen sozialistischen, jetzt freien und demokratischen<br />

Staaten, nicht entzogen werden darf.<br />

Me<strong>in</strong>e bisherigen Äußerungen s<strong>in</strong>d Grund genug,<br />

um etwaige Änderungen <strong>in</strong> unserem Musterstaat<br />

Bayern mit doppelter Aufmerksamkeit anzugehen.<br />

Me<strong>in</strong> Land — ich komme aus Slowenien — weiß<br />

die Vorteile aus der guten Zusammenarbeit mit<br />

Bayern voll zu schätzen. Denn auf dem geme<strong>in</strong>sam<br />

gefurchten Acker bleibt uns nur noch die Saat und<br />

die Ernte, unsere Anerkennung und unser Dank.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Die heurige <strong>Fachtagung</strong> steht unter dem Motto<br />

»<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>dient</strong> <strong>Stadt</strong> und Land«. Es soll<br />

nicht als übertrieben betrachtet werden, wenn sie<br />

nach me<strong>in</strong>er bescheidenen Me<strong>in</strong>ung auch so kl<strong>in</strong>gen<br />

könnte: »<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>dient</strong> der Menschheit«.<br />

Ich weiß, die bayerischen Kollegen halten die<br />

Grenze der Realität. Dennoch wage ich auch <strong>in</strong> diesem<br />

festlichen Moment die Äußerung, im S<strong>in</strong>ne me<strong>in</strong>es<br />

Freundes Holger Magel, e<strong>in</strong> realer Sp<strong>in</strong>ner zu<br />

se<strong>in</strong>.<br />

Den unermüdlichen Schöpfern auf dem Gebiet der<br />

<strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> der Bayerischen Verwaltung<br />

für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> gebührt unsere<br />

höchste Anerkennung für die geleistete erfolgreiche<br />

Arbeit <strong>in</strong> der Vergangenheit und <strong>in</strong> der Gegenwart.<br />

E<strong>in</strong> schlichtes »Danke«, das aus dem Herz kommt, soll<br />

symbolische Belohnung se<strong>in</strong>.<br />

Zum Abschluß: Wir wünschen auch diesmal unseren<br />

Gastgebern nicht mehr und nicht weniger als<br />

das, daß die heurige <strong>Fachtagung</strong> den gleichen Erfolg<br />

hat, wie alle bisherigen.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

37


Schlußveranstaltung<br />

Johann Huber<br />

Bericht über den Arbeitskreis 1:<br />

Möglichkeiten und Grenzen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

Bemerkenswert war das große Interesse der<br />

Tagungsteilnehmer, vor allem der ausländischen<br />

Gäste an diesem Thema. Im Arbeitskreis waren<br />

immerh<strong>in</strong> mehr als 150 Tagungsteilnehmer.<br />

Unsere Gesellschaft bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Phase<br />

grundlegender Neuorientierung. Die dadurch bed<strong>in</strong>gten<br />

vielfältigen Veränderungen wirken sich auch auf<br />

die ländlichen Räume und die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

aus. Unsere Verwaltung ist daher gefordert, Veränderungen<br />

frühzeitig wahrzunehmen und situationsgerecht<br />

darauf zu reagieren. Sie sollte daher<br />

genau wissen, welche Bedürfnisse die ländlichen<br />

Räume haben. Nur dann kann die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>Stadt</strong> und Land dienen und ihre Möglichkeiten<br />

ausschöpfen.<br />

Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund referierte im Arbeitskreis<br />

zunächst Dr. Balthasar Huber von der Europäischen<br />

Kommission aus Brüssel. Dr. Huber skizzierte die<br />

Zukunft der ländlichen Räume und zeichnete e<strong>in</strong> Bild<br />

der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> aus der Sicht der Europäischen<br />

Kommission. Dr. Huber sieht e<strong>in</strong>en strukturellen<br />

Handlungsbedarf für die seit Jahrhunderten<br />

gewachsenen Kulturlandschaften <strong>in</strong> Europa. Im<br />

Vertrag von Maastricht werde erstmals auf die<br />

Notwendigkeit h<strong>in</strong>gewiesen, den unterschiedlichen<br />

<strong>Entwicklung</strong>sstand ländlicher und urbaner Zonen zu<br />

verr<strong>in</strong>gern. Diese Aufgabe solle durch den <strong>in</strong>tegrierten<br />

E<strong>in</strong>satz der drei Strukturfonds der Europäischen<br />

Union gemeistert werden. Ziel sei es, das regionale<br />

und lokale <strong>Entwicklung</strong>spotential optimal zur<br />

Entfaltung zu br<strong>in</strong>gen. Hierbei werde e<strong>in</strong>er<br />

<strong>Entwicklung</strong> von unten nach oben und e<strong>in</strong>er Beteiligung<br />

aller relevanten Wirtschafts- und Gesellschaftsgruppen<br />

große Bedeutung beigemessen. Die<br />

Kommission stelle zur <strong>in</strong>tegrierten <strong>Entwicklung</strong> der<br />

ländlichen Räume e<strong>in</strong> sehr flexibles Förder<strong>in</strong>strument<br />

zur Verfügung, das dem Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip entspreche<br />

und den Regionen den notwendigen Entscheidungsspielraum<br />

belasse, den sie nutzen können.<br />

Dr. Karl-Friedrich Thöne vom Bundesm<strong>in</strong>isterium<br />

für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aus Bonn<br />

referierte zum Thema: »<strong>Ländliche</strong>r Raum von morgen<br />

— Möglichkeiten und Grenzen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong>«.<br />

Dr. Thöne g<strong>in</strong>g dabei e<strong>in</strong> auf Aspekte<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

ländlicher <strong>Entwicklung</strong>, die unsere Verwaltung mit<br />

ihrem Gestaltungs<strong>in</strong>strumentarium bee<strong>in</strong>flussen<br />

kann.<br />

Dr. Thöne sieht die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> als<br />

Steuerungs<strong>in</strong>strument der Agrarstruktur. Wobei der<br />

Begriff Agrarstruktur unmittelbar verknüpft sei mit<br />

der Gesamtentwicklung ländlicher Räume. E<strong>in</strong>e<br />

Neudef<strong>in</strong>ition des Begriffes Agrarstruktur sei<br />

dr<strong>in</strong>gend erforderlich. <strong>Ländliche</strong> Räume müßten als<br />

Ganzes gesehen werden. Als geeignete Instrumente<br />

zur Umsetzung e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tegralen Landentwicklung<br />

sieht Dr. Thöne e<strong>in</strong>e neu konzipierte agrarstrukurelle<br />

Vorplanung und die Verfahren nach dem Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetz<br />

zur Flur- und Dorfentwicklung.<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf Vere<strong>in</strong>fachungs- und Beschleunigungseffekte<br />

soll § 86 Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetz<br />

geändert und e<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>fachtes Verfahren zur<br />

Landentwicklung ausgestaltet werden. Um dem<br />

Vorwurf, die Verfahren dauern zu lange, den Boden<br />

zu entziehen, müsse die Verwaltung den Mut zur<br />

Beschränkung haben und den Ordnungsauftrag auf<br />

wichtige Ziele beschränken trotz des Bemühens um<br />

Ganzheitlichkeit.<br />

Dr. Huber und Dr. Thöne steckten mit ihren<br />

Referaten den Rahmen für die Diskussion im<br />

Anschluß an die Vorträge und am Nachmittag ab.<br />

Parallel zur Diskussion am Nachmittag gaben die<br />

Arbeitskreisteilnehmer <strong>in</strong> schriftlicher Form Antworten<br />

auf die Frage: »Welche Möglichkeiten und<br />

Grenzen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> sehen Sie?«<br />

Möglichkeiten<br />

Die Arbeitskreisteilnehmer sehen <strong>in</strong>sbesondere<br />

Möglichkeiten <strong>in</strong><br />

— der Förderung der wirtschaftlichen Tätigkeit <strong>in</strong><br />

den ländlichen Räumen mit dem Ziel, die lokale<br />

Wertschöpfung zu steigern,<br />

— e<strong>in</strong>er Dienstleistung für alle Bürger im ländlichen<br />

Raum,<br />

— der Erfahrung unserer Verwaltung bei der<br />

Auflösung von Nutzungskonflikten,<br />

Schlußveranstaltung<br />

39


— e<strong>in</strong>er eigenständig verfolgten Landschaftsentwicklung<br />

e<strong>in</strong>schließlich e<strong>in</strong>er umweltverträglichen<br />

Landbewirtschaftung,<br />

— e<strong>in</strong>er ganzheitlichen Dorfentwicklung,<br />

— der Gestaltung des ländlichen Umfeldes durch<br />

Bodenordnung und<br />

— der verstärkten Nutzung des Förder<strong>in</strong>strumentariums<br />

der Europäischen Union.<br />

Grenzen<br />

Die Arbeitskreisteilnehmer sehen Grenzen vor<br />

allem<br />

— <strong>in</strong> der Kompetenzvielfalt im ländlichen Raum,<br />

— die Komplexität der Thematik,<br />

— im Planungsaufwand,<br />

— <strong>in</strong> den Verfahrenslaufzeiten und<br />

— <strong>in</strong> der F<strong>in</strong>anzierung.<br />

Im Arbeitskreis wurde deutlich, daß die Möglichkeiten<br />

der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> gleichzeitig auch<br />

Grenzen be<strong>in</strong>halten und aus Grenzen auch Möglichkeiten<br />

werden können. Hubert We<strong>in</strong>zierl gab hierzu<br />

am Montag e<strong>in</strong> Beispiel: Weniger Geld könne mehr<br />

Kreativität bedeuten. Ich komme zum Schluß.<br />

Fazit<br />

Die <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume ist e<strong>in</strong><br />

bedeutendes gesellschaftspolitisches Thema, das wir<br />

— wie Dr. Thöne formulierte — durchaus an die<br />

Diskussion um den vielbeschworenen Wirtschaftsstandort<br />

Deutschland anhängen sollten.<br />

Wir arbeiten an der <strong>Entwicklung</strong> und Gestaltung<br />

ländlicher Räume. Das ist e<strong>in</strong>e reizvolle Aufgabe.<br />

Trotz aller augenblicklichen Widrigkeiten und negativen<br />

Nachrichten me<strong>in</strong>e ich: Es lohnt sich für die<br />

Zukunft der ländlichen Räume zu arbeiten und sich<br />

für die dort lebenden Menschen zu engagieren.<br />

40 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Robert Bromma<br />

Bericht über den Arbeitskreis 2:<br />

Sicherung und Ausbau regionaler Infrastruktur<br />

Ich habe mir erlaubt, dem Thema den Halbsatz<br />

»mit Hilfe von Geld, Arbeit und Menschen« h<strong>in</strong>zuzufügen,<br />

um den ausgewählten Teilaspekt klarer zu<br />

beschreiben.<br />

»Infrastruktur« wurde im Arbeitskreis nicht nur im<br />

klassischen S<strong>in</strong>ne def<strong>in</strong>iert, wie etwa Verkehrsverhältnisse,<br />

Ver- und Entsorgungsanlagen oder E<strong>in</strong>richtungen<br />

zur Dase<strong>in</strong>svorsorge. »Infrastruktur«<br />

wurde erheblich weiter gefaßt. Nämlich als Summe<br />

des öffentlichen Kapitals, d. h. es s<strong>in</strong>d auch Institutionen,<br />

Normen, Instrumentarien und Personen<br />

damit geme<strong>in</strong>t. Im Pr<strong>in</strong>zip alles, was dazu beiträgt,<br />

das Zusammenleben der Menschen zu regeln.<br />

Ziel des Arbeitskreises war es, sich mit regionalen<br />

Strukturfragen ause<strong>in</strong>anderzusetzen, Probleme aufzuzeigen<br />

und Erfahrungen bei Lösungswegen vorzustellen.<br />

Über diese Informationen soll zu eigenem<br />

Wirken und Handeln im Dienste von <strong>Stadt</strong> und<br />

Land angeregt werden.<br />

Bereichert wurde die Veranstaltung durch zwei<br />

Sketche me<strong>in</strong>er Kollegen aus Würzburg.<br />

Schwerpunkte<br />

Die Geme<strong>in</strong>den auf dem Weg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

F<strong>in</strong>anzkrise?<br />

Herr Emil Schneider, F<strong>in</strong>anzreferent beim Bayer.<br />

Geme<strong>in</strong>detag, beleuchtete den Bereich Geld und<br />

Kommune mit der Fragestellung: »Die Geme<strong>in</strong>den<br />

auf dem Weg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>anzkrise«.<br />

Er stellte die Problemfelder dar, welche die kommunalen<br />

Haushalte künftig besonders belasten werden<br />

und formulierte diverse Forderungen an die<br />

Staatsregierung. An die Geme<strong>in</strong>den appellierte er,<br />

das Wünschenswerte müsse h<strong>in</strong>ter das Notwendige<br />

zurückgestellt werden.<br />

In der Diskussion wurde daran er<strong>in</strong>nert, daß Not<br />

erf<strong>in</strong>derisch mache und die Chance biete, alte Wege<br />

zu verlassen. Die Kommunen müssen mehr Freiräume<br />

erhalten, aber auch Schwerpunkte setzen. Die<br />

Vorhaben der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> haben dabei<br />

unbestritten Vorrang.<br />

Strukturelle Probleme und Lösungswege am<br />

Rande e<strong>in</strong>es Ballungsraums<br />

Herr Bernhard Böckeler, bis vor Jahresfrist noch<br />

Referent an der Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

<strong>Ansbach</strong>, zeichnete <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren Vortrag als<br />

Bürgermeister des Marktes Allersberg die strukturellen<br />

Probleme und Lösungswege am Rande des<br />

Ballungsraumes Nürnberg auf.<br />

Se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die beiden Seiten der Partnerschaft<br />

Geme<strong>in</strong>de und Verwaltung für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> eröffneten <strong>in</strong>teressante Parallelen. Der<br />

Schwerpunkt se<strong>in</strong>er Ausführungen lag bei der<br />

Darstellung der Dienstleistung der <strong>Ländliche</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong> durch den E<strong>in</strong>satz des unverzichtbaren<br />

Instrumentes Bodenordnung.<br />

Die Geme<strong>in</strong>den wünschen sich unsere Verwaltung<br />

als e<strong>in</strong> ständig präsentes Service- und Beratungsunternehmen,<br />

das mit unverstellten Blick <strong>in</strong> der Lage<br />

ist, als Mittler privater und öffentlicher, örtlicher und<br />

regionaler Interessen zu fungieren.<br />

<strong>Ländliche</strong> Räume — <strong>in</strong>novative Wirtschaftsstandorte<br />

mit Zukunft<br />

Herr Dr. Walter Lohmeier, Geschäftsführer bei der<br />

Industrie- und Handelskammer Würzburg–Schwe<strong>in</strong>furt,<br />

stellte beim letzten Beitrag des Vormittags ausgewählte<br />

E<strong>in</strong>sichten se<strong>in</strong>es Arbeits- und Zuständigkeitsbereiches<br />

vor. Die ländlichen Räume seien trotz<br />

hohem Erwerbsanteil im <strong>in</strong>dustriellen Sektor und<br />

günstiger weicher Standortfaktoren benachteiligt.<br />

Er forderte<br />

— <strong>in</strong>tensive Bemühungen der Geme<strong>in</strong>den um konsensfähige<br />

wirtschaftliche Leitbilder,<br />

— regionale runde Tische und den Abbau von kle<strong>in</strong>kariertem<br />

Konkurrenzdenken sowie<br />

— e<strong>in</strong> <strong>in</strong>novatives, standortspezifisches Projektmanagement.<br />

Das Dorf müsse das Heft mehr <strong>in</strong> die Hand nehmen,<br />

selbst viel stärker zum unternehmerischen<br />

Akteur werden und viele Verbündete suchen.<br />

Die Bereiche Wirtschaft, Handel, Gewerbe und<br />

neue Technologien s<strong>in</strong>d noch zu wenig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

zukunfts-orientierte Landentwicklung <strong>in</strong>tegriert. E<strong>in</strong>e<br />

Zusammenarbeit im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es ganzheitlichen<br />

Ansatzes dürfte für alle Beteiligten reiche Frucht<br />

br<strong>in</strong>gen.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

41


Lust auf’s Land — Erwartungen und<br />

Forderungen junger Menschen<br />

Herr Dr. Karl-He<strong>in</strong>z Röhl<strong>in</strong>, evang. Landjugendpfarrer<br />

und Leiter der Landvolkhochschule <strong>in</strong><br />

Pappenheim, sprach zum Thema: »Lust auf’s Land -<br />

Erwartungen und Forderungen junger Menschen«.<br />

Gerade <strong>in</strong> schwierigen Zeiten werden gesellschaftliche<br />

Gruppen mit schwacher Lobby oder M<strong>in</strong>derheiten<br />

schnell vernachlässigt. Dazu gehören die<br />

Bauern, aber natürlich auch die Frauen, die ältere<br />

und die junge Generation.<br />

Er zeigte die Lebensbed<strong>in</strong>gungen und die psychosoziale<br />

Situation der Jugend sowie deren Wertewandel<br />

von der Pflichtethik zur Selbstentfaltung auf.<br />

Gefordert seien mehr Anerkennung (auch <strong>in</strong> der<br />

Familie) und partnerschaftlicher Umgang mit den<br />

Jugendlichen.<br />

Die Dorferneuerung braucht dafür jugendliche<br />

Ansprechpartner mit Leitfunktion und neue Formen<br />

der Beteiligung. Aktion gehe vor Diskussion. Die Tat<br />

sei wichtiger als der wohlgeme<strong>in</strong>te Rat.<br />

Regionale Interessengeme<strong>in</strong>schaft<br />

Maria Bildhausen (RIM) - Initiative von unten<br />

Zu guter Letzt rundete Herr Gottfried Wieselhuber<br />

mit se<strong>in</strong>em Bericht über die regionale Interessengeme<strong>in</strong>schaft<br />

Maria Bildhausen das breit gefächerte<br />

Themenspektrum ab. Herr Wieselhuber ist ehrenamtlicher<br />

Vorsitzender dieser Interessengeme<strong>in</strong>schaft,<br />

e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>getragenen Vere<strong>in</strong> mit zur Zeit 75 Mitgliedern,<br />

davon 21 Geme<strong>in</strong>den, und mit 500 km 2<br />

Ausdehnung.<br />

Die Ziele dieses Vere<strong>in</strong>es könnten dem Programm<br />

zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> Dorf und Flur entnommen<br />

se<strong>in</strong>. So heißt es u. a.: Unterstützung der<br />

Mitglieder bei der Planung und Durchführung von<br />

Maßnahmen zur <strong>in</strong>tegrierten <strong>Entwicklung</strong> der<br />

Region, Erhaltung der Kulturlandschaft, Bildung von<br />

problemorientierten Arbeitskreisen. Herr Wieselhuber<br />

erläuterte die Zielsetzung der Initiative und legte<br />

se<strong>in</strong>e persönlichen Erfahrungen mit den verschiedenen<br />

staatlichen Fördertöpfen dar. Er kritisierte die<br />

unzureichende Kooperation und Koord<strong>in</strong>ation der<br />

unterschiedlichen Ressorts und betonte den Vorteil<br />

der Bündelung der Kräfte e<strong>in</strong>er Region.<br />

Fazit<br />

Die Vorträge und Diskussionsbeiträge am vorgestrigen<br />

Tag konnten nur Teilaspekte des Themas<br />

»Infrastruktur« anreißen.<br />

Die Ergebnisse des Arbeitskreises möchte ich <strong>in</strong> 4<br />

Thesen zusammenfassen:<br />

1. Komplexe, vernetzte Problemstellungen verlangen<br />

nach ressort- und grenzübergreifenden<br />

Innovationskoalitionen<br />

Die heutigen Probleme können nur durch überörtliche<br />

Zusammenarbeit, Stärkung des regionalen<br />

Bewußtse<strong>in</strong>s und Abbau von sektoralem Denken<br />

gelöst werden. Regionale <strong>Entwicklung</strong>skonzepte können<br />

die Koord<strong>in</strong>aten und Kooperation der regionalen<br />

und örtlichen Akteure verbessern, Stärken, Schwächen<br />

und Popentiale analysieren und Planungen und<br />

Maßnahmen bündeln helfen. Mit regionalen Entwickungsorganisationen,<br />

z. B. mit unserer Verwaltung,<br />

können Verzettelungen der Mittel und Kräfte<br />

vermieden und Synergien geschaffen werden.<br />

2. Soziale Verantwortung bedeutet auch für uns<br />

Sorge um die gesellschaftlich Schwachen im<br />

ländlichen Raum<br />

Als Dienstleistungsbehörde im ländlichen Raum<br />

haben wir uns auch unserer sozialen Infrastrukturaufgabe<br />

zu stellen, d. h. Hilfe für gesellschaftliche<br />

Randgruppen, M<strong>in</strong>derheiten oder benachteiligte<br />

Bereiche anbieten. Im Arbeitskreis wurde beispielhaft<br />

die Jugend vorgestellt. Ihr, wie vielen anderen,<br />

müssen wir im Rahmen unseres Zuständigkeitsbereiches<br />

und unserer Möglichkeiten erhöhte<br />

Aufmerksamkeit widmen. Das Sozialwesen Mensch<br />

muß bei unserer Arbeit noch mehr <strong>in</strong> den Mittelpunkt<br />

gestellt werden.<br />

3. Zukunftsorientierte Infrastrukturhilfe<br />

braucht uns als Spezialisten für Bodenordnung<br />

und als Koord<strong>in</strong>atoren <strong>in</strong> der Regionalentwicklung<br />

Die Stärkung und Schaffung e<strong>in</strong>er hochentwickelten<br />

Infrastruktur ist e<strong>in</strong>e zeitlose Zukunftsaufgabe.<br />

Wir von der Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

haben neben unseren bewährten Fähigkeiten als<br />

Spezialisten für die Bodenordnung auch unsere<br />

Kompetenz als Moderatoren und Koord<strong>in</strong>atoren für<br />

Landentwicklung e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Damit me<strong>in</strong>e ich<br />

aktive Begleitung bei der <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären und<br />

ganzheitlichen Planung aller Maßnahmen, die<br />

den ländlichen Raum fördern. E<strong>in</strong> überzogenes<br />

Selbstbewußtse<strong>in</strong> oder gar e<strong>in</strong>e Überheblichkeit im<br />

S<strong>in</strong>ne des Alleskönnens wäre hierbei jedoch fehl am<br />

Platz.<br />

42 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


4. Sicherung und Ausbau regionaler Infrastruktur<br />

erfordert Menschen mit Kreativität<br />

und Mut zum Risiko<br />

Zentrale Faktoren für e<strong>in</strong>e gesicherte Zukunft<br />

unseres Geme<strong>in</strong>wesens s<strong>in</strong>d Innovationsträger und<br />

Multiplikatoren; Menschen mit Mut und Visionen.<br />

Diese Menschen — und das haben wir im Arbeitskreis<br />

erleben können — erweisen sich als entscheidend bei<br />

der <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume.<br />

Vor kurzem me<strong>in</strong>te Herr Staatsm<strong>in</strong>ister Bocklet,<br />

wir müssen den Rohstoff Geist mehr fordern und<br />

fördern. Als moderne Dienstleistungsverwaltung<br />

sollen und wollen wir zeigen, daß jeder e<strong>in</strong>zelne von<br />

uns e<strong>in</strong> solcher Rohstofflieferant ist, und zwar trotz<br />

Unternehmensberatung e<strong>in</strong> Nachwachsender.<br />

Die f<strong>in</strong>anziellen Spielräume s<strong>in</strong>d überall sehr eng<br />

geworden. Gefragt s<strong>in</strong>d deshalb, mehr denn je,<br />

Fantasie, Kreativität und Mut zum Risiko. Konrad<br />

Adenauer prägte e<strong>in</strong>st den Satz »Kritiker haben wir<br />

genug. Was unsere Zeit braucht, s<strong>in</strong>d Menschen, die<br />

ermutigen«.<br />

Wenn wir die endogenen Kräfte mobilisieren und<br />

eigenen Mut beweisen, muß uns nicht bange um<br />

unsere Verwaltung und um die <strong>Entwicklung</strong> der<br />

<strong>Ländliche</strong>n Räume se<strong>in</strong>.<br />

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

43


Erich Sperle<strong>in</strong><br />

Bericht über den Arbeitskreis 3:<br />

Land- und Forstwirtschaft<br />

Der Arbeitskreis tagte mit 58 Teilnehmern, darunter<br />

auch acht ausländische Gäste, <strong>in</strong> den vorbildhaft<br />

gestalteten Räumen der Oberforstdirektion<br />

<strong>Ansbach</strong>. Vorbildlichkeit ist <strong>in</strong>sofern gegeben, als<br />

e<strong>in</strong>heimisches Holz als konstruktiver und gestalterischer<br />

Werkstoff dom<strong>in</strong>iert. Die Räumlichkeiten<br />

schufen e<strong>in</strong> angenehmes Umfeld mit gutem Arbeitsklima.<br />

Das Anliegen des Arbeitskreises bestand dar<strong>in</strong>,<br />

zukunftsorientierte Aufgaben und Wege für die<br />

Land- und Forstwirtschaft aufzuzeigen, die es ihr<br />

ermöglichen,<br />

1. aus den derzeitigen ökonomischen Schwierigkeiten<br />

herauszukommen,<br />

2. e<strong>in</strong>e gesellschaftlich und politisch anerkannte,<br />

tragende Rolle für den ländlichen Raum zu übernehmen.<br />

Weiter sollte überlegt werden, wie die <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> mit ihrem derzeitigen Instrumentarium<br />

dabei unterstützend wirken kann und/oder ob sie<br />

dazu mit weiteren Kompetenzen ausgestattet<br />

werden müßte.<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

Der Arbeitskreisleiter zeigte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>führungsreferat<br />

die schwierigen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

und die daraus resultierende krisenhafte Situation <strong>in</strong><br />

der Land- und Forstwirtschaft auf, wobei er als positiv<br />

herausstellte, daß<br />

— sich die Politik auf allen Ebenen bemüht, der<br />

Land– und Forstwirtschaft Perspektiven aufzuzeigen,<br />

— sich das Image der e<strong>in</strong>heimischen Landwirtschaft<br />

<strong>in</strong> der Öffentlichkeit während der letzten Jahre<br />

verbessert hat und e<strong>in</strong>e hohe Akzeptanz für sie<br />

vorhanden ist,<br />

— die Landwirtschaft nicht resigniert und zunehmend<br />

ihr Schicksal selbst <strong>in</strong> die Hand nimmt und<br />

<strong>in</strong> die Offensive geht.<br />

Zukunftsorientierte Landwirtschaft<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergrund dieser <strong>Entwicklung</strong> entwarf<br />

Professor Seibert von der Fachhochschule Weihenstephan,<br />

Abteilung Triesdorf, »Strategien für e<strong>in</strong>e<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

zukunftsorientierte Landwirtschaft«. Ausgangspunkt<br />

se<strong>in</strong>er Überlegungen war, daß die Landwirtschaft<br />

traditionell e<strong>in</strong> vielfältiges Gewerbe darstellt.<br />

Im Verlauf der letzten Dekaden hat sich jedoch<br />

ihr ökonomischer Beitrag, gemessen an Wertschöpfung<br />

und Beschäftigung, drastisch verr<strong>in</strong>gert; ihre<br />

positiven externen Effekte treten jedoch immer stärker<br />

<strong>in</strong> den Vordergrund. Ihre Bedeutung für die<br />

Lebensverhältnisse der Bevölkerung und die wirtschaftliche<br />

<strong>Entwicklung</strong> im ländlichen Raum<br />

steigt.<br />

Er nannte drei Faktorenbündel als Grundlage für<br />

die <strong>Entwicklung</strong> von Strategien zur künftigen Rolle<br />

der Landwirtschaft:<br />

1. Die Vorgaben der nationalen und <strong>in</strong>ternationalen<br />

Agrarpolitik, die wirtschaftlichen Verhältnisse im<br />

ländlichen Raum und den f<strong>in</strong>anziellen Rahmen<br />

für die Landwirtschaft;<br />

2. Die Anforderungen der Gesellschaft h<strong>in</strong>sichtlich<br />

Produktionsentwicklung, Produktqualität,<br />

Sicherung der natürlichen Umwelt, Erhaltung<br />

sozialer Netzwerke und bäuerlicher Werte;<br />

3. Das Anpassungsverhalten, die Innovationsfähigkeit<br />

und die Professionalität der Landwirte.<br />

Vier grobe Strategien s<strong>in</strong>d denkbar (aufgeführt<br />

nach steigender Bedeutung):<br />

1. Traditionelles Produktionswachstum,<br />

2. Abstockung und Aufgabe,<br />

3. Grundlegende Rationalisierung <strong>in</strong> allen Bereichen,<br />

4. Diversifizierung und E<strong>in</strong>kommenskomb<strong>in</strong>ationen.<br />

Die Umsetzung der Strategien ist abhängig von<br />

Engagement und der Professionalität <strong>in</strong> der Nutzung<br />

aller Ressourcen von Haushalt und Betrieb, von der<br />

fachlichen und persönlichen Qualifikation der Haushaltsmitglieder<br />

und deren <strong>Entwicklung</strong>sperspektiven.<br />

In weiten Teilen Bayerns wird der Weg der E<strong>in</strong>kommenskomb<strong>in</strong>ation<br />

zusammen mit der Ausschöpfung<br />

aller Möglichkeiten der E<strong>in</strong>sparung von<br />

Arbeitszeit und Kosten die e<strong>in</strong>zige Alternative se<strong>in</strong>,<br />

um Bauer bleiben zu können. Das Berufsbild des<br />

Bauern wird sich wesentlich erweitern, der »Ressourcenmanager«<br />

wird der Bauer der Zukunft se<strong>in</strong>.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

45


Intelligente Nutzstrategien<br />

Sehr praxisbezogen stellte der Unternehmensund<br />

Market<strong>in</strong>gberater Walter Danner vom »Team für<br />

angewandte Ökologie« die Umsetzung e<strong>in</strong>zelbetrieblicher<br />

Optimierungskonzepte im Rahmen von<br />

Verfahren der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> vor.<br />

Stichwort: Intelligente Nutzstrategien.<br />

Sie waren alle gekennzeichnet durch Berücksichtigung<br />

der persönlichen und betrieblichen Verhältnisse,<br />

die Kraft des positiven Denkens, Steigerung<br />

der Wertschöpfung des Betriebes durch Übernahme<br />

von Verarbeitungs- und Vermarktungsaufgaben,<br />

Entlastung der Familie und ökologische Wirtschaftsweisen<br />

auf möglichst 100 % der Betriebsfläche.<br />

Durch diese E<strong>in</strong>führungsvorträge vorbereitet,<br />

teilte sich das Plenum <strong>in</strong> 6 Gruppen, um nachstehend<br />

aufgeführte Teilaspekte mit der Methode der<br />

Moderationstechnik zu bearbeiten.<br />

1. Bäuerliche Waldwirtschaft<br />

2. Umweltleistungen der<br />

Landwirtschaft<br />

3. Erwerbsalternativen und<br />

Marktnischen<br />

4. Dienstleistungen durch die<br />

Landwirtschaft<br />

5. Landwirtschaft und Dorf<br />

6. Konventionelle Landwirtschaft –<br />

zukunftsorientiert<br />

Die ca. 2 1 / 4stündigen moderierten Gruppenarbeiten<br />

brachten e<strong>in</strong>e Fülle von E<strong>in</strong>zelerkenntnissen<br />

zur Aufgabenstellung des Arbeitskreises. Die E<strong>in</strong>zelergebnisse<br />

können zusammengeführt wie folgt wiedergegeben<br />

werden (siehe auch Grafik Seite 47):<br />

1. E<strong>in</strong>e eigenständige Land- und Forstwirtschaft ist<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er modernen Industrie- und Leistungsgesellschaft<br />

zur Ernährungssicherstellung, <strong>in</strong>sbesondere<br />

aber wegen ihrer ökologischen Leistungen<br />

im H<strong>in</strong>blick auf die Erhaltung der Lebensgrundlagen<br />

unverzichtbar.<br />

2. Die traditionell breit angelegten Aufgaben der<br />

Land- und Forstwirtschaft müssen noch an<br />

Vielfalt zunehmen. Es ist erforderlich, <strong>in</strong> neue<br />

Bereiche der Produktion vorzustoßen und auch<br />

auf dem Dienstleistungssektor landwirtschaftlich<br />

verwandte oder sogar nichtverwandte Funktionen<br />

zu übernehmen. Dabei ist es nötig, daß jedes<br />

wirtschaftliche Handeln sich an den Bedürfnissen<br />

des Marktes orientiert und umwelt- und sozialverträglich<br />

ausgerichtet wird. Sozialverträglich<br />

bedeutet, daß für eigene Freizeit, für Familienleben<br />

und für die Übernahme von kommunalen<br />

und gesellschaftlichen Ämtern noch Freiräume<br />

bleiben müssen.<br />

Der Übernahme von Erwerbsalternativen und<br />

Dienstleistungen zur E<strong>in</strong>kommenskomb<strong>in</strong>ation<br />

muß e<strong>in</strong>e Situationsanalyse mit Prüfung der persönlichen<br />

Neigungen und Fähigkeiten, der betrieblichen<br />

und gesetzlichen Bed<strong>in</strong>gungen und<br />

des Marktes vorausgehen. Für neue Denk- und<br />

Handlungsalternativen sowie Fortbildungsaktivitäten<br />

s<strong>in</strong>d entsprechende Anforderungen an<br />

Geist, Kreativität, Persönlichkeit und entsprechender<br />

Mut notwendig; dazu muß die Aussicht auf<br />

materielle Hilfen kommen.<br />

3. Die Arbeit im Bereich der Landschaftspflege<br />

braucht e<strong>in</strong> Leistungsprofil, um bei der Gesellschaft<br />

e<strong>in</strong> echtes Leistungsentgelt e<strong>in</strong>fordern zu<br />

können und um den notwendigen E<strong>in</strong>kommenstransfers<br />

den Ruch von Almosen zu nehmen. Die<br />

Solidarität der gesamten Gesellschaft ist erforderlich,<br />

um der Landwirtschaft e<strong>in</strong>en entsprechenden<br />

Stellenwert im ländlichen Raum zuordnen zu<br />

können. Dies wird nur gel<strong>in</strong>gen, wenn auch die<br />

Landwirtschaft der Bevölkerung Ehrlichkeit und<br />

Transparenz ihrer Wirtschaftsweise vermitteln<br />

kann.<br />

4. Der Landwirtschaft kommt auch e<strong>in</strong>e tragende<br />

Rolle als Vorbild für die Gesellschaft zu. Die Vorbildwirkung<br />

besteht im Denken und Handeln von<br />

Kategorien, die unter dem Begriff »Bäuerlichkeit«<br />

zusammengefaßt s<strong>in</strong>d, wie zum Beispiel Vermittlung<br />

e<strong>in</strong>es ganzheitlichen Lebensgefühls, verantwortliches<br />

Umgehen mit Umwelt und den natürlichen<br />

Ressourcen usw.<br />

Die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> kann für die Zukunftsrolle<br />

der Landwirtschaft vielfältige Unterstützung<br />

bieten:<br />

1. Die Verbesserung der Agrarstruktur durch klassische<br />

Maßnahmen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> ist<br />

<strong>in</strong> vielen Regionen Bayerns zur flächendeckenden<br />

bäuerlichen Bewirtschaftung und zur Freisetzung<br />

von Arbeitsressourcen für E<strong>in</strong>kommenskomb<strong>in</strong>ationen<br />

noch notwendig. Bei der Durchführung ist<br />

auf e<strong>in</strong>e Gleichrangigkeit von Ökonomie und Ökologie<br />

zu achten. E<strong>in</strong>fachere und schnellere Verfahren<br />

müssen verstärkt zum E<strong>in</strong>satz kommen.<br />

Ebenso ersche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e Verbesserung der Hand-<br />

46 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


lungsfähigkeit der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> notwendig<br />

zu se<strong>in</strong>. Stichworte: Vielzahl der<br />

Verfahren je Gebietsreferent, Altlasten.<br />

2. E<strong>in</strong>e weit größere Bedeutung mißt der Arbeitskreis<br />

der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> bei der Aufrüstung<br />

der Landwirtschaft für weitere künftige<br />

Aufgaben zu. Diese Leistung kann sie alle<strong>in</strong> nicht<br />

erbr<strong>in</strong>gen, sondern sie bedarf dafür der Mitwirkung<br />

externer Fachleute, der Ämter für Landwirtschaft<br />

und Ernährung usw. E<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegraler Ansatz<br />

für diese breite Aufgabenstellung ersche<strong>in</strong>t notwendig.<br />

Die Moderation und Koord<strong>in</strong>ation der<br />

Experten, der Bürger und Landwirte soll die <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> übernehmen. Sie hat sich<br />

bestens <strong>in</strong> diese Rolle e<strong>in</strong>gearbeitet.<br />

Zitat e<strong>in</strong>es Teilnehmers: »Wer denn, wenn nicht<br />

die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>«? Die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

hat für diese Rolle ihre Kompetenz bereits<br />

e<strong>in</strong>deutig unter Beweis gestellt.<br />

3. Ziel dieser <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Aktionen muß e<strong>in</strong>e<br />

klare Aufgabenformulierung und <strong>in</strong>dividuelle<br />

Leitbildentwicklung für Dorf, Flur und E<strong>in</strong>zelbetrieb<br />

se<strong>in</strong>. Die Pr<strong>in</strong>zipien der Freiwilligkeit und<br />

Selbstverantwortlichkeit sollten bei der Aufstellung<br />

von Landnutzungskonzepten und der<br />

Suche nach Innovationen mehr Beachtung f<strong>in</strong>den.<br />

Die beratende Begleitung bei der Umsetzung<br />

der Planungen muß genauso selbstverständlich<br />

�<br />

Geme<strong>in</strong>de<br />

�<br />

�<br />

Produktion<br />

— hochwertige Lebensmittel<br />

— nachwachsende Rohstoffe<br />

— Energieträger<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Multifunktionale Land- und Forstwirtschaft<br />

marktorientiert, umwelt- und sozialverträglich<br />

se<strong>in</strong>, wie die Bereitstellung der notwendigen<br />

öffentlichen Mittel, denn Umsetzung ist genauso<br />

wichtig wie Planung. Neue F<strong>in</strong>anzmodelle, wie<br />

zum Beispiel die Ausgabe von Verbandsaktien,<br />

wären dabei denkbar.<br />

Die Geme<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d unverzichtbare Partner der<br />

Landwirtschaft und der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong>. Ihr<br />

vermittelndes, koord<strong>in</strong>ierendes Engagement wird von<br />

beiden Seiten gebraucht.<br />

Die Wege des Mite<strong>in</strong>anderumgehens zeigen die<br />

Schulen der Dorf- und Land- bzw. Flurentwicklung<br />

auf.<br />

Nach Me<strong>in</strong>ung des Arbeitskreises s<strong>in</strong>d die Instrumente<br />

und Kompetenzen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

grundsätzlich ausreichend, um die Landwirtschaft<br />

für ihre Zukunftsrolle fit zu machen. Es ist<br />

jedoch notwendig, die Möglichkeiten voll auszuschöpfen<br />

und laufend auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen.<br />

Ich bedanke mich bei den Kollegen Karl-He<strong>in</strong>z<br />

Langguth und Wolfgang Maucksch von der DLE<br />

<strong>Ansbach</strong> für die technische Betreuung des Arbeitskreises,<br />

bei den Kollegen Richard Brunner, Matthias<br />

Ehrhardt, Klaus Em<strong>in</strong>ger, Wolfgang Kerl<strong>in</strong>g, Hans<br />

Mehr<strong>in</strong>ger und Ulrich Müller, alle DLE Bamberg, für<br />

die Übernahme e<strong>in</strong>er Kle<strong>in</strong>gruppenmoderation und<br />

bei Ihnen, me<strong>in</strong>e Damen und Herren, für Ihre<br />

Aufmerksamkeit<br />

Dienstleistungen<br />

— Direktvermarktung<br />

— Freizeit und Erholung<br />

— Landschafts- und<br />

Umweltpflege<br />

— Sozialer Bereich<br />

� <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

�<br />

�<br />

Dorf- und Flurentwicklung<br />

— externe Fachleute / AfLuE<br />

— Bürgerbeteiligung<br />

— Koord<strong>in</strong>ation und Moderation<br />

— Leitbilder für Dorf, Flur, E<strong>in</strong>zelbetrieb<br />

— Landnutzungskonzepte und Innovationen<br />

— Umsetzung der Planungen<br />

Bäuerlichkeit<br />

— Ganzheitlichkeit<br />

— Langfristigkeit<br />

— Verantwortlichkeit<br />

— Heimatverbundenheit<br />

�<br />

�<br />

Schulen der Dorf- und Landbzw<br />

Flurentwicklung (SDL/SDF)<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

47


Peter Jahnke<br />

Bericht über den Arbeitskreis 4:<br />

Dorfentwicklung<br />

»Neue Wege <strong>in</strong> der Dorfentwicklung, von der<br />

Expertenplanung zur Moderation«, war der Untertitel<br />

des Arbeitskreises »Dorfentwicklung«, der sehr <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är<br />

besetzt war. Wir hatten dort Architekten,<br />

Landschaftsarchitekten, Geodäten, Verwaltungsjuristen,<br />

Richter, Ökologen, Volkskundler, Kommunalbetreuer,<br />

Geographen, Landwirte aus der Verwaltung,<br />

als Freiberufler und aus dem Hochschulbereich<br />

und wir hatten e<strong>in</strong>e Anzahl von tatkräftigen Bürgermeistern<br />

mit dabei. Außer aus Bayern kamen sie aus<br />

Niedersachsen, aus Sachsen-Anhalt, aus Sachsen,<br />

aus Thür<strong>in</strong>gen, aus dem Saarland und aus Hessen<br />

und aus dem Ausland, aus Luxemburg, aus Kroatien,<br />

aus Slowenien, aus der Tschechischen Republik<br />

und aus Österreich. Bei dieser Vielfalt von Berufsgruppen<br />

und dieser <strong>in</strong>ternationalen Besetzung war<br />

die E<strong>in</strong>igkeit dieses sehr großen Arbeitskreises mit<br />

fast 60 Personen ganz erstaunlich. Auch die drei<br />

Referenten, die die kurzen E<strong>in</strong>führungsreferate<br />

gehalten haben, waren <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är zusammengestellt,<br />

so wie es das Berufsfeld der Dorfentwicklung<br />

verlangt:<br />

e<strong>in</strong> Architekt und Planer, der Herr Naumann aus<br />

Regensburg,<br />

e<strong>in</strong> Landschaftsarchitekt, Herr Prof. Auweck aus<br />

München und<br />

e<strong>in</strong> Geodät, Kollege Rill aus München.<br />

In der E<strong>in</strong>führung wurde über die veränderten<br />

Planungskulturen <strong>in</strong> Europa berichtet (wir haben<br />

davon vom Kollegen Huber schon aus dem Arbeitskreis<br />

1 gehört, die Planung von unten nach oben zu<br />

betreiben). Dieses Konzept, was mehr und mehr auch<br />

<strong>in</strong> der <strong>Stadt</strong> greift, nach dem Motto »Mitwirken<br />

lassen, mitwirken können und mitwirken wollen«,<br />

spiegelt sich bei uns <strong>in</strong> der Dorfentwicklung <strong>in</strong> den<br />

Arbeitskreisen wider.<br />

Wie ist die Situation?<br />

Die Politiker<br />

Es gibt e<strong>in</strong>e große Anzahl von Politikern, die<br />

me<strong>in</strong>en, die Arbeitskreisarbeit ist Bürger<strong>in</strong>itiative<br />

nicht gegen etwas, sondern Bürger<strong>in</strong>itiative für<br />

etwas. Es gibt aber auch e<strong>in</strong>ige Politiker, denen ist<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

diese Arbeit nicht ganz geheuer, sie haben Befürchtungen,<br />

daß die Arbeitskreise mißbraucht werden<br />

könnten als politische Plattform.<br />

Die Planer<br />

Es gibt Planer, die me<strong>in</strong>en, die Bürger s<strong>in</strong>d Experten.<br />

Deshalb müssen sie mitwirken und deshalb<br />

sollten wir sie ganz eng mit e<strong>in</strong>beziehen. Es gibt<br />

aber leider auch noch e<strong>in</strong>e große Anzahl von Planerkollegen,<br />

die me<strong>in</strong>en, die Bürger haben schlichtweg<br />

ke<strong>in</strong>e Ahnung und es besteht beim Mitwirken die<br />

Gefahr, daß die falschen Straßenlaternen ausgewählt<br />

werden.<br />

Die Kollegen <strong>in</strong> der Verwaltung für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong><br />

Sie müssen die öffentlichen Gelder verwalten;<br />

da gibt es e<strong>in</strong>en Teil, die sagen, der Wert der Planung<br />

muß bezahlt werden im richtigen Preis/Leistungsverhältnis.<br />

Es gibt aber auch welche, die sagen, wir<br />

müssen vorwiegend das Verhältnis Planungskosten/<br />

Ausbaukosten überdenken.<br />

Die E<strong>in</strong>führungsreferate behandelten folgende<br />

Schwerpunktthemen:<br />

— Die Rolle des Planers als Moderator.<br />

(Wie weit soll er sich <strong>in</strong> die Arbeitskreise e<strong>in</strong>mischen,<br />

wie weit darf er sich e<strong>in</strong>mischen?)<br />

— Initiativen im Ort, Eigenleistungen neuer Art,<br />

nicht nur Hand- und Spanndienste, sondern auch<br />

Eigenf<strong>in</strong>anzierung, z. B. <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en BGB-Gesellschaften.<br />

— Dezentrale Lösungen s<strong>in</strong>d notwendig, besonders<br />

im H<strong>in</strong>blick auf die Kosten, z. B. im Bereich des<br />

technischen Umweltschutzes, Abwasserbeseitigung.<br />

— Kommunale Allianzen s<strong>in</strong>d notwendig, Dorfentwicklung<br />

im Verbund; es geht dabei um gegenseitige<br />

Ergänzung, z. B. bei der Mitnutzung von Versorgungse<strong>in</strong>richtungen,<br />

dabei s<strong>in</strong>d Steuerungsund<br />

Abstimmungsformen, z. B. durch überörtliche<br />

Arbeitskreise notwendig,<br />

— Dorf- und Flurentwicklung gehören zusammen. Ist<br />

es da nicht auch s<strong>in</strong>nvoll, sie flächendeckend für<br />

die Geme<strong>in</strong>de anzuwenden?<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

49


— E<strong>in</strong>e neue Flurentwicklung ist freiwillig.<br />

— E<strong>in</strong>e neue Flurentwicklung hat neue Aufgaben als<br />

Hilfe für den Natur- und Landschaftsschutz, als<br />

Hilfe für Freizeit und Erholung, als Hilfe für e<strong>in</strong>e<br />

neue Landwirtschaft, z. B. für die Flächenbereitstellung<br />

für Sonderkulturen.<br />

Dorfentwicklung im Jahre 2000<br />

Die Arbeit <strong>in</strong> den sechs Arbeitsgruppen stand<br />

unter dem Thema »Wie soll die Dorfentwicklung<br />

im Jahre 2000 aussehen?« Nach umfassender<br />

Stoffsammlung — auf 20 Stellwänden, die alle vollgesteckt<br />

waren — fand e<strong>in</strong>e Konzentration auf sechs<br />

Themen durch Punktebewertung statt:<br />

1. Planung:<br />

— Planung als Prozeß,<br />

— vernetzte Konzepte,<br />

— Dorfentwicklung im Verbund,<br />

— regionale Kooperation.<br />

2. Wirtschaft:<br />

— Dorf als Wirtschaftskraft,<br />

— Landwirte im Dorf nicht vergessen,<br />

— Arbeit im Dorf.<br />

3. Ökologie:<br />

— Ökologische und umweltorientierte<br />

Dorfentwicklung,<br />

— Dorf und Flur gehören zusammen,<br />

— alternative Energiekonzepte und das ganze<br />

Problemfeld des technischen Umweltschutzes.<br />

4. Identifikation:<br />

— Dörfliche Gestaltung,<br />

— stärkere lokale Identität.<br />

5. Geme<strong>in</strong>schaft/Dorfkultur:<br />

— Dorfgeme<strong>in</strong>schaft, Geme<strong>in</strong>schaft und<br />

Dorfbewußtse<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>es,<br />

— Kommunikation im Dorf.<br />

6. Mitwirkung/Mitverantwortung:<br />

— Dorfkonkrete Demokratie,<br />

— Eigenständigkeit bedeutet Eigenverantwortung,<br />

— Beschlußgeme<strong>in</strong>schaft, Geme<strong>in</strong>derat/Vorstand TG.<br />

Von diesen Themen erhielt bemerkenswerterweise<br />

e<strong>in</strong> Thema nur e<strong>in</strong>en Punkt von 300 zu vergebenden<br />

Punkten: nämlich die »f<strong>in</strong>anzielle Ausstattung«. Das<br />

heißt natürlich nicht, daß die f<strong>in</strong>anzielle Ausstattung<br />

nicht nötig wäre, sondern daß das ke<strong>in</strong> Diskussionsthema<br />

<strong>in</strong> diesen Arbeitsgruppen war.<br />

Diese sechs Themen wurden am Nachmittag<br />

vertieft weiterbearbeitet anhand der Frage<br />

»Wie ist es, wie wünsche ich es mir, was muß<br />

getan werden«?<br />

Interessant ist dabei, daß die Bearbeitung der<br />

E<strong>in</strong>zelthemen wieder zu geme<strong>in</strong>samen Kernaussagen<br />

zurückführte:<br />

— Von der Mono- zur Multistruktur, dadurch wieder<br />

neue Arbeitsplätze im Dorf,<br />

— Verantwortung für geme<strong>in</strong>same Aufgaben,<br />

— Aufgaben bedeuten Arbeit im Dorf.<br />

Sie sehen, der Komplex Arbeit wurde hier besonders<br />

angesprochen.<br />

— Geme<strong>in</strong>same Ziele erarbeiten, z. B. mit der<br />

Jugend, um wieder Vertrauen zu gew<strong>in</strong>nen, damit<br />

die Jugend im Dorf bleibt.<br />

— Wertebewußtse<strong>in</strong> erzeugen mit Fragen von<br />

Tradition und Wandel (Gibt es noch das alte Dorf<br />

mit den strengen engen sozialen Strukturen?).<br />

— Wertebewußtse<strong>in</strong> <strong>in</strong> ökologischen Fragen.<br />

— Eigenverantwortung wieder aufbauen.<br />

Alles Themen der »Identität« Die Schwerpunktthemenbereiche<br />

waren »Identität« und »Arbeit«!<br />

Das Fundament für alles war die Aussage:<br />

Es muß e<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>sames Planungsdrehbuch im<br />

S<strong>in</strong>ne der Moderation, e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames<br />

Planungskonzept, geme<strong>in</strong>sam zwischen Bürger<br />

und Planer, erarbeitet werden.<br />

Fazit:<br />

1. Bürgeraktivitäten s<strong>in</strong>d Voraussetzung für Ent -<br />

wicklung <strong>in</strong> Dorf und Flur oder <strong>in</strong> der ländlichen<br />

Region.<br />

2. Bürger können und sollen an der Planung mitwirken<br />

(ich verweise auf die <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre<br />

Besetzung der Arbeitsgruppen — das haben auch<br />

Planer mitgetragen!).<br />

3. Geme<strong>in</strong>same Planung ist notwendig — Experten<br />

aus dem Dorf und Experten von außen.<br />

Zum Schluß noch e<strong>in</strong> wesentlicher H<strong>in</strong>weis e<strong>in</strong>er<br />

Arbeitsgruppe auf e<strong>in</strong>e grundsätzliche Voraussetzung<br />

für alles. Man muß Geduld haben, man muß<br />

viel Geduld haben!<br />

50 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Mart<strong>in</strong> Hundsdorfer<br />

Bericht über den Arbeitskreis 5:<br />

Landschaftsgestaltung<br />

In mehreren Vorbesprechungen haben Kollegen<br />

der Direktion Regensburg, Landschaftsplaner und der<br />

Verfasser den Arbeitskreis vorbereitet. Wir s<strong>in</strong>d dabei<br />

davon ausgegangen, daß die Verwaltung für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> mit ihrer Landschaftsplanung e<strong>in</strong><br />

sehr tragfähiges Fundament besitzt. Dies kann und<br />

muß genutzt werden, um den ländlichen Raum zeitgemäß<br />

unterstützten und entwickeln zu helfen.<br />

Das Thema des Arbeitskreises wurde deshalb<br />

konkretisiert:<br />

Landschaftsentwicklung<br />

Neue Aufgaben, neue Wege — neue Chancen<br />

und davon drei Fragen abgeleitet:<br />

1. Welche neuen Aufgaben kann die <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> im Rahmen ihres Instrumentariums<br />

übernehmen?<br />

2. Welche neuen Wege muß sie hierzu beschreiten?<br />

3. Welche Chancen ergeben sich daraus?<br />

Schwerpunkte<br />

Im Rahmen e<strong>in</strong>er Moderation haben wir potentielle<br />

Aufgabenbereiche ermittelt und davon sechs<br />

für die <strong>Fachtagung</strong> präferiert:<br />

— Bündnis zwischen <strong>Stadt</strong> und Land<br />

BOR Werner Stahl, Dipl.-Ing Anne Wendl<br />

— Leitbild Landschaft<br />

BOR Thomas Gollwitzer, Dipl.-Ing. Karl Sp<strong>in</strong>dler<br />

— Umsetzung ökologischer Planungen<br />

— BD Wolfgang von Schell<strong>in</strong>g, Dipl.-Ing. Helmut<br />

Wartner<br />

— Neue Landnutzungen<br />

BR Klaus Bergbauer, BOR Franz Göhler<br />

— Alternative E<strong>in</strong>kommensquellen<br />

BOR Werner Bothner, BOR Franz Sonnleitner<br />

— Market<strong>in</strong>g für den ländlichen Raum<br />

BOR Michael Sch<strong>in</strong>dler, BOR Josef We<strong>in</strong><br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Die Teilnehmer des Arbeitskreises 5 der <strong>Fachtagung</strong><br />

konnten sich also <strong>in</strong> sechs Moderationsgruppen,<br />

betreut von jeweils zwei Moderatoren, mit<br />

diesen Themen ause<strong>in</strong>andersetzen. Zur E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong><br />

die Moderationstechnik wurde <strong>in</strong> je e<strong>in</strong>em Referat<br />

e<strong>in</strong> Beispiel für e<strong>in</strong>e neue Aufgabe und e<strong>in</strong> Beispiel<br />

für e<strong>in</strong>en neuen Weg vorgestellt:<br />

Im Verfahren Stefl<strong>in</strong>g ist es gelungen, das landschaftsökologische<br />

Konzept, nämlich die reich strukturierte<br />

Landschaft zu erhalten und zu entwickeln,<br />

auf e<strong>in</strong> solides ökologisches Fundament zu stellen.<br />

Es konnte unter dem Motto »Natur und Bauern erhalten«<br />

e<strong>in</strong>e gut funktionierende Selbstvermarktungsorganisation<br />

aufgebaut werden.<br />

Im Verfahren Fuhrn g<strong>in</strong>g man mit viel Engagement<br />

an die Leitbildentwicklung im Rahmen e<strong>in</strong>er<br />

Flurwerkstatt. Motto war hier: Von der Bürgerbeteiligung<br />

zur Bürgerplanung (siehe Teil E<strong>in</strong>führungsreferate<br />

<strong>in</strong> den Arbeitskreisen).<br />

Ergebnisse der Moderation<br />

Leitbild Landschaft<br />

Das Thema »Leitbild Landschaft« hat sich als von<br />

zentraler Bedeutung herausgestellt; es kann der<br />

Schlüssel zum Erfolg aller anderen vorgestellten<br />

Aufgabenbereiche se<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong>e Flurwerkstatt zur <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong>es Leitbildes<br />

Landschaft wird als unabd<strong>in</strong>gbar angesehen: Das<br />

Wissen und die Erfahrung e<strong>in</strong>er breiten Basis können<br />

<strong>in</strong> die Planung mit e<strong>in</strong>fließen; auch die wichtige<br />

Indentifikation mit den Ergebnissen ist gewährleistet<br />

und die Bereitschaft, Verantwortung zu tragen,<br />

steigt. Daraus ergeben sich e<strong>in</strong>e Vielzahl von<br />

Chancen für die Landwirtschaft, für die Verwaltung,<br />

für die Planer und für die übrigen Bürger. Dies<br />

rechtfertigt nach Ansicht der Moderationsgruppe die<br />

zu erwartenden Nachteile, nämlich höherer Zeitaufwand,<br />

höhere Kosten, höhere Anforderungen an die<br />

Moderatoren und externen Experten. Die Größe der<br />

Verfahren könnte sich an der Realisierbarkeit von<br />

Flurwerkstätten orientieren. Methodisch kann dabei<br />

viel von den Erfahrungen der Dorferneuerung<br />

profitiert werden.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

51


Umsetzung ökologischer Planungen<br />

Bei der Umsetzung von ökologischen Planungen<br />

sollten extreme Positionen ebenso vermieden werden,<br />

wie bei der Bodenordnung. Vielmehr s<strong>in</strong>d ökologische<br />

und ökonomische Konzepte zu verknüpfen,<br />

d. h. Landschaftsökologen müssen die ökonomischen<br />

Probleme der Landwirte und diese wiederum die<br />

ökologischen Probleme der Kulturlandschaft ernst<br />

nehmen. Daß dies funktionieren kann und nicht<br />

bloße Theorie ist, die sich schön anhört, zeigt das<br />

Verfahren Stefl<strong>in</strong>g. Hier wurde mit viel Engagement<br />

des Vorsitzenden, des Landschaftsplaners und vor<br />

allem der Teilnehmer e<strong>in</strong>e gut funktionierende<br />

Selbstvermarktungsorganisation aufgebaut.<br />

Um den relativ hohen Planungsaufwand <strong>in</strong> Grenzen<br />

zu halten, sollte gezielt und flexibel, d. h. <strong>in</strong><br />

unterschiedlichen Intensitätsstufen geplant werden.<br />

Auch kann bei manchen neu h<strong>in</strong>zukommenden Aufgaben<br />

auf bestehende Planungen zurückgegriffen<br />

werden, z. B. der Umsetzung von kommunalen Landschaftsplänen,<br />

von Pflege- und <strong>Entwicklung</strong>skonzepten<br />

oder von Arten- und Biotopschutzprogramm-<br />

Projekten.<br />

Neue Landnutzungen<br />

Es wurden hier Wege und Chancen aufgezeigt, im<br />

Rahmen von Verfahren noch verstärkt den Naturschutz,<br />

Formen extensiver Landbewirtschaftung,<br />

Erholungsnutzung, Aufforstung und den Anbau von<br />

Sonderkulturen zu unterstützen. Neben gezielter<br />

Maßnahmenförderung ist dies vor allem durch<br />

Information und Bewußtse<strong>in</strong>sbildung im Rahmen<br />

der mehrjährigen Verfahren möglich.<br />

Alternative E<strong>in</strong>kommensquellen<br />

Zunächst wurde e<strong>in</strong>e Reihe von Möglichkeiten<br />

alternativer E<strong>in</strong>kommensquellen zusammengetragen.<br />

Dann hat die Moderationsgruppe die Kompostierung<br />

als exemplarisches Beispiel ausgewählt, um zu zeigen,<br />

daß und wie die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> von der<br />

Beratung, Bodenordnung, F<strong>in</strong>anzierung bis h<strong>in</strong> zum<br />

Market<strong>in</strong>g beitragen kann, um e<strong>in</strong> derartiges Projekt<br />

zum Erfolg zu führen.<br />

Market<strong>in</strong>g für den ländlichen Raum<br />

Ausgegangen wurde hier von den Erwartungen<br />

und Bedürfnissen der Gesellschaft an den ländlichen<br />

Raum, bei deren Verwirklichung wir beitragen bzw.<br />

mehr beitragen könnten, als wir dies bisher tun, z. B.<br />

bei neuen Umweltschutztechniken, wie Blockheizkraftwerken,<br />

Pflanzenkläranlagen, Solaranlagen und<br />

Abfallwirtschaftskonzepten. Dann wurde am Beispiel<br />

»der ländliche Raum als Arbeitsraum« aufgezeigt, wie<br />

unsere Verwaltung bei Market<strong>in</strong>gkonzeptionen mitwirken<br />

kann.<br />

Gerade diese Moderation zeigte deutlich, daß die<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> wertvolle Arbeit bei der Bewältigung<br />

neuer Aufgaben für den ländlichen Raum<br />

leisten kann. Dies ist Arbeit, die der Gesellschaft ansonsten<br />

verloren g<strong>in</strong>ge, da niemand <strong>in</strong> der Lage<br />

wäre, sie zu leisten. Es zeigte sich hier aber ebenso<br />

deutlich, daß häufig die Zusammenarbeit mit anderen<br />

Fachbehörden bzw. mit freiberuflich Tätigen notwendig<br />

ist.<br />

Die noch verbleibende Moderation »Bündnis<br />

zwischen <strong>Stadt</strong> und Land« wurde kurzfristig umdisponiert,<br />

um acht polnischen Teilnehmern am<br />

Arbeitskreis 5 die Gelegenheit zu e<strong>in</strong>er eigenen<br />

Moderationsgruppe zu geben. Thema war hier der<br />

Vergleich der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> von Polen<br />

und Bayern.<br />

Es gibt <strong>in</strong> Polen e<strong>in</strong>e Regionalplanung und e<strong>in</strong>e<br />

Bauleitplanung. Es gibt aber ke<strong>in</strong>e Landschaftsplanung<br />

<strong>in</strong> der Flurbere<strong>in</strong>igung. Es gibt auch ke<strong>in</strong>en<br />

Studiengang Landschaftspflege.<br />

Die polnischen Gäste brachten zum Ausdruck, daß<br />

sie e<strong>in</strong>e Landschaftsplanung für dr<strong>in</strong>gend erforderlich<br />

halten; deshalb haben sie den bayerischen Weg<br />

hier bei der <strong>Fachtagung</strong> e<strong>in</strong>gehend studiert.<br />

Schlußbetrachtung<br />

Moderationen machen »Arbeitskreise« zu arbeitenden<br />

Kreisen. Das geme<strong>in</strong>sam von allen getragene<br />

Arbeiten erhält diese Kreise kurzweilig — trotz ganztägiger<br />

Veranstaltung.<br />

Die erreichten Ergebnisse und die spürbare positive<br />

Stimmung am Ende dieser Veranstaltung s<strong>in</strong>d<br />

fachlicher und persönlicher Erfolg für die <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong>.<br />

52 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Karl Braumiller<br />

Bericht über den Arbeitskreis 6:<br />

Informationstechnik<br />

Zur E<strong>in</strong>stimmung auf den Arbeitskreis 6 — Informationstechnik<br />

— zeichnete Herr Schellhaas von der<br />

Firma CAPdebis <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>führungsvortrag e<strong>in</strong><br />

Bild der aktuellen <strong>Entwicklung</strong>en der Informationsund<br />

Kommunikationstechnik.<br />

So entstehen durch die Deregulierung im<br />

Telekommunikationsmarkt, d.h. E<strong>in</strong>schränkung der<br />

Telekom-Monopole, neue Infrastrukturen durch<br />

immer mehr private Dienstleistungs-Anbieter aus<br />

dem In- und Ausland. Von zentraler Bedeutung ist<br />

die damit e<strong>in</strong>hergehende rasante Weiterentwicklung<br />

und Standardisierung im Bereich der Übertragungsund<br />

Vermittlungstechniken. Im Bereich der Bürokommunikation<br />

wurden neue Trends und Erfahrungen<br />

aus der Umsetzung konkreter Projekte<br />

vorgestellt.<br />

Zu dem breiten Themenbereich Informationstechnik<br />

wurden durch e<strong>in</strong>e Kartenabfrage im Plenum<br />

Gedanken und Anregungen gesammelt und <strong>in</strong> vier<br />

Themenspeichern geordnet. Diese wurden <strong>in</strong> je<br />

e<strong>in</strong>em moderierten Workshop vertieft. Die Ergebnisse<br />

daraus lassen sich folgendermaßen zusammenfassen.<br />

Kommunikation mit anderen Behörden<br />

Nach Gewichtung mit Klebepunkte kristallisierten<br />

sich die Diskussionsschwerpunkte »Datenaustausch<br />

Vermessungsverwaltung — <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>«<br />

und »Kompatibilität von Datenstrukturen und<br />

Programmen zwischen unterschied-lichen<br />

Verwaltungen« heraus. Nach e<strong>in</strong>em Abgleich des<br />

aktuellen <strong>Entwicklung</strong>sstandes wurde festgestellt,<br />

daß die Abgabe des ALB an die Direktionen für<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> weitestgehend funktioniert,<br />

bei der Abgabe des Neuen Standes nach Abschluß<br />

e<strong>in</strong>es Verfahrens noch Leistungen zu erbr<strong>in</strong>gen s<strong>in</strong>d,<br />

die allerd<strong>in</strong>gs als handhabbar und im vorgegebenen<br />

Zeitrahmen realisierbar gelten. Größere Probleme<br />

bereiten Schnittstellen auf Software-Ebene zu den<br />

übrigen Verwaltungen, mit denen Datenaustausch<br />

wünschenswert wäre.<br />

Angeregt wurde, das »Ressortdenken« aufzugeben<br />

und <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är <strong>in</strong>tensiver abzustimmen. E<strong>in</strong><br />

konkreter Vorschlag war die Installation e<strong>in</strong>es<br />

IT-Beauftragten mit den Aufgaben der Koord<strong>in</strong>ation<br />

der Datenspeicherung, Def<strong>in</strong>ition von Schnittstellen<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

und Sicherstellung des Datenzugriffs für andere<br />

Ressorts. Um die Handlungsfähigkeit zu gewährleisten,<br />

ist e<strong>in</strong>e entsprechende Personalausstattung<br />

erforderlich.<br />

Kommunikation mit dem Bürger<br />

— Oberstes Gebot für jede Verwaltung ist Bürgerfreundlichkeit.<br />

— Man sah <strong>in</strong> unserer Verwaltung e<strong>in</strong> Problem <strong>in</strong> der<br />

Erreichbarkeit des Vorsitzenden aufgrund der<br />

häufigen Außendienste. Es sollte deshalb auf<br />

jeden Fall e<strong>in</strong> persönlicher Ansprechpartner <strong>in</strong> der<br />

Gruppe oder zum<strong>in</strong>dest im Amt (Vermittlung)<br />

Auskunft erteilen können. Technische Voraussetzung<br />

ist e<strong>in</strong>e entsprechende Nebenstellenanlage<br />

bzw. bei der Vermittlung e<strong>in</strong> Auskunftssystem auf<br />

PC. Als nicht sehr zweckmäßig wurde der automatische<br />

Anrufbeantworter betrachtet.<br />

— Es wurde die Forderung nach hoher Informationsbereitschaft<br />

mit kompetenter und rascher Auskunftserteilung<br />

gestellt. Basis hierfür ist die permanente<br />

Laufendhaltung der Daten.<br />

— Der Bürger sollte vermehrt durch Bereitstellung<br />

von Karten und Eigentumsnachweisen <strong>in</strong>formiert<br />

werden.<br />

— FAX und BTX können mit zur Erhöhung der Auskunftsbereitschaft<br />

beitragen. Der direkte Zugriff<br />

für den Bürger über PC auf Auskunftssysteme<br />

bleibt jedoch der ferneren Zukunft vorbehalten.<br />

— Als Vision für die Zukunft wird auch die Möglichkeit<br />

gesehen, vor Ort auf Computersystemen <strong>in</strong><br />

3D-Darstellung die Planungen zu visualisieren<br />

und dadurch Abstimmungsarbeiten und die<br />

Kommunikation mit dem Bürger zu unterstützen.<br />

— Beste Bürgernähe ist und bleibt jedoch die Präsenz<br />

vor Ort (Darunter leidet allerd<strong>in</strong>gs wiederum<br />

die Erreichbarkeit <strong>in</strong> der Dienststelle).<br />

DV-Technik<br />

Die Gedanken wurden im Workshop nochmals<br />

nach den Gesichtspunkten Arbeitsersparnis,<br />

Arbeitsplatzwünsche, Datenschutz, E<strong>in</strong>fachheit und<br />

Schulung/Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g zusammengefaßt. Mit Hilfe von<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

53


Klebepunkten wurden die beiden letzten Punkte herausgestellt<br />

und unter dem Begriff Benutzerfreundlichkeit<br />

mit folgenden Ergebnissen vertieft :<br />

— Es besteht e<strong>in</strong>e zu schnelle Fluktuation der Programme;<br />

künftig sollte auf mehr Kont<strong>in</strong>uität <strong>in</strong><br />

den Bedienungsoberflächen neuer Programmversionen<br />

geachtet werden.<br />

— Nicht immer ist die Bedienungsoberfläche von<br />

Programmen klar strukturiert. Hierauf ist künftig<br />

besonderer Wert zu legen.<br />

— Neue Programmversionen s<strong>in</strong>d vor ihrer Freigabe<br />

noch umfassender zu testen.<br />

— Als dr<strong>in</strong>gend erforderlich wird die Neue<strong>in</strong>führung<br />

von Programmen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit e<strong>in</strong>er Anwender-Schulung<br />

gehalten. Gründliche Ausbildung<br />

gewährleistet e<strong>in</strong>en wesentlich effektiveren<br />

Umgang mit den Programmen.<br />

— Die <strong>in</strong>dividuelle Bereitschaft zur Arbeit am Bildschirm<br />

kann nicht bei allen Mitarbeitern vorausgesetzt<br />

werden, wofür allerd<strong>in</strong>gs auch Verständnis<br />

aufgebracht werden muß. Man sollte sich<br />

anfangs auf die <strong>in</strong>teressierten und motivierten<br />

Mitarbeiter konzentrieren und auf den Mitnahmeeffekt<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Gruppe bauen.<br />

Bürokommunikation <strong>in</strong> der <strong>Ländliche</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong><br />

Mit Hilfe der Klebepunktemethode entschied man<br />

sich für die schwerpunktmäßige Behandlung des<br />

Themenbereiches »Info-Service«, d. h. Übernahme<br />

von Vorschriften, LMS und Informationsmaterial aller<br />

Art (Rechtsprechung, lokale Probleme, Broschüren,<br />

Dias, Informationsbriefe, technische Regeldaten) <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e Info-Datenbank mit Bereitstellung für den<br />

Benutzer am Arbeitsplatz.<br />

Bei der Diskussion der Umsetzungsprobleme wurden<br />

die Fragen gestellt, bei welchen Informationen<br />

und bis zu welchem Umfang die Speicherung s<strong>in</strong>nvoll<br />

ist, ob das erforderliche Personal für die aufwendige<br />

Erfassung und Laufendhaltung vorgehalten<br />

werden kann und ob e<strong>in</strong>e Volltextrecherche erforderlich<br />

ist oder e<strong>in</strong>e Klassifizerung nach Schlagworten<br />

ausreicht, allerd<strong>in</strong>gs mit der Gefahr der sich im Laufe<br />

der Zeit ändernden Bedeutung von Schlagworten.<br />

Probleme werden weiter dar<strong>in</strong> gesehen, daß das<br />

Lesen über den Bildschirm nur <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren Ausschnitten<br />

möglich und gewöhnungsbedürftig ist. Im<br />

Außendienst kann das System nur unter technisch<br />

sehr hohem Aufwand zur Verfügung gestellt werden.<br />

Für die Speicherung wurde die Konzentration auf<br />

Kernbereiche und Gliederung <strong>in</strong> folgende drei Stufen<br />

vorgeschlagen :<br />

— Zentraler Bereich beim M<strong>in</strong>isterium oder Bereich<br />

Zentrale Aufgaben,<br />

— Direktionsbereich,<br />

— persönliche Ablage für e<strong>in</strong> Referat oder e<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>zelperson.<br />

Bei e<strong>in</strong>er Realisierung muß unbed<strong>in</strong>gt entsprechendes<br />

Personal abgestellt se<strong>in</strong>. Zw<strong>in</strong>gend notwendig<br />

ist die Beschaffung e<strong>in</strong>er benutzerfreundlichen<br />

Software und e<strong>in</strong>e permanente Schulung.<br />

Es darf ke<strong>in</strong>e Diskussion über Papier oder<br />

Speicherung geben, sondern es muß e<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nvolles<br />

Nebene<strong>in</strong>ander beider Medien se<strong>in</strong>.<br />

Der erste Teil des Arbeitskreises bot den Teilnehmern<br />

die Möglichkeiten, sich über neueste<br />

Techniken zu <strong>in</strong>formieren, eigene Wünsche und<br />

Gedanken e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen und wertvolle Anregungen<br />

für künftige Projekte mit auf den Weg zu nehmen.<br />

Telematik<br />

Am Nachmittag befaßte sich der Arbeitskreis mit<br />

Telematik (entstanden aus Telekommunikation und<br />

Informatik) im ländlichen Raum. Hierzu äußerte sich<br />

auch Herr Staatsm<strong>in</strong>ister Bocklet <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrag<br />

»<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> für Bayern und Europa« <strong>in</strong><br />

dem S<strong>in</strong>ne, daß Landwirte mehr denn je alle Marktchancen<br />

nutzen müßten. Daher läge e<strong>in</strong> Schwerpunkt<br />

der Agrarpolitik im verstärkten E<strong>in</strong>satz neuester<br />

Techniken im ländlichen Raum. In se<strong>in</strong>em E<strong>in</strong><br />

führungsvortrag beleuchtete Prof. Dr. Maier vom<br />

Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie und Regionalplanung<br />

der Universität Bayreuth zahlreiche Aspekte<br />

der Telekommunikation im ländlichen Raum und<br />

zeigte die Möglichkeiten und Grenzen der Errichtung<br />

von Telestuben auf.<br />

Ergebnisse<br />

Die Telematik im ländlichen Raum ist grundsätzlich<br />

positiv zu sehen. Sie ist zwar ke<strong>in</strong> Mittel, um<br />

Arbeitsmarkteffekte zu erzielen, kann jedoch die<br />

äußeren Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für Landwirte und<br />

Wirtschaftsbetriebe verbessern. Die E<strong>in</strong>richtung von<br />

Telestuben ist nur mehr s<strong>in</strong>nvoll <strong>in</strong> Gebieten mit<br />

schwacher IT-Infrastruktur, sofern ausreichend Bedarf<br />

bereits vorhanden ist und sich E<strong>in</strong>zelpersonen<br />

für die konsequente Durchsetzung des Projektes<br />

engagieren. Die Ausstattung muß auf die tatsächlichen<br />

Bedürfnisse abgestimmt, für die Hard- und<br />

Software muß e<strong>in</strong>e kompetente Betreuung sichergestellt<br />

se<strong>in</strong>. Mit dem weiter fortschreitenden Preisschwund<br />

bei Telekommunikationsgeräten ist mit<br />

zunehmender Ausstattung der e<strong>in</strong>zelnen Betriebe<br />

und Haushalte und damit e<strong>in</strong>hergehend mit e<strong>in</strong>em<br />

rückgehenden Bedarf an Telestuben zu rechnen.<br />

54 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Helene Stegmann<br />

Bericht über den Arbeitskreis 7:<br />

Aus- und Fortbildung<br />

Der Arbeitskreis 7 war mit 45 Teilnehmern, fast<br />

ausschließlich aus unserer Verwaltung, besetzt. Wir<br />

haben uns entgegen der Ankündigung mit e<strong>in</strong>em<br />

Thema befaßt, das über die Aus- und Fortbildung<br />

h<strong>in</strong>ausgeht. Es lautete Personalentwicklung. Der<br />

Arbeitskreis 8 trug den Titel Unternehmenskultur.<br />

Personalentwicklung ist e<strong>in</strong> Bereich der Unternehmenskultur<br />

und die Aus- und Fortbildung stellt wiederum<br />

e<strong>in</strong>en Teilaspekt der Personalentwicklung dar.<br />

Was ist Personalentwicklung?<br />

Unter Personalentwicklung versteht man alle<br />

betrieblichen und überbetrieblichen Maßnahmen, die<br />

sich e<strong>in</strong>erseits an den geschäftspolitischen Erfordernissen<br />

und andererseits am <strong>Entwicklung</strong>spotential<br />

der Mitarbeiter orientieren.<br />

Diese Maßnahmen zielen auf die Verbesserung der<br />

Qualifikation und der Motivation der Mitarbeiter ab.<br />

Personalentwicklung geht somit weit h<strong>in</strong>aus über die<br />

re<strong>in</strong> zahlenmäßige Verwaltung des Personals nach<br />

dem Stellenplan.<br />

Die Raupe Personalverwaltung entpuppt sich<br />

zum Schmetterl<strong>in</strong>g Personalentwicklung.<br />

Personalentwicklung bedarf e<strong>in</strong>es Gesamtkonzeptes.<br />

Bevor dieses erstellt weden kann, ist es<br />

wichtig, den vorhandenen Bedarf zu ermitteln:<br />

● Was brauchen Sie für Mitarbeiter, um die Ziele<br />

des Unternehmens bestmöglich zu erreichen?<br />

Hierzu ist e<strong>in</strong> Anforderungsprofil zu erstellen, das<br />

zusätzlich zu fachlichen Kriterien auch soziale<br />

Fähigkeiten und Managementkompetenz umfaßt.<br />

● Was haben Sie für Mitarbeiter? Welche Qualifikationen<br />

s<strong>in</strong>d vorhanden?<br />

Aus dem Vergleich Soll-Ist ergibt sich e<strong>in</strong> <strong>Entwicklung</strong>sbedarf.<br />

Die Maßnahmen, die nötig s<strong>in</strong>d,<br />

um von der Ist- zur Soll-Kompetenz zu gelangen,<br />

s<strong>in</strong>d im Personalentwicklungkonzept be<strong>in</strong>haltet.<br />

Personalentwicklung — E<strong>in</strong> Thema für unsere<br />

Verwaltung?<br />

Wir bef<strong>in</strong>den uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Umbruchphase. Unserer<br />

Verwaltung stehen Veränderungen bevor. Herr<br />

Staatsm<strong>in</strong>ister Bocklet hat am Montag von Lean<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Unternehmenskultur<br />

Personalentwicklung<br />

Aus- und<br />

Fortbildung<br />

Zusammenhang von<br />

Unternehmenskultur, Personalentwicklung und<br />

Aus- und Fortbildung<br />

Mitarbeiter<br />

Soll-Kompetenz<br />

(Anforderungen)<br />

Personalentwicklung<br />

Soll – Ist – Vergleich<br />

qualitativer<br />

Personalentwicklungsbedarf<br />

PE-Konzept<br />

Mitarbeiter<br />

Ist-Kompetenz<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

55


adm<strong>in</strong>istration — schlanker Verwaltung gesprochen.<br />

Das Personal steht somit besonders stark im<br />

Kreuzfeuer. Schließlich stellt es <strong>in</strong> unserem Dienstleistungsunternehmen<br />

den höchsten Kostenfaktor<br />

dar, birgt andererseits aber auch das größte<br />

Potential <strong>in</strong> sich. Das Gold <strong>in</strong> unserer Verwaltung<br />

steckt <strong>in</strong> unseren Mitarbeitern. Grund genug, um<br />

sich im Arbeitskreis 7 auf Schatzsuche zu begeben,<br />

und sich mit den Menschen <strong>in</strong> unserer Verwaltung<br />

zu befassen.<br />

Der Arbeitskreis startete mit e<strong>in</strong>em Kurzreferat<br />

von Rudolf Bögel zum Thema Systematische<br />

Personalentwicklung. Herr Bögel arbeitet am<br />

Lehrstuhl für Organisations- und Wirtschaftspsychologie<br />

der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München bei Prof. Dr. Rosenstiel. In se<strong>in</strong>em Referat<br />

zeigte Herr Bögel die wichtigsten Bereiche der<br />

Personalentwicklung auf. E<strong>in</strong> Kernsatz aus se<strong>in</strong>em<br />

Referat lautete: Personalentwicklung ist nicht<br />

delegierbare Führungsaufgabe.<br />

Anschließend wurden die Teilnehmer selbst aktiv<br />

und erschlossen sich das große Feld der Personalentwicklung<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Schritt anhand von<br />

E<strong>in</strong>zelbauste<strong>in</strong>en. Fünf Gruppen arbeiteten unter der<br />

Leitung von Moderatoren an folgenden Themen:<br />

Personalentwicklung durch<br />

1. Auswahl und E<strong>in</strong>arbeitung neuer Mitarbeiter<br />

2. Fachliche und außerfachliche Weiterbildung<br />

3. Mitarbeiterführung<br />

4. Arbeitsgestaltung<br />

5. Persönlichkeitsentwicklung<br />

In allen Gruppen wurde zunächst Bestandsaufnahme<br />

gemacht, danach der Soll-Zustand, die Idealvorstellung,<br />

das Ziel erarbeitet und anschließend noch<br />

Wege gesucht, um diesen Zielen näher zu kommen.<br />

Ergebnisse des Arbeitskreises<br />

Faktor Zeit<br />

Geme<strong>in</strong>sam durch alle fünf Gruppen zieht sich wie<br />

e<strong>in</strong> roter Faden der Begriff Zeit. Vorgesetzte haben<br />

zu wenig Zeit für ihre Mitarbeiter. Als Ursache<br />

kristallisierte sich heraus, daß Vorgesetzten häufig<br />

nicht bewußt ist, welche Auswirkungen ihr Führungsverhalten<br />

auf ihre Mitarbeiter hat. Aktivitäten<br />

zur Führung und zur Förderung der Mitarbeiter<br />

genießen demnach nur ger<strong>in</strong>gen Stellenwert;<br />

dafür habe ich ke<strong>in</strong>e Zeit, ich muß doch arbeiten,<br />

ist von vielen Vorgesetzten zu hören. Sie werden<br />

dafür nie Zeit haben. Erst wenn sie Führung als ihre<br />

vornehmste Aufgabe sehen, erst wenn ihnen ihre<br />

Mitarbeiter wichtig s<strong>in</strong>d, werden sie sich Zeit für sie<br />

nehmen.<br />

Auswahl und E<strong>in</strong>arbeitung neuer Mitarbeiter<br />

Die erste Gruppe stellte fest, daß die bisherigen<br />

Auswahlkriterien, die sich großenteils auf die<br />

Staatsprüfungsnote beschränken, nicht ausreichend<br />

s<strong>in</strong>d. Es wurde e<strong>in</strong>e Auswahl der Mitarbeiter nach<br />

e<strong>in</strong>em möglichst vollständigen Anforderungsprofil<br />

vorgeschlagen. Die geforderte Qualifikation ist<br />

weniger <strong>in</strong> schriftlichen Prüfungen, als <strong>in</strong> Auswahlgesprächen<br />

zu ermitteln.<br />

Im Bereich der E<strong>in</strong>arbeitung neuer Mitarbeiter<br />

wurde die Bedeutung des ersten Tages an der neuen<br />

Arbeitsstelle für den Mitarbeiter verdeutlicht. Stellen<br />

Sie sich die Verlorenheit des »Neuen« vor, wenn der<br />

Vorgesetzte an diesem Tag im Außendienst ist, weil<br />

er sich den Term<strong>in</strong> nicht vorgemerkt hat und sich<br />

die Kollegen ratlos fragen: »Wo setzten wir ihn bloß<br />

h<strong>in</strong>?« Wesentlich ist auch, daß für den neuen Mitarbeiter<br />

e<strong>in</strong> persönlicher Betreuer da ist, der für<br />

e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum geme<strong>in</strong>sam mit dem E<strong>in</strong>steiger<br />

festlegt, wie die E<strong>in</strong>arbeitung ablaufen wird.<br />

Fachliche und außerfachliche Weiterbildung<br />

Die zweite Gruppe zog folgendes Fazit: Weiterbildung<br />

ist wichtig, um qualifizierte Mitarbeiter zu<br />

haben. Die Weiterbildung muß <strong>in</strong> den Köpfen der<br />

Vorgesetzten hohen Stellenwert bekommen, damit<br />

sich etwas verändert, damit e<strong>in</strong> direktionsübergreifendes<br />

Gesamtkonzept für die fachliche Aus- und<br />

Fortbildung entsteht. E<strong>in</strong> Gesamtkonzept ist auch für<br />

die außerfachliche Weiterbildung nötig. Beide s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

das Personalentwicklungskonzept e<strong>in</strong>zuarbeiten. Bei<br />

der Erstellung sollten Vertreter unserer Verwaltung,<br />

Personalvertretungen, die Führungsakademie und<br />

freie Experten mitwirken.<br />

Mitarbeiterführung<br />

Die dritte Gruppe erarbeitete, daß der Ist-Zustand<br />

— wie Führung derzeit erlebt wird — und das Idealbild<br />

des Vorgesetzten differieren. Viel Fachkompetenz<br />

und relativ wenig soziale Kompetenzen s<strong>in</strong>d<br />

vorhanden. Die Teilnehmer der Gruppe — die<br />

ja zugleich Mitarbeiter und Vorgesetzte s<strong>in</strong>d —<br />

stellten fest:<br />

Es wird sich etwas bewegen, wenn jeder bei sich<br />

selbst anfängt und sich auf den Weg begibt, <strong>in</strong><br />

56 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Richtung dieses idealen Vorgesetzten. Grundlage für<br />

Veränderungen dazu ist natürlich, die eigenen<br />

Stärken und Schwächen zu erkennen und sich zum<br />

eigenen Verhalten Rückmeldung von se<strong>in</strong>en Mitarbeitern<br />

zu holen. Wer andere führen will, kommt<br />

an sich selbst nicht vorbei.<br />

Arbeitsgestaltung<br />

Gruppe vier erschloß sich das Thema anhand der<br />

Begriffe wie Verantwortung, Selbstorganisation,<br />

Rückmeldung, Kreativität, Lernmöglichkeit und<br />

Arbeitsplatzgestaltung. Als Auszug hier das Ergebnis<br />

zum Aspekt Kreativität: Es ist e<strong>in</strong> hohes Ideenpotential<br />

vorhanden. Leider gestaltet sich die<br />

Umsetzung <strong>in</strong> die Realität schwierig. Folglich ist es<br />

grundlegend, e<strong>in</strong> Klima zu schaffen, das Ideen und<br />

Fragen zuläßt. Neues, ungewöhnliches, verrücktes<br />

Gedankengut sollte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Ideenpool e<strong>in</strong>gebracht<br />

werden und daraus entstehende Verbesserungsvorschläge<br />

über das jetzige Maß h<strong>in</strong>aus prämiert<br />

werden.<br />

Persönlichkeitsentwicklung<br />

Im Blickpunkt lagen persönliche Eigenschaften,<br />

die im beruflichen Umfeld für erfolgreiches Handeln<br />

ausschlaggebend s<strong>in</strong>d, wie z. B.<br />

— das Wertesystem, das wir <strong>in</strong> uns tragen,<br />

— unsere Überzeugungen,<br />

— die Tatkraft, die Energie, mit der wir agieren,<br />

— die Liebe zu unserer Arbeit aber auch<br />

— die Teamfähigkeit und die Kommunikation als<br />

Schlüssel zum anderen.<br />

Stellvertretend für die Vielzahl von Ergebnissen<br />

greife ich heraus, daß es Aufgabe der Vorgesetzten<br />

ist, die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter zu aktivieren,<br />

Leistungen zu fordern und positiv durch Lob zu verstärken,<br />

ihre Mitarbeiter nach Eignung und Neigung<br />

e<strong>in</strong>zusetzen. Es ist aber auch Aufgabe der Vorgesetzten,<br />

das eigenständige Denken ihrer Mitarbeiter<br />

zu fördern, anstatt »Mitschwimmer« zu protegieren.<br />

E<strong>in</strong> Schlußsatz aus dieser Gruppe lautete: »Wenn ich<br />

me<strong>in</strong>e Persönlichkeit optimal entwickeln könnte,<br />

dann hätte ich’s im Beruf und im Leben leichter«.<br />

Fazit<br />

Nach der genaueren Betrachtung der E<strong>in</strong>zelbauste<strong>in</strong>e<br />

waren die Teilnehmer des Arbeiskreises mehrheitlich<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

der Me<strong>in</strong>ung, daß die Notwendigkeit besteht, die <strong>in</strong><br />

unserer Verwaltung vorhandenen zaghaften Ansätze<br />

e<strong>in</strong>er Personalentwicklung neu zu überdenken, auszubauen<br />

und <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Gesamtkonzept zu <strong>in</strong>tegrieren.<br />

Spontan erklärten sich zehn Teilnehmer aus dem<br />

Arbeitskreis bereit, die Idee des Personalentwicklungskonzeptes<br />

aktiv weiterzutragen, dafür zu<br />

sorgen, daß Personalentwicklung <strong>in</strong> unserer Verwaltung<br />

im Gespräch bleibt. Diese zehn Teilnehmer<br />

werden sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Besprechung —<br />

die bereits vere<strong>in</strong>bart wurde — darüber austauschen,<br />

welche Personen <strong>in</strong> die Erstellung e<strong>in</strong>er Konzeption<br />

e<strong>in</strong>zubeziehen s<strong>in</strong>d und welche Vorbereitungsschritte<br />

nötig s<strong>in</strong>d, um mit der Konzepterstellung zu<br />

beg<strong>in</strong>nen.<br />

Ihre Aufgabe kann es aber nicht se<strong>in</strong>, dieses<br />

Personalentwicklungskonzept zu erstellen. Ausschlaggebend<br />

für die Umsetzung des Konzeptes ist,<br />

daß es sowohl von den Mitarbeitern als auch von<br />

der Führungsspitze unserer Verwaltung akzeptiert<br />

wird. Nur wenn beide Gruppen frühzeitig e<strong>in</strong>bezogen<br />

werden, bestehen berechtigte Aussichten, daß das<br />

Personalentwicklungskonzept ke<strong>in</strong> Papiertiger wird,<br />

sondern auch gelebt wird und damit der Mensch<br />

immer mehr an die Stelle rückt, die ihm gebührt:<br />

Der Mensch ist Mittelpunkt.<br />

Abschließend ist es mir e<strong>in</strong> Anliegen, der<br />

Moderator<strong>in</strong>, Frau Cornelia Reiff, und den Herren<br />

Moderatoren, Egon Ankenbrand, Rudolf Langmantl,<br />

Willi Perzl und Re<strong>in</strong>hard Reif, ganz herzlich für Ihren<br />

E<strong>in</strong>satz zu danken. Die Zusammenarbeit war für<br />

mich erfreulich und konstruktiv zugleich. Me<strong>in</strong> Dank<br />

gilt aber auch allen Teilnehmern des Arbeitskreises<br />

für die aktive und engagierte Mitarbeit und den<br />

Gastgebern für die perfekte Organisation.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

57


Günter Bschor<br />

Bericht über den Arbeitskreis 8:<br />

Unternehmenskultur<br />

Zum zweiten Mal nach 1992 <strong>in</strong> Bamberg beschäftigte<br />

sich e<strong>in</strong> Arbeitskreis mit unserer eigenen<br />

»Unternehmenskultur«.<br />

Wir bauten dabei nicht auf den sachlichen<br />

Erkenntnissen des Arbeitskreises von 1992 auf,<br />

sondern bearbeiteten neue Themen. Diese Ergebnisse<br />

wollen wir gewissermaßen als weitere Glieder e<strong>in</strong>er<br />

Stoffsammlung zum Thema »Unternehmenskultur«<br />

weitergeben. Dabei hoffen wir natürlich auf entsprechende<br />

Umsetzung der enthaltenen Visionen und<br />

Anregungen.<br />

Im Arbeitskreis 8 habe ich <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>leitung e<strong>in</strong>e<br />

Parallele zum Mittelalter gezogen:<br />

Damals pflegte sich jeder König e<strong>in</strong>en Hofnarren<br />

zu halten. Der Hofnarr hatte nicht<br />

nur die Aufgabe, den König mit Scherzen zu<br />

unterhalten. Er hatte außerdem die sprichwörtliche<br />

Narrenfreiheit, die ihn verpflichtete,<br />

die Politik des Königs scharf zu beobachten<br />

und — wenn auch mit dem berufseigenen<br />

Schalk im Nacken — massive Kritik zu<br />

äußern.<br />

In Zukunft wird wohl kaum mehr e<strong>in</strong> Unternehmen<br />

ohne e<strong>in</strong>en solchen Hofnarren auskommen,<br />

und der Arbeitskreis 8 hat am Dienstag e<strong>in</strong>en<br />

solchen für unser Unternehmen »Verwaltung für<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>« gespielt: Mit etwas weniger<br />

Schalk, dafür mit um so mehr Engagement.<br />

Gleich vorweg herzlichen Dank<br />

— an alle AK-Teilnehmer für ihren aktiven E<strong>in</strong>satz,<br />

— an unseren Fachreferenten, Herrn Dr. Norbert<br />

Hagemann der Firma Sietec Consult<strong>in</strong>g <strong>in</strong><br />

München<br />

— an die Moderator<strong>in</strong>nen und Moderatoren für die<br />

gute Vorbereitung und Durchführung der Moderation<br />

und an die Helfer im H<strong>in</strong>tergrund,<br />

— an die <strong>Ansbach</strong>er Kollegen für die gute Organisation<br />

(dieses Kompliment kann ich sicher auch<br />

im Namen der anderen Arbeitskreisleiter weitergeben).<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Fachreferat und Schwerpunkte<br />

Ins Thema führte uns Herr Dr. Hagemann mit se<strong>in</strong>em<br />

Fachreferat »Unternehmensstrategie und<br />

Unternehmenskultur — der Schlüssel zum Unternehmenserfolg«<br />

e<strong>in</strong>.<br />

In e<strong>in</strong>em Schaubild zeigte er u. a. auf, daß e<strong>in</strong><br />

Unternehmen dann erfolgreich wird, wenn das<br />

Leitbild des Unternehmens und die angestrebten<br />

Ziele mit der Strategie und den zugehörigen<br />

Elementen der Unternehmenskultur harmonieren.<br />

Die Unternehmenskultur wird im allgeme<strong>in</strong>en <strong>in</strong><br />

vier Ebenen e<strong>in</strong>geteilt:<br />

— Die Artefakte (die sichtbaren Ergebnisse und<br />

Produkte),<br />

— die Normen und Verhaltensweisen,<br />

— die Wertvorstellungen,<br />

— die Grundwerte bzw. das Weltbild.<br />

Aus e<strong>in</strong>er Vorauswahl von sechs Themen aus<br />

diesen vier Ebenen beschäftigte sich unser Arbeitskreis<br />

<strong>in</strong> jeweils zwei Kle<strong>in</strong>gruppen mit folgenden drei<br />

selbst gewählten Themen:<br />

● Aus dem Bereich der Artefakte die Identifikation,<br />

Market<strong>in</strong>g und Außenwirkung: Unsere Arbeit am<br />

Beispiel der gestalteten Landschaft.<br />

● Aus dem Bereich der Normen das Konflikt-, Informations-<br />

und Kooperationsverhalten <strong>in</strong> unserer<br />

Verwaltung.<br />

● Aus dem Bereich der Wertvorstellungen die E<strong>in</strong>stellung<br />

zu Innovationen und ihre Auswirkung<br />

auf unsere Arbeit.<br />

Aus der Fülle der Anregungen, Visionen und<br />

Umsetzungsvorschläge kann ich im Rahmen dieses<br />

Kurzberichtes nur e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Auszug wiedergeben.<br />

In e<strong>in</strong>er pragmatischen, ergebnisorientierten<br />

Diskussion <strong>in</strong> den Kle<strong>in</strong>gruppen und jeweils anschließend<br />

im Gesamt-AK stellten wir u. a. fest:<br />

1. Unsere Unternehmenskultur braucht zur <strong>Entwicklung</strong><br />

mehr Freiräume. Hierfür müssen wir vordr<strong>in</strong>glich<br />

e<strong>in</strong>e Überfrachtung von Arbeit<br />

(»Altlasten« wurden genannt) und Verfahren<br />

abbauen.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

59


2. Wir müssen e<strong>in</strong> partnerschaftlich entwickeltes<br />

Leitbild mit Außen-, und aus der Sicht des<br />

Arbeitskreises noch vordr<strong>in</strong>glicher mit Innenbezug,<br />

aufstellen bzw. <strong>in</strong> Teilbereichen fortschreiben.<br />

Dazu e<strong>in</strong>ige Schlagworte:<br />

— Mitarbeiter- und Teamorientierung s<strong>in</strong>d<br />

gefragt (z. B. sollten die Referentenbesprechungen<br />

an unserem M<strong>in</strong>isterium fortgesetzt werden).<br />

Interessanterweise wurde die Personalvertretung<br />

<strong>in</strong> den Gruppenberichten nicht angesprochen.<br />

— Mehr Streitkultur ist gefragt: Konflikte offen<br />

angehen und ansprechen (nicht nur auf Abteilungs-<br />

und Referatsebene).<br />

— E<strong>in</strong>e bessere Informationskultur ist gefragt: E<strong>in</strong><br />

offener Informationsaustausch zwischen den verschiedenen<br />

Ebenen; e<strong>in</strong>e bessere Nutzung der<br />

Möglichkeiten unserer Bildschirmarbeitsplätze <strong>in</strong><br />

den Abteilungen, Referaten und Gruppen im<br />

Informationsbereich.<br />

— E<strong>in</strong> dynamisches Angehen unserer Aufgabe als<br />

Dienstleistungsunternehmen <strong>in</strong> Partnerschaft mit<br />

unseren Kunden.<br />

3. E<strong>in</strong>en weiteren Schwerpunkt bildete die<br />

Leistungsorientierung.<br />

Dazu wieder e<strong>in</strong>ige Schlagworte:<br />

— »Leistung« bedarf dr<strong>in</strong>gend der Def<strong>in</strong>ition;<br />

Anforderungsprofile bzw. Leistungskriterien müssen<br />

hierfür aufgestellt werden. U. a. wurde auch<br />

die Rotation von Führungskräften bzw. deren<br />

Wahlmöglichkeit diskutiert.<br />

— E<strong>in</strong> Stichwort fiel <strong>in</strong> fast allen Diskussionen: Der<br />

»Perfektionismus« <strong>in</strong> unserer Verwaltung (und im<br />

übrigen wohl Schicksal jeder Verwaltung im Laufe<br />

der Zeit). Mehr Mut zu Fehlern ist angesagt und<br />

Vere<strong>in</strong>fachung von Vorschriften bzw. Abläufen,<br />

Orientierungshilfen geben statt Vorschriften<br />

(Negativbeispiele dazu: UVP, Planfeststellungsrichtl<strong>in</strong>ien).<br />

— Weiterh<strong>in</strong>: Innovationen fördern – <strong>in</strong>tern und<br />

extern –, u. a. durch mehr Transparenz und<br />

Motivationsarbeit. E<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition der Anforderungen<br />

an unsere Produkte ersche<strong>in</strong>t vordr<strong>in</strong>glich:<br />

Für unser Unternehmen und auch unsere<br />

Kunden — vor allem Bürger und Geme<strong>in</strong>den.<br />

— Mehr Anreize <strong>in</strong>nerhalb der Verwaltung schaffen<br />

(Arbeitsklima, Belobigungen).<br />

Unternehmenskultur<br />

Ergebnisse (Auszug):<br />

1. Freiräume<br />

– Überfrachtung abbauen<br />

2. Leitbild<br />

– partnerschaftlicher Innenbezug<br />

– partnerschaftlicher Außenbezug<br />

3. Leistungsorientierung<br />

Unser Arbeitskreis 8 — es waren <strong>in</strong>sgesamt 42<br />

Teilnehmer e<strong>in</strong>schließlich der Moderatoren, darunter<br />

außer Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen unserer Verwaltung<br />

und dem Fachreferenten e<strong>in</strong> Gast aus Holland vom<br />

dortigen Landwirtschaftsm<strong>in</strong>isterium, e<strong>in</strong>e Vertreter<strong>in</strong><br />

der ÖTV sowie e<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong> aus der Landwirtschaftsabteilung<br />

der Regierung von Mittelfranken —<br />

beauftragte mich als AK-Leiter, außer dieser Kurzfassung<br />

auch e<strong>in</strong>e Langfassung unserer Ergebnisse<br />

zur Weitergabe an unser M<strong>in</strong>isterium zu fertigen.<br />

Ich gehe diese Aufgabe gerne an.<br />

60 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Marianne Deml<br />

Hilfe zur Selbsthilfe — <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> mit den<br />

Menschen für die Menschen<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, wir s<strong>in</strong>d fast am Ende<br />

e<strong>in</strong>er Veranstaltung, die sich vier Tage lang <strong>in</strong>tensiv<br />

mit dem ländlichen Raum befaßt hat. Die große<br />

Anzahl von 850 Teilnehmern, darunter die vielen<br />

außerbayerischen und ausländischen Gäste zeigen<br />

das zentrale Interesse an den ländlichen Räumen<br />

und ihrer notwendigen Weiterentwicklung e<strong>in</strong>drucksvoll<br />

auf.<br />

E<strong>in</strong>e, wenn nicht gar die Erklärung dafür gibt das<br />

neueste Gutachten <strong>1994</strong> des Sachverständigenrates<br />

für Umweltfragen der Bundesregierung. Der Rat<br />

führt dar<strong>in</strong> direkt zum Thema:<br />

»Durch die Rio-Konferenz der Vere<strong>in</strong>ten Nationen<br />

im Juni 1992 ist die umfassende politische Zielbestimmung<br />

»susta<strong>in</strong>able development« (entspricht<br />

nachhaltiger <strong>Entwicklung</strong>) als wegweisende Programmatik<br />

für die Bewältigung der geme<strong>in</strong>samen<br />

Zukunft der Menschheit für die <strong>in</strong>ternationale Völkergeme<strong>in</strong>schaft<br />

verb<strong>in</strong>dlich geworden. Mit diesem<br />

Leitbegriff wird kenntlich gemacht, daß ökonomische,<br />

ökologische und soziale <strong>Entwicklung</strong> notwendig<br />

als e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere E<strong>in</strong>heit zu sehen s<strong>in</strong>d.« Wenig<br />

später heißt es noch deutlicher: Der entscheidende<br />

Erkenntnisfortschritt, der mit dem Nachhaltigkeits-<br />

Konzept erreicht worden ist, liegt <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>sicht, daß<br />

ökonomische, ökologische und soziale <strong>Entwicklung</strong><br />

nicht vone<strong>in</strong>ander abgespalten und gegene<strong>in</strong>ander<br />

ausgespielt werden dürfen.<br />

Nun könnte man entgegenhalten, daß die<br />

<strong>Entwicklung</strong> bisher <strong>in</strong> weiten Bereichen genau umgekehrt<br />

verlaufen ist und noch vielfach verläuft: Wir<br />

leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit kaum dagewesenen materialistischen<br />

Denkens, wo z. B. das monetäre E<strong>in</strong>kommen<br />

mit zum wichtigsten Wertmaßstab überhaupt geworden<br />

ist.. Ökologische Gefahren und Erfordernisse<br />

werden zwar breit diskutiert, aber zwischen den<br />

Ansprüchen und Erwartungen an Gesellschaft und<br />

Politik e<strong>in</strong>erseits und dem persönlichen Verhalten<br />

andererseits besteht vielfach e<strong>in</strong>e große Diskrepanz.<br />

Die sozialen B<strong>in</strong>dungen <strong>in</strong> der Gesellschaft brechen<br />

immer mehr auf. Jeder von uns spürt e<strong>in</strong>e<br />

grundlegende Veränderung der Prioritäten der<br />

Werte. Selbstentfaltungswerte erhalten zunehmend<br />

mehr Gewicht für die Lebensorientierung, die<br />

Lebensrisiken und der soziale Bereich werden aber<br />

kollektiviert.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Gleichwohl haben wir gerade <strong>in</strong> Deutschland, <strong>in</strong><br />

Bayern noch gute Chancen, zu e<strong>in</strong>er solchen <strong>Entwicklung</strong>,<br />

wie sie im Sachverständigengutachten als<br />

Überlebensweg gefordert wird, zu kommen. Wir<br />

besitzen e<strong>in</strong> reiches und hochentwickeltes technisches<br />

Know how (z. B. im Bereich Umwelttechnik)<br />

und e<strong>in</strong>e entsprechende ökonomische Leistungskraft.<br />

Zudem ist e<strong>in</strong> Bewußtse<strong>in</strong>swandel unübersehbar<br />

geworden.<br />

Gerade der ländliche Raum kann und muß vielleicht<br />

sogar dabei Pionierfunktion übernehmen. Hier<br />

liegen e<strong>in</strong>deutig die besseren Voraussetzungen zu<br />

e<strong>in</strong>er <strong>Entwicklung</strong>, welche unter der Berücksichtigung<br />

ökonomischer, ökologischer und sozial-kultureller<br />

Aspekte auf Nachhaltigkeit und E<strong>in</strong>klang mit<br />

der Natur angelegt ist.<br />

<strong>Ländliche</strong>r Raum — dieser viel benutzte und doch<br />

irgendwie abstrakte Begriff beschreibt nämlich etwa<br />

80 % der Fläche Bayerns. Er ist Heimat für mehr als<br />

50 % der Bevölkerung. Doch damit nicht genug:<br />

In diesem ländlichen Raum verlaufen sämtliche<br />

Verb<strong>in</strong>dungswege zwischen den Städten, dort<br />

werden die Nahrungsmittel produziert, von dort<br />

Schlußveranstaltung<br />

61


kommt das Tr<strong>in</strong>kwasser, und dort entsteht der<br />

Sauerstoff. Darüber h<strong>in</strong>aus hat der ländliche Raum<br />

<strong>in</strong>teressanterweise <strong>in</strong> den letzten Jahren wieder an<br />

Zugkraft gewonnen. Nach e<strong>in</strong>er Langzeitstudie des<br />

Instituts für Demoskopie Allensbach wollen heute<br />

deutlich mehr Menschen im ländlichen Raum leben<br />

als z. B. 1970.<br />

Ich komme aus dem ländlichen Raum, mich überrascht<br />

dies nicht. In e<strong>in</strong>er Zeit, wo bewährte Strukturen<br />

starken Änderungen unterworfen s<strong>in</strong>d oder<br />

gleich ganz aufgelöst werden, wo hedonistischen<br />

Werten wie Genuß und egoistischer Selbstverwirklichung<br />

mit der Folge <strong>in</strong>nerer S<strong>in</strong>nleere immer<br />

höhere Bedeutung zugemessen wird, gibt es naturgemäß<br />

auch e<strong>in</strong>e starke Umkehrreaktion.<br />

Der Wunsch nach Orientierung, Heimat und<br />

Geborgenheit sowie unverfälschter Natur wird —<br />

vor allem auch seitens der nichtländlichen Bevölkerung<br />

— lauter. Zum Wesen des ländlichen Raums<br />

gehört nämlich neben der genannten ökonomischmateriellen<br />

noch e<strong>in</strong>e ganz andere Seite: Die immaterielle,<br />

geistig-kulturelle, die Gefühle ansprechende<br />

Seite. Für sehr viele Menschen steht der ländliche<br />

Raum für Begriffe wie Harmonie, Nachbarschaft,<br />

Geme<strong>in</strong>schaft, Zufriedenheit, Wärme, Identität.<br />

Dies mag mit Er<strong>in</strong>nerungen an e<strong>in</strong>e glückliche<br />

K<strong>in</strong>dheit zusammenhängen; es kann aber auch<br />

Ausdruck der gesellschaftlichen Krise der Städte<br />

se<strong>in</strong>; Ausdruck der Sehnsucht der Menschen. Doch<br />

der ländliche Raum ist ke<strong>in</strong>e heile Welt, sondern<br />

hat — trotz unverkennbar großer Fortschritte gerade<br />

<strong>in</strong> Bayern — mit großen Problemen zu kämpfen<br />

und bedarf weiterer Unterstützung.<br />

Kommissions-Präsident Jaques Delors wurde kürzlich<br />

mit den Worten zitiert: »Die Sicherung des<br />

ländlichen Raums ist e<strong>in</strong>es der lebenswichtigen<br />

Themen für die Zukunft unserer Gesellschaft«.<br />

Noch deutlicher wurde se<strong>in</strong> französischer Landsmann<br />

Edgar Faure, als er ebenso plastisch wie<br />

drastisch formulierte: »Wenn das Land nicht mehr<br />

atmet, ersticken die Städte«.<br />

Die Pflege und <strong>Entwicklung</strong> dieser Räume ist also<br />

von großer Bedeutung für <strong>Stadt</strong> und Land, wie ja<br />

auch das Motto der Tagung richtigerweise gewählt<br />

worden ist.<br />

Diese große Aufgabe kann auf Dauer weder alle<strong>in</strong><br />

von außen noch alle<strong>in</strong> von <strong>in</strong>nen heraus bewältigt<br />

werden. Die Hauptlast haben gleichwohl die Menschen<br />

im ländlichen Raum selbst zu tragen. Dies<br />

werden sie nur dann gerne tun und tun können,<br />

wenn sie dabei auch mitwirken und mitentscheiden<br />

können.<br />

In kle<strong>in</strong>en überschaubaren Lebensbereichen kann<br />

Demokratie <strong>in</strong> besonderem Maße gelebt und erlebt<br />

werden. Damit sie gute Entscheidungen treffen können,<br />

müssen die Menschen darauf vorbereitet se<strong>in</strong>.<br />

Dafür müssen Hilfe und Unterstützung von außen<br />

kommen.<br />

Hilfe zur Selbsthilfe muß mit Leben erfüllt<br />

werden<br />

Bei der Überlegung, was der Mensch im ländlichen<br />

Raum braucht, wo Unterstützung notwendig<br />

ersche<strong>in</strong>t, müssen wir die Bedürfnisse der Menschen<br />

unter den speziellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen der ländlichen<br />

Gebiete kennen.<br />

Längst wissen wir, daß Zufriedenheit der Menschen<br />

sich nicht alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> materiellem Besitz und<br />

Genuß gründet. Bei der <strong>Fachtagung</strong> der Bayerischen<br />

Flurbere<strong>in</strong>igungsverwaltung 1990 <strong>in</strong> Passau brachte<br />

der Schweizer Agrarsoziologe Theodor Abt dieses<br />

Problem auf den Punkt: Es geht um Speck und<br />

Blume. Der Mensch muß materiell die Möglichkeiten<br />

haben, im ländlichen Raum leben und arbeiten zu<br />

können, und er muß e<strong>in</strong> menschliches, e<strong>in</strong> soziales<br />

Umfeld vorf<strong>in</strong>den, um dort ausgeglichen und <strong>in</strong><br />

Harmonie zu leben.<br />

Zu ersterem zähle ich z. B.<br />

— qualifizierte Arbeitsplätze <strong>in</strong> Wohnortnähe,<br />

— ausreichende Infrastruktur,<br />

— menschenwürdige Wohnverhältnisse.<br />

Beim zweiten denke ich an Faktoren wie<br />

— soziale Dorfgeme<strong>in</strong>schaft,<br />

— zwischenmenschliche Kommunikation und<br />

Hilfen,<br />

— E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> Natur und Landschaft; manche<br />

sprechen gar von ›Seelenlandschaften‹ und<br />

me<strong>in</strong>en damit, daß der Mensch <strong>in</strong> geistig-seelischer<br />

Harmonie mit der Landschaft leben können<br />

muß.<br />

Dies ist ja auch der Grund dafür, daß es so viele<br />

Menschen h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> die Dörfer und Landschaften<br />

zieht, ob auf Dauer oder nur zeitweise im Urlaub<br />

oder am Wochenende.<br />

E<strong>in</strong> weiteres: Nirgendwo mehr als im ländlichen<br />

Raum s<strong>in</strong>d die Chance und Verpflichtung zur Selbsthilfe,<br />

zur Eigen<strong>in</strong>itiative gegeben. Dieses Pr<strong>in</strong>zip fand<br />

bekanntlich nach frühen Vorläufern im Mittelalter<br />

se<strong>in</strong>e klassische Formulierung <strong>in</strong> der päpstlichen<br />

Enzyklika »Quadragesimo anno« vom 15. Mai 1931.<br />

Ich darf sie kurz <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung rufen:<br />

62 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


»Es muß allzeit unverrückbar jener oberste sozialphilosophische<br />

Grundsatz festgehalten werden, an<br />

dem nicht zu rütteln noch zu deuteln ist: Wie dasjenige,<br />

was der E<strong>in</strong>zelmensch aus eigener Initiative<br />

und mit se<strong>in</strong>en eigenen Kräften leisten kann, ihm<br />

nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen<br />

werden darf, so verstößt es gegen die<br />

Gerechtigkeit, das, was die kle<strong>in</strong>eren und untergeordneten<br />

Geme<strong>in</strong>wesen leisten und zum guten Ende<br />

führen können, für die weitere und übergeordnete<br />

Geme<strong>in</strong>schaft <strong>in</strong> Anspruch zu nehmen«.<br />

Daß das Pochen auf dieses Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip<br />

nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten mit sich<br />

br<strong>in</strong>gt, möchte ich nachfolgend am Beispiel der<br />

<strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> deutlich machen. Das ist ja<br />

auch <strong>in</strong> der Formulierung me<strong>in</strong>es Themas »Mit den<br />

Menschen für die Menschen« enthalten.<br />

Der ländliche Raum kann so e<strong>in</strong>en überzeugenden<br />

Anspruch auf das Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip geltend<br />

machen. Die nächstkle<strong>in</strong>e gesellschaftliche E<strong>in</strong>heit<br />

nach dem Individuum ist die Familie; sie ist nach wie<br />

vor die Keimzelle des Staates, und sie ist im ländlichen<br />

Raum noch bei weitem häufiger anzutreffen<br />

als <strong>in</strong> der <strong>Stadt</strong>. Dies gilt es zu nutzen und zu<br />

fördern.<br />

Die bayerische Politik unterstützt seit jeher die<br />

Familien <strong>in</strong> besonderem Maße, weil <strong>in</strong>takte Familien<br />

für die Zukunft e<strong>in</strong>er Gesellschaft unersetzlich<br />

s<strong>in</strong>d. Bayern gewährt deshalb auch Landeserziehungsgeld.<br />

Familien vermitteln menschliche Wärme,<br />

Ganzheit und Lebendigkeit <strong>in</strong> unserer kühler gewordenen<br />

und segmentierten Welt. Sie leisten e<strong>in</strong>en<br />

unbezahlbaren Sozialbeitrag im Zusammenleben der<br />

Generationen. Der Unterstützung und Stärkung<br />

bedarf aber auch die dörfliche Geme<strong>in</strong>schaft, um<br />

möglichst viele Aufgaben selbst erledigen zu können.<br />

Hilfe von außen schließlich muß dort kommen,<br />

wo die Familie, die Dorfgeme<strong>in</strong>schaft, die Geme<strong>in</strong>de<br />

überfordert s<strong>in</strong>d. Diese Hilfe muß vor allem die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

schaffen, die es den Menschen<br />

ermöglichen aus eigener Kraft die weitere Zukunft<br />

zu meistern.<br />

Es sollte aber auch e<strong>in</strong>e Hilfe se<strong>in</strong>, welche die<br />

Menschen zusammenführt. Menschen, die gut mite<strong>in</strong>ander<br />

leben sollen, müssen vor allem mite<strong>in</strong>ander<br />

reden, mite<strong>in</strong>ander handeln und sich gegenseitig<br />

helfen. Dann erst können gelebte Nachbarschaft und<br />

Nachbarschaftshilfe entstehen.<br />

Ich sage ganz deutlich:<br />

Gerade im ländlichen Raum bestehen hervorragende<br />

Chancen für e<strong>in</strong>e ganzheitliche, auch<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

sozialen Aspekten entsprechende <strong>Entwicklung</strong>,<br />

wie sie die Rio-Konferenz gefordert hat.<br />

Ganzheitliche <strong>Entwicklung</strong>: nichts anderes auch<br />

will die bayerische Form der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>in</strong> Dorf und Flur. Sie besitzt e<strong>in</strong>en wesentlichen Vorteil:<br />

Das über 70 Jahre alte Genossenschaftspr<strong>in</strong>zip<br />

gewährt die Chance zur Selbsthilfe und Selbstbestimmung<br />

und entspricht <strong>in</strong> vielem dem christlichen<br />

Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip. Der lokale Bezug, der direkte<br />

Kontakt von Mensch zu Mensch s<strong>in</strong>d ebenso gegeben<br />

wie Hilfe von außen. Es ist eigentlich nur darauf<br />

zu achten, daß von außen z. B. seitens der Behörden<br />

zwar Hilfestellung, aber nicht zuviel Dom<strong>in</strong>anz bei<br />

Planung, Diskussion und Realisierung e<strong>in</strong>fließt.<br />

Subsidiarität und Dezentralisierung s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der<br />

bayerischen Flurbere<strong>in</strong>igung schon lang geübte<br />

Praxis, sozusagen Tradition, be<strong>in</strong>ahe hätte ich gesagt<br />

»guter Brauch«.<br />

Ich möchte dies noch etwas konkretisieren:<br />

Zu den Mitwirkenden bei der »Menschen-<br />

Initiative Dorf- und Landentwicklung«<br />

Dem Vorstand der Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaft<br />

kommt <strong>in</strong> Bayern e<strong>in</strong>e besonders gewichtige Rolle<br />

zu. Ich habe die Flurbere<strong>in</strong>igung zu Hause selbst<br />

erlebt und weiß deshalb, wie wichtig es ist, daß dieser<br />

Vorstand richtig zusammengesetzt und dessen<br />

Wahl gut vorbereitet ist. Dazu <strong>dient</strong> e<strong>in</strong>e breite<br />

Information der wahlberechtigten Grundstückseigentümer<br />

sowie aller wählbaren Bürger über die<br />

Möglichkeiten von Dorferneuerung und Flurentwicklung<br />

sowie die Aufgaben des Vorstands dabei.<br />

Leider s<strong>in</strong>d nach wie vor zu wenig Frauen <strong>in</strong> den<br />

Vorständen der Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaften. Die<br />

Ursachen hierfür s<strong>in</strong>d vielfältig. Wir sollten daran<br />

arbeiten, daß sich der Anteil der Frauen erhöht.<br />

Denn: Frauen verbr<strong>in</strong>gen doch deutlich mehr Zeit im<br />

Dorf als die Männer, sie kennen die Probleme besser<br />

als die Männer! Sie s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihren Rollen als Betriebsund<br />

Haushaltsführer<strong>in</strong>, als Mutter und oft Pfleger<strong>in</strong><br />

der alten Generation besonders von Mängeln im<br />

Dorf betroffen; sie s<strong>in</strong>d von ihrer sozialen Kompetenz<br />

her hochqualifiziert, ihre Me<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> die<br />

Diskussionsprozesse e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen.<br />

Es kann doch nicht se<strong>in</strong>, daß immer mehr pendelnde<br />

Männer sich für e<strong>in</strong>e Vorstandssitzung erst<br />

mühsam von der Arbeit fre<strong>in</strong>ehmen müssen,<br />

während ihre Ehefrauen ohneh<strong>in</strong> im Dorf und am<br />

Hof s<strong>in</strong>d. Ich b<strong>in</strong> sicher, die allermeisten Vorstände<br />

würden durch Frauen auch erheblich an Menschlichkeit<br />

und »alltagspraktischer Klugheit« gew<strong>in</strong>nen.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

63


Teilnehmer an e<strong>in</strong>em Verfahren s<strong>in</strong>d bekanntlich<br />

alle Grundstückseigentümer. Sie bilden die sogenannte<br />

Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaft. Eigentum ist e<strong>in</strong><br />

hohes Gut. Es muß jeden Grundeigentümer <strong>in</strong>teressieren,<br />

was mit und auf se<strong>in</strong>em Grund und Boden<br />

geschieht. Die Grundeigentümer sollten daher frühzeitig,<br />

<strong>in</strong> die Vorbereitungs- und Planungsphase e<strong>in</strong>bezogen<br />

werden. Gleiches gilt für die Realisierung.<br />

Dadurch läßt sich beizeiten mancher Ärger vermeiden;<br />

zudem entstehen Identifikation und Verantwortung<br />

für Projekte nur dann, wenn die Menschen<br />

umfassend mitgewirkt haben, auf das Erreichte stolz<br />

se<strong>in</strong> können. (»Du bist zeitlebens für das verantwortlich,<br />

was Du Dir vertraut gemacht hast«)<br />

Bei der Neue<strong>in</strong>teilung des Grundbesitzes ist die<br />

Beteiligung der Grundeigentümer ohneh<strong>in</strong> gesetzlich<br />

geregelt. In letzter Zeit gehen die Vorstände immer<br />

mehr dazu über, E<strong>in</strong>vernehmen durch freiwillige<br />

Lösungen zu erzielen. Ich begrüße das sehr — es<br />

hilft die Akzeptanz der so wichtigen wie schwierigen<br />

Aufgabe der Neuordnung der Grundstücke zu<br />

erhöhen.<br />

Viele Maßnahmen <strong>in</strong> Dorf und umgebender Flur<br />

berühren die Interessen aller. Neue bzw. verbesserte<br />

Verkehrswege oder Freizeite<strong>in</strong>richtungen werden<br />

z. B. von allen genutzt. Es sollten daher nicht nur<br />

die Grundeigentümer, sondern alle Bürger im<br />

Dorf <strong>in</strong>formiert und zur Mitarbeit animiert werden.<br />

Dem viel zitierten Verlust an Solidarität, den<br />

wachsenden Vere<strong>in</strong>samungen und dem entstehenden<br />

Frust kann hier Positives entgegengesetzt werden:<br />

Aufruf und reichlich gebotene Gelegenheit zur<br />

aktiven Mitarbeit.<br />

Dazu müssen die Dorfbewohner bereit se<strong>in</strong>, dazu<br />

müssen aber auch die leitenden Personen, die Bürgermeister<br />

und Angehörigen der Verwaltung ihren<br />

Teil beitragen; sie müssen diese Mitarbeit wollen und<br />

e<strong>in</strong>fordern. Die gewonnene Ideenvielfalt wird alle<br />

Mühen rechtfertigen.<br />

Die E<strong>in</strong>beziehung aller Bürger ist zudem e<strong>in</strong>e<br />

große Chance, daß die Menschen wirklich zue<strong>in</strong>ander<br />

f<strong>in</strong>den. Wenn Landwirt und Handwerker, alte<strong>in</strong>gesessene<br />

Dorfbewohner und Neubürger sich geme<strong>in</strong>sam<br />

der Probleme annehmen und mite<strong>in</strong>ander<br />

nach Lösungen suchen, werden sie diese später<br />

auch geme<strong>in</strong>sam tragen und umsetzen wollen. Das<br />

gegenseitige Verständnis steigt. Der Wert der bäuerlichen<br />

Kultur kann so neue Akzeptanz erfahren; und<br />

die Leistung der bäuerlichen Familien für den geme<strong>in</strong>samen<br />

Lebens- und Heimatraum gelangt stärker<br />

<strong>in</strong> das allgeme<strong>in</strong>e Bewußtse<strong>in</strong>.<br />

Der Kirche und ihren Organisationen kommt bei<br />

der Förderung dieser neuen Planungs- und Kommunikationskultur<br />

e<strong>in</strong>e bedeutende Rolle zu. Das<br />

Gedankengut der christlichen Soziallehre sollte gerade<br />

bei der Ause<strong>in</strong>andersetzung der Menschen mit<br />

ihrem Lebensraum stärker e<strong>in</strong>fließen. Ich kann aus<br />

eigener langjähriger Erfahrung nur wärmstens empfehlen,<br />

die Potentiale der kirchlichen Kreise zu nutzen.<br />

Auch hierbei gibt es e<strong>in</strong>e Hol- und e<strong>in</strong>e Br<strong>in</strong>gschuld.<br />

Die Mithilfe der Kirche für die Menschen<br />

muß nachgefragt werden; die Vertreter der kirchlichen<br />

Seite müssen dazu aber auch bereit se<strong>in</strong>.<br />

Information, Bildung und Motivation für die<br />

Menschen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Gebot der Stunde<br />

Ich habe von Hilfe zur Selbsthilfe gesprochen: Um<br />

sich selber helfen, d. h. um mitreden und mitbestimmen<br />

zu können, muß e<strong>in</strong>em zuvor geholfen werden,d.<br />

h. es muß dafür gesorgt werden, daß man<br />

<strong>in</strong>formiert ist, entsprechende Kenntnisse besitzt und<br />

auch mitmachen will, also motiviert ist. Diese Hilfe<br />

kostet Zeit; aber es ist e<strong>in</strong>e gut <strong>in</strong>vestierte Zeit. Ich<br />

halte die Vorbereitungsarbeiten z. B. bei der Dorferneuerung<br />

für ausgesprochen nützlich und hilfreich.<br />

Besonders das erfolgreiche Wirken der<br />

Schulen der Dorf- und Landentwicklung ist hier<br />

hervorzuheben. Ich freue mich, daß auch <strong>in</strong> anderen<br />

Bundesländern solche Schulen gegründet wurden<br />

bzw. werden sollen. Sie vermitteln das wichtige<br />

geistige und technisch-planerische Rüstzeug für<br />

Dorferneuerung und Flurentwicklung. Mehr gefordert<br />

s<strong>in</strong>d hier auch die Landvolkshochschulen.<br />

Ich wünsche mir auch bei Flurentwicklungsverfahren<br />

e<strong>in</strong>e ähnlich <strong>in</strong>tensive Vorbereitung; auch für<br />

die künftige Landnutzung und Flurgestaltung brauchen<br />

wir geme<strong>in</strong>sam erarbeitete Leitgedanken. Dort<br />

s<strong>in</strong>d die Veränderungen am Eigentum eher noch<br />

stärker gegeben, dort gibt es auch mehr Beschwerdefälle,<br />

die vielfach auf Unwissenheit basieren.<br />

Männer, Frauen, Alt und Jung — alle brauchen<br />

Fürsorge und Mitsprache<br />

Die Dorferneuerung hat e<strong>in</strong>en ganzheitlichen<br />

Ansatz. Damit me<strong>in</strong>en wir nicht nur den Lebensraum,<br />

sondern auch den Menschen <strong>in</strong> all se<strong>in</strong>en Lebensphasen<br />

und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em vielfältigen Wirken, sei es <strong>in</strong><br />

der Arbeit, auf sozialem Gebiet oder im kulturellen<br />

Bereich. Im Weltjahr der Familie möchte ich diese<br />

Ganzheitlichkeit zuallererst auf die Menschen angewendet<br />

wissen.<br />

64 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Vor allem die Frauen bilden, wie bereits erwähnt,<br />

das Rückgrat e<strong>in</strong>er Dorfgeme<strong>in</strong>schaft. Sie leisten den<br />

Großteil der Hausarbeit, sie s<strong>in</strong>d z. B. bei Nebenerwerbslandwirten<br />

meist die Leistungsträger des<br />

Hofes, ebenso bei zusätzlichen E<strong>in</strong>kommenszweigen<br />

wie Urlaub auf dem Bauernhof, Direktvermarktung<br />

oder ähnlichem. Sie pflegen häufig alte und pflegebedürftige<br />

Familienangehörige und s<strong>in</strong>d vielfach<br />

ehrenamtlich tätig.<br />

Die Bayerische Staatsregierung hat das Jahr <strong>1994</strong><br />

zum Jahr des Ehrenamtes erklärt. Für uns hat die<br />

freiwillige unentgeltliche Arbeit vieler e<strong>in</strong>zelner<br />

für andere Menschen oder Gruppen e<strong>in</strong>e hohe<br />

gesellschaftspolitische Bedeutung. Gerade das<br />

Lebensfeld Dorf wird durch den selbstlosen und<br />

engagierten E<strong>in</strong>satz von Frauen und Männern<br />

gestaltet. Aber gerade Frauen können aus dem täglichen<br />

Erleben heraus sagen, wo im Dorf oder <strong>in</strong> der<br />

Flur der Schuh drückt; es ist, wie erwähnt, e<strong>in</strong> wichtiges<br />

politisches Ziel von mir, die Frauen aufzurufen,<br />

auch bei Projekten der Dorferneuerung und Flurentwicklung<br />

noch aktiver mitzuwirken. Hier an dieser<br />

Stelle möchte ich jedoch Sie, me<strong>in</strong>e Damen und<br />

Herren von der Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>,<br />

auffordern, dabei offen zu se<strong>in</strong>, noch mehr auf<br />

das zu achten, was Frauen speziell aus ihrer Sicht<br />

e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen und deren Anliegen auch wirklich ernst<br />

zu nehmen.<br />

Auch die Erfahrung der Senioren, der alten<br />

Menschen sollte noch stärker genutzt werden. Im<br />

ländlichen Raum, im Dorf, leben <strong>in</strong> den Familien ja <strong>in</strong><br />

der Regel noch mehrere Generationen zusammen.<br />

Die Erfahrung und das Wissen der älteren Menschen<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> unwiederbr<strong>in</strong>gliches Kapital. Die Fragen,<br />

warum etwas früher so und nicht anders war oder<br />

gemacht worden ist, können nur von dieser Generation<br />

authentisch beantwortet werden. Die Berücksichtigung<br />

differenzierter sozialer Verhältnisse und<br />

der Brückenschlag von Ökonomie zur Ökologie wurden<br />

früher oft bewundernswert gut beachtet. Bei der<br />

Suche nach e<strong>in</strong>er nachhaltigen ländlichen <strong>Entwicklung</strong>,<br />

welche die ökonomischen, ökologischen und<br />

sozialen Belange zusammenführt, sollten wir deshalb<br />

öfters »Spurensuche« bei unseren alten Mitbürgern<br />

betreiben.<br />

Genauso wichtig ist die E<strong>in</strong>beziehung der K<strong>in</strong>der.<br />

Hier gibt es erfreuliche Ansätze, wenn ich nur an die<br />

neueste Broschüre »Unterrichtsmaterialien zur <strong>Ländliche</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong>« zum Thema »Unsere Heimat:<br />

Dorf und Landschaft« denke, welche <strong>in</strong> Zusammenarbeit<br />

unserer Verwaltung mit der Akademie für<br />

Lehrerfortbildung Dill<strong>in</strong>gen erstellt worden ist. Ich<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

weiß, wie viele weitere bewundernswerte Aktionen<br />

Sie, me<strong>in</strong>e lieben Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter,<br />

mit K<strong>in</strong>dern und Schülern unternehmen. Dafür<br />

danke ich Ihnen sehr herzlich. Unsere K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d<br />

unsere Zukunft. Wenn wir K<strong>in</strong>der für unsere Aufgabe<br />

gew<strong>in</strong>nen, gew<strong>in</strong>nen wir die Zukunft für die Dörfer!<br />

Bürgermeister, Geme<strong>in</strong>deräte, Planer und<br />

Berater<br />

Auf die wichtigen Säulen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong>,<br />

die Bürgermeister, Geme<strong>in</strong>deräte, kommunalen<br />

Verwaltungsangehörigen sowie die freien<br />

Planer und Berater möchte ich nur kurz e<strong>in</strong>gehen.<br />

Sie wissen, daß sie für die Menschen da s<strong>in</strong>d und<br />

nicht umgekehrt. Es gilt zu überzeugen und nicht zu<br />

überreden. Ergebnisse werden nur dann wirklich<br />

Bestand haben, wenn sie <strong>in</strong> offener und gleichberechtigter<br />

Zusammenarbeit erreicht worden s<strong>in</strong>d.<br />

Nötig s<strong>in</strong>d dabei Eigenschaften, wie sie von Moderatoren<br />

verlangt werden, nämlich die Eigenkräfte des<br />

Dorfes wecken und aktivieren zu können.<br />

Der Mensch »Mitarbeiter<strong>in</strong> und Mitarbeiter«<br />

braucht auch Zukunft und Lebenschancen<br />

Bisher g<strong>in</strong>g es um die uns anvertrauten Menschen<br />

vor Ort, <strong>in</strong> den Dörfern. E<strong>in</strong>e sozialgerechte nachhaltige<br />

<strong>Entwicklung</strong> kann aber nur gel<strong>in</strong>gen, wenn Sie<br />

diesen Menschen als Mitmensch begegnen und entgegenkommen.<br />

E<strong>in</strong>e gute Beziehung zwischen Ihnen<br />

und den Menschen draußen ist von ausschlaggebender<br />

Bedeutung. So wie Sie mit den Menschen sprechen,<br />

auf sie e<strong>in</strong>gehen und reagieren, so werden es<br />

Ihnen diese durch Aufgeschlossenheit, Eigen<strong>in</strong>itiative<br />

und Vertrauen danken. In den letzten Jahren haben<br />

Sie e<strong>in</strong> bewundernswertes Engagement an Bürgernähe<br />

und Transparenz des Handelns gezeigt; dafür<br />

danke ich Ihnen sehr herzlich.<br />

Soeben haben wir aus den Berichten der Arbeitskreisleiter<br />

gehört, woh<strong>in</strong> die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

steuert, welche zusätzlichen Anforderungen und<br />

Qualifikationen dabei auch Ihnen und Ihrer Verwaltung<br />

abverlangt werden müssen. Lassen Sie mich <strong>in</strong><br />

diesem Kontext mit fünf Feststellungen und Bitten<br />

schließen, die ich an Sie als die Führungskräfte der<br />

Verwaltung richten möchte:<br />

1. Unser geme<strong>in</strong>samer Freund Monsignore<br />

Dr. Walter Friedberger gibt den ethischen Rahmen<br />

für unser Handeln <strong>in</strong> der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

vor: Die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> hat zum Ziel, daß<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

65


Menschen ihre Lebenschancen f<strong>in</strong>den. Lebenschancen<br />

f<strong>in</strong>den darf nicht nur für die von Ihnen<br />

betreuten Menschen, sondern muß auch für Sie<br />

selbst gelten. Der Schirmherr dieser Tagung,<br />

M<strong>in</strong>isterpräsident Dr. Stoiber, besche<strong>in</strong>igt der<br />

<strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong>, daß sie e<strong>in</strong>e Aufgabe von<br />

großer Bedeutung fürdie Gesellschaft von heute<br />

und morgen sei. Dieser Aussage schließe ich mich<br />

une<strong>in</strong>geschränkt an; ich möchte daraus folgernd<br />

sagen, daß auch Ihre Tätigkeit <strong>in</strong> der Verwaltung<br />

Zukunft hat. In se<strong>in</strong>er Arbeit kann nur Erfüllung<br />

f<strong>in</strong>den, wer ohne Sorgen um Anerkennung dieser<br />

Arbeit ist, wer gesellschaftliche Zukunft für se<strong>in</strong>e<br />

Tätigkeit sieht. Sie können beruhigt <strong>in</strong> diese<br />

Zukunft sehen!<br />

2. Ich habe davon gesprochen, daß Sie den Menschen<br />

als Mensch und nicht als übergeordneter<br />

Behördenvertreter begegnen sollten. Das berührt<br />

die Frage, welches Menschenbild Sie <strong>in</strong> sich tragen<br />

und zur Grundlage Ihrer Arbeit machen. E<strong>in</strong>e<br />

sozialgerechte umweltverträgliche <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> verlangt von Ihnen nicht nur e<strong>in</strong>e<br />

hohe fachliche — wir haben die Forde-rungen der<br />

Arbeitskreise soeben gehört —, sondern auch e<strong>in</strong>e<br />

ebenso hohe soziale Kompetenz. Sie alle wissen,<br />

was ich damit me<strong>in</strong>e. Widmen Sie daher auch <strong>in</strong><br />

Zukunft Ihrer persönlichen Fort-bildung auf beiden<br />

Gebieten das notwendige Augenmerk.<br />

Höchstes Fachwissen nützt wenig, wenn es die<br />

Menschen <strong>in</strong> ihren Herzen nicht erreicht!<br />

3. Kürzlich lautete e<strong>in</strong>e Schlagzeile aus der ebenfalls<br />

um Lean Management und Erhöhung von Kreativität<br />

und Produktivität kämpfenden freien Wirtschaft:<br />

Die Zeit der E<strong>in</strong>zelkämpfer ist vorbei. Für<br />

die anstehenden Aufgaben seien mehr Integration<br />

und Teamarbeit gefragt. E<strong>in</strong>flußreiche Unternehmensberater<br />

sprechen dem ergänzenden Aufe<strong>in</strong>anderzugehen<br />

die größte Bedeutung im Alltag<br />

erfolgreicher Unternehmen und Verwaltungen zu.<br />

Teamarbeit muß jedoch erlernt und geübt werden.<br />

Die Berichte aus den Arbeitskreisen zeigen,<br />

daß sich Ihre Verwaltung dazu auf e<strong>in</strong>em guten<br />

Weg bef<strong>in</strong>det.<br />

Vielleicht kommen Sie damit auch zu e<strong>in</strong>em von<br />

allen getragenen Leitbild, zu e<strong>in</strong>er Unternehmensphilosophie<br />

und Unternehmenskultur. Dieses<br />

Leitbild sollte die Aufforderung und die Chance<br />

dazu geben, daß sich alle als zusammengehörig<br />

fühlen und daß jeder entsprechend se<strong>in</strong>en Fähigkeiten<br />

und Talenten e<strong>in</strong>gesetzt und anerkannt<br />

wird. Dazu gehört u. a. — nur als Beispiel — die<br />

Delegation von Verantwortung und Freiräumen<br />

an begabte Mitarbeiter. E<strong>in</strong>e »Vertrauensorgani-<br />

sation mit wenig Kontrolle« sollte das Leitbild<br />

se<strong>in</strong>. Gestiegenes Engagement und Verantwortungsbewußtse<strong>in</strong><br />

Ihrer Mitarbeiter werden Ihren<br />

Mut belohnen.<br />

4. <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> ist nur dann nachhaltig,<br />

wenn es gel<strong>in</strong>gt, e<strong>in</strong> »Wir-Gefühl« aller Beteiligten<br />

und Betroffenen zu erzeugen. Es stellt sich selten<br />

von vornehere<strong>in</strong> e<strong>in</strong>, sondern muß hart erarbeitet<br />

werden. Bedienen Sie sich bitte weiterh<strong>in</strong> der bewährten<br />

Techniken und Instrumente wie des<br />

E<strong>in</strong>satzes von Dorf- und Flurwerkstätten, Klausuren<br />

an den Dorferneuerungsschulen usw.<br />

Erweitern Sie den Kreis der Beteiligten; niemand,<br />

der <strong>in</strong>teressiert ist und mitwirken will, sollte beiseite<br />

stehen müssen. Arbeiten Sie, unterstützt von<br />

geschulten Moderatoren, an strategischen<br />

Visionen. Kreativität kann und muß vielfach<br />

tra<strong>in</strong>iert werden. Nichts verb<strong>in</strong>det mehr als<br />

geme<strong>in</strong>same Klausuren, Werkstätten, erarbeitete<br />

Träume und Visionen und — Erfolge. Beides können<br />

Sie <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der Dorferneuerung <strong>in</strong><br />

reichem Maße anbieten — dies bed<strong>in</strong>gt aber, daß<br />

Sie sich für diesen unverzichtbaren sozialkulturellen<br />

Bereich Zeit und Geld nehmen.<br />

5. Menschen haben materielle und immaterielle<br />

Bedürfnisse. In e<strong>in</strong>er technischen Verwaltung kann<br />

leicht die Gefahr bestehen, daß die immaterielle<br />

Seite, die geistig-kulturellen Grundbedürfnisse<br />

eher zu kurz kommen. Ich habe darauf h<strong>in</strong>gewiesen,<br />

wie sehr für e<strong>in</strong>e nachhaltige <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> auch der sozio-kulturelle Aspekt von<br />

Bedeutung ist. Es geht also um das Ernstnehmen<br />

der Gefühle, von Hoffnung, Freude und Ängsten<br />

oder seelischen B<strong>in</strong>dungen der Menschen an<br />

bestimmte Orte und Gegenstände <strong>in</strong> ihrem Dorf<br />

und <strong>in</strong> ihrer Landschaft. Ich sage Ihnen damit<br />

nichts Neues, denn auch hier war die Bayerische<br />

Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong> Pionier,<br />

wie mir die <strong>Fachtagung</strong>svorträge oder Untersuchungen<br />

von Erika Ha<strong>in</strong>dl, Theo Abt, Wilhelm<br />

Landzettel und Dieter Wieland zeigen.<br />

Dennoch bitte ich Sie abschließend nochmals e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich:<br />

Der »Umbau der Welt zur Heimat« durch<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> kann nur gel<strong>in</strong>gen, wenn<br />

die Menschen ihre materiellen und immateriellen<br />

Bedürfnisse erfüllen können. Sie wirken bei dieser<br />

wahrhaft humanen Aufgabe entscheidend mit.<br />

Dazu wünsche ich Ihnen auch für die Zukunft e<strong>in</strong>e<br />

glückliche Hand und viel Erfolg.<br />

66 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Günther Strößner<br />

Schlußwort<br />

Unsere <strong>Fachtagung</strong> <strong>in</strong> <strong>Ansbach</strong> geht zu Ende. Ich<br />

danke zunächst Ihnen, Frau Staatssekretär<strong>in</strong> Deml,<br />

sehr herzlich, daß Sie den abschließenden Vortrag<br />

übernommen haben. Ihr Vortrag war e<strong>in</strong> weiterer<br />

Höhepunkt dieser Tagung. Ihre Ausführungen haben<br />

die Bedeutung aufgezeigt, die Sie, gnädige Frau, der<br />

<strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong>, der Dorferneuerung und der<br />

Flurentwicklung, bei Ihrer politischen Arbeit zumessen.<br />

Für die Verwaltung, aber auch für die Menschen<br />

<strong>in</strong> den Dörfern ist das wichtig. Die wollen nämlich<br />

wissen, woran sie mit der Politik s<strong>in</strong>d. Und es ist<br />

umso wichtiger <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit, <strong>in</strong> der vieles, ja fast<br />

alles <strong>in</strong> Frage gestellt, zum<strong>in</strong>dest durchleuchtet,<br />

untersucht, überprüft und kontrolliert werden soll.<br />

Hier vor Ihnen sitzt e<strong>in</strong> Auditorium, das als Multiplikator<br />

Ihrer Darlegungen draußen vor Ort wirken<br />

kann.<br />

Als wir uns bei der Vorbereitung dieser Tagung<br />

über das Thema Ihres Vortrags unterhalten haben,<br />

legten Sie Wert darauf, den Menschen <strong>in</strong> den<br />

Mittelpunkt zu stellen. Sie haben das getan, und Sie<br />

haben deutlich gemacht, daß die Menschen auf dem<br />

Lande nicht nur als Wählerpotential zu sehen s<strong>in</strong>d,<br />

sondern als Staatsbürger, denen zur Lösung der<br />

Probleme Hilfe zur Selbsthilfe gewährt werden muß.<br />

Daß es dabei nicht nur um materielle Hilfe gehen<br />

kann, habe ich Ihren Ausführungen entnommen.<br />

Wenn ich Sie so verstehen darf, daß über die Verwaltung<br />

für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> sowohl diese geistige<br />

wie die materielle Hilfe zur Selbsthilfe geboten<br />

werden muß, b<strong>in</strong> ich Ihnen, Frau Staatssekretär<strong>in</strong>,<br />

besonders dankbar. Wir danken Ihnen, daß Sie<br />

nochmals zu uns gekommen s<strong>in</strong>d.<br />

Ich danke sehr herzlich all den <strong>Ansbach</strong>er<br />

Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen, an der Spitze Herrn<br />

Präsident Bischoff und se<strong>in</strong>em Vize, Herrn Abteilungsdirektor<br />

Metterle<strong>in</strong>, für die Organisation dieser<br />

Tagung. Sie haben vorbildliche Arbeit geleistet, trotz<br />

den externen Belastungen. Ich danke auch Herrn<br />

Kollegen Brumberg, der uns so elegant durch die<br />

Tagung geleitet hat. Die anerkennenden Kommentare<br />

und Äußerungen mögen Ihnen das bestätigen.<br />

Bitte, Herr Bischoff, geben Sie diesen Dank an<br />

alle weiter, die unmittelbar oder mittelbar mitgewirkt<br />

haben und heute nicht da s<strong>in</strong>d.<br />

Me<strong>in</strong> Dank gilt auch allen, die gestaltend und aktiv<br />

durch Vorträge, die Leitung von Arbeitskreisen und<br />

Exkursionen, Diskussionen oder auf sonstige Weise<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

zum Gel<strong>in</strong>gen dieser Tagung beigetragen haben.<br />

Dabei darf ich e<strong>in</strong>schließen, Herrn Dr. Magel und se<strong>in</strong>en<br />

fachlichen Mitarbeiter Herrn Betz. Schließlich<br />

danke ich allen Teilnehmer<strong>in</strong>nen und Teilnehmern an<br />

dieser Veranstaltung. Der Dank gilt vor allem den<br />

ausländischen und nichtbayerischen Gästen. Wir<br />

danken für Ihr Interesse und hoffen, daß Sie für die<br />

Arbeit <strong>in</strong> Ihrer Heimat e<strong>in</strong>ige Anregungen aus<br />

<strong>Ansbach</strong> mitnehmen können. Wir danken aber auch<br />

dafür, daß Sie diesen Tagen nicht nur <strong>in</strong>ternationales<br />

Flair verliehen, sondern e<strong>in</strong>en wertvollen Beitrag<br />

geleistet haben zur Verständigung zwischen den<br />

Menschen verschiedener Völker und Staaten. Mich<br />

freut es vor allem, daß wir heute fachlichen und persönlichen<br />

Gedanken und Me<strong>in</strong>ungsaustausch über<br />

Grenzen h<strong>in</strong>weg führen können, die bis vor kurzem<br />

noch unüberw<strong>in</strong>dbar schienen.<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, heuer ist es das letzte<br />

Mal, daß ich als aktiver Beamter zur <strong>Fachtagung</strong> das<br />

Schlußwort zu sprechen habe. Gestatten Sie mir aus<br />

diesem Grunde aus me<strong>in</strong>er Sicht e<strong>in</strong>en kurzen Rückblick,<br />

e<strong>in</strong>e Beurteilung der gegenwärtigen Situation<br />

und e<strong>in</strong>ige Wünsche für die Zukunft.<br />

Rückblick<br />

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

<strong>in</strong> Bayern zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

von heute gewandelt, zu e<strong>in</strong>em Aufgabenfeld, das <strong>in</strong><br />

ländlichen Gebieten ziemlich umfassend zur Problemlösung<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden kann, wenn die Verantwortlichen<br />

es nur wollen. E<strong>in</strong>ige Markste<strong>in</strong>e, die<br />

<strong>in</strong> der jüngeren Geschichte gesetzt wurden, die ich<br />

miterlebt habe und zum Teil mitgestalten konnte,<br />

s<strong>in</strong>d<br />

— die E<strong>in</strong>führung des Bundesflurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes<br />

von 1953, mit dem der <strong>in</strong> Bayern geborene<br />

Begriff Flurbere<strong>in</strong>igung bundesweit e<strong>in</strong>geführt<br />

wurde;<br />

— das Europäische Naturschutzjahr 1970, seit dem,<br />

ausgehend von unserer damaligen Würzburger<br />

<strong>Fachtagung</strong>, ökologisches Gedankengut zunehmend<br />

unsere Arbeit bee<strong>in</strong>flußte;<br />

— die Dorferneuerung seit Anfang der 70er Jahre,<br />

die gedanklich befruchtet vom Städtebauförderungsgesetz<br />

1971, f<strong>in</strong>anziell gefördert vom<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

67


Zukunfts<strong>in</strong>vestitionsprogramm 1977bis 1980<br />

schließlich 1982 im Bayerischen Dorferneuerungsprogramm<br />

fest verankert wurde;<br />

— die Novellierung des Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes<br />

1976, mit der e<strong>in</strong>e Weichenstellung zur Landentwicklung<br />

vollzogen und Grundlagen zum Ausgleich<br />

zwischen Ökonomie und Ökologie gegeben<br />

wurden;<br />

— 1983 die E<strong>in</strong>führung der dreistufigen Landschaftsplanung<br />

<strong>in</strong> der Flurbere<strong>in</strong>igung, die es uns<br />

ermöglichte;<br />

— 1984 den neuen Auftrag der Verfassung des<br />

Freistaates Bayern zu befolgen, Naturschutz nicht<br />

nur <strong>in</strong> Worten, sondern mit Taten zu betreiben;<br />

— das Bayerische Programm <strong>Ländliche</strong> Neuordnung<br />

vom Jahre 1989, das im wesentlichen heute noch<br />

Ziele und Grundsätze für unsere Arbeit liefert;<br />

— 1993 schließlich das geänderte bayerische Gesetz<br />

zur Ausführung des Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes, <strong>in</strong><br />

dem u. a. der neue Name unserer Verwaltung<br />

nunmehr auch gesetzlich verankert ist.<br />

Diese Markste<strong>in</strong>e mögen reichen, und Sie mögen<br />

verzeihen, daß ich nicht e<strong>in</strong>gehe auf den technischen<br />

Fortschritt <strong>in</strong> Vermessung und Datenverarbeitung,<br />

unsere bedeutsamen Arbeiten auf dem<br />

Feld der angewandten Forschung, auf die Bemühungen<br />

um die nach me<strong>in</strong>er Beurteilung außerordentlich<br />

wichtige Pflege der Kontakte mit ausländischen<br />

Fachverwaltungen.<br />

Markste<strong>in</strong>e, das wissen die Geodäten, muß man<br />

pflegen, wieder gerade rücken, wenn sie <strong>in</strong> Schieflage<br />

geraten s<strong>in</strong>d, schützen, sicher auch erneuern,<br />

wenn es notwendig ist, ke<strong>in</strong>esfalls aber mutwillig<br />

zerstören. Markste<strong>in</strong>e eben!<br />

Gegenwart<br />

Die gegenwärtige Situation ist für unsere Verwaltung<br />

nicht recht erfreulich. Vielleicht liegt es am<br />

sogenannte Superwahljahr <strong>1994</strong>. Vielleicht liegt es<br />

auch an der Tatsache, daß schlechte Nachrichten,<br />

wie ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>führung am Montag e<strong>in</strong>ige<br />

genannt habe, meist die e<strong>in</strong>zigen s<strong>in</strong>d, die Interesse<br />

f<strong>in</strong>den und damit gute Absichten lähmen können.<br />

Negative Kritik, oft alle<strong>in</strong> um der Kritik willen, gehört<br />

ebenfalls zu dieser Kategorie. Stabile Faktoren <strong>in</strong> diesem<br />

Staat, wie die Verwaltung e<strong>in</strong>er ist, werden<br />

dadurch leider oft verunsichert.<br />

Da sche<strong>in</strong>t es mir mehr als wünschenswert, wieder<br />

stabilisierend und motivierend zu wirken, notwendiger<br />

jedenfalls als Kommissionen, externe Berater und<br />

Verwaltungsreformgruppen e<strong>in</strong>zusetzen. Wohltuend<br />

ist es, wenn <strong>in</strong> dieser Zeit von Partnern unserer<br />

Verwaltung Anerkennung und Wertschätzung zum<br />

Ausdruck gebracht werden, Resolutionen z.B. des<br />

Bayerischen Geme<strong>in</strong>detags gefaßt werden, die zur<br />

Weiterarbeit ermutigen, Forderungen z. B. des<br />

Bayerischen Bauernverbandes erhoben werden, mit<br />

denen wir uns identifizieren können. Wohltuend ist<br />

es auch, wenn die Politik sich wohltuend über unsere<br />

Arbeit äußert.<br />

Damit sehe ich <strong>in</strong> diesem Stimmungstief Licht am<br />

Horizont und Perspektiven für die Zukunft, für die<br />

ich e<strong>in</strong>ige Wünsche äußern möchte.<br />

Wünsche für die Zukunft<br />

Seit 28. November 1979 b<strong>in</strong> ich Leiter der Bayerischen<br />

Flurbere<strong>in</strong>igungsverwaltung, heute der<br />

Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>. Ich habe<br />

diese Arbeit stets gerne gemacht, und ich nutze die<br />

Gelegenheit, zunächst allen Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und<br />

Mitarbeitern sehr herzlich zu danken für die Unterstützung<br />

und die Hilfe, die Sie mir gewährt haben.<br />

Ohne diese kollegiale Zusammenarbeit, bei der jeder<br />

an se<strong>in</strong>em Platz Verantwortung zu tragen hatte,<br />

wären die anerkannten Leistungen unserer Verwaltung<br />

und der Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaften nicht<br />

möglich gewesen. Ich sage schlicht und e<strong>in</strong>fach:<br />

Danke.<br />

Me<strong>in</strong> erster Wunsch betrifft die Politik. Sie möge<br />

die Kraft haben, für stabile Rahmenbed<strong>in</strong>ungen zu<br />

sorgen. Sie möge bei allem Fortschritt Traditionen<br />

beachten, zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong>s Kalkül ziehen und bedenken,<br />

daß auch <strong>in</strong> der Vergangenheit gute Entscheidungen<br />

der Legislative und der Exekutive getroffen worden<br />

s<strong>in</strong>d, die man nicht alle über Bord werfen muß. Und<br />

die Politik möge nicht nur die Regularien der Verwaltung<br />

beklagen, sondern dafür sorgen, daß der<br />

Verwaltung mehr eigener Handlungsspielraum verbleibt.<br />

Damit b<strong>in</strong> ich bei der Verwaltung. Ihr wünsche ich<br />

diesen Handlungsspielraum, ohne daß Rechts- und<br />

Verwaltungsvorschriften aus Brüssel, Bonn oder<br />

München e<strong>in</strong>e weitere E<strong>in</strong>engung oder Beschneidung<br />

von Initiativen vor Ort br<strong>in</strong>gen. Subsidiarität<br />

und Innovation können nicht funktionieren ohne<br />

diesen Freiraum. Freiraum darf nicht mit Freistil verwechselt<br />

werden. Regeln muß es wie im Sport auch<br />

für die Verwaltung geben. Und wie im Sport müssen<br />

auch für die Verwaltung die Akteure geworben, tra<strong>in</strong>iert<br />

und ausgebildet werden. Ich wünsche, daß die<br />

jungen Bewerber, die sich für unsere Arbeit ernsthaft<br />

<strong>in</strong>teressieren, nach Abschluß ihres Studiums oder<br />

ihrer Ausbildung, auch e<strong>in</strong>e Stelle <strong>in</strong> der Verwaltung<br />

bekommen. Es kann doch ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n machen, daß<br />

68 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


die Sparmaßnahmen und die Rückführung der Personalquote<br />

soweit getrieben werden, daß die Zahl<br />

der arbeitslosen jungen Menschen auch auf unserem<br />

Sektor noch vergrößert wird, wo wir doch wissen,<br />

daß der Arbeitsüberhang ohne den Nachwuchs von<br />

Fachkräften nicht abzubauen ist.<br />

Schließlich wünsche ich der Verwaltung, daß<br />

etwaige Veränderungen <strong>in</strong> der Struktur nicht revolutionär,<br />

sondern — wie bisher auch — evolutionär<br />

angegangen werden. Und für ganz wichtig halte ich<br />

es, daß dabei auch die endogenen Kräfte der Verwaltung<br />

genutzt werden. Insider-Wissen darf nicht <strong>in</strong>s<br />

Abseits gestellt werden. Das know how aus Düsseldorf<br />

ist nicht das Nonplusultra. Aber auch hier wünsche<br />

ich, daß der Fortschritt auf Traditionen Rücksicht<br />

nehmen möge.<br />

Zum Dritten habe ich Wünsche für die Geme<strong>in</strong>de<br />

und die Menschen im ländlichen Raum. Trotz dem<br />

Strukturwandel <strong>in</strong> der Landwirtschaft, trotz dem<br />

Wandel im siedlungsstrukturellen und sozialen<br />

Gefüge unserer Dörfer wünsche ich, daß das Leben<br />

auf dem Lande lebenswert bleibt. Das breite Spektrum<br />

der angebotenen Hilfen <strong>in</strong> Verfahren der <strong>Ländliche</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong> möge dazu beitragen, das<br />

Heimat- und Selbstwertgefühl zu stärken.<br />

Von Bedeutung sche<strong>in</strong>t mir auch, daß der Schutz<br />

des Eigentums an Grund und Boden e<strong>in</strong> hohes Gut<br />

bleiben möge. Die Überlegungen zur Änderung des<br />

Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes dürfen den Grundsatz der<br />

wertgleichen Abf<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> Land <strong>in</strong> unseren Verfahren<br />

nicht verlassen. Sie müssen die Wertsteigerung,<br />

wenigstens die Werterhaltung durch die<br />

Neuordnung im Verfahren sicherstellen. Wenn ich<br />

diesen Wunsch artikuliere, weiß ich mich im E<strong>in</strong>klang<br />

mit dem Bayerischen Bauernverband ebenso wie mit<br />

dem Bayerischen Geme<strong>in</strong>detag. Ich wünsche im<br />

Interesse der an unseren Verfahren Beteiligten, daß<br />

die Zusammenarbeit mit diesen beiden Organisationen<br />

harmonisch fortgeführt, ja noch verbessert<br />

wird. Nur geme<strong>in</strong>sam wird es möglich se<strong>in</strong>, den<br />

ländlichen Raum als Partner der <strong>Stadt</strong> funktionsfähig<br />

zu erhalten und mit veränderten Funktionen<br />

den Wertewandel zu fördern.<br />

Diese Geme<strong>in</strong>samkeit im Planen und Handeln muß<br />

sich darüber h<strong>in</strong>aus auf alle Institutionen und Peronen<br />

erstrecken, die von ihrer Aufgabenstellung her<br />

mit Problemlösungen auf dem Lande befaßt s<strong>in</strong>d.<br />

Wenn ich Personen sage, me<strong>in</strong>e ich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />

die am Verfahren beteiligten Grundeigentümer und<br />

Bürger. Für sie wünsche ich mir, daß sie an unseren<br />

Vorhaben nicht nur <strong>in</strong>teressiert s<strong>in</strong>d, sondern aktiv<br />

mitwirken, mehr noch: die Projekte zu ihren eigenen<br />

machen.<br />

Unsere Arbeit kann und wird niemals Selbstzweck<br />

se<strong>in</strong>. Ich wünsche, daß auch die Verantwortlichen<br />

diese Aufgabe so sehen und das Potential nutzen,<br />

ohne traditionell gewachsene Strukturen zu zerschlagen.<br />

Dies wünsche ich für die Menschen im<br />

ländlichen Raum und im Interesse des Mite<strong>in</strong>anders<br />

von <strong>Stadt</strong> und Land. Dies wünsche ich aber vor allem<br />

den Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeitern der Bayerischen<br />

Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>, die<br />

ich gleichzeitig bitte, optimistisch <strong>in</strong> die Zukunft zu<br />

blicken.<br />

Staatsm<strong>in</strong>ister Bocklet im Gespräch mit Prof. Liu, Universität Taipei, Taiwan; M<strong>in</strong>isterialdirigent Strößner rechts<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

69


Charles Konnen<br />

Dank der Gäste *<br />

Zum Abschluß dieser <strong>Fachtagung</strong> habe ich die<br />

große Ehre, im Namen aller ausländischen und<br />

nichtbayerischen Teilnehmer der Bayerischen Verwaltung<br />

für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong> herzliches<br />

»Danke schön« auszusprechen.<br />

Diesem »Danke schön« möchte ich als regelmäßiger<br />

Teilnehmer an diesen <strong>Fachtagung</strong>en die besonderen<br />

Glückwünsche me<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en Heimatlandes<br />

Luxemburg für die aufs neue perfekt gelungene<br />

Organisation dieser <strong>Fachtagung</strong> entgegenbr<strong>in</strong>gen.<br />

Dieser herzliche Dank gilt natürlich auch den Repräsentanten<br />

der Bayerischen Staatsregierung, den<br />

Vertretern des Bayerischen Staatsm<strong>in</strong>isteriums für<br />

Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und nicht<br />

zuletzt der Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>Ansbach</strong>. Die Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>Ansbach</strong> hat vorzügliche Arbeit geleistet. Viele hochqualifizierte<br />

<strong>in</strong>terne und externe Experten und<br />

Mitarbeiter für die Organisation dieser <strong>Fachtagung</strong><br />

wurden bereitgestellt. Die Qualität der Organisation<br />

zog sich kont<strong>in</strong>uierlich durch die verschiedenen Teile<br />

der viertägigen Veranstaltung und zwar von der<br />

Begrüßung an über die Podiums- und Plenumsdiskussionen,<br />

die acht Arbeitskreise, die elf Fachexkursionen,<br />

die Schlußveranstaltung sowie »last but not<br />

least« bis zum vorzüglichen siebenteiligen Rahmenprogramm.<br />

Erlauben Sie mir, sehr verehrte Damen und<br />

Herren, e<strong>in</strong>e Anmerkung zu diesen bayerischen <strong>Fachtagung</strong>en<br />

aus luxemburgischer Sicht zu geben. Ich<br />

glaube, dies gilt auch für alle anderen ausländischen<br />

und nichtbayerischen Teilnehmer. Wir Luxemburger<br />

s<strong>in</strong>d später als Bayern zur Flurbere<strong>in</strong>igung oder<br />

besser zur Flurgestaltung e<strong>in</strong>erseits und zur Dorferneuerung<br />

respektive zur Dorfentwicklung gestoßen<br />

und haben ebenso wie andere Nationen sehr viel von<br />

dem Erfahrungsaustausch dieser Tagungen mit nach<br />

Hause nehmen können. Diesbezüglich e<strong>in</strong>en herzlichen<br />

Dank unsererseits für die kont<strong>in</strong>uierlichen und<br />

freundlichen E<strong>in</strong>ladungen sowie für das stetige<br />

wohlwollende Entgegenkommen sowohl des<br />

Bayerischen Staatsm<strong>in</strong>isteriums für Ernährung,<br />

Landwirtschaft und Forsten als auch der Verwaltung<br />

für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>. Wir freuen uns jedes Mal,<br />

unseren bescheidenen Beitrag beim Austausch der<br />

Erfahrungen bei diesen <strong>Fachtagung</strong>en e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen zu<br />

dürfen.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

E<strong>in</strong> letzter Gedanke zum Schluß. Ich glaube, daß<br />

wir alle die bayerischen <strong>Fachtagung</strong>en brauchen, um<br />

uns <strong>in</strong> unserem notwendigen Elan und Positivdenken<br />

für die schöne Sache »<strong>Entwicklung</strong> des ländlichen<br />

Raumes« zu stärken und uns e<strong>in</strong>en Motivationsschub<br />

zur Fortsetzung unserer reizvollen Aufgabe europaweit,<br />

ja sogar weltweit zu geben. Wir wissen alle, es<br />

bleibt noch viel zu tun, und ich möchte mich auf<br />

bayerisch versuchen und sagen »Pack’ ma’s an«. In<br />

diesem S<strong>in</strong>ne nochmals vielen vielen Dank, Grüß<br />

Gott und auf Wiedersehen.<br />

* Redigierte Tonbandaufzeichnung<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

71


E<strong>in</strong>führungsreferate <strong>in</strong> den Arbeitskreisen<br />

Arbeitskreis 1:<br />

Möglichkeiten und Grenzen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

Johann Huber<br />

E<strong>in</strong>führung<br />

Ich begrüße Sie ganz herzlich hier im Grünen Saal der<br />

Orangerie zum Arbeitskreis 1. Der Arbeitskreis steht unter<br />

dem Motto der <strong>Fachtagung</strong> »<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>dient</strong><br />

<strong>Stadt</strong> und Land«. Das Thema lautet: »Möglichkeiten und<br />

Grenzen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong>«. Es ist zwar leichter,<br />

»gegen« als »für« etwas zu se<strong>in</strong>. Wir sollten aber selbst bei<br />

diesem umfassenden Thema nicht <strong>in</strong> Schwierigkeiten,<br />

sondern vor allem <strong>in</strong> Möglichkeiten denken.<br />

Ich heiße willkommen unsere Gäste aus den deutschen<br />

Ländern. Me<strong>in</strong> besonderer Gruß gilt unseren ausländischen<br />

Gästen aus Belgien, F<strong>in</strong>nland, Kroatien, den<br />

Niederlanden, Österreich, Polen und Slowenien. Ich begrüße<br />

herzlich me<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen aus der<br />

Bayerischen Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>. Me<strong>in</strong><br />

besonderer Gruß gilt den beiden Referenten des heutigen<br />

Vormittags. Ich begrüße Herrn Dr.-agr. Balthasar Huber<br />

von der Europäischen Kommission aus Brüssel und Herrn<br />

Dr. -Ing. Karl-Friedrich Thöne vom Bundesm<strong>in</strong>isterium für<br />

Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aus Bonn. Beide<br />

Herren werde ich später noch vorstellen.<br />

Ziel des Arbeitskreises<br />

Es ist guter Brauch bei den <strong>Fachtagung</strong>en der Bayerischen<br />

Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> grundsätzliche<br />

Fragen zu diskutieren. Gerade die <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre<br />

Zusammensetzung des Arbeitskreises 1, auch mit Ver-<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

tretern aus zahlreichen Verwaltungen anderer Länder und<br />

Gästen aus dem Ausland, bietet Gelegenheit, das Thema<br />

aus unterschiedlichen Blickrichtungen zu beleuchten. Wir<br />

sollten heute diese Chance nutzen, uns e<strong>in</strong> Bild von den<br />

veränderten Realitäten zu machen, neue <strong>Entwicklung</strong>en<br />

zu erkennen und Zukunftsfragen, also die Fragen von<br />

morgen, mite<strong>in</strong>ander zu diskutieren. Ich wünsche mir<br />

also heute e<strong>in</strong>en Tag des Nachdenkens über <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> — jedoch im S<strong>in</strong>ne von Vorausdenken. Ich b<strong>in</strong><br />

sicher, daß wir geme<strong>in</strong>sam erfolgreich se<strong>in</strong> werden.<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für die <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong><br />

Unternehmensberater und Wirtschaftsfachleute fragen<br />

heute deutsche Unternehmen besonders e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich nach<br />

den firmeneigenen Visionen. Sie fragen nach den Zielen:<br />

Wo wollen Sie eigentlich h<strong>in</strong>? Dies ist e<strong>in</strong>e Frage, die sich<br />

auch ländliche Geme<strong>in</strong>den und auch die Verwaltung ständig<br />

stellen müssen. Gerade die Verwaltung für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> war bereits <strong>in</strong> der Vergangenheit immer<br />

gefordert, ihre Ziele deutlich zu machen und sich an veränderte<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen anzupassen. Davon war<br />

gestern mehrfach die Rede. Heute bietet sich Gelegenheit,<br />

an der Zielf<strong>in</strong>dung weiter zu arbeiten. Denn »Der<br />

Langsamste, der se<strong>in</strong> Ziel nicht aus den Augen verliert,<br />

geht noch immer geschw<strong>in</strong>der als jener, der ohne Ziel<br />

herumirrt«. Ich denke, Gotthold Ephraim Less<strong>in</strong>g hat recht.<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>dient</strong> <strong>Stadt</strong> und Land. Dieses Motto<br />

br<strong>in</strong>gt auch zum Ausdruck, daß die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

sich nicht beschränken darf auf sektorale Betrachtungsweisen.<br />

Staatsm<strong>in</strong>ister Bocklet hat bei der Eröffnungsveranstaltung<br />

darauf h<strong>in</strong>gewiesen, daß sich Agrarpolitik<br />

nicht auf e<strong>in</strong>e Politik für den Berufsstand beschränken<br />

könne.<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> versteht sich als Dienstleistung<br />

für alle Bürger. Sie ist Partner ländlicher Geme<strong>in</strong>den.<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> befaßt sich heute mit nahezu allen<br />

Funktionen des ländlichen Raumes. Das zeitlose Betätigungsfeld<br />

ist und bleibt jedoch das ländliche Grundeigentum<br />

und damit der ländliche Grundeigentümer. Die<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong>nerhalb derer die Bürger leben<br />

und arbeiten, verändern sich sehr rasch. Die Lebensverhältnisse<br />

s<strong>in</strong>d komplex und kompliziert geworden. Das<br />

enorme Veränderungstempo fordert die Menschen. Sie<br />

können ihre Denkweise nicht ohne Verzug auf e<strong>in</strong>e immer<br />

schnellere Folge neuer Erkenntnisse ausrichten. Es gibt<br />

zwar e<strong>in</strong>e Reihe von Möglichkeiten, Zukunft zu gestalten<br />

und <strong>Entwicklung</strong>en zu steuern. Aber es ist offensichtlich,<br />

E<strong>in</strong>führungsreferate <strong>in</strong> den Arbeitskreis 1<br />

73


daß nicht mehr alles planbar ist, und wir nicht mehr alles<br />

<strong>in</strong> Griff bekommen können. Wir stecken sozusagen <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>stabilen System. Dieses hat die Eigenschaft, daß<br />

kle<strong>in</strong>e Ursachen große Wirkungen zeigen können. Aus<br />

kle<strong>in</strong>en Ansätzen , aus e<strong>in</strong>er irgendwo, z. B. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en<br />

Firma auftauchenden Erf<strong>in</strong>dung, die zunächst niemand<br />

beachtet, können Wirkungen hervorgehen, die wir<br />

uns heute gar nicht vorstellen können.<br />

Nehmen sie als Beispiel die stürmische <strong>Entwicklung</strong> der<br />

Kommunikationstechnologie, die <strong>in</strong>zwischen standortunabhängiges<br />

Arbeiten ermöglicht. John Naisbitt schreibt <strong>in</strong><br />

Megatrends 2000: »Zum erstenmal <strong>in</strong> der Geschichte ist<br />

der Zusammenhang von Arbeitsplatz und Wohnort überflüssig<br />

geworden«. Der Werbespruch aus den 60er Jahren<br />

»Wohnen im Grünen, arbeiten <strong>in</strong> der <strong>Stadt</strong>« gilt nicht<br />

mehr. Wohnen und arbeiten im Grünen s<strong>in</strong>d möglich<br />

geworden. Dies wird Konsequenzen für die <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> haben. Genauso kann die fortschreitende<br />

europäische Integration Wirkungen zeigen, die heute noch<br />

nicht zu erkennen s<strong>in</strong>d. Wir müssen uns darauf e<strong>in</strong>stellen,<br />

daß es im anbrechenden Informationszeitalter und <strong>in</strong> der<br />

global gewordenen Wirtschaftswelt ke<strong>in</strong>e stabilen und<br />

verläßlich vorausberechenbaren <strong>Entwicklung</strong>en geben<br />

wird. Um Erfolg zu haben, hat es <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />

vielfach genügt, grobe Fehler zu vermeiden. In der Zukunft<br />

wird es aber notwendig se<strong>in</strong>, <strong>Entwicklung</strong>en vor<br />

dem allgeme<strong>in</strong>en Wirkungse<strong>in</strong>tritt zu erkennen und im<br />

H<strong>in</strong>blick auf das hohe Veränderungstempo dann unverzüglich<br />

zu handeln. Also aktiv und rechtzeitig das Richtige<br />

zu tun. Dies gilt nicht nur für die Wirtschaft, sondern<br />

auch für unsere Verwaltung. Sie sorgt sich darum, die<br />

ländlichen Räume lebensfähig und lebenswert zu erhalten.<br />

Sie braucht hierzu die Sensibilität, Zukunftsentwicklungen<br />

frühzeitig wahrzunehmen und die Kraft, das Erkannte<br />

auch umzusetzten.<br />

Die <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume ist e<strong>in</strong> bedeutsames<br />

gesellschaftspolitisches Thema. Auch wenn dieses<br />

neben all den täglichen Problemen, die uns <strong>in</strong> der Presse<br />

und <strong>in</strong> den Medien vor Augen geführt werden, anders<br />

ersche<strong>in</strong>en mag. Die Zukunftsentwicklung <strong>in</strong> Deutschland<br />

und <strong>in</strong> Europa wird sicherlich auch davon abhängen, wie<br />

lebensfähig und lebenswert die ländlichen Räume se<strong>in</strong><br />

werden. Erfüllen sie <strong>in</strong> der Zukunft die Anforderungen<br />

nicht, ist e<strong>in</strong>e Migration vom Land <strong>in</strong> die Ballungsräume<br />

zu befürchten, die eigentlich niemand haben will.<br />

Nach dem Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft<br />

stehen wir jetzt am Beg<strong>in</strong>n des Informationszeitalters.<br />

Walter Kroy, der Chef-Visionär von Daimler-Benz<br />

me<strong>in</strong>t, daß es <strong>in</strong> der Zukunft mit der Fertigungswirtschaft<br />

so gehen werde wie vorher mit der Landwirtschaft. Vielleicht<br />

10 % der Arbeitswilligen und -fähigen werden <strong>in</strong><br />

der Fertigungswirtschaft Arbeit f<strong>in</strong>den und doch soviel<br />

produzieren, wie der Markt braucht. Unsere Gesellschaft<br />

bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Phase grundlegender Neuorientierung.<br />

Der Strukturwandel <strong>in</strong> der Landwirtschaft und der<br />

gerade anbrechende Strukturwandel <strong>in</strong> der Fertigungswirtschaft<br />

werden sich erheblich auf die ländlichen<br />

Räume auswirken. Diese Veränderungen s<strong>in</strong>d bereits jetzt<br />

und werden auch künftig für das Aufgabenfeld <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> von größter Bedeutung se<strong>in</strong>. Was ist <strong>in</strong> dieser<br />

Phase für die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> wichtig? Ich denke,<br />

daß die Kräfte auf e<strong>in</strong>e Neuorientierung gerichtet werden<br />

müssen. Es gilt, e<strong>in</strong>e Urteilsfähigkeit zu entwickeln, die<br />

gewährleistet, daß wir <strong>in</strong> der Zukunft noch stärker als bisher<br />

herausspüren wo die Bedürfnisse der ländlichen<br />

Räume liegen. Unsere Idee ist , die ländlichen Räume im<br />

S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tegrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong> zu unterstützen<br />

und damit für <strong>Stadt</strong> und Land wichtige Funktionen<br />

<strong>in</strong> den ländlichen Räumen besonders zu fördern.<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>dient</strong> der Lebensfähigkeit der<br />

ländlichen Räume. Sie berührt alle Lebensbereiche. Sie<br />

muß daher auch von allen gesellschaftlich relevanten<br />

Kräften getragen werden. Die Frage ist also, was können<br />

wir, was müssen wir im Dorf und <strong>in</strong> der Landschaft<br />

zur <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume tun?<br />

Vorstellung der Referenten<br />

Diese Frage ist unser Thema: Möglichkeiten und<br />

Grenzen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong>. Ich freue mich, daß<br />

sich die Herren Dr. Huber und Dr. Thöne bereit erklärt<br />

haben, hier zu referieren und mit uns zu diskutieren. Ich<br />

stelle Ihnen zunächst Herrn Dr. Balthasar Huber vor.<br />

Dr. Huber ist Diplom-Agrar<strong>in</strong>genieur und Abteilungsleiter<br />

<strong>in</strong> der Europäischen Kommission. Se<strong>in</strong> Arbeitsschwerpunkt<br />

<strong>in</strong> Brüssel ist die <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume.<br />

Dr. Huber soll für uns heute die Zukunft ländlicher<br />

Räume skizzieren und die Integrierte <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

aus der Sicht der Europäischen Kommission darstellen.<br />

Ich danke Ihnen, daß Sie hierher nach <strong>Ansbach</strong><br />

gekommen s<strong>in</strong>d und die Politik der Europäischen Kommission<br />

zur <strong>Entwicklung</strong> ländlicher Räume aus erster Hand<br />

erläutern werden.<br />

Im Anschluß wird Dr. Karl-Friedrich Thöne referieren.<br />

Dr. Thöne ist Geodät und beim Bundesm<strong>in</strong>ister für Ernährung,<br />

Landwirtschaft und Forsten im Referat Landentwicklung<br />

tätig. Dr. Thöne ist aufgrund se<strong>in</strong>er Position im<br />

Bundeslandwirtschaftsm<strong>in</strong>isterium besonders prädest<strong>in</strong>iert,<br />

uns e<strong>in</strong> Bild vom <strong>Ländliche</strong>n Raum von morgen zu<br />

zeichnen und Möglichkeiten und Grenzen der <strong>Ländliche</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong> aufzuzeigen. Dr. Thöne befürwortet <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Buch, »Die agrarstrukturelle <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> den neuen<br />

Bundesländern« sowohl <strong>in</strong> Ost wie auch <strong>in</strong> West e<strong>in</strong>e<br />

Integrierte <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>. Ich danke Ihnen, daß<br />

Sie nach Bayern gekommen s<strong>in</strong>d und uns die Bonner Sicht<br />

darstellen werden. Wir s<strong>in</strong>d gespannt, welche Möglichkeiten<br />

der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> Sie sehen. Beide Vorträge<br />

werden uns den Rahmen geben für die Diskussion<br />

am Nachmittag und ich hoffe, daß auch e<strong>in</strong> bißchen<br />

Zündstoff dabei se<strong>in</strong> wird.<br />

74 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Balthasar Huber<br />

Die Zukunft ländlicher Räume –<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> aus der<br />

Sicht der Europäischen<br />

Kommission<br />

Zunächst darf ich mich sehr herzlich für die freundlichen<br />

Worte der Begrüßung und für die E<strong>in</strong>ladung, vor<br />

diesem Forum zu sprechen, herzlich bedanken. Nun erwarten<br />

Sie nicht zuviel von der Kommission, weil dieses<br />

geradezu e<strong>in</strong> Widerspruch wäre, wenn die Kommission<br />

e<strong>in</strong>e Art detaillierter »guidel<strong>in</strong>es« für die ländlichen Räume<br />

geben würde. Je weniger die Kommission im Detail vorschreibt,<br />

um so besser ist es. Weil dieses ja auch total im<br />

Widerspruch stünde, zu e<strong>in</strong>er <strong>Entwicklung</strong> von unten nach<br />

oben, so wie wir sie sehen und präferieren und total im<br />

Widerspruch stünde zum Pr<strong>in</strong>zip der Subsidiarität, was<br />

Gottseidank im Vertrag von Maastricht festgehalten ist,<br />

auch wenn es sehr schwierig ist, den Begriff »Subsidiarität«<br />

zu def<strong>in</strong>ieren. Im Grunde genommen ist dieses<br />

e<strong>in</strong> ständiges R<strong>in</strong>gen um Kompetenz gegenüber e<strong>in</strong>er<br />

Zentralbürokratie und ich wünsche den Ländern nur, daß<br />

sie diesen Kampf oft für sich entscheiden. Es ist e<strong>in</strong><br />

großer Fortschritt, daß diese Art von Gedanken <strong>in</strong> der<br />

Kommission überhaupt Platz gegriffen haben.<br />

Wenn wir im europäischen Kontext über die ländliche<br />

<strong>Entwicklung</strong> sprechen, dann assoziiert jeder etwas<br />

anderes mit diesem Begriff.<br />

— S<strong>in</strong>d es die weiträumigen w<strong>in</strong>dzerzausten, ewig feuchten<br />

Hügel des schottischen Hochlandes?<br />

— S<strong>in</strong>d es die <strong>in</strong>tensiven Beregnungsgebiete unter der<br />

stechenden Sonne Thessaloniens, auf denen<br />

Kle<strong>in</strong>stbauern schmackhaftes Obst, Gemüse und<br />

Baumwolle produzieren?<br />

— S<strong>in</strong>d es die kargen, baumdurchsetzten, fast menschenleeren<br />

Gebiete Castillias, wo im Schatten der Korkeichen<br />

die »toros bravos« e<strong>in</strong>er ihr Leben beendenden<br />

Corrida entgegendösen?<br />

— S<strong>in</strong>d es die satten Weiden <strong>in</strong> der Hügellandschaft des<br />

Allgäus mit den e<strong>in</strong>gestreuten E<strong>in</strong>zelhöfen?<br />

— Oder s<strong>in</strong>d es die seendurchsetzten Sandböden mit<br />

riesigen Getreideschlägen und deprimierenden Stilllegungsflächen<br />

der Mecklenburgischen Seenplatte?<br />

All diese Schlaglichter s<strong>in</strong>d zutreffend, zeigen die enormen<br />

Gegensätze der Regionen der EU auf, belegen den<br />

strukturellen Handlungsbedarf für diese seit Jahrhunderten<br />

gewachsenen Kulturlandschaften, die sich plötzlich <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er neuen Konstellation bef<strong>in</strong>den, mit der sich die Kulturlandschaft<br />

und die dort lebenden Menschen ansche<strong>in</strong>end<br />

nicht mehr zurechtf<strong>in</strong>den können. E<strong>in</strong> lästiger<br />

Tümpel, e<strong>in</strong>e wuchernde Hecke bekommen e<strong>in</strong>e neue<br />

Qualität. Selbst das <strong>in</strong> der Bibel gleichnishaft zitierte<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Unkraut hat e<strong>in</strong>e Berechtigung, obwohl die Menschheit<br />

dieses Unkraut seit Jahrtausenden mit allen F<strong>in</strong>essen<br />

bekämpft. Der angebliche Irrweg e<strong>in</strong>er Landwirtschaft im<br />

Nebenerwerb wird e<strong>in</strong> wertvolles Element <strong>in</strong> der <strong>Entwicklung</strong><br />

der ländlichen Räume.<br />

Wie ist es bei dieser Vielfalt möglich, den ländlichen<br />

Raum zu def<strong>in</strong>ieren. Und wie ist es möglich, den dort<br />

angesiedelten Familienbetrieb zu def<strong>in</strong>ieren? Mit Sicherheit<br />

ist es richtig hier im Plural zu sprechen — also von<br />

den ländlichen Räumen. Klar dürfte auch se<strong>in</strong>, daß <strong>in</strong><br />

diesen Räumen Landwirtschaft e<strong>in</strong>schließlich des vor-<br />

und nachgelagerten Bereiches immer noch e<strong>in</strong>e wichtige,<br />

wenn auch rückläufige Rolle spielt. Auch die Hierarchie<br />

der Leistungen des multifunktionalen bäuerlichen Betriebes<br />

hat sich grundlegend geändert.<br />

Zugegebenermaßen auch die Agrarpolitik tappt etwas<br />

verworren und verfügt vielfach nicht über genügend<br />

geeignete Konzepte und effiziente Förder<strong>in</strong>strumente —<br />

viele fühlen sich für den ländlichen Raum zuständig,<br />

aber letztendlich kaum jemand richtig verantwortlich.<br />

Die Vielfalt von Kompetenzen und der bürokratische<br />

Wirrwarr stehen im krassen Gegensatz zu Handlungsbedarf<br />

und den prioritären Notwendigkeiten dieser<br />

Gebiete, nämlich über e<strong>in</strong>fache und transparente Förder<strong>in</strong>strumente<br />

zu verfügen, die bei den bescheidenen<br />

adm<strong>in</strong>istrativen Strukturen der ländlichen Geme<strong>in</strong>den<br />

auch handhabbar s<strong>in</strong>d.<br />

Im Vertrag von Maastricht wird neben der Notwendigkeit,<br />

den unterschiedlichen <strong>Entwicklung</strong>sgrad der<br />

Regionen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er besseren ökonomischen Konvergenz<br />

<strong>in</strong> der Europäischen Union zu verr<strong>in</strong>gern, auch<br />

erstmalig auf die Notwendigkeit h<strong>in</strong>gewiesen, den unterschiedlichen<br />

<strong>Entwicklung</strong>sstand ländlicher und urbaner<br />

Zonen zu verr<strong>in</strong>gern (Art. 130 a). Diese Aufgabe soll über<br />

den gezielten E<strong>in</strong>satz der Strukturfonds gemeistert<br />

werden. Die Ballung der Fördermittel erfolgt über die<br />

sog. <strong>Entwicklung</strong>sschwerpunkte (Ziele 1 bis 6), die sich auf<br />

def<strong>in</strong>ierte nach objektiven Parametern festgelegte Gebiete<br />

beziehen (Ziele des Strukturfonds, s. S. 76). Trotz der Notwendigkeit<br />

e<strong>in</strong>er Globalstrategie zur <strong>in</strong>tegrierten <strong>Entwicklung</strong><br />

des ländlichen Raumes bleibt der sektorbezogene<br />

Ansatz des EAGFL nach Art. 43 des Vertrages von Rom<br />

erhalten (Art. 130 e).<br />

Der EAGFL wurde nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Fond zur <strong>Entwicklung</strong><br />

der ländlichen Räume umgewandelt, was die logische<br />

Konsequenz der veränderten Problemlage gewesen wäre,<br />

weil se<strong>in</strong>e Sektorbezogenheit den ökonomischen Erfordernissen<br />

e<strong>in</strong>er Politik zur <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume<br />

nicht mehr entspricht. Bei dieser rechtlichen Begrenzung<br />

des EAGFL ist e<strong>in</strong>e moderne Strukturpolitik für die ländlichen<br />

Räume nur möglich über den <strong>in</strong>tegrierten E<strong>in</strong>satz<br />

der 3 Strukturfonds, die <strong>in</strong> der Übersicht (s. S. 76) kurz<br />

zitiert s<strong>in</strong>d; nämlich durch das Zusammenwirken des<br />

Regionalfonds, des Sozialfonds und EAGFL, Abt. Ausrichtung,<br />

um das regionale oder lokale <strong>Entwicklung</strong>spotential<br />

optimal zur Entfaltung br<strong>in</strong>gen zu können.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

75


Ziel 1 Förderung der <strong>Entwicklung</strong> und<br />

der strukturellen Anpassung der<br />

Regionen mit <strong>Entwicklung</strong>srückstand<br />

(BIP pro E<strong>in</strong>wohner unter<br />

75 % des EG-Durchschnitts)<br />

Ziel 2 Umstellung der Regionen,<br />

Grenzregionen oder Teilregionen<br />

(e<strong>in</strong>schließlich Arbeitsmarktregionen<br />

und städtischer Verdichtungsräume),<br />

die von rückläufiger<br />

<strong>in</strong>dustrieller <strong>Entwicklung</strong> schwer<br />

betroffen s<strong>in</strong>d.<br />

Ziel 3 Bekämpfung der<br />

Langzeitarbeitslosigkeit (Arbeitnehmer<br />

über 25 Jahre, die länger<br />

als 12 Monate arbeitslos s<strong>in</strong>d).<br />

Erleichterung der E<strong>in</strong>gliederung<br />

von Jugendlichen und von vom<br />

Ausschluß aus dem Arbeitsmarkt<br />

bedrohten Personen.<br />

Ziele der Strukturfonds<br />

Zeitraum <strong>1994</strong> — 1999<br />

Ziel 4 Soll die neuen Aufgaben der ESF<br />

im Vertrag von Maastricht übernehmen:<br />

Erleichterung der<br />

Anpassung der Arbeitskräfte an<br />

die <strong>in</strong>dustriellen Wandlungsprozesse<br />

und an die Veränderungen<br />

der Produktionssysteme.<br />

Ziel 5 Gerichtet auf die <strong>Entwicklung</strong> des<br />

ländlichen Raums:<br />

— 5a Anpassung der Erzeugungs-,<br />

Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen<br />

<strong>in</strong> Land- und Forstwirtschaft.<br />

Modernisierung und<br />

Umstrukturierung der Fischerei.<br />

— 5b <strong>Entwicklung</strong> und strukturelle<br />

Anpassung des ländlichen Raums.<br />

Ziel 6 <strong>Entwicklung</strong> und strukturelle<br />

Anpassung der Regionen mit<br />

<strong>Entwicklung</strong>srückstand <strong>in</strong> Nördlichen<br />

Gebieten mit weniger als 8<br />

E<strong>in</strong>wohnern pro km 2<br />

.<br />

Hauptaufgaben der Strukturfonds<br />

Regionalfonds (EFRE)<br />

— F<strong>in</strong>anzierung von produktiven Investitionen zur Schaffung oder Erhaltung dauerhafter<br />

Arbeitsplätze<br />

— Investitionen zur Verbesserung der Infrastruktur (80 %) (<strong>in</strong>kl. wirtschaftsnahe Infrastruktur)<br />

— Erschließung des endogenen Potentials <strong>in</strong> den Regionen (Service, Technologietransfer,<br />

Zugang zu Kapitalmärkten)<br />

Sozialfonds (ESF)<br />

— Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit durch Erleichterung der beruflichen<br />

E<strong>in</strong>gliederung (Ziel 3)<br />

— Anpassung der von Arbeitslosigkeit bedrohten Personen an den <strong>in</strong>dustriellen Wandel<br />

und die Veränderungen der Produktionssysteme (neues Ziel 4)<br />

Agrarfonds (EAGFL) Abt. Ausrichtung<br />

— Anpassung und <strong>Entwicklung</strong> der Produktionsstrukturen für e<strong>in</strong>e wettbewerbsfähige und<br />

umweltfreundliche Landwirtschaft<br />

— Verbesserung der Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen für landwirtschaftliche<br />

Erzeugnisse<br />

— Förderung der <strong>in</strong>tegrierten <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume (Dorfentwicklung)<br />

— Landwirtschaft = Umwelt<br />

76 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Wie die f<strong>in</strong>anzielle Ausstattung der Fonds sich darstellt,<br />

ist <strong>in</strong> der obigen Übersicht gemessen am Jahr ‘93 beispielhaft<br />

erläutert. Die Sektorbestimmung des EAGFL, Abt.<br />

Ausrichtung, ist von der Hungersnot des zweiten Weltkriegs<br />

und vor allen D<strong>in</strong>gen nach dem zweiten Weltkrieg<br />

diktiert, wo die Erhöhung der Produktivität und Förderung<br />

des technischen Fortschritts <strong>in</strong> der Landwirtschaft im Vordergrund<br />

standen — Forderungen, die heute völlig konträr<br />

stehen zur Notwendigkeit der Produktionsbegrenzung<br />

durch Quoten und Stillegung. Dieser monofaktorielle,<br />

sektorbezogene Ansatz lag auch dem sogenannten<br />

Manshold-Plan zu Grunde, der als Hauptziel hatte, wettbewerbsfähige<br />

und lebensfähige landwirtschaftliche<br />

Betriebe zu schaffen, basierend auf der Nahrungsmittelproduktion.<br />

Daß dieses Konzept scheitern und <strong>in</strong> die<br />

Sackgasse führen mußte, ist klar, da die Multifunktionalität<br />

des landwirtschaftlichen Familienbetriebes außer<br />

Acht gelassen wurde.<br />

Außerdem wird die e<strong>in</strong>seitige Ausrichtung auf die<br />

Nahrungsmittelproduktion nicht den Anforderungen<br />

gerecht, die e<strong>in</strong>e moderne Wohlstands- und Freizeitgesellschaft<br />

an die Landwirtschaft und die von ihr so<br />

erfolgreich gepflegte Kulturlandschaft stellt. Die Realisierung<br />

dieser Politik hätte e<strong>in</strong>e katastrophale Entleerung<br />

des ländlichen Raumes zur Folge gehabt.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Welche Tendenzen<br />

s<strong>in</strong>d zu beachten<br />

<strong>in</strong> der Orientierung der<br />

Landwirtschaft?<br />

Nahrungsmittelproduktion<br />

Direktabsatz(Bauernmärkte),<br />

Nischenprodukte<br />

Frischprodukte aus kontrolliertem<br />

Anbau<br />

Umwelt, Kulturlandschaft,<br />

Erholung<br />

Non-food-Produktion<br />

Dienstleistung<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

77


Nachdem Erholungsfunktion und gesunde Landschaft<br />

nicht <strong>in</strong>dividualisierbare Ansprüche der Gesellschaft an die<br />

Landwirtschaft s<strong>in</strong>d, ist es auch mehrheitsfähig, hierfür<br />

öffentliche Beihilfen zu zahlen. Dies ist nicht zutreffend<br />

für Interventionskosten bei strukturellen Nahrungsmittelüberschußsituationen,<br />

die zu e<strong>in</strong>er erheblichen<br />

Resourcenvergeudung und Wohlstandsverlust führen<br />

<strong>in</strong>folge enormer Exportsubventionen, um auf dem Weltmarkt<br />

konkurrenzfähig zu se<strong>in</strong>.<br />

<strong>Entwicklung</strong><br />

der ländlichen Räume<br />

Vergangenheit:<br />

● Betriebsbezogene Strategie<br />

● Intensivierung der Landwirtschaft<br />

● Rekultivierung, Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

● Verstärkte <strong>in</strong>tensive Viehhaltung<br />

Gegenwart:<br />

● Raumbezogene Strategie<br />

● Naturnahe Produktion<br />

● Regionale Spezialitäten<br />

● Alternative E<strong>in</strong>kommensmöglichkeiten<br />

● Verbesserung der Lebensqualität<br />

● Ger<strong>in</strong>ge Standortb<strong>in</strong>dung des Tertiären<br />

Bereiches<br />

● Chancen der mobilen Wohlstandsgesellschaft<br />

bei leistungsfähiger Infrastruktur<br />

In diesen Spannungsfeldern<br />

— hohe Rationalisierungs- und Produktivitätsgew<strong>in</strong>ne <strong>in</strong><br />

der Landwirtschaft bei kaum steigendem Konsumzuwachs,<br />

— starker Strukturwandel,<br />

— hoher Stellenwert von Umwelt und Erholung,<br />

— Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der<br />

Siedlungsstrukturen,<br />

— Notwendigkeit, weiteren Konzentrationstendenzen, die<br />

nach wie vor sehr stark bestehen, <strong>in</strong> Ballungsräumen<br />

entgegenzuwirken, denn die Slums nehmen nach wie<br />

vor zu,<br />

ist die Politik zur <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume als<br />

weiche <strong>Entwicklung</strong>spolitik e<strong>in</strong>gebettet.<br />

Moderne Agrarstrukturpolitik muß e<strong>in</strong>e Politik für alle<br />

Menschen <strong>in</strong> den ländlichen Räumen se<strong>in</strong>, die das Ziel<br />

verfolgt, vergleichbare E<strong>in</strong>kommens- und Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

zu schaffen, und die Attraktivität der ländlichen<br />

Räume zu stärken. Auf europäischer Ebene werden die<br />

sogenannten horizontalen Maßnahmen der Strukturförderung<br />

des EAGFL, Abt. Ausrichtung, überall gleichartig<br />

angewandt. Ich erwähne hierbei die e<strong>in</strong>zelbetriebliche<br />

Förderung und die Investitionenförderung im Bereich der<br />

Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte,<br />

wobei gerade diese Industrie e<strong>in</strong>e sehr wichtige<br />

Komponente <strong>in</strong> der <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume ist,<br />

weil wir durch e<strong>in</strong>e gezielte Allokationspolitik außerlandwirtschaftliche<br />

Arbeitsplätze <strong>in</strong> den ländlichen Räumen<br />

zusätzlich schaffen können.<br />

Innovationen<br />

Im landwirtschaftlichen Betrieb<br />

— Nahrungsmittelproduktion (Nischenproduktion)<br />

— Nachwachsende Rohstoffe (Raps,<br />

Bitterlup<strong>in</strong>en<br />

— Service (Teleshop, Recycl<strong>in</strong>g, Tourismus)<br />

— Direktvermarktung<br />

Gruppe von Betrieben<br />

— lokale Initiativen<br />

— lokale Spezialitäten<br />

— Direktvermarktung<br />

— Service und Kommunalbereich<br />

Lokaler Bereich<br />

— Dorfentwicklung — »small is beautiful«<br />

— Infrastruktur<br />

— Kle<strong>in</strong>e Handwerksbetriebe<br />

— Dienstleitung, Teleshop<br />

— Gebäudeumwidmung<br />

— Dorfentwicklung <strong>in</strong> Gruppen<br />

— Kle<strong>in</strong>er Geldkreislauf<br />

Im S<strong>in</strong>ne der Konzentration zur Erreichung möglichst<br />

schneller Ergebnisse s<strong>in</strong>d die speziellen Förder<strong>in</strong>strumente<br />

auf europäischer Ebene auf die sog. Ziel 1 — wo wir ja<br />

den höchsten Anteil an landwirtschaftlicher Bevölkerung<br />

haben — und die sog. 5b-Regionen konzentriert. Künftig<br />

gehört <strong>in</strong> diese Kategorie auch das Ziel 6. Dies gilt auch<br />

für die spezielle Geme<strong>in</strong>schafts<strong>in</strong>itiative LEADER, wobei<br />

<strong>in</strong> der Konzeption LEADER II 10 % der Haushaltsmittel<br />

von <strong>in</strong>sgesamt 1,4 Milliarden ECU, für Maßnahmen verfügbar<br />

s<strong>in</strong>d, die außerhalb der Gebietskulisse liegen, was<br />

von besonderer Bedeutung ist. LEADER soll e<strong>in</strong>e Schulungs-<br />

und Ideenwerkstatt für neue Konzepte für die<br />

<strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume se<strong>in</strong>, wobei lokale<br />

Initiativgruppen gestärkt werden sollen und Innovationen<br />

der Vorrang gilt. Deshalb ist die große Flexibilität des<br />

Förder<strong>in</strong>struments unverzichtbar, was sicherlich auch das<br />

Risiko des Mißbrauches be<strong>in</strong>haltet. Ich sage immer, auch<br />

78 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


dieses ist e<strong>in</strong> Risikokapital. Deshalb muß im Rahmen dieser<br />

Geme<strong>in</strong>schafts<strong>in</strong>itiative der Innovation e<strong>in</strong>e absolute<br />

Priorität e<strong>in</strong>geräumt werden. Um e<strong>in</strong>e möglichst große<br />

Breitenwirkung und Mobilisierung zu erreichen, muß die<br />

Möglichkeit der Förderung im Rahmen des LEADER-Programms<br />

allen lokalen Initiatoren und <strong>Entwicklung</strong>strägern<br />

bekannt gemacht werden. Ich habe dafür Verständnis, daß<br />

e<strong>in</strong>e derartige Publizität viele Erwartungen und auch<br />

e<strong>in</strong>en gewissen politischen Druck hervorruft. Die Kommission<br />

kann aber nicht akzeptieren, daß e<strong>in</strong>e derartige<br />

Fördermöglichkeit — wie auch die 5b-Förderung — nur<br />

e<strong>in</strong>em gewissen elitären Zirkel bekannt wird oder dies zu<br />

e<strong>in</strong>er verwaltungs<strong>in</strong>ternen Veranstaltung verkommt.<br />

Dieses trifft zweifelsohne für die erste Phase auch für<br />

Bayern weitestgehend zu. Dies gilt auch für die Förderung<br />

von 5b, wo sich viele Leute darüber beschwert haben, daß<br />

ihr Gebiet zwar <strong>in</strong> die 5b-Kulisse aufgenommen wurde,<br />

ohne davon irgende<strong>in</strong>en praktischen Effekt zu spüren und<br />

ohne daß die daran <strong>in</strong>teressierten Kreise e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluß<br />

hätten geltend machen können, wie die Mittel am s<strong>in</strong>nvollsten<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden könnten. Bürgerbeteiligung<br />

gibt Motivationsschübe, hat katalysatorische Wirkung,<br />

fördert den Identifikationsgrad und hilft<br />

Demokratieverdrossenheit abzubauen. Auch wenn dieses<br />

natürlich für die Verwaltung, und ich weiß, was dieses<br />

bedeutet, zusätzlichen Ärger verursacht, weil man eben<br />

nicht mehr alle<strong>in</strong> entscheiden kann. Aber auch das ist<br />

Subsidiarität. Die Mitgliedstaaten können nicht nur von<br />

der Europäischen Geme<strong>in</strong>schaft mit Recht Subsidiarität<br />

e<strong>in</strong>fordern. Dieses muß soweit h<strong>in</strong>untergehen wie möglich<br />

und darf vor allen D<strong>in</strong>gen nicht auf Landesebene <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Zentralisierung enden. Warum scheuen wir uns eigentlich,<br />

diese Instrumente stärker e<strong>in</strong>zusetzen?<br />

Über LEADER wurde <strong>in</strong> verschiedensten Mitgliedstaaten<br />

beispielsweise e<strong>in</strong> Dorfentwicklungsprogramm als lokale<br />

Initiative angeschoben als — für diese Mitgliedstaaten —<br />

echte Innovationsmaßnahme, wie <strong>in</strong> Frankreich, Portugal<br />

und selbst <strong>in</strong> Griechenland. Ich stelle nunmehr fest, <strong>in</strong> der<br />

zweiten Phase bei den vorgelegten und e<strong>in</strong>gehenden<br />

operationellen Programmen, daß der Charme dieser<br />

Geme<strong>in</strong>schafts<strong>in</strong>itiative überschlägt und somit das Pilotprojekt<br />

zum normalen Förder<strong>in</strong>strument im operationellen<br />

Programm E<strong>in</strong>gang f<strong>in</strong>det.<br />

Durch das <strong>in</strong>tegrierte Zusammenwirken der 3 Strukturfonds<br />

der EU sowohl <strong>in</strong> den Ziel 1- als auch <strong>in</strong> den<br />

Ziel 5b-Gebieten können alle ökonomisch und ökologisch<br />

tragfähigen Konzepte für die ländlichen Räume e<strong>in</strong>schließlich<br />

der hierfür notwendigen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen,<br />

zur Stärkung des sog. Humanpotentials,<br />

gefördert werden, wobei natürlich auch hier die<br />

Innovation an erster Stelle stehen muß, ohne jedoch<br />

traditionelle Maßnahmen vernachlässigen zu wollen. Um<br />

der ernormen Vielfalt und den sehr unterschiedlichen<br />

Chancen optimal Rechnung tragen zu können, muß<br />

natürlich der Förderrahmen sehr sehr breit und flexibel<br />

konzipiert werden. Deshalb ist dieses Planungskonzept<br />

über 6 Jahre auch <strong>in</strong> gewisser Weise e<strong>in</strong> gefährliches<br />

Instrument, weil wir natürlich die wertvollsten Elemente<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

der <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume, nämlich den produktiven<br />

Bereich, nicht erfassen können, weil die E<strong>in</strong>zelentscheidung<br />

jedes Unternehmens bei ihm selber liegt<br />

und es sich nicht e<strong>in</strong>er Globalplanung unterordnet. Dies<br />

kann die Gefahr be<strong>in</strong>halten, daß aufgrund der Erfüllung<br />

dieses Plans eben öffentliche Ausgaben, e<strong>in</strong>e hohe Priorität<br />

haben, obwohl diese nur e<strong>in</strong>e sekundäre Priorität<br />

haben sollten. Vor allen D<strong>in</strong>gen für den ländlichen Raum<br />

müssen die produktiven Elemente <strong>in</strong> den Vordergrund<br />

stehen, um die ökonomische Basis zu verbreitern und<br />

außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er weichen<br />

<strong>Entwicklung</strong>sstrategie zu schaffen. Außerdem muß natürlich<br />

<strong>in</strong> diesem Konzept e<strong>in</strong>e <strong>Entwicklung</strong> von unten nach<br />

oben und e<strong>in</strong>e Beteiligung aller relevanten Wirtschaftsund<br />

Gesellschaftsgruppen bei der Ausarbeitung der regionalen<br />

<strong>Entwicklung</strong>skonzepte sichergestellt se<strong>in</strong>. Dieses ist<br />

sogar <strong>in</strong> der Verordnung festgehalten, wobei <strong>in</strong> der Ratsgruppe<br />

über dieses Problem sehr sehr lange diskutiert<br />

wurde und dann e<strong>in</strong>e sehr vage Formulierung <strong>in</strong> der<br />

Verordnung fixiert wurde. Dabei ist auch bei der regionalen<br />

Wirtschaftsförderung e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>strukturierter Ansatz<br />

erforderlich, der <strong>in</strong> der jetzigen Form der deutschen<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsaufgabe nicht sichergestellt ist. Wir müssen<br />

kritischer analysieren, wo denn die Hauptprobleme liegen<br />

und gezielte Lösungsstrategien def<strong>in</strong>ieren. Sie liegen bei<br />

den gewerblichen Kle<strong>in</strong>betrieben beispielsweise <strong>in</strong> den<br />

ersten 5 Jahren nach Gründung, so daß das E<strong>in</strong>greifen der<br />

Förderung bei Erreichen überregionaler Bedeutung, so wie<br />

es <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>schaftsaufgabe festgehalten ist, an den<br />

prioritären Notwendigkeiten vorbeigeht. Und dieses ist<br />

gerade besonders fatal <strong>in</strong> den neuen Bundesländern, wo<br />

vor allem <strong>in</strong> den ländlichen Räumen e<strong>in</strong>e möglichst große<br />

Anzahl von Betriebsgründen <strong>in</strong>iziert werden soll, um neue<br />

außerlandwirtschaftiche Arbeitsplätze zu schaffen — ich<br />

erwähne hier nur den boomenden Bausektor. Bl<strong>in</strong>des<br />

Überstülpen der Geme<strong>in</strong>schaftsaufgabe ist sicherlich e<strong>in</strong>er<br />

kritischen Analyse zu unterziehen — vor allen D<strong>in</strong>gen <strong>in</strong><br />

den ländlichen Räumen. Gleiches gilt auch für e<strong>in</strong> bl<strong>in</strong>des<br />

Fördern von Gewerbegebieten auf der grünen Wiese<br />

ohne organisches An- und E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>den <strong>in</strong> entwickelbare<br />

Siedlungsstrukturen und ohne kritische Bedarfsanalyse.<br />

Wichtig ist auch e<strong>in</strong>e enge Zusammenarbeit zwischen den<br />

M<strong>in</strong>isterien. Auch hier haben sich sogar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er so vorbildlichen<br />

Verwaltung wie <strong>in</strong> der bayerischen erhebliche<br />

Defizite gezeigt. Es bestehen zwar <strong>in</strong> Bayern nicht Sprachschwierigkeiten,<br />

aber so wie mir sche<strong>in</strong>t, erhebliche Verständigungsprobleme.<br />

Dabei komme ich schon auf die neue Phase der OP zu<br />

sprechen, nämlich dem Programmabschnitt <strong>1994</strong> bis<br />

1999, an dessen Beg<strong>in</strong>n wir stehen. Die Kommission wird<br />

<strong>in</strong> den nächsten Wochen e<strong>in</strong>e Reihe von geme<strong>in</strong>schaftlichen<br />

Beihilfekonzepten und OP genehmigen, <strong>in</strong> denen<br />

die globale <strong>Entwicklung</strong>spolitik, und damit der E<strong>in</strong>satz der<br />

Strukturfonds der Geme<strong>in</strong>schaft, für die nächsten 6 Jahre,<br />

entsprechend den Beschlüssen von Ed<strong>in</strong>burgh, festgehalten<br />

wird. In der Übersicht (s. S. 80) haben Sie den E<strong>in</strong>satz<br />

der Strukturmittel über diesen Zeitraum und die Mittelverteilung<br />

auf die e<strong>in</strong>zelnen Ziele e<strong>in</strong>schließlich der<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

79


Mio ECU — 1992 Preise<br />

STRUKTURFONDS<br />

<strong>in</strong>sgesammt<br />

● Ziel 1<br />

● Außerhalb Ziel 1<br />

Ziel 2<br />

Ziel 3/4<br />

Ziel 5 b<br />

Ziel 5 a im Ziel 5 b<br />

Regionen<br />

Ziel 5 a außerhalb<br />

Ziel 1—5 b<br />

Ziel 5 a Fische<br />

● Übergangszahlungen<br />

Ausgabenverteilung der Strukturfonds<br />

im Zeitraum <strong>1994</strong> — 1999<br />

Förderung von 5a. Sie sehen, wie die Dotierung über die<br />

Jahre h<strong>in</strong>weg <strong>in</strong> der mittelfristigen F<strong>in</strong>anzplanung läuft.<br />

Es handelt sich dabei, und das muß man sich immer vergegenwärtigen,<br />

um das dreifache F<strong>in</strong>anzvolumen des<br />

Marschall-Plans. Etwa 25 % der Mittel — mit starker Variation<br />

von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat und Region zu<br />

Region — werden für die <strong>in</strong>tegrierte <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen<br />

Räume verwendet. Denn die Kommission entscheidet<br />

nicht, für welche Sektoren und wie die Mittel e<strong>in</strong>gesetzt<br />

werden, sondern wir geben nur e<strong>in</strong>en F<strong>in</strong>anzrahmen<br />

vor und der Mitgliedstaat entscheidet, wo se<strong>in</strong>e Prioritäten<br />

liegen. Etwa 25 % werden für die <strong>Entwicklung</strong> der<br />

ländlichen Räume verfügbar se<strong>in</strong>. Dies ist gleichzeitig e<strong>in</strong><br />

enormer, aber auch e<strong>in</strong> bescheidener Betrag, wenn man<br />

bedenkt, daß diese Politik sich auf 80 % der Fläche und<br />

40 % der Bevölkerung erstreckt.<br />

Integrierte <strong>Entwicklung</strong> ist ke<strong>in</strong> Nebene<strong>in</strong>ander verschiedenster<br />

sektorieller Politikelemente, die <strong>in</strong> verwirrender<br />

Vielfalt über das Land gestreut s<strong>in</strong>d, mit teilweise<br />

widersprüchlichen Zielsetzungen arbeiten und damit auch<br />

gegenseitig sich neutralisierenden Effekten. Vielmehr<br />

muß hierfür zur Maximierung der Wohlfahrtsgew<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong><br />

gezieltes Zusammenwirken aller Politik<strong>in</strong>strumente sicher-<br />

<strong>1994</strong> 1995 1996 1997 1998 1999 <strong>1994</strong> — 1999<br />

20135<br />

13220<br />

6915<br />

2281<br />

2359<br />

866<br />

315<br />

626<br />

143<br />

305<br />

2140<br />

14300<br />

7180<br />

2372<br />

2452<br />

1065<br />

329<br />

574<br />

143<br />

245<br />

22740<br />

15330<br />

gestellt se<strong>in</strong>, um somit dauerhaft tragfähige Konzepte<br />

anzuschieben, aber ke<strong>in</strong>esfalls aufzuoktroieren. Anschieben<br />

heißt — der <strong>Entwicklung</strong>sprozeß von unten nach<br />

oben, um damit umfassende Verbesserung der ländlichen<br />

Lebens-, Arbeits- und Erholungsbed<strong>in</strong>gungen sicherzustellen.<br />

Wie ich schon sagte, dieses <strong>Entwicklung</strong>skonzept<br />

kann nur e<strong>in</strong>e weiche <strong>Entwicklung</strong> se<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em fragilen<br />

und teilweise auch sehr sensiblen humanen und ökologischen<br />

Umfeld, <strong>in</strong> dem sich e<strong>in</strong>e Fülle kle<strong>in</strong>er Aktivitäten,<br />

getragen von Hunderttausenden eigenverantwortlich handelnden<br />

Personen und Unternehmern, zu e<strong>in</strong>em von der<br />

Verwaltung locker gesteuerten Gesamtbild zusammenf<strong>in</strong>den<br />

— small is beautiful. Dies gilt vor allen D<strong>in</strong>gen hier,<br />

darauf können wir stolz se<strong>in</strong>, ist gleichzeitig aber auch<br />

gefährlich. Denn aufgrund dieser Kle<strong>in</strong>heit und des<br />

Mangels spektakulärer Maßnahmen wird diese Politik vielfach<br />

real vernachlässigt, weil es eben öffentlich wirksamer<br />

ist, das Eröffnungsband e<strong>in</strong>er großen Straße zu durchschneiden<br />

und weil dieses <strong>in</strong> der Presse überall rüberkommt.<br />

Diese Politik der <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen<br />

Räume darf sich nicht <strong>in</strong> Worthülsen oder l<strong>in</strong>guistischer<br />

Akrobatik erschöpfen, sondern muß von den Realitäten<br />

ausgehen: von den bestehenden Siedlungsstrukturen, von<br />

80 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

7410<br />

2510<br />

2595<br />

1075<br />

342<br />

500<br />

143<br />

245<br />

24026<br />

16396<br />

7630<br />

2610<br />

2699<br />

1080<br />

353<br />

500<br />

143<br />

245<br />

25690<br />

17820<br />

7870<br />

2716<br />

2810<br />

1090<br />

366<br />

500<br />

143<br />

245<br />

27400<br />

19280<br />

8120<br />

2828<br />

2924<br />

1100<br />

380<br />

500<br />

143<br />

245<br />

141471<br />

96346<br />

45125<br />

15316<br />

15840<br />

3296<br />

2085<br />

3200<br />

858<br />

1530


Kennzeichen e<strong>in</strong>er<br />

INTEGRIERTEN LÄNDLICHEN<br />

ENTWICKLUNG<br />

sollten se<strong>in</strong><br />

➊<br />

Ganzheitlichkeit und Individualität<br />

➋<br />

Integration und Kooperation<br />

➌<br />

Innovation und Investition<br />

➍<br />

Partizipation und Pluralität<br />

➎<br />

Information und Bildung<br />

➏<br />

Gelassenheit und Geduld<br />

der umgebenden Kulturlandschaft, von der Kultur, Tradition,<br />

den speziellen Stärken und Schwächen, von der<br />

Lage zu den urbanen Zonen, zu den bestehenden Infrastrukturen,<br />

<strong>in</strong> Relation zum landwirtschaftlichen Produktionspotential<br />

zu den gegebenen und neu zu schaffenden<br />

Absatzwegen, um nur die wichtigsten zu erwähnen.<br />

Ganz wesentlich ist das Humanpotential. Deshalb ist Abwanderung<br />

der Jugend aus den ländlichen Räumen das<br />

gefährlichste Phänomen, dem wirkungsvoll entgegengewirkt<br />

werden muß. Auch können örtlich ansässige clevere<br />

Unternehmer oder Führungspersönlichkeiten das <strong>Entwicklung</strong>skonzept<br />

wesentlich bee<strong>in</strong>flussen. Dieses s<strong>in</strong>d alles<br />

Faktoren die glasklar belegen, daß <strong>in</strong> dieser Politik die<br />

europäische Geme<strong>in</strong>schaft sehr wenig zentral zu steuern<br />

hat. Wenn wir <strong>in</strong> den meisten Regionen das Dorf als prägende<br />

Siedlungsstruktur haben und dieses gleichzeitig die<br />

kle<strong>in</strong>ste adm<strong>in</strong>istrative und demokratische E<strong>in</strong>heit ist, so<br />

ist dieses der logische und natürlichste Ansatzpunkt<br />

dieser <strong>Entwicklung</strong>skonzeption, wobei alle vorher zitierten<br />

Bed<strong>in</strong>gungen und Aspekte sich <strong>in</strong> unauffälliger, logischer<br />

und damit idealer Weise vere<strong>in</strong>igen lassen und wo leicht<br />

hohe Beteiligungs- und Identifizierungswerte erreichbar<br />

s<strong>in</strong>d. Ich spreche absichtlich nicht von Dorferneuerung<br />

— da mit diesem Begriff mehr retrovertierte, statische<br />

und <strong>in</strong> Richtung Verhübschungspolitik gerichtete Aspekte<br />

assoziiert werden. Dorfentwicklung, die <strong>in</strong> sich schlüssig<br />

ist als dynamisches Konzept, muß sich im Regionalkonzept<br />

e<strong>in</strong>ordnen, womit sich die <strong>Entwicklung</strong> von unten<br />

nach oben und die strategische Politik von oben nach<br />

unten treffen — nicht aufe<strong>in</strong>anderprallen, so daß hier wie<br />

die Engländer sagen, die cross compliance <strong>in</strong> idealer Weise<br />

sichergestellt ist. Entwickelte Dörfer mit ihren Betrieben<br />

haben bessere Chancen für Diversifizierung, Verbreiterung<br />

der ökonomischen Basis durch Schaffung alternativer<br />

E<strong>in</strong>kommensmöglichkeiten und geben e<strong>in</strong>e solide<br />

Ausgangsbasis für weitere Innovationen.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

nach Magel 1/93<br />

Wenn sich mehrere Dörfer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppenentwicklung<br />

zusammenschließen, dann gehen beide Systeme,<br />

nämlich Regionalpolitik und <strong>Entwicklung</strong>, von unten nach<br />

oben <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander auf. Deshalb spricht man <strong>in</strong> manchen<br />

deutschen Bundesländern, wie z. B. <strong>in</strong> Hessen, bereits von<br />

ländlicher Regionalentwicklung. Dieses sche<strong>in</strong>t mir e<strong>in</strong>e<br />

gewisse Idealkonzeption zu se<strong>in</strong>, weil nur so die notwendigen<br />

Infrastrukturen und der Dienstleistungsbereich <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er breiten Fächerung im ländlichen Raum erhalten<br />

werden können als Grundvoraussetzung zur Steigerung<br />

der Attraktivität und der Lebensqualität. Nur so läßt sich<br />

der sogenannte kle<strong>in</strong>e Geldkreislauf absichern, d. h. im<br />

ländlichen Raum ver<strong>dient</strong>es Geld wird dort auch ausgegeben<br />

und schafft damit Wohlfahrtsgew<strong>in</strong>ne und Multiplikationseffekte.<br />

Im Wege des Tourismus und im Dienstleistungsbereich<br />

für die urbanen Zonen, wozu entwickelte<br />

ländliche Räume <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, gel<strong>in</strong>gt es sogar, den<br />

Geldfluß umzuleiten, nämlich e<strong>in</strong>en Fluß von den urbanen<br />

<strong>in</strong> die ländlichen Regionen.<br />

Die Chancen hierfür s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er mobilen Wohlstandsgesellschaft,<br />

<strong>in</strong> der ja die Entfernungen stark zusammengeschrumpft<br />

s<strong>in</strong>d, sehr günstig. Man muß sich fragen,<br />

warum wir dabei bisher nicht erfolgreicher waren. British<br />

Airways läßt se<strong>in</strong>e Buchführung auf den Philipp<strong>in</strong>en<br />

machen und die Flugzeugwartung wird nunmehr <strong>in</strong> Indien<br />

vorgenommen — schlagende Beweise dafür, daß der<br />

Globus zusammengeschrumpft ist durch moderne<br />

Telekommunikationsmöglichkeiten und da muß es uns<br />

doch gel<strong>in</strong>gen, hier die Kommunikation ländlicher und<br />

urbaner Zonen zu verbessern und bessere Synergieeffekte<br />

zu erreichen.<br />

Ziel der <strong>Entwicklung</strong> der<br />

ländlichen Räume<br />

● ökonomische Basis stärken<br />

und verbreitern<br />

● Attraktivität und<br />

Lebensqualität erhöhen<br />

● Wohlstandsabfluß stoppen<br />

Für den Zeitraum <strong>1994</strong> — 1999 wurde die festgelegte<br />

Förderkulisse für die sog. 5b-Gebiete neu festgelegt. Sie<br />

wurde auch <strong>in</strong> Deutschland gegenüber der bisherigen<br />

erheblichen ausgeweitet und umfaßt nunmehr e<strong>in</strong>en<br />

Bevölkerungsanteil von 9,6 % bei e<strong>in</strong>em Gedamtdurchschnitt<br />

von 8,2 %. Die Förder<strong>in</strong>tensität pro E<strong>in</strong>wohner<br />

liegt <strong>in</strong> Deutschland deutlich unter dem europäischen<br />

Durchschnitt, so daß <strong>in</strong> der zweiten Phase e<strong>in</strong>e viel, viel<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

81


Bevölkerung <strong>in</strong> den förderfähigen Gebieten im Zeitraum <strong>1994</strong> — 1999<br />

Mitgliedstaat<br />

Ziel-5b-Gebiete noch nicht e<strong>in</strong>gearbeitet<br />

Belgien<br />

Dänemark<br />

Deutschland<br />

Spanien<br />

Frankreich<br />

Italien<br />

Luxemburg<br />

Niederlande<br />

Vere<strong>in</strong>igtes Königreich<br />

INSGESAMT<br />

gezieltere Mittelverwendung notwendig ist. Die Maßnahmen<br />

mit dem höchsten ökonomischen Input s<strong>in</strong>d prioritär<br />

zu bedienen. Das ist der e<strong>in</strong>zige entscheidende Parameter;<br />

nicht die Kompetenz der e<strong>in</strong>zelnen M<strong>in</strong>isterien oder nicht<br />

die Ausgabenbereiche, die den e<strong>in</strong>fachsten Mittelabfluß<br />

garantieren. Auch hier könnte ich e<strong>in</strong>e Reihe von Bei-<br />

Land<br />

BE<br />

DE<br />

DK<br />

EL<br />

ES<br />

FR<br />

LU<br />

IR<br />

IT<br />

NL<br />

PT<br />

UK<br />

Insges.<br />

Zuwendung<br />

(MECUS)<br />

730<br />

13.640<br />

13.980<br />

26.300<br />

2.190<br />

5.620<br />

14.860<br />

150<br />

13.980<br />

2.300<br />

93.810<br />

E<strong>in</strong>wohner<br />

00 448 059<br />

00 360 119<br />

07 725 000<br />

01 731 271<br />

09 759 427<br />

04 827 805<br />

00 029 972<br />

00 799 958<br />

02 840 997<br />

28 522 608<br />

prozentualer Anteil an der<br />

Landesbevölkerung<br />

spielen aus Bayern zitieren. Gemessen an den sogenannten<br />

Ziel-1-Regionen liegt der Mittele<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> den 5b-<br />

Gebieten oder die Förder<strong>in</strong>tensität gemessen pro E<strong>in</strong>wohner<br />

bei etwa 20 %, wobei man allerd<strong>in</strong>gs nicht<br />

vergessen darf, daß im 5b-F<strong>in</strong>anzvolumen die sog.<br />

5a-Instrumente nicht enthalten s<strong>in</strong>d.<br />

82 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

04,5<br />

07,0<br />

09,6<br />

04,4<br />

17,3<br />

08,4<br />

07,4<br />

05,4<br />

04,9<br />

08,2<br />

Zahlungsverpflichtungen zweite Phase<br />

Strukturfonds <strong>1994</strong>–1999 (Ziel 1 und 5 B) – <strong>1994</strong>–1996 (Ziel 2)<br />

ZIEL 1 (1) ZIEL 2 (2) ZIEL 5 B<br />

E<strong>in</strong>wohneranzahl<br />

(MILLIONEN)<br />

1,20<br />

16,00<br />

10,00<br />

23,8<br />

2,46<br />

3,50<br />

21,10<br />

0,25<br />

10,30<br />

3,33<br />

91,22<br />

Betrag pro<br />

E<strong>in</strong>wohner<br />

(ECUS)<br />

608<br />

853<br />

1.398<br />

1.140<br />

890<br />

1.606<br />

704<br />

600<br />

1.357<br />

690<br />

1.028<br />

(1) Ziel 1: Insgesamt GFK + IFOP<br />

(2) Ziel 2: Geme<strong>in</strong>schafts<strong>in</strong>itiative nicht mit<strong>in</strong>begriffen<br />

Zuwendung<br />

(MECUS)<br />

160<br />

733<br />

56<br />

1.130<br />

1.765<br />

7<br />

684<br />

300<br />

2.140<br />

6.977<br />

E<strong>in</strong>wohneranzahl<br />

(MILLIONEN)<br />

1,41<br />

7,02<br />

0,43<br />

7,90<br />

14,61<br />

0,13<br />

6,32<br />

2,60<br />

17,71<br />

58,13<br />

Betrag pro<br />

E<strong>in</strong>wohner<br />

(ECUS)<br />

113<br />

104<br />

130<br />

143<br />

121<br />

54<br />

108<br />

115<br />

121<br />

120<br />

Zuwendung<br />

(MECUS)<br />

77<br />

1.227<br />

54<br />

664<br />

2.238<br />

6<br />

901<br />

150<br />

817<br />

6.134<br />

E<strong>in</strong>wohneranzahl<br />

(MILLIONEN)<br />

0,44<br />

7,72<br />

0,36<br />

1,73<br />

9,75<br />

0,03<br />

4,82<br />

0,80<br />

2,84<br />

28,49<br />

Betrag pro<br />

E<strong>in</strong>wohner<br />

(ECUS)<br />

175<br />

159<br />

150<br />

384<br />

230<br />

200<br />

187<br />

188<br />

288<br />

215


Die neuen Bundesländer, die ja übergangsweise über<br />

e<strong>in</strong>e Sonderverordnung be<strong>dient</strong> wurden, s<strong>in</strong>d nunmehr<br />

offiziell sog. Ziel 1-Förderkulisse. In der Übersicht (s. S 82)<br />

haben sie die Fördermittel im Bereich der Strukturfonds <strong>in</strong><br />

der zweiten Phase für die e<strong>in</strong>zelnen Mitgliedstaaten und<br />

für die e<strong>in</strong>zelnen Förderziele ausgewiesen, wobei eben e<strong>in</strong><br />

Land sowohl <strong>in</strong> Ziel 1, wie <strong>in</strong> Ziel 2, wie <strong>in</strong> Ziel 5b figurieren<br />

kann. Wenn die vorh<strong>in</strong> zitierten Schwierigkeiten <strong>in</strong><br />

den nächsten Tagen ausgeräumt werden können, dann<br />

dürfte das geme<strong>in</strong>schaftliche Förderkonzept und die OP<br />

für die neuen Bundesländer <strong>in</strong> den nächsten Tagen e<strong>in</strong>vernehmlich<br />

beschlossen werden, so daß die offizielle Genehmigung<br />

durch die Kommission <strong>in</strong> etwa 3—4 Wochen<br />

erfolgen kann, damit die Zuschüsse <strong>in</strong> Form der Vorschüsse<br />

für die neuen Bundesländer ausgezahlt werden können.<br />

Dies ist sehr wichtig, weil e<strong>in</strong>e Reihe von Maßnahmen <strong>in</strong><br />

den neuen Bundesländern ohne Geme<strong>in</strong>schaftsf<strong>in</strong>anzierungen<br />

nicht mehr laufen, so hoch ist der Mittele<strong>in</strong>satz,<br />

nämlich 14 Mrd ECU für die Dauer von 6 Jahren. Im<br />

Bereich der ländlichen <strong>Entwicklung</strong> läuft ohne EAGFL-<br />

Beteiligung nichts. Es läuft ke<strong>in</strong>e Dorfentwicklung mehr,<br />

die ja e<strong>in</strong> Zentral<strong>in</strong>strument <strong>in</strong> der Förderung der ländlichen<br />

Räume <strong>in</strong> den neuen Bundesländern ist.<br />

Von den <strong>in</strong>sgesamt für die 5b-Politik verfügbaren<br />

Haushaltsmitteln von 6,1 Mrd ECU — also wenn Sie <strong>in</strong> DM<br />

umrechnen, multiplizieren Sie die ECU mit 2 — entfallen<br />

etwa 20 % auf die BRD, wovon wiederum 50 % auf den<br />

Freistaat Bayern entfallen. Der Verteilungsschlüssel für die<br />

erste Phase gilt auch für die zweite Phase.<br />

Mitgliedstaat Mittel Mittel<br />

Ziel-5b-Gebiete noch<br />

nicht e<strong>in</strong>gearbeitet<br />

Belgien<br />

Dänemark<br />

Deutschland<br />

Spanien<br />

Frankreich<br />

Italien<br />

Luxemburg<br />

Niederlande<br />

Vere<strong>in</strong>igtes Königreich<br />

TOTAL<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Es handelt sich also ke<strong>in</strong>esfalls, auch nicht für Bayern,<br />

um marg<strong>in</strong>ale Geldbeträge, die die Geme<strong>in</strong>schaft für diesen<br />

Politikbereich verfügbar macht. Dieses Moment wurde<br />

lange Zeit nicht erkannt, denn sonst wäre mit Sicherheit<br />

die Federführung nicht so gelaufen, wie sie gelaufen ist.<br />

Durch das Pr<strong>in</strong>zip der Additionalität haben die Gebiete<br />

und die von der EU-mitf<strong>in</strong>anzierten Politikbereiche e<strong>in</strong>e<br />

privilegierte Position und fallen nicht dem Rotstift der<br />

Sparpolitik zum Opfer. Das ist e<strong>in</strong> sehr, sehr wichtiger<br />

zusätzlicher Aspekt. Die Förderkonzepte s<strong>in</strong>d nunmehr von<br />

den deutschen Ländern der Kommission zur Prüfung und<br />

Genehmigung vorgelegt worden, und die Kommission<br />

muß <strong>in</strong>nerhalb der nächsten 6 Monate <strong>in</strong> partnerschaftlicher<br />

Zusammenarbeit mit den Regionen darüber bef<strong>in</strong>den.<br />

Partnerschaft ist sehr wichtig und ich würde Ihnen empfehlen,<br />

dieses Wort »Partnerschaft« auf jede Akte 3-mal zu<br />

schreiben. Durch die E<strong>in</strong>haltung der Fristen ist auch die<br />

Mitf<strong>in</strong>anzierung der Maßnahmen bereits im Jahre <strong>1994</strong><br />

sichergestellt, soweit die Kommissionsent-scheidung dieses<br />

Maßnahmenpaket abdeckt. Geld und öffentliche<br />

Förderung s<strong>in</strong>d zwar wichtig, aber nicht alles. Sie müssen<br />

begleitet werden von promotorischen und organisatorischen<br />

Akzenten, wie Informationsbörsen, Aus- und<br />

Fortbildungsaktionen, vielleicht auch schon im Vorgriff<br />

sozusagen auf Reserve, Erfahrungsaustausch, der nicht an<br />

den Landesgrenzen auch nicht an den Grenzen des Mitgliedstaates<br />

Halt machen darf. Durch die europäische<br />

Vernetzung wird vermieden, daß nicht jeder immer wieder<br />

neu das Rad erf<strong>in</strong>den muß; gleichzeitig wird durch diese<br />

Indikative Aufteilung der GFK-Mittel im Zeitraum <strong>1994</strong> — 1999<br />

<strong>in</strong> Mio. ECU<br />

Preise von <strong>1994</strong><br />

0077<br />

0054<br />

1227<br />

0664<br />

2238<br />

0901<br />

0006<br />

0150<br />

0817<br />

6134<br />

durchschn.<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsbeteiligu<br />

prozentualer Anteil <strong>in</strong> ECU<br />

1,2<br />

0,9<br />

20,0<br />

10,8<br />

36,5<br />

14,7<br />

00,1<br />

02,4<br />

13,3<br />

100,0<br />

171,9<br />

150,0<br />

158,8<br />

383,5<br />

229,3<br />

186,6<br />

200,2<br />

187,5<br />

287,5<br />

215,1<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

83


Zusammenarbeit das europäische Bewußtse<strong>in</strong> gestärkt.<br />

Auch <strong>in</strong> diesem Bereich setzt LEADER II neue Akzente.<br />

Gerade die Strategie der globalen, <strong>in</strong>tegrierten Dorfentwicklung<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> die regionale <strong>Entwicklung</strong>sstrategie<br />

wird <strong>in</strong> den nächsten Jahren, ich b<strong>in</strong><br />

sicher, e<strong>in</strong> <strong>in</strong> Europa beherrschendes Thema se<strong>in</strong>. Die<br />

deutschen Bundesländer, vor allen D<strong>in</strong>gen die Südachse,<br />

kann dabei wertvolle Ideen überbr<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong>dem sie aus<br />

ihrem langjährigen Erfahrungsschatz schöpfen. Die Positionierung<br />

des Konzeptes Dorfentwicklung ist die Folge<br />

der revidierten Fassung des EAGFL, wo diese Maßnahme<br />

trotz Widerstand <strong>in</strong> der Verordnung festgehalten wurde.<br />

Als nützlich für die <strong>Entwicklung</strong>sbemühungen im ländlichen<br />

Raum ersche<strong>in</strong>en mir auch die neuen F<strong>in</strong>anztechniken,<br />

so wie sie <strong>in</strong> der EAGFL-Verordnung enthalten s<strong>in</strong>d.<br />

Ich erwähne als Stichworte Risikokapitalgesellschaften,<br />

Revolv<strong>in</strong>gfunds, Globalzuschüsse für spezielle Vorhaben,<br />

Startbeihilfen für Junghandwerker <strong>in</strong> den ländlichen<br />

Räumen. Dieses alles kann unter dem Anstrich »f<strong>in</strong>anzielle<br />

Techniken« f<strong>in</strong>anziert werden e<strong>in</strong>schließlich der Banksicherheiten<br />

beispielsweise auch <strong>in</strong> den neuen Bundesländern,<br />

wenn die Besitzverhältnisse nicht klar s<strong>in</strong>d.<br />

Hier glaube ich, sollte Bonn e<strong>in</strong>e bessere Führungsrolle<br />

übernehmen.<br />

Zusammenfassend darf ich feststellen, daß die Kommission<br />

für ihre Politik zur <strong>in</strong>tegrierten <strong>Entwicklung</strong> der<br />

ländlichen Räume über e<strong>in</strong> sehr flexibles Förder<strong>in</strong>strument<br />

verfügt, das dem Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip entsprechend, den<br />

Regionen e<strong>in</strong>en weiten Entscheidungsspielraum sicherstellt<br />

und überläßt, was ke<strong>in</strong>esfalls der Fall ist im Rahmen<br />

der sog. horizontalen Fördermaßnahmen. Die Subsidiarität<br />

darf nicht Halt machen bei den Regionen, sondern die<br />

Entscheidungsprozesse müssen so weit wie möglich an<br />

die Basis verlagert werden, damit alle Akteure spüren und<br />

auch davon überzeugt s<strong>in</strong>d, daß sie ihre eigene Zukunft<br />

selbst gestalten können; auch wenn das nicht immer so<br />

Realität ist. Das ist eben das Geschick e<strong>in</strong>er klugen Verwaltung,<br />

sich so e<strong>in</strong>zuschalten, daß jeder davon überzeugt<br />

ist, daß es se<strong>in</strong>e eigene Entscheidung und Idee ist.<br />

Viel Überzeugungskraft und politische Weitsicht ist<br />

erforderlich, um die derzeitige Kompetenzvielfalt zu reduzieren<br />

als Voraussetzung für e<strong>in</strong>fache und transparente<br />

Förderprogramme und Entscheidungsprozesse; das gilt<br />

sowohl für die Kommission, wie für die Mitgliedsstaaten<br />

und die Länder.<br />

Die Geme<strong>in</strong>schafts<strong>in</strong>itiative LEADER — hier haben wir<br />

so etwas wie e<strong>in</strong>en Fond zur <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen<br />

Räume — soll gezielt Innovationen fördern und soll e<strong>in</strong>e<br />

Denkfabrik verbunden mit praktischer Umsetzung für<br />

neue Konzepte zur <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume<br />

se<strong>in</strong> mit europaweitem know-how-Transfer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er europäischen<br />

Vernetzung.<br />

<strong>Ländliche</strong> Räume können Gew<strong>in</strong>ner se<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

modernen Wohlstandsgesellschaft, wenn wir ihre Neuplazierung<br />

durch e<strong>in</strong>e weitsichtige und kluge Förderpolitik<br />

unterstützen, die ke<strong>in</strong>esfalls von Partikular<strong>in</strong>teressen<br />

geprägt se<strong>in</strong> darf.<br />

Wenn wir erfolgreich s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> dieser Politik, dann kann<br />

sich der Spruch der beg<strong>in</strong>nenden Industrialisierung, daß<br />

nämlich <strong>Stadt</strong>luft frei macht, umkehren zur Feststellung,<br />

daß Landluft frei macht, <strong>in</strong>dem sie e<strong>in</strong>e Fülle von Entfatungsfreiräumen<br />

bietet <strong>in</strong> überschaubaren humanen<br />

Sozialstrukturen — e<strong>in</strong> Biotop, das dem menschlichen<br />

Wesen sehr gut angepaßt ist. Wir tragen dafür Verantwortung<br />

— e<strong>in</strong>e passionierende Aufgabe.<br />

Der Arbeitskreis hatte die<br />

meisten Teilnehmer<br />

84 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Karl-Friedrich Thöne<br />

Möglichkeiten und Grenzen der<br />

<strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

»Möglichkeiten und Grenzen der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong>«<br />

— »Ländlich« dabei mit e<strong>in</strong>em Großbuchstaben<br />

beg<strong>in</strong>nend —, so lautet das mir vorgegebene Vortragsthema.<br />

Ich habe dies als ganz bewußt e<strong>in</strong>grenzende Vorgabe<br />

für dessen Behandlung aufgefaßt. Es birgt ansonsten<br />

die Gefahr des sich Verlierens im Dickicht der vieldeutigen<br />

Begriffe »ländliche Räume — ländliche <strong>Entwicklung</strong>« <strong>in</strong><br />

sich. Folglich beschränke ich mich auf Aspekte ländlicher<br />

<strong>Entwicklung</strong>, von denen ich me<strong>in</strong>e, daß sie unsere Verwaltung<br />

mit ihrem Gestaltungs<strong>in</strong>strumentarium bee<strong>in</strong>flussen<br />

kann.<br />

Inhalt me<strong>in</strong>es Vortrags werden deshalb<br />

— neue Aufgabenfelder der Flurbere<strong>in</strong>igung,<br />

— der Weg von der Flurbere<strong>in</strong>igung zur Landentwicklung,<br />

— die Bestrebungen zur Novellierung des Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes,<br />

— e<strong>in</strong> Exkurs zur agrarstrukturellen Vorplanung<br />

— und schließlich f<strong>in</strong>anzielle Perspektiven se<strong>in</strong>.<br />

Zum besseren Verständnis möchte ich vorerst am<br />

Begriff »Flurbere<strong>in</strong>igung« unter Verzicht auf neue<br />

Synonyme wie »Landentwicklung« oder »Flurneuordnung«<br />

oder »<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>« festhalten, weil er mit Blick<br />

auf den Gesetzestitel bundesweit noch den kle<strong>in</strong>sten<br />

geme<strong>in</strong>samen Nenner darstellt.<br />

1. E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung der Flurbere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong><br />

Verwaltung und Gesellschaft<br />

Lassen Sie mich als E<strong>in</strong>stieg zunächst den gesellschaftspolitischen<br />

Bezug der Flurbere<strong>in</strong>igung herstellen<br />

und damit die Standortfrage unserer Verwaltung beleuchten.<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung ist zu e<strong>in</strong>em wesentlichen Teil<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Tätigkeit e<strong>in</strong>er Verwaltungsbehörde. Dies gilt auch für das<br />

bayerische Genossenschaftspr<strong>in</strong>zip. Wir erheben den<br />

Anspruch, öffentlicher Dienstleistungsbetrieb zu se<strong>in</strong>. Dies<br />

ist als positive Abgrenzung geme<strong>in</strong>t. Zugleich s<strong>in</strong>d wir<br />

aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Verwaltungsapparat e<strong>in</strong>gebunden. Und wir<br />

werden durch Gesetze, Richtl<strong>in</strong>ien, Organisationsstrukturen<br />

und vielfältige Abstimmungszwänge zu formalisiertem<br />

Handeln angehalten. Künftige Flurbere<strong>in</strong>igung und<br />

die sie betreibende Verwaltung können von dem gegenwärtigen<br />

gesellschaftspolitischen Wandel nicht unberührt<br />

bleiben. Flurbere<strong>in</strong>igung, nimmt sie ihren <strong>Entwicklung</strong>sauftrag<br />

für ländliche Räume ernst, hat viel mit dem<br />

vielbeschworenen »Wirtschaftsstandort Deutschland« zu<br />

tun. Hören wir uns also die Kritik aus der Wirtschaft an<br />

und lernen tunlichst daraus. Flurbere<strong>in</strong>iger s<strong>in</strong>d lernfähig<br />

und müssen es se<strong>in</strong>. Denn unsere Tätigkeit war gerade <strong>in</strong><br />

jüngerer Vergangenheit stets von Kritik begleitet.<br />

»Wir müssen entrümpeln«, befand der langjährige<br />

Vorstandsvorsitzende der deutschen Asea Brown Boveri<br />

AG, Eberhard von Koerber, vor kurzem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Spiegel-<br />

Interview zur Strukturkrise der deutschen Wirtschaft. Er<br />

denkt dabei an e<strong>in</strong>e Reduzierung der Staatsquote, e<strong>in</strong>e<br />

stärkere Privatisierung im Bereich der öffentlichen Hand.<br />

Deutschland sei »potentiell unregierbar geworden, zu viele<br />

Ebenen, zu viele Kompetenzen«! Im verschärften Wettbewerb<br />

der Standorte seien »natürlich die Regionen im<br />

Nachteil, die überreguliert, überverwaltet und <strong>in</strong> ihren<br />

Entscheidungsabläufen zu kompliziert s<strong>in</strong>d« Beispiel:<br />

Ȇbersteigerte Individual<strong>in</strong>teressen durch den Rechtswegestaat,<br />

E<strong>in</strong>spruchsfristen, Genehmigungsverfahren, die<br />

Möglichkeit, daß e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelner Gesamt<strong>in</strong>teressen über<br />

E<strong>in</strong>sprüche auf Jahre blockieren kann«. Die lange Erfolgsperiode,<br />

so v. Koerber weiter, habe uns behäbig und satt<br />

gemacht. Das seien schlechte Voraussetzungen für Innovationen<br />

und Kreativität. Die Folgerungen daraus für se<strong>in</strong><br />

sehr erfolgreiches Unternehmen: »Wir haben Hierarchien<br />

reduziert, kle<strong>in</strong>ere E<strong>in</strong>heiten geschaffen und mehr Verantwortung<br />

<strong>in</strong> diese E<strong>in</strong>heiten verlagert. Das hat die<br />

Referent Thöne (Bildmitte),<br />

Referent Dr. Huber (l<strong>in</strong>ks),<br />

Arbeitskreisleiter Huber<br />

(rechts)<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

85


Motivation und die Identifikation erhöht so wie den<br />

Krankenstand reduziert. Das schafft Freiräume für<br />

Kreativität«.<br />

Delegation von oben nach unten wird nicht nur <strong>in</strong><br />

Ihrer Verwaltung gegenwärtig <strong>in</strong>tensiv diskutiert. Ich halte<br />

sie für e<strong>in</strong>en ganz wesentlichen Aspekt der Verwaltungsvere<strong>in</strong>fachung.<br />

Konzentration von Entscheidungen <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Hand ist e<strong>in</strong> weiterer Gesichtspunkt, auf den ich<br />

beim Thema Landentwicklung noch e<strong>in</strong>gehen werde.<br />

Die Schlußfolgerung <strong>in</strong> bezug auf die Delegation muß<br />

aber lauten: Es sollten alle Möglichkeiten des Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes<br />

genutzt werden, direkt oder <strong>in</strong> Ausfüllung<br />

der Ermächtigung zu Ausführungsgesetzen,<br />

Kompetenzen auf die Ortsbehörde oder auch an die Teilnehmer<br />

zu verlagern und zu konzentrieren. Der Qualifikationsstand<br />

der Bediensteten <strong>in</strong> den Flurbere<strong>in</strong>igungsverwaltungen,<br />

wichtigste Voraussetzung für die Delegation<br />

von Kompetenz und Verantwortung, rechtfertigt es!<br />

Bürokratie-Kritik ist modern, mögen Sie entgegnen,<br />

<strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> Zeiten leerer Kassen. Das Damoklesschwert<br />

des Stellenabbaus schwebt dann zumeist über<br />

Sonderbehörden. Die abgeschlossenen oder noch laufenden<br />

Organisationsuntersuchungen <strong>in</strong> den Flurbere<strong>in</strong>igungsverwaltungen<br />

der Bundesländer betreffen und treffen<br />

unseren Verwaltungszweig <strong>in</strong>sgesamt. Der Vollzug von<br />

E<strong>in</strong>sparungen geschieht zumeist über Wiederbesetzungssperren.<br />

Die Unkündbarkeit im öffentlichen Dienst sollte<br />

dabei ke<strong>in</strong> sanftes Ruhekissen se<strong>in</strong>.<br />

Abb. 1<br />

Das Agrarproblem besteht<br />

Behäbigkeit und Saturiertheit s<strong>in</strong>d schlechte Voraussetzungen<br />

für Innovationen und Kreativität — so<br />

v. Koerber <strong>in</strong> dem vorgenannten Spiegel-Gespräch. Bei der<br />

Lektüre kam mir unmittelbar der überaus große Personalbedarf<br />

, <strong>in</strong>sbesondere an Geodäten, <strong>in</strong> den jungen Flurbere<strong>in</strong>igungsverwaltungen<br />

der neuen Bundesländer <strong>in</strong> den<br />

S<strong>in</strong>n. Selbst hervorragend dotierte Stellenausschreibungen<br />

bleiben dort fast ohne Resonanz. Betrachtet man auf der<br />

anderen Seite den Stellenabbau und damit die mangelnden<br />

Perspektiven <strong>in</strong> den Flurbere<strong>in</strong>igungsverwaltungen<br />

der alten Länder, dann steckt e<strong>in</strong> Fehler im System, wenn<br />

derartige Möglichkeiten nicht genutzt werden. Der Vorwurf<br />

mangelnder Flexibilität ist nicht von der Hand zu<br />

weisen! Wir werden von Bundesseite geme<strong>in</strong>sam mit der<br />

Bund-Länder-Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

(ArgeFlurb) nach Lösungen suchen, um den notwendigen<br />

Personalfluß zusätzlich zu den Transfers im Rahmen der<br />

Verwaltungshilfe <strong>in</strong> Bewegung zu br<strong>in</strong>gen. Machen wir<br />

uns nichts vor! Die Aufgaben <strong>in</strong> den neuen Ländern s<strong>in</strong>d<br />

im Übermaß vorhanden. Werden sie nicht von unserem<br />

Berufsstand wahrgenommen, so stehen andere Diszipl<strong>in</strong>en<br />

bereit. E<strong>in</strong>e derartige <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> den neuen Ländern<br />

überholt uns über kurz oder lang auch <strong>in</strong> den Verwaltungen<br />

der alten Länder.<br />

Berufsständische Interessen — nicht nur der<br />

Geodäten, sondern qualifizierter Flurbere<strong>in</strong>iger <strong>in</strong>sgesamt<br />

— stehen auf dem Spiel!<br />

Dies gehört — so me<strong>in</strong>e ich — sehr wohl zum Thema<br />

»Möglichkeiten und Grenzen <strong>Ländliche</strong>r <strong>Entwicklung</strong>«. Die<br />

Möglichkeiten ländlicher <strong>Entwicklung</strong> auszuschöpfen,<br />

● für Laien <strong>in</strong> Form von Überschüssen, über deren steigende Größe und Kosten<br />

regelmäßig berichtet wird;<br />

● für Ökonomen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er unbefriedigenden Verteilung der Produktionsfaktoren;<br />

● für Bauern hauptsächlich <strong>in</strong> niedrigen und ungleichmäßigen E<strong>in</strong>kommen,<br />

trotz harter Arbeit, sorgfältiger Betriebsführung und oft großen<br />

Kapital<strong>in</strong>vestitionen;<br />

● für Parlamentarier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Milliardenloch im Etat;<br />

● für Politiker <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Falle, die zunehmend e<strong>in</strong> vorzeitiges Ende ihrer<br />

politischen Karriere verspricht, dann nämlich, wenn sie gefangen s<strong>in</strong>d<br />

zwischen unzufriedenen Bauern und wütenden Steuerzahlern — mit wenig<br />

Hoffnung, e<strong>in</strong>en von beiden zufriedenzustellen, geschweige denn beide.<br />

(Hathaway, 1963)<br />

86 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Abb. 2<br />

bed<strong>in</strong>gt nämlich e<strong>in</strong>e hochmotivierte und effiziente<br />

Verwaltung, die sich nicht mit sich selbst im Park<strong>in</strong>son’schen<br />

S<strong>in</strong>n beschäftigt, sondern sich der Aufgabe und den<br />

Beteiligten verpflichtet fühlt.<br />

2. Agrarstruktur im Umbruch — Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

mit veränderten Aufgaben<br />

a) Flurbere<strong>in</strong>igung und ihr Bezug zur Landwirtschaft<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung ist und bleibt e<strong>in</strong> Instrument der<br />

Agrarstrukturpolitik. Das Aufgabenspektrum der Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

hat von Gesetzes wegen und politisch gewollt<br />

nach wie vor e<strong>in</strong>en landwirtschaftlichen Bezug. Die<br />

Landwirtschaft selbst bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> den letzten Jahrzehnten<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em permanenten Strukturwandel mit<br />

krisenhaften Elementen!<br />

Zur E<strong>in</strong>stimmung e<strong>in</strong>e treffende und nach wie vor<br />

aktuelle Situationsbeschreibung von Hathaway aus dem<br />

Jahre 1963 zu den aus diesem Strukturwandel resultierenden<br />

Problemen (s. Abb. 1, S. 86).<br />

Betrachten wir e<strong>in</strong>ige Kennzahlen der landwirtschaftlichen<br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> den letzten Jahrzehnten, setzen<br />

diese <strong>in</strong> Relation zur Flurbere<strong>in</strong>igungstätigkeit und ziehen<br />

daraus Schlüsse für e<strong>in</strong>e künftige Ausgestaltung unserer<br />

Aufgaben:<br />

Zunächst zur Produktivität <strong>in</strong> bezug auf §1 des Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes<br />

— Verbesserung der Produktionsund<br />

Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> der Land- und Forstwirtschaft<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

(s. Abb. 2). Zur Produktivitätssteigerung hat<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung auftragsgemäß ihren Beitrag geleistet.<br />

Dies wird erkennbar, wenn man die Produktivitätssteigerung<br />

<strong>in</strong> Relation zur Flurbere<strong>in</strong>igungstätigkeit im<br />

alten Bundesgebiet setzt (s. Abb. 3, S. 88). Mag se<strong>in</strong>, daß<br />

wir überzogen haben. Wir bef<strong>in</strong>den uns aber <strong>in</strong> guter<br />

Gesellschaft. Nachher ist man immer schlauer!<br />

Apropos: Ohne die Flurbere<strong>in</strong>igung gäbe es heute die<br />

gesellschaftspolitisch so wichtige breite Eigentumsstreuung<br />

auf dem Lande nicht mehr. Sie wäre dem Rationalisierungszwang,<br />

dem »Wachse oder Weiche«! zum<br />

Opfer gefallen. Viele kle<strong>in</strong>ere Betriebe, die heute im<br />

Nebenerwerb geführt werden oder gut verpachtet s<strong>in</strong>d,<br />

hätten andernfalls aus ökonomischen Zwängen heraus<br />

verkaufen müssen. Daß dies verh<strong>in</strong>dert werden konnte,<br />

ist e<strong>in</strong> wesentliches Verdienst der Flurbere<strong>in</strong>igung. E<strong>in</strong><br />

Musterbeispiel dafür ist Bayern.<br />

Der Strukturwandel <strong>in</strong> der Landwirtschaft g<strong>in</strong>g und<br />

geht mit e<strong>in</strong>er erheblichen Abnahme der Anzahl der<br />

Betriebe und der <strong>in</strong> ihnen Beschäftigten e<strong>in</strong>her (s. Abb. 4<br />

S. 89). Dies führte <strong>in</strong> den westdeutschen Ländern — nach<br />

<strong>in</strong>zwischen schon veralteten Zahlen — zu e<strong>in</strong>er durchschnittlichen<br />

Betriebsgröße aller Betriebe von 17 ha.<br />

Damit liegt das alte Bundesgebiet im E G-Vergleich im<br />

Mittelfeld (s. Abb. 5 S. 89).<br />

Aus dieser Graphik (Abb. 5) wird aber bereits e<strong>in</strong><br />

Anpassungszwang nach oben erkennbar. Die durchschnittliche<br />

Betriebsgröße von Haupterwerbsbetrieben<br />

liegt <strong>in</strong> den alten Bundesländern gegenwärtig bei 30 ha<br />

LF. E<strong>in</strong> Indiz für die künftige <strong>Entwicklung</strong> ist die sog.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

87


Abb. 3<br />

88 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Abb. 4<br />

Abb. 5<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

89


Wachstumsschwelle. Das ist die Schwelle der Betriebsgröße,<br />

oberhalb derer die Zahl der Betriebe zunimmt und<br />

unterhalb derer sie zurückgeht. In der westdeutschen<br />

Landwirtschaft ist die Wachstumsschwelle nach neuesten<br />

Zahlen bereits bei 50 ha, im Vergleich zu 40 ha 1990,<br />

30 ha 1980 und 20 ha 1970. Die höchsten Werte verzeichnet<br />

Schleswig-Holste<strong>in</strong> mit 75 ha, Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz<br />

liegt im Bundesdurchschnitt, Bayern und Baden-Württemberg<br />

liegen bei 40 ha. Diese Zahlen sprechen e<strong>in</strong>e<br />

deutliche Sprache und müssen sich zwangsläufig auf die<br />

Aufgabenstellung der Flurbere<strong>in</strong>igung auswirken.<br />

Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur wie<br />

die Flurbere<strong>in</strong>igung waren <strong>in</strong> Deutschland bisher auf das<br />

agrarpolitische Leitbild des bäuerlichen Familienbetriebs<br />

ausgerichtet. (Kle<strong>in</strong>ster geme<strong>in</strong>samer Nenner se<strong>in</strong>er immer<br />

umstrittenen Def<strong>in</strong>ition: Im wesentlichen nach Intensität<br />

und Betriebsgröße von familieneigenen Arbeitskräften<br />

bewirtschaftet!)<br />

In den neuen Bundesländern ist aber schon heute<br />

offenkundig, daß aus dem Umstrukturierungsprozeß im<br />

wesentlichen nicht bäuerliche Familienbetriebe bisheriger<br />

westdeutscher Prägung hervorgeben. Betriebe im<br />

Haupterwerb werden dort m<strong>in</strong>destens 300 ha bewirtschaften<br />

und das mit entsprechenden Viehbeständen,<br />

weil nur ihnen e<strong>in</strong>e wirtschaftliche Existenz <strong>in</strong> der<br />

Europäischen Union zuerkannt wird. Gründe dafür s<strong>in</strong>d<br />

folgende:<br />

— Große Betriebe s<strong>in</strong>d aus dem Gesichtspunkt der<br />

Kostenm<strong>in</strong>imierung produktionstechnisch überlegen.<br />

Die Bewirtschaftung großer Flächen ist mit moderner<br />

Landtechnik wesentlich e<strong>in</strong>facher und damit nutzbr<strong>in</strong>gender<br />

zu bewerkstelligen.<br />

— In e<strong>in</strong>er Industriegesellschaft läßt sich ke<strong>in</strong> Zweig der<br />

Volkswirtschaft — und die Landwirtschaft ist Teil der<br />

Volkswirtschaft — auf Dauer von der Industrialisierung<br />

abkoppeln, wenn er <strong>in</strong>dustriell betrieben werden kann.<br />

Die Diskussion über Agrarsubventionen und GATT<br />

machen dies deutlich.<br />

Ich will hier mit dieser ökonomischen Betrachtungsweise<br />

nicht e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dustrialisierten Landwirtschaft das<br />

Wort reden. Die Auswüchse des sozialistischen Agrarexperiments<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> jeder H<strong>in</strong>sicht selbstverständlich zu<br />

vermeiden. Das bedeutet heute vielmehr, ökonomisch<br />

optimierte Betriebsorganisationen mit agrarökologischen<br />

Belangen zu harmonisieren. Beides schließt e<strong>in</strong>ander nicht<br />

aus; entsprechend hat sich der Deutsche Rat für Landespflege<br />

geäußert.<br />

Nicht zuletzt ist aus der <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> den neuen<br />

Bundesländern aber abzuleiten, daß der bäuerliche Familienbetrieb<br />

im Haupterwerb als agrarpolitisches Leitbild<br />

aufgegeben wurde. Er wird se<strong>in</strong>en Platz lediglich <strong>in</strong> bestimmten<br />

Gebieten und Aufgabenfeldern behalten. Ich<br />

denke hier an Naturschutz, Erholung und Marktnischenproduktion.<br />

Dies ist ke<strong>in</strong>esfalls abwertend geme<strong>in</strong>t, sondern<br />

volkswirtschaftlich unbestritten notwendig.<br />

Ich b<strong>in</strong> mir sehr wohl der Gefahr bewußt, solches als<br />

Gast <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bundesland zu äußern, das mit der Tradition<br />

des bäuerlichen Familienbetriebs sehr eng verbunden<br />

ist, scheue die Gefahr aber nicht, weil sie e<strong>in</strong>e<br />

notwendige Diskussion über <strong>Entwicklung</strong>sstrategien<br />

beflügeln kann.<br />

Insgesamt zeichnet sich als Ergebnis des Strukturwandels<br />

e<strong>in</strong>e Betriebsorganisation ab, deren Bandbreite<br />

— von großen Betriebse<strong>in</strong>heiten mit ausreichendem<br />

agrarischen E<strong>in</strong>kommen,<br />

— über verschiedene E<strong>in</strong>kommenskomb<strong>in</strong>ationen,<br />

— bis h<strong>in</strong> zur Landbewirtschaftung unter Nutzungsauflagen<br />

beschrieben werden kann.<br />

Insofern s<strong>in</strong>d 300-ha-Betriebe, wie sie im Osten<br />

Deutschlands aus e<strong>in</strong>er voll kommen unterschiedlichen<br />

Ausgangsplage heraus entstanden s<strong>in</strong>d, sicherlich ke<strong>in</strong>e<br />

Perspektive für die agrarstrukturelle <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> den<br />

süddeutschen Bundesländern. Aber e<strong>in</strong> Indiz für den künftigen<br />

Weg e<strong>in</strong>er gesamtdeutschen Landwirtschaft s<strong>in</strong>d<br />

diese statistischen Daten allemal.<br />

Diese <strong>Entwicklung</strong> vollzieht sich zwar mit e<strong>in</strong>er hohen<br />

Eigendynamik, erfordert aber gerade deswegen ordnungspolitische<br />

Instrumente. Damit ist der Bezug zur Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

hergestellt. Die Flurbere<strong>in</strong>igung bietet sich deswegen<br />

an, weil sie schon jetzt über den engen landwirtschaftlichen<br />

Produktions- und Betriebsbezug h<strong>in</strong>aus angewendet<br />

werden kann. Flurbere<strong>in</strong>igung künftig also als<br />

e<strong>in</strong> Steuerungs<strong>in</strong>strument der Agrarstruktur!<br />

b) Agrarstrukturbegriff<br />

Der Begriff »Agrarstruktur« hat sich erheblich gewandelt.<br />

Er wird heute unmittelbar mit der Gesamtentwicklung<br />

ländlicher Räume verknüpft. Dazu hat die Diskussion<br />

um die Zukunft ländlicher Räume beiget ragen, die <strong>in</strong>folge<br />

des durch die deutsche E<strong>in</strong>heit ausgelösten Wandels neu<br />

belebt wurde. Wir stehen vollkommen neuen politischen,<br />

agrar- und wirtschaftsstrukturellen, ökologischen und<br />

demographischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen gegenüber. Dies<br />

zw<strong>in</strong>gt zum vernetzten Denken!<br />

Visionen, wie ländliche Räume künftig auszusehen<br />

haben, gab es <strong>in</strong> der Vergangenheit zuhauf. Zumeist<br />

waren sie allerd<strong>in</strong>gs eher polarisierend. Jede Seite<br />

— Landwirtschaft, Ökologie, Fremdenverkehr, Infrastrukturträger<br />

— vertrat e<strong>in</strong>en »Alle<strong>in</strong>seligmachungsanspruch«.<br />

Es ist aber, zweifellos forciert durch die enormen Strukturpobleme<br />

im Osten Deutschlands, e<strong>in</strong> zunehmender<br />

Konsens darüber zu erkennen, daß die wesentlichen Funktionen<br />

ländlicher Räume <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gesamtheitlich ausgerichteten<br />

<strong>Entwicklung</strong>sansatz berücksichtigt werden<br />

müssen. Dies bezieht sich mit Blick auf unseren Wirkungsbereich<br />

auf folgende Funktionen ländlicher Räume:<br />

90 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


— Erzeugung von Nahrungsmitteln und Rohstoffen<br />

durch e<strong>in</strong>e möglichst flächendeckende Land- und<br />

Forstwirtschaft;<br />

— Standort für Infrastrukturanlagen und -e<strong>in</strong>richtungen<br />

sowie für Wohnen, Gewerbe, Industrie und Dienstleistungen;<br />

— ökologische Ausgleichs- und Regenerationsfunktionen<br />

für Boden, Wasser und Luft, Retentionsraum für Fauna<br />

und Flora;<br />

— Standort für naturbezogene Freizeit- und Erholungsaktivitäten.<br />

Das heißt aber auch für die Agrarstrukturförderung im<br />

<strong>in</strong>strumentellen und f<strong>in</strong>anziellen S<strong>in</strong>n, Abstand zu nehmen<br />

von e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong> sektoralen Betrachtungsweise.<br />

Vielmehr müssen ländliche Räume als Ganzes gesehen<br />

werden.<br />

Demzufolge ist die Land- und Forstwirtschaft so zu<br />

entwickeln, daß zudem<br />

— die Pflege und Bewirtschaftung der Kulturlandschaft<br />

gesichert ist,<br />

— die Landwirtschaft als Flächenreservoir für Infrastruktur-<br />

und Siedlungsvorhaben sowie für ökologische<br />

Ausgleichsmaßnahmen dienen kann und<br />

— die ländlichen Räume als Quelle kultureller und ethischer<br />

Werte erhalten werden.<br />

Ausgehend von dieser Sichtsweise muß sich auch die<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung wandeln. Will Flurbere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> diesem<br />

Kontext als Instrument zur ganzheitlichen <strong>Entwicklung</strong><br />

ländlicher Räume verstanden werden, so bedeutet dies für<br />

ihren Ordnungsauftrag heute und künftig:<br />

1. direkte Beseitigung agrarstrukturrelevanter Mißstände<br />

und Mängel — das ist die landwirtschaftlich-betriebliche<br />

Komponente;<br />

2. Umsetzung räumlicher Ziele und Programme mit<br />

agrarischem Bezug — das ist Agrarstrukturförderung<br />

im erweiterten S<strong>in</strong>n;<br />

3. Verwirklichung außerlandwirtschaftlicher Projekte.<br />

Damit s<strong>in</strong>d wir <strong>in</strong>sgesamt bei Ansätzen zur <strong>in</strong>tegralen<br />

Neugestaltung ländlicher Räume . Das heißt: Von e<strong>in</strong>er<br />

auf Anpassung an Vorgaben ausgerichteten, mehr passiven<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung zur aktiven Landentwicklung!<br />

Diese Gedanken s<strong>in</strong>d nicht neu. Der Prozeß vollzieht<br />

sich <strong>in</strong> den Flurbere<strong>in</strong>igungsverwaltungen bereits. Nomen<br />

est omen: Das Referat »Flurbere<strong>in</strong>igung und Dorferneuerung«<br />

im Bundeslandwirtschaftsm<strong>in</strong>isterium heißt seit<br />

neuestem »Landentwicklung«. Aus bayerischen Flurbere<strong>in</strong>igungsdirektionen<br />

s<strong>in</strong>d die Direktionen für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> geworden. In Baden-Württemberg wird die<br />

Verwaltung nunmehr mit »Flurneuordnung und Landentwicklung«.<br />

bezeichnet. Dies ließe sich für andere Bundesländer<br />

fortsetzen.Dennoch: Worte s<strong>in</strong>d so lange Hülsen<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

und Namensänderungen solange Etikettenschw<strong>in</strong>del, wie<br />

sie nicht durch konkretes Handeln h<strong>in</strong>terlegt s<strong>in</strong>d.<br />

Gleichwohl, es ist an der Zeit, den Begriff »Flurbere<strong>in</strong>igung«<br />

zu ersetzen. Denn es ist uns offenbar nicht gelungen,<br />

diese aus der Vergangenheit her mit vielen Vorurteilen<br />

behaftete Bezeichnung durch unser Wirken wieder<br />

mit e<strong>in</strong>em positiven Inhalt zu erfüllen. Das ist mir mehr<br />

als klar geworden, als man neulich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fernsehreportage<br />

über Vertreibungen <strong>in</strong> Bosnien diese als ethnische<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung (!) bezeichnete.<br />

3. Künftige Schwerpunkte der<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

Aus dem Wandel der Landwirtschaft und damit des<br />

Agrarstrukturbegriffs ergibt sich als Maxime e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tegrierten<br />

Landentwicklung:<br />

a) Landentwicklung für Land- und Forstwirtschaft<br />

Landentwicklung wird nach wie vor als wesentliche<br />

agrar strukturelle Komponente die Verbesserung der<br />

Produktions- und Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> der Land- und<br />

Forstwirtschaft umfassen. Dies all erd<strong>in</strong>gs vor dem<br />

H<strong>in</strong>tergrund neuer agrarpolitischer Leitbilder, wie sie im<br />

wesentlichen durch die Reform der geme<strong>in</strong>samen EG-<br />

Agrarpolitik und die GATT-Beschlüsse bee<strong>in</strong>flußt s<strong>in</strong>d.<br />

E<strong>in</strong> verstärkter Ordnungsbedarf wird sich deswegen<br />

konkret im Zusammenhang mit dauerhaften Exten-sivierungsmaßnahmen<br />

aus EG-Programmen ergeben.<br />

Derartige Programme müssen über entsprechende<br />

Ordnungs- und <strong>Entwicklung</strong>s<strong>in</strong>strumente auch <strong>in</strong> der<br />

Fläche umgesetzt werden. Zu diesen sogenannten »flankierenden<br />

Maßnahmen« gehören auf der Grundlage von<br />

EG-Verordnungen Beihilferegelungen für:<br />

— umweltgerechte und den natürlichen Lebensraum<br />

schützende landwirtschaftliche Produktionsverfahren,<br />

— den Vorruhestand und<br />

— Aufforstungsmaßnahmen.<br />

Gerade die bodenordnerische Begleitung von Aufforstungen<br />

wird dabei zu e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>teressanten Aufgabenfeld<br />

der Flurbere<strong>in</strong>igung werden, weil die zur Aufforstung<br />

beantragten Flächen h<strong>in</strong>sichtlich ihrer Lage, Form und<br />

Größe oder von ihren standortlichen Gegebenheiten her<br />

kaum zur Aufforstung geeignet s<strong>in</strong>d. Ich zitiere dazu aus<br />

der Antwort der Bundesregierung auf e<strong>in</strong>e Große Anfrage<br />

zur Lage und <strong>Entwicklung</strong> des Waldes und der Forstwirtschaft<br />

<strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland. Dort heißt es:<br />

»E<strong>in</strong>e koord<strong>in</strong>ierte Planung, die zur Begründung von<br />

Waldbeständen auf günstigen Standorten mit bewirtschaftbaren<br />

Größen führt, ist aus Sicht der Bundesregierung<br />

wünschenswert. So können Bodenordnungsverfahren<br />

nach Abstimmung mit allen Interessenträgern<br />

im Planungsraum geeignete Flächen für Aufforstungen<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

91


ausweisen und im Zuge des Flächentauschs bewirtschaftbare<br />

Aufforstungsflächen schaffen. Die Verfahren nach<br />

dem Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetz — <strong>in</strong>sbesondere der freiwillige<br />

Landtausch oder die beschleunigte Zusammenlegung —<br />

bieten, da sie erfahrungsgemäß Lösungen schnell und<br />

e<strong>in</strong>vernehmlich herbeiführen, dafür gute Möglichkeiten.<br />

Sie s<strong>in</strong>d nach Auffassung der Bundesregierung im besonderen<br />

Maße geeignet, die Interessen der Grundeigentümer<br />

an der Aufforstung mit den Belangen von Landund<br />

Forstwirtschaft, Naturschutz, Erholung und<br />

Wasserschutz auszugleichen«.<br />

Sie sehen: Umsetzung der Aufforstung als Verbundlösung<br />

gegebenenfalls auch mit F<strong>in</strong>anzierungskooperationen.<br />

Das ist zielorientierte Landentwicklung par<br />

excellence!<br />

Betrachten wir e<strong>in</strong>en weiteren Aufgabenschwerpunkt:<br />

b) Landentwicklung für Naturschutz und Erholung<br />

Umwelt- und Ressourcenschutz und die Bewahrung<br />

kulturhistorisch bedeutsamer Landschaften s<strong>in</strong>d generell<br />

e<strong>in</strong> <strong>Entwicklung</strong>sschwerpunkt <strong>in</strong> den ländlichen Regionen<br />

geworden. Dies gilt im übrigen für alle Länder mit landwirtschaftlichen<br />

Überschußproblemen und ökologischer<br />

Orientierung der Gesellschaft. Gerade <strong>in</strong> den vergangenen<br />

Jahren mit guter Konjunkturlage und komfortablen<br />

Wachstumsraten <strong>in</strong> der alten Bundesrepublik bestand<br />

breiter gesellschaftspolitischer Konsens bei der Durchsetzung<br />

von Umweltbelangen. Umweltziele wurden mit<br />

hohem f<strong>in</strong>anziellen Aufwand auch und gerade bei ländlichen<br />

<strong>Entwicklung</strong>svorhaben zu e<strong>in</strong>em bestimmenden<br />

Faktor. Man hat sie beispielsweise <strong>in</strong> der Erfolgsbilanz von<br />

Flurbere<strong>in</strong>igungsverfahren nahezu euphorisch hervorgehoben.<br />

Ich kenne kaum e<strong>in</strong> Faltblatt der Länderflurbere<strong>in</strong>igungsverwaltungen,<br />

<strong>in</strong> dem die ökologische<br />

Komponente nicht dom<strong>in</strong>ant ist.<br />

In Zeiten wirtschaftlicher Rezession wird es jedoch darauf<br />

ankommen, die ökologischen Aspekte verstärkt mit<br />

e<strong>in</strong>er ökonomischen Komponente zu verknüpfen. Dabei ist<br />

durchaus erkannt worden, daß die Umweltqualität schon<br />

heute e<strong>in</strong> wesentliches Kriterium für die Auswahl von<br />

Wohn- und Gewerbestandorten darstellt. E<strong>in</strong> Musterbeispiel<br />

für die Harmonisierung von ökonomischen und<br />

ökologischen Belangen stellt für mich aber der Tr<strong>in</strong>kwasserschutz<br />

dar. Ich sehe dar<strong>in</strong> auch e<strong>in</strong>e der Zukunftsaufgaben<br />

der Flurbere<strong>in</strong>igung. In den agrarisch geprägten<br />

Gebieten geht es dabei <strong>in</strong>sbesondere um die Anlage von<br />

Gewässerrandstreifen und um e<strong>in</strong>e Nutzungsextensivierung<br />

<strong>in</strong> Wasserschutzgebieten. Ich möchte Ihnen dazu<br />

das jüngst erschienene Sonderheft »Landentwicklung<br />

— Schutz der Lebensgrundlage Wasser« ans Herz legen,<br />

das von e<strong>in</strong>er ArgeFlurb-Projektgruppe erarbeitet wurde.<br />

Angesichts der mühsam erworbenen Akzeptanz der<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung im ökologischen Bereich will ich <strong>in</strong> bezug<br />

auf me<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>leitenden kritischen Bemerkungen ke<strong>in</strong>esfalls<br />

so verstanden werden, daß Umweltbelange <strong>in</strong> den<br />

Verfahren künftig zu vernachlässigen s<strong>in</strong>d. Im Gegenteil!<br />

Ich möchte lediglich warnen vor e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>seitigen ökologischen<br />

Ausrichtung , die die Flurbere<strong>in</strong>igung auch<br />

gegenüber ihrer Klientel, nämlich den Grundeigentümern,<br />

nur <strong>in</strong>s Abseits führen kann.<br />

c) Regionalentwicklung<br />

Der dritte Schwerpunkt künftiger Flurbere<strong>in</strong>igungsaktivitäten<br />

wird me<strong>in</strong>es Erachtens <strong>in</strong> der Regionalentwicklung<br />

liegen.<br />

E<strong>in</strong>e Optimierung der Flächennutzung ist immer dann<br />

erforderlich, wenn aus der landwirtschaftlichen Produktion<br />

genommene Flächen auf Dauer e<strong>in</strong>er neuen Nutzung<br />

zugeführt werden sollen. Dies gilt für kle<strong>in</strong>e wie für große<br />

Infrastrukturvorhaben, von e<strong>in</strong>em Baugebiet bis h<strong>in</strong> zur<br />

Autobahn!<br />

Es kann gar nicht oft genug betont werden, daß sich<br />

der Neuordnungsbedarf dabei nicht nur aus volkswirtschaftlichen<br />

Gründen ergibt. Das wäre pure Fremdnützigkeit,<br />

oder krasser formuliert: Sozialisierung des Eigentums!<br />

E<strong>in</strong>e Neuordnung ist vielmehr zum Schutz der Eigentümerrechte,<br />

<strong>in</strong>sbesondere des dem Eigentum <strong>in</strong>newohnenden<br />

Nutzungsrechts, erforderlich. Nämlich immer<br />

dann, wenn Nutzungsrechte der Eigentümer von Grundstücken<br />

mit Agrar-, Umwelt- und Raumordnungsbelangen<br />

<strong>in</strong> Konflikt geraten. Flurbere<strong>in</strong>igung/Landentwicklung wird<br />

damit zu e<strong>in</strong>em wichtigen Instrument der Konfliktlösung<br />

auf dem Lande.<br />

Als Beispiel für die Regionalentwicklungskomponente<br />

<strong>in</strong> großen Dimensionen mag der Bau von Fernverkehrswegen,<br />

d. h. Autobahnen, Eisenbahntrassen, dienen. Die<br />

Standortwahl von Unternehmen wird heute im wesentlichen<br />

von den <strong>in</strong>frastrukturellen Voraussetzungen, <strong>in</strong>sbesondere<br />

der Anb<strong>in</strong>dung an die Fernverkehrswege,<br />

bestimmt. Daraus resultiert e<strong>in</strong> wachsender Druck der<br />

Wirtschaft auf weiteren Infrastrukturausbau. Dies ist <strong>in</strong><br />

Deutschland gegenwärtig beispielsweise bei den <strong>in</strong> Jahrzehnten<br />

vernachlässigten Ost-West-Verb<strong>in</strong>dungen der<br />

Fall.<br />

Me<strong>in</strong>er Ansicht nach besteht geradezu e<strong>in</strong> »Muß«, derartige<br />

Maßnahmen bodenordnerisch zu begleiten, aus<br />

eigentumsrechtlichen wie aus volkswirtschaftlichen<br />

Gründen. <strong>Ländliche</strong> Räume dürfen es sich künftig gar<br />

nicht gefallen lassen, von Infrastrukturmaßnahmen<br />

— trotz ihrer oft hohen arbeitsmarktpolitischen Wirkung —<br />

ohne Neuordnung überrollt zu werden. Das bedeutet aber<br />

nicht, daß Flurbere<strong>in</strong>igung dann für den Träger der Infrastrukturmaßnahme<br />

nur e<strong>in</strong> notwendigerweise <strong>in</strong> Kauf<br />

genommenes Übel darstellen muß. Im Gegenteil: Wir<br />

müssen unsere Dienstleistungen viel aktiver <strong>in</strong> diesem<br />

Bereich anbieten. Es gilt, die Flurbere<strong>in</strong>igung an die<br />

Diskussion um die Zukunft des Wirtschaftsstandorts<br />

Deutschland anzuhängen.<br />

92 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Soweit aus me<strong>in</strong>er Sicht zu künftigen Aufgabenfeldern,<br />

die ich natürlich nur beispielhaft und ke<strong>in</strong>esfalls umfassend<br />

skizzieren konnte.<br />

Für alle Aufgabenfelder gilt aber — um dieses nochmals<br />

zu unterstreichen: Den obersten rechtlichen Grundsatz<br />

stellt dabei immer die Wahrung des Grundrechts auf<br />

Privateigentum an Grund und Boden dar!<br />

4. Instrumente der Landentwicklung<br />

Zur Umsetzung e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tegralen Landentwicklung<br />

bedarf es geeigneter Planungs-, Ordnungs-, Koord<strong>in</strong>ierungs-<br />

und Gestaltungs<strong>in</strong>strumente. Unser Augenmerk<br />

gilt naturgemäß den Instrumenten mit e<strong>in</strong>em agrarstrukturellen<br />

<strong>Entwicklung</strong>sansatz. Dies s<strong>in</strong>d die agrarstrukturelle<br />

Vorplanung, die Verfahren nach dem Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetz<br />

und schließlich die Dorferneuerung. Letztere ist<br />

Schwerpunktthema e<strong>in</strong>es anderen Arbeitskreises und soll<br />

deshalb hier außer acht bleiben.<br />

a) Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

Ist unser gesetzliches Instrumentarium, das Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetz,<br />

eigentlich noch <strong>in</strong> der Lage, diesen veränderten<br />

Aufgabenstellungen Rechnung zu tragen? Sie<br />

alle kennen die Vorwürfe an die Flurbere<strong>in</strong>igung — zu<br />

kompliziert, zu teuer, zu lange Dauer der Verfahren. In der<br />

Diskussion, auch um das Flurbere<strong>in</strong>igungsrecht und dessen<br />

verwaltungsmäßige Umsetzung, ist häufig e<strong>in</strong>e merkwürdige<br />

Ambivalenz erkennbar. Zum e<strong>in</strong>en werden pauschal<br />

bürokratische Verhaltensweisen der Verwaltung oder<br />

unüberschaubare Paragraphendickichte beklagt. Auf der<br />

anderen Seite wird im Zusammenhang mit e<strong>in</strong>em konkreten<br />

Sachverhalt oft schnell der Ruf nach e<strong>in</strong>em Ausbau<br />

der Verwaltung oder weiteren rechtlichen Regelungen<br />

erhoben. Der Grund liegt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Diskussion auf zwei<br />

Ebenen: In der pauschalen Kritik spiegelt sich e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es<br />

Unbehagen an der Gesamtheit staatlicher Tätigkeit<br />

wider, die <strong>in</strong> ihrer Komplexität von dem E<strong>in</strong>zelnen oft<br />

nicht mehr durchschaut wird. Wird die Diskussion dagegen<br />

konkret, werden rechtliche Regelungen und die sie<br />

ausführende Verwaltung zumeist akzeptiert. Kritik und<br />

eventuelle Änderungsvorschläge beziehen sich auf<br />

tatsächliche oder verme<strong>in</strong>tliche Mißstände.<br />

Es stimmt wohl: Flurbere<strong>in</strong>igung ist rechtlich wie technisch<br />

höchst anspruchsvoll. Daß das so ist, zeigen beispielhaft<br />

die Besonderheiten des Rechtswegs mit Spruchstellen<br />

und speziellen Flurbere<strong>in</strong>igungssenaten. Aber: Wir<br />

gehen mit dem Grundeigentum anderer Leute um. Und<br />

das tunlichst pfleglich. Das Boxberg-Urteil hat uns sehr<br />

wohl die Leviten gelesen. Was Artikel 14 des Grundgesetzes<br />

bedeutet, ist mir nie so bewußt geworden wie<br />

angesichts der vorgefundenen Verhältnisse <strong>in</strong> der ehemaligen<br />

DDR! Aus Gründen der Privatnützigkeit des<br />

Eigentums als Voraussetzung freier und selbstverantwort-<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

licher Lebensgestaltung betreiben wir Wertermittlung und<br />

Vermessung mit e<strong>in</strong>em derartig hohen Aufwand. Nicht<br />

um ihrer selbst willen, sondern von Verfassungs wegen.<br />

Betrachten wir dazu die <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> den neuen<br />

Bundesländern: Investitionshemmnisse und soziale<br />

Konflikte werden beklagt, eben weil die Anpassung des<br />

Eigentums an veränderte Verhältnisse nicht <strong>in</strong> der gebotenen<br />

Eile vollzogen werden kann. Hierzu e<strong>in</strong> ebenso<br />

plastisches wie drastisches Beispiel aus Mecklenburg-<br />

Vorpommern (s. Abb. 6 S. 94). Der Kartenausschnitt zeigt<br />

kle<strong>in</strong>strukturierte Eigentumsverhältnissse. Aufgrund des<br />

kollektiven Bodennutzungsrechts der landwirtschaftlichen<br />

Produktionsgenossenschaft (LPG) erfolgte e<strong>in</strong>e komplexe<br />

Bebauung der privaten Grundstücke ohne Klärung der<br />

Bodeneigentumsverhältnisse. Bodeneigentum und<br />

Gebäudeeigentum s<strong>in</strong>d rechtlich vone<strong>in</strong>ander getrennt<br />

und müssen heute <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schwierigen Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

wieder zusammengeführt werden. H<strong>in</strong>zu kommt,<br />

das Teile des Gebäudekomplexes von der Bausubstanz her<br />

abgeschrieben s<strong>in</strong>d. Außerdem benötigt der Nachfolgebetrieb<br />

der LPG aufgrund der betrieblichen Umstrukturierung<br />

nur noch e<strong>in</strong>ige Gebäude; andere Baulichkeiten werden<br />

bereits von Gewerbebetrieben genutzt. Viele von<br />

Ihnen werden ähnliches im Rahmen der Verwaltungshilfe<br />

<strong>in</strong> Sachsen kennengelernt haben. Das Beispiel ist e<strong>in</strong><br />

Plädoyer für Bodenordnung. Diese kostet ohne Zweifel<br />

viel Geld. Es ist aber e<strong>in</strong>e Investition <strong>in</strong> unsere Eigentumsordnung<br />

und damit <strong>in</strong> unsere Gesellschaftsordnung <strong>in</strong>sgesamt.<br />

Soweit zum pauschalen Vorwurf »zu teuer«.<br />

»Flurbere<strong>in</strong>igung dauert zu lange!«. Gerade diese Klage<br />

wird häufig vom Verursacher selbst erhoben. So s<strong>in</strong>d es<br />

oftmals Geme<strong>in</strong>den, die immer mehr Maßnahmen <strong>in</strong> die<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gepackt haben möchten, weil sie<br />

nach anfänglcher Skepsis dem Charme des Instrumentariums<br />

erlegen s<strong>in</strong>d. Vielleicht müssen wir künftig mehr<br />

Mut zur Beschränkung haben. Die Kunst liegt im Weglassen.<br />

Ne<strong>in</strong>sagen, d. h., kle<strong>in</strong>ere Verfahrensgebiete zu<br />

wählen und den Ordnungsauftrag auf weniger Ziele zu<br />

beschränken, ist e<strong>in</strong> Gebot der Verfahrensbeschleunigung.<br />

b) Bestrebungen zur Novellierung des<br />

Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes<br />

Gleichwohl haben derartige Vorwürfe schon ihre<br />

Berechtigung. Ihnen soll mit den gegenwärtigen Bestrebungen<br />

zur Novellierung des Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes<br />

begegnet werden. Dies wird aus folgenden Erwägungen<br />

heraus deutlich:<br />

Die Aufgaben <strong>in</strong> Verfahren nach dem Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetz<br />

haben sich mit den agrar- und umweltpolitischen<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen erheblich verändert. Im Mittelpunkt<br />

des Interesses der land- und forstwirtschaftlichen<br />

Betriebe und der übrigen Beteiligten stehen neben der<br />

Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> der Land- und Forstwirtschaft zunehmend die Auflösung<br />

von Landnutzungskonflikten, d. h. die Befreiung<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

93


Abb. 6: Kollektive Bodennutzungsrechte überlagern private Eigentumsrechte —<br />

Komplexe Bebauung ohne Klärung der Bodeneigentumsverhältnisse<br />

94 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


von entwicklungshemmenden Auflagen, und schließlich<br />

die Gestaltung des ländlichen Umfelds durch die Bodenordnung.<br />

E<strong>in</strong>e abnehmende Bedeutung der Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

als direkte Hilfe für die Land- und Forstwirtschaft<br />

wird durch zunehmende Anforderungen an den Vollzug<br />

kommunaler Raumordnungs- und <strong>Entwicklung</strong>svorhaben<br />

mehr als aufgewogen. Wir stellen e<strong>in</strong> wachsendes<br />

Interesse der Geme<strong>in</strong>den, Verbände, Pächter und anderer<br />

Rechts<strong>in</strong>haber, also der Nebenbeteiligten <strong>in</strong> der Term<strong>in</strong>ologie<br />

des Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes, fest. E<strong>in</strong>e scharfe<br />

Trennung von privatnützigen und fremdnützigen Maßnahmen<br />

<strong>in</strong> Verfahren nach dem Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetz<br />

ist heute schon von daher nicht mehr ohne weiteres<br />

möglich.<br />

Dieser Wandel <strong>in</strong> der Aufgabenstruktur der Bodenordnung<br />

hat die durchschnittliche Dauer der Verfahren <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren ansteigen lassen. Das Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetz<br />

sieht zwar viele Beschleunigungsmöglichkeiten<br />

bereits vor. Damit konnte aber ke<strong>in</strong>e Kompensation<br />

erreicht werden. Ähnlich verhält es sich bei der<br />

verfahrenstechnischen Beschleunigung. Vieles konnte<br />

und kann durch die Nutzung moderner elektronischer<br />

Informations- und Kommunikationsmittel aufgefangen<br />

werden.<br />

Die Flurbere<strong>in</strong>igungsbehörden bedienen sich derer traditionell<br />

auf e<strong>in</strong>em sehr hohen Niveau. Straffes Projektmanagement,<br />

GPS-Nutzung, moderne Datenverarbeitung,<br />

weniger Abmarkungen — um nur e<strong>in</strong>ige Beispiele zu<br />

nennen — s<strong>in</strong>d vernünftige verfahrenstechnische Ansätze.<br />

Sie alle<strong>in</strong> lösen das Problem aber nicht. Es reicht offensichtlich<br />

nicht aus, dem Aufgabenzuwachs nur alle<br />

bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten zur Vere<strong>in</strong>fachung<br />

und Beschleunigung der Verfahren entgegenzusetzen.<br />

Die Bund-Länder-Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

hat deshalb auch auf Initiative Bayerns h<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Arbeitsgruppe beauftragt, die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er<br />

Änderung des Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes zu prüfen und<br />

ggf. Vorschläge dazu auszuarbeiten. Ich möchte die<br />

Gründe, die für e<strong>in</strong>e Novellierung sprechen, kurz<br />

skizzieren:<br />

1. Es ist dies eben jene Notwendigkeit der Beschleunigung<br />

und des Ausschöpfens aller Möglichkeiten<br />

— zur Vere<strong>in</strong>fachung der Verfahrensvorschriften,<br />

— zur Abkürzung der Ausführungszeit,<br />

— zur Senkung der Kosten und des<br />

Verwaltungsaufwands.<br />

In die gleiche Richtung zielt beispielsweise das jüngst<br />

<strong>in</strong> Kraft getretene Planungsvere<strong>in</strong>fachungsgesetz für<br />

Verkehrsvorhaben <strong>in</strong> den alten Bundesländern, womit<br />

— ausgelöst durch die Beschleunigungsgesetze für die<br />

neuen Länder — e<strong>in</strong>e Straffung der Planungszeiten erzielt<br />

werden soll. Der <strong>in</strong>vestitionsfördernde Effekt spielt dabei<br />

e<strong>in</strong>e große Rolle. Die Zeit ist <strong>in</strong>sofern auch für die<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung reif und günstig.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

2. Aktive Landentwicklung zu betreiben, ist nach bestehender<br />

Rechtslage ohne weiteres nicht möglich.<br />

§ 1 FlurbG läßt bisher nur e<strong>in</strong>e passive Förderung der<br />

Landentwicklung zu.<br />

3. E<strong>in</strong>e noch weitergehende Beteiligung der Bürger und<br />

der politischen Geme<strong>in</strong>den ist wohl vonnöten.<br />

4. Es ist ist e<strong>in</strong>e Anpassung an die seit 1976 veränderten<br />

Gesichtspunkte fällig. In der Diskussion s<strong>in</strong>d dazu<br />

beispielsweise<br />

— Wahlperioden für Vorstände der TG,<br />

— modifizierte Anforderungen an das<br />

Wertermittlungsverfahren,<br />

— Komb<strong>in</strong>ation der Bodenordnung nach dem<br />

Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetz und dem Baugesetzbuch,<br />

— verstärkte Berücksichtigung von Pachtverhältnissen,<br />

weil die Pachtquote der Betriebe ständig steigt,<br />

— das Bestehenbleiben der TG nach Beendigung der<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung sowie<br />

— die Übernahme veränderter Rechtsgrundlagen<br />

(z.B. UVPG).<br />

Die Projektgruppe der ArgeFlurb hat sich dafür ausgesprochen,<br />

Vorschläge zu Änderungen zunächst auf die<br />

vere<strong>in</strong>fachte Flurbere<strong>in</strong>igung nach § 86 FlurbG zu konzentrieren.<br />

Die vere<strong>in</strong>fachte Flurbere<strong>in</strong>igung erschien von<br />

allen fünf Verfahrensarten des FlurbG am ehesten geeignet,<br />

Landentwicklung unter dem Vere<strong>in</strong>fachungs- und<br />

Beschleunigungsaspekt zu betreiben. Das Ergebnis der<br />

Projektgruppenarbeit mündet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Antrag zur<br />

Gesetzesänderung der Länder Baden-Württemberg und<br />

Sachsen-Anhalt, der <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> den Bundesrat e<strong>in</strong>gebracht<br />

worden ist. Gegenwärtig laufen die Ausschußberatungen.<br />

Es ist beabsichtigt, die Änderungen noch <strong>in</strong><br />

dieser Legislaturperiode zu verabschieden.<br />

Ich beschränke mich darauf, Ihnen die Kernbestimmungen<br />

zur Änderung des § 86 FlurbG vorzustellen: Es soll als<br />

e<strong>in</strong> »vere<strong>in</strong>fachtes Flurbere<strong>in</strong>igungsverfahren zur Landentwicklung«<br />

ausgestaltet werden. E<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>fachtes Flurbere<strong>in</strong>igungsverfahren<br />

soll angeordnet werden können, um<br />

vornehmlich Maßnahmen der Landentwicklung, <strong>in</strong>sbesondere<br />

der Agrarstrukturverbesserung, der Siedlung, der<br />

Dorferneuerung und des Städtebaus, des Umweltschutzes,<br />

des Naturschutzes und der Landschaftspflege oder der<br />

Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes, zu ermöglichen<br />

oder durchzuführen. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>leitung e<strong>in</strong>es solchen<br />

Verfahrens soll zudem möglich se<strong>in</strong>, um Landnutzungskonflikte<br />

aufzulösen. E<strong>in</strong> Verfahren soll nunmehr auch auf<br />

Antrag e<strong>in</strong>es Trägers von Maßnahmen e<strong>in</strong>geleitet werden<br />

können.<br />

Sie sehen: Als wesentlichen Unterschied gegenüber den<br />

bestehenden Regelungen soll Landentwicklung nun nicht<br />

nur <strong>in</strong>direkt gefördert, sondern direkt durchgeführt werden<br />

können. Die Flurbere<strong>in</strong>igungsbehörde bekäme mit<br />

anderen Worten das Mandat für Landentwicklung. Sie<br />

koord<strong>in</strong>iert, konzentriert und entscheidet! Mit anderen<br />

Worten: Von passiver Begleitung zu aktiver Gestaltung!<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

95


Deutlich wird aber auch das Spannungsfeld, <strong>in</strong> dem<br />

sich e<strong>in</strong>e solche Novellierung bef<strong>in</strong>det. Es muß gewährleistet<br />

se<strong>in</strong>, daß durch die Änderung der Vorschriften der<br />

Anspruch der Teilnehmer auf wertgleiche Abf<strong>in</strong>dung <strong>in</strong><br />

Land und das Interesse der Beteiligten als Voraussetzung<br />

für die Anordnung des Verfahrens nicht <strong>in</strong> Frage gestellt<br />

s<strong>in</strong>d. Das ist genau jene Diskussion um Privatnützigkeit<br />

und Fremdnützigkeit der Flurbere<strong>in</strong>igung.<br />

E<strong>in</strong>e derartige Änderung ist verfassungsrechtlich nur<br />

gerechtfertigt, wenn man die Interessen der an der<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung beteiligten Grundeigentümer mit den<br />

fremdnützigen Interessen Dritter so harmonisieren kann,<br />

daß die Grundeigentümer nicht auf der Strecke bleiben.<br />

Ich b<strong>in</strong> aber aufgrund folgender Überlegungen zuversichtlich,<br />

daß der Änderungsvorschläg vor der Verfassung<br />

bestehen kann:<br />

Die Herstellung e<strong>in</strong>er konfliktfreien Ordnung der Landnutzung<br />

muß doch wohl im objektiven, wohlverstandenen<br />

und vorrangigen Interesse der Grundeigentümer liegen.<br />

Und sei es im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Schutzmaßnahme zugunsten<br />

des Grundrechts auf e<strong>in</strong>e möglichst une<strong>in</strong>geschränkte<br />

Verfügungsgewalt über das Grundeigentum. Auf e<strong>in</strong>en<br />

e<strong>in</strong>fachen Nenner gebracht heißt dies aber nichts anderes<br />

als: Konfliktlösung liegt im Interesse der Grundeigentümer,<br />

weil sie von entwicklungshemmenden Lasten<br />

befreit, und damit orig<strong>in</strong>är privatnützig ist.<br />

c) agrarstrukturelle Vorplanung<br />

Wenn es um Instrumente zur <strong>in</strong>tegralen Landentwicklung<br />

geht, darf die agrarstrukturelle Vorplanung als<br />

e<strong>in</strong> Fördergrundsatz der Geme<strong>in</strong>schaftsaufgabe »Verbesserung<br />

der Agrarstruktur und des Küstenschutzes« nicht<br />

unerwähnt bleiben. Sie ist <strong>in</strong> der letzten Zeit — vielleicht<br />

zu Recht — etwas <strong>in</strong>s H<strong>in</strong>tertreffen geraten, erlebt aber<br />

mittlerweile geradezu e<strong>in</strong>e Renaissance <strong>in</strong> den neuen<br />

Bundesländern.<br />

Das mangelnde Interesse <strong>in</strong> den alten Bundesländern<br />

liegt wohl dar<strong>in</strong> begründet, daß die agrarstrukturelle<br />

Vorplanung bisher weitgehend auf e<strong>in</strong>e passive Anpassung<br />

an externe <strong>Entwicklung</strong>svorhaben ausgerichtet war.<br />

Sie hatte damit vorwiegend reaktiven Charakter. Vielfach<br />

war sie e<strong>in</strong>zelbetrieblich — landwirtschaftlich ausgerichtet<br />

und damit schon nach kurzer Zeit von e<strong>in</strong>er schnellebigen<br />

<strong>Entwicklung</strong> überholt. Kurzum: Viel Geld für nichts!<br />

E<strong>in</strong>e solche außeragrarischen Vorgaben willfährige<br />

Anpassungsplanung kann aber heute kaum den Ansprüchen<br />

genügen. Man sollte deshalb aber nicht das Instrument<br />

an sich verwerfen, sondern sich Gedanken über e<strong>in</strong>e<br />

Neukonzeption machen. Ich fasse me<strong>in</strong>e Gedanken dazu<br />

kurz zusammen:<br />

— Leitbild künftiger agrarstruktureller Vorplanungen muß<br />

die Formulierung e<strong>in</strong>er aktiven Rolle der Land- und<br />

Forstwirtschaft <strong>in</strong>nerhalb von Landnutzungskonzeptionen<br />

se<strong>in</strong>.<br />

— Sie muß als dynamische <strong>Entwicklung</strong>splanung mit<br />

Alternativen und möglichst zeitnaher Realisierung<br />

ausgestaltet werden.<br />

— Sie muß e<strong>in</strong>en verstärkten regionalen Bezug bekommen.<br />

Damit kann den örtlichen <strong>Entwicklung</strong>spotentialen<br />

weitaus besser Rechnung getragen werden, als<br />

mit e<strong>in</strong>er schematisierten, zu großräumigen und damit<br />

schnell veralterten <strong>Entwicklung</strong>splanung.<br />

— Es geht darum, Aufgaben und Chancen der Landbewirtschaftung<br />

auch als Vorgaben zu übergeordneten<br />

Planungen mit e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen.<br />

— Das bed<strong>in</strong>gt klare Aussagen über Möglichkeiten der<br />

Koord<strong>in</strong>ierung und Bündelung aller — auch außeragrarischer<br />

— Fördermöglichkeiten.<br />

Fazit: Die agrarstrukturelle Vorplanung muß von<br />

der <strong>in</strong>haltlichen Qualität ihrer Aussagen so gut se<strong>in</strong>,<br />

daß sie als das agrarstrukturelle Planwerk anerkannt<br />

wird, ohne das über raumwirksame Wirtschafts-,<br />

Siedlungs-, Infrastruktur- und Umweltvorhaben nicht<br />

mehr entschieden werden kann.<br />

E<strong>in</strong> solches Planwerk kann Maßnahmen der <strong>in</strong>tegralen<br />

Landentwicklung den Weg bereiten. Gesamtheitliche<br />

Landentwicklung wird ohne vorausschauende Grundlagenplanung<br />

kaum realisierbar se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e projektbezogene<br />

Vorplanung im Rahmen e<strong>in</strong>es Flurbere<strong>in</strong>igungsverfahrens<br />

hat e<strong>in</strong>e ganz andere Zielrichtung und kann sie nicht<br />

ersetzen, sondern soll sie konkretisieren. Ich messe ihr<br />

daher künftig e<strong>in</strong>en sehr hohen Stellenwert bei und<br />

möchte Sie auffordern, dieses Instrument der Landentwicklung<br />

künftig wieder <strong>in</strong> Ihre Überlegungen e<strong>in</strong>zubeziehen.Das<br />

Bundeslandwirtschaftsm<strong>in</strong>isterium hat e<strong>in</strong>en<br />

Forschungsauftrag zur konzeptionellen Neuausrichtung<br />

der agrarstrukturellen Vorplanung vergeben, dessen sehr<br />

bemerkenswerte, praxisbezogene Ergebnisse <strong>in</strong>zwischen<br />

vorliegen.<br />

5. F<strong>in</strong>anzierung der Landentwicklung<br />

Lassen Sie mich zum Schluß noch e<strong>in</strong>ige Worte zur<br />

F<strong>in</strong>anzierung der Flurbere<strong>in</strong>igung sagen. Damit b<strong>in</strong> ich mit<br />

Blick auf den mir gegebenen Vortragstitel »Möglichkeiten<br />

und Grenzen <strong>Ländliche</strong>r <strong>Entwicklung</strong>« bei e<strong>in</strong>er sehr<br />

realen Grenze angelangt: Dazu vorweg e<strong>in</strong>ige nüchterne<br />

und ernüchternde Zahlen:<br />

Der Rahmenplan der Geme<strong>in</strong>schaftsaufgabe »Verbesserung<br />

der Agrarstruktur und des Küstenschutzes« für<br />

<strong>1994</strong> als wesentliche F<strong>in</strong>anzierungsgrundlage der Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

sieht gegenüber 1993 <strong>in</strong>sgesamt E<strong>in</strong>sparungen<br />

von über 90 Mio. DM für die alten Bundesländer vor. Im<br />

nächsten Jahr drohen für die alten Bundesländer weitere<br />

Kürzungen des Gesamtplafonds i. Höhe von 55 Mio. DM.<br />

Weiterh<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d seit dem Rahmenplan <strong>1994</strong> die flankierenden<br />

Maßnahmen <strong>in</strong> die Geme<strong>in</strong>schaftsaufgabe ohne<br />

Erhöhung des Gesamtplafonds e<strong>in</strong>bezogen. Dies bedeutet<br />

<strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>schneidende Reduzierung der<br />

F<strong>in</strong>anzmittel auch und wohl gerade für «klassische«<br />

Fördergrundsätze wie die Flurbere<strong>in</strong>igung. Es bleibt<br />

96 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


abzuwarten, <strong>in</strong>wieweit die Länder Mittel von den überbetrieblichen<br />

Maßnahmen abziehen.<br />

F<strong>in</strong>anzierungsperspektiven müssen deshalb auch außerhalb<br />

der Geme<strong>in</strong>schaftsaufgabe gesucht werden — wo<br />

also? Zur Landentwicklungsdiskussion paßt die Tatsache,<br />

daß der F<strong>in</strong>anzierungsanteil sog. Dritter <strong>in</strong> den Flurbere<strong>in</strong>igungsverfahren<br />

seit langem kont<strong>in</strong>uierlich steigt . Er<br />

liegt ausweislich des letzten Agrarberichts mittlerweile bei<br />

über 20 % des Investitionsvolumens von <strong>in</strong>sgesamt<br />

815 Mio DM im Bundesgebiet. E<strong>in</strong>e wichtige Koord<strong>in</strong>ierungsaufgabe<br />

<strong>in</strong> künftigen Flurbere<strong>in</strong>igungsverfahren<br />

muß folglich dar<strong>in</strong> liegen, alternative F<strong>in</strong>anztöpfe anzuzapfen<br />

und Mittel zu bündeln. F<strong>in</strong>anzkooperationen der<br />

Interessenträger! In Verfahren zur Durchführung von<br />

Landentwicklungsmaßnahmen nach § 86 FlurbG <strong>in</strong> der<br />

Fassung der angestrebten Novellierung ist für Maßnahmen<br />

im Interesse Dritter e<strong>in</strong>e gesetzliche Regelung zur<br />

F<strong>in</strong>anzierung von solchen Ausführungskosten vorgesehen,<br />

die nicht im Interesse der Teilnehmer liegen. Aus dem<br />

Nachteilsausgleich nach geltender Rechtslage, der immer<br />

von e<strong>in</strong>er Belastung durch die Maßnahme ausgeht, wird<br />

e<strong>in</strong> direkter Beitrag des Maßnahmenträgers für die<br />

Realisierung se<strong>in</strong>es Vorhabens.<br />

E<strong>in</strong>e hoffnungsvolle Perspektive liegt für mich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

künftig verstärkten Nutzung des EU-Förder<strong>in</strong>strumentariums<br />

auch zur F<strong>in</strong>anzierung der Flurbere<strong>in</strong>igung. Hier<br />

hat sich Deutschland <strong>in</strong> der Vergangenheit schwer getan.<br />

Der Aufbruch <strong>in</strong> den neuen Bundesländern mit Blick auf<br />

die dort aufgelegten Operationellen Programme, die zu<br />

50 % und mehr aus EU-Mitteln bestritten werden, hat den<br />

Weg gewiesen. Wir haben es uns von Bundesseite zur<br />

Aufgabe gemacht, nach verstärkten E<strong>in</strong>stiegsmöglichkeiten<br />

für Flurbere<strong>in</strong>igung und Dorferneuerung <strong>in</strong> die<br />

EU-Strukturfonds zu suchen.<br />

»Zeiten leerer Kassen s<strong>in</strong>d immer auch Zeiten größerer<br />

Kreativität.« Dies hielt e<strong>in</strong> Beteiligter an der Podiumsdiskussion<br />

vom Vortage dem E<strong>in</strong>wand begrenzter f<strong>in</strong>anzieller<br />

Ressourcen entgegen. In diesem S<strong>in</strong>ne gilt es, die Zukunft<br />

ländlicher Räume zu gestalten.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

97


Arbeitskreis 2:<br />

Sicherung und Ausbau regionaler Infrastruktur<br />

Robert Bromma<br />

E<strong>in</strong>führung<br />

Ich darf Sie alle recht herzlich zum 2. Tag der <strong>Fachtagung</strong><br />

der Bayerischen Verwaltung für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> zum Arbeitskreis 2, hier <strong>in</strong> der Residenz <strong>in</strong><br />

<strong>Ansbach</strong>, begrüßen. Ich hoffe, Sie haben den ersten Tag<br />

und Abend gut verdaut und s<strong>in</strong>d auch mit Ihrem Quartier<br />

zufrieden.<br />

Wir bef<strong>in</strong>den uns hier an historisch <strong>in</strong>teressanter Stelle,<br />

<strong>in</strong> der herrschaftlichen Bibliothek des markgräflichen<br />

Schlosses. Falls jemand bibliophile Neugier verspürt und<br />

h<strong>in</strong>ter den Vorhängen wertvolle Bücher vermutet, muß ich<br />

ihn leider enttäuschen. Er wird höchstens den Staub von<br />

2 1 / 2 Jahrhunderten vorf<strong>in</strong>den.<br />

1738 gegründet, wurde bereits 1806, als <strong>Ansbach</strong> zu<br />

Bayern kam, e<strong>in</strong> Großteil der Bücher weggebracht. In der<br />

damaligen Fundationsurkunde steht e<strong>in</strong> Satz, der auch für<br />

den heutigen Tag Bedeutung haben dürfte:<br />

Die Bibliothek sollte<br />

E<strong>in</strong>heimischen und Fremden,<br />

Lehrenden und Lernenden,<br />

nützlich se<strong>in</strong>.<br />

Ich hoffe, diesem Anspruch wird auch unsere<br />

Veranstaltung gerecht.<br />

Ziele<br />

Ich denke, wir s<strong>in</strong>d zusammengekommen, um im Rahmen<br />

der diesjährigen <strong>Fachtagung</strong> über den eigenen Wirkungskreis<br />

h<strong>in</strong>aus zu blicken, um <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre, aktuelle<br />

Aspekte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> zu diskutieren und zu<br />

beleuchten. Wir wollen uns mit der Zukunft der <strong>Ländliche</strong>n<br />

Räume ause<strong>in</strong>andersetzen, Probleme aufzeigen und<br />

Erfahrungen bei Ihrer Lösung vorstellen! Ziel des heutigen<br />

Tages ist es, Ihnen über Referate und anschließenden<br />

Diskussionen, Informationen über aktuelle Fragestellungen<br />

und <strong>in</strong>teressante Beispiele zu geben, Sie über Ansprüche<br />

und Aktivitäten unterschiedlicher gesellschaftlicher<br />

Gruppierungen <strong>in</strong> Kenntnis zu setzen, um — und das<br />

halte ich für das Wichtigste — über diese Informationen<br />

Anregungen und Hilfen zum eigenen Wirken und Handeln<br />

im Dienste von <strong>Stadt</strong> und Land zu erhalten.<br />

Schwerpunkte<br />

Die Themenstellung wurde von mir erweitert:<br />

»Ausbau und Sicherung regionaler Infrastruktur mit<br />

Hilfe von Geld, Arbeit und Menschen«.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Damit s<strong>in</strong>d auch schon die 3 Schwerpunkte genannt:<br />

das Geld, die Arbeit und der Mensch.<br />

— Zunächst wird Herr Emil Schneider, vom Bayerischen<br />

Geme<strong>in</strong>detag, zum Thema »Die Geme<strong>in</strong>den auf dem<br />

Weg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>anzkrise« referieren,<br />

— anschließend Herr Bernhard Böckeler, Bgm. <strong>in</strong> Allersberg<br />

die strukturellen Probleme und Lösungswege am<br />

Rande des Ballungsraumes Nürnberg vorstellen.<br />

— Den Vormittag beschließen wird Herr Dr. Walter<br />

Lohmeier, von der IHK Würzburg—Schwe<strong>in</strong>furt, mit<br />

dem Vortrag »<strong>Ländliche</strong> Räume — <strong>in</strong>novative<br />

Wirtschaftsstandorte mit Zukunft«.<br />

— Am Nachmittag spricht Herr Pfr. Dr. Karl-He<strong>in</strong>z Röhl<strong>in</strong><br />

über »Die Lust aufs Land« und damit über die<br />

Erwartungen und Forderungen junger Menschen an<br />

den ländlichen Raum,<br />

— und Herr Gottfried Wieselhuber über e<strong>in</strong>e regionale<br />

Initiative von unten, über die Interessengeme<strong>in</strong>schaft<br />

Maria Bildhausen.<br />

Im Anschluß an jedes Referat besteht die Möglichkeit<br />

zur vertiefenden Diskussion.<br />

Ich nehme an, alle Teilnehmer s<strong>in</strong>d anwesend. Halt, da<br />

kommen ja noch zwei mit dem Zug. Hören wir zu, worüber<br />

Sie sich unterhalten.<br />

Sketch zur E<strong>in</strong>führung über die möglichen Erwartungen<br />

der Arbeitskreisteilnehmer<br />

E<strong>in</strong>führungsreferate <strong>in</strong> den Arbeitskreis 2<br />

99


E<strong>in</strong> herzliches Dankeschön, sicher auch <strong>in</strong> Ihrem<br />

Namen, an me<strong>in</strong>e beiden jungen Kollegen Johannes<br />

Krüger und Jürgen Eisentraut aus Würzburg für ihre<br />

E<strong>in</strong>stimmung <strong>in</strong> das Thema.<br />

Erwartungen zum Thema<br />

Auch für mich war es nicht e<strong>in</strong>fach, sich auf das Thema<br />

e<strong>in</strong>zulassen. Zumal ich bald merkte, daß die Erwartungen<br />

der Teilnehmer sehr unterschiedlich se<strong>in</strong> werden. Wir<br />

könnten heute über Großprojekte und Unternehmensverfahren,<br />

über kostengünstige Wegebaumaßnahmen <strong>in</strong><br />

Dorf und Flur, über Nachbarschaftsläden oder über den<br />

öffentlichen Personennahverkehr im ländlichen Raum<br />

diskutieren. Wir könnten über die Frage der Unterhaltung<br />

von geme<strong>in</strong>schaftlichen Anlagen <strong>in</strong> schwierigen Zeiten<br />

reden oder, wie es auch <strong>in</strong> dem Sketch angedeutet wurde,<br />

über Möglichkeiten wie man Geld für se<strong>in</strong>e Planungen<br />

und Maßnahmen locker machen kann. Würde ich damit<br />

Ihre Erwartungen treffen?<br />

Ich habe mich dadurch aus dem drohenden Dilemma<br />

gelöst, daß ich wegen dieser unterschiedlichen Erwartungen<br />

e<strong>in</strong>e Mischung an Vorträgen zusammengestellt habe,<br />

die für jeden etwas Neues, Interessantes und Bemerkenswertes<br />

enthalten sollen.<br />

E<strong>in</strong>e umfassende Behandlung des Problembereiches<br />

Infrastruktur ist an e<strong>in</strong>em Tag sowieso nicht möglich. Ich<br />

will mit Ihnen e<strong>in</strong>en Blick über den Zaun werfen, will<br />

heute e<strong>in</strong>en Teil unserer Partner zu Wort kommen lassen.<br />

Wer se<strong>in</strong>e Verbündeten und se<strong>in</strong>e Kunden kennt, kann sie<br />

richtig verstehen und ihnen effektiv Dienst leisten. Der<br />

Weg geht von der Kommunikation zur Kooperation.Nur<br />

dann kann es zur vielbeschworenen PPP »Private Public<br />

Partnership« kommen.<br />

Ausbau und Sicherung regionaler Infrastruktur ist ja<br />

zunächst e<strong>in</strong>e klassische Aufgabe nach dem Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetz.<br />

Ich er<strong>in</strong>nere an § 37 FlurbG: »Wege, Straßen,<br />

Gewässer und andere geme<strong>in</strong>schaftliche Anlagen s<strong>in</strong>d zu<br />

schaffen, Maßnahmen der Dorferneuerung können durchgeführt<br />

werden. Die öffentlichen Interessen wie Raumordnung,<br />

Landesplanung, Naturschutz, Landschaftspflege,<br />

Erholung, Ver- und Entsorgung und Verkehr s<strong>in</strong>d zu wahren«.<br />

Mit diesen Begriffen ist die Infrastuktur recht gut<br />

beschrieben. Anderswo wird sie auch als Gesamtheit der<br />

materiellen, <strong>in</strong>stitutionellen und personellen Anlagen,<br />

E<strong>in</strong>richtungen und Gegebenheiten bezeichnet, kurz als<br />

öffentliches, volkswirtschaftliches Kapital.<br />

Hierzu zählt auch die öffentliche Verwaltung und damit<br />

auch die Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>. Wir selbst<br />

s<strong>in</strong>d öffentliches Kapital. Neben dem Sachkapital (wie<br />

Bauten und E<strong>in</strong>richtungen) gehört also auch das Humankapital<br />

zur Infrastruktur, d. h. das technologische Wissen<br />

und Können und die geistigen unternehmerischen Fähigkeiten<br />

der für das öffentliche Wohl tätigen Menschen.<br />

Fazit<br />

Aufgrund der Komplexität der heutigen Lebens- und<br />

Arbeitsverhältnisse und der weiträumiger gewordenen<br />

E<strong>in</strong>zugs- und Auswirkungsbereiche der Infrastruktur kann<br />

und darf sie nicht auf der örtlichen Ebene verharren, sondern<br />

hat auch regionale Bedeutung. Und Regionalisierung<br />

heißt Dezentralisierung. Die eigenständigen Kräfte der<br />

e<strong>in</strong>zelnen Räume s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> wichtiges Infrastrukturpotential.<br />

Ganzheitliches Denken und Handeln über die Siedlungse<strong>in</strong>heit,<br />

über die eigene Geme<strong>in</strong>de h<strong>in</strong>aus ist notwendig.<br />

Die Probleme s<strong>in</strong>d groß, größer denn je, es fehlt an<br />

Geld, es fehlt an Arbeit und an visionären Gedanken und<br />

Menschen.<br />

100 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Emil Schneider<br />

Die Geme<strong>in</strong>den auf dem Weg <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>anzkrise?<br />

I. Problemfelder<br />

Vier Probleme belasten die kommunalen Haushalte <strong>in</strong><br />

Bayern <strong>in</strong> außerordentlicher Weise:<br />

1. Beteiligung der Kommunen an den Kosten der<br />

Deutschen E<strong>in</strong>heit<br />

Ohne die Kommunen an den Entscheidungsprozessen<br />

zu beteiligen, werden sie mit 38 % am Länderanteil<br />

Bayerns aus dem Solidarpakt und dem Fonds Deutsche<br />

E<strong>in</strong>heit belastet. <strong>1994</strong> müssen die bayerischen Kommunen<br />

Belastungen <strong>in</strong> Höhe von 655 Mio. DM und 1995 von<br />

1.649 Mio. DM tragen. Der Beitrag der Kommunen zur<br />

Deutschen E<strong>in</strong>heit wird zur Hälfte durch die Anhebung<br />

der Gewerbesteuerumlage (1993: 39 %, <strong>1994</strong>: 56 %,<br />

1995: 79 %) und zur anderen Hälfte über Kürzungen im<br />

kommunalen F<strong>in</strong>anzausgleich f<strong>in</strong>anziert. Auch <strong>in</strong> den<br />

Jahren ab 1996 müssen die bayerischen Kommunen im<br />

Zusammenhang mit der Deutschen E<strong>in</strong>heit mit Belastungen<br />

<strong>in</strong> Höhe von jährlich rd. 1,7 Mrd. DM rechnen.<br />

Wie die geplanten Kürzungen im F<strong>in</strong>anzausgleich 1995<br />

<strong>in</strong> Höhe von 829 Mio. DM zu erbr<strong>in</strong>gen s<strong>in</strong>d, ist noch<br />

nicht entschieden.<br />

— Werden die Schlüsselzuweisungen deutlich gekürzt?<br />

— Wird e<strong>in</strong>e Umlage auf die E<strong>in</strong>kommensteuerbeteiligung<br />

der Gemeiden erhoben?<br />

— Ist mit e<strong>in</strong>er Umlage auf den Kommunalanteil an der<br />

Grunderwebsteuer zu rechnen?<br />

— Muß an e<strong>in</strong>e Kürzung der Projektförderung (Schulen,<br />

K<strong>in</strong>dergärten, Verwaltungsgebäude, Feuerwehrgerätehäuser,<br />

Breitensportanlagen, Investitionen im Bereich<br />

der Wasserversorgung, der Abwasserbeseitigung bzw.<br />

im Straßenbau) gedacht werden?<br />

Der Bayerische Geme<strong>in</strong>detag tritt dafür e<strong>in</strong>, daß die<br />

geplanten Belastungen der Kommunen durch den Solidarpakt<br />

deutlich gesenkt werden. Der Beitrag muß sich am<br />

Anteil der Kommunen am Staatshaushalt orientieren<br />

(<strong>1994</strong>: 16,67 %). Daneben wird gefordert, die Belastungen,<br />

soweit sie im F<strong>in</strong>anzausgleich zu erbr<strong>in</strong>gen s<strong>in</strong>d, ausgewogener<br />

als bei der F<strong>in</strong>anzierung des Fonds Deutsche<br />

E<strong>in</strong>heit auf alle Geme<strong>in</strong>den zu verteilen. Ke<strong>in</strong>esfalls können<br />

die Beiträge ab 1995 <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie durch Kürzungen<br />

im allgeme<strong>in</strong>en Steuerverbund f<strong>in</strong>anziert werden. Es muß<br />

entsprechend der oben angesprochenen Überlegungen<br />

auch an e<strong>in</strong>e Umlage auf die E<strong>in</strong>kommensteuerbeteiligung<br />

und auf den Kommunalanteil an der Grunderwerbsteuer<br />

gedacht werden. E<strong>in</strong>e Kürzung der Projektförderung wird<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

im H<strong>in</strong>blick auf die Auswirkungen für die f<strong>in</strong>anzschwachen<br />

Städte, Märkte und Geme<strong>in</strong>den bzw. auf die<br />

Wirtschaft als nicht sachgerecht erachtet. Wegen bestehender<br />

F<strong>in</strong>anzierungsverpflichtungen bereits bewilligter<br />

Hochbaumaßnahmen, die abf<strong>in</strong>anziert werden müssen,<br />

wären die zur Verfügung stehenden Umschichtungsbeträge<br />

aufgrund ihres ger<strong>in</strong>gen Volumens ohneh<strong>in</strong> ungeeignet<br />

für die Teilf<strong>in</strong>anzierung des Solidarpakts.<br />

2. Anstieg der ungedeckten Solzialhilfebelastungen<br />

der Bezirke<br />

Die ungedeckten Sozialhilfeausgaben der Bezirke als<br />

überörtliche Träger der Sozialhilfe haben sich von 1983<br />

mit 1.116 Mio. DM auf 3.011 Mio. DM <strong>in</strong> 1993 explosionsartig<br />

entwickelt. <strong>1994</strong> bzw. 1995 ist mit e<strong>in</strong>em weiteren<br />

Anstieg auf 3.563 Mio. DM bzw. 3.900 Mio. DM zu rechnen.<br />

Der Kostenanstieg beläuft sich von 1992 bis 1995<br />

auf 1,2 Mrd. DM, das bedeutet pro Jahr e<strong>in</strong>e Steigerung<br />

um 300 Mio. DM. Die Bezirke mußten die Bezirksumlage<br />

von landesdurchschnittlich 16,78 %-Punkte <strong>in</strong> 1983 auf<br />

24,345 %-Punkte <strong>in</strong> <strong>1994</strong> anheben. 1995 ist mit e<strong>in</strong>er<br />

weiteren Anhebung um rd. 2,6 %-Punkte auf landesdurchschnittlich<br />

27 %-Punkte zu rechnen.<br />

Diese <strong>Entwicklung</strong> wurde <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie durch die fehlende<br />

Pflegekostenversicherung, aber auch durch die fehlende<br />

Unterbr<strong>in</strong>gungsverpflichtung mit Kostenübernahme<br />

des Staates für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtl<strong>in</strong>ge sowie<br />

geduldete Ausländer verursacht.<br />

<strong>Entwicklung</strong> der ungedeckten Sozialhilfeausgaben der<br />

überörtlichen Träger, der Ausgleichsleistungen des Freistaates<br />

Bayern an die Bezirke und der Umlagesätze der<br />

Bezirke seit 1980:<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

101


Jahr<br />

1980<br />

1983<br />

1986<br />

1989<br />

1990<br />

1991<br />

1992<br />

1993<br />

<strong>1994</strong><br />

1995<br />

ungedeckte<br />

Sozialhilfeleistungen<br />

Mio. DM<br />

767<br />

1.116<br />

1.401<br />

1.794<br />

1.904<br />

2.108<br />

2.737<br />

3.011<br />

3.563<br />

3.900<br />

Steigerung<br />

%<br />

45,5<br />

25,5<br />

28,0<br />

6,1<br />

10,7<br />

29,8<br />

10,0<br />

18,3<br />

9,4<br />

Sozialhilfeausgleich<br />

Art. 15 FAG<br />

%<br />

Mio. DM<br />

Der Sozialhilfeausgleich wurde im Nachtragshaushalt<br />

<strong>1994</strong> auf Druck der kommunalen Spitzenverbände um<br />

Haushaltsmittel <strong>in</strong> Höhe von 80 Mio. DM und um Mittel<br />

aus dem Kfz-Steuerverbund <strong>in</strong> Höhe von 78 Mio. DM von<br />

360,8 Mio. DM <strong>in</strong> 1993 auf 518,9 Mio. DM (+ 158,1 Mio.<br />

DM = + 43,8 %) verstärkt. In den 518,9 Mio. DM s<strong>in</strong>d<br />

Mittel aus dem allgeme<strong>in</strong>en Steuerverbund von 140 Mio.<br />

DM und aus dem Kfz-Steuerverbund von 120,0 Mio. DM<br />

enthalten. Soweit die Zahl der Asylbewerber weiter rückläufig<br />

ist und die für die Asylbewerber vorgesehenen<br />

Haushaltsmittel (582,6 Mio. DM) nicht verbraucht werden,<br />

wird der Freistaat Bayern weitere 80 Mio. DM für den<br />

Sozialhilfeausgleich zur Verfügung stellen. Mit e<strong>in</strong>er<br />

Entscheidung <strong>in</strong> dieser Angelegenheit ist bis Ende Mai<br />

<strong>1994</strong> zu rechnen.<br />

Daneben wurde durch e<strong>in</strong>e entsprechende Auslegung<br />

des § 23 KommHV für die Bezirke die Möglichkeit<br />

geschaffen, Haushaltsfehlbeträge aus dem Jahr 1992 <strong>in</strong><br />

Höhe von <strong>in</strong>sgesamt 236 Mio. DM erst 1996 auszugleichen.<br />

Zu diesem Zeitpunkt soll die Pflegekostenversicherung<br />

für die stationäre Unterbr<strong>in</strong>gung von Pflegebedürftigen<br />

wirksam werden und zu e<strong>in</strong>er Entlastung der Bezirke<br />

<strong>in</strong> Höhe von rd. 700 Mio. DM bis 900 Mio. DM beitragen.<br />

Dies gilt allerd<strong>in</strong>gs nur unter der Voraussetzung, daß der<br />

Freistaat über den kommunalen F<strong>in</strong>anzausgleich nicht<br />

wieder erhebliche E<strong>in</strong>sparungsbeträge zugunsten der<br />

Investitionsförderung im Bereich der Alten- und<br />

Pflegeheime abzweigen wird.<br />

Bis entsprechende Leistungen aus der nun beschlossenen<br />

Pflegeversicherung gewährt werden, sollte der Frei-<br />

75<br />

95<br />

170<br />

260<br />

220<br />

240<br />

260<br />

360<br />

519<br />

360 + x<br />

<strong>Entwicklung</strong> der ungedeckten Sozialhilfeleistungen seit 15 Jahren<br />

staat den Solzialhilfeausgleich an die Bezirke gemäß<br />

Art. 15 FAG durch zusätzliche Haushaltsmittel <strong>in</strong> Höhe<br />

von m<strong>in</strong>destens 400 Mio. DM auf rd. 720 Mio. DM verstärkt.<br />

E<strong>in</strong>e weitere Umschichtung von F<strong>in</strong>anzmitteln der<br />

Kommunen aus dem allgeme<strong>in</strong>en Steuerverbund (<strong>1994</strong><br />

140 Mio. DM) und dem Kfz-Steuerverbund (120 Mio. DM)<br />

ist nicht vertretbar. Daneben muß nach Auffassung der<br />

kommunalen Spitzenverbände der Freistaat Bayern entsprechend<br />

der Regelung bei Asylbewerbern für Kriegsund<br />

Bürgerkriegsflüchtl<strong>in</strong>ge sowie geduldete Ausländer<br />

e<strong>in</strong>e staatliche Unterbr<strong>in</strong>gungspflicht mit Kostenübernahme<br />

begründet, da es sich hierbei nicht um e<strong>in</strong>e kommunale<br />

Aufgabe handelt.<br />

3. Konjunkturell bed<strong>in</strong>gte Steuerausfälle<br />

Das Aufkommen aus der Gewerbesteuer lag 1993<br />

wegen der Auswirkung des Steueränderungsgesetzes<br />

1992, aber auch aufgrund e<strong>in</strong>er konjunkturbed<strong>in</strong>gten<br />

Verschlechterung der Unternehmensgew<strong>in</strong>ne um 3,1 %<br />

unter dem Vorjahrswert. Diese <strong>Entwicklung</strong> wird sich<br />

<strong>1994</strong> bzw. 1995 verstärkt fortsetzen. Daneben muß nach<br />

dem Ergebnis der Steuerschätzung vom November 1993<br />

damit gerechnet werden, daß sich die E<strong>in</strong>nahmen der<br />

Geme<strong>in</strong>den aus dem allgeme<strong>in</strong>en Steuerverbund (E<strong>in</strong>nahmen<br />

des Landes aus der E<strong>in</strong>kommen- und Lohnsteuer,<br />

der Körperschaftsteuer, der Umsatzsteuer und der Gewerbesteuerumlage)<br />

und damit die Schlüsselzuweisungen<br />

rückläufig entwickeln. Gleiches gilt für das Kraftfahrzeugsteueraufkommen.<br />

Der Anteil an der E<strong>in</strong>kommensteuer<br />

102 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

9,8<br />

8,5<br />

12,1<br />

14,5<br />

11,6<br />

11,4<br />

10,6<br />

12,6<br />

16,1<br />

?<br />

Bezirksumlage<br />

%<br />

15,65<br />

16,78<br />

16,66<br />

18,24<br />

18,29<br />

18,44<br />

19,80<br />

22,17<br />

ca. 24,345<br />

rd.27<br />

Anhebung<br />

%-Punkte<br />

+ 1,13<br />

- 0,12<br />

+1,58<br />

+ 0,05<br />

+ 0,15<br />

+ 1,36<br />

+ 2,37<br />

+ 2,00<br />

+2,60


wird wegen der wirtschaftlichen Rezession und der steigenden<br />

Arbeitslosenzahlen 1995 allenfalls nur schwach<br />

zunehmen.<br />

4. Belastungen durch neue Leistungsgesetze<br />

Zusätzliche Belastungen, die sich <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Geme<strong>in</strong>den unterschiedlich auswirken und nicht konkret<br />

beziffert werden können, ergeben sich unter anderem<br />

durch den Rechtsanspruch auf e<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dergartenplatz,<br />

das Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr,<br />

das Bayerische K<strong>in</strong>der- und Jugendhilfegesetz<br />

(1990 bis 1993 100 %ige Aufgabensteigerung)<br />

und durch verschärfte Anforderungen an Abwasserre<strong>in</strong>igung<br />

und Abfallbeseitigung.<br />

Das Gesundheitsstrukturgesetz wird <strong>1994</strong> bzw. 1995<br />

durch die Anb<strong>in</strong>dung des Krankenhausbudgets an die<br />

Grundlohnsummenentwicklung zu e<strong>in</strong>em deutlichen<br />

Anstieg der Defizite bei den Kreiskrankenhäusern (1992<br />

bereits 200 Mio. DM <strong>in</strong> Bayern) führen. Jede Erhöhung der<br />

Beschäftigungszahl bzw. des Pflegetagevolumens sowie<br />

jede Leistungsausweitung gegenüber dem vere<strong>in</strong>barten<br />

Budget 1992 geht voll zu Lasten der Landkreise. Die<br />

dadurch entstehenden Defizite müssen von den kreisangehörigen<br />

Geme<strong>in</strong>den über die Kreisumlage f<strong>in</strong>anziert<br />

werden, während die Krankenkassen nunmehr ihre<br />

Beiträge senken können<br />

Die Bahnstrukturreform hat e<strong>in</strong>e Reihe von Geme<strong>in</strong>den<br />

zum 01.01.94 »über Nacht« zu Baulastträgern<br />

für Straßenüberführungen und Eisenbahnl<strong>in</strong>ien gemacht<br />

und ihnen damit Belastungen <strong>in</strong> Milliardenhöhe aufgebürdet.<br />

Die Bundesbahn hatte bisher die Kosten für die<br />

Unterhaltung dieser Brücken zu tragen. Die kommunalen<br />

Spitzenverbände auf Landes- und Bundesebene haben im<br />

Rahmen ihrer Möglichkeiten nachdrücklich auf diese<br />

Problematik h<strong>in</strong>gewiesen. Die Belastungen der Geme<strong>in</strong>den,<br />

die am Verhandlungstisch nicht vertreten waren,<br />

wurden vom Bund bzw. von den Länder offensichtlich <strong>in</strong><br />

Kauf genommen.<br />

II. Kommunaler F<strong>in</strong>anzausgleich 1995<br />

Für die bayerischen Kommunen stellt sich immer drängender<br />

die Frage, wie die geplanten Kürzungen im F<strong>in</strong>anzausgleich<br />

1995 im Zusammenhang mit der Mitf<strong>in</strong>anzierung<br />

der Deutschen E<strong>in</strong>heit zu erbr<strong>in</strong>gen s<strong>in</strong>d und <strong>in</strong> welcher<br />

Form der Solzialhilfeausgleich gemäß Art. 15 FAG<br />

gestaltet wird. E<strong>in</strong> Zuwarten bis zu den Haushaltsberatungen<br />

im Herbst <strong>1994</strong> wäre für alle Beteiligten<br />

verhängnisvoll.<br />

Die kommunalen Spitzenverbände <strong>in</strong> Bayern haben daher<br />

den bayerischen M<strong>in</strong>isterpräsidenten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen<br />

Schreiben gebeten, den Dialog mit den kommunalen<br />

Spitzenverbänden aufzunehmen, damit ausreichend<br />

Zeit für die erforderliche Diskussion bleibt. Spätestens<br />

Mitte <strong>1994</strong> müssen die Bezirke, Landkreise, Städte,<br />

Märkte und Geme<strong>in</strong>den abschätzen können, welche<br />

Belastungen im e<strong>in</strong>zelnen ab 1995 auf sie zukommen.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Der bayerische M<strong>in</strong>isterpräsident hat mit Schreiben<br />

vom 5. 4. <strong>1994</strong> mitgeteilt, daß er sich für baldige<br />

Gespräche zwischen Staat und Kommunen über die<br />

Gestaltung des F<strong>in</strong>anzausgleichs 1995 e<strong>in</strong>setzt und er um<br />

die f<strong>in</strong>anziellen Nöte der bayerischen Kommunen weiß.<br />

Die notwendigen vorbereitenden Arbeiten für die Erstellung<br />

von diskussionsfähigen Modellen werden derzeit im<br />

F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isterium erarbeitet. Es bleibt zu hoffen, daß <strong>in</strong><br />

Kürze erste Kontakte auf Fachebene zwischen der Bayerischen<br />

Staatsregierung und den kommunalen Spitzenverbänden<br />

möglich s<strong>in</strong>d.<br />

III. E<strong>in</strong>schränkungen der kommunalen<br />

Leistungen<br />

Durch die aufgezeigte <strong>Entwicklung</strong> wird die freie<br />

Verfügungsmasse der Kommunen drastisch reduziert. Die<br />

Spielräume für die politischen Gremien werden kle<strong>in</strong>.<br />

Realsteuer- und Gebührenerhöhungen werden zur Diskussion<br />

stehen. E<strong>in</strong>e Umfrage bei e<strong>in</strong>em Teil der Mitgliedsgeme<strong>in</strong>den<br />

ergab, daß 61 % der Geme<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>e<br />

Anhebung der Realsteuerhebesätze und 27 % e<strong>in</strong>e deutliche<br />

Kürzung der Investitionen für die Jahre <strong>1994</strong> bis<br />

1995 planen. Die Belastungen der Kommunen können<br />

jedoch nur zu e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>gen Teil durch die Anhebung<br />

der Hebesätze bzw. Gebühren ausgeglichen werden.<br />

Es ist deshalb absehbar, daß die Kommunen <strong>in</strong> Bayern<br />

zu drastischen Sparmaßnahmen gezwungen se<strong>in</strong> werden.<br />

Ohne E<strong>in</strong>schränkungen der kommunalen Leistungen wird<br />

es spätestens ab 1995 nicht mehr gehen. Es wird notwendig,<br />

auch wichtige und wünschenswerte Aufgaben <strong>in</strong><br />

allen kommunalen Bereichen drastisch zurückzuführen.<br />

Der bayerische Staatsm<strong>in</strong>ister der F<strong>in</strong>anzen brachte es <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Presseerklärung Ende 1993 (Nr. 337/93) auf den<br />

Punkt:<br />

»Auch für die Städte und Geme<strong>in</strong>den müsse angesichts<br />

der neuen Herausforderungen <strong>in</strong> Deutschland<br />

Sparen der oberste Grundsatz aller kommunalpolitischer<br />

Entscheidungen se<strong>in</strong>«.<br />

F<strong>in</strong>anzstaatssekretär Alfons Zeller ergänzte am<br />

21. 4. <strong>1994</strong> (Presseerklärung 155/94):<br />

»Wir brauchen jetzt ke<strong>in</strong> Lamentieren über zu wenig<br />

Geld, sondern die Bündelung aller Kräfte und die<br />

Bereitschaft, das Wünschenswerte h<strong>in</strong>ter dem<br />

Notwendigen zurückzustellen«.<br />

Alle Möglichkeiten zur Reduzierung der Ausgaben müssen<br />

ausgelotet und ausgeschöpft werden. Die Bürger<br />

müssen mit e<strong>in</strong>er deutlichen Zurücknahme des Leistungsangebotes<br />

der Städte und Geme<strong>in</strong>den aber auch der<br />

Landkreise und Bezirke rechnen. Der Bayerische Geme<strong>in</strong>detag<br />

hat bereits im April 1993 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Verbandszeitschrift<br />

e<strong>in</strong>en entsprechenden Katalog möglicher Sparmaßnahmen<br />

des Deutschen Städte- und Geme<strong>in</strong>debundes<br />

veröffentlicht.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

103


Der gesamte kommunale Leistungsapparat muß auf<br />

den Prüfstand. Die Bürgermeister und Geme<strong>in</strong>deräte s<strong>in</strong>d<br />

aufgerufen, <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit der Verwaltung notwendige<br />

Sparkonzepte zu erarbeiten. Bei größeren<br />

Geme<strong>in</strong>den empfiehlt sich auch die E<strong>in</strong>schaltung unabhängiger<br />

Dritter, <strong>in</strong>sbesondere bei der Erstellung von<br />

Organisationsgutachten, um gegebenenfalls vorhandenes<br />

Ämterdenken <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de abzubauen. Als<br />

Anregung für kommunale Sparmaßnahmen s<strong>in</strong>d vorrangig<br />

zu nennen:<br />

• Allgeme<strong>in</strong>e Verwaltung<br />

— (Zeitweise) Nichtbesetzung freiwerdender Stellen,<br />

— Überprüfung von Stellen, die seit längerer Zeit nicht<br />

besetzt s<strong>in</strong>d,<br />

— pauschale Kürzungen bei Sachausgaben,<br />

— Energiee<strong>in</strong>sparungensmaßnahmen <strong>in</strong>sgesamt bei<br />

geme<strong>in</strong>dlichen E<strong>in</strong>richtungen.<br />

• Öffentliche Sicherheit und Ordnung<br />

— Erhöhung der Leistungsentgelte bei Feuerschutz,<br />

— E<strong>in</strong>sparungen bei der Ausrüstung der Feuerwehr.<br />

• Schulen<br />

— Abbau freiwilliger Zuschüsse im Schulbereich<br />

(Schulfahrten u. a.),<br />

— E<strong>in</strong>sparungen bei Gebäudeunterhaltung und<br />

-renovierung,<br />

— Streichung und/oder Streckung von Investitionen.<br />

• Kulturpflege<br />

— Musikschulen<br />

- Erhöhung der Unterrichtsgebühren.<br />

— Volkshochschulen<br />

- Erhöhung der Gebühren,<br />

- Reduzierung des Angebots,<br />

- Festlegung von M<strong>in</strong>destteilnehmerzahlen für<br />

Kurse.<br />

• K<strong>in</strong>dergärten<br />

— Überprüfung der Elternbeiträge,<br />

— Überprüfung der Zahl der Zweitkräfte,<br />

— Anpassung der Öffnungszeiten an den örtlichen<br />

Bedarf.<br />

• Gesundheit, Sport, Erholung<br />

— Abbau der Hilfen an Sportvere<strong>in</strong>e (z. B. Zuschüsse<br />

für den laufenden Betrieb),<br />

— Streichung und/oder Streckung von Investitionen<br />

bei Sportstätten und Bädern,<br />

— Erhöhung der Nutzungsentgelte eigener Sportstätten<br />

und Bäder, <strong>in</strong>sbesondere bei zur Zeit kostenloser<br />

oder verbilligter Nutzung,<br />

— E<strong>in</strong>sparungen bei der Unterhaltung von Sportstätten,<br />

Bädern, Grünanlagen,<br />

— Kürzung der Öffnungszeiten für Bäder<br />

(Schließung?),<br />

— Absenkung der Wassertemperatur <strong>in</strong> den Bädern.<br />

• Bau- und Wohnungswesen, Verkehr<br />

— Reduzierung der Zahl der Gutachten, Planentwürfe,<br />

Wettbewerbe,<br />

— schnelle Bearbeitung und unverzügliche Erhebung<br />

der Erschließungsbeiträge sowie der Beiträge für die<br />

Erweiterung und Verbesserung von Erschließungsanlagen<br />

und Entwässerungsanlagen nach KAG:<br />

strenge Maßstäbe bei Stundung oder Erlaß,<br />

— E<strong>in</strong>sparung bei der Unterhaltung von Straßen,<br />

Straßenbeleuchtung, Verkehrssignalanlagen,<br />

Wasserläufe, Gebäuden,<br />

— volle Ausschöpfung der gesetzlichen Möglichkeiten<br />

zur Umlage der Kosten der Straßenre<strong>in</strong>igung<br />

e<strong>in</strong>schließlich des W<strong>in</strong>terdienstes; gegebenenfalls<br />

Beschränkung des kommunalen Anteils auf den<br />

gesetzlichen M<strong>in</strong>destanteil.<br />

• Öffentliche E<strong>in</strong>richtungen<br />

— Erhöhung der Gebühren bei Abwasser- und Abfallbeseitigung,<br />

Märkten, Schlacht - und Viehhöfen,<br />

Bestattungswesen,<br />

— vollständige Überwälzung der Abwasserabgaben,<br />

— E<strong>in</strong>sparungen bei der Unterhaltung von Gebäuden,<br />

Kläranlagen, Friedhöfen,<br />

— Zurückstellung von Investitionen, Streckung von<br />

Investitionen bei Kanalbau, Kläranlagen, Fuhrpark.<br />

IV. 10 Forderungen an die Bayerische<br />

Staatsregierung<br />

1. Die geplanten Belastungen der Kommunen durch<br />

den Solidarpakt s<strong>in</strong>d deutlich zu senken; der Beitrag<br />

muß sich am Anteil der Kommunen am Staatshaushalt<br />

orientieren (<strong>1994</strong>: 16,67 %). Der Freistaat muß auf<br />

geplante Kürzungen der F<strong>in</strong>anzausgleichsleistungen<br />

(1995 rund 829 Mio. DM) teilweise verzichten und<br />

umgehend se<strong>in</strong>e Überlegungen im Zusammenhang<br />

mit den geplanten Kürzungen im F<strong>in</strong>anzausgleich<br />

1995 offenlegen, damit ausreichend Zeit für die erforderliche<br />

Diskussion mit den kommunalen Spitzenverbänden<br />

bleibt und die Kommunen sich rechtzeitig auf<br />

die vom Freistaat geplanten Maßnahmen e<strong>in</strong>stellen<br />

können.<br />

2. Bis entsprechende Leistungen aus der nun beschlossenen<br />

Pflegeversicherung gewährt werden, muß der<br />

Freistaat den Sozialhilfeausgleich an die Bezirke <strong>in</strong> den<br />

Jahren 1995 und 1996 gemäß Art. 15 FAG durch<br />

zusätzliche Haushaltsmittel <strong>in</strong> Höhe von m<strong>in</strong>destens<br />

400 Mio. DM auf rund 720 Mio. DM verstärken.<br />

3. Der Freistaat muß entsprechend der Regelung bei<br />

Asylbewerbern auch für die Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtl<strong>in</strong>ge<br />

sowie die geduldeten Ausländer e<strong>in</strong>e staat-<br />

104 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


liche Unterbr<strong>in</strong>gungspflicht mit Kostenübernahme<br />

begründen, da es sich hierbei nicht um e<strong>in</strong>e kommunale<br />

Aufgabe handelt.<br />

4. Es dürfen ke<strong>in</strong>e neuen Leistungsgesetze ohne solide<br />

F<strong>in</strong>anzierungsvorschläge verabschiedet werden. Insbesondere<br />

ist der Rechtsanspruch auf e<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dergartenplatz<br />

bis zum Jahr 2000 zu strecken. Die dritte<br />

Re<strong>in</strong>igungsstufe bei der Abwasserbeseitigung muß<br />

ebenfalls h<strong>in</strong>ausgeschoben werden.<br />

5. Zur Stärkung der Dispositionsbefugnis der Geme<strong>in</strong>den<br />

müssen Richtl<strong>in</strong>ien und Verwaltungsvorschriften über<br />

personelle und sachliche Ausstattungstandards auf<br />

ihre Notwendigkeit überprüft und entwender aufgehoben<br />

oder <strong>in</strong> Empfehlungen umgewandelt werden.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus sollten die allgeme<strong>in</strong>en Förderrichtl<strong>in</strong>ien,<br />

<strong>in</strong>sbesondere im Bereich Antragsverfahren und<br />

Verwendungsnachweise, nachhaltig abgespeckt werden.<br />

6. Kommunalfremde Risiken s<strong>in</strong>d aus der geme<strong>in</strong>d-lichen<br />

Unfallversicherung herauszunehmen und neue nicht<br />

<strong>in</strong> ihr abzusichern, <strong>in</strong>sbesondere die Versicherung der<br />

Pflegepersonen <strong>in</strong> der häuslichen Pflege.<br />

7. Die Beschränkungen bei den sogenannten »kle<strong>in</strong>en<br />

Geme<strong>in</strong>desteuern« müssen aufgegeben werden. Entsprechend<br />

den Regelungen <strong>in</strong> den anderen Bundesländern<br />

(Baden-Württemberg, Hessen, Rhe<strong>in</strong>land-<br />

Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holste<strong>in</strong>)<br />

muß den bayerischen Geme<strong>in</strong>den erlaubt werden, z. B.<br />

e<strong>in</strong>e Zweitwohnungssteuer, e<strong>in</strong>e Getränke- und<br />

Vergnügungssteuer zu erheben.<br />

8. Zur Mobilisierung von Wohnbauland fordern die<br />

Geme<strong>in</strong>den die gesetzliche Zulassung e<strong>in</strong>es erhöhten<br />

Grundsteuerhebesatz für baureife, unbebaute<br />

Grundstücke (sogenanntes zoniertes Satzungsrecht).<br />

9. Die längst überfällige Neubewertung der E<strong>in</strong>heitswerte<br />

von Grund und Boden (gegenwärtiger Stichtag ist der<br />

01.01.1964!) ist -zum<strong>in</strong>dest mit e<strong>in</strong>er Zuschlagsregelung<br />

als Zwischenlösung- <strong>in</strong> Angriff zu nehmen.<br />

10. Der Anteil der Kommunen an der Grunderwerbssteuer<br />

ist entsprechend der Regelung vor 1991<br />

von derzeit 66 2 / 3 % auf 80 % anzuheben. Den<br />

Kommunen gehen alle<strong>in</strong> <strong>1994</strong> durch diese Kürzung<br />

155 Mio. DM verloren.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

105


Bernhard Böckeler<br />

Strukturelle Probleme und<br />

Lösungswege am Rande e<strong>in</strong>es<br />

Ballungsraumes<br />

Markt Allersberg<br />

Planungsraum und Strukturdaten<br />

Der Markt Allersberg gehört zur Industrieregion<br />

Mittelfranken (Region 7). Er liegt <strong>in</strong> der äußeren Verdichtungszone<br />

des Ballungsraumes Nürnberg-Fürth-<br />

Erlangen. Im aktuellen Landesentwicklungsprogramm vom<br />

1. 3. <strong>1994</strong> ist Allersberg als Unterzentrum e<strong>in</strong>gestuft.<br />

Regionalplanerisch s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de die Mittelpunktsfunktion,<br />

Funktionen im Bereich der Erholung und<br />

des Fremdenverkehrs sowie Funktionen zum Schutz und<br />

zur Pflege der Landschaft zugewiesen.<br />

Allersberg liegt an e<strong>in</strong>er Nahtstelle zwischen <strong>Stadt</strong> und<br />

Land und ist somit gut geeignet für das Motto der diesjährigen<br />

<strong>Fachtagung</strong>. Durch unseren Waldreichtum und<br />

unsere abwechslungsreiche Landschaft mit ihrem hohen<br />

Erholungswert s<strong>in</strong>d wir für viele der 500 000 E<strong>in</strong>wohner<br />

von Nürnberg e<strong>in</strong> beliebtes und gut erreichbares Ziel.<br />

Allersberg hat derzeit knapp 8 000 E<strong>in</strong>wohner, im Jahre<br />

1970 waren es weniger als 5 000. Arbeitsplätze s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

der Geme<strong>in</strong>de nicht ausreichend vorhanden, was bedeutet,<br />

daß 2 / 3 der Erwerbstätigen pendeln müssen. 22 landwirtschaftliche<br />

Betriebe bewirtschaften je 20 bis 30 ha<br />

Fläche, 11 Betriebe 30 ha und mehr (Stand 1. 1. 1992).<br />

Derzeit laufende überörtliche Planungen<br />

In den 80er Jahren ist der Rothsee mit Haupt- und<br />

Vorsperre gebaut worden. 1993 fand die offizielle E<strong>in</strong>weihung<br />

dieses wasserwirtschaftlichen Großprojektes als Teil<br />

des Neuen Fränkischen Seenlandes statt. Im Geme<strong>in</strong>degebiet<br />

von Allersberg ist hierbei neben der Schaffung von<br />

Freizeite<strong>in</strong>richtungen auch e<strong>in</strong> Naturschutzgebiet ausgewiesen<br />

worden.<br />

Seit 1992 müssen wir uns <strong>in</strong>tensiv mit der geplanten<br />

ICE-Neubaustrecke Nürnberg-Ingolstadt-München ause<strong>in</strong>andersetzen.<br />

Die geplante Trasse soll im wesentlichen<br />

entlang der bestehenden Autobahn A 9 verlaufen.<br />

Neben dem Verkehr auf Wasser und Schiene berührt<br />

uns seit längerer Zeit das Problem des Straßenverkehrs.<br />

Drei Staatsstraßen laufen <strong>in</strong> Allersberg am Marktplatz<br />

zusammen (10 000 Fahrzeuge täglich). Seit 30 Jahren<br />

werden Lösungen zur Ortsumfahrung gesucht und diskutiert.<br />

Die neueste <strong>in</strong> vielen Abstimmungsgesprächen und<br />

Ortsbegehungen mit Straßenbauamt, zuständigen Fachbehörden<br />

und Bund Naturschutz konzipierte Lösung<br />

wurde jüngst im Marktgeme<strong>in</strong>derat behandelt und<br />

beschlossen.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Allersberg hat e<strong>in</strong>e eigene Anschlußstelle an die Autobahn.<br />

Dies ist für die bisherige und vor allem für die künftige<br />

Geme<strong>in</strong>deentwicklung von enormer Bedeutung .<br />

Chancen und Probleme der Geme<strong>in</strong>deentwicklung<br />

Allersberg<br />

Wir <strong>in</strong> Allersberg stehen mitten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em mehrschichtigen<br />

Umstrukturierungsprozeß. Die Besucher von nah<br />

und fern, angezogen durch unsere attraktive Landschaft<br />

mit ihrem hohen Freizeit- und Erholungswert, können<br />

Allersberg schnell und bequem erreichen. Künftig vielleicht<br />

sogar noch schneller, sollte mit der geplanten ICE-<br />

Neubaustrecke e<strong>in</strong> vom Marktgeme<strong>in</strong>derat gewünschter<br />

Regionalbahnhof <strong>in</strong> Allersberg-Altenfelden Wirklichkeit<br />

werden. Die Fahrzeit nach Nürnberg-Hauptbahnhof würde<br />

13 M<strong>in</strong>uten betragen und hätte den Vorteil e<strong>in</strong>er durchgreifenden<br />

Verbesserung des ÖPNV, vor allem für unsere<br />

Pendler.<br />

Feststellen müssen wir bei dieser Vielzahl der Planungen<br />

von außen, daß unsere Grundstückspreise enorm<br />

gestiegen s<strong>in</strong>d:<br />

Unerschlossenes Wohnbauland kostet ca. 300,— DM/m 2,<br />

landwirtschaftliche Nutzflächen ca. 12,— bis 15,— DM/m 2.<br />

Die Bodenpreise im landwirtschaftlichen Bereich s<strong>in</strong>d<br />

zwischenzeitlich zu 100 % durch die Verkehrsvorhaben<br />

bee<strong>in</strong>flußt, die Baulandpreise durch den Siedlungsdruck<br />

aus dem Verdichtungsraum. E<strong>in</strong>e Preisentwicklung mit<br />

Nachteilen für geme<strong>in</strong>dliche Grundstücksaktivitäten —<br />

wir haben sehr wenig Eigentumsflächen — und für Bauwillige.<br />

Selbst die verkaufsbereiten Grundstückseigentümer<br />

freuen sich nicht nur, sondern haben auch Probleme<br />

mit dem F<strong>in</strong>anzamt.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

107


Geme<strong>in</strong>dliche Vorhaben wie z. B. die Flächennutzungsplanüberarbeitung,<br />

der Standort e<strong>in</strong>es Infozentrums an<br />

der Autobahn sowie die Erstellung e<strong>in</strong>es Rad-, Wanderund<br />

Reitwegenetzes können nicht isoliert von den genannten<br />

überörtlichen Planungen gesehen werden. Auch<br />

bei e<strong>in</strong>er verantwortungsvollen geme<strong>in</strong>dlichen <strong>Entwicklung</strong><br />

gilt der alte geodätische Grundsatz: Vom Großen <strong>in</strong>s<br />

Kle<strong>in</strong>e!<br />

E<strong>in</strong>e echte Chance, sogar e<strong>in</strong>e zw<strong>in</strong>gende Chance ist,<br />

daß sich die Geme<strong>in</strong>deverantwortlichen und die <strong>in</strong>teressierten<br />

Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger bei dieser Planungsvielfalt<br />

von außen mit ihrer Geme<strong>in</strong>de ause<strong>in</strong>andersetzen müssen.<br />

Die immer wieder zu hörenden Fragen lauten:<br />

Woher kommen wir, wo stehen wir, woh<strong>in</strong> wollen<br />

wir?<br />

Als Etappenziel zeitlicher Art pflege ich bei solchen<br />

Diskussionen unsere Heimatgeschichte <strong>in</strong> das Gedächtnis<br />

zu rufen mit dem H<strong>in</strong>weis, daß wir uns Allersberg <strong>in</strong><br />

10 Jahren vorstellen sollten und wir im Jahre 2004 unsere<br />

750-Jahrfeier haben werden.<br />

Die geplante ICE-Strecke läßt das Geme<strong>in</strong>degebiet<br />

näher zusammenrücken. Die Verbesserung des Arbeitsplatzangebotes<br />

muß unser Ziel se<strong>in</strong>, z. B. durch Ausweisung<br />

e<strong>in</strong>es neuen Gewerbegebietes westlich der Autobahn.<br />

Hierzu und für Vorbereitung und Umsetzung der<br />

Umgehungsstraßen brauchen wir ganz gezielt die Bodenordnung<br />

durch die Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>.<br />

Unsere jetzigen Gewerbegebiete liegen alle am östlichen<br />

Ortsrand von Allersberg. Sozusagen e<strong>in</strong>e Drehung um<br />

180° — warum nicht?!<br />

Schlußfolgerungen<br />

In me<strong>in</strong>er kurzen Amtszeit als Bürgermeister habe ich<br />

schon dieselbe Erfahrung gemacht wie <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em vorherigen<br />

Beruf. Aufbauend auf e<strong>in</strong>er querschnittsorientierten<br />

Berufsausbildung sollten die für den ländlichen Raum<br />

Verantwortlichen bereit se<strong>in</strong>, mit anderen Menschen<br />

zusammenzuarbeiten. So können beide vone<strong>in</strong>ander profitieren.<br />

Hilfe von außen mit unverstelltem Blick wird<br />

immer bedeutungsvoller bei der Wegsuche und Entscheidungsf<strong>in</strong>dung.<br />

Ich will diese Vorgehensweise, die das<br />

eigene Handeln h<strong>in</strong>terfragt, als Supervision bezeichnen.<br />

Sie kann nur dann gel<strong>in</strong>gen, wenn wir uns vorbehaltlos<br />

und offen begegnen.<br />

Beispiele:<br />

• Erstellung unseres neuen Geme<strong>in</strong>deprospektes<br />

• Konzeption e<strong>in</strong>es Waldmuseums und e<strong>in</strong>es<br />

Infozentrums <strong>in</strong> Allersberg<br />

• Gestaltung der Spielfläche e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>dergartens<br />

• Planungskonferenz auf Geme<strong>in</strong>deebene mit Behörden,<br />

Verbänden und Vere<strong>in</strong>en u. a. mit dem Ziel, Verbündete<br />

zu suchen und geme<strong>in</strong>same Prioritäten zu setzen<br />

• Stellungnahmen von Behörden werden höher gewichtet,<br />

als die e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de; so erlebt am Beispiel<br />

Planfeststellungsverfahren ICE-Trasse.<br />

Prioritäten:<br />

• Ich denke, daß manche Planung und Investition auf<br />

ihre gundsätzliche Notwendigkeit und zeitliche Dr<strong>in</strong>glichkeit<br />

neu h<strong>in</strong>terfragt werden muß. Wir <strong>in</strong> Allersberg<br />

müssen manches Wünschenswerte zurückstellen, z. B.<br />

die Erweiterung der E<strong>in</strong>fachturnhalle zur Dreifachturnhalle.<br />

• Manche geplante Investiton wird derzeit ganz neu<br />

überdacht, so z. B. der geplante Neubau e<strong>in</strong>es Feuerwehrhauses<br />

<strong>in</strong> Allersberg. Die standortbed<strong>in</strong>gten<br />

Mehrkosten s<strong>in</strong>d nicht tragbar und so müssen wir<br />

e<strong>in</strong>en neuen Standort suchen.<br />

• Mehr und mehr Arbeiten werden durch den geme<strong>in</strong>dlichen<br />

Bauhof ausgeführt, so z. B. die Außengestaltung<br />

der Freifläche e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>dergartens. Ich weiß, daß hierdurch<br />

dem örtlichen Bauhandwerk Aufträge entgehen.<br />

• Insgesamt s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>fachere und kostengünstigere<br />

Lösungen angezeigt. Auf der Suche nach diesen<br />

Lösungen ist unsere Kreativität und Beweglichkeit<br />

gefordert.<br />

• Der Faktor Zeit sollte bei aller Tageshektik nicht vergessen<br />

werden. E<strong>in</strong> gutes Beispiel hierfür ist die <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> der freien Flur. In Allersberg laufen seit<br />

1978 drei Verfahren nach dem FlurbG; für zwei ist<br />

noch ke<strong>in</strong> Ende <strong>in</strong> Sicht. Für die Grundstückseigentümer<br />

sicherlich unbefriedigend, für uns als Geme<strong>in</strong>de<br />

nicht.<br />

Bei dem erwähnten mehrschichtigen Umstrukturierungsprozeß<br />

ist für uns e<strong>in</strong>e Begleitung durch die<br />

Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> unverzichtbar. Wir<br />

brauchen sie auch über die normale Laufzeit e<strong>in</strong>es<br />

Verfahrens h<strong>in</strong>aus, um die großen Planungen, die uns von<br />

außen auferlegt werden, planerisch und bodenordnerisch<br />

zu bewältigen. Dabei könnte für mich der Dienst der<br />

<strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> als der e<strong>in</strong>es Moderators <strong>in</strong> ländlichen<br />

Gebieten verstanden werden.<br />

108 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Walter Lohmeier<br />

<strong>Ländliche</strong> Räume — <strong>in</strong>novative<br />

Wirtschaftsstandorte mit<br />

Zukunft?<br />

Begrüßung<br />

In e<strong>in</strong>em Aufsatz <strong>in</strong> »Dorf International« vom April dieses<br />

Jahres schreibt Dr. Baltasar Huber von der Kommission<br />

der Europäischen Geme<strong>in</strong>schaft <strong>in</strong> Brüssel, daß<br />

»die moderne Industriegesellschaft nicht unbeachtliche<br />

Chancen zur <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume« biete.<br />

In diesem Zusammenhang wird auf fünf Aspekte nachdrücklich<br />

h<strong>in</strong>gewiesen:<br />

• der tertiäre Sektor mit se<strong>in</strong>en hohen Zuwachsraten sei<br />

weniger standortgebunden,<br />

• die weichen Standortfaktoren wie Freizeit und Umwelt<br />

nehmen an Bedeutung zu,<br />

• Unternehmen wie Menschen seien zunehmend mobil,<br />

• die <strong>in</strong>dustrielle Produktion sei durch zunehmend<br />

verr<strong>in</strong>gerte Produktionstiefe geprägt, und<br />

• die Großstädte müßten immer stärker mit ihren<br />

sozialen Folgekosten fertig werden.<br />

Bereits Anfang der 70er Jahre habe ich mich selbst und<br />

dann <strong>in</strong> Folge weiter mit den Zusammenhängen zwischen<br />

landwirtschaftlicher Umstrukturierung und <strong>in</strong>dustriellgewerblicher<br />

<strong>Entwicklung</strong> befaßt. Damals übrigens <strong>in</strong> fast<br />

Wohn- und häufig Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft mit unserem<br />

jetzigen Bundesm<strong>in</strong>ister für Landwirtschaft, Dr. Jochen<br />

Borchert. Heute b<strong>in</strong> ich stärker und <strong>in</strong> verschiedener<br />

Weise <strong>in</strong> Standortprojekte e<strong>in</strong>gebunden, bei denen es<br />

immer wieder um die Um- und Neustrukturierung e<strong>in</strong>es<br />

Raumes geht, aktuell besonders <strong>in</strong> Schwe<strong>in</strong>furt.<br />

Standort ländlicher Raum<br />

Zu den e<strong>in</strong>gangs zitierten Thesen von Herrn Dr. Huber<br />

kann ich dementsprechend aus vielfältiger Erfahrung feststellen:<br />

Ja, das alles trifft zu. Die gesellschaftlichen, ökonomischen<br />

und auch die technologischen <strong>Entwicklung</strong>sl<strong>in</strong>ien<br />

bieten e<strong>in</strong>e Fülle von Chancen für das Land.<br />

Gleichwohl weist jede Statistik heute e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich nach,<br />

daß die wirtschaftliche Dynamik ungebrochen <strong>in</strong> den<br />

Ballungsräumen viel ausgeprägter ist als auf dem Land,<br />

<strong>in</strong>sbesondere gegenüber den peripheren Räumen. Wir<br />

f<strong>in</strong>den zwar <strong>in</strong>zwischen auch <strong>in</strong> ausschließlich ländlichen<br />

Regionen high-tech-Produktionen, also solche mit e<strong>in</strong>em<br />

Forschungsanteil von über zehn Prozent, sogar Forschungse<strong>in</strong>richtungen<br />

und auch anspruchsvolle Dienstleistungen.<br />

Das alles aber s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sgesamt eher die Ausnahmen.<br />

Landwirtschaft und Fremdenverkehr und auch <strong>in</strong><br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

breitem Maße arbeits<strong>in</strong>tensive Industrie kennzeichnen<br />

heute die ländlichen Räume <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>zugsbereichen von<br />

Mittel- und Unterzentren.<br />

Rezession und ländlicher Raum<br />

Die aktuelle wirtschaftliche Rezession, <strong>in</strong>sbesondere<br />

aber der zunehmende Druck auf den Industriestandort<br />

Deutschland überhaupt, ist <strong>in</strong> regional differenzierter<br />

Sicht vor allem e<strong>in</strong> Problem des ländlichen Raumes.<br />

Würde die <strong>in</strong>dustrielle Beschäftigungssituation <strong>in</strong><br />

Bayern weiter <strong>in</strong> dem Maße zurückgenommen, wie wir<br />

das <strong>in</strong> den letzten zwei Jahren erleben, würde dies fraglos<br />

auch <strong>in</strong> München, Nürnberg und Augsburg deutliche<br />

Spuren h<strong>in</strong>terlassen, für den Raum Marktredwitz, für<br />

weite Teile Oberfrankens und Niederbayerns oder auch<br />

hier für Westmittelfranken wäre das e<strong>in</strong>e schlichte<br />

Katastrophe.<br />

Industrie und ländlicher Raum<br />

Der ländliche Raum bildet heute bei uns den dom<strong>in</strong>ierenden<br />

Standort für <strong>in</strong>dustrielle Aktivitäten überhaupt.<br />

München oder Würzburg beschäftigen gerade noch rund<br />

12 Prozent ihrer Erwerbstätigen im <strong>in</strong>dustriellen Sektor,<br />

im Landkreis Ma<strong>in</strong>-Spessart s<strong>in</strong>d es demgegenüber nahezu<br />

60 Prozent.<br />

Innerhalb des <strong>in</strong>dustriellen Sektors wiederum ist der<br />

ländliche Raum dadurch geprägt, daß er vergleichsweise<br />

arbeits<strong>in</strong>tensive Produktionen kennt. So liegen beispielsweise<br />

die durchschnittlichen <strong>in</strong>dustriellen Umsätze je<br />

Beschäftigten <strong>in</strong> den Landkreisen unseres ma<strong>in</strong>fränkischen<br />

Kammerbezirks um nahezu 40 Prozent unter dem<br />

Bundesniveau. Das bedeutet:<br />

• Die <strong>in</strong>ternationale kostenorientierte <strong>in</strong>dustrielle<br />

Standortkonkurrenz betrifft <strong>in</strong>sgesamt die kle<strong>in</strong>en und<br />

ländlichen Standorte viel stärker als die im Schnitt<br />

kapital<strong>in</strong>tensiveren Industrien <strong>in</strong> den Agglomerationen.<br />

Arbeits<strong>in</strong>tensive Produktionen haben <strong>in</strong> den 60er und<br />

70er Jahren erheblich dazu beigetragen, die aus der<br />

Landwirtschaft kommenden Erwerbswilligen <strong>in</strong> großer<br />

Zahl überhaupt aufzunehmen. Jetzt s<strong>in</strong>d gerade diese<br />

Unternehmen e<strong>in</strong>er besonderen Konkurrenz aus<br />

Tschechien oder Ungarn ausgesetzt.<br />

• Der Rationalisierungsdruck muß natürlich umso stärker<br />

ausfallen, je höher die Lohnkostenanteile an der<br />

Produktion s<strong>in</strong>d.<br />

• Seit Jahren wachsen <strong>in</strong> der Beschäftigung <strong>in</strong>nerhalb<br />

des <strong>in</strong>dustriellen Sektors eigentlich nurmehr die vergleichsweise<br />

kapital<strong>in</strong>tensiven Bereiche.<br />

Sie sehen, die Industrie, die den ländlichen Raum überwiegend<br />

charakterisiert, ist hochgradig gefährdet. Und<br />

dann gibt es noch viele verme<strong>in</strong>tlich kluge Köpfe, die auch<br />

bereits hierzulande glauben, absehbar ohneh<strong>in</strong> ganz ohne<br />

Industrie auszukommen. Das s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> aller Regel diejenigen,<br />

die <strong>in</strong> Frankfurter Bürotürmen die post<strong>in</strong>dustrielle<br />

Welt feststellen und, wenn sie zum Schöppeln nach<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

109


Sommerhausen kommen glauben, ganz Unterfranken<br />

müsse doch im wesentlichen von We<strong>in</strong>, Fremdenverkehr<br />

und Urlaub leben.<br />

Umstrukturierung<br />

Von der Industrie- zur Informations- und Dienstleistungsgesellschaft<br />

Wir bef<strong>in</strong>den uns mittendr<strong>in</strong> im Stadium der Umstrukturierung<br />

von der Industrie- zur Informations- und<br />

Dienstleistungsgesellschaft. Der Dienstleistungssektor ist<br />

seit Jahren tatsächlich der e<strong>in</strong>zig auch <strong>in</strong> der Beschäftigung<br />

wachsende. Darüberh<strong>in</strong>aus aber nimmt die<br />

Industrie selbst immer mehr Dienstleistungsmerkmale an.<br />

So s<strong>in</strong>d heute <strong>in</strong> vielen Industrieunternehmen vielleicht<br />

noch 30 oder 40 Prozent der Beschäftigten mit der<br />

eigentlichen Produktion befaßt, die Mehrheit aber mit<br />

Forschung und <strong>Entwicklung</strong>, Market<strong>in</strong>g, After-Sales-<br />

Service, Wartung, Schulungen und Weiterbildung.<br />

Diese <strong>Entwicklung</strong>stendenz wiederum zeigt sich besonders<br />

ausgeprägt <strong>in</strong> den sogenannten high-tech-Industrien,<br />

der Informationsverarbeitung, der Mikroelektronik,<br />

der Mediz<strong>in</strong>technik, der Biotechnologie und bei den neuen<br />

Werkstoffen. In diesen besonders stark wachsenden Industriebranchen<br />

bekommen technologische <strong>Entwicklung</strong>en<br />

erst durch die Software, durch ihre anwendungsorientierte<br />

Adaption e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n und werden spezifisch.<br />

Beispiel: die digitale Bildverarbeitung, die e<strong>in</strong>e typische<br />

Querschnittstechnologie ist und erst durch spezielle<br />

Anwendungen <strong>in</strong> der Fertigungstechnik oder <strong>in</strong> der mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Diagnostik e<strong>in</strong>e Marktrealisierung erfährt.<br />

Selbst technische Innovationen s<strong>in</strong>d heute <strong>in</strong> aller Regel<br />

sehr rasch zu imitieren, sie unterliegen <strong>in</strong> immer kürzeren<br />

Zyklen e<strong>in</strong>em enormen Preisdruck (siehe PC). Marktstärke<br />

gew<strong>in</strong>nen die Unternehmen im Grunde e<strong>in</strong>zig durch die<br />

E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung ihrer technischen <strong>Entwicklung</strong>en <strong>in</strong> hoch<strong>in</strong>telligente<br />

und möglichst komplexe Dienstleistungsverbünde.<br />

E<strong>in</strong> konkretes Fallbeispiel dazu: Ich b<strong>in</strong> derzeit u. a.<br />

auch damit befaßt, mit Vobis <strong>in</strong> Aachen über die regionale<br />

Plazierung e<strong>in</strong>er ggf. neuen Tochtergesellschaft zu sprechen,<br />

deren wesentliches und <strong>in</strong>novatives Softwareprodukt<br />

der »elektronische Hausmeister« ist. Im Grunde geht<br />

es dabei um die <strong>in</strong>formationstechnische Zusammenb<strong>in</strong>dung<br />

verschiedener Überwachungs- und Sensoriklösungen.<br />

Aber die eigentliche wirtschaftliche Dynamik wird<br />

schon jetzt absehbar nur zum kle<strong>in</strong>eren Teil <strong>in</strong> der Softwarelösung<br />

selbst liegen und viel stärker <strong>in</strong> damit verbundenen<br />

Dienstleistungen für kle<strong>in</strong>e Unternehmen, S<strong>in</strong>gle-<br />

Haushalte und was sonst noch als Zielgruppe für e<strong>in</strong> solches<br />

Projekt denkbar ist.<br />

Integration von Dienstleistung und Industrie<br />

Ich möchte mit diesen Beobachtungen deutlich<br />

machen, daß es gar nicht um die Schwarz-Weiß-Entscheidung<br />

Dienstleistungen oder Industrie geht. Richtig<br />

ist vielmehr, daß Dienstleistungen und Industrie immer<br />

stärker <strong>in</strong>tegriert werden, e<strong>in</strong> Phänomen, das übrigens<br />

auch für die Branchen- und Technologiespezialisierungen<br />

gilt. In den beiden Technologiezentren <strong>in</strong> Würzburg und<br />

Schwe<strong>in</strong>furt, die ich verantwortlich führe, ist es mir überwiegend<br />

nicht mehr möglich, die jungen hochtechnologieorientierten<br />

Unternehmen e<strong>in</strong>deutig bestimmten<br />

Branchen zuzuordnen. Flexible Ausrichtungen auf sogenannte<br />

Technik-Schnittstellen s<strong>in</strong>d die Regel.<br />

Für die Förderpolitik <strong>in</strong> Bayern und auch auf Bundesund<br />

europäischer Ebene ist es allerhöchste Zeit, massiv<br />

diese Veränderungsprozesse zu unterstützen. Die klassische<br />

Industrieausrichtung der GA-Förderung, wie sie<br />

beispielsweise jetzt <strong>in</strong> Schwe<strong>in</strong>furt wieder möglich ist, ist<br />

eigentlich e<strong>in</strong> erfolgreiches Instrument von gestern, als<br />

die Förderung arbeits<strong>in</strong>tensiver Produktionen die allererste<br />

Priorität haben mußte.<br />

Innovationsschub und ländlicher Raum<br />

Die Zukunft auf den regionalen ebenso wie auf den<br />

Weltmärkten gehört den Unternehmen, die möglichst<br />

rasch <strong>in</strong>novative Produkte mit <strong>in</strong>novativen Prozessen herstellen<br />

und diese mit e<strong>in</strong>em Kranz von Dienstleistungen<br />

mit starker Kundenb<strong>in</strong>dung auf neuen Märkten plazieren<br />

können.<br />

Auf diesen Innovationsschub hat sich e<strong>in</strong>e Politik für<br />

den ländlichen Raum sofort und mit aller Kraft e<strong>in</strong>zustellen.<br />

Es geht dabei um die Fragen, <strong>in</strong>wieweit technologischer<br />

und wirtschaftlicher Fortschritt <strong>in</strong> welcher Weise<br />

Veränderungen im <strong>Stadt</strong>-Land-Gefüge herbeiführen bzw.<br />

wie dies erreicht werden kann.<br />

Optimistische Hypothesen und skeptische<br />

Erfahrungen<br />

Seit man sich <strong>in</strong> etwa mit Beg<strong>in</strong>n der 70er Jahre<br />

zunächst wissenschaftlich und dann auch praktisch <strong>in</strong>tensiv<br />

mit den Zusammenhängen zwischen der technologischen<br />

und der räumlichen <strong>Entwicklung</strong> befaßt hat, mußten<br />

überwiegend skeptische Erfahrungen mit Blick auf die<br />

<strong>Entwicklung</strong> ländlicher Räume gemacht werden.<br />

Erfahrungen, die leider im Gegensatz zu verschiedenen<br />

Mutmaßungen und Hypothesen stehen, über die sich<br />

gerade der periphere ländliche Raum eigentlich hätte<br />

freuen müssen.<br />

Die Dienstleistungsmotorik der Wirtschaft, die extrem<br />

wachsende Bedeutung der Information und Telekommunikation,<br />

die M<strong>in</strong>iaturisierungstendenzen <strong>in</strong> den Technologien<br />

und auch die Schaffung von Hochgeschw<strong>in</strong>digkeitsnetzen<br />

wie überhaupt die leistungsfähigere Verkehrs<strong>in</strong>frastruktur<br />

wirkten und wirken weiterh<strong>in</strong> tendenziell<br />

raumüberw<strong>in</strong>dend und tragen sogar grundsätzliche Züge<br />

e<strong>in</strong>er quasi Enträumlichung der Wirtschaft <strong>in</strong> sich. Das<br />

heißt, mit dem hohen Gewicht des Dispositionsfaktors<br />

Information und der Allverfügbarkeit gerade dieses kostbaren<br />

Gutes <strong>in</strong> jeden W<strong>in</strong>kel unseres Landes könnten die<br />

Steuerungszentralen von MBB oder von Höchst doch<br />

genausogut <strong>in</strong> Mellrichstadt oder Regen sitzen wie <strong>in</strong><br />

München oder <strong>in</strong> Frankfurt.<br />

110 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Tatsächlich wissen wir alle, daß die <strong>Entwicklung</strong> sich<br />

so nicht darstellt. Es s<strong>in</strong>d immer noch die eher e<strong>in</strong>fachen<br />

Produktionen, die Werkbänke, die an ländlichen Standorten<br />

anzutreffen s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong> Beispiel aus me<strong>in</strong>er Heimat:<br />

In Grettstadt f<strong>in</strong>det sich die größte Produktionsstätte von<br />

Messmer-Tee, die Unternehmensleitung hat aber weiter<br />

ihren Sitz <strong>in</strong> Frankfurt.<br />

Oder nehmen Sie das Beispiel Behördenverlagerung.<br />

E<strong>in</strong>zig und alle<strong>in</strong> die Bundeswehr wie überhaupt Militärstandorte<br />

haben den ländlichen Raum immer begünstigt,<br />

mit der heute wiederum fatalen Folge, daß die schwierigsten<br />

Konversionsfälle eben <strong>in</strong> der Rhön oder der Oberpfalz<br />

anzutreffen s<strong>in</strong>d, woh<strong>in</strong>gegen der Run auf die neuen<br />

Verfügungsmassen <strong>in</strong> den Oberzentren <strong>in</strong> aller Regel noch<br />

nicht mal annähernd für e<strong>in</strong>e gewerbliche Förderung<br />

genutzt wurde.<br />

Das Sozialgericht kommt ja jetzt auch nur <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren<br />

Teilen nach Schwe<strong>in</strong>furt. Man kann über alle diese E<strong>in</strong>zelfälle<br />

sehr berechtigt diskutieren. Nur: unterm Strich ist<br />

auch die Behördenverlagerung wohl niemals zu e<strong>in</strong>em<br />

ernsthaften Instrument der Dezentralisierung zugunsten<br />

der peripheren Räume geworden.<br />

E<strong>in</strong> Sogeffekt <strong>in</strong> Richtung <strong>in</strong>novativer und anspruchsvoller<br />

Unternehmen hätte aber ohne weiteres von den<br />

ländlichen Standorten ausgehen müssen: die Wirkung<br />

der sogenannten weichen Standortfaktoren Umwelt,<br />

Wohnungsqualität, vielleicht auch Freizeitwert.<br />

Gewirkt haben diese Merkmale aber wohl nur im unmittelbaren<br />

Umkreis der Ballungen und Oberzentren. Die<br />

Randgeme<strong>in</strong>den Münchens oder Würzburgs s<strong>in</strong>d heute<br />

die typschen regionalen Gew<strong>in</strong>ner der Neuverteilung von<br />

Menschen und unternehmerischen Aktivitäten im Raum.<br />

Von10 neuen Arbeitsplätzen, die <strong>in</strong> den letzten 10 Jahren<br />

<strong>in</strong> <strong>Stadt</strong> und Landkreis Würzburg entstanden, entfielen<br />

beispielsweise 9 auf die sogenannten Kragengeme<strong>in</strong>den.<br />

Die Erwerbsquote im Landkreis Würzburg ist um knapp<br />

10 Prozentpunkte höhere als <strong>in</strong> der <strong>Stadt</strong>. Es gibt also<br />

auch sehr gute <strong>Entwicklung</strong>sl<strong>in</strong>ien im Stand-Land-Vergleich,<br />

aber eben nur im unmittelbaren E<strong>in</strong>zugsbereich der<br />

Städte selbst. Diese me<strong>in</strong>en wir aber eben nicht, wenn wir<br />

der Frage nach gehen, wie wir aus ländlichen Standorten<br />

hochattraktive <strong>in</strong>novative Wirtschaftsstandorte werden<br />

lassen können.<br />

Um Instrumente für e<strong>in</strong>e stärkere Innovationsorientierung<br />

und Beteiligung der ländlichen Standorte an<br />

den positiven Folgen der Technologieveränderung zu<br />

gew<strong>in</strong>nen, ist es zuerst notwendig, die Hemmnisse zu<br />

betrachten und dann nachfolgend abzubauen, die bislang<br />

offensichtlich dafür verantwortlich s<strong>in</strong>d, daß der technische<br />

Fortschritt und die wirtschaftliche Umstrukturierung<br />

praktisch zu ke<strong>in</strong>er nennenswerten Begünstigung<br />

kle<strong>in</strong>erer und peripherer Standorte führt.<br />

Wachstumsressorcen gibt es überall<br />

Die positive Chance lautet: Jede Technologie ist heute<br />

an praktisch jedem Raumpunkt realisierbar. Die Fabrik<br />

der Zukunft, CIM, oder hochmoderne just-<strong>in</strong>time-Kon-<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

zepte, lassen sich zwar erfolgreich <strong>in</strong> unmittelbarer<br />

Nachbarschaft von BMW <strong>in</strong> Regensburg darstellen, es gibt<br />

aber auch jede Menge Beispiele für gute logistische<br />

Konzepte, bei denen durchaus große räumliche Entfernungen<br />

überwunden werden. Weder die Technik selbst<br />

noch betriebswirtschaftliche Organistation begünstigt die<br />

räumliche Ballung wirtschaftlicher Aktivitäten.<br />

Die physische Verfügbarkeit von Menschen, Produkten<br />

und Leistungen ist räumlich breit gestreut. Peripherie und<br />

damit Ferne von wirtschaftlichen Attraktivitäten ist nicht<br />

mehr e<strong>in</strong> großräumliches Phänomen des Emslandes oder<br />

Ostbayerns, sondern zunehmend e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>räumliches.<br />

Die Peripherie ist überall bei uns, nämlich rund zwanzig<br />

Kilometer abseits der Bundesautobahnen. Je dichter diese<br />

große Verkehrs<strong>in</strong>frastruktur bei uns gestrickt wird, umso<br />

stärker s<strong>in</strong>d die Räume ausgegrenzt, die nicht mehr unmittelbar<br />

dar<strong>in</strong> verwoben s<strong>in</strong>d.<br />

Die Raumüberw<strong>in</strong>dungstechnologien Information und<br />

(Tele)-Kommunikation s<strong>in</strong>d tatsächlich überall latent<br />

e<strong>in</strong>setzbar. Selbst der Verkabelungsdruck mit der teueren<br />

Infrastruktur hat eher nachgelassen angesichts verbesserter<br />

Satellitentechnik. Und, die Nutzeroberflächen, die<br />

dazugehörige Geräteperipherie ist sehr preiswert geworden.<br />

Ohne Ausnahme s<strong>in</strong>d alle Kommunikations<strong>in</strong>strumente,<br />

die Siemens noch vor 7 Jahren <strong>in</strong> großen Chonta<strong>in</strong>erlastwagen<br />

an verschiedenen Standorten der staunenden<br />

Öffentlichkeit demonstrierte, heute schon so<br />

selbstverständlich und z. T. bereits auf privater Ebene<br />

bezahl- und damit e<strong>in</strong>setzbar, daß beispielsweise e<strong>in</strong><br />

Informationsbroker se<strong>in</strong> weltweites Datenbankgeschäft<br />

genauso von Nordschwaben aus wahrnehmen kann wie<br />

von München oder Düsseldorf.<br />

Ballung als Standortvorteil sui generis<br />

Was führt dann aber dazu, daß <strong>in</strong> den Ballungen nicht<br />

nur mehr neue Unternehmen der Informationsverarbeitung<br />

und der Kommunikationstechnik entstehen als an<br />

ländlichen Standorten, sondern dies sogar weit überproportional<br />

zur Bevölkerungsdichte der Fall ist? E<strong>in</strong> Problem,<br />

übrigens sogar für kle<strong>in</strong>ere Oberzentren wie Würzburg. In<br />

Frankfurt, das rund fünfmal so groß ist wie Würzburg,<br />

gibt es eben nicht nur fünfmal so viele high-tech-Existenzgründer,<br />

sondern rund 20 mal soviele. Das ist natürlich<br />

mehr als bedenkenswert.<br />

Die Erklärung für all diese Phänomene, die ke<strong>in</strong>en<br />

erfreuen können, der sich nachhaltig für die kle<strong>in</strong>eren<br />

Geme<strong>in</strong>den und Städte e<strong>in</strong>setzt, kann mit Synergie umschrieben<br />

werden. Die Dichte selbst ist der wichtigste ökonomische<br />

Vorteil der Ballungszentren überhaupt. Die<br />

Dichte an wirtschaftlich relevanter Infrastruktur, die<br />

Dichte an unternehmerischen Aktivitäten und allen voran<br />

die Dichte an Menschen und damit an potentiellen Mitarbeitern<br />

und Konsumenten.<br />

Auf der Angebotsseite ist die Vergügbarkeit von erwerbsfähigen<br />

Menschen <strong>in</strong> großer Zahl und mit höheren<br />

und verschiedenen Qualifikationen der räumlich wichtigste<br />

Entscheidungsfaktor für Unternehmenswachstum,<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

111


-verlagerung, -ansiedlung oder -neugründung. Auf der<br />

Nachfrageseite gilt dies analog im H<strong>in</strong>blick auf den Konsum,<br />

vor allem aber mit Blick auf notwendige M<strong>in</strong>destschwellen<br />

von Nutzungsgraden bestimmter Dienstleistungen.<br />

Sie können <strong>in</strong> den großen Städten praktisch jede<br />

Infrastruktur rasch auslasten. Angesichts der immer höheren<br />

Vorlauf<strong>in</strong>vestitionen bei neuen wirtschaftlich relevanten<br />

E<strong>in</strong>richtungen ist die absehbare Effizienz des E<strong>in</strong>satzes<br />

von allergrößter Bedeutung.<br />

Diese Erkenntnis läßt leicht nachvollziehen, warum<br />

selbst die Tante-Emma-Läden aus den Dörfern verschwunden<br />

s<strong>in</strong>d und diese Strukturen <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

erst gar nicht mehr entstehen. Sie macht aber vor allem<br />

deutlich, daß e<strong>in</strong>e spezifische Wirtschaftspolitik für den<br />

ländlichen Raum notwendig ist, wenn auch dort <strong>in</strong>novative<br />

Industrien und Dienstleistung morgen stattf<strong>in</strong>den sollen<br />

und der ländliche Raum nicht auf den Status großflächiger<br />

Biospährenreservate zurückfallen soll.<br />

Wie kann man also <strong>in</strong> den Dörfern und kle<strong>in</strong>eren<br />

Städten <strong>in</strong>novative Unternehmen e<strong>in</strong>fangen, wenn die<br />

Landwirtschaft oder der Fremdenverkehr alle<strong>in</strong> nicht ausreichen,<br />

Abwanderungen nachhaltig zu verh<strong>in</strong>dern?<br />

Konkrete Empfehlungen für e<strong>in</strong> <strong>in</strong>novatives<br />

Standortmanagement<br />

1. Die Geme<strong>in</strong>den müssen sich selbst unter die Lupe nehmen,<br />

d. h. im Gespräch mit den E<strong>in</strong>wohnern quasi e<strong>in</strong><br />

check-up wie beim Internisten durchführen. Diese<br />

Prozesse können durch externe Fachleute unterstützt<br />

bzw. moderiert werden.<br />

2. Die Geme<strong>in</strong>den müssen dann über die Eigendiagnose<br />

zu e<strong>in</strong>er mehr normativen Positionierung gelangen, so<br />

ähnlich wie beim Städteleitbild. Es muß e<strong>in</strong> Konsens<br />

darüber gefunden werden, wie man sich künftig entwickeln<br />

will. Der Wille ist dabei durchaus genauso<br />

wichtig, wie das Potential, da letzteres durchaus <strong>in</strong> viel<br />

größerem Maße bee<strong>in</strong>flußbar und veränderbar ist als<br />

viele zunächst glauben.<br />

3. Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> ländlichen Räumen müssen Standortgeme<strong>in</strong>schaften<br />

bilden und damit dezentrale, kle<strong>in</strong>räumliche<br />

Konzentrationen ermöglichen. Das ist notwendig,<br />

um Kosten überhaupt bewältigen zu können,<br />

um vor allem aber M<strong>in</strong>destattraktivitätsschwellen zu<br />

überschreiten und auch kle<strong>in</strong>e Sogeffekte zu stärker<br />

bündeln zu können.<br />

Schon im Umfeld der größeren Städte s<strong>in</strong>d die kle<strong>in</strong>räumliche<br />

Konkurrenz und die vielen Abgrenzungen<br />

der Geme<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>e unglückliche Geschichte. In häufig<br />

nicht zu eigenständigen Multiplikatoreffekten führen.<br />

Negativbeispiel dafür s<strong>in</strong>d viele Geme<strong>in</strong>den bei unseren<br />

Nachbarn <strong>in</strong> den neuen Bundesländern. Wenn e<strong>in</strong><br />

Unternehmen nicht aus eigener Kraft alle für e<strong>in</strong>e<br />

<strong>Entwicklung</strong> notwendigen Ressourcen selbst darstellen<br />

kann, sucht es Kooperationspartner. Auf geme<strong>in</strong>dlicher<br />

Ebene ist das m<strong>in</strong>destens genauso notwendig.<br />

4. Für e<strong>in</strong>e erfolgreiche übergeme<strong>in</strong>dliche Zusammenarbeit<br />

bei Standortprojekten s<strong>in</strong>d neue Formen des<br />

F<strong>in</strong>anzausgleichs und auch der sonstigen Lastenverteilung<br />

notwendig. Die rechtlichen Spielräume dafür<br />

s<strong>in</strong>d größer als es angesichts der Nichtnutzung sche<strong>in</strong>t.<br />

5. <strong>Ländliche</strong> Geme<strong>in</strong>den brauchen <strong>in</strong> besonderem Maße<br />

e<strong>in</strong> standortspezifisches Projektmanagement. Projektmanagement<br />

bedeutet, daß e<strong>in</strong> gewerblicher<br />

Standort mit ganz spezifischen Zielen, Schwerpunkten<br />

und besonderen Infrastrukturen entwickelt wird, also<br />

weitaus mehr geschieht als nur e<strong>in</strong> Gewerbe- oder<br />

Industriegebiet auszuweisen. Projektmanagement<br />

erfordert <strong>in</strong>tegriertes Handeln der Kommune, der politischen<br />

Mitstreiter, externer Fachberater und möglichst<br />

auch von privaten Unternehmen selbst.<br />

Warum ist Projektmanagement so wichtig?<br />

Weil zunehmend für die Attraktivität e<strong>in</strong>es Mikrostandortes<br />

nicht nur die quasi objektiv am Ort gegebenen<br />

Standortbed<strong>in</strong>gungen wie Lage, Klima, Größe usw.<br />

wesentlich werden, sondern das spezifische Standortkonzept<br />

selbst. So erzielen wir beispielsweise im Schwe<strong>in</strong>furter<br />

GRIBS, e<strong>in</strong>em Gründer- und Innovationszentrum<br />

jetzt bereits teilweise höhere Mieten als im Schwe<strong>in</strong>furter<br />

Durchschnitt über e<strong>in</strong>e besondere Projektattraktivität, und<br />

das, obwohl <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong> Überangebot an Büro- und<br />

Gewerbeflächen gegeben ist. Aber: gute Mikrostandorte<br />

mit <strong>in</strong>telligenten <strong>Entwicklung</strong>skonzepten s<strong>in</strong>d nach wie<br />

vor die absolute Ausnahme. So werden bisher nur rund<br />

1 Promille aller Neuansiedlungen der gewerblichen<br />

Wirtschaft <strong>in</strong> sogenannten Gewerbeparks realisiert.<br />

Wie können <strong>in</strong>novative Projekte auf dem Land<br />

aussehen?<br />

Grundsätzlich gilt nur die Forderung, daß sie auch ohne<br />

Dauersubventionen realisierbar se<strong>in</strong> müssen und im E<strong>in</strong>klang<br />

mit dem ländlichen Standort zu stehen haben. Diese<br />

Restriktionen dürften aber <strong>in</strong> vielen Fällen zu erfüllen se<strong>in</strong>.<br />

Projektbeispiele<br />

1. Gewerbeparke und spezialisierte Mikrostandorte.<br />

Der Gewerbepark unterscheidet sich vom normalen<br />

Gewerbe- oder Industriegebiet dadurch, daß er e<strong>in</strong>e<br />

weitergehende geme<strong>in</strong>same Infrastruktur bereithält,<br />

damit verbunden unternehmensübergreifende wirtschaftliche<br />

Nutzungen vorsieht. Das kann Parkplätze<br />

ebenso wie Tagungse<strong>in</strong>richtungen betreffen. Der<br />

Gewerbepark versieht sich <strong>in</strong> aller Regel mit e<strong>in</strong>em<br />

besonderen Image und auch, neuhochdeutsch, mit<br />

e<strong>in</strong>em besonderen geme<strong>in</strong>samen Image. In den USA<br />

gehen <strong>in</strong>zwischen 80 Prozent aller Unternehmensansiedlungen<br />

<strong>in</strong> solche besonders entwickelte Standorte,<br />

<strong>in</strong>sbesondere auch abseits der Ballungskerne. In der<br />

Regel kümmert sich e<strong>in</strong>e Betreibergesellschaft, die von<br />

112 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


den anzusiedelnden Unternehmen f<strong>in</strong>anziert wird, um<br />

geme<strong>in</strong>same Standortbelange. Tatsächlich s<strong>in</strong>d Gewerbeparks<br />

stets auch viel flächenextensiver und<br />

grüner. Das aber paßt ohneh<strong>in</strong> zum ländlichen Raum,<br />

macht aber ganz besonders wieder die <strong>in</strong>terkommunale<br />

Zusammenarbeit notwendig. E<strong>in</strong> Gewerbepark ist zunächst<br />

deutlich teurer als e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches Gewerbegebiet.<br />

Besondere Chancen kommen me<strong>in</strong>er Erfahrung nach<br />

spezialisierten Gewerbeparks zu. Das hört sich zunächst<br />

gerade für kle<strong>in</strong>ere Standorte mit Blick auf e<strong>in</strong><br />

eher ger<strong>in</strong>ges Akquisitionspotential nahezu unmöglich<br />

an, ist es aber nicht. Sie können bei Unternehmensansiedlungen<br />

ohne weiteres die Stecknadel im Heuhaufen<br />

suchen, wenn sie den starken Magneten, und<br />

das heißt hier e<strong>in</strong> spezifisch attraktives Standortkonzept<br />

haben.<br />

Beispiel Tauberrettersheim:<br />

Wir werden dort im ländlichen Süden des Raumes<br />

Würzburg versuchen, gezielt e<strong>in</strong>en ökologisch ausgerichteten<br />

Gewerbepark zu schaffen, der sich synergetisch<br />

<strong>in</strong> die Umgebung e<strong>in</strong>fügt und für den erste<br />

Inkubatorunternehmen bereits gesichtet s<strong>in</strong>d.<br />

E<strong>in</strong>e Bemerkung dazu: Für besondere Standortprojekte<br />

müssen so früh wie möglich, Führungsunternehmen<br />

gefunden werden, die dann selbst aktiv <strong>in</strong> das Standortprojekt<br />

e<strong>in</strong>gebunden werden und damit auch die<br />

Rolle als Mitakquisiteur bekommen.<br />

2. Technologie- und Gründerzentren.<br />

Vor kurzem wurden gerade die Technologie- und<br />

Gründerzentren e<strong>in</strong>zig und alle<strong>in</strong> im S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> den<br />

großen Ballungsgebieten als berechtigt erachtet.<br />

Inzwischen zeigen Technologiezentren an mittelgroßen<br />

Standorten, daß es auch dort geht.<br />

S<strong>in</strong>n macht es <strong>in</strong> jedem Fall, Gründerzentren ohne allzu<br />

hohe technologische Meßlatte im ländlichen Raum zu<br />

plazieren. Wir s<strong>in</strong>d selbst dabei, e<strong>in</strong>en solchen Versuch<br />

für Gemünden mitzustarten. Im Würzburger TGZ kommen<br />

immerh<strong>in</strong> über e<strong>in</strong> Drittel der durchaus hightech-Gründer<br />

aus kle<strong>in</strong>en unterfränkischen Dörfern.<br />

E<strong>in</strong> Gründer ist auch e<strong>in</strong> Handwerker, kann auch e<strong>in</strong><br />

Landwirt se<strong>in</strong>, der neue Vermarktungsformen schafft<br />

oder e<strong>in</strong>e andere unternehmerische Verb<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>geht.<br />

Diese Prozesse können im Rahmen der Schaffung<br />

von Gründerzentren moderiert und damit vorangetrieben<br />

werden.<br />

3. Handwerkerhöfe.<br />

Sie machen dann e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, wenn es um die geme<strong>in</strong>same<br />

Nutzung kostspieliger technischer Ressourcen<br />

geht, um logistische Kapazitäten. Sie können im besten<br />

Fall geme<strong>in</strong>sam mit jungen Handwerkern an den ländlichen<br />

Standorten selbst konzipiert werden.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Interessierte Zuhörer diskutieren mit<br />

Für alle drei Projekttypen bedarf es aber e<strong>in</strong>es M<strong>in</strong>destmaßes<br />

an Konzentration von Aktivitäten, d. h.<br />

e<strong>in</strong>es entwickelten Gewerbestandortes mit besonderen<br />

Infrastrukturen für junge Unternehmen, vor allem<br />

Existenzgründer und für Handwerker.<br />

Derzeit führe ich im Wirtschaftsm<strong>in</strong>isterium auch<br />

Gespräche <strong>in</strong> der Richtung, doch zum<strong>in</strong>dest zwei oder<br />

drei solcher Projekte gezielt im ländlichen Raum als<br />

Versuchs- und damit Modellprojekte darzustellen.<br />

4. Telehäuser und Telezentren.<br />

Offenbar weil das im ländlichen Schweden so gut<br />

funktionierte, lebt bis heute die Idee fort, mit der<br />

E<strong>in</strong>richtung sogenannter Telehäuser den ländlichen<br />

Raum zu entwickeln. Das hat nach wie vor viel bestechendes<br />

und ist gleichzeitig e<strong>in</strong> schwieriges Unterfangen.<br />

Telehäuser verstehen sich als räumliche<br />

Bündelung von E<strong>in</strong>richtungen zur Nutzung modernster<br />

Telekommunikationsentwicklungen.<br />

Durchaus können solche E<strong>in</strong>richtungen dazu geeignet<br />

se<strong>in</strong>, kommunikationsabhängige Arbeitsprozesse und<br />

Dienstleistungen unmittelbar aufs Land zu br<strong>in</strong>gen. Die<br />

Crux ist nur, daß dies <strong>in</strong>zwischen mit jedem preiswerten<br />

PC und e<strong>in</strong>em Modem für den Datentransfer<br />

auch ohne weiteres von zu Hause aus möglich ist. Die<br />

Technik selbst kann angesichts des Innovationstempos<br />

und gleichzeitigen Preisverfalls bei der Hardware nicht<br />

mehr der Engpaß <strong>in</strong> den kle<strong>in</strong>en Geme<strong>in</strong>den se<strong>in</strong>.<br />

Dementsprechend machen E<strong>in</strong>richtungen wie Telehäuser<br />

nur dann e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, wenn konkrete Nutzungen<br />

mit genügend großer Intensität von vorhere<strong>in</strong> geplant<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

113


und fest verankert werden. Beispielsweise für besten<br />

zur Auslagerung von auch qualifizierten Arbeiten aus<br />

Unternehmen an dritten Standorten. Wir wollen dies<br />

konkret versuchen und sprechen dazu mit<br />

Unternehmen, ob sie bereit s<strong>in</strong>d, entsprechende Pilotprojekte<br />

auch personell zu unterstützen. Die größte<br />

Aufgabe im Zusammenhang mit Telehäusern liegt im<br />

s<strong>in</strong>nvollen Betrieb, der deutlich über Alib<strong>in</strong>utzungen<br />

h<strong>in</strong>ausgehen muß.<br />

Ich habe eigene (leidvolle) Erfahrung <strong>in</strong> der IHK mit der<br />

äußerst schwierigen Vermarktung von Datenbankrecherchen<br />

an private Unternehmen.<br />

Fazit:<br />

Im ländlichen Raum müssen Projektgeme<strong>in</strong>schaften<br />

entstehen und gefördert werden, die durchaus etwas ähnliches<br />

zu leisten haben wie Flurbere<strong>in</strong>igung, nämlich die<br />

Sortierung und Neuordnung und damit Bündelung der<br />

<strong>in</strong>novativen Ressorcen. Die endogene Potentiale s<strong>in</strong>d<br />

kle<strong>in</strong>räumlich auf dem Land zunächst immer dünner gesät<br />

als <strong>in</strong> der großen <strong>Stadt</strong>. Die typischen Attraktivitätsmerkmale<br />

des ländlichen Raumes s<strong>in</strong>d umgekehrt nicht so<br />

stark, daß sie die wirtschaftlichen Synergienachteile automatisch<br />

aufwiegen können. Der technologische schritt<br />

und die <strong>in</strong>novative Umstruktruierung der Wirtschaft<br />

schließlich hat zwar e<strong>in</strong>e Fülle räumlicher Konsequenzen,<br />

aber ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutigen, viel ambivalentes und nicht automatisch<br />

den räumlichen Ausgleich unterstützend.<br />

Zweifelsfrei aber können im ländlichen Raum <strong>in</strong>novative<br />

Wirtschaftsstandorte entwickelt werden. Projektmanagement,<br />

überkommunale Zusammenarbeit und die<br />

unmittelbare Verzahnung der sogenannten weichen<br />

Standortvorteile mit den wirtschaftlich relevanten, spielen<br />

dabei e<strong>in</strong>e herausragende Rolle.<br />

Der ländliche Raum verfügt nicht über e<strong>in</strong>e den Großstädten<br />

vergleichbare wirtschaftliche Dynamik, die zu<br />

eigenständigen gewerblich orientierten Gestaltungen<br />

führt. Die Bürolandschaft Niederrad entsteht <strong>in</strong> Frankfurt<br />

aufgrund des wirtschaftlichen Drucks zwangsläufig, die<br />

Wirtschaftsförderung ist hier eher <strong>in</strong> der assistierenden,<br />

begleitenden Rolle.<br />

Das Dorf muß ungleich mehr das Heft <strong>in</strong> die Hand nehmen,<br />

selbst viel stärker unmittelbar zum unternehmerischen<br />

Akteur werden und dabei viele Verbündete suchen.<br />

Die <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong>novativer Wirtschaftsstandorte im<br />

ländlichen Raum ist e<strong>in</strong>e erstklassige Geme<strong>in</strong>schaftsaufgabe.<br />

114 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Karl-He<strong>in</strong>z Röhl<strong>in</strong><br />

Lust auf’s Land- Erwartungen<br />

und Forderungen junger<br />

Menschen<br />

»Lust auf’s Land« — das Thema spiegelt den Trend.<br />

Jugendliche leben heute (wieder) unter bestimmten<br />

Voraussetzungen gerne auf dem Land. Die Zeitschrift<br />

»land & leute« befragte vor 2 1 / 2 Jahren Jugendliche, ob<br />

sie gerne <strong>in</strong> ihrem Dorf leben und später auch e<strong>in</strong>mal auf<br />

dem Land leben möchten. E<strong>in</strong>e typische Antwort:<br />

»Also mir gfällts auf’n Land super. In der <strong>Stadt</strong><br />

möcht ich net leben; z. B. <strong>in</strong> Nürnberg; da gfällt mers<br />

net, die Hochhäuser, die schlechte Luft, der Verkehr<br />

und ke<strong>in</strong> Garten, ke<strong>in</strong>e Natur.«<br />

Diese Äußerung faßt die wesentlichen Vorzüge des<br />

Lebens auf dem Land zusammen: die günstige Wohn-<br />

Abb. aus »Lust auf Dorf«, Reißig / Röhl<strong>in</strong>;<br />

Zeichnung von Werner Küstenmacher<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

situation, die gesünderen Lebensbed<strong>in</strong>gungen, den<br />

Naherholungswert und die Naturnähe. Trotz fehlender<br />

Arbeitsplätze und unzureichend ausgebautem öffentlichen<br />

Nahverkehr leben Jugendliche gerne auf dem Land. Sie<br />

haben durchaus »Lust auf Dorf« wie e<strong>in</strong> Buchtitel über die<br />

Evangelische Landjugend <strong>in</strong> Bayern heißt.<br />

Aktuelle Situation und Probleme<br />

Lebensbed<strong>in</strong>gungen junger Menschen<br />

Ich gehe vor allem auf die Situation der Jugendlichen<br />

von 14 — 18 Jahren e<strong>in</strong>. Sie besuchen <strong>in</strong> der Regel noch<br />

die Schule oder bef<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> der beruflichen Ausbildung.<br />

Im Vergleich zu ihren Freunden <strong>in</strong> der <strong>Stadt</strong> müssen<br />

die Landjugendlichen Nachteile <strong>in</strong> Kauf nehmen:<br />

— Sie haben längere Fahrtzeiten zur Schule und zum<br />

Arbeitsplatz.<br />

— Sie müssen mehr Pflichten im elterlichen Haushalt, <strong>in</strong><br />

der Landwirtschaft oder im Dorf übernehmen.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

115


— Verschiedene Schullaufbahnen erschweren den Kontakt<br />

zu Freunden und Freund<strong>in</strong>nen.<br />

— Die Freizeitangebote <strong>in</strong> der <strong>Stadt</strong> s<strong>in</strong>d vielfältiger und<br />

zahlreicher.<br />

Fehlende Arbeitsplätze im Dorf erzeugen vor allem <strong>in</strong><br />

strukturschwachen Gebieten e<strong>in</strong>en Abwanderungsdruck.<br />

Die Jugendlichen leben <strong>in</strong> zwei Welten. Auf der e<strong>in</strong>en<br />

Seite die überschaubare, von Traditionen geprägte Welt<br />

des Dorfes. Auf der anderen Seite die Anonymität der<br />

<strong>Stadt</strong> und die Leitbilder der modernen Freizeitwelt.<br />

E<strong>in</strong>engend erleben Jugendliche die soziale Kontrolle im<br />

Dorf. Wer mit wem geht, wer wann nach Hause kommt,<br />

all dies f<strong>in</strong>det <strong>in</strong>teressierte Beobachter.<br />

In der Freizeit besteht für die Jugendlichen das Problem,<br />

da h<strong>in</strong>zukommen, wo sie h<strong>in</strong> wollen. Vor allem<br />

Mädchen, die nicht über e<strong>in</strong> Moped oder e<strong>in</strong> Auto verfügen,<br />

s<strong>in</strong>d benachteiligt und angewiesen auf Fahrer. E<strong>in</strong><br />

junger Mann formuliert das so:<br />

»Am Wochenende geht’s ab <strong>in</strong> die Disco. Manchmal<br />

grasen wir zwei, drei Discos <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Nacht ab. Ich<br />

nehme <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Auto meistens e<strong>in</strong> paar Leute mit.<br />

Ohne Auto bist du auf dem Land aufgeschmissen«.<br />

Die Karriere der jugendlichen Mobilität sieht so aus: Mit<br />

15 Jahren e<strong>in</strong> Mofa, mit 16 Jahren e<strong>in</strong> Moped, mit 18<br />

Jahren e<strong>in</strong> Motorrad oder Auto. Mit Recht schreibt Dieter<br />

Wieland zum Verkehrsproblem auf dem Lande:<br />

»Ohne Auto wäre unser Leben auf den Dorf nicht<br />

möglich. Das ist der Unterschied zur <strong>Stadt</strong>. Und der<br />

größte Nachteil. Das Verkehrsnetz fehlt. Ke<strong>in</strong> Problem<br />

ist so dr<strong>in</strong>gend zu lösen, wie das Verkehrsproblem auf<br />

dem Lande«.<br />

Im Dorf gibt es nur wenig attraktive Freizeitmöglichkeiten.<br />

Nicht von ungefähr bauen sich Jugendliche selbst<br />

Hütten oder richten sich Bauwägen e<strong>in</strong>. Diese Aktivitäten<br />

s<strong>in</strong>d auch als Kritik an Kommune und Kirchengeme<strong>in</strong>de zu<br />

verstehen, die Jugendlichen zu wenig Raum bieten. Für<br />

Jugendliche ist es wichtig, daß sie sich mit Gleichaltrigen<br />

<strong>in</strong> selbstgestalteten Räumen treffen können. Dort verabreden<br />

sie geme<strong>in</strong>same Aktivitäten und sitzen ohne großes<br />

Programm zusammen. In diesen »Hütten« bzw. Bauwägen<br />

haben die älteren Jugendlichen das Sagen. Die Mädchen<br />

mit ihren Anliegen kommen nicht selten zu kurz.<br />

Jugendliche im Alter von 14 — 18 Jahren <strong>in</strong>teressieren<br />

sich wenig für politische oder kirchliche Fragen. Sie engagieren<br />

sich dann, wenn sie persönlich betroffen s<strong>in</strong>d (z. B.<br />

Initiativen für e<strong>in</strong>en Jugendraum, Umweltschutzaktionen,<br />

agrarpolitische Demonstrationen). Als Gründe für diese<br />

Gleichgültigkeit gelten Ohnmachtsgefühle (»Ich kann doch<br />

nichts bewegen«), Informationslücken (»Ich blick da nicht<br />

mehr durch...«) oder persönliche Interessen (»Das br<strong>in</strong>gt<br />

mir nichts; <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Freizeit habe ich Besseres zu tun«.).<br />

Diese Haltung kommt daher, daß für die Jugendlichen<br />

Demokratie vor Ort kaum erlebbar ist. In diesem Defizit an<br />

Erfahrungen mit demokratischen Entscheidungsprozessen<br />

wirkt die kommunale Gebietsreform nach. Sie hat die<br />

Möglichkeiten der Bürger, das Dorfleben mitzugestalten<br />

entscheidend verschlechtert. Die Dorfbewohner nehmen<br />

kommunalpolitische Entscheidungen, die <strong>in</strong> der <strong>Stadt</strong> fallen,<br />

mehr oder weniger zur Kenntnis. Die Verdrossenheit<br />

gegenüber der Verwaltungsbürokratie und zentralen politischen<br />

Strukturen ist nicht nur bei Jugendlichen zu beobachten.<br />

Heute s<strong>in</strong>d nicht die Proteste und Demonstrationen<br />

der Jugendlichen bedeutsam, sondern das wachsende<br />

politische Des<strong>in</strong>teresse.<br />

Wertewandel: von der Pflichtethik zur<br />

Selbstentfaltung<br />

Die E<strong>in</strong>stellung und die Leitbilder der Jugendlichen<br />

haben sich auch auf dem Land geändert. Ich spreche<br />

bewußt von Wertewandel und nicht von Werteverfall.<br />

Zunächst gilt es, den Wertewandel vorurteilsfrei wahrzunehmen.<br />

Dabei ist festzustellen, daß sich <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>stellungen<br />

junger Leute gesellschaftliche Leitbilder widerspiegeln.<br />

Insgesamt wenden sich Jugendliche ab von der<br />

»Pflichtethik« der Eltern und Großeltern h<strong>in</strong> zu den Werten<br />

der Selbstentfaltung. Die alten Werte, Diszipl<strong>in</strong>, Leistungsbereitschaft,<br />

Gehorsam, Pflichtbewußtse<strong>in</strong>, Pünktlichkeit,<br />

Unterordnung, Sparsamkeit, Traditionspflege rangieren<br />

h<strong>in</strong>ter den Selbstentfaltungswerten (persönliche Freiheit,<br />

Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, Wohlergehen, sich<br />

etwas leisten können).<br />

Die Frage, worauf es im Leben ankommt, beantworten<br />

Jugendliche oft so: »Daß es mir gut geht, daß ich mich<br />

wohlfühle, daß ich glücklich b<strong>in</strong>, daß ich Spaß im<br />

Leben habe«. Als wichtige Lebensziele nennen Jugendliche<br />

gute Freunde, Glück <strong>in</strong> der Partnerbeziehung und<br />

Ehe, Zufriedenheit im Beruf. Die Betonung der Selbstentfaltungswerte<br />

durch junge Menschen <strong>in</strong> den neunziger<br />

Jahren ist gewiß auch e<strong>in</strong>e Reaktion auf e<strong>in</strong>e »verbissene«<br />

Pflichtethik. Junge Menschen, die ihrer Begabung und<br />

Neigung entsprechend wachsen und reifen können, s<strong>in</strong>d<br />

als Erwachsene am ehesten fähig, anderen <strong>in</strong> Freiheit zu<br />

dienen.<br />

Wir Erwachsenen sollten das Streben nach Selbstentfaltung<br />

und Freiräumen nicht voreilig madig machen.<br />

Freilich darf die Selbstentfaltung nicht zu Lasten anderer<br />

gehen. Wer selbstbezogen lebt, ohne sich für das Geme<strong>in</strong>wohl<br />

e<strong>in</strong>zusetzen, der lebt gewissermaßen unter se<strong>in</strong>en<br />

Verhältnissen. Aufgabe der Erziehung ist es, junge<br />

Menschen vor dem Absturz <strong>in</strong> die isolierte Selbstbezogenheit<br />

zu schützen.<br />

Das Streben nach Selbstentfaltung beschreibt die ethische<br />

Haltung von Jugendlichen jedoch nur unzureichend.<br />

In e<strong>in</strong>er repräsentativen Umfrage antworteten auf die<br />

Frage nach »guten Grundsätzen« 93 Prozent: Ehrlich zu<br />

sich selber se<strong>in</strong>. »Verzichten können« und »Opfer br<strong>in</strong>gen«<br />

ist für 75 Prozent e<strong>in</strong> »guter Grundsatz«. Anderen vergeben,<br />

anderen nicht weh tun, f<strong>in</strong>det ähnlich viel Zustimmung.<br />

Junge Menschen achten demnach durchaus Werte,<br />

die anderen Menschen dienen.<br />

116 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Die Klage über den zunehmenden Egoismus der heutigen<br />

Jugend läßt sich durch Umfragen nicht belegen. Im<br />

Gegenteil, junge Menschen urteilen <strong>in</strong> ausgeprägtem<br />

Maße wertorientiert. Sie empf<strong>in</strong>den <strong>in</strong> der Familie, am<br />

Arbeitsplatz, <strong>in</strong> Kirche und Gesellschaft e<strong>in</strong> Defizit an<br />

Werten. Sie sehen sich als moralisch Handelnde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

unmoralischen Gesellschaft.<br />

Die psycho-soziale Situation von Jugendlichen<br />

Jugendliche im Alter von 14—18 Jahre leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Phase des Überganges. Sie s<strong>in</strong>d nicht mehr K<strong>in</strong>der, sie s<strong>in</strong>d<br />

aber auch noch nicht erwachsen. Die körperlichen Veränderungen<br />

gehen oft e<strong>in</strong>her mit starken Stimmungsschwankungen:<br />

Himmelhoch jauchzend — zu Tode<br />

betrübt.<br />

Die Heranwachsenden lösen sich von den Wertvorstellungen<br />

der Eltern ab. Typisch für das Jugendalter ist<br />

e<strong>in</strong>e gewisse Antihaltung. Sie führt nicht selten zu Konflikten<br />

mit Eltern, Lehrern und Autoritätspersonen. Alternative<br />

Kleidung, grelle Kosmetik und auffällige Haarpracht<br />

s<strong>in</strong>d Ausdruck der Suche nach der eigenen Persönlichkeit.<br />

Wer b<strong>in</strong> ich? Wie komme ich bei anderen an? Wir wirke<br />

ich? Dies s<strong>in</strong>d typische Fragen.<br />

Die Orientierungsprobleme verschärfen sich, wenn<br />

Jugendliche <strong>in</strong> der Schule nicht mitkommen oder von<br />

Arbeitslosigkeit bedroht s<strong>in</strong>d. Gerade der junge Mensch<br />

braucht Erfolgserlebnisse, Bestätigung, damit er Selbstvertrauen<br />

entwickelt und e<strong>in</strong> positives Selbstwertgefühl<br />

aufbaut. Wichtiger Orientierungsrahmen für die Jugendlichen<br />

ist die Clique. Jugendliche übernehmen die Gruppennorm<br />

nur allzu leicht. Sich dem Gruppendruck zu<br />

widersetzen erfordert e<strong>in</strong> starkes Ich. Wenn »man« raucht,<br />

wenn »man« rast, wenn Bier das Gruppengetränk ist, dann<br />

fällt es schwer sich zu entziehen.<br />

Die zunehmende Unübersichtlichkeit unseres Lebens<br />

und ungelöste gesellschaftliche Konflikte (Arbeitslosigkeit,<br />

undurchschaubare Bürokratie) verführen manche Jugendliche<br />

dazu, klare, e<strong>in</strong>deutige, e<strong>in</strong>fache Lösungen zu<br />

suchen. Die Bereitschaft radikalen Parolen zu folgen, ist<br />

<strong>in</strong> den letzten Jahren nicht nur bei jungen Leuten gewachsen.<br />

Jugendliche brauchen <strong>in</strong> ihrer schwierigen Lebensphase<br />

verständnisvolle Berater. Die Erwachsenen, ob Jugendleiter,<br />

Pfarrer oder Bürgermeister s<strong>in</strong>d wichtige Gesprächspartner.<br />

Sie sollten Hilfen anbieten, ermutigen,<br />

korrigieren. Dies alles <strong>in</strong> der Rolle des Begleiters im<br />

H<strong>in</strong>tergrund und nicht des Besserwissers, der mit se<strong>in</strong>em<br />

Wissen und se<strong>in</strong>er Erfahrung neue Ideen und Initiativen<br />

erstickt.<br />

Erwartungen und Forderungen<br />

Arbeits- und Ausbildungsplätze<br />

Um auf dem Land bzw. im Dorf bleiben zu können,<br />

s<strong>in</strong>d für Jugendliche Arbeits -und Ausbildungsplätze <strong>in</strong><br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

erreichbarer Nähe nötig. Die Bereitschaft zu pendeln ist<br />

durchaus vorhanden, trotz der damit verbundenen<br />

Belastungen. Früh aufstehen und jeden Tag 50—60 km<br />

e<strong>in</strong>fach zur Arbeit zu fahren, nehmen manche Jugendliche<br />

durchaus noch h<strong>in</strong>. Bei anderen ist die Grenze der Zumutbarkeit<br />

schon bei 15—20 km erreicht. Sehr schwierig<br />

ist die Situation für arbeitslose Jugendliche auf dem<br />

Land. Die Jugendhilfeprojekte und E<strong>in</strong>richtungen der<br />

Jugendsozialarbeit liegen meist <strong>in</strong> den Städten.<br />

Jugendlichen partnerschaftlich begegnen<br />

Jugendliche klagen oft darüber, daß sie von den Autoritäten<br />

im Dorf nicht ernstgenommen werden. Sie wollen<br />

da, wo es um ihre Belange geht, mitentscheiden und mitgestalten.<br />

Sie erwarten von den Erwachsenen, daß sie<br />

Freiräume gewähren, die Selbständigkeit fördern und<br />

»nicht dauernd re<strong>in</strong>reden«. Die Erwachsenen sollen sich<br />

nicht als »Chefs« aufspielen, sondern die Jugendlichen als<br />

Partner achten. Es ist s<strong>in</strong>nvoll und gut, wenn es im Dorf,<br />

im Geme<strong>in</strong>derat, im Kirchenvorstand e<strong>in</strong>en festen Ansprechpartner<br />

für Jugendfragen gibt. Regelmäßige<br />

Besprechungen mit den Jugendvertretern helfen dabei<br />

Probleme und Bedürfnisse kennenzulernen und Konflikte<br />

zu regeln.<br />

Jugendräume und offene Treffs<br />

Auf der Wunschliste von Jugendlichen im Dorf stehen<br />

eigene Räume ganz oben: Jugendcafe, Spielscheune,<br />

Jugendkeller oder Landjugendraum. Auf dem Land gibt es<br />

immer noch wenig Jugendräume, die von den Jugendlichen<br />

selbst gestaltet und weitgehend selbstverwaltet<br />

werden. Müssen Jugendliche <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schulhaus oder <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em kirchlichen Geme<strong>in</strong>dehaus den Raum mit anderen<br />

Erwachsenengruppen teilen, dann s<strong>in</strong>d die Konflikte vorprogrammiert.<br />

Die Erwartungen an Farben, Dekoration,<br />

technische Ausstattung und die Ordnungsvorstellungen<br />

von Jugendlichen unterscheiden sich eben grundlegend<br />

von den Interessen und Vorstellungen der Erwachsenen.<br />

Der Jugendraum ist Treffpunkt wo Jugendliche zwanglos<br />

zusammensitzen, Musik hören, ratschen, Karten spielen<br />

oder Aktivitäten planen. Die Zusammenarbeit von politischer<br />

Geme<strong>in</strong>de, Kirchengeme<strong>in</strong>de, Jugendverband und<br />

Jugendlichen hilft bestehende Hürden bei Jugendraum<strong>in</strong>itiativen<br />

zu überw<strong>in</strong>den.<br />

Spezifische Freizeitangebote auch für junge Frauen<br />

Zu Tanzveranstaltungen und <strong>in</strong>s K<strong>in</strong>o müssen Jugendliche<br />

nicht <strong>in</strong> die <strong>Stadt</strong> fahren. Kulturelle Veranstaltungen<br />

können durchaus auf dem Land angeboten werden. In der<br />

Evangelischen Landjugend haben wir gute Erfahrungen<br />

gemacht mit Filmnächten, Kabarettveranstaltungen und<br />

Theaterabenden. Auch themenorientierte Angebote f<strong>in</strong>den<br />

auf Kreisverbandsebene genügend Interesse.<br />

Speziell die jungen Frauen im Dorf melden sich <strong>in</strong>zwischen<br />

selbstbewußt zu Wort. Sie s<strong>in</strong>d nicht mehr zufrieden<br />

mit der ihnen zugewiesenen Rolle. Das Vere<strong>in</strong>sleben<br />

ist im Dorf immer noch e<strong>in</strong>e Domäne der Männer. Mädchen<br />

und jungen Frauen kommen mit ihren Bedürfnissen<br />

und Interessen oft zu kurz.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

117


Lust auf’s Land — ich denke es ist e<strong>in</strong> positives Signal,<br />

daß junge Menschen gerne auf dem Land leben. Politische<br />

Geme<strong>in</strong>de und Kirchengeme<strong>in</strong>de s<strong>in</strong>d verantwortlich für<br />

die Menschen im Dorf, auch für die jungen. Bevor wir<br />

Klagelieder über die heutige Jugend anstimmen, sollten<br />

wir uns an die eigenen »Jugendsünden« er<strong>in</strong>nern.<br />

118 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Gottfried Wieselhuber<br />

Regionale Interessengeme<strong>in</strong>schaft<br />

Maria Bildhausen ( RIM)<br />

— E<strong>in</strong>e Initiative von unten!<br />

Maria Bildhausen<br />

Maria Bildhausen ist e<strong>in</strong> <strong>Stadt</strong>teil von Münnerstadt im<br />

Landkreis Bad Kiss<strong>in</strong>gen.<br />

Maria Bildhausen, e<strong>in</strong>e ehemalige Zisterzienserabtei,<br />

welche im Jahre 1156 von Ebrach aus von Herrmann<br />

Graf Stahleck gegründet wurde, ist heute e<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>richtung zur Pflege für geistig und körperlich beh<strong>in</strong>derte<br />

Menschen. Träger ist die St. Josefskongregation<br />

Ursberg. Die Zisterzienser s<strong>in</strong>d dafür bekannt, daß sie an<br />

unwirtlichen Orten siedelten, um sich zu kasteien. Der<br />

damals unattraktive Ort hat sich, was den Liebreiz anbelangt,<br />

gut entwickelt. Die landwirtschaftlich schlechte<br />

Gegend blieb dagegen schlecht! Über die Jahrhunderte<br />

haben die Zisterzienser die Region besiedelt, gestaltet,<br />

befruchtet, beherrscht, kurzum, geprägt! 1803 <strong>in</strong> der<br />

Säkularisation war das Ende dieser Ära gekommen.<br />

1897 kaufte der Gründer der St. Josefskongregation,<br />

der Pfarrer Dom<strong>in</strong>ikus R<strong>in</strong>geisen, das, was von der<br />

Säkularisation übriggeblieben ist. Fast hundert Jahre s<strong>in</strong>d<br />

die Schwestern der St. Josefskongregation <strong>in</strong> den Gemäuern<br />

der ehemaligen Zisterzienserabtei. Sie betreuen dort<br />

geistig und körperlich Beh<strong>in</strong>derte und geben ihnen e<strong>in</strong><br />

Zuhause. In den Jahren 1980 bis 1993 wurde die E<strong>in</strong>richtung<br />

generalsaniert Die Erfüllung der Aufgabe wird mangels<br />

Schwestern von weltlichen Kräften mit gewährleistet.<br />

200 Angestellte betreuen derzeit über 100 beh<strong>in</strong>derte<br />

Mitmenschen. Die Leitung der E<strong>in</strong>richtung hat bereits <strong>in</strong><br />

den 70er Jahren der Öffnung nach außen Priorität e<strong>in</strong>geräumt!<br />

Unser Motto:<br />

»Nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Mite<strong>in</strong>ander mit der Region ist e<strong>in</strong>e<br />

Absicherung unserer Aufgabe möglich!«<br />

RIM: Warum <strong>in</strong> Maria Bildhausen?<br />

— Neutraler Ort, ke<strong>in</strong> politisches Gebilde.<br />

— Prägend für die Region aus historischer Sicht<br />

— und der Bekanntheitsgrad (Hauptaufgabe: Acker- und<br />

Gartenbautage, kulturelle Veranstaltungen)<br />

Aufgaben der RIM:<br />

Zweck der RIM ist, die Mitglieder bei der Planung und<br />

Durchführung von Maßnahmen zu unterstützen, die der<br />

<strong>in</strong>tegrierten ländlichen <strong>Entwicklung</strong> der Region Maria<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Bildhausen dienen und deren Wirtschaftskraft nachhaltig<br />

stärken sollen. Der Vere<strong>in</strong>szweck soll auch durch die Tätigkeit<br />

von fachlich spezialisierten Arbeitskreisen verfolgt<br />

werden. Die <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong>es regionalen Konzepts für<br />

Freizeit und Erholung, Sport, Direktvermarktung, E<strong>in</strong>satz<br />

von nachwachsenden Rohstoffen und anderer geeigneter<br />

Maßnahmen zur Stärkung der Region s<strong>in</strong>d Ziel.<br />

Die daraus entstehenden Arbeitsplätze auf dem Dienstleistungssektor<br />

werden Arbeitsplätze auf dem Produktionssektor<br />

nach sich ziehen. Voraussetzung dafür ist die<br />

Erhaltung der Kulturlandschaft mit allen Besonderheiten<br />

der Fauna und Flora sowie der Schutz und die Förderung<br />

ihrer historischen und kulturellen Werte und Eigenheiten.<br />

Das ist Grundlage der RIM:<br />

Gründung als e.V. am 22.06.1993 <strong>in</strong> Maria Bildhausen.<br />

Mitglieder derzeit 75, davon 21 Geme<strong>in</strong>den.<br />

Arbeitskreise<br />

— AK Direktvermarktung,<br />

— AK Handwerk, Gewerbe, Industrie,<br />

— AK Fremdenverkehr, Freizeit,<br />

— AK Kultur, Geschichte, Brauchtum,<br />

— AK Landschaft, Natur, nachwachsende Rohstoffe,<br />

— AK Geme<strong>in</strong>den.<br />

Die Arbeitskreise arbeiten selbständig. Die Ergebnisse<br />

s<strong>in</strong>d Grundlage der Gespräche der Arbeitskreisleiter<br />

mit der Vorstandschaft. Das Gebiet der RIM ist klar<br />

def<strong>in</strong>iert, veränderbar, landkreisübergreifend (Landkreise<br />

Bad Kiss<strong>in</strong>gen und Rhön-Grabfeld) und hat derzeit<br />

ca. 500 qkm.<br />

Auslöser für die RIM<br />

Lange vor der Wiedervere<strong>in</strong>igung waren die Zeichen der<br />

Zeit auf Wandlung <strong>in</strong>nerhalb der Landwirtschaft zu erkennen.<br />

Die Erhaltung des »ländlichen Raums« wurde immer<br />

häufiger zitiert. Negative Schlagwörter, wie »Ballungsräume«<br />

und als Pendant »leeres, entvölkertes, flaches Land<br />

mit wenig Attraktivität«, wurden und werden immer häufiger<br />

gebraucht. Die EU legte e<strong>in</strong> Förderprogramm auf:<br />

5b-Mittel.<br />

Die Wiedervere<strong>in</strong>igung mit den neuen Bundesländern<br />

kam schnell und forderte erhebliche, nicht abschätzbare<br />

Mittel, welche vom Steueraufkommen der neuen Länder<br />

nicht gedeckt werden können. Steuermittel aus den alten<br />

Bundesländern müssen <strong>in</strong> die neuen Bundesländer. Die<br />

Grenzlandhilfe fiel und der neue Topf »5b-Mittel« kam zur<br />

Verteilung.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

119


Der neue Fördertopf 5b-Mittel<br />

Die Vergaberichtl<strong>in</strong>ien s<strong>in</strong>d im Operationellen Programm<br />

(OP) <strong>in</strong> der Fassung vom 17. Sept. 1990 festgelegt.<br />

Es ist e<strong>in</strong> weitgefaßter Rahmen mit vielen Spielräumen.<br />

Das ist Chance zum Guten und zugleich Möglichkeit<br />

zum Flop. Zunächst ist die Kreativität <strong>in</strong> Richtung<br />

Visionen gefragt. Die Zusammenarbeit mit bestehenden<br />

Verwaltungse<strong>in</strong>richtungen reichte nicht mehr aus. Damit<br />

war klar, daß Verwaltungsstellen extra dafür geschaffen<br />

werden mußten. Die 5b-Stellen!<br />

»Wer das Ziel nicht kennt, wird den Weg nicht<br />

f<strong>in</strong>den!«,<br />

sagt das Volk. Oder <strong>in</strong> Abwandlung:<br />

»Wer das Ziel kennt, muß den Weg suchen!«<br />

Die Suche hält an!<br />

Manchmal hat man den E<strong>in</strong>druck, daß die Aufgaben<br />

e<strong>in</strong>es Wegweisers, der das OP se<strong>in</strong> soll, s<strong>in</strong>nverkehrt angewandt<br />

werden. Das hat nichts damit zu tun, daß h<strong>in</strong>ter<br />

den ganzen Vorschriften und Paragraphen nicht die<br />

besten Absichten stünden. Die Schwierigkeiten entstehen<br />

nur dadurch, daß die Zuständigkeiten der M<strong>in</strong>isterien<br />

wechseln und damit die Fördervergaben und -höhen.<br />

Die Federführung liegt jedoch bei e<strong>in</strong>em M<strong>in</strong>isterium,<br />

dem Staatsm<strong>in</strong>isterium für Ernährung, Landwirtschaft und<br />

Forsten.<br />

Die verschiedenen Töpfe der 5b-Mittel werden aber<br />

genau vorher e<strong>in</strong>zelnen M<strong>in</strong>isterien zugeteilt:<br />

• EAGFL (Europ. Ausrichtungs- und Garantiefonds für die<br />

Landwirtschaft) dem StMELF,<br />

• EFRE (Europ. Fond für Regionale <strong>Entwicklung</strong>) dem<br />

StMWV,<br />

• ESF (Europ. Sozialfond) den M<strong>in</strong>isterien für Arbeit und<br />

Soziales (Federführung), Kultur, Landwirtschaft,<br />

Umwelt und F<strong>in</strong>anzen.<br />

Die 5b-Stellen werden jedoch nur von e<strong>in</strong>er Seite, der<br />

landwirtschaftlichen, besetzt. Abgrenzungsverhalten der<br />

e<strong>in</strong>zelnen M<strong>in</strong>isterien untere<strong>in</strong>ander verh<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>e notwendige<br />

Zusammenarbeit mit dem StMELF.<br />

Das Ziel ist genau def<strong>in</strong>iert und lautet:<br />

»<strong>Entwicklung</strong> des ländlichen Raums«, daß da aber<br />

alle Kräfte des Raumes geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d, muß erst noch verdeutlicht<br />

werden.<br />

Die 5b-Gebiete s<strong>in</strong>d klar beschrieben und haben alle<br />

bestimmte Merkmale:<br />

— unzureichende Ausstattung mit nicht landwirtschaftlichen<br />

Arbeitsplätzen,<br />

— über dem bay. Durchschnitt liegende Arbeitslosigkeit,<br />

— unterdurchschnittliches E<strong>in</strong>kommensniveau,<br />

— überdurchschnittlicher Anteil der Erwerbsbevölkerung<br />

<strong>in</strong> der Land- und Forstwirtschaft,<br />

— kle<strong>in</strong>bäuerliche Struktur,<br />

— ungünstige Ertragsbed<strong>in</strong>gungen,<br />

— Landbewirtschaftung langfristig nicht mehr gesichert,<br />

— Markt- und Absatzwege s<strong>in</strong>d kle<strong>in</strong>strukturiert,<br />

— Verkehrsanb<strong>in</strong>dung an überregionale Märkte ist unzureichend.<br />

Dies und noch mehr ist allen 5b-Gebieten geme<strong>in</strong>sam.<br />

Die schlechten Preise <strong>in</strong> der Landwirtschaft wirken sich<br />

natürlich zu allererst <strong>in</strong> diesen Gebieten aus.<br />

E<strong>in</strong>e ausreichende Eigenkapitalbildung war aus vorgenannten<br />

Gründen auch nicht möglich. Um aus eigener<br />

Kraft den wegbrechenden landwirtschaftlichen Haupterwerb<br />

zu ersetzen, fehlen die Mittel und die Strukturen,<br />

auf denen sich etwas aufbauen ließe. Das RIM-Gebiet hat<br />

zudem noch die Arbeitslosigkeit der besonders präkären<br />

Situation <strong>in</strong> Schwe<strong>in</strong>furt zu verkraften.<br />

Grundlage für e<strong>in</strong>e Verbesserung der Situation ist die<br />

Erhaltung der Kulturlandschaft<br />

Das alle<strong>in</strong>e der Landwirtschaft aufzutragen, überfordert<br />

sie. Es ist und muß e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaftsaufgabe aller<br />

Kräfte se<strong>in</strong>. Mit der Harmonisierung der Förderungen muß<br />

begonnen werden.<br />

Die Iststandsbeschreibung. Unterschiedliche Förderhöhen<br />

s<strong>in</strong>d das größte Problem: Landwirtschaftliche<br />

Förderhöhen s<strong>in</strong>d 50 % bis 60 % und mit der EU abgesprochen<br />

und genehmigt. Wirtschaftsförderung kann nur<br />

max. 15 % <strong>in</strong> 5b-Gebieten betragen.<br />

In der Regionalen Wirtschaftsförderungsvere<strong>in</strong>barung<br />

mit der EU s<strong>in</strong>d diese Förderhöhen mit den alten Bundesländern<br />

festgeschrieben. Im H<strong>in</strong>blick auf die neuen<br />

Bundesländer (Ziel I-Gebiet) s<strong>in</strong>d diese Förderhöhen so<br />

festgelegt, daß e<strong>in</strong> starkes Fördergefälle vom Ziel I-Gebiet<br />

zum 5b-Gebiet entsteht. Das ist so gewollt! Wenn dies so<br />

weiter läuft, ist das Entstehen von Ziel I-Gebieten vorprogrammiert.<br />

Das s<strong>in</strong>d die jetzigen 5b-Gebiete.<br />

Auswirkungen<br />

Die erhöhte Förderung im Ziel I-Gebiet hat <strong>in</strong> dem<br />

angrenzenden 5b-Gebiet zur Folge, daß Firmen <strong>in</strong>s<br />

Ziel-Gebiet wechseln, Firmen gründen, Steuern <strong>in</strong> den<br />

neuen Bundesländern bezahlen und die Konkurrenz<br />

spüren die Kollegen im 5b-Gebiet. Gleich zweimal trifft’s<br />

die 5b-Gebiete Das war sicherlich nicht so gewollt, aber<br />

es ist Fakt!<br />

120 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Initiativen der RIM:<br />

E<strong>in</strong>gedenk der geforderten Geme<strong>in</strong>schaftsaufgabe e<strong>in</strong>er<br />

Region, b<strong>in</strong>det die RIM möglichst alle Kräfte, vernetzt sie<br />

sozusagen und versucht, die Ideen zu bündeln und aufe<strong>in</strong>ander<br />

abzustimmen. Das ist e<strong>in</strong>e schwere Aufgabe,<br />

muß man doch zunächst, um erfolgreich zu se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e<br />

Reihe von Vorgaben verändern.<br />

Die vorher angesprochenen Förderunterschiede wurden<br />

auf höchster Länderebene, Brief und persönliches<br />

Gespräch mit Wirtschaftsm<strong>in</strong>ister Dr. Otto Wiesheu, Brief<br />

und persönliches Gespräch mit Herrn M<strong>in</strong>isterpräsidenten<br />

Dr. Edmund Stoiber, versucht zu ändern. Die Zusage des<br />

Herrn M<strong>in</strong>isterpräsidenten, nachdem er versichert hatte,<br />

daß er die Zusammenarbeit zwischen dem StMELF und<br />

dem StMWV <strong>in</strong> der Sache für machbar hält, e<strong>in</strong>en dies<br />

untersuchenden Ausschuß e<strong>in</strong>zusetzen, läßt auf e<strong>in</strong>e positive<br />

Änderung hoffen. Kontakte zu diesem Ausschuß<br />

bestehen. An der Regierung von Unterfranken laufen gute<br />

Gespräche vor diesem H<strong>in</strong>tergrund.<br />

Was muß verbessert werden?<br />

5b-Förderung muß zunächst Schwerpunktförderung<br />

se<strong>in</strong>. Der raumbedeutsamen Investition, der Abstimmung<br />

solcher Investitionen untere<strong>in</strong>ander ist der Vorrang e<strong>in</strong>zuräumen.<br />

Die sich daraus ergebenden E<strong>in</strong>zel<strong>in</strong>vestitionen<br />

s<strong>in</strong>d dann sicherer <strong>in</strong> ihrer <strong>Entwicklung</strong> und E<strong>in</strong>kommensrelevanz.<br />

Das bedeutet für die Förderung<br />

• Ob landwirtschaftlicher oder außerlandwirtschaftlicher<br />

Erwerb, ob Handwerker oder Fremdenverkehrsgewerbe,<br />

alle sollten an der gleichen Förderung gemessen werden.<br />

• Das Additionalitätspr<strong>in</strong>zip, das der Erlangung von EU-<br />

Geldern zu Grunde liegt, besagt, daß jede Mark der EU<br />

von e<strong>in</strong>er weiteren Mark aus dem jeweiligen Land ausgelöst<br />

wird. Diese »Ländermark« darf jedoch nicht aus<br />

e<strong>in</strong>em normalen Fördertopf des Landes verwendet werden!<br />

Nur e<strong>in</strong> zusätzlicher Landeshaushaltsansatz kann<br />

die EU-5b-Mittel vere<strong>in</strong>barungsgemäß auslösen und<br />

ausschließlich <strong>in</strong> 5b-Gebieten verwenden. Diese<br />

Vere<strong>in</strong>barung mit der EU erfüllt das Land Bayern nur<br />

für die EAGFL-Mittel.<br />

• EFRE und ESF haben ke<strong>in</strong>e zusätzlichen Haushaltsansätze.<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf den neuen 5b-Zeitraum <strong>1994</strong> bis 1999<br />

sollte versucht werden, unter Beibehaltung der EAGFL-<br />

Förderhöhen die EFRE- und ESF-Mittel <strong>in</strong> gleicher Weise<br />

e<strong>in</strong>zusetzen.<br />

Unser M<strong>in</strong>isterpräsident Dr. Stoiber hat <strong>in</strong> der Richtung<br />

Erfahrung, wenn es gilt, etwas Nichtbewährtes oder<br />

H<strong>in</strong>terliches auf EU-Ebene anzusprechen. Zum<strong>in</strong>dest sollten<br />

die jetzigen Freiräume durch e<strong>in</strong> Mite<strong>in</strong>ander zur<br />

Mittelverdickung genutzt werden.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Die an der 5b-Förderung beteiligten M<strong>in</strong>isterien sollten<br />

mite<strong>in</strong>ander auf Regierungsebene die 5b-Stellen besetzen<br />

Oder als weiteres Modell, unabhängige, auf Zeit angestellte<br />

Projektmanager übernehmen die Steuerung der Projekte.<br />

Sie müssen von der Ausbildung und von der Praxis<br />

e<strong>in</strong>iges an Wissen und Erfahrung mitbr<strong>in</strong>gen. Wirtschaftsjuristen<br />

mit Projektnachweisen s<strong>in</strong>d z.B. geeignet. Die<br />

f<strong>in</strong>anziellen Mittel für e<strong>in</strong>en »Projektmanager« auf Zeit<br />

könnten über die technische Hilfe kommen. Die so besetzten<br />

5b-Stellen oder e<strong>in</strong> Projektmanager müssen dann mit<br />

Regionalen Interessengeme<strong>in</strong>schaften an den Konzepten<br />

arbeiten und sie mite<strong>in</strong>ander umsetzen.<br />

Wer ke<strong>in</strong>e Schwerpunkte schafft,<br />

kann auch nichts bewegen!<br />

Unser M<strong>in</strong>isterpräsident hat diese Möglichkeiten selberangesprochen<br />

und wir sollten das aufgreifen.<br />

Was ist das Besondere an der RIM?<br />

Das eigentlich Experimentelle an der RIM ist die<br />

B<strong>in</strong>dung aller Kräfte e<strong>in</strong>er Region. Der Versuch, e<strong>in</strong>e neue<br />

Möglichkeit der Abstimmung untere<strong>in</strong>ander auszuprobieren.<br />

Wir wissen dann mehr vone<strong>in</strong>ander!<br />

Wir verstehen e<strong>in</strong>ander dann besser!<br />

Damit kann auch der 5b-Gedanke erst greifen. Die<br />

Bereitstellung von Geld für e<strong>in</strong>e Region ist nicht genug.<br />

Umwandlung, Neubeg<strong>in</strong>n auf der Grundlage des bisher<br />

Gewohnten, aber ohne das Gewohnte zu haben, muß mite<strong>in</strong>ander<br />

erarbeitet werden. Das auf breiter Basis erarbeitete<br />

Konzept hat auch viel mehr Chancen, auf Dauer tragfähig<br />

zu se<strong>in</strong>.<br />

Bisher Erreichtes:<br />

Mitglieder der RIM treiben die Realisierung verschiedener<br />

Projekte energisch voran. Der Bau e<strong>in</strong>er 18-Loch-<br />

Golfanlage, die Errichtung von Ferienwohnungen, e<strong>in</strong><br />

Biomasseheizwerk, Selbstvermarkter s<strong>in</strong>d sehr aktiv und<br />

erfolgreich. Mitglieder der RIM nahmen und nehmen an<br />

Fortbildungsmaßnahmen teil. Die 5b-Mittel s<strong>in</strong>d dafür<br />

bewilligt. Das Raumordnungsverfahren und der Bauantrag<br />

für den Golfplatz s<strong>in</strong>d genehmigt, die Ausschreibung<br />

getätigt, die Vergabe erfolgt demnächst. Golfplatz und<br />

Biomasseheizwerk s<strong>in</strong>d für die Region von großer Bedeutung<br />

und haben Arbeitsplätze und E<strong>in</strong>kommen für die<br />

Landwirte der Region zur Folge. Die Errichtung des<br />

Golfplatzes hat außerdem das Dorferneuerungsvorhaben<br />

<strong>in</strong> der <strong>Stadt</strong> Münnerstadt, Ortsteil Großwenkheim, ausgelöst.<br />

Der AK Geme<strong>in</strong>den hat e<strong>in</strong>en umfangreichen Wünschekatalog<br />

für das zweite 5b-Fünfjahresprogramm erstellt,<br />

der als Grundlage für regional bedeutsame Strukturverbesserungen<br />

von der RIM genutzt wird.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

121


Wie geht es weiter?<br />

Die Region Maria Bildhausen wird, so steht es im<br />

Bedarfsplan für Bundesfernstraßen, mit der A 81 an das<br />

BAB-Netz angeschlossen. Dies ist mit Sicherheit e<strong>in</strong>e<br />

bedeutende, richtig zu nutzende Chance. Es ist die Möglichkeit<br />

e<strong>in</strong>en wunderschönen Standort weiterzuentwickeln,<br />

Dienstleistungsarbeitsplätze mit Produktionsarbeitsplätzen<br />

<strong>in</strong> guter Mischung zu haben.<br />

Die Symbiose <strong>Stadt</strong>-Land muß für<br />

uns alle Betätigungsfeld se<strong>in</strong>.<br />

Der Landwirt muß fachlich e<strong>in</strong>e Antwort zur Erhaltung<br />

der Kulturlandschaft geben, die Geme<strong>in</strong>wesen müssen<br />

sich daran beteiligen. Dialog und nicht Monolog muß im<br />

Vordergrund stehen.<br />

Das wollen wir tun!<br />

122 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Arbeitskreis 3:<br />

Land- und Forstwirtschaft<br />

Erich Sperle<strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong>führung<br />

»Die Landwirtschaft ist die erste aller Künste. Ohne sie<br />

gäbe es ke<strong>in</strong>e Kaufleute, Dichter und Philosophen. Nur das<br />

ist wahrer Reichtum, was die Erde hervorbr<strong>in</strong>gt«.<br />

So beschreibt und bewertet der Preußenkönig Friedrich<br />

der Große, der durch se<strong>in</strong>e Schwester Sophie enge<br />

Beziehungen nach <strong>Ansbach</strong> hatte, 1769 se<strong>in</strong>e Landwirtschaft.<br />

Bevor ich den Bogen zur heutigen E<strong>in</strong>schätzung der<br />

Land- und Forstwirtschaft spanne, möchte ich Sie ganz<br />

herzlich im Arbeitskreis 3 »Land- und Forstwirtschaft«<br />

begrüßen.<br />

Me<strong>in</strong> besonderer Willkommensgruß gilt den Teilnehmern<br />

aus — nach der Liste — <strong>in</strong>sgesamt fünf verschiedenen<br />

Staaten, nämlich aus Österreich, der Schweiz, der<br />

Tschechischen Republik, aus Polen und aus der Volksrepublik<br />

Ch<strong>in</strong>a. Liebe ausländische Gäste, Ihr Interesse<br />

an unserer <strong>Fachtagung</strong> ehrt uns, denn es zeigt die hohe<br />

Wertschätzung der Arbeit der Bayerischen Verwaltung für<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> Ihren Heimatländern. Vielen<br />

Dank dafür! Weiter begrüße ich die Vertreter<strong>in</strong>nen und<br />

Vertreter der mit der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> gutem<br />

Kontakt stehenden Hochschulen, Banken, Behörden,<br />

Planungsbüros und Verbände. Nicht zuletzt freue ich<br />

mich natürlich über das Interesse der Kollegen aus<br />

unserer Verwaltung. Ich bedanke mich bei Ihnen dafür,<br />

daß Sie den Arbeitskreis 3 ausgewählt haben, um hier<br />

mitzuwirken und heiße Sie ebenfalls sehr herzlich willkommen.<br />

Zur Abwicklung unseres heutigen Tagesprogramms<br />

stehen mir zur Verfügung: Zu me<strong>in</strong>er Rechten Herr Professor<br />

Seibert und zu me<strong>in</strong>er L<strong>in</strong>ken Herr Danner. Ihnen<br />

e<strong>in</strong> herzliches Willkommen und vielen Dank für die spontane<br />

Bereitschaft, den Arbeitskreis mit mir zu gestalten.<br />

Zum Betreuungsteam gehören weiterh<strong>in</strong> die beiden<br />

Kollegen der DLE <strong>Ansbach</strong>, die Herr Langguth bereits vorgestellt<br />

hat, Herr Maucksch und Herr Langguth selbst und<br />

sechs Kollegen aus der Direktion Bamberg, denen ich vorweg<br />

bereits für die Übernahme e<strong>in</strong>er Moderation danken<br />

möchte und die ich hiermit auch begrüße. Ich werde sie<br />

später noch genauer vorstellen.<br />

Herr Langguth hat bereits darauf h<strong>in</strong>gewiesen, daß wir<br />

<strong>in</strong> ansprechenden Räumen tagen können. Die forstliche<br />

Atmosphäre, die von diesen Räumen ausgeht, ist, glaube<br />

ich, Garant dafür, daß der Teilaspekt Forstwirtschaft nicht<br />

übergangen und nicht übersehen werden kann. Es ist<br />

wohl ke<strong>in</strong> Vertreter der Oberforstdirektion anwesend, aber<br />

ich möchte Herrn Präsidenten Seefelder für die Überlassung<br />

dieser Räume sehr herzlich danken.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Nun, als erste aller Künste wird die Landwirtschaft<br />

heute sicher nicht von der Politik e<strong>in</strong>gestuft. Im Gegenteil:<br />

Die Landwirtschaft ist für die Politik e<strong>in</strong> schwieriges<br />

Problemfeld geworden, das von ihr aufwendiges Krisenmanagement<br />

erfordert, um zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>en Teil unerwünschter<br />

<strong>Entwicklung</strong>en abzuwehren. Die derzeitige<br />

Situation der Landwirtschaft läßt sich nicht mehr nur mit<br />

Strukturanpassung beschreiben. Nach Professor Seidl von<br />

der Fachhochschule Weihenstephan hat die derzeitige<br />

Situation im agrargeschichtlichen Vergleich bereits das<br />

Ausmaß e<strong>in</strong>er echten Agrarkrise angenommen. Diese<br />

E<strong>in</strong>schätzung gilt mit unterschiedlichen Ausprägungen<br />

natürlich für die gesamte Landwirtschaft der EU-Staaten.<br />

Sichtbares Zeichen dieser heutigen Krise ist die <strong>in</strong> den<br />

letzten Jahren sehr stark rückläufige Zahl der landwirtschaftlichen<br />

Betriebe, und ich darf ganz kurz am Beispiel<br />

Bayern diese <strong>Entwicklung</strong> demonstrieren.<br />

Auffällig ist die kont<strong>in</strong>uierlich abnehmende Zahl der<br />

Betriebe<br />

Während <strong>in</strong> den letzten 10 Jahren die Abnahmerate bei<br />

2,2 %/Jahr lag, war die Abnahmerate <strong>in</strong> den letzten fünf<br />

Jahren bei 2,7 % gelegen. Man sieht vor allem <strong>in</strong> den<br />

Jahren 1991 und 1993 die stärkere Neigung dieser Kurve.<br />

Nur die Betriebe über 30 ha nehmen absolut und natürlich<br />

relativ noch zu.<br />

E<strong>in</strong>führungsreferate <strong>in</strong> den Arbeitskreis 3<br />

123


Insgesamt ist die Zahl der Betriebe stark rückläufig.<br />

Die Übergänge vom Haupterwerbsbetrieb zum Nebenerwerbsbetrieb<br />

s<strong>in</strong>d hier nicht dargestellt., nur die<br />

tatsächlich aufgegebenen Betriebe. In absoluten Zahlen<br />

bedeutet dies, daß pro Jahr etwa 6 000 Betriebe <strong>in</strong> Bayern<br />

für immer ihre Hoftore schließen, und re<strong>in</strong> statistisch<br />

gesehen werden seit Beg<strong>in</strong>n der <strong>Fachtagung</strong> bis zum Ende<br />

des heutigen Tages wieder 32 Betriebe ihre Produktion<br />

e<strong>in</strong>gestellt haben.<br />

Vier Ereignisse der jüngsten Vergangenheit haben diese<br />

<strong>Entwicklung</strong> von der Tendenz her noch verschärft bzw.<br />

werden sie noch verschärfen.<br />

1. Die Grenzöffnung nach Osteuropa,<br />

2. Die EU-Agrarreform,<br />

3. Die Verwirklichung des EU-B<strong>in</strong>nenmarktes,<br />

4. Die Gatt-Abschlüsse.<br />

Diese Krise ist sicher mehrschichtig. Sie hat <strong>in</strong> jedem<br />

Fall e<strong>in</strong>e ökonomische Komponente, e<strong>in</strong>e ökonomische<br />

Dimension, denn unter den gegebenen verschlechterten<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen läßt sich für viele Betriebe über die<br />

konventionelle Wirtschaftsform ke<strong>in</strong> ausreichendes<br />

E<strong>in</strong>kommen mehr erwirtschaften. Die Ursachen hierfür<br />

s<strong>in</strong>d ausreichend bekannt und brauchen nicht wiederholt<br />

werden. Ähnliches gilt auch im forstwirtschaftlichen<br />

Bereich. Auch hier haben wir e<strong>in</strong>en rapiden Preisverfall bei<br />

den Produkten, und zum Teil können die Produkte gar<br />

nicht mehr auf dem Markt untergebracht werden. Ich<br />

er<strong>in</strong>nere nur an die ganze Schwachholzproblematik.<br />

Das E<strong>in</strong>kommen der Familienarbeitskräfte <strong>in</strong> den alten<br />

Bundesländern war <strong>in</strong> den letzten Jahren tendenziell rückläufig.<br />

(s. Graphik S. 125 oben) Auch für das laufende<br />

Wirtschaftsjahr s<strong>in</strong>d weitere E<strong>in</strong>kommense<strong>in</strong>bußen (um<br />

10 bis 15 %) prognostiziert, so daß der negative Trend<br />

noch nicht gebrochen ist. Der Abstand zum gewerblichen<br />

Vergleichslohn hat sich mittlerweile auf 35 % erhöht.<br />

Wohl liegt der deutsche Landwirt im Vergleich mit se<strong>in</strong>en<br />

Kollegen <strong>in</strong> den EU-Staaten immernoch im unteren<br />

Mittelfeld, aber diese E<strong>in</strong>stufung täuscht e<strong>in</strong>e gewisse<br />

Vorzüglichkeit vor, denn der deutsche Landwirt hat <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Hochpreisland wie Deutschland beispielsweise hohe<br />

Lebenshaltungskosten und hohe Kosten der sozialen<br />

Sicherheit zu tragen und kann sich deshalb nicht mit<br />

se<strong>in</strong>en Kollegen aus Griechenland oder aus Portugal vergleichen.<br />

(s. Graphik S. 125 unten)<br />

Bei e<strong>in</strong>er Analyse des E<strong>in</strong>kommens bzw. des Gew<strong>in</strong>ns<br />

wird deutlich, daß die staatlichen E<strong>in</strong>kommensübertragungen<br />

e<strong>in</strong>en beachtlichen Anteil daran haben. So kann<br />

davon ausgegangen werden, daß im Durchschnitt bei den<br />

Haupterwerbsbetrieben Bayerns im laufenden Wirtschaftsjahr<br />

1993/94 voraussichtlich 70 bis 75 % des<br />

Gew<strong>in</strong>ns aus direkten staatlichen E<strong>in</strong>kommensübertragungen<br />

stammen werden. Dieser Anteil wird beim letzten<br />

Schritt der Agrarreform im nächsten Jahr evtl. nochmals<br />

ansteigen. Für Oberfranken ist diese Situation besonders<br />

gravierend. Hier soll sich der staatliche Anteil bei den<br />

Haupterwerbsbetrieben im Jahr 1993/94 bei ca. 80 bis<br />

100 % des Gesamtgew<strong>in</strong>ns bewegen, d.h. ohne Ausgleiche<br />

s<strong>in</strong>d die Betriebe mittelfristig nicht mehr existenzfähig.<br />

Und weil ich gerade Herrn Vielhuber dort h<strong>in</strong>ten entdecke:<br />

Am letzten Freitag, Herr Vielhuber, waren vor dem<br />

Amt für Landwirtschaft <strong>in</strong> Bamberg die Landwirte bei der<br />

Abgabe ihres Mehrfachantrags Schlange gestanden. Es<br />

wird wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>in</strong> Bayern überall ähnlich gewesen<br />

se<strong>in</strong>. Ich weiß nicht, wie es Ihnen bei e<strong>in</strong>em solchen<br />

Anblick ergeht, mich hat diese Menschenschlange schon<br />

an »Armenspeisung« er<strong>in</strong>nert.<br />

Hier deutet sich bereits die zweite Dimension dieser<br />

Krise an, nämlich die e<strong>in</strong>er S<strong>in</strong>nkrise. Ich möchte dazu e<strong>in</strong><br />

paar Schlaglichter aufblenden.<br />

Welcher freie Unternehmer hängt sich schon freiwillig<br />

an den Tropf des Staates, um se<strong>in</strong>e Existenz zu sichern?<br />

Und wenn <strong>in</strong> der veröffentlichten Me<strong>in</strong>ung — ich betone<br />

ausdrücklich »<strong>in</strong> der veröffentlichten Me<strong>in</strong>ung« — <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang der Landwirt immer wieder als lästiger<br />

Subventionsempfänger und als Schmarotzer der<br />

Gesellschaft bezeichnet wurde und zum Teil auch heute<br />

noch so bezeichnet wird, dann kann dies beim Bauern<br />

nicht ohne Wirkung bleiben. Dazu kommt noch, daß die<br />

unter den ökonomischen Zwängen erfolgte Wirtschaftsweise<br />

von den Medien sehr oft pauschal als Angriff auf<br />

die natürlichen Lebensgrundlagen, wie Boden und Wasser<br />

dargestellt wird und <strong>in</strong> der Landwirtschaft der Hauptverantwortliche<br />

für den Rückgang der Artenvielfalt und den<br />

Verlust von Lebensräumen gesehen wird.<br />

Tierhaltungen <strong>in</strong> größerem Umfang wurden und werden<br />

als Massentierhaltung deklariert, mit der viele Bürger<br />

nichtartgerechte Tierhaltung, ja, sogar Tierquälerei verb<strong>in</strong>den<br />

und assoziieren. Durch diese Vorhaltungen erlebt sich<br />

der Landwirt als Täter gegen die natürlichen Lebensgrundlagen.<br />

Gleichzeitig fühlt er sich jedoch als Opfer e<strong>in</strong>er zu<br />

Gunsten des exportorientierten Industriestandortes<br />

Deutschland ausgerichteten Wirtschaftspolitik.<br />

Die Stimmung unter den Bauern ist miserabel und noch<br />

katastrophaler, als sie sich auf Grund der ohneh<strong>in</strong><br />

schlechten Buchführungsergebnisse vermuten ließe. Vor<br />

allem die bäuerliche Jugend steigt nach den genannten<br />

erschwerenden Ereignissen der jüngsten Zeit massenweise<br />

aus. (s. Graphik S. 126)<br />

Wenn wir die Graphik auf Seite 126 betrachten, sehen<br />

Sie auf der oberen Darstellung die E<strong>in</strong>schätzung der<br />

Situation für die Hofnachfolger <strong>in</strong> den Betrieben nach der<br />

EG-Reform. und wenn Sie die Prozentzahlen aufaddieren,<br />

haben Sie e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schätzung von 92 % der Befragten, die<br />

die Situation als »noch schlechter« oder als »schlechter als<br />

je zuvor« e<strong>in</strong>stufen.<br />

Die Überlegungen für die Zukunft, ob der Betrieb im<br />

Haupterwerb weitergeführt werden soll, beurteilen auch<br />

sehr viele Betriebe als nicht sehr günstig. Wenn wir nur<br />

124 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

125


Pessimismus auf der ganzen L<strong>in</strong>ie<br />

Repräsentative Befragung von 800 Betrieben zeigt<br />

die gedrückte Stimmung auf den Höfen<br />

die Beurteilungen »wahrsche<strong>in</strong>lich nicht« und »ganz sicher<br />

nicht« aufaddieren, dann sehen über 30 %, und wenn wir<br />

noch die Beurteilung »weiß noch nicht« mit re<strong>in</strong>nehmen,<br />

sehen mehr als 60 % der Betriebsleiter <strong>in</strong> der Fortführung<br />

ihres Haupterwerbsbetriebes ke<strong>in</strong>e Chance mehr. Und es<br />

ist ja auch ganz verständlich, wenn die Jugend heute den<br />

Betrieben davonläuft, denn wer will schon gerne <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

Beruf h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen, <strong>in</strong> dem er möglicherweise e<strong>in</strong> Leben<br />

lang benachteiligt wird, wo ke<strong>in</strong>e leistungsgerechte Entlohnung<br />

zu erwarten ist, sondern Wochenendarbeit und<br />

kaum Freizeit. Wo man auf der Verliererseite steht und<br />

ausgegrenzt wird. Es ist für den Bauern demütigend und<br />

unerträglich, wenn er erfahren muß, daß se<strong>in</strong>e Arbeitsleistung<br />

und er selbst eigentlich gar nicht gebraucht werden<br />

und daß es besser wäre, wenn es nicht so viele<br />

Bauern gäbe. Ebenso ist es für den Bauern deprimierend,<br />

erleben zu müssen, daß se<strong>in</strong> Fleiß und se<strong>in</strong>e Leistungen<br />

sowie gute Ernten und hohe Erträge für die Gesellschaft<br />

zum Problem werden.<br />

Der Leidensdruck <strong>in</strong> der Landwirtschaft ist groß, aber es<br />

g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> den letzten Monaten e<strong>in</strong> Ruck durch die Landwirtschaft.<br />

Es war auch nicht anders zu erwarten, denn es<br />

entspricht nicht der bäuerlichen Mentalität, <strong>in</strong> schwierigen<br />

Zeiten zu resignieren, sondern eher die Ärmel aufzukrempeln<br />

und nach neuen Wegen und Lösungen zu<br />

suchen. Ich b<strong>in</strong> überzeugt, daß die negative Selbste<strong>in</strong>schätzung<br />

mittelfristig e<strong>in</strong>er optimistischen Sichtweise<br />

weichen wird. Devisen wie »Jetzt erst recht« oder das<br />

Motto des Bamberger Manifests auf dem Bayerischen<br />

Bauerntag <strong>1994</strong> »Zukunft — trotz Gatt!« dokumentieren,<br />

daß die Bauern <strong>in</strong> die Offensive gehen und daß sie <strong>in</strong> dieser<br />

Krise nicht nur Risiko, sondern auch echte Chancen<br />

sehen. Es s<strong>in</strong>d vere<strong>in</strong>zelt schon gute Ansätze und ökonomische<br />

Erfolge zu erkennen. Neben e<strong>in</strong>er veröffentlichten<br />

Me<strong>in</strong>ung gibt es auch noch die öffentliche Me<strong>in</strong>ung, die<br />

die Landwirtschaft viel positiver sieht.<br />

Nach e<strong>in</strong>er Infas-Umfrage 1993 zeigten sich mehr als<br />

2 /3 der Verbraucher davon überzeugt, daß aus der deutschen<br />

Landwirtschaft die besten Nahrungsmittel kämen.<br />

70 % der Bevölkerung s<strong>in</strong>d der Me<strong>in</strong>ung, daß der Staat<br />

auch künftig die Landwirtschaft unterstützen soll, und<br />

90 % wollen auf e<strong>in</strong>e eigene Landwirtschaft nicht verzichten.<br />

Diese belegten Aussagen zeigen deutlich, daß das<br />

Image der heimischen Landwirtschaft stark zugenommen<br />

hat. Dies muß noch stärker <strong>in</strong> die Landwirtschaft E<strong>in</strong>gang<br />

f<strong>in</strong>den!<br />

Auch die Politik hat die gesellschaftlichen Leistungen<br />

der Landwirtschaft erkannt. So wird anerkennend registriert,<br />

daß die Landwirtschaft zum Nutzen der Verbraucher<br />

seit Jahren als Inflationsbremse wirkt (s. Graphik<br />

S. 127), daß sie die Ernährung sicherstellt und daß trotz<br />

des Rückgangs der Betriebe die ländlichen Räume, das<br />

s<strong>in</strong>d noch 87 % der bayerischen Landschaft, von der<br />

Land- und Forstwirtschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise bewirtschaftet<br />

werden, die die breite Zustimmung der Bevölkerung<br />

f<strong>in</strong>det.<br />

Diese Pflege und Erhaltung des ländlichen Raums sieht<br />

die Bayerische Staatsregierung als e<strong>in</strong>e Domäne der<br />

Landwirtschaft und sie hat dafür das KULAP entwickelt<br />

und mit entsprechenden Mitteln ausgestattet.<br />

Selbst wenn Landwirtschaft nicht mehr synonym für<br />

ländlichen Raum stehen kann, weil der ländliche Raum<br />

heute vielfältige Aufgaben zu erfüllen hat, so wird — und<br />

davon b<strong>in</strong> ich überzeugt — die Landwirtschaft weiterh<strong>in</strong><br />

das Rückgrat dieses Raumes bilden, weil neben den ökonomischen<br />

Leistungen der Landwirtschaft ihre Wohl-<br />

126 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

127


fahrtsleistungen gebraucht werden und die bäuerliche<br />

Kultur als stabilisierender Faktor <strong>in</strong> der heutigen<br />

Gesellschaft unverzichtbar ist.<br />

Wenn es der Land- und Forstwirtschaft mit Unterstützung<br />

der Gesellschaft und Politik gel<strong>in</strong>gt, Mittel und<br />

Wege zu f<strong>in</strong>den, weiterh<strong>in</strong> die prägende Kraft des ländlichen<br />

Raums zu bleiben, wird sie die entsprechende gesellschaftliche<br />

und politische Anerkennung und die notwendige<br />

ökonomische Prosperität f<strong>in</strong>den, um die Krise<br />

überw<strong>in</strong>den zu können.<br />

Die Erhaltung und Sicherung des ländlichen Raums ist<br />

seit längerem bereits e<strong>in</strong> hohes Anliegen der Politik auf<br />

allen Ebenen. Bereits im Jahr 1987 hat die damalige EG<br />

e<strong>in</strong>e Kampagne für den ländlichen Raum ausgerufen. Seit<br />

heuer läuft die zweite Periode der 5 b-Förderung »<strong>Entwicklung</strong><br />

des ländlichen Raums« mit e<strong>in</strong>em Milliardenprogramm.<br />

Nicht nur die Politik, sondern auch Wissenschaft,<br />

Wirtschaft und Verwaltung fordern und fördern<br />

e<strong>in</strong>en vielfältigen ländlichen Raum für die Erhaltung der<br />

natürlichen Lebensgrundlagen.<br />

Da die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> für den ländlichen Raum<br />

Mitverantwortung trägt, ist es unsere Aufgabe, Strategien<br />

zu entwickeln, diesen Zukunftsraum zu stärken. E<strong>in</strong><br />

wesentlicher Aspekt dabei wird se<strong>in</strong> müssen, die bäuerliche<br />

Land- und Forstwirtschaft bei ihrer Zukunftsrolle zu<br />

unterstützen.<br />

Das Ziel unseres Arbeitskreises sehe ich deshalb dar<strong>in</strong>,<br />

1. aufzuzeigen, welche Aufgaben zukünftig von der Landund<br />

Forstwirtschaft wahrgenommen werden sollen<br />

und müssen, um e<strong>in</strong>mal aus den ökonomischen<br />

Schwierigkeiten herauszukommen und zum zweiten<br />

e<strong>in</strong>e politisch und gesellschaftlich anerkannte tragende<br />

Rolle für den ländlichen Raum zu übernehmen und<br />

2. zu überlegen, welche Instrumente die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

dazu hat bzw. braucht, um die Land- und<br />

Forstwirtschaft hierbei vorwärts zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, ich habe zur Aufbereitung<br />

dieser Thematik zwei Experten e<strong>in</strong>geladen, die ich Ihnen <strong>in</strong><br />

der Reihenfolge ihres Vortrages vorstellen darf.<br />

Herr Professor Seibert zu me<strong>in</strong>er Rechten betreut an<br />

der Fachhochschule Weihenstephan, Abteilung Triesdorf,<br />

das Fachgebiet Agrarökonomie. Er nimmt zur Zeit auch<br />

die Aufgabe des Dekans an der FH wahr und ist deshalb<br />

e<strong>in</strong> sehr beschäftigter Mann. Professor Seibert befaßt sich<br />

seit Jahren mit Fragen zukunftsträchtiger Formen der<br />

Landwirtschaft und gilt auf diesem Gebiet als Experte.<br />

Herr Professor Seibert, wir erwarten gespannt Ihre<br />

Strategien für e<strong>in</strong>e zukunftsorientierte Landwirtschaft.<br />

Vielen Dank, Herr Professor Seibert, für die umfassende<br />

Darstellung der Zukunftsaufgaben <strong>in</strong> der Landwirtschaft.<br />

Ihr Vortrag enthielt e<strong>in</strong>e Fülle von Anregungen für unsere<br />

spätere Arbeit <strong>in</strong> den Kle<strong>in</strong>gruppen.<br />

Wir dürfen mit dem nächsten e<strong>in</strong>führenden Vortrag,<br />

den Herr Danner halten wird, gleich weiterfahren. Herr<br />

Danner zu me<strong>in</strong>er L<strong>in</strong>ken ist als freiberuflicher Unternehmens-<br />

und Market<strong>in</strong>gberater tätig. Er führt <strong>in</strong> Ruhstorf<br />

(Niederbayern) e<strong>in</strong> Büro unter dem Namen »Team für<br />

angewandte Ökologie«. Die Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Landau hat an ihn Aufträge mit dem Ziel vergeben,<br />

landwirtschaftliche Betriebs<strong>in</strong>haber <strong>in</strong> Verfahren<br />

der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> zu beraten, wie sie ihre<br />

Betriebe zukunftsträchtig ausrichten können. Auch für die<br />

Direktion München war er me<strong>in</strong>es Wissens bereits tätig.<br />

Herr Danner, ich darf Sie bitten, Ihre Vorschläge und<br />

Erfahrungen mit der Umsetzung von Market<strong>in</strong>gkonzepten<br />

für die Land- und Forstwirtschaft <strong>in</strong> Verfahren der <strong>Ländliche</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> den Arbeitskreis e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen.<br />

Herr Danner, Sie haben e<strong>in</strong> wahres Feuerwerk abgebrannt<br />

und wie Sie an dem Beifall erkennen können,<br />

haben Sie die Zuhörer mitgerissen Die Atmosphäre hat<br />

jetzt e<strong>in</strong>en Höhepunkt erreicht, so daß ich es an sich<br />

bedauere, Sie <strong>in</strong> die Kaffeepause entlassen zu müssen. Ich<br />

hoffe aber, daß Sie diese Stimmung über die Pause h<strong>in</strong>weg<br />

konservieren können, damit wir mit der geweckten<br />

Begeisterung verschiedene Teilaspekte des Arbeitskreisthemas<br />

<strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>gruppen mit Moderatorentechnik<br />

bearbeiten können.<br />

Ich darf Ihnen kurz noch aufzeigen, was Sie nach der<br />

Pause erwarten wird:<br />

Es sollen Kle<strong>in</strong>gruppen zu folgenden Bauste<strong>in</strong>en gebildet<br />

werden.<br />

Teilaspekte<br />

1. Bäuerliche Waldwirtschaft<br />

2. Umweltleistungen der Landwirtschaft<br />

3. Erwerbsalternativen und Marktnischen<br />

4. Dienstleistungen durch die Landwirtschaft<br />

5. Konventionelle Landwirtschaft —<br />

zukunftsorientiert<br />

Die Moderatoren der Kle<strong>in</strong>gruppe werden Ihnen zur<br />

Technik e<strong>in</strong>e kurze E<strong>in</strong>weisung geben. Ich darf Sie bitten,<br />

sich den Aspekt auszusuchen und dort mitzuarbeiten, wo<br />

Sie Ihre Erfahrung am besten e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen können. Unsere<br />

ausländischen Gäste bitte ich, sich nach Möglichkeit<br />

gleichmäßig auf die verschiedenen Gruppen zu verteilen.<br />

Zur Kle<strong>in</strong>gruppenbildung f<strong>in</strong>den Sie auf den h<strong>in</strong>teren<br />

Tischen verschiedenfarbige Umdrucke mit Motiven zu den<br />

zu bearbeitenden Teilaspekten. Die Umdrucke s<strong>in</strong>d frei<br />

handelbar, und Sie können <strong>in</strong> der Pause noch tauschen,<br />

wenn Sie me<strong>in</strong>en, daß Sie zu e<strong>in</strong>em anderen Thema mehr<br />

beitragen können. Ausgewogene Gruppenbesetzung wäre<br />

wünschenswert.<br />

128 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Otmar Seibert<br />

Strategien für e<strong>in</strong>e zukunftsorientierte<br />

Landwirtschaft<br />

Bauern auf der roten Liste?<br />

Mit der Überschrift »Bauern bald auf der roten Liste?«<br />

wies am 23. Sept. 1993 die Fränkische Landeszeitung auf<br />

den dramatischen Rückgang von Auszubildenden <strong>in</strong><br />

Agrarberufen h<strong>in</strong>. Laut BML-Statistik halbierte sich deren<br />

Zahl <strong>in</strong> den letzten 12 Jahren. Ende 1992 schlossen nur<br />

noch 32 000 Jungendliche e<strong>in</strong>e Agrarausbildung ab. Und<br />

für e<strong>in</strong>e Lehre direkt auf dem Bauernhof entschieden sich<br />

1993 bundesweit nur noch 8 200 Jungendliche. Lohnt es<br />

sich vor diesem H<strong>in</strong>tergrund überhaupt noch, über<br />

»Strategien für e<strong>in</strong>e zukunftsorientierte Landwirtschaft«<br />

zu reden?<br />

Als Ursache des Abwärtstrends verwies die zitierte<br />

Zeitung auf die drastischen Preisrückgänge bei vielen<br />

Agrarprodukten, die potentielle Berufsanfänger abschreckten.<br />

Doch trifft dieser monokausale Ansatz den<br />

Kern des Problems? Er unterstellt e<strong>in</strong>e Mono-Funktionalität<br />

der Landwirtschaft, die nie existiert hat; er vernachlässigt<br />

aktuelle und für die Landwirtschaft grundlegende<br />

wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen<br />

und nimmt auch ke<strong>in</strong>en Bezug auf die Anpassungsfähigkeiten<br />

der landbewirtschaftenden Bevölkerung an<br />

sich verändernde Rahmenbed<strong>in</strong>gungen.<br />

Landwirtschaft — e<strong>in</strong> traditionell<br />

multifunktionales Gewerbe<br />

Historisch betrachtet hat die landbewirtschaftende<br />

Bevölkerung stets mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllt:<br />

Die Produktion von Nahrungsmitteln für Märkte und zur<br />

Eigenversorgung, aber auch die Gestaltung der Landschaft<br />

und die Sicherung natürlicher Ressourcen. Sie bot Beschäftigung<br />

für ländliches Handwerk, Dienstleistungen<br />

und Handel. Landwirtschaftliche Arbeitskräfte schufen<br />

entscheidende Grundlagen für die gewerbliche Erschließung<br />

unserer Räume.<br />

Der Wert der von den landwirtschaftlichen Haushalten<br />

erbrachten Leistungen hat sich im Zeitverlauf deutlich<br />

gewandelt. Während der ökonomische Beitrag der deutschen<br />

Landwirtschaft, gemessen an Wertschöpfung und<br />

Beschäftigung, immer marg<strong>in</strong>aler wird, rücken mit der Bewirtschaftung<br />

verbundene positive externe Effekte stärker<br />

<strong>in</strong> den Vordergrund. Ihre Bedeutung für die Lebensverhältnisse<br />

der Bevölkerung, die Qualität der Umwelt und<br />

die wirtschaftliche <strong>Entwicklung</strong> der ländlichen Räume<br />

steigt. Andererseits gerät ihr Angebot <strong>in</strong> dem Maße <strong>in</strong><br />

Gefahr, <strong>in</strong> dem die Zahl der Bauern schrumpft und die<br />

wenigen Verbleibenden unter ökonomischem Druck<br />

Entscheidungen treffen, die zu gesellschaftlich unerwünschten<br />

Folgen führen.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Konflikte und aktuelle Lösungsansätze<br />

Die geme<strong>in</strong>same Markt- und Preispolitik hat die<br />

Landwirte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Falle gelockt und den Agrarsektor <strong>in</strong><br />

wachsende Konflikte mit Gesellschaft und Umwelt<br />

geführt. Die künftige Rolle der Landwirtschaft wird auch<br />

davon abhängen, <strong>in</strong>wieweit es gel<strong>in</strong>gt, die folgenden<br />

Konflikte zu entschärfen:<br />

(1) Unbefriedigende Lebensverhältnisse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er wachsenden<br />

Zahl landbewirtschaftender Haushalte als Folge<br />

beschränkter E<strong>in</strong>kommenskapazitäten, hoher Arbeitsbelastung,<br />

steigender f<strong>in</strong>anzieller Risiken und wachsender<br />

sozialer Isolierung;<br />

(2) Verschwendung knapper Ressourcen für die Produktion<br />

am Markt nicht absetzbarer Überschüsse;<br />

(3) F<strong>in</strong>anzaufwendungen für die Verwertung der Überschüsse<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Ausmaß, das weder ökonomisch<br />

tragbar noch sozialstaatlich zu rechtfertigen ist;<br />

(4) Handelspolitische Konkurrenzen mit den führenden<br />

Agrarexportnationen der Welt ebenso wie mit <strong>Entwicklung</strong>sländern,<br />

denen trotz ihrer wirtschaftlichen<br />

Abhängigkeit vom Agrarsektor durch verzerrte Weltmarktpreise<br />

lebensnotwendige Exporterlöse vorenthalten<br />

werden;<br />

(5) Abweichungen zwischen den Qualitätsanforderungen<br />

der Verbraucher an Nahrungsmittel und den Qualitätseigenschaften<br />

weitgehend standardisierter<br />

Massenware;<br />

(6) Vielgestaltige Umweltkonflikte wie Belastungen von<br />

Boden, Wasser und Luft, Arten-Verarmung und landschaftliche<br />

Monotonie, negative Energiebilanzen usw.<br />

Diese Konfliktfelder lassen sich zu drei Faktorbündeln<br />

verdichten, von denen die künftige Rolle der Landwirtschaft<br />

<strong>in</strong> den ländlichen Räumen geprägt wird:<br />

— Vorgaben der nationalen und <strong>in</strong>ternationalen Agrarpolitik,<br />

die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse<br />

<strong>in</strong> den ländlichen Räumen (<strong>in</strong>sbes. Arbeitsmärkte), der<br />

f<strong>in</strong>anzielle Rahmen für die Landwirtschaft;<br />

— Anforderungen der Gesellschaft an die Landwirtschaft<br />

h<strong>in</strong>sichtlich Produktionsentwicklung, Produktqualität,<br />

Sicherung der natürlichen Umwelt, Erhaltung sozialer<br />

Netzwerke e<strong>in</strong>schließlich »traditioneller« bäuerlicher<br />

Werte;<br />

— Das Anpassungsverhalten der Landwirte, die Wahl ihrer<br />

Wirtschaftsweisen, ihre Innovationskraft und<br />

Professionalität <strong>in</strong> der Ausfüllung ihrer künftigen Rolle.<br />

Diese E<strong>in</strong>flußfaktoren s<strong>in</strong>d Ausdruck dynamischer<br />

<strong>Entwicklung</strong>en und beschreiben den Rahmen für<br />

Strategien für e<strong>in</strong>e zukunftsorientierte Landwirtschaft.<br />

Zwar s<strong>in</strong>d diese Faktoren aus regionaler Sicht <strong>in</strong> hohem<br />

Maße »fremdbestimmt«. Doch liegt e<strong>in</strong> relativ hohes<br />

Gestaltungspotential auch im Verhalten der landwirtschaftlichen<br />

Haushalte selbst. Es ist weit weniger uniform,<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

129


als die offizielle Politik — z. B. bei der Formulierung von<br />

Programmen — unterstellt und bietet e<strong>in</strong>e breite Palette<br />

an dezentral entwicklungsfähigen Alternativen. Insoweit<br />

liegt die Wahl von <strong>Entwicklung</strong>sstrategien und damit<br />

zugleich die künftige Rolle der Landwirtschaft <strong>in</strong> den<br />

ländlichen Räumen zu e<strong>in</strong>em erheblichen Teil <strong>in</strong> den<br />

Händen der ländlichen Bevölkerung selbst.<br />

Zur Entschärfung der angeführten Konflikte wird von<br />

der EU seit 1992/93 der Abbau staatlicher Preis- und<br />

Absatzstützung <strong>in</strong> Richtung auf Weltmarktkonditionen<br />

betrieben, flankiert von großdimensionierten Transferzahlungen<br />

an die Landwirte. Diese für die nächsten Jahre<br />

vorgezeichnete Strategie stellt e<strong>in</strong>seitig auf die Verm<strong>in</strong>derung<br />

wirtschaftlicher und welthandelsbezogener Probleme<br />

ab. Unterbelichtet bleiben die regionalen und ökologischen<br />

Effekte dieser Politik, die Sicherung der nicht<br />

auf Märkten handelbaren Leistungen der Landwirtschaft,<br />

aber auch die Akzeptanz der Transfers durch Bauern und<br />

Gesellschaft. Angesichts der (zum<strong>in</strong>dest relativ) abnehmenden<br />

f<strong>in</strong>anziellen Leistungsbereitschaft des Staates, der<br />

E<strong>in</strong>flüsse des Europäischen B<strong>in</strong>nenmarktes und der unzureichenden<br />

Berücksichtigung regionaler und ökologischer<br />

Effekte der Agrarentwicklung ist deshalb unter status<br />

quo-Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>e stärkere funktionale Trennung<br />

der ländlichen Räume zu erwarten. Davon dürften gerade<br />

jene Betriebe gefährdet werden, die bisher relativ<br />

umweltfreundlich gewirtschaftet haben.<br />

Unter status quo-Bed<strong>in</strong>gungen, d.h. ohne grundlegende<br />

Veränderungen <strong>in</strong> der Agrarpolitik und im Anpassungsverhalten<br />

der Landwirte, wird der Strukturwandel mit<br />

Unterstützung der Agrarreform regionale Spezialisierungstendenzen<br />

verstärken, letztlich <strong>in</strong> Richtung zweier<br />

Extreme:<br />

— Produktion von Nahrungsgütern und Energierohstoffen<br />

<strong>in</strong> immer weniger Regionen <strong>in</strong> natürlicher Gunstlage<br />

und mit großbetrieblichen Strukturen, auf hohem<br />

Intensitätsniveau und <strong>in</strong> der Wahl der Betriebsorgani-<br />

sation relativ unabhängig von den <strong>Entwicklung</strong>s- (und<br />

Lebens-)vorstellungen der betroffenen ländlichen<br />

Bevölkerung.<br />

— Breite Extensivierung bis h<strong>in</strong> zu großräumiger Aufgabe<br />

der Bewirtschaftung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er wachsenden Zahl von<br />

Grenzertrags- und Übergangsstandorten; die Reduzierung<br />

der Betriebszahlen führt hier zu e<strong>in</strong>em sich<br />

selbst verstärkenden Abwärtstrend, der aufgrund<br />

s<strong>in</strong>kender Auslastung auch E<strong>in</strong>schränkungen <strong>in</strong> den<br />

Vermarktungs- und Beschaffungsmöglichkeiten sowie<br />

bei landwirtschaftsbezogenen Dienst- und Beratungsleistungen<br />

verursacht. Während dabei <strong>in</strong> den Produktionsregionen<br />

mit günstigen natürlichen und wirtschaftlichen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen ökonomischer Interessen<br />

das Angebot gesellschaftlich erwünschter Nebenleistungen<br />

unterdrücken dürften, gerät die Schaffung<br />

positiver externer Effekte der Landwirtschaft <strong>in</strong> den<br />

weniger von Natur begünstigten, überwiegend kle<strong>in</strong>strukturierten<br />

Regionen gerade wegen der wirtschaftlichen<br />

Unterauslastung landwirtschaftlicher Produktionsfaktoren<br />

<strong>in</strong> Gefahr. Bei Fortführung der Landbewirtschaftung<br />

korrelieren niedrige landwirtschaftliche<br />

Grenzerträge i.d.R. mit hohen ökologischen Grenznutzen.<br />

Folglich kann die Dualisierung der Landwirtschaft<br />

mit funktionaler Trennung der ländlichen<br />

Räume nicht der Weg der Zukunft se<strong>in</strong>, um möglichst<br />

flächendeckend bäuerliche Strukturen und ökologisch<br />

verträgliche Wirtschaftsweisen zu erhalten.<br />

Änderung der Wirtschaftsweisen,<br />

E<strong>in</strong>kommenskomb<strong>in</strong>ation<br />

Auch weiterh<strong>in</strong> wird e<strong>in</strong>e wesentliche Aufgabe der<br />

Landwirte dar<strong>in</strong> bestehen, konventionell <strong>in</strong>tensiv hergestellte<br />

Massengüter anzubieten. Der Markt für diese<br />

Produkte wird jedoch immer beschränkter, e<strong>in</strong>mal durch<br />

den härter werdenden Wettbewerb auf den Weltmärkten<br />

und die schrumpfenden Budgetspielräume für die F<strong>in</strong>an-<br />

Arbeitskreisteilnehmer diskutieren<br />

Konflikte und aktuelle<br />

Lösungsansätze<br />

130 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


zierung der Marktordnungen, zum anderen als Folge der<br />

ger<strong>in</strong>gen Wertschöpfung, die mit diesen Grundprodukten<br />

auf der Produktionsstufe erzielt werden kann. In der landwirtschaftlichen<br />

Grundstoffproduktion können künftig<br />

nur die Wenigen überleben, die sehr große Mengen<br />

produzieren.<br />

Bei begrenzter Produktionskapazität muß deshalb die<br />

Erhöhung der Wertschöpfung stärker <strong>in</strong> den Vordergrund<br />

gerückt werden als das Mengenwachstum. Dies verlangt<br />

e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensivere Berücksichtigung von Qualitätsaspekten<br />

und Umweltanforderungen, neue Qualifikationen der<br />

Bewirtschafter sowie für den Kunden transparentere<br />

Wirtschaftsweisen. Die Märkte entwickeln sich immer<br />

mehr von Verkäufer- zu Käufermärkten. Deshalb muß der<br />

Kunde die Produktionsmethoden kennen und verstehen<br />

können, wenn er dauerhaft Kunde bleiben soll.<br />

Zusammenfassend betrachtet ist somit e<strong>in</strong>e möglichst<br />

flächendeckende Fortführung der Landbewirtschaftung<br />

und die Sicherung der von den Landwirten geschaffenen<br />

öffentlichen Güter an drei Grundvoraussetzungen<br />

gekoppelt:<br />

(1) Anpassung der Produktionsmengen an die Nachfrage,<br />

um natürliche wie f<strong>in</strong>anzielle Ressourcen zu schonen.<br />

(2) Ausrichtung der Wirtschaftsweisen an natürlichen<br />

Kreislaufzusammenhängen und Förderung e<strong>in</strong>zelbetrieblicher<br />

und regionaler Strukturen, die wirtschaftliche,<br />

ökologische und soziale Aufgabenstellungen<br />

möglichst harmonisch verb<strong>in</strong>den.<br />

(3) Veränderungen <strong>in</strong> den Erwerbsstrukturen der bäuerlichen<br />

Haushalte.<br />

Aus ökonomischer Sicht ist es weith<strong>in</strong> unbestritten, daß<br />

die Sicherung positiver externer Effekte <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit<br />

e<strong>in</strong>er sozial, ökologisch und an Marktkräften orientierten<br />

Landbewirtschaftung kostengünstiger und im Gesamteffekt<br />

auch vorteilhafter ist als e<strong>in</strong>e funktionale Trennung<br />

von <strong>in</strong>tensiver Produktion e<strong>in</strong>erseits und re<strong>in</strong>er Flächenpflege<br />

andererseits.<br />

E<strong>in</strong>e Grundvoraussetzung dafür bietet e<strong>in</strong>e komb<strong>in</strong>ierte<br />

E<strong>in</strong>kommenspolitik: Abbau der e<strong>in</strong>kommensorientierten<br />

Preisstützung und Ergänzung der »Markte<strong>in</strong>kommen«<br />

durch produktionsneutrale Leistungse<strong>in</strong>kommen aus der<br />

Bereitstellung öffentlicher Güter.<br />

Während die Gestaltung der Landschaft und die<br />

Sicherung von Umweltgütern <strong>in</strong> der Vergangenheit von<br />

den Bauern aus Eigen<strong>in</strong>teresse und damit quasi als<br />

Nebenprodukt erbracht wurden, geraten die ökologischen<br />

Nebenleistungen der Landwirtschaft <strong>in</strong> dem Maße <strong>in</strong><br />

Gefahr, <strong>in</strong> dem die Anwendung moderner Technik die<br />

Vernachlässigung des Kreislaufdenkens erlaubt und die<br />

Agrarpolitik — bis <strong>in</strong> die jüngste Zeit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> — Spezialisierung<br />

und Intensivierung fördert. Als Konsequenz<br />

müssen bestimmte ökologische Leistungen der Landwirtschaft<br />

künftig bewußt erbracht und <strong>in</strong> der Agrarpolitik als<br />

besondere Aufgabe behandelt werden. Das heißt zugleich,<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

der Landwirtschaft künftig nicht alle<strong>in</strong> ihre wirtschaftliche,<br />

sondern auch ihre ökolologische Wertschöpfung zu<br />

vergüten.<br />

Damit die Transfers von den Landwirten und der<br />

Gesellschaft als »Leistungse<strong>in</strong>kommen« verstanden werden,<br />

s<strong>in</strong>d konkrete Leistungsmerkmale zu def<strong>in</strong>ieren.<br />

PRIEBE spricht <strong>in</strong> diesem Zusammenhang von e<strong>in</strong>em<br />

»agrarkulturellen Ordnungsrahmen für naturgerechte<br />

Wirtschaftsformen«, der den Landwirten Orientierungshilfen<br />

für e<strong>in</strong>e ökonomisch e<strong>in</strong>trägliche und ökologisch<br />

verträgliche Wirtschaftsweise bieten sollte.<br />

E<strong>in</strong> erheblicher Schwachpunkt ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />

das bisherige System der Marktpreisbildung. Je<br />

stärker sich die Landbewirtschaftung von re<strong>in</strong> wirtschaftlichen<br />

Interessen der Produktion möglichst großer und<br />

homogener Mengen löst, um so weniger können verzerrte<br />

Preise auf anonymen Märkten Maßstab für die Faktorentlohnung<br />

se<strong>in</strong>. Wenn aufgrund e<strong>in</strong>er unvollständigen<br />

Kostenrechnung z. B. weder negative Umwelteffekte<br />

weiter Transporte noch soziale Aspekte der Strukturentwicklung<br />

oder die Folgen der Ausbeutung von Land und<br />

Kle<strong>in</strong>bauern <strong>in</strong> <strong>Entwicklung</strong>sländern berücksichtigt<br />

werden, verliert der Preis se<strong>in</strong>en orig<strong>in</strong>ären Charakter als<br />

Knappheits<strong>in</strong>dikator.<br />

E<strong>in</strong>e qualitativ hochwertige Nahrungsversorgung auf<br />

der Basis ökologisch und sozial verträglicher Produktionsund<br />

Marktsyteme verlangt deshalb geradezu nach regional<br />

überschaubaren Marktradien. Die Kenntnis der Produktionsmethoden<br />

gibt dem Kunden zudem Qualitätssicherheit<br />

und der Kontakt zum Kunden dem Bauern<br />

e<strong>in</strong>en sicheren (Teil-) Umsatz.<br />

Mehrfachbeschäftigung als Anpassungs- und<br />

Verhaltensmuster bäuerlicher Familien<br />

Will der Bauer überhaupt externe Leistungen erbr<strong>in</strong>gen?<br />

Wenn Leistungen wie z. B. die Landschaftspflege als<br />

Leistung identifizierbar s<strong>in</strong>d, leistungsbezogen honoriert<br />

werden und den Landwirten zugleich ökonomisches<br />

Verhalten unterstellt wird, erübrigt sich diese Frage. Die<br />

zentrale Frage für immer mehr landwirtschaftliche<br />

Haushalte lautet vielmehr: F<strong>in</strong>den sie Möglichkeiten zur<br />

Mehrfachbeschäftigung, um E<strong>in</strong>kommensdefizite aus<br />

landwirtschaftlicher Tätigkeit aus anderen Erwerbsquellen<br />

zu ergänzen und wie können die Anforderungen von<br />

Betrieb, Haushalt und ergänzender Beschäftigung möglichst<br />

konfliktfrei mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang gebracht werden?<br />

Welche Anforderungen werden an Bauern gestellt,<br />

die e<strong>in</strong>e Diversifizierung ihrer Erwerbsgrundlagen planen<br />

und welche Hilfen wären für diesen Schritt erforderlich?<br />

Im System bäuerlicher Familienwirtschaft bildet der<br />

Haushalt den Zellkern, von dem aus die <strong>Entwicklung</strong> von<br />

Produktion, Verbrauch und Reproduktion gesteuert wird.<br />

E<strong>in</strong> Haushalt verfügt zu jedem Zeitpunkt über e<strong>in</strong>e<br />

bestimmte Austattung mit Produktionsfaktoren, deren<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

131


Komb<strong>in</strong>ation e<strong>in</strong>en bestimmten Haushaltstyp beschreibt.<br />

Zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> Europa lassen sich ubiquitär monoaktive,<br />

pluriaktive und sogen. Aussteiger-Haushalte erkennen.<br />

Jeder Haushaltstyp hat unterschiedliche Voraussetzungen<br />

und Ansprüche. Dies ergab e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Untersuchung<br />

<strong>in</strong> 24 europäischen Regionen, die im Auftrag der<br />

EG 1993 abgeschlossen wurde.<br />

Die Haushalte agieren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em räumlichen und sozialen<br />

Kontext, von dem ihre Ausstattung mit Ressourcen,<br />

deren Nutzungsalternativen und die Restriktionen <strong>in</strong> der<br />

Faktornutzung abhängen. Dazu rechnen auch kulturelle<br />

Aspekte, wie sie etwa <strong>in</strong> Gestalt regional verbreiteter<br />

Normen und Verhaltensmuster zum Ausdruck kommen.<br />

Europaweit konnten m<strong>in</strong>destens 5 Regionstypen identifiziert<br />

werden, wiederum mit unterschiedlichen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen und Ansprüchen.<br />

Die drei Haushaltstypen zeigen <strong>in</strong> den jeweiligen<br />

Regionstypen unterschiedliche Anspassungsmuster bei<br />

der Reaktion auf veränderte <strong>in</strong>terne und externe Verhältnisse.<br />

Insoweit ergeben sich klare Verb<strong>in</strong>dungen<br />

zwischen der strukturellen Situation, dem regionalen<br />

Kontext und der Dynamik <strong>in</strong> Haushalt und Betrieb. In der<br />

genannten Untersuchung wurden drei Verhaltens-Grundmuster<br />

festgestellt:<br />

— Professionalisierung,<br />

— Stabiles Verharren,<br />

— Verm<strong>in</strong>derung landwirtschaftlicher Aktivitäten.<br />

In Regionen, die mit den deutschen Verhältnissen (h<strong>in</strong>sichtlich<br />

Zentralität, Arbeitsmarktverhältnissen, Agrarstruktur,<br />

Abhängigkeit von der Landwirtschaft usw.) vergleichbar<br />

s<strong>in</strong>d, waren nur 18 % landwirtschaftlich monoaktiv,<br />

bereits 55 % pluriaktiv und 25 % auf dem Weg des<br />

Ausstiegs. Dieses Bild entspricht der bisherigen Strukturpolitik<br />

sicher nicht, deren Klientel primär Vollerwerbs-<br />

Wachstumsbetriebe waren.<br />

Diese Erkenntnis leitet zu e<strong>in</strong>er generellen Folgerung<br />

über: Soll die Landwirtschaft auch künftig e<strong>in</strong>e Vielfalt an<br />

Funktionen <strong>in</strong> ländlichen Räumen übernehmen, kann der<br />

Erwerbscharakter der landwirtschaftlichen Betriebe nicht<br />

länger zentrales Förderkriterium se<strong>in</strong>. Wichtiger als der<br />

relative Anteil verschiedener E<strong>in</strong>kommen am Erwerbse<strong>in</strong>kommen<br />

des Bewirtschafterpaares s<strong>in</strong>d vielmehr das<br />

Engagement und die Professionalität <strong>in</strong> der Nutzung der<br />

Ressourcen von Haushalt und Betrieb, die fachliche und<br />

persönliche Qualifikation der Haushaltsmitglieder und<br />

deren <strong>Entwicklung</strong>sperspektiven sowie konkrete<br />

Marktchancen.<br />

Daß »Professionalität« dabei nicht nur im traditionellen<br />

Wachstumss<strong>in</strong>ne gefordert werden muß, zeigen zahlreiche<br />

Beispiele aus der genannten EG-Untersuchung. Wird<br />

Professionalisierung als Prozeß verstanden, bei dem es um<br />

e<strong>in</strong>en möglichst effizienten E<strong>in</strong>satz von Ressourcen zur<br />

Erreichung vom Haushalt vorgegebener Ziele geht, eröffnet<br />

dies auch mehrfachbeschäftigten Haushalten vielfältige<br />

Optionen, z. B.:<br />

Innovationen zur Erschließung von Alternativen <strong>in</strong><br />

Produktion, im Angebot von Dienstleistungen und <strong>in</strong> der<br />

Vermarktung;<br />

Ressourcenoptimierung mit dem Ziel, e<strong>in</strong>e möglichst<br />

günstige Verwertung aller verfügbaren Faktoren e<strong>in</strong>es<br />

Haushalts, <strong>in</strong>sbesondere der (oft reichlich vorhandenen)<br />

Arbeitskraft, zu erreichen.<br />

Für beide Fälle lassen sich <strong>in</strong> Europa vielfältige Formen<br />

ergänzender betriebsbezogener Tätigkeiten nachweisen,<br />

sowohl auf traditionellen Gebieten wie z.B. Landschaftspflege<br />

und überbetriebliches Masch<strong>in</strong>enangebot (Ressourcenoptimierung)<br />

als auch auf neuen Märkten bei der<br />

E<strong>in</strong>führung neuer Produkte, der eigenen Verarbeitung,<br />

dem Angebot von Dienstleistungen, touristischen und<br />

naturkundlichen Aktivitäten usw. (Innovationen).<br />

Welcher Bauer hat noch Zukunft und<br />

welches Berufsbild hat der Bauer der<br />

Zukunft?<br />

Das Sprichwort »Jedes Risiko birgt auch e<strong>in</strong>e Chance«<br />

kennzeichnet treffend die derzeitige Situation vieler landwirtschaftlicher<br />

Haushalte. Strukturwandel, Abbau staatlicher<br />

Stützung, verschärfte Umweltnormen, aber auch<br />

wenig aufnahmefähige regionale Arbeitsmärkte bedeuten<br />

für viele Landwirte e<strong>in</strong> wachsendes Existenzrisiko. Daraus<br />

e<strong>in</strong>e Chance zu machen, erfordert den Mut, tradierte<br />

Wege zu verlassen. Wir erkennen vier grundsätzliche<br />

Auswege aus diesem Konflikt:<br />

a) Traditionelles Produktionswachstum kommt aufgrund<br />

der hohen Kapital<strong>in</strong>tensität und der i. d. R.<br />

begrenzten Arbeitskapazität für immer weniger Haushalte<br />

<strong>in</strong> Frage (lange Kapitalb<strong>in</strong>dung, ger<strong>in</strong>ge Organisationsflexibilität,<br />

Schuldenrisiko usw.);<br />

b) Grundlegende Rationalisierung bietet sich grundsätzlich<br />

an, wurde jedoch <strong>in</strong> kaum e<strong>in</strong>em Betrieb bisher<br />

ausgeschöpft. Nur <strong>in</strong> wenigen Branchen ist die<br />

Errichtung e<strong>in</strong>es Arbeitsplatzes so teuer wie <strong>in</strong> der<br />

Landwirtschaft, <strong>in</strong> kaum e<strong>in</strong>em Gewerbe wird zugleich<br />

das <strong>in</strong>vestierte Kapital so langsam umgeschlagen und<br />

das Vermögen so ger<strong>in</strong>g ausgelastet. Die Auslagerung<br />

von Teilarbeiten, neue Ideen <strong>in</strong> der Mechanisierung<br />

(GbR-Masch<strong>in</strong>engeme<strong>in</strong>schaften), die geme<strong>in</strong>same<br />

Nutzung von Stallanlagen (z. B. Melkstand), die Teilung<br />

e<strong>in</strong>es gewerblichen Arbeitsplatzes zwischen zwei<br />

Landwirten, die geme<strong>in</strong>sam wirtschaften, oder auch die<br />

geme<strong>in</strong>same Teilung e<strong>in</strong>er Fremd-AK s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>eswegs<br />

unrealistische Ideen.<br />

c) Den Weg der Abstockung und Aufgabe werden<br />

längerfristig um so mehr Haushalte beschreiten<br />

(müssen), je weniger sie die Notwendigkeit zur Rationalisierung<br />

begreifen, je eher sie trotz begrenzter<br />

Kapazitäten im konventionellen Mengenwachstum ihre<br />

132 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


<strong>Entwicklung</strong>schancen vermuten und dabei Möglichkeiten<br />

der Mehrfachbeschäftigung und E<strong>in</strong>kommenskomb<strong>in</strong>ation<br />

nicht aufgreifen.<br />

d) Diversifizierung und E<strong>in</strong>kommenskomb<strong>in</strong>ation<br />

verlangen von den Betroffenen Marktorientierung,<br />

Flexibilität und hohe fachliche Qualifikation — immer<br />

häufiger auch im nichtlandwirtschaftlichen Bereich.<br />

Diese Eigenschaften waren unter den früheren agrarund<br />

marktpolitischen Verhältnissen wenig gefragt.<br />

Wegen der fehlenden Marktabsicherung außerhalb der<br />

re<strong>in</strong>en Agrarproduktion ist <strong>in</strong>sgesamt mehr »Professionalität«<br />

erforderlich.<br />

Soweit die natürlichen und strukturellen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>kommenssicherung durch weltmarktfähige<br />

Produktion ermöglichen, wird der Weg der E<strong>in</strong>kommenskomb<strong>in</strong>ation<br />

— zusammen mit der Ausschöpfung aller<br />

Möglichkeiten der E<strong>in</strong>sparung von Arbeitszeit und Kosten<br />

— die e<strong>in</strong>zige Alternative se<strong>in</strong>, um Bauer bleiben zu können.<br />

Dieser Bauer der Zukunft wird zwar auch noch<br />

Nahrungsmittel produzieren, doch gemessen an se<strong>in</strong>em<br />

Gesamtumsatz relativ immer weniger. Folglich muß sich<br />

se<strong>in</strong> Berufsbild wesentlich erweitern, mit Konsequenzen<br />

für Ausbildung, Beratung, Investitionsförderung, Marktorganisation<br />

usw. Weniger der Landwirt als der »Ressourcenmanager«<br />

wird der »Bauer der Zukunft« se<strong>in</strong>.<br />

Um diesem Anspruch genügen zu können, s<strong>in</strong>d weniger<br />

materielle Förderanreize als vielmehr Angebote zur fachlichen<br />

Qualifizierung jüngerer Arbeitskräfte erforderlich.<br />

Sie müßten sich vor allem an Haushalte im Übergang von<br />

der landwirtschaftlichen Monoaktivität zur Mehrfachbeschäftigung<br />

richten und neben landwirtschaftlichen<br />

auch nichtlandwirtschaftliche Angebote e<strong>in</strong>schließen. Und<br />

weil erwiesenermaßen gerade Landwirte mit kle<strong>in</strong>eren<br />

Betrieben und im Abstockungsprozeß nur ger<strong>in</strong>ge Kontakte<br />

zur Landwirtschaftsberatung unterhalten, wären<br />

dafür neue Ausbildungsangebote zu entwickeln: Wochenendkurse,<br />

Kurzpraktika <strong>in</strong> Fremdbetrieben, Spezialkurse <strong>in</strong><br />

EDV-Anwendung, Management, Market<strong>in</strong>g und Rechnungswesen.<br />

Die Voraussetzungen für komb<strong>in</strong>ierten Erwerb s<strong>in</strong>d<br />

grundsätzlich günstig. Die Ausbildungsqualität der<br />

jungen Landwirte steigt, die »Normalisierung der bäuerlichen<br />

Welt«, gedacht als Abkehr von ständischem Hofesdenken,<br />

breitet sich aus. Die jungen Bäuer<strong>in</strong>nen, häufig<br />

außerhalb der Landwirtschaft beruflich ausgebildet,<br />

nehmen stärkeren Anteil an betrieblichen Entscheidungen<br />

und s<strong>in</strong>d immer häufiger der Teil des Haushalts, der e<strong>in</strong>e<br />

qualifizierte Zusatztätigkeit aufnimmt. Moderne Kommunikationsmittel<br />

und die Tendenz zur Teilzeitarbeit<br />

erlauben gerade ihnen e<strong>in</strong>e flexible Komb<strong>in</strong>ation mit den<br />

Anforderungen <strong>in</strong> Haushalt und Familie.<br />

E<strong>in</strong> zentrales Problem bleibt die unbefriedigende<br />

Situation auf den regionalen Arbeitsmärkten. Ihre Bedeutung<br />

war bisher und wird auch <strong>in</strong> Zukunft weitaus größer<br />

se<strong>in</strong> für die <strong>Entwicklung</strong> der Landwirtschaft als alle agrar-<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

strukturpolitischen Programme zusammengerechnet.<br />

War <strong>in</strong> der Vergangenheit häufig e<strong>in</strong> prosperierender<br />

Agrarsektor Motor e<strong>in</strong>er sich entwickelnden regionalen<br />

Wirtschaft, werden heute stabile regionalwirtschaftliche<br />

Arbeitsmarktverhältnisse immer stärker zur zentralen<br />

Voraussetzung für e<strong>in</strong>e zugleich stabile Landbewirtschaftung.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

133


Walter Danner<br />

Umsetzung von Market<strong>in</strong>gkonzepten<br />

für die Land- und<br />

Forstwirtschaft <strong>in</strong> Verfahren der<br />

<strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

Die Arbeit mit Umsetzungsberatern ist e<strong>in</strong> relativ neues<br />

Instrument im Bereich des Naturschutzes und der Regionalentwicklung.<br />

Das Projekt Marchetsreut ist me<strong>in</strong>es<br />

Wissens das erste Verfahren der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

bei dem Umsetzungs- und Market<strong>in</strong>gberater e<strong>in</strong>gesetzt<br />

wurden. Es ist <strong>in</strong> diesem E<strong>in</strong>satzbereich e<strong>in</strong>e große <strong>Entwicklung</strong>sdynamik<br />

vorhanden, weil noch ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gefahrenen<br />

Strukturen vorhanden s<strong>in</strong>d. Das Beispiel<br />

Marchetsreut ist deshalb nur e<strong>in</strong>e Momentaufnahme und<br />

nicht beliebig übertragbar. Entscheidend ist die Vorgehensweise.<br />

Wir bieten ke<strong>in</strong>e Standardlösungen, sondern<br />

entwickeln zusammen mit den Betroffenen »Maßanzüge«,<br />

die auch passen. Jedes Umsetzungsprojekt hat se<strong>in</strong>en<br />

eigenen Charakter, der von der Ausgangssituation, wie<br />

— Zielsetzungen,<br />

— Ausstattung der Landschaft mit Biotopen,<br />

— Situation der Landwirtschaft im Verfahren,<br />

— engagierte Menschen im Projekt,<br />

— Engagement des Bürgermeisters,<br />

— Engagement der Verwaltung ausgeht.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Die Situation<br />

Verfahren der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> beziehen sich<br />

auch heute noch fast ausschließlich auf die Produktionsstruktur.<br />

Das Problem heute ist, daß die Hauptwertschöpfung<br />

<strong>in</strong> den nachgelagerten Bereichen, <strong>in</strong> Verarbeitung<br />

und Vermarktung erzielt wird. Fast jede Investition<br />

<strong>in</strong> Verarbeitung und Vermarktung ist heute rentabler<br />

als die Investition <strong>in</strong> die landwirtschaftliche Produktion.<br />

E<strong>in</strong> anderer Gesichtspunkt ist die <strong>Entwicklung</strong> neuer E<strong>in</strong>kommensmöglichkeiten,<br />

die fast oder gar nichts mehr mit<br />

der landwirtschaftlichen Urproduktion zu tun haben. Für<br />

diesen Bereich gibt es <strong>in</strong> der bisherigen Beratungsstruktur<br />

für die Landwirte ke<strong>in</strong>erlei Angebot. Ökologische Werte,<br />

die die Gesellschaft e<strong>in</strong>fordert, aber den landwirtschaftlichen<br />

E<strong>in</strong>zelbetrieb e<strong>in</strong>schränken, wurden <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />

<strong>in</strong> Verfahren der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> oft überhaupt<br />

nicht berücksichtigt.<br />

Neuer Denk- und Handlungskontext<br />

»E<strong>in</strong> Problem kann nie im selben Kontext gelöst werden,<br />

<strong>in</strong> dem es entstanden ist.«<br />

Albert E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong><br />

— Haben bisher die Naturschützer Naturschutz gemacht?<br />

— Haben bisher die Landwirte Landwirtschaft gemacht?<br />

— Haben bisher die Händler die Vermarktung gemacht?<br />

Der neue Denkansatz »Neue Landnutzungskonzepte«<br />

<strong>in</strong>tegriert alle Handlungs- und Wirtschaftsbereiche e<strong>in</strong>er<br />

Region oder e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de.<br />

Positionierungsmatrix der verschiedenen Denk- und<br />

Handlungsansätze <strong>in</strong> Landwirtschaft und Naturschutz<br />

Ökologie<br />

Ehrenamtlicher<br />

Naturschutz<br />

● ●<br />

Landschaftspflege<br />

● Biologischer<br />

Landbau<br />

Ökonomie<br />

● NEUE<br />

LANDNUTZUNGS-<br />

KONZEPTE<br />

● Integrierter<br />

Landbau<br />

● Konventionelle<br />

Landwirtschaft<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

135


Was nicht gedacht wird, entsteht nicht. Davon ausgehend<br />

müssen neue Denk- und Handlungsansätze <strong>in</strong> der<br />

Landwirtschaft und im Natursch utz entwickelt werden.<br />

Dazu haben wir die Positionierungsmatrix der verschiedenen<br />

Denk- und Handlungsansätze entwickelt. Auf der<br />

nebenstehenden Graphik ist die Positionierung des neuen<br />

Denkansatzes dargestellt. Mit diesem neuen Denkansatz<br />

der »Neuen Landnutzungskonzepte« soll gleichzeitig die<br />

Ökonomie und die Ökologie zu 100 % entwickelt werden.<br />

(Graphik s. S. 135) Naturschützer haben bisher fast ausschließlich<br />

<strong>in</strong> Ökologie- und <strong>in</strong> Schutzkategorien gedacht.<br />

Wirtschaftliche Interessen der Landnutzer spielten dabei<br />

kaum e<strong>in</strong>e Rolle. Die Landwirtschaft hat ausschließlich <strong>in</strong><br />

ökonomischen Kategorien gedacht. Ökologische Gesichtspunkte<br />

spielten ke<strong>in</strong>e Rolle. Mittlerweile gibt es ganz vorsichtige<br />

Schritte, sich von diesen e<strong>in</strong>seitigen Standpunkten<br />

zu lösen. Zu beachten ist dabei, daß sich der neue<br />

Ansatz auf Landschaftsräume bezieht und nicht auf den<br />

E<strong>in</strong>zelbetrieb beschränkt ist. Die Denk-Beschränkung auf<br />

den E<strong>in</strong>zelbetrieb hat uns viele Probleme gebracht. Diesen<br />

Fehler dürfen wir nicht wieder machen. Trotzdem ist e<strong>in</strong><br />

ausreichendes E<strong>in</strong>kommen des E<strong>in</strong>zelbetriebs sicherzustellen.<br />

Ziel ist es, e<strong>in</strong>e Struktur <strong>in</strong> der Landwirtschaft zu entwickeln,<br />

die neben der rentablen Produktion und Vermarktung<br />

als Koppelprodukt ökologische Werte produziert.<br />

Das bedeutet <strong>in</strong> der Praxis:<br />

— enge Zusammenarbeit und Kommunikation aller<br />

Beteiligten<br />

— Strategiewechsel: von der Schutzstrategie zur <strong>in</strong>telligenten<br />

Nutzstrategie<br />

— Erhöhung der Wertschöpfung unabhängig von der<br />

landwirtschaftlichen Urproduktion<br />

— Neue Denkmodelle über das Übliche h<strong>in</strong>aus<br />

Das Verfahren Marchetsreut<br />

Marchetsreut liegt im Bayerischen Wald <strong>in</strong> der<br />

Geme<strong>in</strong>de Perlesreut, Landkreis Freyung-Grafenau.<br />

Stand des Verfahrens<br />

— Neuverteilung ist abgeschlossen<br />

— Biotopvernetzungskonzept, das mehr als 10 % der<br />

Gesamtfläche ausmacht<br />

— Forschungsprojekt der Uni Stuttgart Hohenheim<br />

Aufgabenstellung für das Team für angewandte<br />

Ökologie<br />

— Integration der Biotopflächen <strong>in</strong> die landwirtschaftliche<br />

Produktion<br />

— Verwertung des Grünlandes mit Schnittzeitpunkt über<br />

die Tierhaltung<br />

— <strong>Entwicklung</strong> neuer E<strong>in</strong>kommensmöglichkeiten<br />

— Optimale Nutzung der staatlichen Programme durch<br />

die Landwirte<br />

Engpässe<br />

— Perspektivlosigkeit <strong>in</strong> vielen landwirtschaftlichen<br />

Betrieben<br />

— Schwieriges Gelände<br />

— Viele Nebenerwerbsbetriebe<br />

— Fehlendes Management und Market<strong>in</strong>g-Know-how<br />

bei den Landwirten<br />

Vorgehensweise<br />

In e<strong>in</strong>er Informationsveranstaltung wurden alle Landwirte<br />

von der Beratungsmöglichkeit <strong>in</strong>formiert. Anschließend<br />

wurden alle Betriebe e<strong>in</strong>zelbetrieblich beraten. Das<br />

Hauptziel der e<strong>in</strong>zelbetrieblichen Beratung war die <strong>Entwicklung</strong><br />

e<strong>in</strong>er Zukunftsperspektive für die Familie und<br />

den Betrieb. Nach dem ersten Beratungsdurchgang wurden<br />

die Ergebnisse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Arbeitskreis <strong>in</strong> mehreren<br />

Sitzungen besprochen und die Umsetzungsmöglichkeiten<br />

diskutiert. In der gesamten Beratungsphase wurde enger<br />

Kontakt mit dem Amt für Landwirtschaft und Ernährung<br />

<strong>in</strong> Waldkirchen gehalten.<br />

Vernetzung<br />

Von Anfang an wurde darauf geachtet, daß ke<strong>in</strong>e isolierten<br />

E<strong>in</strong>zelmaßnahmen durchgeführt wurden. E<strong>in</strong>e<br />

Vernetzung der Maßnahmen sollte die Tragfähigkeit des<br />

Gesamtkonzeptes erhöhen. In der Abbildung ist die Vernetzungsstruktur<br />

des Verfahrens Marchetsreut dargestellt.<br />

Jede Maßnahme sollte nach dem Pr<strong>in</strong>zip der Mehrfachnutzung<br />

mehrere Nutzenfaktoren <strong>in</strong> verschiedenen Bereichen<br />

haben (Graphik s. S. 137).<br />

E<strong>in</strong> Beispiel für das Pr<strong>in</strong>zip der Mehrfachnutzung ist die<br />

E<strong>in</strong>führung der R<strong>in</strong>derrasse der P<strong>in</strong>zgauer. Folgende<br />

Nutzenfaktoren wurden berücksichtigt:<br />

— hervorragende Eignung für die Mutterkuhhaltung,<br />

— W<strong>in</strong>terhärte,<br />

— leichtgebärend und damit arbeitssparend,<br />

— Schonung der steilen, trittempf<strong>in</strong>dlichen Weiden,<br />

— Werbefaktor <strong>in</strong> der Fleischvermarktung,<br />

— Bei der Wiedere<strong>in</strong>führung gut geeignet für die Öffentlichkeitsarbeit,<br />

— Alte, gefährdetet R<strong>in</strong>derrasse: E<strong>in</strong>führung br<strong>in</strong>gt gutes<br />

Image,<br />

— hohe Fleischqualität,<br />

— Market<strong>in</strong>g: Produktdifferenzierung zu Fleckvieh und<br />

Angus.<br />

Jeder e<strong>in</strong>zelne Faktor br<strong>in</strong>gt Stabilität <strong>in</strong> das Gesamtprojekt.<br />

Das wäre <strong>in</strong> dieser Breite mit Fleckvieh oder<br />

Angus nicht zu erreichen gewesen.<br />

136 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Landschaftspflegemittel<br />

Ergebnisse<br />

F<strong>in</strong>anzierung<br />

Landschaftspflege<br />

Untere<br />

Naturschutzbehörde<br />

Team für angewandte<br />

Ökologie<br />

Zuerwerb<br />

5 b-Stelle<br />

1. <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong>es Kooperationsmodells zwischen<br />

zwei Landwirten mit Mutterkuhhaltung und Bau<br />

e<strong>in</strong>es Modellstalles<br />

Zwei Betriebe (10 Kühe/3Kühe) haben als Folge der<br />

Beratung von der Milchviehhaltung auf Mutterkuhhaltung<br />

umgestellt. Beide Betriebe waren arbeitszeitmäßig stark<br />

belastet. Die Umstellung auf die Mutterkuhhaltung brachte<br />

e<strong>in</strong>e entscheidende Entlastung für beide Familien. Die<br />

Stallarbeitszeit des größeren Betriebes sank von ca.<br />

7 Stunden pro Tag auf ca. 30 M<strong>in</strong>uten. Das war <strong>in</strong> diesem<br />

Betrieb besonders wichtig, weil er im Haupterwerb noch<br />

e<strong>in</strong>e Bürstenholzfabrik betreibt.<br />

Als weitere Maßnahme wurde e<strong>in</strong> Mutterkuhstall<br />

gebaut. Der Stall wurde als Laufstall mit E<strong>in</strong>streu konzipiert.<br />

E<strong>in</strong>e Konzeption mit Gülle wurde aus ökologischen<br />

Gründen bewußt vermieden. Die Wiesen und Weiden der<br />

beiden Betriebe hatten noch e<strong>in</strong>e reichhaltige Flora und<br />

Fauna, weil bisher nur mit Stallmist gedüngt wurde. Bei<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Schober<br />

Verfahren der<br />

ländlichen<br />

<strong>Entwicklung</strong><br />

Alte Rassen<br />

Ausbildung<br />

Werbung<br />

Vermarktung<br />

Verfahren Marchetsreut<br />

Forschungsprojek<br />

Mutterkuhhaltung<br />

Modellstall<br />

Amt für Landwirtschaft<br />

Weidegeme<strong>in</strong>schaft<br />

Wirtschaftlichkeit<br />

Arbeitszeit<br />

e<strong>in</strong>er Gülledüngung wären viele Pflanzen- und Tierarten<br />

<strong>in</strong>nerhalb weniger Jahre verschwunden gewesen. Damit<br />

wurde <strong>in</strong> der Struktur e<strong>in</strong>e ökologisch s<strong>in</strong>nvolle Lösung<br />

festgelegt und gleichzeitig wurden die Ansprüche der<br />

Landwirtsfamilien voll berücksichtigt. Mit dieser Lösung<br />

wurden auch die Forderungen des Landschaftspflegekonzeptes<br />

voll erfüllt. E<strong>in</strong> weiterer Vorteil der Festmistlösung<br />

ist, daß hier auch das Grüngut aus der Pflege von<br />

Feuchtflächen als E<strong>in</strong>streu (Pr<strong>in</strong>zip der Mehrfachnutzung)<br />

genutzt werden kann. Bei der Umstellung von Milchviehauf<br />

Mutterkuhhaltung wurde auch die R<strong>in</strong>derrasse<br />

gewechselt. Die Gründe für diesen Wechsel s<strong>in</strong>d bereits<br />

weiter oben dargestellt. E<strong>in</strong> Wermutstropfen ist, daß entgegen<br />

der Me<strong>in</strong>ung der Berater der Stall zu aufwendig<br />

und zu teuer gebaut wurde. Doch die Landwirte wollten<br />

das so: »Wenn wir schon nicht <strong>in</strong> den Urlaub fahren, dann<br />

wollen wir wenigstens e<strong>in</strong>en schönen Stall«. Das ist wieder<br />

e<strong>in</strong> Beispiel dafür, daß <strong>in</strong> der Praxis nicht ausschließlich<br />

die knallharte betriebswirtschaftliche Kalkulation, sondern<br />

andere Faktoren für e<strong>in</strong>e Investitionsentscheidung ausschlaggebend<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

137


2. Fleischvermarktung auf dem Seidlhof<br />

Um auch <strong>in</strong> Zukunft noch e<strong>in</strong>e Perspektive als Haupterwerbsbetrieb<br />

zu haben, hat sich die Familie Seidl entschlossen<br />

e<strong>in</strong>e Fleischvermarktung für ihre Kalb<strong>in</strong>nen und<br />

Rothirsche aufzubauen. Mit Unterstützung des Market<strong>in</strong>gberaters<br />

im Team für angewandte Ökologie wurde e<strong>in</strong><br />

Market<strong>in</strong>gkonzept und entsprechende Werbemittel entwickelt<br />

und umgesetzt. Für die Vermarktung wurden e<strong>in</strong><br />

Kühl-, Zerlege- und Verkaufsraum gebaut. Diese Investition<br />

wurde mit 5b-Mitteln gefördert.<br />

Die Produkte und der Service wurden genau auf die<br />

Zielgruppe abgestimmt. Bisher gab es oft Probleme, wenn<br />

Landwirte R<strong>in</strong>dfleisch <strong>in</strong> 10 kg-E<strong>in</strong>heiten verkauften.<br />

Der Kundenkreis war relativ begrenzt, weil nur wenige<br />

Hausfrauen wissen , wie sie mit 10 kg-»Fleisch-Klumpen«<br />

umgehen sollen. Die Engpässe und Verkaufsh<strong>in</strong>dernisse<br />

wurden geme<strong>in</strong>sam von Familie Seidl und Berater<br />

ermittelt und beschrieben. Daraufh<strong>in</strong> wurde das eigene<br />

Angebot formuliert. Das Resultat ist, daß der Seidlhof<br />

von Anfang an mehr Kunden als Ware hat. Die Anlaufphase,<br />

die bei fast allen Vermarktungsprojekten auftritt,<br />

wurde hier bewußt vermieden und überkompensiert.<br />

E<strong>in</strong> Vorteil der Fleischvermarktung gegenüber e<strong>in</strong>er<br />

herkömmlichen Produktionssteigerung ist, daß die K<strong>in</strong>der<br />

der Familie Seidl, die bereits berufstätig s<strong>in</strong>d, sich jetzt<br />

wieder <strong>in</strong> der Landwirtschaft beteiligen können. In der<br />

Produktion können sie aus Berufsgründen nicht mithelfen.<br />

In der Vermarktung kommt ihnen ihre Berufstätigkeit entgegen.<br />

Sie verkaufen das Fleisch auch an ihre Berufskollegen.<br />

3. Von Schafen zu Auerochsen<br />

E<strong>in</strong> Nebenerwerbsbetrieb hatte ke<strong>in</strong>e Lust mehr, Schafe<br />

zu halten. Sie machen das ganze Jahr Arbeit und dann<br />

wollte ke<strong>in</strong>er das Schaffleisch. An e<strong>in</strong>em Arbeitskreistreffen<br />

wurde die Idee geboren, Auerochsen zu halten.<br />

Mittlerweile halten zwei Betriebe Auerochsen. »Unsere<br />

Auerochsen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Stück Lebensqualität«, sagt dazu die<br />

Nebenerwerbsbäuer<strong>in</strong> Anneliese Fuchs. Lebensqualität ist<br />

hier der entscheidende Begriff. Es geht <strong>in</strong> Nebenerwerbsbetrieben<br />

nicht mehr nur um die Wirtschaftlichkeit. Wer<br />

jeden Nebenerwerbsbetrieb ökonomisch maximieren will,<br />

versteht die heutige Landwirtschaft nicht. Wenn Bankiers<br />

Höfe kaufen und sich als Hobby sündhaftteure Highland-<br />

Cattle halten, dann können auch Nebenerwerbslandwirte<br />

ihren Betrieb ganz oder teilweise als Hobby sehen. Wenn<br />

dann auch noch was ver<strong>dient</strong> ist, so ist das doppelt gut.<br />

4. Biotope <strong>in</strong> die Landwirtschaft<br />

80% der Biotopflächen s<strong>in</strong>d direkt <strong>in</strong> die landwirtschaftliche<br />

Produktion <strong>in</strong>tegriert. Die Landwirte haben<br />

für diese Flächen das Kulturlandschaftsprogramm abgeschlossen<br />

und erhalten für die Bewirtschaftung<br />

650 DM/ha. Nur Feuchtflächen und nicht mähbare<br />

Flächen werden über die Landschaftpflege gepflegt.<br />

5. Landschaftspflege<br />

E<strong>in</strong> Landwirt aus dem Verfahrensgebiet hat die Landschaftspflege<br />

für die nicht bewirtschaftbaren Flächen<br />

übernommen. Für ihn ist es e<strong>in</strong> Zusatze<strong>in</strong>kommen. Da alle<br />

Biotopflächen <strong>in</strong> den Besitz der Geme<strong>in</strong>de Perlesreut<br />

übergegangen s<strong>in</strong>d, ist die Pflege und Bewirtschaftung<br />

dieser Flächen langfristig gesichert.<br />

138 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


6. Akzeptanz<br />

80 % aller Landwirte haben sich <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Form an<br />

diesem Projekt beteiligt und e<strong>in</strong>en Beratungsvorschlag<br />

umgesetzt.<br />

Probleme bei der Umsetzung<br />

Fehlende Zeit<br />

Innerhalb von e<strong>in</strong>em oder zwei Jahren ist e<strong>in</strong>e<br />

Geme<strong>in</strong>de, e<strong>in</strong>e Gruppe von Bauern nicht neu auszurichten.<br />

Die Projektdauer sollte sich zwischen fünf und sieben<br />

Jahren erstrecken. Es müssen für die Zukunft noch Wege<br />

gefunden werden, die Arbeit langfristig zu etablieren.<br />

Ke<strong>in</strong>e »sichtbaren« Ergebnisse <strong>in</strong> Beton gegossen<br />

E<strong>in</strong> neue Straße oder e<strong>in</strong>en Gehweg sieht Jeder. Daß die<br />

Landschaft so geblieben ist, daß Bauern weiterexistieren,<br />

sieht man nicht. Daß viele Landwirte wieder e<strong>in</strong>e Perspektive<br />

haben, sieht ke<strong>in</strong>er. Daß die Landwirte durch die optimale<br />

Nutzung der staatliche Förderprogramme mehr Geld<br />

auf dem Konto haben, sieht ke<strong>in</strong>er. Das ist der H<strong>in</strong>tergrund,<br />

wenn es heißt, die Umsetzungsberatung kostet<br />

soviel Geld. Noch wollen viele Landwirte lieber e<strong>in</strong>e neue<br />

Straße als e<strong>in</strong>e neue Perspektive. Auch haben noch viele<br />

Menschen <strong>in</strong> der Verwaltung Hemmungen mit e<strong>in</strong>em<br />

immateriellen Gut, wie Know-how umzugehen. Um e<strong>in</strong>e<br />

Parallele zur Computertechnik zu ziehen: Es wird sich<br />

auch hier die Erkenntnis durchsetzen, daß die Software<br />

(Know-how) m<strong>in</strong>destens so wichtig ist wie die Hardware<br />

(neue Straßen).<br />

Das kann das Market<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Verfahren der<br />

<strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> und <strong>in</strong><br />

Dorferneuerungsverfahren br<strong>in</strong>gen:<br />

— Neuen Beratungsansatz, der völlig anders ist als der<br />

bisher übliche <strong>in</strong> der Landwirtschaftsberatung.<br />

— Neue Denk- und Handlungsansätze aus dem<br />

Market<strong>in</strong>g.<br />

— Professionelle Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen.<br />

— <strong>Entwicklung</strong> von Produktionsdenken zum Market<strong>in</strong>gdenken<br />

<strong>in</strong> der Landwirtschaft.<br />

— Höhere Wertschöpfung für die Landwirte als Beitrag<br />

zur Existenzsicherung landwirtschaftlicher Betriebe.<br />

— Neue Perspektiven für Landwirte über die Produktion<br />

h<strong>in</strong>aus.<br />

— Besseres Image und höhere Akzeptanz für die<br />

Verfahren der Direktionen für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>,<br />

weil sie damit an der Spitze der Regionalentwicklung<br />

stehen.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

139


Arbeitskreis 4:<br />

Dorfentwicklung<br />

Peter Jahnke<br />

Neue Wege <strong>in</strong> der Dorfentwicklung<br />

– von der Expertenplanung<br />

zur Moderation<br />

E<strong>in</strong>führung<br />

Die Planungskultur hat sich <strong>in</strong> den letzten Jahren<br />

grundlegend geändert. Das ist nicht nur die Erkenntnis<br />

von uns, sondern es ist e<strong>in</strong> Resumee der bekannten<br />

Schweizer Planungszeitschrift DISP, die von der ETH<br />

Zürich herausgegeben wird, und die vergleichende<br />

Untersuchungen über die Planungskultur <strong>in</strong> Europa<br />

angestellt hat.<br />

Vier Schlüsselbegriffe bestimmen unsere heutige<br />

Planungskultur:<br />

— Komplexität,<br />

— Kooperation,<br />

— Konzentration,<br />

— Kompetenz.<br />

Komplexität<br />

Die Komplexität der Aufgabenstellung auch <strong>in</strong> unseren<br />

Dörfern läßt sich deutlich an der Problemlage erkennen,<br />

wie zum Beispiel:<br />

— E<strong>in</strong>bußen lokaler Autonomie,<br />

— Verschüttete Eigenkraft,<br />

— Krise <strong>in</strong> der Landwirtschaft,<br />

— Infrastrukturelle Mängel (<strong>in</strong>sbes. bei der sozialen<br />

Infrastruktur),<br />

— Bauliche Fehlentwicklungen, Gestaltprobleme,<br />

— Kommerzielle Bauleitplanung,<br />

— Fehlende Wirtschaftskraft,<br />

— Verkehrsprobleme,<br />

— Ökologische Mängel.<br />

All diese Probleme können nur im Zusammenhang<br />

gesehen werden, da gerade die Wirkungen der Probleme<br />

untere<strong>in</strong>ander von maßgeblicher Bedeutung für das Dorf<br />

s<strong>in</strong>d. Das Wirkungsgefüge verlangt deshalb die volle Aufmerksamkeit<br />

des Planers. E<strong>in</strong>e sektorale Betrachtungsweise<br />

wird zu e<strong>in</strong>em sektoralen Ergebnis führen, womit<br />

dem Gesamtvorhaben oft nicht ge<strong>dient</strong> ist. Komplex verflochtene<br />

Strukturen verlangen komplexe Handlungsansätze<br />

und e<strong>in</strong> komplexes System von Interaktionen.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Kooperation<br />

Die Verzahnung von Problemfeldern macht e<strong>in</strong>e kooperative<br />

Zusammenarbeit unserer gesamten Gesellschaft<br />

notwendig. Das beg<strong>in</strong>nt damit, daß die Probleme des<br />

ländlichen Raumes nicht alle<strong>in</strong>e im ländlichen Raum zu<br />

lösen s<strong>in</strong>d, sondern nur im Zusammenwirken von <strong>Stadt</strong><br />

und Land. Das Land braucht die <strong>Stadt</strong> z. B. als Markt und<br />

die <strong>Stadt</strong> braucht das Land z. B. für Freizeit und Erholung,<br />

Regeneration des Seelenlebens. Weiter sollten auf der<br />

1. horizontalen Ebene<br />

— Planungen die Grenzen überschreiten, um anzuknüpfen,<br />

— Ressorts und Diszipl<strong>in</strong>en zusammenarbeiten,<br />

— Öffentliche und nichtöffentliche Akteure zusammenarbeiten<br />

und sollte auf der<br />

2. vertikalen Ebene<br />

— Grundlage aller <strong>Entwicklung</strong>splanungen die Partizipation<br />

der Bürger se<strong>in</strong>, mit dem Planungspr<strong>in</strong>zip: »von<br />

unten nach oben«!<br />

Konzentration<br />

Nicht mehr die flächenhafte Planung entspricht den<br />

heutigen Anforderungen, sondern die prozeßhafte<br />

Planung, die aufgaben- und zielorientiert sich auf bestimmte<br />

<strong>in</strong>haltliche oder räumliche Bereiche schrittweise<br />

verdichtet und <strong>in</strong> Rückkoppelungsschritten sich selbst<br />

überprüft. Dazu s<strong>in</strong>d maßgeschneiderte Organisationsformen<br />

notwendig, um die spezifischen Aufgabenstellungen<br />

zu lösen. Anstatt flächendeckender Maßnahmen,<br />

wie Straßenraumgestaltungen, sollten Schlüsselprojekte<br />

angegangen werden, die sich nicht nur auf Bauaufgaben<br />

beschränken, sondern materielle und immaterielle Inhalte<br />

mite<strong>in</strong>ander verb<strong>in</strong>den. Neben den Begriffen der technischen<br />

und der sozialen Infrastruktur taucht hier der<br />

Begriff der »geistigen Infrastruktur«, als neuer wichtiger<br />

Faktor für unsere Gesellschaft auf, der nur durch<br />

Bewußtse<strong>in</strong>sbildung zu erreichen ist.<br />

Kompetenz<br />

Die Rolle des Planers hat sich dabei zwangsweise verändert.<br />

Er ist immer mehr Moderator, der die Informationen<br />

der Betroffenen zusammenträgt und strukturiert.<br />

Dabei darf er aber e<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>er wichtigsten Aufgaben nicht<br />

vergessen, nämlich die räumliche Umsetzung von Leitbildern,<br />

Zielvorstellungen, Ideen, Visionen und damit verbundene<br />

kritische Diskussion derselben. Gesamtgesellschaftliche<br />

Werte und Grenzen s<strong>in</strong>d aufzuzeigen z. B. im<br />

ökologischen, ökonomischen, sozialen oder kulturellen<br />

Bereich. In diesem S<strong>in</strong>ne darf ich an das nächste Referat<br />

weitergeben, Herrn Naumann, der aus se<strong>in</strong>er Praxis<br />

berichten wird.<br />

E<strong>in</strong>führungsreferate <strong>in</strong> den Arbeitskreis 4<br />

141


Zusammenfassung<br />

Wir haben <strong>in</strong>tensiv mite<strong>in</strong>ander gearbeitet, und es gab<br />

große Geme<strong>in</strong>samkeiten. Es ist gut, wenn man das Gefühl<br />

hat, daß man nicht alle<strong>in</strong>e draußen arbeitet, häufig <strong>in</strong><br />

Gesetzesnischen re<strong>in</strong>kommt, sich mit den Beteiligten<br />

ärgert, wo man manchmal aufgibt, wo man resigniert hat<br />

und sagt: Hat das eigentlich e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, das ist e<strong>in</strong>e<br />

Sisyphusarbeit. Wenn hier heute 50 Leute da waren, den<br />

ganzen Tag gearbeitet haben und zu geme<strong>in</strong>samen<br />

Ergebnissen kamen, glaube ich, können wir geme<strong>in</strong>sam<br />

gestärkt h<strong>in</strong>ausgehen. E<strong>in</strong> wichtiger Begriff am Anfang<br />

des Tages war die Komplexität und ich denke, es war e<strong>in</strong><br />

sehr komplexer Tag. Er war so komplex, daß es schwer<br />

fällt, e<strong>in</strong>e Zusammenfassung zu machen, e<strong>in</strong> Resumee zu<br />

ziehen.<br />

Wir waren froh, daß die Gruppe 5 das Thema »Identität«<br />

auch bearbeitet und das »Wie ist es« <strong>in</strong> e<strong>in</strong> besser passendes<br />

»Was ist das« geändert hat.<br />

Von verschiedenen Gruppen wurde häufig das Problem<br />

»Recht« genannt. Eigentlich e<strong>in</strong> trockener Begriff, der<br />

sicherlich nicht so trocken ist, wenn z. B. das Baurecht<br />

anzuwenden ist auf Handwerksbetriebe, bei denen es um<br />

die Existenz geht, auf Landwirtschaftsbetriebe, wo sie sich<br />

ausdehnen können. Ist dieses Baurecht, das von Städtern<br />

gemacht wurde, tatsächlich noch Baurecht, das auf dem<br />

Land gelten kann? Muß sowas nicht überdacht werden<br />

und selbst das Flurbere<strong>in</strong>igungsrecht, das auf dem Land<br />

aus den Bedürfnissen des Landes heraus entstanden ist,<br />

ist möglicherweise nicht mehr zeitgemäß. Wir sehen es an<br />

dem Wunsch, die fünfzehnjährige Amtszeit des Vorstandes<br />

auf sechs Jahre zu verkürzen, um die Geme<strong>in</strong>samkeiten<br />

zwischen Geme<strong>in</strong>derat und dem Vorstand als<br />

Entscheidungsgremium wieder zusammenzubr<strong>in</strong>gen.<br />

Es ist schön, daß darüber nachgedacht wurde, e<strong>in</strong><br />

Planungsdrehbuch zu schreiben. Wir wollten Möglichkeiten<br />

aufzeigen, daß eben dieses Planungsdrehbuch, so<br />

wie Sie es heute vorgefunden haben für unsere Veranstaltung,<br />

draußen gemacht wird, als Grundlage für e<strong>in</strong>e<br />

geme<strong>in</strong>same Bewußtse<strong>in</strong>sf<strong>in</strong>dung. Die ist notwendig, wie<br />

wir es gesehen haben, bei der Ökologie, wo es um e<strong>in</strong><br />

geme<strong>in</strong>sames Wertebewußtse<strong>in</strong> geht. Ohne dieses Wertebewußtse<strong>in</strong><br />

werden wir auch wenig Akzeptanz haben. Ich<br />

kenne genügend Landwirte, die wir auch <strong>in</strong> unseren<br />

geme<strong>in</strong>samen Sem<strong>in</strong>aren, <strong>in</strong> unseren Schulen hatten, die<br />

engagiert über ökologische Probleme reden und die engagiert<br />

dort mitdenken. Sie haben den Zugang gefunden zu<br />

dem Thema, weil sie erkannt haben, daß Ökologie langfristig<br />

ökonomisch ist.<br />

Von der Mono- zur Multistruktur — daraus Arbeitsplätze<br />

entwickeln. Etwas ganz wichtiges, mite<strong>in</strong>ander verknüpfen,<br />

was bei der Gruppe »Geme<strong>in</strong>schaft« angeklungen<br />

ist. Daß Arbeit mit Aufgaben <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de verbunden<br />

ist oder von Aufgaben <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de Arbeit wieder erzeugt<br />

werden kann. Wir haben solche Beispiele, wo nicht<br />

mehr der Bauhof den W<strong>in</strong>terräumdienst übernimmt, son-<br />

dern wo ihn die Landwirte übernehmen, genauso wie Aufgaben<br />

<strong>in</strong> der Infrastrukturbereitstellung, für den Fremdenverkehr<br />

usw. Es g<strong>in</strong>g von den Aufgaben aus, die geme<strong>in</strong>sam<br />

im Dorf wieder gefunden werden müssen, wo das<br />

Bewußtse<strong>in</strong> dafür gefunden werden muß, daß Aufgaben<br />

nur geme<strong>in</strong>sam gelöst werden können. Da ist auch Arbeit<br />

mit Profit verbunden.<br />

Ganz wichtig ist die Eigenverantwortung. Die Eigenverantwortung<br />

mit der Schärfung der S<strong>in</strong>ne für die<br />

Probleme. Wo wir die Tradition nicht undiskutiert übernehmen<br />

müssen. Wir haben nicht mehr das Dorf der<br />

Sozialhierarchie, wir haben e<strong>in</strong> neues Dorf mit neuen<br />

Werten, die aus der Vergangenheit aber heraus transformiert<br />

worden s<strong>in</strong>d. Das heißt eben nicht, daß wir heute<br />

alle Sprossenfenster und Kopfste<strong>in</strong>pflaster haben müssen.<br />

Das Dorf ist e<strong>in</strong>e moderne Lebense<strong>in</strong>heit, wo gerade<br />

die Chancen, die Nischen da s<strong>in</strong>d für multistrukturelle<br />

Arbeitsplätze, wo Chancen da s<strong>in</strong>d für ökologische<br />

Betriebe nicht nur im landwirtschaftlichen Bereich,<br />

sondern z. B. im Forschungsbereich.<br />

Wir hatten heute alle mite<strong>in</strong>ander Geduld, nur mit dieser<br />

Geduld kommt man zu e<strong>in</strong>em Ergebnis und ich b<strong>in</strong><br />

dankbar dafür, daß Sie trotz der schlechten akustischen<br />

Verhältnisse durchgehalten haben. Gerade für die ausländischen<br />

Gäste unter uns war es schwierig deutsch zu verstehen,<br />

dafür me<strong>in</strong>e ich sollten wir extra e<strong>in</strong>mal klopfen.<br />

Und diese Geduld sollten wir verbunden mit dem Zuhören,<br />

was andere zu sagen haben, e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> unsere<br />

Planung vor Ort. Dann werden wir Erfolg haben, dann<br />

können wir alle geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong> unserer Arbeit weiter<br />

machen, die em<strong>in</strong>ent politisch ist. Seien wir froh, daß<br />

wir alle die Chancen haben, <strong>in</strong> der Politik mitwirken zu<br />

können durch unseren Beruf, oder unsere Funktion. Das<br />

haben vor uns Generationen versäumt und bedauert. Es<br />

wäre wichtig gewesen. In diesem S<strong>in</strong>ne wünsche ich<br />

Ihnen noch e<strong>in</strong>en guten Verlauf der Tagung und hoffe,<br />

daß Sie etwas mitgenommen haben.<br />

142 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Fritz Auweck<br />

Dorfentwicklung im Verbund<br />

Ich darf Ihnen e<strong>in</strong>en kurzen Bericht über Erfahrungen<br />

aus e<strong>in</strong>em Projekt geben, bei dem das erste Mal die Dorfentwicklung<br />

über die örtlichen Grenzen e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de<br />

h<strong>in</strong>ausgeht.<br />

Aufgabenstellung<br />

Das Projekt liegt im Dreieck zwischen Füssen, Schongau<br />

und Markt Oberdorf. Im letzten Jahrhundert hat e<strong>in</strong>e<br />

Gebietsreform e<strong>in</strong>en zusammengehörigen Kulturraum, <strong>in</strong><br />

dessen Mitte der Auerberg liegt, der kulturgesschichtlich<br />

von hoher Bedeutung ist, geteilt. Daß die Auerbergler seit<br />

hundert Jahren <strong>in</strong> verschiedene Organisationsstrukturen<br />

aufgeteilt s<strong>in</strong>d, führt dazu, daß die K<strong>in</strong>der und die Verwaltungse<strong>in</strong>heiten<br />

ause<strong>in</strong>andertriften, daß die Teilung wirkt<br />

<strong>in</strong> vielen Bereichen der Infrastruktur, des Sozialen und der<br />

Wirtschaft. Ferner hat e<strong>in</strong>e Untersuchung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dieser<br />

Orte gezeigt, daß etwa 72 % des Kaufkraftvolumens <strong>in</strong> die<br />

umliegenden Städte abfließt, daß Waren und Produkte im<br />

wesentlichen von außerhalb e<strong>in</strong>gekauft werden und auch<br />

die Freizeitaktivitäten außen stattf<strong>in</strong>den. Um diesen Tendenzen<br />

zu begegnen, haben sich die neun Geme<strong>in</strong>den<br />

Lechbruck, Roßhaupten, Stötten, Rettenbach auf der<br />

schwäbischen Seite und Bernbeuren, Burggen, Schwabbruck,<br />

Schwabsoien und Ingenried auf der oberbayerischen<br />

Seite entschlossen, e<strong>in</strong>en formlosen Zusammenschluß<br />

<strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er kommunalen Allianz zu bilden. Sie<br />

wollen sich geme<strong>in</strong>sam weiter entwickeln und sich gegenseitig<br />

ergänzen. Das Gebiet besitzt e<strong>in</strong>e Fläche von etwa<br />

22 0000 ha und hat e<strong>in</strong>e Bevölkerung von ca.<br />

13 000 E<strong>in</strong>wohner. Die Bürgermeister dieser Geme<strong>in</strong>den<br />

haben sich Ende 1992 zusammengesetzt und ihre<br />

Erwartungen formuliert:<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

— gegenseitige Ergänzung <strong>in</strong> der Wirtschaft und<br />

Infrastruktur,<br />

— die Geme<strong>in</strong>samkeiten als Stärken weiterentwickeln,<br />

— die Identität durch die Stärkung dieses geme<strong>in</strong>samen<br />

Kulturraumes zu verbessern<br />

— den Fremdenverkehr weiterzuentwickeln,<br />

— den ländlichen Raum allgeme<strong>in</strong> zu stärken.<br />

Struktur<br />

Die Geme<strong>in</strong>den baten die Verwaltung für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> um Unterstützung bei der Organisation und<br />

Durchführung. Im Frühjahr 1993 wurde <strong>in</strong> der Schule <strong>in</strong><br />

Thierhaupten für Dorf- und Landentwicklung e<strong>in</strong> erstes<br />

Sem<strong>in</strong>ar durchgeführt, wo zu weiteren konkreten Aktionen<br />

Aussagen erarbeitet wurden. Als erstes können wir<br />

feststellen: Wenn wir Dorfentwicklung über die Ortsgrenzen<br />

h<strong>in</strong>aus angehen wollen, dann muß der Anstoß zu<br />

diesem Vorhaben aus den Geme<strong>in</strong>den selbst kommen.<br />

Keimzelle für die überörtliche Allianz dieser <strong>Entwicklung</strong><br />

ist natürlich die Dorfentwicklung <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen neun<br />

Geme<strong>in</strong>den. In jeder der neun Geme<strong>in</strong>den läuft e<strong>in</strong>e<br />

Dorfentwicklung die sich jedoch <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />

Stadien bef<strong>in</strong>den. Während sie <strong>in</strong> Bernbeuren z. B. sehr<br />

weit fortgeschritten ist, beg<strong>in</strong>nt sie <strong>in</strong> anderen Geme<strong>in</strong>den<br />

erst, wie <strong>in</strong> Schwabsoien oder Schwabbruck. Dabei ist e<strong>in</strong><br />

Nachzieheffekt erkennbar. Die kommunale Allianz wächst<br />

durchaus und hat sich erst im Laufe von e<strong>in</strong>em Jahr <strong>in</strong> der<br />

endgültigen Form gebildet. Die 18 Planer <strong>in</strong> den neun<br />

Orten und 60 Arbeitskreise <strong>in</strong> den Dorfentwicklungen mit<br />

zusammen etwa 600 Teilnehmern bilden e<strong>in</strong>e gigantische<br />

Bürgerbewegung und e<strong>in</strong> unbezahlbares Arbeitspotential<br />

vor Ort.<br />

Raumbezug<br />

Wir sehen, daß die Dorfentwicklung auf das e<strong>in</strong>zelne<br />

Dorf beschränkt, nicht mehr ausreicht, um die zukünftigen<br />

Aufgaben zu lösen. Auch bei e<strong>in</strong>em Blick <strong>in</strong> die<br />

Engagierte Teilnehmer diskutieren<br />

im Arbeitskreis<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

143


europäischen Nachbarländer können wir feststellen, daß<br />

e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tegrierte <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong>e Dorfentwicklung<br />

über das e<strong>in</strong>zelne Dorf h<strong>in</strong>aus erfordert. Das e<strong>in</strong>zelne<br />

Dorf kann also nicht mehr alle<strong>in</strong> Handlungsebene se<strong>in</strong> für<br />

die <strong>Entwicklung</strong> von Regionen im ländlichen Raum. Diese<br />

erweiterten Aufgaben ergeben Konsequenzen für den<br />

räumlichen Umgriff der Verfahren. Es zeigt sich, daß der<br />

Verfahrensumgriff alle<strong>in</strong> auf den Ort beschränkt nicht<br />

mehr ausreicht, weil sich durch die Arbeit der Arbeitskreise<br />

Zielvorstellungen und Wünsche nach Maßnahmen<br />

auch <strong>in</strong> der Flur ergeben. Die klassische Trennung Dorfentwicklung<br />

und Flurgestaltung löst sich immer mehr auf<br />

und greift <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander. Es ergibt Auswirkungen auf die<br />

Verfahrensstrukturen. Es stellt sich die Frage: Wie ordnet<br />

man hier an, flächendeckend oder <strong>in</strong>selförmig? Zum<strong>in</strong>dest<br />

muß es möglich se<strong>in</strong>, auch Maßnahmen <strong>in</strong> der Landschaft,<br />

die sich aus der Dorfentwicklung ergeben, umzusetzen.<br />

Welche Regelung hier s<strong>in</strong>nvoll wird, wird die Zukunft zeigen.<br />

Die Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> München für<br />

den oberbayerischen Bereich und die Direktion für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> Krumbach für den schwäbischen<br />

Bereich werden dabei eng zusammenarbeiten müssen.<br />

Regionales Planungsteam<br />

Kooperation über räumliche und sachliche Grenzen<br />

h<strong>in</strong>weg ist bei kommunalen Allianzen unbed<strong>in</strong>gt erforderlich.<br />

Neben den Verwaltungen s<strong>in</strong>d 18 Planer <strong>in</strong> den neun<br />

Geme<strong>in</strong>den vorhanden, die auch koord<strong>in</strong>iert werden müssen.<br />

Wir sehen, Dorfentwicklung im Verbund bedeutet,<br />

daß auf der überörtlichen Ebene e<strong>in</strong> Planungsteam benötigt<br />

wird, das die Koord<strong>in</strong>ations-, Steuerungs- und Moderationsaufgaben<br />

übernimmt. In diesem Fall haben der<br />

Bereich Zentrale Aufgaben (BZA) und das Büro Flurwerkstatt<br />

die Aufgabe übernommen, zu koord<strong>in</strong>ieren und<br />

geme<strong>in</strong>sam mit den neun Geme<strong>in</strong>den Konzepte für e<strong>in</strong><br />

Leitbild und für die Umsetzung von Geme<strong>in</strong>schaftsprojekten<br />

zu erarbeiten. Bei überörtlichen Dorfentwicklungen<br />

ist e<strong>in</strong> Steuerungs- und Organisations<strong>in</strong>strument auf<br />

überörtliche Ebene zum<strong>in</strong>destens für den Zeitraum von<br />

drei bis fünf Jahren <strong>in</strong> der Startphase erforderlich. In diesem<br />

Fall wird das von der Verwaltung für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> übernommen.<br />

Regionales Planungsmodell<br />

Für die bürgerbezogene Planung wurde e<strong>in</strong> Modell entwickelt,<br />

das auf die Leistungen der e<strong>in</strong>zelnen Dorfentwicklungen<br />

aufbaut. Das ist zunächst die Ebene der örtlichen<br />

Arbeitskreise (ca. 60). Darüber aufbauend wurden<br />

zwei weitere Ebenen geschaffen. Die überörtlichen Fachgruppen,<br />

die sich aus der jeweiligen Problematik ergeben.<br />

Bislang s<strong>in</strong>d es die überörtlichen Fachgruppen Landwirtschaft,<br />

Fremdenverkehr und Planung. In Entstehung s<strong>in</strong>d<br />

gerade die überörtlichen Fachgruppen Siedlungsentwicklung,<br />

Natur und Landschaft. Die Thematik der überörtlichen<br />

Fachgruppe wird nicht vom regionalen Planungsteam<br />

bestimmt, sondern durch Aktivitäten, die sich aus<br />

den beteiligten Geme<strong>in</strong>den heraus entwickelt haben. Die<br />

e<strong>in</strong>zelnen örtlichen Arbeitskreise entsenden <strong>in</strong> die über-<br />

örtliche Fachgruppe Vertreter. Dabei werden Fachleute für<br />

Market<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>geschaltet oder auch Exkursionen zu Beispielobjekten<br />

veranstaltet. Darüber angesiedelt ist der<br />

überörtliche Arbeitskreis, <strong>in</strong> dem die neun Bürgermeister<br />

und Vertreter der e<strong>in</strong>zelnen Orte sich zusammenf<strong>in</strong>den,<br />

um geme<strong>in</strong>same Entscheidungen für diese kommunale<br />

Allianz zu treffen. Wir könnten übertragen sagen, die<br />

obere Ebene ist e<strong>in</strong>e Art Regionsrat und darunter s<strong>in</strong>d die<br />

Ausschüsse, die Entscheidungen vorbereiten.<br />

Umsetzungsprojekte<br />

In der Planungspraxis zeigt sich, daß für diese regionalen<br />

<strong>Entwicklung</strong>en lange Zeiträume erforderlich s<strong>in</strong>d. Deshalb<br />

ist ganz wichtig, daß parallel gearbeitet wird. Nämlich<br />

die <strong>Entwicklung</strong> der Konzeption für die »Region« und<br />

gleichzeitig die Durchführung von Umsetzungsprojekten.<br />

Neben der Konzeptionsentwicklung werden gleichzeitig<br />

Maßnahmenprojekte gestartet, um die Motivation zu fördern<br />

und die Umsetzung und Realisierung zu konkretisieren.<br />

Im Auerbergland erarbeiten wir gerade e<strong>in</strong> Wegekonzept<br />

für Freizeit und Erholung, das sehr weit angelegt<br />

ist und z. B. Fragen der Vermarktung, kulturhistorische<br />

Aspekte und Urlaub auf dem Bauernhof mit <strong>in</strong>tegrieren<br />

soll. Auch bei diesen Umsetzungsprojekten heißt es, die<br />

Planungsphilosophie nicht zu verlassen. Wir bemühen<br />

uns, als Fachplaner das Pr<strong>in</strong>zip der Eigenarbeit der Bürger<br />

vor Ort zu nutzen. Das Wegekonzept wird fach<strong>in</strong>haltlich<br />

im wesentlichen von den Arbeitskreisen vor Ort bearbeitet<br />

und der Fachplaner gibt <strong>in</strong> Form der aktiven Steuerung<br />

die fachlichen Anregungen und bespricht das Konzept mit<br />

den Bürgern. Dabei wird z. B. der Erhebungsbogen zur<br />

Aufnahme der Wege geme<strong>in</strong>sam mit diesen überörtlichen<br />

Fachgruppen erarbeitet. Die örtlichen Arbeitskreis bekommen<br />

Karten, tragen selbst ihre Wegevorschläge e<strong>in</strong>. Der<br />

Fachplaner trägt es zusammen und koppelt es wieder mit<br />

der überörtlichen Fachgruppe zurück.<br />

Neues Planungsverständnis<br />

Für den Fachplaner bedeutet dies Abgeben von fachlicher<br />

Kompetenz an die betreffenden Fachgruppen und<br />

sich im wesentlichen zurückziehen auf die Steuerung und<br />

Moderation. Wir müssen bei mehrstufigen Projekten darauf<br />

achten, daß wir nicht nur <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>zelnen Dorferneuerung<br />

demokratisch auf Moderationsebene arbeiten,<br />

sondern daß wir auch bei den überörtlichen Projekten und<br />

bei den konkreten Fachprojekten diese Philosophie durchhalten.<br />

Außerdem muß die Funktion e<strong>in</strong>es regionalen<br />

Planungsteam von außen zeitlich begrenzt se<strong>in</strong>. Auch im<br />

Auerberg-Projekt sollten wir uns nach drei bis fünf Jahren<br />

zurückziehen, wenn die Motoren vor Ort selbst vorhanden<br />

s<strong>in</strong>d und die weitere eigene Organisation <strong>in</strong> die Hand<br />

nehmen. Bei der ländlichen Regionalentwicklung müssen<br />

wir uns vollkommen lösen von den Ideen e<strong>in</strong>er »Bau -<br />

summe« als Maß für e<strong>in</strong>e Leistung. Wir regen geistige und<br />

wirtschaftliche Wertschöpfungen an, die sich nicht adäquat<br />

<strong>in</strong> Baumaßnahmen ausdrücken. Dazu muß sich e<strong>in</strong><br />

neues Planungsverständnis bei Politikern, Auftraggebern<br />

und Planern entwicklen.<br />

144 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Günter Naumann<br />

Der Architekt/Planer als<br />

Moderator<br />

Ich möchte Sie mit me<strong>in</strong>em Beitrag <strong>in</strong> die Praxis entführen<br />

und Ihnen e<strong>in</strong> ganz normales Dorferneuerungsverfahren<br />

vorstellen: das Dorferneuerungsverfahren<br />

Taimer<strong>in</strong>g. Taimer<strong>in</strong>g ist e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Dorf südöstlich von<br />

Regensburg <strong>in</strong> der fruchtbaren Donauebene gelegen. Es<br />

setzt sich aus ungefähr 85 Haushalten zusammen, das<br />

Verfahrensgebiet ist ca. 20 ha groß. In der geme<strong>in</strong>dlichen<br />

Wunschliste, die ja der Anordnung 1990 zugrunde gelegen<br />

hat, waren Wünsche wie »Gehsteig an die Staatsstraße«<br />

und e<strong>in</strong> »Dorfplatz« vermerkt, aber auch das leerstehende<br />

Schulhaus, das bestimmmte Gruppen im Ort<br />

gern nutzen wollten. Doch repräsentieren solche Geme<strong>in</strong>dewünsche<br />

auch wirklich die Bürgerwünsche? Leider stellen<br />

die Geme<strong>in</strong>dewünsche oft Wünsche oder Forderungen<br />

an die Dorferneuerung dar, die lediglich geme<strong>in</strong>dliche<br />

Aufgaben unterstützen und zu lösen helfen sollen. Das<br />

kann aber nicht S<strong>in</strong>n der Dorferneuerung se<strong>in</strong>. Also führten<br />

wir e<strong>in</strong>e Bürgerbefragung bei gut 50 % aller Haushalte<br />

durch. In diesem ersten Durchgang nahmen wir<br />

uns für jeden Haushalt mehrere Stunden Zeit und unterhielten<br />

uns mit den Bürgern über die unterschiedlichsten<br />

Themenbereiche rund um das Dorf Taimer<strong>in</strong>g. Dabei konnten<br />

wir ganz andere Probleme erfahren als diejenigen,<br />

welche die Geme<strong>in</strong>de gesehen hatte. So bedauerten z. B.<br />

viele Bürger, daß man im Dorf nichts mehr kaufen kann,<br />

obwohl dort sehr viel erzeugt wird. In Taimer<strong>in</strong>g gibt es<br />

18 Vollerwerbslandwirte und viele Obst- und Bauerngärten,<br />

auch z. B. Hühnerhaltung und e<strong>in</strong>en Imker. Es gibt<br />

eigentlich fast alles, nur kaufen kann man fast nichts.<br />

Zum E<strong>in</strong>kaufen fährt man nach Regensburg <strong>in</strong> den Supermarkt,<br />

kauft dort womöglich noch die Kartoffeln, die <strong>in</strong><br />

Taimer<strong>in</strong>g erzeugt worden s<strong>in</strong>d.<br />

Der spürbare Verlust des dörflichen Sozialgefüges war<br />

e<strong>in</strong> weiterer Punkt, der die Menschen offensichtlich<br />

bedrückte. Man kommt kaum noch mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong>s<br />

Gespräch, weder beim E<strong>in</strong>kaufen noch am Gartenzaun.<br />

Alles das ist weggefallen durch den Wandel der Sozialstruktur.<br />

Taimer<strong>in</strong>g war ursprünglich e<strong>in</strong> bäuerlich<br />

geprägter Ort. Die zunehmende Technisierung <strong>in</strong> der<br />

Landwirtschaft zwang dann viele Bewohner <strong>in</strong> der<br />

Industrie tätig zu se<strong>in</strong>. So fahren Pendler z. B. zu BMW, zu<br />

Siemens oder sonstigen Industriebetrieben im Großraum<br />

Regensburg. Dadurch wurde Taimer<strong>in</strong>g im nichtlandwirtschaftlichen<br />

Bereich zu e<strong>in</strong>em Schlafort mit der entsprechenden<br />

Abschwächung der sozialen Kontakte. In der<br />

Folge also suchten wir nach e<strong>in</strong>er Möglichkeit, um die<br />

Leute wieder mehr zusammenzubr<strong>in</strong>gen, um vielleicht<br />

e<strong>in</strong>e Dynamik zu erzeugen mit dem Ziel der »Hilfe zur<br />

Selbsthilfe«.<br />

E<strong>in</strong> Sem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> der Schule der Dorferneuerung unter<br />

dem Titel »Wie kommen wir wieder mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong>s<br />

Gespräch«, schien uns e<strong>in</strong> geeigneter Anfang zu se<strong>in</strong>.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Überraschenderweise fanden sich ungefähr 25 Teilnehmer<br />

aus Taimer<strong>in</strong>g <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sehr breit gestreuten Zusammensetzung,<br />

so daß sowohl Junge als auch Ältere, der<br />

Bürgermeister, zwei Geme<strong>in</strong>deräte, der Pfarrer und vor<br />

allem auch viele Frauen <strong>in</strong> der Gruppe vertreten waren.<br />

Dieses Sem<strong>in</strong>ar sollte zwei Tage dauern, doch bereits am<br />

Abend des ersten Sem<strong>in</strong>artages war e<strong>in</strong>e neue Dynamik zu<br />

spüren, die aus diesem Geme<strong>in</strong>schaftsserlebnis wieder<br />

entstanden war. Der zweite Tag war dann umso besser<br />

und die Arbeit wurde von allen mitgetragen. Noch am<br />

zweiten Sem<strong>in</strong>artag beschloss man, zu den als wesentlich<br />

erarbeiteten Themenbereichen Arbeitskreise zu bilden und<br />

selber mitzuwirken an dem, was im Ort passieren soll.<br />

So entstanden zuerst e<strong>in</strong> »Arbeitskreis Ortsgeschichte«,<br />

e<strong>in</strong> »Arbeitskreis Geme<strong>in</strong>schaftshaus«, der sich mit der<br />

Revitalisierung des leerstehenden Schulhauses befassen<br />

wollte und e<strong>in</strong> »Arbeitskreis Direktvermarktung«, mit der<br />

Zielsetzung im Ort erzeugte Produkte auch im Ort anzubieten.<br />

Die Arbeitskreistätigkeit begann mit großem<br />

Engagement, sie läuft jetzt seit April 1993 kont<strong>in</strong>uierlich,<br />

aber mit unterschiedlicher Intensität. Es zeigt sich hier<br />

sehr deutlich, daß <strong>in</strong> bestimmten Zeitabständen greifbare<br />

Ergebnisse gefunden werden müssen, um die Motivation<br />

aufrecht zu erhalten.<br />

Für den Planer als Moderator ist es oft sehr schwierig,<br />

Bürger im Arbeitskreis eigenständig arbeiten zu lassen<br />

und sich nicht e<strong>in</strong>zumischen, denn dies kann leicht Initiativen<br />

abbremsen. Die Gefahr etwas abzukappen, ist hier<br />

sehr groß. Andererseits ist auch die Gefahr des Bemutterns<br />

sehr groß, denn damit läuft man leicht Gefahr, daß<br />

bald niemand mehr ernsthaft mitarbeiten mag, weil das<br />

Gefühl entsteht: »die wissen es ja sowieso besser, die<br />

haben ja sowieso schon alles fertig <strong>in</strong> der Schublade, die<br />

lassen uns da nur spielen«. E<strong>in</strong> fast unlösbares Problem<br />

sehe ich auch dar<strong>in</strong>, daß ich als Planer <strong>in</strong> absehbarer Zeit<br />

e<strong>in</strong>en Dorferneuerungsplan fertigzustellen habe, der Überlegungen<br />

und deren Ergebnisse zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt darstellt,<br />

bei dem die Arbeitskreise e<strong>in</strong>fach mit ihren<br />

Gedankengängen noch nicht abgeschlossen haben.<br />

Ich halte es für absolut erforderlich, daß wesentliche<br />

Ergebnisse, wesentliche Gedanken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Dorferneuerungsverfahren<br />

aus den Reihen der Bürger kommen und<br />

nicht von der Planung schon vorher postuliert werden.<br />

Denn die Akzeptanz der Bürger für diese Verfahrensschritte,<br />

für diese E<strong>in</strong>zelmaßnahmen ist wesentlich größer<br />

und selbstverständlicher, wenn sie aus eigenen Reihen<br />

kommt. Besonders wichtig bei dieser Arbeit ist auch, daß<br />

hierdurch die Eigenverantwortung für den Ort, für<br />

momentan zwar unwesentliche, aber trotzdem ureigene<br />

Belange wieder von den Bürgern übernommen wird. Der<br />

Bürger wird gezwungen, Aufgaben, die er gerne an die<br />

Geme<strong>in</strong>de abschiebt, wieder selber anzupacken, sich mit<br />

D<strong>in</strong>gen zu befassen die er vorher lieber Fachleuten überlassen<br />

hat. Auch es ist wichtig, daß der Bürger <strong>in</strong> dieser<br />

Arbeitskreisarbeit erkennt, daß es Grenzen gibt von<br />

Leistungsfähigkeit und Leistungswillen und daß diese<br />

Grenzen überwunden werden können.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

145


Die Arbeitskreise s<strong>in</strong>d sehr aktiv und es gibt bereits<br />

»konkrete Ergebnisse«. Der Arbeitskreis »Direktvermarktung«<br />

hat es geschafft e<strong>in</strong>en Dorfmarkt zu organisieren,<br />

stellen, der zur Zeit alle vier Wochen stattf<strong>in</strong>det. Auf diesem<br />

Markt wird das angeboten, was im Ort produziert<br />

werden kann, wie z. B. saisonale Gemüse, Honig, Fruchtsäfte,<br />

Eier, Brot manchmal Käse und Fleischwaren. Das<br />

Angebot wird ständig ausgebaut, man versucht darüberh<strong>in</strong>aus<br />

mit anderen Orten Kontakt aufzunehmen und<br />

e<strong>in</strong>en erweiterten Verbund zu schaffen. Der Nebeneffekt<br />

bei diesem Dorfmarkt ist die eigentliche Hauptsache: Es<br />

ist wieder e<strong>in</strong>e Drehscheibe im Dorf entstanden. Man<br />

freut sich richtig auf den Dorfmarkt, denn es gibt dort<br />

»den Ratsch«, man kann etwas tr<strong>in</strong>ken dabei, man unterhält<br />

sich, man weiß, dort trifft man wieder jemanden. Der<br />

Dorfmarkt ist jetzt fast e<strong>in</strong> vierwöchentlich gastierendes<br />

Kommunikationszentrum geworden. Mittlerweile überlegen<br />

die Initiatoren, dieses Dorfmarktes e<strong>in</strong>e Gesellschaft<br />

zu gründen, um die Probleme und die Risiken solcher<br />

Aktionen auf mehrere Schultern zu verteilen und dem<br />

Ganzen auch e<strong>in</strong>e rechtliche Grundlage zu geben.<br />

Der Arbeitskreis Geme<strong>in</strong>schaftshaus setzte sich <strong>in</strong>tensiv<br />

mit allen örtlichen Vere<strong>in</strong>en ause<strong>in</strong>ander, um den Bedarf<br />

an geme<strong>in</strong>schaftlichen Räumlichkeiten auszuloten. Es<br />

zeigte sich großes Interesse, so daß die veranwortlichen<br />

Leute der e<strong>in</strong>zelnen Vere<strong>in</strong>e zusammen mit dem Arbeitskreis<br />

e<strong>in</strong> Raumprogramm erstellten, versuchten das<br />

Raumprogramm im Gebäude unterzubr<strong>in</strong>gen und sogar<br />

erreichten, daß die Geme<strong>in</strong>de sich bereit erklärte, dieses<br />

Schulhaus als Geme<strong>in</strong>schaftshaus für den Ort Taimer<strong>in</strong>g<br />

zur Verfügung zu stellen.<br />

Da die Maßnahme »Geme<strong>in</strong>schaftshaus« mit sehr viel<br />

Eigenleistung realisiert werden sollte und niemand deren<br />

Machbarkeit richtig e<strong>in</strong>schätzen konnte, wurde e<strong>in</strong> Mehrstufenplan<br />

entwickelt. Zuerst sollten die <strong>in</strong>teressierten<br />

Bürger <strong>in</strong> Taimer<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Maßnahme durchführen,<br />

nämlich e<strong>in</strong>e Anschlagtafel im Ort errichten, die von ihnen<br />

geplant, gebaut und betreut wird. Das kl<strong>in</strong>gt sehr e<strong>in</strong>fach,<br />

ist jedoch ziemlich schwierig, wenn mehrere verschiedene<br />

Interessensgruppen daran beteiligt s<strong>in</strong>d. Der nächste<br />

Schritt ist die Instandsetzung des leerstehenden Schulhauses<br />

zu e<strong>in</strong>en großen Teil <strong>in</strong> Eigenleistung zu vollziehen.<br />

Dabei müssen die <strong>in</strong>teressierten Gruppen, die das<br />

Gebäude später nutzen wollen, während der Sanierung<br />

mit Hand- und Spanndiensten tätig se<strong>in</strong>. Was vor Jahrhunderten<br />

als geme<strong>in</strong>sames Scharwerk zu erbr<strong>in</strong>gen<br />

war, wird jetzt eben gefordert durch e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames<br />

Interesse. Als dritte und vorläufig letzte Stufe könnte man<br />

e<strong>in</strong> weiteres Projekt angehen, das allerd<strong>in</strong>gs schon an der<br />

Grenze zur Illusion liegt. In Taimer<strong>in</strong>g steht nämlich, wie<br />

<strong>in</strong> vielen anderen Orten, die Ortskanalisation an mit<br />

Gesamtkosten von e<strong>in</strong>igen Millionen Mark. Geplant ist e<strong>in</strong><br />

Verbundprojekt mit zwei anderen Geme<strong>in</strong>den,wobei der<br />

Zeitpunkt der Ausführung aufgrund der Mittelknappheit<br />

offen ist. Nun ist die verwegene Frage aufgetaucht,<br />

warum man alles größer machen muß, um es dann als<br />

großes Problem zu lösen. Lösen wir das kle<strong>in</strong>e Problem im<br />

kle<strong>in</strong>en, suchen wir dezentrale Lösungen für Taimer<strong>in</strong>g,<br />

um unabhängig von großer, anfälliger, teurer Technik die<br />

Abwässer zu beseitigen. Denkbar wäre, daß je nach Anfall<br />

der Abwassermenge der E<strong>in</strong>zelne oder sich mehrere<br />

zusammentun im Betrieb von e<strong>in</strong>er Kle<strong>in</strong>kläranlage, die <strong>in</strong><br />

der Summe nicht mehr, sondern sogar wesentlich weniger<br />

kosten würden als die große Kläranlage. Derzeit entsprechen<br />

solche Lösungen allerd<strong>in</strong>gs nicht dem Stand der<br />

Technik, der von den Wasserwirtschaftsämtern gefordert<br />

wird. Insofern ist hier möglicherweise noch e<strong>in</strong>iges an<br />

Aufklärung notwendig, vielleicht auch an technischer<br />

Arbeit, um zu beurteilen, ob dergleichen machbar ist.<br />

Höchst <strong>in</strong>teressant aber wäre folgender Gesichtspunkt:<br />

Wenn jeder für die Re<strong>in</strong>haltung oder für die Re<strong>in</strong>igung<br />

se<strong>in</strong>es Abwassers selber veranwortlich ist, wird er sich<br />

auch überlegen, was er eigentlich an Abwasser verursacht.<br />

Dann könnte man e<strong>in</strong>en neuen Ansatz f<strong>in</strong>den, für e<strong>in</strong>e<br />

erhöhte Eigenverantwortlichkeit des Bürgers <strong>in</strong> der<br />

Geme<strong>in</strong>de für geme<strong>in</strong>dliche Aufgaben. Sicher ist das alles<br />

Illusion, aber ich b<strong>in</strong> zuversichtlich, daß sich auch solche<br />

Vorhaben noch realisieren lassen werden, nicht nur <strong>in</strong><br />

Taimer<strong>in</strong>g, sondern auch <strong>in</strong> anderen Orten.<br />

Letztendlich bietet e<strong>in</strong> Dorferneuerungsverfahren im<br />

herkömmlichen S<strong>in</strong>n solche Gedankenansätze, solche<br />

Lösungsmöglichkeiten gar nicht. Man muß versuchen, das<br />

Verfahren anders zu gestalten. Anzufangen an der Basis,<br />

nicht Planungen zu machen, womöglich überzustülpen.<br />

Man muß sich mit den Ortsbürgern unterhalten und ause<strong>in</strong>andersetzen,<br />

denn sie s<strong>in</strong>d die eigentlichen Experten<br />

für die örtlichen Aufgabenstellungen. Ohne sie geht es<br />

sicher nicht, aber sie nur selber machen zu lassen, das<br />

geht sicherlich auch nicht. Das Mite<strong>in</strong>ander des Bürgers<br />

im Ort, der se<strong>in</strong>e Probleme kennt und des Experten, der<br />

vielleicht auch Lösungsansätze vermitteln und positiv<br />

steuernd e<strong>in</strong>greifen kann, dieses Mite<strong>in</strong>ander führt nach<br />

me<strong>in</strong>er Überzeugung zu Lösungen, die ökologisch s<strong>in</strong>nvoll<br />

und vernünftig s<strong>in</strong>d und die mit wesentlich ger<strong>in</strong>geren<br />

Kosten und mehr langfristigem Erfolg ausgeführt werden<br />

können, als die oft gigantischen Maßnahmen, die wir bisher<br />

gekannt haben.<br />

146 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Leonhard Rill<br />

Neue Anforderungen an die<br />

Flurentwicklung<br />

Viele von Ihnen fragen sich jetzt sicher, warum kommt<br />

im Arbeitskreis Dorfentwicklung nach diesen beiden Vorträgen<br />

nun e<strong>in</strong> Kurzreferat über neue Anforderungen an<br />

die Flurentwicklung. Es ist bei Prof. Aufweck ja schon<br />

angeklungen, warum die Flurentwicklung durchaus e<strong>in</strong>e<br />

Rolle spielt.<br />

Ich behaupte: Dorfentwicklung und Flurentwicklung<br />

müssen sehr eng verknüpft se<strong>in</strong>, um e<strong>in</strong>e wirksame Unterstützung<br />

für den ländlichen Raum bieten zu können. An<br />

zwei Bereichen will ich Ihnen <strong>in</strong> der Kürze der mir gegebenen<br />

Zeit aufzeigen, warum es zu Problemen kommt, wenn<br />

diese Verknüpfung nicht gegeben ist:<br />

1. Der Bereich Grünordnung/Ökologie:<br />

Jeder, der sich mit diesem Thema ause<strong>in</strong>andersetzt,<br />

weiß über die Verknüpfungen von Dorf und Landschaft.<br />

Dorf und Landschaft stellen e<strong>in</strong> Wirkungsgefüge<br />

dar, stellen e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit dar. Wenn wir nur im<br />

bebauten Bereich tätig s<strong>in</strong>d, grenzen wir zu eng ab und<br />

erreichen gerade <strong>in</strong> diesem wichtigen Themenkomplex<br />

nicht die geforderten und gewünschten Ergebnisse.<br />

2. Der Bereich Landwirtschaft:<br />

Wir haben vielerorts die Situation, daß e<strong>in</strong> großer Teil<br />

der Landwirte im Außen- bereich angesiedelt ist <strong>in</strong><br />

Weilern, <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelhöfen. Diese Landwirte nehmen oft<br />

nicht mehr aktiv am Dorfleben teil. Durch Dorferneuerungsverfahren,die<br />

streng auf e<strong>in</strong> Dorf abgegrenzt s<strong>in</strong>d,<br />

erhalten sie wieder ke<strong>in</strong>e Anreize, aktiv mitzuarbeiten.<br />

Oft s<strong>in</strong>d sie sogar von der Förderung ausgegrenzt, was<br />

ebenso demotivierend wirkt. Der Landwirt draußen<br />

sagt: »Ich b<strong>in</strong> wieder nicht gefragt worden, ich b<strong>in</strong><br />

nicht beteiligt an dem Ganzen«. E<strong>in</strong> wesentlicher<br />

Aspekt ist auch, daß die Produktionsfläche, als e<strong>in</strong>er<br />

der wichtigsten wirtschaftliche Faktoren <strong>in</strong> der Landwirtschaft<br />

nicht <strong>in</strong>s Verfahren <strong>in</strong>tegriert ist.<br />

Im übrigen kommen wir immer öfter an den Punkt, wo<br />

die Arbeit der Arbeitskreise zu Ergebnissen führt, die sich<br />

nicht an der Dorfgrenze aufhalten lassen. Die Bürger erarbeiten<br />

Ideen, die <strong>in</strong> die Flur h<strong>in</strong>auswirken. Da s<strong>in</strong>d doch<br />

gerade wir von der Verwaltung für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

gefordert, die D<strong>in</strong>ge auch planerisch und <strong>in</strong> der Umsetzung<br />

zu betreuen.<br />

Wenn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Dorferneuerung nur e<strong>in</strong> Ortsteil der<br />

Geme<strong>in</strong>de rausgeputzt wird, dann ist es nicht möglich<br />

Konzepte zu entwickeln, die <strong>in</strong> der ganzen Geme<strong>in</strong>de mitgetragen<br />

werden. Es kommt sogar oft soweit, daß dadurch<br />

e<strong>in</strong> weiteres Ungleichgewicht im ländlichen Raum<br />

entsteht. Es gab schon Fälle, <strong>in</strong> denen im Geme<strong>in</strong>derat<br />

Neidgefühle fast zu e<strong>in</strong>er Blockade des ganzen Projekts<br />

führten, weil die Mitglieder des Geme<strong>in</strong>derats aus anderen<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Ortsteilen sagten: »Warum nur <strong>in</strong> diesem e<strong>in</strong>en Ortsteil<br />

Förderung? Warum nur dort Maßnahmen? Wir s<strong>in</strong>d doch<br />

e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de«.<br />

Die neuen Anforderungen, die jetzt (manche davon s<strong>in</strong>d<br />

übrigens auch sehr alt) auf die Flurentwicklung zukommen<br />

s<strong>in</strong>d folgende:<br />

— Wir müssen e<strong>in</strong>e ganzheitliche <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> Dorf<br />

und Flur anstreben. Dazu können wir die nach wie vor<br />

zahlreichen Anträge auf Dorferneuerung nutzen und<br />

geme<strong>in</strong>sam mit den Bürgern und den Geme<strong>in</strong>den<br />

Verfahren e<strong>in</strong>leiten, die sich auf Dorf und Flur erstrecken,<br />

möglichst sogar auf das ganze Geme<strong>in</strong>degebiet.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs müssen wir dabei die Maßnahmen<br />

der Flurentwicklung ganz anders betrachten als <strong>in</strong> den<br />

letzten Jahrzehnten.<br />

— Ich behaupte, wir müssen sie so sehen wie die<br />

Maßnahmen der Dorfentwicklung; d. h. als e<strong>in</strong>en Teil<br />

unseres Gesamtangebots für den ländlichen Raum, den<br />

wir nur dann e<strong>in</strong>setzen, wenn die Wünsche von den<br />

Bürgern kommen und wenn das Ganze auf freiwilliger<br />

Basis abläuft. Ohne Zwang, auf der Grundlage der<br />

Ergebnisse der Arbeitskreise oder e<strong>in</strong>er Flurwerkstatt.<br />

— Das Instrument Bodenordnung muß dabei umweltgerecht<br />

und auf das e<strong>in</strong>zelne Projekt bezogen maßgeschneidert<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden. So etwas wie e<strong>in</strong><br />

»Zusammenlegungsgrad« wird <strong>in</strong> solch e<strong>in</strong>em<br />

Verfahren sicher ke<strong>in</strong>e Rolle mehr spielen.<br />

— Wir müssen den Geme<strong>in</strong>den vielmehr mit Rat und Tat<br />

zur Seite stehen. Es ist beratendes, helfendes Handeln<br />

gefragt, nicht mehr obrigkeitsbestimmtes Handeln —<br />

wirklich das Angebot Hilfe zur Selbsthilfe.<br />

— Was können wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Verfahren, das sich<br />

auf Dorf und Flur, auf das gesamte Geme<strong>in</strong>degebiet<br />

erstreckt, erreichen? Wir sollten mit den Bürgern die<br />

Erstellung e<strong>in</strong>es <strong>Entwicklung</strong>splans für die Geme<strong>in</strong>de<br />

anstreben, also über e<strong>in</strong>en begrenzten Dorferneuerungsplan<br />

h<strong>in</strong>ausgehen. Damit kommen wir auch<br />

leichter weg vom materiellen Gestaltungsbereich. Wir<br />

kommen zu der zukunftsweisenden und notwendigen<br />

Denkarbeit für die ganze Geme<strong>in</strong>de.<br />

— In e<strong>in</strong>em ganzheitlichen <strong>Entwicklung</strong>splan für die<br />

Geme<strong>in</strong>de können Konzepte erarbeitet werden,<br />

• z. B. für die Landwirtschaft.<br />

Die Landwirtschaft muß me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach noch<br />

viel mehr e<strong>in</strong>e Zukunftsaufgabe der Geme<strong>in</strong>den<br />

werden. Die Betreuung der Landwirtschaft und der<br />

Landwirte, die Sorge um die Landwirtschaft und um<br />

die Landbewirtschaftung ist weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e der<br />

wichtigsten Aufgabe. Doch wir können die Konzepte<br />

nur umsetzen, wenn wir auch weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Flur<br />

tätig s<strong>in</strong>d. Dann können wir unsere Programme und<br />

auch andere Programme zur Förderung der Landwirtschaft,<br />

zusammenfassen und <strong>in</strong> die Umsetzung<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

147


e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen. Aber noche<strong>in</strong>mal: Die Hilfe wird nur<br />

erfolgreich se<strong>in</strong>, wenn sie sich auch auf die<br />

Produktionsflächen erstreckt.<br />

• Z. B. Konzepte für die Landschaftsund<br />

Dorfökologie<br />

Besonders der Landschaftsplanung besteht die<br />

Möglichkeit, <strong>in</strong> Dorf und Flur zu verknüpfen, die<br />

E<strong>in</strong>heit Dorf und Landschaft herauszuarbeiten. Die<br />

Herbsttagung der Bayer. Akademie <strong>Ländliche</strong>r Raum<br />

1993 stand unter dem Motto: »Nur umweltbewußte<br />

ländliche Geme<strong>in</strong>den haben Zukunft«. Dieses Motto<br />

sollte auch für uns Auftrag se<strong>in</strong>.<br />

— Geme<strong>in</strong>sam mit den Geme<strong>in</strong>den stehen uns die<br />

Planungs<strong>in</strong>strumente kommunale Landschaftsplanung,<br />

dreistufige Landschaftsplanung und Fachplanung<br />

Grünordnung/Dorfökologie zur Verfügung.<br />

— Auch hier können wir gerade durch das Instrument<br />

Bodenordnung <strong>in</strong> die Umsetzung e<strong>in</strong>steigen. Wir können<br />

die Vorgaben des kommunalen Landschaftsplanes<br />

umsetzen, was bisher noch sehr selten geschehen ist.<br />

Jeder weiß, daß die kommunalen Landschaftspläne oft<br />

Alibifunktion haben, um den Flächennutzungsplan mit<br />

se<strong>in</strong>en Baugebietsausweisungen durchzubr<strong>in</strong>gen.<br />

— In der Umsetzungsphase können wir durch unsere<br />

Programme und auch alle anderen Programme der<br />

Naturschutz- und Landwirtschaftsverwaltung (z. B.<br />

Kulturlandschaftsprogramm, Arten- und Biotopschutzprogramm)<br />

Ziele wie Biotopvernetzung, Artenschutz,<br />

Wasserrückhaltung, Gewässerschutz, usw. erreichen.<br />

— Konzepte können natürlich je nach Bedarf auch für<br />

Fremdenverkehr, für Gewerbe, für Kultur im ländlichen<br />

Raum entwickelt werden. Herr Prof. Aufweck hat das<br />

Projekt »Wegenetz <strong>in</strong> der Region Auerberg« angesprochen.<br />

E<strong>in</strong> typisches Beispiel für Augaben der Flurentwicklung.<br />

Man geht raus aus den Dörfern <strong>in</strong> die Flur<br />

und entwirft nicht nur e<strong>in</strong> Wegenetz, sondern b<strong>in</strong>det<br />

Kultur, Natur, Gastronomie und Landwirtschaft mit e<strong>in</strong>.<br />

Sie werden sich jetzt vielleicht fragen, ob sich solche<br />

Verfahren <strong>in</strong> der Praxis e<strong>in</strong>leiten lassen? Ich komme von<br />

der Direktion <strong>in</strong> München. Wir haben <strong>in</strong> unserer Abteilung<br />

<strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Jahres Verfahren mit e<strong>in</strong>er Fläche von<br />

über 16 000 ha angeordnet. Alle Verfahren s<strong>in</strong>d völlig<br />

ohne Widerspruch von Bürgern, im Gegenteil auf Wunsch<br />

der Bürger e<strong>in</strong>geleitet worden. Die haben das Verfahren<br />

von uns gefordert und wir kommen mit unseren Möglichkeiten,<br />

mit den verschiedenen Förderprogrammen und<br />

mit der Dorferneuerung diesen Wünschen der Bürger<br />

nach.<br />

Ich glaube, daß das e<strong>in</strong> Weg se<strong>in</strong> kann, wie unsere<br />

Arbeit <strong>in</strong> der Zukunft wirklich den Wünschen der Bürger<br />

und der Geme<strong>in</strong>den im ländlichen Raum optimal angepaßt<br />

werden kann.<br />

148 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Gruppenergebnisse<br />

Sechs Gruppen bearbeiteten am Vormittag das Thema<br />

»Wie wünsche ich mir, das Aussehen der Dorferneuerung<br />

im Jahr 2000«.<br />

Die folgenden Ergebnisse werden mit e<strong>in</strong>er Kartenabfrage<br />

ermittelt:<br />

Gruppe 1<br />

1. Geme<strong>in</strong>schaftsbewußtse<strong>in</strong><br />

Geme<strong>in</strong>schaftsbewußtse<strong>in</strong> als Kraftquelle neuen<br />

Dorfgeme<strong>in</strong>schaftslebens.<br />

— Basisdemokratie,<br />

— Bürgernähe,<br />

— Dorferneuerung der Bürger, nicht der Geme<strong>in</strong>den,<br />

— Dorf als Geme<strong>in</strong>schaftszentrum.<br />

Es bedarf vielfältiger Hilfen beim Strukturwandel, der<br />

sich vollzieht und das geht nur, wenn man sich über die<br />

aktuelle Situation im klaren ist.<br />

2. Ökologische Dorfentwicklung<br />

— Ökologische Dorfernerneuerung im allen Bereichen,<br />

— Dorfleben im E<strong>in</strong>klang mit der Natur,<br />

— alternative Energiequellen,<br />

— ganzheitlich orientierte Dorferneuerung, auf breiter<br />

Basis ansetzen,<br />

— E<strong>in</strong>heit von Dorf und Flur und flexible Lösungen<br />

ermöglichen (z. B. Kläranlage! Es muß nicht immer die<br />

großtechnische Anlage se<strong>in</strong>).<br />

3. Das Dorf als Wirtschaftskraft<br />

— Das Dorf nicht losgelöst sehen von der eigentlichen<br />

Entstehungsgeschichte, nämlich von der Landwirtschaft,<br />

sondern immer wieder die Verknüpfung landwirtschaftliche<br />

und außerlandwirtschaftliche<br />

Arbeitsplätze suchen,<br />

— Eigen<strong>in</strong>itiativen fördern,<br />

— Kommunikation als »Lebensmittel« (Thema<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsläden).<br />

4. Regionale Kooperation<br />

— zwischenörtliche und geme<strong>in</strong>dliche Vernetzungen<br />

anstreben,<br />

— mehr Regionalmanagement,<br />

— regionale Kooperation,<br />

— sich Partner vor Ort, Verbündende <strong>in</strong> der Nachbarschaft<br />

suchen.<br />

5. Mitwirkung aller Gruppen<br />

— E<strong>in</strong>beziehung vor allem der Jugend <strong>in</strong> die<br />

Dorferneuerung,<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

— aktive Rolle für die Frau (auch der Gäste, Besucher,<br />

Fremde, Neubürger etc.),<br />

— auf breiter Basis alle Gruppierungen e<strong>in</strong>beziehen,<br />

— niemanden »vor der Tür stehen lassen«, der vielleicht<br />

gerne mitarbeiten würde.<br />

6. Weiterentwicklung des baulich-räumlichen Gefüges<br />

— Wie läßt sich alte, leerstehende Bausubstanz im Ort<br />

oder <strong>in</strong> der Ortsmitte speziell nutzen bzw. umnutzen<br />

anstelle von Neubauten?<br />

— Wohnhöfe als Alternativen zum Eigenheim,<br />

— Wie kann der Strukturwandel, der sich <strong>in</strong> den Dörfern<br />

vollzieht, im Rahmen der Bauberatung genutzt werden,<br />

um die regionalen Eigenheiten, die dörfliche Baustruktur<br />

zu pflegen und auch weiterh<strong>in</strong> zu entwickeln.<br />

7. Die Dorfentwicklung als Prozeß sehen<br />

— Im Dorfentwicklungsprozeß dokumentiert sich über die<br />

Wünsche nach Autonomie und Eigen<strong>in</strong>itiative e<strong>in</strong> offener<br />

<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Prozeß,<br />

— Das Dorf soll lebensfähig bleiben und sich entwickeln,<br />

— Die geistige Dorferneuerung soll Vorrang vor der<br />

gestaltenden Dorferneuerung haben,<br />

Dorferneuerung ist nie etwas festes oder statisches,<br />

sondern e<strong>in</strong> Prozeß, der sich weiterentwickelt und bei dem<br />

das Endergebenis nie genau vorauszusehen ist.<br />

Gruppe 2<br />

1. Dorf und Flur<br />

— Integrative <strong>Entwicklung</strong> vom Dorf und Flur,<br />

— ke<strong>in</strong>e getrennten <strong>Entwicklung</strong>en, die auf das Dorf beschränkt,<br />

— die <strong>Entwicklung</strong>en <strong>in</strong> der Flur mit e<strong>in</strong>beziehen.<br />

2. Verbesserung der Dorf<strong>in</strong>frastruktur<br />

— Maßnahmen nicht nur im Bereich der technischen<br />

Infrastruktur sondern auch der sozialen Infrastruktur.<br />

3. Bürgermitwirkung<br />

— Verstärkte Mitwirkung und Integration der Bürger bei<br />

der Dorferneuerung , um die Identifikation der Bürger<br />

mit den Maßnahmen zu verstärken.<br />

4. Beschlußgeme<strong>in</strong>schaft<br />

— Zusammenwirken von Geme<strong>in</strong>de und Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaft<br />

(kann durchaus <strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samen Beschlüssen<br />

se<strong>in</strong>),<br />

— die Kompetenz e<strong>in</strong>es Geme<strong>in</strong>derates als gewähltes<br />

Beschlußgremium e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de sollte auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Dorferneuerungsmaßnahme <strong>in</strong> geeigneter Weise <strong>in</strong>tegriert<br />

werden.<br />

5. Arbeitsplätze<br />

— Schaffung außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze, die<br />

e<strong>in</strong> Abwandern der Bevölkerung (vor allem der<br />

Jugendlichen) verh<strong>in</strong>dern können.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

149


6. Gesetzesänderung<br />

— Zum Beispiel periodische Wahl der Vorsitzenden von<br />

Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaften, um auch hier e<strong>in</strong>e<br />

Demokratisierung zu verwirklichen.<br />

7. Dorfentwicklung als Prozeß<br />

— E<strong>in</strong>e Dorfentwicklung und e<strong>in</strong>e Dorferneuerungsmaßnahme<br />

können nicht e<strong>in</strong>fach enden.<br />

— Schaffung von Grundlagen, damit durch Eigen<strong>in</strong>itiative<br />

aber auch durch Anstöße von außen das Dorf sich<br />

immer weiter entwickeln kann auch über e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zelne<br />

DE—Maßnahmen h<strong>in</strong>aus (z. B. »Kommunale Allianz«).<br />

8. Tiefgreifende Dorfentwicklung<br />

— Dorfentwicklung und Dorferneuerung sollen »nicht an<br />

der Oberfläche schwimmen«, nicht nur gestalterische,<br />

ästhetische Maßnahmen sollen durchgeführt werden,<br />

sondern es sollen auch Problemfälle, Problemortschaften<br />

angepackt werden z. B. solche <strong>in</strong> denen große<br />

Umstrukturierungsprozesse stattf<strong>in</strong>den.<br />

9. Alternative Energiekonzepte<br />

— Alternative Energien und <strong>in</strong>telligente Lösungen<br />

der Infrastruktur sollten <strong>in</strong> Zukunft verstärkt überlegt<br />

werden,<br />

— F<strong>in</strong>anzielle Ausstattung darf nicht fehlen; ohne sie wird<br />

sicherlich e<strong>in</strong>e Dorferneuerung auch <strong>in</strong> Zukunft wenig<br />

Anstoß haben.<br />

Gruppe 3<br />

1. Ökologie<br />

— Schonung von Ressourcen,<br />

— Kreislaufwirtschaft,<br />

— Ver- und Entsorgung,<br />

— Vernetzung, Dorfökologie/Landschaftspflege, also der<br />

Bereich Dorf und Flur.<br />

2. Planung flexibel und übergreifend<br />

— flexibel die Instrumentarien gezielt e<strong>in</strong>setzen,<br />

— ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heits<strong>in</strong>strumentarien und E<strong>in</strong>heitsplanung,<br />

— flexibel und übergreifend über die Fachbereiche h<strong>in</strong>weg,<br />

e<strong>in</strong>erseits im Bereich der Ämter, z. B. Wasserwirtschaftsamt,<br />

Straßenbauamt, Direktionen usw.<br />

andererseits auf der Planerseite,<br />

— Übergreifend auch über Gemarkungsgrenzen, vielleich<br />

über Geme<strong>in</strong>degrenzen h<strong>in</strong>weg, wo e<strong>in</strong>e übergreifende<br />

Zusammenarbeit notwendig ist — z. B. »Regionale<br />

Allianzen«.<br />

3. Bürgerbeteiligung<br />

— Alle Gruppen im Dorf e<strong>in</strong>b<strong>in</strong>den, wie Frauen,<br />

Jugendliche, K<strong>in</strong>der usw.<br />

4. Dorfkultur/Dorfgeme<strong>in</strong>schaft<br />

— Geme<strong>in</strong>schaft, e<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsgefühl aufbauen, bzw.<br />

stärken, das auch dann weiterwirkt, wenn sich die<br />

<strong>in</strong>stitutionelle Förderung zurückzieht.<br />

150 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


5. Landwirte im Dorf nicht vergessen<br />

6. F<strong>in</strong>anzierungsklarheit<br />

— F<strong>in</strong>anzierung neuer Planungsaufgaben.<br />

7. E<strong>in</strong>kommensmöglichkeiten ausloten<br />

— Aufbau von Arbeitsplätzen <strong>in</strong> den Dörfern z. B. mit<br />

Hilfe der Telekommunikation, Urlaub auf dem<br />

Bauernhof, Direktvermarktung u. v. m.<br />

Gruppe 4<br />

1. Dorfkonkrete Demokratie<br />

— Landwirtschaft <strong>in</strong> die Dorfdemokratie mite<strong>in</strong>b<strong>in</strong>den ist<br />

sehr wichtig.<br />

2. Dörfliche Kultur fördern und die Dorfgeme<strong>in</strong>schaft<br />

stärken<br />

— Bewußtse<strong>in</strong>sbildung, um die Dorfgeme<strong>in</strong>schaft, die<br />

Dorfkultur <strong>in</strong> den Mittelpunkt zu rücken, um das<br />

Bewußtse<strong>in</strong> dafür zu schärfen und zu stärken.<br />

3. Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der<br />

Bürger fördern<br />

— Vor dem H<strong>in</strong>tergrund s<strong>in</strong>kender Fördermittel, kann die<br />

Hilfe zur Selbsthilfe maßgebend mitwirken an der weiteren<br />

Dorferneuerung.<br />

— Dörfliche Gestaltung verbessern,<br />

— <strong>in</strong>novative Projekte fördern z. B im Bereich<br />

Wärmerückgew<strong>in</strong>nung, Solaranlagen usw.,<br />

— Versuchen, im Dorf neue Wege zu gehen, um diese<br />

Projekte nicht von vornhere<strong>in</strong> auszuschließen.<br />

4. Arbeitsplätze im Dorf schaffen<br />

— sich bewußt machen, daß junge Leute dann abwandern,<br />

wenn ke<strong>in</strong>e Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten<br />

vorhanden s<strong>in</strong>d. Die jungen Leute s<strong>in</strong>d<br />

gezwungen auszupendeln und bleiben dann <strong>in</strong> den<br />

Ballungszentren aus verschiedenen Gründen hängen.<br />

5. Wege zur Zusammenarbeit im Dorf, <strong>in</strong> den<br />

Regionen f<strong>in</strong>den<br />

— das Wissen über Nachbarorte verstärken,<br />

— schauen, was passiert <strong>in</strong> den benachbarten Dörfern,<br />

— vernetzte Konzepte erstellen, die auch die Planungen,<br />

die Vorhaben der benachbarten Geme<strong>in</strong>den berücksichtigen,<br />

— die Kommunikation im Dorf verstärken,<br />

— Neuzugezogene, <strong>in</strong>s Dorf <strong>in</strong>tegrieren,<br />

6. Verkehrsprobleme im Ort lösen<br />

— Verkehrsprobleme nicht nur auf den Ort bezogen, sondern<br />

über die Grenzen der Dörfer h<strong>in</strong>aus betrachten.<br />

Gruppe 5<br />

1. Die Bürger im Mittelpunkt<br />

— Die Bürger mit ihren subjektiven Bedürfnissen und der<br />

subjektiven Wahrnehmung ihrer Umwelt stehen im<br />

Mittelpunkt.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

2. Stärkung der lokalen Identität steht für Themen<br />

wie:<br />

— Erhaltung der Dorfkultur,<br />

— E<strong>in</strong>bezug der Planung <strong>in</strong> die Dorfgeschichte,<br />

— die Fragestellung »Wo komme ich her?«.<br />

— Wahrnehmung der Regionalität, also die Wahrnehmung<br />

der Nachbarorte nicht als Konkurrenten, sondern<br />

als Partner.<br />

3. Geme<strong>in</strong>same und ganzheitliche Konzeptentwicklung<br />

— Unterscheiden lernen zwischen kurzfristigen, lokalen<br />

Maßnahmen und langfristigen, regionalen<br />

Maßnahmen, speziell im Zusammenhang mit der<br />

<strong>Entwicklung</strong> ökomomischer Konzepte.<br />

4. Flexibilisierung der Verfahrensabläufe, Vere<strong>in</strong>fachung,<br />

mehr Kooperation<br />

— Zu wenig Kooperation zwischen den verschiedenen, am<br />

Dorferneuerungs- und Dorfentwicklungsverfahren<br />

beteiligten Behörden und auch Institutionen,<br />

— zu wenig Absprache, und dadurch zu unflexible<br />

Verfahren.<br />

Gruppe 6<br />

1. Dorfentwicklung als Bewegung<br />

— Dorfentwicklung braucht am Anfang Anschub, muß<br />

aber nach e<strong>in</strong>iger Zeit selbständig laufen,<br />

— der Geme<strong>in</strong>deverbund muß dann selbst lebensfähig<br />

se<strong>in</strong>.<br />

2. Integrierte <strong>Entwicklung</strong> von Dorf und Flur<br />

— E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung der Kulturlandschaft <strong>in</strong> die Kultur des<br />

Dorfes.<br />

3. Stärkung des Sozialgefüges<br />

4. Umweltorientierte Dorfentwicklung<br />

5. Planungskultur<br />

— E<strong>in</strong>e endbürokratisierte Planungskultur zwischen den<br />

Arbeitskreisen, zwischen der Geme<strong>in</strong>devertretung, zwischen<br />

den Trägern öffentlicher Belange.<br />

E<strong>in</strong>e Punktebewertung durch alle Arbeitsgruppenmitglieder<br />

führte zu folgenden 6 Themen:<br />

1. Planung<br />

2. Wirtschaftskraft<br />

3. Ökologie<br />

4. Geme<strong>in</strong>schaft<br />

5. Identitätsfaktoren<br />

6. Mitwirkung- Mitveranwortung<br />

Am Nachmittag wurden diese Themen weiterbearbeitet<br />

nach dem Muster:<br />

— Wie ist es?<br />

— Wie wünschen wir es uns?<br />

— Was muß getan werden?<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

151


Zusammenfassung der Ergebnisse:<br />

Gruppe 1: Planung<br />

1. Situation im Planungsbereich:<br />

— starke Orientierung an der baulichen Gestaltung,<br />

— die Planung im Rahmen der Dorferneuerung bezieht<br />

sich sehr stark auf <strong>in</strong>nerörtliche Bereiche, e<strong>in</strong>e Aussage<br />

die unserer Me<strong>in</strong>ung nach sehr stark sich auf die<br />

neuen Bundesländer bezieht.<br />

2. Anordnung der Dorferneuerung<br />

— Anordungsgebiete werden zu zufällig ausgewählt (<strong>in</strong><br />

Komb<strong>in</strong>ation mit gewissen politischen Anordnungszwängen).<br />

3. Beteiligung<br />

— Es gibt noch zu wenig Endscheidungskompetenz <strong>in</strong> den<br />

Dorferneuerungsverfahren vor Ort.<br />

— Die Wahl der aktuellen Enscheidungsträger vor Ort,<br />

<strong>in</strong>sbesonders <strong>in</strong> Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaften birgt<br />

gewisse Probleme; d. h. hier s<strong>in</strong>d nicht alle örtlichen<br />

Gruppierungen vertreten.<br />

4. Planung und Umsetzung<br />

— der Planungsprozeß ist abhängig von örtlichen<br />

E<strong>in</strong>zel<strong>in</strong>itiativen,<br />

— der Planungsprozeß ist nur schwach durchstrukturiert,<br />

der Ablauf ist eher zufällig,<br />

— Schwierigkeit, den richtigen Planungszeitraum zu f<strong>in</strong>den<br />

(nicht zu lang aber auch nicht zu kurz).<br />

5. Bürgerbeteiligung<br />

— abhängig vom Zeitpunkt der Anordnung (je nachdem,<br />

wie alt das Verfahren ist, wurde mehr oder weniger<br />

<strong>in</strong>tensiv beteiligt),<br />

— abhängig vom e<strong>in</strong>zelnen Planer (sieht er Bürgerbeteiligung<br />

als e<strong>in</strong>en Impulsgeber oder als Beh<strong>in</strong>derung?).<br />

Aus dieser Situationsbeschreibung heraus haben wir<br />

dann unsere Wünsche formuliert:<br />

— Die Planung und die Ausführung flexibler gestalten,<br />

— stärker mit den Nachbargeme<strong>in</strong>den bei der<br />

Dorferneuerung zusammenarbeiten,<br />

— <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Zusammenarbeit zwischen den<br />

Fachdiszipl<strong>in</strong>en,<br />

— neue Wege der Zusammenarbeit müssen geme<strong>in</strong>sam<br />

ausgelotet werden.<br />

— Dorferneuerung soll <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Geme<strong>in</strong>deentwicklungsplan<br />

münden,<br />

— Vor Ort sollte e<strong>in</strong> kompetentes Planungssteuerungsteam<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden, das die verschiedensten<br />

Maßnahmen mite<strong>in</strong>ander koord<strong>in</strong>iert, zusammenführt<br />

und auch untere<strong>in</strong>ander abstimmmt.<br />

— Wo sich die Gelegenheit bietet, länderübergreifende<br />

Projekte <strong>in</strong>stallieren, nicht nur zwischen den Regierungsbezirken,<br />

zwischen den Bundesländern, sondern<br />

<strong>in</strong> das benachbarte Ausland gehen.<br />

Was muß getan werden, damit wir all diesen Wünschen<br />

näher kommen?:<br />

— Änderung des Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes, um flexible<br />

Planung zu ermöglichen,<br />

— Neue Methoden der kompetenten Prozeßbegleitung<br />

entwickeln (z. B. Moderationstechnik),<br />

— Geme<strong>in</strong>sam vor Ort e<strong>in</strong> Drehbuch für die Planung und<br />

für die Dorfentwicklung schreiben, damit klar ist, wann<br />

läuft was <strong>in</strong> welchen Phasen ab, mit welchen Inhalten,<br />

damit man sich orientieren kann.<br />

— Stärker noch vor Ort die Verantwortlichkeiten deligieren<br />

und festschreiben<br />

nach dem Muster: Wer macht was, mit wem, bis wann,<br />

und <strong>in</strong> welcher Form (die Aufgaben, die anstehen vor<br />

Ort auf viele Schultern verteilen).<br />

— Sogenannte »Impulsprojekte« angehen, zur besseren<br />

Motivation.<br />

— Die Arbeitskreise müssen <strong>in</strong> der Startphase immer wieder<br />

zusammengeführt werden und untere<strong>in</strong>ander sich<br />

abstimmen.<br />

Gruppe 2: Wirtschaftskraft<br />

1. Wirtschaftssituation im Dorf:<br />

— Der Produktionsfaktor Landwirtschaft geht zurück und<br />

es werden Arbeitsplätze im Bereich der Landwirtschaft<br />

frei.<br />

Wir wünschen uns:<br />

— Außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze <strong>in</strong> den Dörfern<br />

bzw. <strong>in</strong> den nahegelegenen Hauptorten, als Ersatz für<br />

die freiwerdenden Arbeitskräfte und für die nicht mehr<br />

vorhandene Wirtschaftskraft,<br />

— Existenzsicherung der verbleibenden Landwirtschaft<br />

durch e<strong>in</strong>e bauplanungsrechtliche Absicherung der<br />

landwirtschaftlichen Betriebe (Emissionen/Wohnbebauung),<br />

— Existenzsicherung der Landwirtschaft z. B. durch Überlegungen<br />

zu alternativen Bewirtschaftungs- und<br />

Vermarktungsformen sowie im Freizeitsektor,<br />

— Schaffung außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze<br />

durch Flächenbereitstellungen für gewerbliches<br />

Bauland an geeigneter Stelle (das muß nicht immer <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Ortsteil se<strong>in</strong>, das kann durchaus im<br />

benachbarten Hauptort se<strong>in</strong>, wo gewerbliche Flächen<br />

unter Umständen besser an Infrastrukture<strong>in</strong>richtungen<br />

angebunden s<strong>in</strong>d),<br />

— F<strong>in</strong>anzieller Anreiz für die Ansiedlung von Gewerbebetrieben<br />

durch staatliche Förderprogramme.<br />

152 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


2. Die Sozialstrukturen im Dorf verändern sich<br />

Wir wünschen uns:<br />

— Übergang von e<strong>in</strong>er landwirtschaftlichen Monostruktur<br />

zu e<strong>in</strong>er pluralistischen Struktur mit Handwerksbetrieben,<br />

kle<strong>in</strong>en Gewerbetrieben, Freizeite<strong>in</strong>richtungen<br />

usw.,<br />

— Verbrauchernahe Grundversorgung durch multifunktionale<br />

Verkaufsstellen (Lebensmittelladen, Post, Bank),<br />

— Verbesserung der Aufenthaltsattraktivität für den<br />

Touristen, für den Erholungssuchenden u. a. durch e<strong>in</strong>e<br />

funktionierende Gastwirtschaft,<br />

— mehr Mut zum unternehmerischen Risiko und mehr<br />

Innovationsbereitschaft auch bei den Landwirten.<br />

Gruppe 3: Ökologie<br />

1. Gegensatz Ökologie - Ökonomie<br />

— Zwischen Ökologie und Ökonomie e<strong>in</strong>schließlich<br />

Landwirtschaft bestehen <strong>in</strong> den Köpfen der Leute<br />

Gegensätze, die schlecht <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu br<strong>in</strong>gen s<strong>in</strong>d.<br />

2. Zuviele Planungen<br />

— Es werden viele Planungen gemacht<br />

(Dorferneuerungsplanung, Grünordnungsplan), aber oft<br />

nicht umgesetzt.<br />

3. Fehlendes Wertebewußtse<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Bevölkerung zu<br />

Umweltfragen.<br />

— Ökologie wird oft reduziert auf Arten- und<br />

Biotopschutz,<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

— der große Zusammenhang und der Bereich technischer<br />

Umweltschutz fehlen,<br />

— fehlende Innovationsbereitschaft was den technischen<br />

Umweltschutz betrifft, ist vorhanden.<br />

Wir wünschen uns:<br />

— Ökologie muß auch kurzfristig ökonomisch se<strong>in</strong><br />

(Kostendeckung),<br />

— Mehr Planung mit dem Bürger (br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e bessere<br />

Umsetzung),<br />

— Mehr Aufklärung und Beratung durch Fachleute,<br />

— Der Ökologiebegriff sollte breiter werden (Integration<br />

des technischen Umweltschutzes),<br />

— mehr dezentralen Lösungen z. B. im Abwasser- und<br />

Energiebereich,<br />

— Förderung neuer Technologien auch <strong>in</strong> der Dorferneuerung,<br />

— Zusammenarbeit mit Sponsoren für Umweltmaßnahmen<br />

z. B. Sparkasse-Umweltpreis usw.<br />

Gruppe 4: Geme<strong>in</strong>schaft<br />

1. Objektive und subjektive Defizite<br />

— Es gibt objektive Defizite und solche, die im subjektiven<br />

Bereich liegen. Die »Orientierung nach Außen« statt<br />

»Kommunikaton nach Innen« hat e<strong>in</strong>deutig objektive,<br />

Ursachen nämlich: z. B. fehlende Arbeitsplätze<br />

und/oder wichtige In- frastrukture<strong>in</strong>richtung im Ort.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

153


2. Fehlendes Geme<strong>in</strong>schaftsbewußtse<strong>in</strong><br />

— E<strong>in</strong>heimische verhalten sich mißtrauisch oder ablehnend<br />

gegenüber Pendlern, weil diese auch andere<br />

Interessen repräsentieren.<br />

3. Fehlende positive Impulsgeber im Dorf<br />

— Sie führen mitunter zu Gleichgültigkeit und e<strong>in</strong><br />

geme<strong>in</strong>sames sich Vorwärtsentwickeln erlahmt und<br />

wird nicht praktiziert.<br />

4. Polarisierung des Sozialgefüges<br />

— Arm und reich werden wieder gängige Begriffe.<br />

5. Mangelnde Kommunikationsorte, wie z. B:<br />

— Geme<strong>in</strong>same Arbeit,<br />

— Infrastrukture<strong>in</strong>richtungen,<br />

— Brauchtumspflege.<br />

Wir wünschen uns im objektiven Bereich:<br />

— Geme<strong>in</strong>schaftse<strong>in</strong>richtungen, wo man mite<strong>in</strong>ander<br />

kommunizieren kann,<br />

— Geme<strong>in</strong>same Ziele zu f<strong>in</strong>den, auch wenn die<br />

Interessenlage ganz unterschiedlich ist und diese durch<br />

geme<strong>in</strong>same Tätigkeit dann auch zu erreichen.<br />

Wir wünschen uns im subjektiven Bereich:<br />

— Mehr Eigen<strong>in</strong>itiative, mehr Integrationsbereitschaft,<br />

mehr Impulsgeber,<br />

— E<strong>in</strong>beziehung anderer statt Ausgrenzung, (Solidarität),<br />

— Neue Formen oder moderne Formen des Zusammenlebens<br />

zwischen den Generationen (Generationszusammenhalt).<br />

Was muß getan werden?:<br />

— Analyse der bestehenden Situation, klar werden über<br />

Defizite und geme<strong>in</strong>same Ziele f<strong>in</strong>den. Dazu ist erforderlich:<br />

— Information anbieten,<br />

— Initiativgruppen bilden und unterstützen.<br />

Wichtige Aktiviäten:<br />

— Funktionen <strong>in</strong>s Dorf zurückholen, die verloren gegangen<br />

s<strong>in</strong>d, die aber rückholbar wären, z. B. Dorfladen,<br />

— das Vere<strong>in</strong>sleben aktivieren, Feste feiern, Brauchtum<br />

fördern und zwischen den Generationen weitergeben,<br />

— Toleranz fördern und Solidarität üben,<br />

— Kommunikationsmöglichkeiten schaffen z. B. Gasthaus,<br />

Dorfplatz, K<strong>in</strong>dertagesstätte,<br />

— die Jugend e<strong>in</strong>b<strong>in</strong>den <strong>in</strong> das Dorf, denn bei ihr liegt die<br />

Zukunft.<br />

Gruppe 5: Identitätsfaktoren<br />

1. Gruppenzusammengehörigkeit und Abhängigkeit<br />

von Gruppenwerten<br />

— Es spielt im Dorf e<strong>in</strong>e außerordentlich große Rolle, ob<br />

man von der jeweiligen schichtenspezifischen, altersspezifischen,<br />

generationsspezifischen Gruppe akzeptiert<br />

und anerkannt wird <strong>in</strong> dem was man tut oder nicht.<br />

2. Raumzugehörigkeit und Raumabhängigkeit<br />

— Es ist e<strong>in</strong> großer Unterschied ob wir im Gebirge oder<br />

am Meer aufwachsen. Das wird sowohl unsere<br />

Identifizierung mit den Raum, als auch die Form unserer<br />

Identität, mit dem was wir als unsere Heimat<br />

bezeichnen, sehr wesentlich prägen und auch unser<br />

Gruppenverhalten bee<strong>in</strong>trächtigen oder fördern.<br />

3. Symbolverständnis<br />

— Identitätsfaktoren s<strong>in</strong>d auch das geme<strong>in</strong>same<br />

Symbolverständnis, das meist über das Unterbewußtse<strong>in</strong><br />

läuft und wir deshalb nur aus dem geme<strong>in</strong>samen,<br />

uns gruppenmäßig verb<strong>in</strong>denden Kulturverständnis<br />

zu e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Symbolverständnis<br />

kommen werden.<br />

Wir wünschen uns:<br />

— Wir müssen die sozialen und baulichen Identitätsfaktoren<br />

als solche <strong>in</strong> ihrer Wertigkeit erkennen lernen,<br />

verstehen lernen, und entsprechend Werten lernen im<br />

Zusammenhang mit Dorferneuerungsmaßnahmen.<br />

— Die Dorfbevölkerung muß sich stärker über den Wert<br />

ihres sogenannten Heimatraumes bewußt werden,<br />

— Es muß wieder Verantwortung für geme<strong>in</strong>schaftliche<br />

Aufgaben übernommen werden.<br />

Was muß getan werden?:<br />

— Initiiert werden muß mit Sicherheit e<strong>in</strong> Diskurs, <strong>in</strong> dem<br />

unterschiedliche Interessen berücksichtigt werden, weil<br />

die Interessen e<strong>in</strong>e unterschiedliche Lobby haben und<br />

viele Gruppen, die aber nach e<strong>in</strong>em ganzheitlichen<br />

Verständnis die Lebensqualität e<strong>in</strong>es Dorfes ausmachen,<br />

sehr oft eben ke<strong>in</strong>e Lobby haben (K<strong>in</strong>der, Frauen).<br />

— Es muß wieder gelernt werden »Zuhören zu können«.<br />

Die Gruppen im Dorf können sich nicht mehr genügend<br />

zuhören (z. B. mangelndes gegenseitiges Verständnis<br />

von Neubürgern und Altbürgern).<br />

— Eigenverantwortung muß soweit als möglich wieder<br />

zurückgegeben werden (Gebietsreform).<br />

— Die bauliche und soziale Weiterentwicklung unter<br />

Bewußtse<strong>in</strong> der Traditionen muß formiert werden,<br />

denn die Traditionen der Vergangenheit waren nicht<br />

alle schlecht. Wir sollten prüfen, was ist davon für uns<br />

selbst von hohen Wert und muß auch gegen<br />

Modernisierungsnotwendigkeiten verteidigt werden<br />

und <strong>in</strong> unsere Maßnahme e<strong>in</strong>fließen.<br />

Gruppe 6: Mitwirkung-Mitverantwortung<br />

1. Zu lange Amtsperiode<br />

— Der Vorstand e<strong>in</strong>er Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaft, auf<br />

15 Jahre gewählt, ist zu lange im Amt.<br />

Wir wünschen uns:<br />

— Möglichkeit e<strong>in</strong>es kurzfristigen Wechsels,<br />

— e<strong>in</strong>e Amtsperiode von 6 Jahren (als Grundmaß).<br />

Voraussetzung dafür ist:<br />

— e<strong>in</strong>e Gesetzesänderung des Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes,<br />

— Beschlüsse sollten geme<strong>in</strong>sam gefaßt werden.<br />

154 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


2. Die Eigenständigkeit ist groß aber die Eigenverantwortung<br />

muß stärker werden<br />

Wir wünschen uns:<br />

— Mehr Motivation,<br />

— Mehr Bewußtse<strong>in</strong>se<strong>in</strong>stellung,<br />

— Mehr Umsetzung <strong>in</strong> die Praxis.<br />

3. Unterschiedliche Bürgerbeteilung von Geme<strong>in</strong>de zu<br />

Geme<strong>in</strong>de<br />

Wir wünschen uns:<br />

— Aufklärungs,- Fortbildungs- und<br />

Erwachsenenweiterbildungsarbeit,<br />

— Der e<strong>in</strong>zelne Bürger muß viel stärker herangezogen<br />

werden zum Mitreden, Mitfühlen der geme<strong>in</strong>samen<br />

Anliegen und Aufgaben.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

155


Arbeitskreis 5:<br />

Landschaftsgestaltung<br />

Anne Wendl / Michael Sch<strong>in</strong>dler<br />

Neue Aufgabenschwerpunkte <strong>in</strong><br />

der Landschaftsentwicklung<br />

Neue Aufgaben <strong>in</strong> der Landschaftsentwicklung — e<strong>in</strong><br />

provozierender Titel für e<strong>in</strong> Referat — werden Sie sich<br />

vielleicht denken. Anhand des Verfahrens Stefl<strong>in</strong>g will ich<br />

Ihnen aufzeigen, wor<strong>in</strong> diese Aufgabe bestand und wie sie<br />

gelöst wurde.<br />

Das Verfahren Stefl<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Zahlen<br />

Die Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Regensburg<br />

ordnete im Jahre 1979 das <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>sverfahren<br />

Stefl<strong>in</strong>g (Landkreis Schwandorf, <strong>Stadt</strong> Nittenau)<br />

mit e<strong>in</strong>er Gesamtfläche von ca. 1 900 ha. an. Das Wegeund<br />

Gewässernetz e<strong>in</strong>schließlich e<strong>in</strong>es landschaftspflegerischen<br />

Begleitplans konnte im Vorausbau <strong>in</strong> den Jahren<br />

1983 — 1986 weitgehend umgesetzt werden. Angesichts<br />

der 1983 <strong>in</strong> Bayern e<strong>in</strong>geführten 3-stufigen Landschaftsplanung<br />

lies der landschaftspflegerische Begleitplan<br />

erhebliche Mängel an Detailschärfe erkennen. Im Jahre<br />

1989 — also zwei Jahre vor der Neuverteilung — beschloß<br />

der Vorstand, die Landschaftsplanung Stufe II mit e<strong>in</strong>er<br />

Kle<strong>in</strong>strukturkartierung für das gesamte Neuverteilungsgebiet<br />

zu vergeben.<br />

Die Analysen bestätigten den vermuteten und für die<br />

Oberpfalz e<strong>in</strong>maligen Bestand an Biotopen. Diese e<strong>in</strong>malige<br />

Dichte an Biotopstrukturen konnte im Rahmen der<br />

Neuverteilung erhalten werden. Es wurde weder e<strong>in</strong><br />

Ranken oder e<strong>in</strong>e Hecke beseitigt noch e<strong>in</strong>e Naßstelle<br />

trockengelegt. Ohne Murren akzeptierten die Landwirte<br />

die teilweise kle<strong>in</strong>parzellige Zuteilung, da sie von dem Reiz<br />

und der E<strong>in</strong>maligkeit ihrer Landschaft überzeugt waren.<br />

Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen will ich Sie<br />

nun an Hand von Dias und e<strong>in</strong>igen Folien <strong>in</strong> den Landschaftsraum<br />

und <strong>in</strong> die Problematik des Planungsgebietes<br />

e<strong>in</strong>führen und Ihnen die Ergebnisse der Landschaftsplanung<br />

darlegen.<br />

Überörtliche Planungaussagen<br />

Wir bef<strong>in</strong>den uns im Großraum Regensburg. Für diesen<br />

übernimmt das Gebiet e<strong>in</strong>e entscheidende Funktion als<br />

Naherholungsgebiet. Das Verfahrensgebiet gehört zur<br />

<strong>Stadt</strong> Nittenau, das im Landesentwicklungsprogramm als<br />

Unterzentrum mit <strong>Entwicklung</strong>sschwerpunkt Fremdenverkehr<br />

ausgewiesen ist.<br />

Geologisch betrachtet, bef<strong>in</strong>den wir uns im kristall<strong>in</strong>en<br />

Grundgebirge des Vorderen Bayerischen Waldes mit<br />

Granit und Gneis als Ausgangsgeste<strong>in</strong>. Auf diesen bilden<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

sich Ranker und Braunerden aus. Der Agrarleitplan empfiehlt<br />

wegen der ger<strong>in</strong>ge Ertragsfähigkeit der Böden und<br />

der Hängigkeit des Geländes auf ca. 60 % der Fläche,<br />

Grünlandnutzung zu betreiben. Die landwirtschaftlichen<br />

Betriebe werden v. a. im Nebenerwerb geführt. Neben diesen<br />

ungünstigen Standortbed<strong>in</strong>gungen für die Landwirtschaft<br />

weist das Gebiet aber e<strong>in</strong>en hohen landschaftlicher<br />

Reiz durch se<strong>in</strong>e Höhenlagen von 360 m ü. N. N.(Regen)<br />

bis 612 m ü. N. N. (Jugenberg) auf.<br />

Als besondere Landschafts-und kulturhistorische<br />

Elemente s<strong>in</strong>d zu nennen:<br />

• Die Regenaue<br />

Der Regen (360 m ü. N. N), e<strong>in</strong> Gewässer 1. Ordnung<br />

mit der Güteklasse II, prägt den Norden des Verfahrensgebietes.<br />

Zwei Nebenflüsse (Frankenbach, Doblbach)<br />

führen das Wasser aus den Steilhängen von<br />

Süden her dem Regen zu.<br />

• Die Burgen Stefl<strong>in</strong>g, Hof a. R. und Stockenfels<br />

Die vorhandenen Burgen lassen auf e<strong>in</strong>e bewegte<br />

Geschichte dieser Landschaft im Mittelalter schießen.<br />

Heute noch zeugen sie vom kulturhistorischen Reiz<br />

dieser Landschaft; viele Sagen w<strong>in</strong>den sich um Burgen<br />

und Feldkreuze <strong>in</strong> der Umgebung<br />

• Der Jugenberg<br />

Er gab der Bauerngeme<strong>in</strong>schaft ihren Namen und f<strong>in</strong>det<br />

sich auch im Emblem der Bauern wieder. Sie wollen<br />

damit ihre Regionalität (ihren Identifikationspunkt)<br />

darstellen. Mit 612 m ü. N. N. stellt der Jugenberg die<br />

höchste Erhebung <strong>in</strong> dem Landschaftsraum dar.<br />

Schafweide auf den Hangflächen<br />

E<strong>in</strong>führungsreferate <strong>in</strong> den Arbeitskreis 5<br />

157


• Vielfältige Landschaftsstruktur<br />

Die Hanglagen werden <strong>in</strong> der Regel als Wiesen oder<br />

Weiden mit Schafen bzw. R<strong>in</strong>dern genutzt. Netzartig<br />

durchziehen Hecken und Feldgehölze die Landschaftsstrukturen.<br />

Als typischer Vertreter der Heckenlandschaft<br />

kommt <strong>in</strong> Teilbereichen der Neuntöter und<br />

andere Heckenvögeln vor.<br />

• Bachaue<br />

Mäandrierende Bachläufe mit begleitendem Gehölzufersaum<br />

und Feuchtwiesenbereichen durchziehen die<br />

Täler. Die Überschwemmungsbereiche der Bäche werden<br />

<strong>in</strong> vielen Fällen noch als Wiesen genutzt.<br />

• Obstgärten<br />

E<strong>in</strong>zelhofanlagen werden oft von großflächigen<br />

Obstwiesen e<strong>in</strong>gerahmt. Sie garantieren nicht nur den<br />

unverwechselbaren Charakter dieser Landschaft sondern<br />

s<strong>in</strong>d auch e<strong>in</strong> bedeutender Lebensraum für Tiere<br />

und Pflanzen.<br />

Blick auf reizvolle Hoflage mit Streuobstwiesen<br />

• Trockenbiotope<br />

In Teilbereichen kommen noch bodensaure Halbtrockenrasen<br />

und Flügelg<strong>in</strong>sterheiden vor, die jedoch<br />

von der Aufforstung bedroht s<strong>in</strong>d bzw. sehr kle<strong>in</strong>flächig<br />

ausgeprägt s<strong>in</strong>d.<br />

Zusammenfassung<br />

Als Qualitäten des Gebietes können beschrieben<br />

werden<br />

— hohe Biotopdichte; ca. 20 % der Fläche wurden als<br />

Kle<strong>in</strong>strukturen kartiert<br />

— naturnahe Bachläufe vorhanden<br />

— hohe ästhetische Qualitäten durch Auenlandschaft und<br />

hängige Lagen<br />

— der Regen mit se<strong>in</strong>en Inseln und fragmentarischen<br />

Schwarzerlen-Uferauwald als übergeordnete Vernetzungsachse<br />

Als Defizite können beschrieben werden<br />

— nicht angepaßte Ackernutzung <strong>in</strong> der Regenaue,<br />

— fehlende Vernetzungsstrukturen im Bereich der<br />

Hochebene.<br />

Als Ziel wurde e<strong>in</strong> umfassendes Leitbild für die Landschaftsplanung<br />

entwickelt.<br />

• Sicherung und Erhaltung des naturraumtypischen<br />

Arten- und Lebensraumpotentials<br />

Aufgrund der Vielfalt der Standortbed<strong>in</strong>gungen werden<br />

die sich daraus entwickelnden Biotopstrukturen als<br />

Knotenpunkte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em aufzubauenden Biotopverbund<br />

verstanden.<br />

• Erhaltung und <strong>Entwicklung</strong> des vorhandenen typischen<br />

Landschaftsbildes<br />

Wesentliche Merkmale für dieses unverwechselbare<br />

Landschaftsbild s<strong>in</strong>d das Vorhandense<strong>in</strong> von halbnatürlichen<br />

Ökosystemen (Hecken usw.) und e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>flächiger<br />

Wechsel von Wiesen- und Ackernutzung <strong>in</strong><br />

großen Teilen des Gebietes. Zur Sicherung dieses landschaftlichen<br />

Potentials ist es notwendig,<br />

— v. a. die Hangflächen und die Talauen offenzuhalten,<br />

— die bäuerlichen Existenzen zu unterstützen,<br />

— die vorhanden Erholungse<strong>in</strong>richtungen qualitativ zu<br />

verbessern.<br />

• Verb<strong>in</strong>dung von umweltgerechter Landnutzung mit<br />

sicherem E<strong>in</strong>kommen für die Bauern<br />

Die Erzeugung gesunder Nahrungsmittel soll nicht losgelöst<br />

von der Erhaltung der Kulturlandschaft gesehen<br />

werden. Es soll e<strong>in</strong>e Integration von Landnutzung und<br />

Naturschutz passieren entgegen e<strong>in</strong>er Segegration.<br />

Ohne die Landwirtschaft s<strong>in</strong>d die Ziele des Naturschutzes<br />

und der Landschaftspflege nicht umsetzbar. Für<br />

e<strong>in</strong>e umsetzungsorientierte Landschaftsplanung s<strong>in</strong>d die<br />

Bauern wichtige Partner. Für den Schutz der Naturgüter<br />

Boden, Wasser, Luft ist e<strong>in</strong>e flächendeckende Extensivierung<br />

<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem Aufbau e<strong>in</strong>es Lebensraumnetzes<br />

notwendig. E<strong>in</strong>e extensive Bewirtschaftung ist<br />

e<strong>in</strong> gleichrangiges Standbe<strong>in</strong> bei der <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong>es<br />

jeden Biotopverbundsystems. Landwirtschaft <strong>in</strong> diesem<br />

S<strong>in</strong>ne bedeutet mehr als die Produktion von Nahrungsund<br />

Futtermitteln. Das Konzept der extensiven Bewirtschaftung<br />

mit Verarbeitung und Vermarktung erfordert<br />

von den Bauern e<strong>in</strong>e Neudef<strong>in</strong>ition ihres Berufsbildes.<br />

Deshalb war e<strong>in</strong> umfassender Bildungs- und Umdenkungsprozeß<br />

bei den Bauern notwendig. Wichtige Mitstreiter<br />

<strong>in</strong> diesem Prozeß waren der Bund Naturschutz<br />

(BN) und die Ökologische Modellregion im Landkreis<br />

Schwandorf e. V. (ÖMS).<br />

158 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Der Umdenkungsprozeß mußte v. a. <strong>in</strong> folgende<br />

Richtungen gefördert werden:<br />

1. Die Erkenntnis muß wachsen, daß angesichts der<br />

natürlichen Voraussetzungen e<strong>in</strong>e Produktionssteigerung<br />

nur bed<strong>in</strong>gt möglich und zudem ökologisch<br />

wenig s<strong>in</strong>nvoll ist.<br />

2. Die Standortnachteile wie hängige Lagen, vom Wasser<br />

bee<strong>in</strong>flußt Böden usw. können mit e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>telligenten<br />

Konzept zu Standortvorteilen werden.<br />

3. Für die regionale Vermarkung der Qualitätsprodukte ist<br />

e<strong>in</strong> Zusammenschluß notwendig, der als Lobby für die<br />

Interessen der Bauern auftritt.<br />

4. Eigen<strong>in</strong>itiative und Geme<strong>in</strong>schaftss<strong>in</strong>n der Bauern s<strong>in</strong>d<br />

wesentliche Voraussetzungen für das Gel<strong>in</strong>gen des<br />

Projektes. Die Fachstellen wie Direktion für <strong>Ländliche</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong>, Amt für Landwirtschaft und Ernährung,<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>sgruppe 5b-Gebiete an der<br />

Regierung der Oberpfalz, ÖMS und BN s<strong>in</strong>d beratend<br />

und unterstützend tätig.<br />

Von besonderer Bedeutung bei dieser Bildungs- und<br />

Motivationsarbeit war das 1. Mostfest, da dies die Aufgabe<br />

hatte, das Produkt Apfelwe<strong>in</strong> auf dem regionalen<br />

Markt zu etablieren, und die Marktchancen zu erproben.<br />

Konzept der Jugenberg-Bauern<br />

Herr Flötgen wird nun im Anschluß das Projekt aus der<br />

Sicht der Bauern darstellen.<br />

Wir nennen uns Jugenberg Bauern, weil im Schatten<br />

dieser höchsten Erhebung seit Jahrhunderten durch die<br />

Hand der Bauern diese Kulturlandschaft entstanden ist.<br />

Die Agrarpolitik nach dem Motto »Wachsen oder Weichen«<br />

führt <strong>in</strong> den Mittelgebirgsregionen immer mehr<br />

dazu, daß Flächen aus der Produktion genommen werden<br />

und brachfallen.<br />

Diese <strong>Entwicklung</strong> gefährdet bäuerliche Betrieb. Die<br />

Jugenberg-Bauern wollen andere Wege gehen. Die<br />

Standbe<strong>in</strong>e unseres landwirtschaftlichen Konzeptes s<strong>in</strong>d:<br />

• Streuobstanbau<br />

• extensive Tierhaltung<br />

• Fremdenverkehr<br />

• Landschaftspflege durch Bauern<br />

(Konzept der Jugenberg-Bauern siehe Seite 164)<br />

Wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Bauerngeme<strong>in</strong>schaft von 13 Bauern<br />

(2 Haupterwerbs- und 11 Nebenerwerbsbetriebe), zur Verarbeitung<br />

und zur Vermarktung von Qualitätsprodukten.<br />

In der rechtlichen Form e<strong>in</strong>er Gesellschaft bürgerlichen<br />

Rechts mit beschränkter Haftung (GbRmbH) haben wir<br />

uns im November 1991 zusammengeschlossen. Als Vorteile<br />

e<strong>in</strong>er Bauerngeme<strong>in</strong>schaft sehen wir, daß<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

— e<strong>in</strong>e breitere Produktpalette angeboten werden kann,<br />

— vom ersten Produktionsschritt bis zur Veredelung alles<br />

<strong>in</strong> der Hand der Bauern bleiben kann,<br />

— geme<strong>in</strong>sames Market<strong>in</strong>g betrieben werden kann. Dies<br />

ist besonders wichtig, weil wir regional vermarkten<br />

wollen.<br />

— wir die Verarbeitungse<strong>in</strong>richtungen besser ausnutzen<br />

können.<br />

Nun zu den e<strong>in</strong>zelnen Standbe<strong>in</strong>en:<br />

Streuobstanbau<br />

Der Altbestand an Obstbäumen beträgt ca. 600 Stück.<br />

150 Obstbäume wurden <strong>in</strong> der Aktion »Mehr Grün durch<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung« neu gepflanzt. Bei der Neuanlage legten<br />

wir besonderen Wert auf die Sortenauswahl. Es wurden<br />

vorrangig regionale und für die Saftbereitung besonders<br />

geeignete Sorten verwendet. Unsere Produktpalette<br />

umfaßt momentan<br />

• Apfelwe<strong>in</strong><br />

• Apfelsaft<br />

• Beerenwe<strong>in</strong>e<br />

• Obstschnäpse<br />

Wir konnten e<strong>in</strong> Brennrecht erwerben, das 300 l Re<strong>in</strong>alkohol/Jahr<br />

umfaßt. In der Brennerei erzeugten wir 1993<br />

ca. 200l Alkohol, v. a. aus Zwetschge, Birne, Apfel. Von<br />

Fachleuten wird der Schnaps als besonders gut bezeichnet.<br />

In der Saison 1993 verarbeiteten wir ca. 26 000 kg Obst<br />

zu ca.12 000 l Saft.<br />

Hergestellt wird der Saft nach festen Produktionsrichtl<strong>in</strong>ien,<br />

die die Qualität sichern und so das Produkt<br />

von der Masse abheben sollen. Sie lehnen sich an die<br />

Richtl<strong>in</strong>ien der Verbände des anerkannten ökologischen<br />

Anbaus an.<br />

Extensive Tierhaltung<br />

Drei Landwirte s<strong>in</strong>d mit diesem Produktionszweig<br />

befaßt, wobei e<strong>in</strong>er nach den Richtl<strong>in</strong>ien des Demeter-<br />

Bundes wirtschaftet. Im Jahr werden ca. 65 R<strong>in</strong>der<br />

(40 davon s<strong>in</strong>d Angus-R<strong>in</strong>der) und 260 Mutterschafe <strong>in</strong><br />

Form von Frischfleisch bzw. als Wurst über die GbR vermarktet.<br />

Durch die geme<strong>in</strong>same Vermarktung wurden<br />

bereits Zuwachsraten von 30 % erzielt. Die Nachfrage<br />

übersteigt <strong>in</strong>zwischen das Angebot.<br />

Fremdenverkehr<br />

In der Geme<strong>in</strong>schaft bef<strong>in</strong>den sich 6 Ferienwohnungen,<br />

die sehr gut ausgelastet s<strong>in</strong>d (> 200 Belegtage/Jahr). Im<br />

vergangenen Jahr mußte 150 Urlauberfamilien wegen<br />

Überbelegung abgesagt werden.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

159


160 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Landschaftspflege<br />

Die Pflege der wichtigen Biotopflächen soll <strong>in</strong> Kürze <strong>in</strong><br />

Angriff genommen werden, nachdem e<strong>in</strong> detailierter<br />

Pflegeplan vorliegt.<br />

Vermarktung und Vermarktungswege:<br />

Wir vermarkten unsere Produkte über die Gesellschaft<br />

unter dem Namen Jugenberg-Bauern. Entsprechend der<br />

<strong>Entwicklung</strong>sgeschichte des Projektes 1. Mostfest wird e<strong>in</strong><br />

Großteil der Produkte auf Festen (mittelalterliche Feste,<br />

Regensburger Altstadtfest, Bürgerfeste usw.) vertrieben.<br />

Zunehmend f<strong>in</strong>den unsere Produkt aber auch E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong><br />

die heimische Gastronomie.<br />

Investitionen<br />

Bisher <strong>in</strong>vestierte die Bauerngeme<strong>in</strong>schaft<br />

ca. 250 000 DM für die Umbau von leer stehenden landwirtschaftlichen<br />

Gebäuden zu e<strong>in</strong>er Mosterei und e<strong>in</strong>er<br />

Brennerei auf den Höfen zweier GbR -Mitglieder. Diese<br />

übernehmen im Auftrag der GbR die Verarbeitung des<br />

Obstes zu Saft bzw. Schnaps.<br />

Weitere Investitionen waren notwendig für Betriebsmittel<br />

wie Flaschen, Kästen, Brennofen, hydraulische<br />

Obstpresse, Zerkle<strong>in</strong>erer usw.<br />

F<strong>in</strong>anzierung:<br />

Durch Kredite von den Gesellschaftern der GbR und<br />

öffentliche Zuschüße von Seiten der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong>sgruppe<br />

5b-Gebiete und von der Direktion für<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Regensburg konnten wir unser<br />

Projekt starten.<br />

Als Erfolg des Projektes sehen wir, daß<br />

• e<strong>in</strong>e Perspektive für den langfristigen Erhalt dieser<br />

wunderbaren Landschaft gegeben ist. E<strong>in</strong>e extensive<br />

Nutzung der Landschaft mit der umweltfreundlichen<br />

Produktion von Nahrungsmitteln verbunden werden<br />

kann. (Bauern und Natur erhalten)<br />

• e<strong>in</strong>e Verarbeitungse<strong>in</strong>richtung für die Region geschaffen<br />

wurde, die auch den Bestand von weiteren Streuobstbeständen<br />

sichert. (Nur wenn der Apfel e<strong>in</strong>en Wert<br />

hat, kann auch der Apfelbaum erhalten bleiben!)<br />

• e<strong>in</strong>e neue Geme<strong>in</strong>schaft entstanden ist wider den<br />

Konkurrenzkampf <strong>in</strong>nnerhalb der Bauern; die Bauern<br />

haben untere<strong>in</strong>ander und <strong>in</strong> der Bevölkerung e<strong>in</strong>e<br />

Lobby gefunden.<br />

An dieser Stelle möchte ich me<strong>in</strong>en Dank aussprechen<br />

an die Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>, das Amt für<br />

Landwirtschaft und Ernährung, die <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>sgruppe<br />

5b-Gebiete, die Firma Landimpuls GmbH,<br />

dem Bund Naturschutz und der Ökologischen Modellregion<br />

im Landkreis Schwandorf e. V.<br />

Um Ihnen das Gesagte näher zu br<strong>in</strong>gen, lade ich Sie <strong>in</strong><br />

der Pause zu e<strong>in</strong>er Kostprobe unserer Erzeugnisse e<strong>in</strong>.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

161


Thomas Gollwitzer / Karl Sp<strong>in</strong>dler<br />

Von der Bürgerbeteiligung zur<br />

Bürgerplanung<br />

Flurwerkstatt Fuhrn —<br />

e<strong>in</strong> Modell<br />

Vorbemerkung:<br />

Bürgerbeteiligung hat <strong>in</strong> der <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong><br />

Bayern schon immer e<strong>in</strong>e große Bedeutung. Seit dem<br />

Bayer. Programm <strong>Ländliche</strong> Neuordnung, aus dem Jahre<br />

1989, ist die Stärkung der Demokratie durch aktive Mitwirkung<br />

der Bürger am Verfahren e<strong>in</strong> eigenständiges Ziel<br />

unseres Verwaltungshandelns.<br />

Jede Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaft erstellt ihre Planungen<br />

der geme<strong>in</strong>schaftlichen Anlagen unter e<strong>in</strong>er möglichst<br />

breiten Mitarbeit der gesamten Bevölkerung. Je nach örtlicher<br />

Notwendigkeit werden somit zum<strong>in</strong>dest Teile der<br />

Flurwerkstatt Fuhrn, mehr oder m<strong>in</strong>der <strong>in</strong>tensiv, ständig<br />

praktiziert.<br />

In Fuhrn wurde <strong>in</strong>soweit das Rad der Bürgerbeteiligung<br />

nicht neu erfunden, sondern nur mit außerordentlichem<br />

Schwung betrieben. Das Bemerkenswerte, wenn man so<br />

will, das Neue am Modell Flurwerkstatt Fuhrn ist das stark<br />

strukturierte Vorgehen sowie die Intensität und Konsequenz<br />

mit der der Auftrag zur aktiven Bürgerbeteiligung<br />

umgesetzt wurde.<br />

Das Modell Flurwerkstatt Fuhrn ist allerd<strong>in</strong>gs nur e<strong>in</strong>e<br />

Möglichkeit, wie die Planung der geme<strong>in</strong>schaftlichen<br />

Anlagen unter aktivster Bürgerbeteiligung erfolgen kann.<br />

In Fuhrn, aufgrund der Ausgangssituation (Verfahrensgröße,<br />

Anzahl der Teilnehmer), wie ich me<strong>in</strong>e, die beste.<br />

Die Durchführung e<strong>in</strong>er Flurwerkstatt entsprechend dem<br />

Modell Fuhrn ist aber nur s<strong>in</strong>nvoll und erfolgreich, wenn<br />

die Bürger bereit s<strong>in</strong>d, selbst Verantwortung zu übernehmen<br />

und dieser Planungsmethode aufgeschlossen<br />

gegenüberstehen.<br />

Darüberh<strong>in</strong>aus müssen die Geme<strong>in</strong>de sowie alle sonstigen<br />

am Planungsgeschehen Beteiligten den Bürger als<br />

gleichberechtigten Partner akzeptieren und sich entsprechend<br />

offen mit se<strong>in</strong>en Problemen und Vorstellungen<br />

ause<strong>in</strong>andersetzen.<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Fuhrn — Lage im<br />

Raum:<br />

Fuhrn liegt ca. 60 km nördlich von Regensburg<br />

im Landkreis Schwandorf. Es ist Bestandteil der <strong>Stadt</strong><br />

Neunburg v. Wald. Das Verfahrensgebiet ist e<strong>in</strong>e<br />

Rodungs<strong>in</strong>sel mit dem zentralen Dorf Fuhrn.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>in</strong> Bayern<br />

Verfahren Fuhrn<br />

<strong>Stadt</strong> Neuburg v. Wald<br />

Lkr. Schwandorf<br />

Kenndaten<br />

● Anordnung nach §§ 1, 4 und 37 FlurbG<br />

mit Beschluß vom<br />

Verfahrensfläche<br />

Teilnehmer<br />

Landwirtschaftliche Betriebe<br />

Gelände<br />

● Vorstandswahl<br />

Mitglieder<br />

● Landschaftsplanung Stufe 1<br />

— <strong>Entwicklung</strong> — SNK<br />

Naturschutz- und Landschaftsschutzgebiet<br />

Modell Flurwerkstatt Fuhrn<br />

— was heißt das?<br />

14. Dez. 1990<br />

415 ha<br />

ca. 60<br />

15<br />

hügelig,<br />

stark hängig<br />

4. April 1991<br />

5 (1 Frau)<br />

5. Mai 1992<br />

ca. 250 ha<br />

»Von der Bürgerbeteiligung zur Bürgerplanung« ist<br />

das Leitbild der Flurwerkstatt Fuhrn. Die Flurwerkstatt<br />

stellt den — mittlerweile gelungenen — Versuch dar, letztlich<br />

den Plan nach § 41 Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetz von den<br />

Bürgern selbst, im offenen Dialog mit den Experten,<br />

erarbeiten zu lassen.<br />

In Fuhrn hat der Vorstand der Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaft<br />

se<strong>in</strong>e Planungskompetenz (§ 25 FlurbG <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

mit Art. 2 BayAG FlurbG) <strong>in</strong>soweit e<strong>in</strong>geschränkt,<br />

daß die Planung der geme<strong>in</strong>schaftlichen Anlagen nicht<br />

Aufgabe der Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaft alle<strong>in</strong> ist, sondern<br />

daß alle Bürger, auf freiwilliger Basis, Träger der Planung<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Modell Flurwerkstatt Fuhrn — der Weg:<br />

Das Ziel jedes Verfahrens zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

ist es, dem Ort, se<strong>in</strong>en Menschen und der umgebenden<br />

Landschaft e<strong>in</strong>en Weg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e »erfolgreiche Zukunft«<br />

zu schaffen. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, daß<br />

gerade die Konkretisierung dieses zunächst abstrakten<br />

Begriffes »erfolgreiche Zukunft« vom Bürger selbst vorgenommen<br />

wird. »<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> muß im Kopf<br />

beg<strong>in</strong>nen«. Das geme<strong>in</strong>same Erarbeiten e<strong>in</strong>es Leitbildes<br />

als Grundkonsens für die beabsichtigte <strong>Entwicklung</strong> des<br />

Verfahrensgebietes ist unabd<strong>in</strong>gbare Voraussetzung für<br />

die konkrete Maßnahmenplanung. Dabei kommt dem<br />

Prozeß der Leitbildaufstellung m<strong>in</strong>destens die gleiche<br />

Bedeutung zu, wie der ausformulierten Zieldef<strong>in</strong>ition<br />

selbst.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

163


Ziel:<br />

Dem Ort, se<strong>in</strong>en Menschen und der umgebenden<br />

Landschaft soll e<strong>in</strong> Weg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e »erfolgreiche Zukunft«<br />

bereitet werden.<br />

Weg:<br />

Flurwerkstatt Fuhrn<br />

1. Durch e<strong>in</strong>e breitangelegte Diskussion aller<br />

Bevölkerungsgruppen sollen die vorhandenen Stärken<br />

und Schwächen bewußt gemacht werden. Unter<br />

Berücksichtigung der Vergangenheit, der Gegenwart und<br />

der vorhandenen Vorstellungen für die Zukunft entsteht<br />

e<strong>in</strong> Leitbild für die beabsichtigte <strong>Entwicklung</strong>.<br />

2. Umsetzung des Leitbildes durch konkrete Maßnahmen<br />

(Plan nach § 41 FlurG)<br />

Leitbild und Plan nach § 41 FlurbG sollen das Ergebnis<br />

e<strong>in</strong>er Diskussion der gesamten Fuhrner Bevölkerung widerspiegeln.<br />

»Von der Bürgerbeteiligung zur Bürgerplanung«<br />

Flurwerkstatt Fuhrn<br />

Schritt 1:<br />

Kennenlernen<br />

gegenseitige Information<br />

Ängste abbauen<br />

Offenheit und Ehrlichkeit<br />

Vertrauensbildung<br />

Schritt 2:<br />

Planungsstrategie geme<strong>in</strong>sam festlegen<br />

Schritt 3:<br />

Problembewußtse<strong>in</strong> und Kompetenz erzeugen<br />

(Bereitschaft zur Verantwortung)<br />

Schritt 4:<br />

Zieldef<strong>in</strong>ition (Leitbild)<br />

geme<strong>in</strong>samer Grundkonsens<br />

Schritt 5:<br />

»Das Geme<strong>in</strong>same geme<strong>in</strong>sam tun«<br />

Maßnahmeplanung<br />

»Von der Bürgerbeteiligung zur Bürgerplanung«<br />

➭<br />

➭<br />

➭<br />

➭<br />

Schritt 1: Vertrauensbildung, Offentheit und<br />

Ehrlichkeit<br />

Grundvoraussetzung für jede gedeihliche Zusammenarbeit<br />

zwischen Menschen ist e<strong>in</strong> hohes Maß an gegenseitigem<br />

Vertrauen. Dazu ist es notwendig, daß dem<br />

Kennenlernen der Vorstandsmitglieder untere<strong>in</strong>ander, der<br />

Planer sowie dem »Betreuungsteam« von der Direktion für<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> e<strong>in</strong> breiter Raum zugebilligt wird.<br />

Es gilt <strong>in</strong> dieser Phase ausführlich Information auszutauschen,<br />

<strong>in</strong>sbesondere darüber, welche Erwartungen an uns<br />

(e<strong>in</strong>schließlich der Planer) gestellt werden, was wir, die<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong>, leisten aber auch was wir nicht<br />

leisten können. Der Erfolg des gesamten Verfahrens hängt<br />

maßgeblich davon ab, <strong>in</strong>wieweit es gel<strong>in</strong>gt, bereits von<br />

anfang an, im vorstand sowie <strong>in</strong> der gesamten Bevölkerung<br />

e<strong>in</strong> Klima der Offenheit und Ehrlichkeit zu erzeugen.<br />

Schritt 2: Planung — aber wie?<br />

Die Planung im Wege e<strong>in</strong>er Flurwerkstatt durchzuführen,<br />

wie im Modell Fuhrn praktiziert, kann ke<strong>in</strong>esfalls<br />

die Entscheidung des Vorsitzenden oder der Planer alle<strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>. Vielmehr muß gerade auch das Festlegen des<br />

Planungsvorgehens e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer Beschluß aller<br />

Beteiligten se<strong>in</strong>.<br />

Schritt 3: Der Bürger als gleichwertiger<br />

Planungspartner<br />

Soll der Bürger, obgleich unterstützt durch Experten,<br />

dennoch weitgehend eigenverantwortlich, die <strong>Entwicklung</strong><br />

se<strong>in</strong>er Heimat (Leitbild + Maßnahmenplanung) gestalten,<br />

so muß er dazu <strong>in</strong> die Lage versetzt werden. Insofern s<strong>in</strong>d<br />

e<strong>in</strong> entsprechendes Problembewußtse<strong>in</strong> und die daraus<br />

resultierende Planungskompetenz Grundvoraussetzungen<br />

dafür, daß der Bürger als gleichwertiger Planungspartner<br />

wirken kann und akzeptiert wird. Mit steigendem »Wissen«<br />

wächst auch die Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen,<br />

sich zu engagieren.<br />

Schritt 4: Leitbild als geme<strong>in</strong>samer<br />

Grundkonsens<br />

Das Leitbild ist e<strong>in</strong>e Art »Grundgesetz der kommunalen<br />

<strong>Entwicklung</strong>«. Durch e<strong>in</strong> Leitbild, das von den Bürgern<br />

selbst entwickelt wird, können die unterschiedlichen<br />

Interessen auf demokratische Weise ausgeglichen<br />

und koord<strong>in</strong>iert werden. (Materialien zur <strong>Ländliche</strong>n<br />

<strong>Entwicklung</strong> — Heft 26)<br />

Gerade der Prozeß des geme<strong>in</strong>samen Arbeitens an der<br />

eigenen Zukunft, die maßgebliche Beteiligung an der<br />

Weichenstellung für die Gestaltung der Heimat, fördert<br />

den Zusammenhalt <strong>in</strong> der Dorfgeme<strong>in</strong>schaft, den Willen<br />

zu Eigen<strong>in</strong>itiative und die Bereitschaft zur Eigenverantwortung<br />

außerordentlich. Leitbildarbeit ist somit<br />

164 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Beispiel Leitbild für den Themenbereich<br />

»Kulturlandschaft, Naturschutz und Landschaftspflege«<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Geme<strong>in</strong>wesensarbeit. E<strong>in</strong>e »<strong>in</strong>takte« Dorfgeme<strong>in</strong>schaft ist<br />

e<strong>in</strong>e entscheidende Grundvoraussetzung für e<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />

Zukunft.<br />

E<strong>in</strong>e wesentliche Rolle fällt selbstverständlich der<br />

Geme<strong>in</strong>de, als Träger der kommunalen Planungshoheit, zu.<br />

Hier s<strong>in</strong>d Vertrauen <strong>in</strong> die Kompetenz der Bürger sowie<br />

e<strong>in</strong>e offene Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Bürgerwünschen<br />

gefragt.<br />

Schritt 5: Geme<strong>in</strong>same Maßnahmenplanung<br />

Das Ausfüllen des Rahmens »Leitbild« durch die konkrete<br />

Maßnahmenplanung erfolgt nun tatsächlich im<br />

Rahmen e<strong>in</strong>er »Werkstatt«. Mehrere Arbeitskreise erstellen<br />

unabhängig vone<strong>in</strong>ander den Wegenetzplan. In den<br />

Arbeitskreisen s<strong>in</strong>d Geme<strong>in</strong>devertreter, Vorstandsmitglieder,<br />

Landschaftsplaner, der Vorsitzende des Vorstands<br />

bzw. se<strong>in</strong>e Stellvertreter und, am wichtigsten, Bürger.<br />

Letztere s<strong>in</strong>d zusammen mit den Vorstandsmitgliedern die<br />

Hauptakteure. Von ihnen müssen alle wesentlichen<br />

Planungsimpulse ausgehen. Die »Experten« stehen beratend<br />

zur Seite. Besonderes Augenmerk ist auf die ständige<br />

H<strong>in</strong>terfragung der Planungen bezüglich Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

mit dem Leitbild zu legen.<br />

Nach abgeschlossener Planung und e<strong>in</strong>er Vorstellung<br />

der jeweiligen Wegenetzentwürfe erfolgt sofort die<br />

Alternativendiskussion, bei der die Arbietskreise ihre<br />

unterschiedlichen Vorschläge begründen und gegene<strong>in</strong>ander<br />

abwägen. Die letzte Entscheidung fällt im Rahmen<br />

e<strong>in</strong>er neuerlichen Flurbegehung.<br />

Themenbereiche für die Abende<br />

der Flurwerkstatt Fuhrn<br />

E<strong>in</strong> »Wunschbild«<br />

unserer Landschaft für . . .<br />

➩ Landwirtschaft<br />

➩ Kulturlandschaft, Naturschutz und<br />

Landschaftspflege<br />

➩ Verkehr und landwirtschaftliche<br />

Erschließung<br />

➩ Erholungseignung und lanschaftsgebundene<br />

Erholung<br />

➩ Wasserwirtschaft, Gewässerschutz<br />

und Pflege<br />

➩ Forstwirtschaft und Waldfunktion, Jagd<br />

➩ Bodengesundheit und Erosionsschutz<br />

➩ Geschichte und historische Elemente<br />

der Landschaft<br />

➩ Dorfentwicklung und geme<strong>in</strong>schaftliche<br />

Anlagen<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

165


Obgleich der gewünschte Erfolg der Flurwerkstatt<br />

Fuhrn das strukturierte, schrittweise Vorgehen erfordert,<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Praxis die Grenzen der e<strong>in</strong>zelnen Abschnitte<br />

fließend, <strong>in</strong>sbesondere s<strong>in</strong>d die Schritte 1 und 2<br />

Daueraufgaben.<br />

Modell Flurwerkstatt Fuhrn<br />

Vorgehensweise:<br />

Vorgehensweise allgeme<strong>in</strong><br />

• Schrittweises Vorgehen von der <strong>Entwicklung</strong> von<br />

Leitl<strong>in</strong>ien bis zur Maßnahmenplanung.<br />

• Gemäß dem Beschluß des Vorstandes der Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaft<br />

ergeht die E<strong>in</strong>ladung zu den<br />

Veranstaltungen an alle Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger<br />

von Fuhrn.<br />

• Die Veranstaltungen der Flurwerkstatt Fuhrn f<strong>in</strong>den am<br />

Abend oder am Wochenende statt.<br />

• Für die e<strong>in</strong>zelnen Veranstaltungen wird e<strong>in</strong> überschaubarer<br />

Zeitrahmen gewählt, der strikt e<strong>in</strong>gehalten<br />

wird; niemand soll zeitlich überfordert<br />

werden; die Abendveranstaltungen dauern höchstens<br />

2 1 / 2 Stunden.<br />

• Gastgeber der Veranstaltungen ist die Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaft<br />

Fuhrn; das örtlich beauftragte<br />

Vorstandsmitglied eröffnet und beschließt die<br />

Veranstaltungen, bei denen regelmäßig die Geme<strong>in</strong>de<br />

(<strong>Stadt</strong> Neunburg v. Wald) und die örtliche Presse<br />

vertreten ist.<br />

Vorgehensweise Flurwerkstatt<br />

»Leitsätze zur Flurentwicklung«:<br />

• Ziel ist die Bewußtmachung über die verantwortungsvolle<br />

und umfassende Aufgabe der Flurgestaltung und<br />

Flurneuordnung. Daraus sollen grundsätzliche Überlegungen<br />

und Ziele, Leitsätze zur künftigen <strong>Entwicklung</strong><br />

der Flur erarbeitet werden.<br />

• Die Arbeit wird an drei Abenden e<strong>in</strong>er Woche im<br />

Dorfgasthaus durchgeführt. Der Zielkatalog umfaßt 9<br />

vorher beschlossene Themenbereiche, von denen je drei<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sitzung behandelt werden.<br />

• Die Betreuer, der TG-Vorsitzende und das Planungsbüro,<br />

führen <strong>in</strong> die e<strong>in</strong>zelnen Themenbereiche durch kurze,<br />

problemorientierte Impulsvorträge e<strong>in</strong>.<br />

Für e<strong>in</strong>zelne Themen werden Sonderfachleute h<strong>in</strong>zugezogen<br />

(Amt für Landwirtschaft, Bauabteilung der<br />

<strong>Stadt</strong>verwaltung).<br />

• Es werden anschauliche Hilfsmittel verwendet: Karten,<br />

Dias, Luftbilder, Overheadfolien. Als besonders ansprechend<br />

und <strong>in</strong>formativ empf<strong>in</strong>den die Teilnehmer farbige<br />

Schrägaufnahmen der Flur. Die Karten der SNK werden<br />

zur besseren Lesbarkeit farbig angelegt.<br />

• Die Betreuer wenden verschiedene Moderationstechniken<br />

an. Trotz des straffen Programms wird großer<br />

Wert auf genügend Zeit zur Me<strong>in</strong>ungsäußerung und<br />

Diskussion gelegt. Die erarbeiteten Thesen und Leitsätze<br />

werden durch Punktabfragen bewertet. Weitere<br />

Techniken s<strong>in</strong>d die Abfrage per Zuruf oder die Punktewertung<br />

auf Karten.<br />

• Als Ergebnis zeigt sich, für alle Teilnehmer sichtbar und<br />

nachvollziehbar, der Grad der Identifikation mit den<br />

Leitsätzen zur Flurentwicklung.<br />

Vorgehensweise Flurwerkstatt<br />

»Wegenetz- und Flurplanung«<br />

• Ziel ist der Grobentwurf des landwirtschaftlichen<br />

Wegenetzes und der Flurgestaltung <strong>in</strong> Gruppenarbeit;<br />

die Arbeit f<strong>in</strong>det an drei Abenden statt.<br />

• Es werden drei Arbeitsgruppen gebildet, die gleichzeitig<br />

das gesamte Neuordnungsgebiet bearbeiten.<br />

• Jeder Gruppe stehen als Arbeitsunterlagen e<strong>in</strong>e<br />

Bestandskarte (Realnutzung der SNK) und e<strong>in</strong> Luftbild<br />

1 : 5000 zur Verfügung; des weiteren hängen alle<br />

Bestands- und Analysekarten sowie die vorher erarbeiteten<br />

Leitl<strong>in</strong>ien aus.<br />

• Die Arbeitsgruppen werden durch den TG-Vorsitzenden<br />

und dessen Mitarbeiter sowie die Landschaftsarchitekten<br />

betreut und beraten.<br />

• Die Entwurfsarbeit f<strong>in</strong>det an zwei Abenden statt. Am<br />

dritten Abend präsentieren die Gruppen ihre Entwürfe,<br />

diskutieren sie und tauschen Vor- und Nachteile der<br />

gefundenen Lösungen aus.<br />

• TG-Vorsitzender und Landschaftsarchitekt kommentieren<br />

die Entwurfslösungen. Das Gesamtergebnis wird als<br />

Synthese <strong>in</strong> übere<strong>in</strong>ander liegenden Folien vorgestellt.<br />

• Breiter Konsens und abweichende Lösungsansätze<br />

werden sichtbar. Die Ergebnisse bilden die Ausgangsbasis<br />

für den nächsten Planungsschritt, die 2. Flurbegehungen.<br />

• Bei e<strong>in</strong>er 2tägigen Begehung werden die Entwürfe zur<br />

Wegenetz- und Landschaftsplanung vor Ort ausführlich<br />

und kritisch diskutiert. Die Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaft<br />

e<strong>in</strong>igt sich auf e<strong>in</strong> Maßnahmenkonzept zur Neugestaltung<br />

der Flur.<br />

166 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Modell Flurwerkstatt Fuhrn -<br />

die Praxis (Erfahrungen, Ergebnisse,<br />

Chronologie):<br />

Erfahrungen und Ergebnisse<br />

• Der programmatische Vorstandsbeschluß vom 22. Juni<br />

1993 (Festlegung der Planungsstrategie) wurde voll<br />

erfüllt.<br />

• Die Durchführung e<strong>in</strong>er Flurwerkstatt (Modell Fuhrn)<br />

setzt e<strong>in</strong> neues Rollenverständnis der Planer und<br />

»Spezialisten« voraus, weg vom Vordenker, h<strong>in</strong> zum<br />

Moderator. Bürger und Planer gestalten die beabsichtigte<br />

<strong>Entwicklung</strong> im gleichberechtigten Dialog.<br />

• Die Geme<strong>in</strong>de, als Träger der kommunalen Planungshoheit,<br />

ist <strong>in</strong> besonderer Weise gefordert, sich offen mit<br />

den Vorstellungen der Bürger ause<strong>in</strong>anderzusetzen.<br />

Auf Grund der Aussagen <strong>in</strong> der Leitbilddiskussion, daß<br />

Fuhrn nur maßvoll wachsen soll, hat die <strong>Stadt</strong> Neunburg<br />

v. Wald den Flächennutzungsplan geändert und<br />

e<strong>in</strong>e beabsichtigte Baugebietsausweisung drastisch<br />

reduziert.<br />

• Von herausragender Bedeutung ist der Prozeß der<br />

Leitbildentwicklung, weil hier Problembewußtse<strong>in</strong> und<br />

Verantwortungsbereitschaft <strong>in</strong> besonderer Weise<br />

wachsen.<br />

• Die Teilnehmer haben von sich aus ökologisch wertvolle<br />

Strukturen erhalten und <strong>in</strong> die Planung <strong>in</strong>tegriert.<br />

• Der Identifikationsgrad der Bürger mit ihrem Leitbild ist<br />

durch entsprechende Methoden abzufragen.<br />

• Die getrennte Erstellung von drei Wegenetzentwürfen<br />

führt im Zuge der Alternativendiskussion zu e<strong>in</strong>em ausgereiften,<br />

allseits akzeptierten Konzept.<br />

• Bei der Umsetzung der Planung ist mit »ke<strong>in</strong>en«<br />

Problemen zu rechnen, da Leitbild und Plan nach § 41<br />

FlurbG (Entwurf) geme<strong>in</strong>sam und mit weitgehendem<br />

Konsens erstellt wurden.<br />

• Das geme<strong>in</strong>same Arbeiten an der Weichenstellung für<br />

die »erfolgreiche« Zukunft hat auch die Dorfgeme<strong>in</strong>schaft<br />

gestärkt.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Flurwerkstatt Fuhrn<br />

»Von der Bürgerbeteiligung zur Bürgerplanung«<br />

ca. 30 öffentliche Vorstandssitzungen<br />

Informationsfahrt Landschaftspflege,<br />

Wegebau<br />

1. Dorfabend<br />

1. Teilnehmersprechtag<br />

1. Flurspaziergang<br />

3 Flurwerkstattabende (Leitbild)<br />

Informationsfahrt<br />

»Urlaub auf dem Bauernhof«<br />

3 Flurwerkstattabende<br />

(Plan nach § 41 FlurbG)<br />

3 Tage Flurwerkstatt (2. Ortsbegehung<br />

Wegebau und Landschaftspflege)<br />

Juli 92 — April 94<br />

Juli 92<br />

Juli 93<br />

Juli 93<br />

August 93<br />

November 93<br />

Dezember 93<br />

März 94<br />

April 94<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

167


Arbeitskreis 6:<br />

Informationstechnik<br />

Karl Braumiller<br />

E<strong>in</strong>führung<br />

Unser Arbeitskreis ist heute Gast <strong>in</strong> den Räumen des<br />

Amtsgerichts <strong>Ansbach</strong>. Das Gebäude schließt e<strong>in</strong>e<br />

über zweihundertjährige Baulücke im Bereich der<br />

barocken südlichen <strong>Stadt</strong>erweiterung, der sogenannten<br />

»Neuen Auslage«. Zwei Markgrafen, Johann Friedrich<br />

(1672 — 1686) und Carl Wilhelm Friedrich (1729 — 1757)<br />

versuchten <strong>in</strong> diesem Bereich den planmäßigen Ausbau<br />

e<strong>in</strong>es neuen <strong>Stadt</strong>viertels.<br />

Nach Bebauungsplänen der markgräflichen Baumeister<br />

Zocha und Leopold Retti entstanden im 18. und 19. Jahrhundert<br />

für das <strong>Stadt</strong>bild <strong>Ansbach</strong>s bedeutende bürgerliche<br />

und kirchliche Bauten.<br />

Im Jahr 1981 erwarb der Freistaat Bayern an der<br />

Westseite der »Neuen Auslage« zwischen Karlstraße und<br />

Promenade Gebäude und Grundstücke. Von besonderem<br />

historischen Wert s<strong>in</strong>d dabei das von Johann David<br />

Ste<strong>in</strong>gruber, dem Nachfolger Leopold Rettis, selbst bewohnte<br />

Doppelhaus und das Palais Nostiz. Nach Sanierung<br />

und Erweiterung der bestehenden Gebäude für die<br />

Oberforstdirektion (1985) und das Amtsgericht (1990) zog<br />

neues Leben <strong>in</strong> jahrelang verwaiste Häuser e<strong>in</strong>. Der <strong>in</strong> den<br />

Jahren davor betriebene Abbruch dieses historischen Teils<br />

von <strong>Ansbach</strong> war damit abgewendet.<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, der amerikanische Präsident<br />

Bill Cl<strong>in</strong>ton kündigte kürzlich den forcierten Ausbau e<strong>in</strong>es<br />

mit Milliardenprogrammen geförderten »Information-<br />

Highways«, d. h. e<strong>in</strong>es Datenschnellweges an. Kurz darauf<br />

gab es Zeitungsmeldungen über ähnliche Vorhaben u. a.<br />

aus Kanada, aus Frankreich und von der deutschen<br />

Telekom. Ende 1993 schlug die EU-Kommission e<strong>in</strong>en<br />

europäischen Super-Highway mit e<strong>in</strong>em Investitionsvolumen<br />

von 40 Milliarden Ecu vor.<br />

Illustriert wird die <strong>Entwicklung</strong> durch e<strong>in</strong>e Meldung <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Münchner Tageszeitung, wonach das »Centrum für<br />

Informations- und Sprachverarbeitung (CIS)«. an der<br />

Ludwig-Maximilians-Universität mit zwei Gymnasien e<strong>in</strong><br />

Pilotprojekt durchführt. Die Schüler können über das bislang<br />

wissenschaftlichen Zwecken vorbehaltene Datennetz<br />

»Internet« weltweit mit Partnerschulen kommunizieren<br />

und Datenbanken nach Literaturangaben abfragen.<br />

Aus diesen Szenarien s<strong>in</strong>d die <strong>Entwicklung</strong>strends der<br />

modernen Informations- und Kommunikationstechnik<br />

(IuK) und die ihr <strong>in</strong>zwischen auch auf höchster politischer<br />

Ebene beigemessene Bedeutung zu ersehen.<br />

Die Mikroelektronik hat <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> vielen Bereichen<br />

des täglichen Lebens E<strong>in</strong>zug gehalten. Nicht nur im beruf-<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

lichen Umfeld, auch <strong>in</strong> den Schulen und <strong>in</strong> privaten<br />

Haushalten ist der Computer schon fast e<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit.<br />

Und trotzdem kommt beim Lesen von Nachrichten <strong>in</strong><br />

der oben geschilderten Art das Gefühl auf, wir stünden<br />

erst am Anfang der <strong>Entwicklung</strong>. Weitere Schlagworte wie<br />

RISC- und Client/Server-Technologie, Euro-ISDN, Multimedia,<br />

künstliche Intelligenz und neuronale Netze ließen<br />

sich <strong>in</strong> beliebiger Anzahl aufzählen.<br />

Während <strong>in</strong> den vergangenen drei Jahrzehnten die<br />

Aufgabe der elektronischen Datenverarbeitung vorwiegend<br />

dar<strong>in</strong> bestand, die Kernaufgaben e<strong>in</strong>er Firma oder<br />

Verwaltung durch Individuallösungen abzudecken, werden<br />

durch die heutigen Innovationen alle Unternehmensstrukturen<br />

betroffen. Die gewandelte Ausrichtung der<br />

Mikroelektronik von der Verarbeitung großer Datenmengen<br />

zur Informationsbereitstellung und Verbesserung<br />

der lokalen und überregionalen Kommunikation spiegelt<br />

sich auch <strong>in</strong> der Begriffswandlung von »EDV« auf »IT«<br />

(Informationstechnik) oder »IuK« wider.<br />

Hauptsächliche Ursachen für die jetzigen und auch <strong>in</strong><br />

Zukunft noch zu erwartenden Technologiesprünge auf<br />

dem Hard- und Softwaresektor dürften se<strong>in</strong>:<br />

— Die fortschreitende Standardisierung von Hard- und<br />

Softwareschnittstellen sowie von Netzprotokollen.<br />

Dies bedeutet weniger Mehrfachentwicklungen, breitere<br />

Marktbasis für die Produkte, vermehrte Hersteller-<br />

Unabhängigheit für die Anwender und damit höheren<br />

Wettbewerbs- und Leistungsdruck für die Hersteller.<br />

— Die Computer-, Telekommunikations- und Unterhaltungs<strong>in</strong>dustrie<br />

wachsen auf den Ebenen der Netze,<br />

Netzwerksdienste, Programme und Endgeräte immer<br />

mehr zusammen. Der Kampf um günstige Ausgangspositionen<br />

<strong>in</strong> diesem künftigen gigantischen Markt hat<br />

bereits begonnen und äußert sich <strong>in</strong> strategischen<br />

Allianzen der großen Firmen dieser Branchen mit<br />

e<strong>in</strong>em enormen <strong>Entwicklung</strong>spotential.<br />

Während auf der Hardware- und Netzwerkseite noch<br />

ke<strong>in</strong> Ende bei Rechen- und Übertragungsgeschw<strong>in</strong>digkeiten<br />

und Speicherungskapazitäten abzusehen ist, ist auf<br />

dem Software-Sektor e<strong>in</strong> starker Trend zu modernen<br />

Standard-Softwarelösungen zu verzeichnen. Die Schlüssel<br />

zu den neuen Technologien s<strong>in</strong>d leistungsfähige Datenbanksysteme,<br />

objektorientierte Techniken und sogenannte<br />

»Middleware«. Darunter versteht man Werkzeuge für die<br />

Erstellung von Anwendungssoftware unabhängig von<br />

Betriebssystemen, Hardware- und Netztopologie. Die<br />

Lösungsansätze, mit Hilfe dieser Technologien trotz<br />

heterogener DV-Landschaften die Kommunikation der<br />

E<strong>in</strong>führungreferate <strong>in</strong> den Arbeitskreis 6<br />

169


Systeme und e<strong>in</strong>e für den Anwender transparente<br />

Datenspeicherung sicherzustellen, laufen unter Schlagworten<br />

wie elektronische Vorgangsbearbeitung, Dokumenten-Management-Systeme,<br />

Workgroup Comput<strong>in</strong>g<br />

und virtuelle Teamarbeit.<br />

E<strong>in</strong>e Untersuchung, nach der 58 % der Arbeitnehmer<br />

mit der Bearbeitung, Beschaffung und Weiterleitung von<br />

Informationen beschäftigt s<strong>in</strong>d, läßt das dar<strong>in</strong> steckende<br />

Produktivitätspotential erahnen. Das Marktforschungsunternehmen<br />

Dataquest prognostiziert im Bereich der<br />

»Groupware« e<strong>in</strong>e Steigerung des Gesamtmarktes von derzeit<br />

2,49 Milliarden Dollar auf 5,8 Milliarden im Jahre<br />

1997. Durch ihre Flexibilität dr<strong>in</strong>gen Standardprogramme,<br />

z. B. Geo<strong>in</strong>formationssysteme, auch <strong>in</strong> Bereiche vor, <strong>in</strong><br />

denen bis vor wenigen Jahren e<strong>in</strong>e teure und schwerfällige<br />

Eigenprogrammierung unumgänglich schien.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs darf der Aufwand für die Anpassung, <strong>in</strong>sbesondere<br />

an komplexere Abläufe, nicht unterschätzt werden.<br />

Der große Vorteil liegt aber dar<strong>in</strong>, daß nur Standardprogramme<br />

aufgrund ihres breiten E<strong>in</strong>satzes e<strong>in</strong>en hohen<br />

<strong>Entwicklung</strong>sstand aufweisen und ständig an neue Technologien<br />

angepaßt werden können.<br />

Die moderne Informations- und Kommunikationstechnik<br />

kann Geschäftsprozesse besser mitgestalten und<br />

zur Optimierung bestehender Abläufe beitragen. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

ist auch e<strong>in</strong>e durchgreifende Änderung des Anwenderverhaltens<br />

erforderlich : Beim E<strong>in</strong>satz von Standardsoftware<br />

müssen Maximalforderungen aufgegeben<br />

werden. Aus Untersuchungen ist bekannt, daß sich viele<br />

Anforderungen der Fachabteilungen an EDV-Projekte<br />

ohneh<strong>in</strong> als Kosmetik erweisen, die für den eigentlichen<br />

Geschäftsablauf nicht nötig s<strong>in</strong>d.<br />

Ausgehend von diesem Gedanken möchte ich aber<br />

noch auf weitere Probleme h<strong>in</strong>weisen, die bei der Fasz<strong>in</strong>ation<br />

über die neuesten Errungenschaften leicht vergessen<br />

werden.<br />

In e<strong>in</strong>igen Branchen wird die zunehmende Digitalisierung<br />

der Informationen e<strong>in</strong>en Wandel oder sogar e<strong>in</strong><br />

Verschw<strong>in</strong>den heute noch gültiger Berufsbilder bewirken.<br />

Beispiele s<strong>in</strong>d heute schon <strong>in</strong> der Druckbranche zu f<strong>in</strong>den.<br />

Neu zu beurteilen s<strong>in</strong>d die Qualität und Authentizität von<br />

Informationen, die Verläßlichkeit des Informationstransfers<br />

und die Rechte der Beteiligten.<br />

Im Zusammenhang mit der E<strong>in</strong>führung neuer Technologien<br />

ist auch die Personalentwicklung (PE) zu sehen.<br />

Sie muß alle großflächigen Veränderungsprozesse begleiten<br />

und von Anfang an <strong>in</strong> alle wichtigen Projekte<br />

e<strong>in</strong>gebunden se<strong>in</strong>. Der ehemalige IBM-Personalleiter<br />

Dr. Ulrich A. Wever äußerte sich folgendermaßen:<br />

». . . Andererseits kann nicht jeder Mensch beliebig zu<br />

jeder Funktion umgeschult werden. Dom<strong>in</strong>ierende mentale<br />

Vorprägungen können bei Erwachsenen nur noch sehr<br />

bed<strong>in</strong>gt verändert werden. Deshalb die alte PE-Weisheit:<br />

E<strong>in</strong> Quentchen Auswahl ist besser als zehn Scheffel<br />

Schulung«.<br />

Da die Forderung nach optimaler Mitarbeiterauswahl<br />

jedoch schwer zu erfüllen ist, kommt der Schulung umso<br />

höhere Priorität zu. Obwohl bereits 37 % der westdeutschen<br />

und 24 % der ostdeutschen Erwerbstätigen am<br />

Computer arbeiten, wurde die Schulung bisher <strong>in</strong> allen<br />

Bereichen sträflich vernachlässigt. E<strong>in</strong> Grund s<strong>in</strong>d die<br />

hohen Kosten bei gleichzeitiger Ineffizienz von Sem<strong>in</strong>aren<br />

mit allgeme<strong>in</strong>er Zielrichtung, weshalb e<strong>in</strong> Trend zu<br />

Inhouse-Schulungen zu beobachten ist. E<strong>in</strong>en Schritt weiter<br />

geht e<strong>in</strong> großer bayerischer Automobilhersteller, der <strong>in</strong><br />

den vergangenen Jahren e<strong>in</strong>e sechsstellige Summe <strong>in</strong> die<br />

<strong>Entwicklung</strong> eigener PC-Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsmittel <strong>in</strong>vestierte, da die<br />

<strong>in</strong> großer Zahl am Markt verfügbaren Handbücher zu<br />

schlecht waren.<br />

Dr. Wever wiederum me<strong>in</strong>t hierzu: »Der Lernbedarf<br />

steigt zwar ständig, aber die klassische Sem<strong>in</strong>arschulung<br />

ist tot. Sie eignet sich allenfalls für die re<strong>in</strong> kognitive<br />

Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten, nicht aber für<br />

die Unterstützung großflächiger Veränderungsprozesse.<br />

Wichtigstes Lernfeld bleibt der Arbeitsplatz (was Coach<strong>in</strong>g<br />

durch den Vorgesetzten voraussetzt). Zunehmend erarbeiten<br />

teilautonome Lern-Projektteams Ansätze zur Lösung<br />

real existierender Probleme im Unternehmen«.<br />

Die Probleme Personalentwicklung und Ausbildung<br />

gelten natürlich nicht nur für die Anwenderseite, sondern<br />

sogar <strong>in</strong> höherer Dr<strong>in</strong>glichkeit für die Betreuer von Anwendern<br />

und der immer komplexer werdenden Systeme<br />

und Netzwerke.<br />

Me<strong>in</strong>e Gedanken zur Aus- und Fortbildung, womit sich<br />

heute <strong>in</strong>tensiver der Arbeitskreis 7 befassen wird, möchte<br />

ich mit e<strong>in</strong>em Zitat von Ex-McK<strong>in</strong>sey-Vorstand Tom Peters<br />

abschließen: »Auf ke<strong>in</strong>er Gehaltsliste e<strong>in</strong>es europäischen,<br />

amerikanischen oder japanischen Unternehmens ist heute<br />

noch Platz für Mitarbeiter, die sich nicht dem lebenslangen<br />

Lernen verpflichten«.<br />

Wie Sie der Tagungsbroschüre entnehmen konnten,<br />

werden die Arbeitskreise 3 — 8 <strong>in</strong> Moderationstechnik<br />

gestaltet. Ich danke Herrn Schellhaas, daß er sich als<br />

Referent für den E<strong>in</strong>führungsvortrag mit dem Thema<br />

»Aktuelle <strong>Entwicklung</strong>en der Informations- und<br />

Kommunikationstechnik — Anwendungsbeispiele <strong>in</strong> der<br />

öffentlichen Verwaltung«. zur Verfügung gestellt hat.<br />

Herr Schellhaas ist Diplom-Mathematiker und bei der<br />

Firma CAP debis als leitender Berater tätig. Das Systemhaus<br />

CAP debis bietet Beratungsdienste im Bereich des<br />

Managements, der Organisation und Technologie. Se<strong>in</strong>e<br />

hardwarenahen Dienste umfassen die Bereitstellung von<br />

Rechenleistung, herstellerneutrale Hardware-Konzeption<br />

e<strong>in</strong>schließlich deren Umsetzung, Migration und Wartungsservice.<br />

Im Software-Bereich bietet CAP debis<br />

Technologie-Knowhow für branchenspezifische Softwareprojekte<br />

und beim E<strong>in</strong>satz von Standardsoftware.<br />

Im Anschluß an den E<strong>in</strong>führungsvortrag werden e<strong>in</strong>zelne<br />

Themenbereiche <strong>in</strong> 4 Workshops <strong>in</strong> Moderationstechnik<br />

vertieft. Die Workshops werden von me<strong>in</strong>en<br />

Kollegen Peter Doneis, Eckhard H<strong>in</strong>te, Horst Küffner und<br />

170 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Axel Schäfer moderiert. Alle vier Kollegen s<strong>in</strong>d an den<br />

Direktionen Würzburg bzw. Bamberg als Vorsitzende des<br />

Vorstands von Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaften tätig. Ich danke<br />

ihnen bereits im voraus für die Unterstützung.<br />

Die hohe Anzahl von Arbeitskreisteilnehmern bestätigt<br />

das Bedürfnis nach neuen Informationen und gegenseitigem<br />

Austausch zu dem Thema Informations- und<br />

Kommunikationstechnik, mit dem wir alle sowohl <strong>in</strong> der<br />

beruflichen Praxis als auch im privaten Alltag immer mehr<br />

konfrontiert werden. Ich darf daher auf Ihre rege Mitarbeit<br />

<strong>in</strong> den Workshops rechnen.<br />

E<strong>in</strong>führung zum Nachmittagsthema:<br />

Durch die umwälzenden politischen <strong>Entwicklung</strong>en der<br />

vergangenen Jahre wie Wiedervere<strong>in</strong>igung, Öffnung der<br />

osteuropäischen Staaten und europischer B<strong>in</strong>nenmarkt<br />

entstehen wirtschaftliche Herausforderungen <strong>in</strong> neuen<br />

Dimensionen. Dem Wettbewerb der europäischen<br />

Regionen können sich ebensowenig wie die Wirtschaft<br />

auch die Kommunen und die übrige öffentliche Verwaltung<br />

entziehen.<br />

Information und Kommunikation wird daher künftig<br />

vermehrt zu e<strong>in</strong>em Produktionsfaktor, der nur mit E<strong>in</strong>satz<br />

neuester Techniken zu gewährleisten ist. E<strong>in</strong>e funktionierende,<br />

hochkomplexe Industriegesellschaft ist ohne die<br />

Möglichkeiten der Telekommunikation nicht mehr vorstellbar.<br />

Diese ist zum Nervensystem e<strong>in</strong>er mobilen<br />

Gesellschaft geworden.<br />

Um die Aktualität dieser Aussagen zu unterstreichen,<br />

möchte ich auf e<strong>in</strong>en Artikel von »Wall Street Journal«<br />

verweisen. Auf dem Informationsnetz Internet, an das<br />

weltweit 20 Millionen Anwender angeschlossen s<strong>in</strong>d, wird<br />

bis September <strong>1994</strong> »Commercenet« e<strong>in</strong>gerichtet. Über<br />

diesen Dienst können Firmen Bestellungen absetzen, sich<br />

an Ausschreibungen beteiligen, an geme<strong>in</strong>samen Produktplanungen<br />

arbeiten etc.<br />

Die <strong>Entwicklung</strong> der Gesellschaft von e<strong>in</strong>er Produktions-<br />

h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er Informationsgesellschaft ist gleichzeitig<br />

e<strong>in</strong>e große Chance für den ländlichen Raum. Mit<br />

den Mitteln der Telekommunikation können die Standortnachteile<br />

des Dorfes bezüglich Ausbildungsstätten und<br />

Arbeitsmarkt abgebaut werden. Allerd<strong>in</strong>gs muß nach den<br />

Worten von Dr. Walter Lohmeier, dem Leiter des Technologie-<br />

und Gründerzentrums Würzburg, das Dorf mit se<strong>in</strong>en<br />

Vorteilen — wie z. B. Wohn- und Lebensqualität —<br />

qualifizierte Arbeitskräfte anziehen, um für Standortentscheidungen<br />

attraktiv zu se<strong>in</strong>. Hierfür sei die Dorferneuerung<br />

e<strong>in</strong> wichtiges Instrument.<br />

Nicht zu vergessen ist der ökologische Aspekt, wenn<br />

durch <strong>Entwicklung</strong>en wie Telearbeit, Electronic Bank<strong>in</strong>g<br />

und Videokonferenzen die Mobilität anstatt durch Verkehrssysteme<br />

durch Netzwerke gesichert wird. Informationen<br />

zur Telematik im ländlichen Raum erhalten wir nun<br />

von Herrn Prof. Dr. Jörg Maier <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>führungs-<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

vortrag »Telekommunikation im ländlichen Raum<br />

— Möglichkeiten und Grenzen der Errichtung von<br />

Telestuben«.<br />

Herr Prof. Dr. Maier ist Inhaber des Lehrstuhls Wirtschaftsgeographie<br />

und Regionalplanung an der Universität<br />

Bayreuth und hat sich u. a. anläßlich e<strong>in</strong>es Gutachtens<br />

zur Dorferneuerung Weißenbrunn mit der Thematik<br />

Telestuben befaßt. Die Universität Bayreuth ist ferner<br />

Mitglied im Trägervere<strong>in</strong> »Telehaus Bayreuth«. Ich bitte im<br />

Anschluß an den Vortrag um e<strong>in</strong>e lebhafte Beteiligung an<br />

der Diskussion <strong>in</strong> der Hoffnung, entsprechend dem Motto<br />

der <strong>Fachtagung</strong> »<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>dient</strong> <strong>Stadt</strong> und<br />

Land« zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>en gedanklichen Beitrag zur Telematik<br />

im ländlichen Raum leisten zu können.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

171


Holger Schellhaas<br />

Aktuelle <strong>Entwicklung</strong>en der<br />

Informations- und<br />

Kommunikationstechnik<br />

Anwendungsbeispiele aus der öffentlichen<br />

Verwaltung<br />

Nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen<br />

auf <strong>in</strong>ternationalen Märkten, auch die Effizienz<br />

e<strong>in</strong>er modernen Verwaltung wird schon seit längerem<br />

durch den E<strong>in</strong>satz von Informations- und Kommunikationstechnik<br />

bestimmt. Im Unterschied zu den 80er<br />

Jahren, die mit dem Aufkommen der PCs im Zeichen der<br />

<strong>in</strong>dividuellen Datenverarbeitung am e<strong>in</strong>zelnen Arbeitsplatzes<br />

standen, dom<strong>in</strong>iert heute der Aufbau von Telekommunikations<strong>in</strong>frastrukturen<br />

zur Unterstützung von<br />

Arbeitsabläufen auch über regionale Standorte h<strong>in</strong>weg.<br />

1. Neue TK-Infrastrukturen durch die Deregulierung<br />

Die aktuellen <strong>Entwicklung</strong>en der Informations- und<br />

Kommunikationstechnik wurden vor allem durch die<br />

Deregulierung im Telekommunikationsmarkt ausgelöst,<br />

die das Monopol der DBP Telekom auf drei Bereiche e<strong>in</strong>geschränkt<br />

hat: die Bereitstellung von Monopolleitungen<br />

für die Übertragung von Informationen über öffentlichen<br />

Grund, die Vergabe von Funklizenzen und die (kommerzielle)<br />

Vermittlung von Sprac he (<strong>in</strong> Echtzeit) für Dritte.<br />

Als Folge etablierten sich mehr und mehr (private)<br />

Anbieter aus dem In- und Ausland mit neuen Dienstleistungen<br />

und veränderten das Marktgefüge:<br />

— Durch die Vergabe der Mobilfunklizenzen an Mannesmann<br />

Mobilfunk und an das Eplus-Konsortium hat<br />

die Mobilkommunikation <strong>in</strong> De utschland erheblich<br />

an Attraktivität gewonnen. Bereits im Jahr <strong>1994</strong><br />

beträgt die Zahl »mobiler« Teilnehmer <strong>in</strong> den GSM-<br />

Netzen (D1 und D2) ca. 1 Million. Das Potential für<br />

zellulare Netze (<strong>in</strong>klusive Eplus) wird auf 10 Mio. Teilnehmer<br />

geschätzt. Daneben unterstützt der digitale<br />

INMARSAT-M-Dienst seit 1992 das »mobile« Telefonieren<br />

via Satellit und erschließt über den Zugang <strong>in</strong><br />

lokale Telefonnetze auch <strong>in</strong>frastrukturarme Regionen.<br />

Während jedoch heute noch relativ großvolumige<br />

Endgeräte erforderlich s<strong>in</strong>d, geht der Trend h<strong>in</strong> zu<br />

kle<strong>in</strong>en, den GSM-Endgeräten vergleichbaren<br />

Satellitentelefonen.<br />

— Als neueste Dienstleistung ist der »Datenfunk für jedermann«<br />

verfügbar. Angeboten wird die »mobile«<br />

Datenübertragung von den beiden D-Netz-Betreibern<br />

und (für e<strong>in</strong>e breite wirtschaftliche und private<br />

Nutzung) seit 1993 als öffentlicher Dienst MODACOM.<br />

E<strong>in</strong>satzgebiete s<strong>in</strong>d z.B. die Fernüberwachung oder<br />

Fernsteuerung von Anlagen (»Telemetrie«), Anwendungen<br />

im Außendienst (Stichwort »mobile office« mit<br />

Funkzugriff auf Dokumente und zentrale Datenbanken)<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

und die Steuerung von Fahrzeugflotten bei Feuerwehr<br />

und Rettungsorganisationen.<br />

— Innerhalb von (gesellschaftlich oder privatrechtlich verbundenen)<br />

Kommunikationsgeme<strong>in</strong>schaften ist ebenfalls<br />

seit 1993 die Übertragung von Daten und Sprache<br />

<strong>in</strong> Corporate Networks zulässig. Das damit entstehende<br />

neue Marktsegment »Managen privater Netze« wird als<br />

die Dienstleistung der 90er Jahre bezeichnet.<br />

E<strong>in</strong> Corporate Network ist den Anforderungen e<strong>in</strong>er<br />

def<strong>in</strong>ierten Anwendergruppe optimal angepaßt und stellt<br />

Kommunikationsfunktionen be reit, die über das Angebot<br />

öffentlicher Standardnetze und -dienste h<strong>in</strong>ausgehen.<br />

Eigen betriebene Corporate Networks bieten durch die<br />

Integration von Sprache und Daten auf e<strong>in</strong>er Leitung e<strong>in</strong><br />

erhebliches E<strong>in</strong>sparungspotential. Doch auch für den<br />

re<strong>in</strong>en Telefonverkehr e rgeben sich Chancen zur Kostensenkung,<br />

wenn durch den E<strong>in</strong>satz von Sprachkomprimierern<br />

die Kapazität von vorhandenen Leitungen erhöht<br />

werden kann.<br />

Neben Kostensenkungen ist die Vernetzung von<br />

ISDN-TK-Anlagen <strong>in</strong> Corporate Networks auch unter dem<br />

Schlagwort »Bürgerservice« für <strong>Stadt</strong>- und Landesverwaltungen<br />

<strong>in</strong>teressant. Ziel ist es z. B., e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>heitlichen<br />

Nummernplan für alle Dienststellen zu schaffen. Die Erleichterung<br />

für die Bürger besteht dar<strong>in</strong>, daß zeitraubende<br />

und nervtötende Versuche, den gewünschten Teilnehmer<br />

zu erreichen, entfallen (z. B. den für die Steuererklärung<br />

zuständigen F<strong>in</strong>anzbeamten). Jeder Anruf unter e<strong>in</strong>er<br />

(dann jedem bekannten) »<strong>Stadt</strong>«-Nummer wird per Vermittlung<br />

durch die Telefonzentrale oder über direkte<br />

Durchwahl und automatische Anrufverteilung im Netz an<br />

die entsprechende Stelle weitergeleitet. E<strong>in</strong>schränkend<br />

gilt allerd<strong>in</strong>gs, daß solche Lösungen derzeit nur s<strong>in</strong>nvoll<br />

funktionieren, wenn TK-Anlagen e<strong>in</strong>er Produktfamilie<br />

e<strong>in</strong>es Herstellers vernetzt werden (aufgrund fehlender<br />

Standardisierung).<br />

E<strong>in</strong> wichtiges E<strong>in</strong>satzbeispiel der Mobilkommunikation<br />

ist die Anb<strong>in</strong>dung »mobiler« Mitarbeiter (z.B. Außendienst)<br />

an zentrale Datenbanken oder Electronic-Mail-Systeme.<br />

E<strong>in</strong>setzbar hierfür s<strong>in</strong>d u. a. alle handelsüblichen Notebooks<br />

— mit e<strong>in</strong>gebautem MODACOM-Modem oder<br />

erweitert um entsprechende PC-Karten »mit Antenne«<br />

(z. B. PCMCIA-GSM-Adapter oder externes Modem; Preis<br />

z. Zt. etwa 3—5000 DM). Da beispielsweise MODACOM<br />

wie e<strong>in</strong>e »Funkbeule« am DATEX-P-Netz funktioniert, ist<br />

problemlos die Datenübertragung <strong>in</strong> beiden Richtungen<br />

möglich (bei der zu erwartenden Flächendeckung der<br />

Datenfunkdienste sogar — falls gewünscht — auch aus<br />

jedem Wirtshaus).<br />

Speziell für Länder und Geme<strong>in</strong>den gew<strong>in</strong>nt die Bereitstellung<br />

von TK-Infrastrukturen »aus e<strong>in</strong>er Hand« an Bedeutung.<br />

E<strong>in</strong>satzfälle reichen von neuen Konzepten des<br />

»<strong>in</strong>telligent build<strong>in</strong>g«, bei denen die TK-Verkabelung als<br />

<strong>in</strong>tegraler Bestandteil des Gebäudekonzepts ange boten<br />

wird, über die <strong>in</strong>formationstechnische Erschließung von<br />

<strong>Stadt</strong>teilen und Gewerbegebieten durch breitbandige<br />

Glasfasernetze bis h<strong>in</strong> zu Telekommunikationszentren, die<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

173


Videoconferenc<strong>in</strong>g, Kommunikation via Satellit oder<br />

Electronic-Mail- und Datenbankdienste als Servicebüros<br />

anbieten. Grundgedanke dieser <strong>in</strong>ternational auch als<br />

»Teleport« bezeichneten Projekte ist e<strong>in</strong>e ganzheitliche<br />

Konzeption, bei der Telekommunikation als gestaltendes<br />

Element im Rahmen kommunaler Infrastrukturmaßnahmen<br />

verstanden wird.<br />

2. Neue Mehrwertdienste durch neue Netze<br />

Von zentraler Bedeutung für die Telekommunikation ist<br />

neben der Deregulierung die rasante Weiterentwicklung<br />

und Standardisierung im Bereich der Übertragungs- und<br />

Vermittlungstechniken. Zur Zeit bef<strong>in</strong>den sich im Weitverkehrsbereich<br />

Glasfasernetze im Aufbau, über die Daten<br />

mit e<strong>in</strong>er Geschw<strong>in</strong>digkeit von bis zu 622 MBit/s übertragen<br />

werden. Aufgrund ihrer Zellstruktur (Stichwort<br />

ATM) können sowohl asynchrone DV-Daten als auch<br />

synchrone Sprach- und Videodaten über e<strong>in</strong>- und dasselbe<br />

Medium transportiert werden.<br />

Was für Weitverkehrsnetze bereits Realität ist, wird für<br />

den Anschlußbereich der Teilnehmervermittlungsstellen<br />

(Ortsbereich) derzeit nachgezogen. Beg<strong>in</strong>nend <strong>in</strong> den<br />

neuen Bundesländern bef<strong>in</strong>den sich optische Anschlußnetze<br />

(OPAL) im Aufbau, die <strong>in</strong> Zukunft Träger von Multimedia-Diensten<br />

se<strong>in</strong> können (<strong>in</strong>dem z.B. Videoverteildienste<br />

— Stichwort »Video On Demand« — kurz vor dem<br />

Sitz des Endabnehmers <strong>in</strong> den Kabelnetz-Anschluß e<strong>in</strong>gespeist<br />

werden).<br />

Multimediale Orientierungs-, Auskunfts- und Informationssysteme<br />

für Grafik, Video und Audio zur Routenbestimmung<br />

und Zimmervermittlung <strong>in</strong> Städten oder als<br />

mehrsprachige Systeme für Touristen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang aktuelle Anwendungen. In Ostbayern<br />

werden der zeit als Pilotprojekt an Autobahnraststätten<br />

spezielle Info-Gebäude errichtet; auch die »Infoboys« <strong>in</strong><br />

Bayerisch Zell und Viechtach (mit bis zu 15 000 Anfragen<br />

und 1 000 Ausdrucken pro Monat) zählen hierzu.<br />

Nach e<strong>in</strong>er aktuellen Marktstudie kommt bereits heute<br />

<strong>in</strong>teressanterweise der größte Teil der Auftraggeber von<br />

Multimedia-Produkten neben Banken/Versicherungen aus<br />

M<strong>in</strong>isterien und Behörden sowie aus dem Fremdenverkehr.<br />

Als Ursache wird gerade auch von Städten und<br />

Geme<strong>in</strong>den der hohe Bedarf an entsprechend gestalteten<br />

und <strong>in</strong>teraktiven Diensten genannt.<br />

Nicht zuletzt durch die Mobilkommunikation s<strong>in</strong>d<br />

Sprachmehrwertdienste zu e<strong>in</strong>em echten Wachstumsmarkt<br />

geworden. Darunter fallen alle Anwendungen für<br />

die Bereitstellung von Informationen über das Telefonoperator<br />

geführt (z. B. für die Bearbeitung von Anfragen<br />

und Aufträgen) oder mittels <strong>in</strong>teraktivem Zugriff auf<br />

Datenbanken (z. B. Auskunftssysteme mit Sprach-/Tonerkennung<br />

und automatischer Sprachausgabe).<br />

In Verb<strong>in</strong>dung mit ACD-Lösungen (Automatic Call<br />

Distribution) und standardisierter CSTA-Schnittstelle<br />

(Computer Supported Telephony A pplication) können<br />

solche Lösungen flächendeckend realisiert werden. CSTA<br />

unterstützt dabei die direkte Kommunikation zwischen der<br />

Verb<strong>in</strong>dungssteuerung e<strong>in</strong>er TK-Anlage und angeschlossenen<br />

DV-Systemen. Dies ermöglicht z. B. e<strong>in</strong>em Mitarbeiter<br />

<strong>in</strong> der Telefonzentrale, bei Anruf von außen die unter dieser<br />

Nummer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Datenbank abgelegten Informationen<br />

via Rufnummernerkennung automatisch an se<strong>in</strong>en Bildschirm<br />

zu holen.<br />

In den Kommunen und Städten gibt es bereits e<strong>in</strong>e<br />

Vielzahl von Beispielen (z. B. <strong>Stadt</strong> Hamburg), wo sprachorientierten<br />

Service-Leistungen der Öffentlichkeit angeboten<br />

werden (auch als »Call Center« bekannt). Dies<br />

umfaßt beispielsweise Verkehrs<strong>in</strong>formationen, die z. T.<br />

auch über Mobilfunk im Auto empfangen werden können,<br />

kommunale Informationen über Öffnungszeiten und aktuelle<br />

Veranstaltungen (wobei der Anrufer über e<strong>in</strong> sprachgeführtes<br />

»Menü« <strong>in</strong>teraktiv zwischen verschiedenen<br />

Auskünften wählen kann) oder Werbe<strong>in</strong>formationen (mit<br />

Bestellservice) ortsansäßiger Unternehmen.<br />

Treibende Kraft für diese Informationsdienste ist auch<br />

der Ausbau der öffentlichen Telefonnetze zu »<strong>in</strong>telligent<br />

networks«, die durch e<strong>in</strong>e konsequente Trennung von<br />

Vermittlungs- und Verarbeitungsfunktionen die schnelle<br />

Konfigurierung neuer Dienste unterstützen. Die neue<br />

Netzarchitektur erlaubt u. a. e<strong>in</strong>e dienstespezifische<br />

Gebührenabrechnung (»itemized bill<strong>in</strong>g«) und bietet damit<br />

privaten Informationsanbietern die Möglichkeit, für<br />

höherwertige Dienste (z. B. Hotelreservierung oder Teleshopp<strong>in</strong>g)<br />

entsprechende Entgelte zu erheben.<br />

3. Neue Lösungen für die Bürokommunikation<br />

»Workgroup Comput<strong>in</strong>g« — die Bereitstellung von<br />

Werkzeugen für die Zusammenarbeit flexibler Arbeitsgruppen<br />

— und »Workflow Management « — die Automatisierung<br />

von standardisierbaren Arbeitsabläufen —<br />

s<strong>in</strong>d die Trends der wiederbelebten Bürokommunikationsdiskussion.<br />

Aber letztlich beschreiben diese neuen Schlagworte<br />

nur das altbekannte Phänomen, daß Büro- bzw.<br />

Verwaltungsarbeit <strong>in</strong> hohem Maße arbeitsteilig ist und<br />

durch die Kooperation zwischen den unterschiedlichen<br />

Arbeitsplätzen gekennzeichnet ist. Neu ist, daß aufgrund<br />

der mittlerweile beachtlichen Durchdr<strong>in</strong>gung mit PC’s und<br />

lokalen Netzen (laut IDC verfügten 1992 rund 15 % aller<br />

Arbeitsstätten <strong>in</strong> der öffentlichen Verwaltung über e<strong>in</strong><br />

LAN) die technische Voraussetzung zur Realisierung e<strong>in</strong>heitlicher<br />

Kommunikationsplattformen für die Unterstützung<br />

vorgegebener Arbeitsabläufe gegeben ist.<br />

Die Basis für e<strong>in</strong>er moderne Bürokommunikation (und<br />

für alle anderen DV-unterstützten Abläufe bis h<strong>in</strong> zur<br />

Produktionssteuerung) bildet zunehmend lokale Intelligenz,<br />

die über entsprechende Netze (z. B. X.25, aber auch<br />

LAN-LAN-Kommunikation über ISDN) verbunden ist.<br />

Generell geht der Trend weg von zentralen Systemkonzepten<br />

zu Client-Server-Architekturen, die der Vor-Ort-<br />

Verarbeitung e<strong>in</strong> größeres G ewicht verleihen. Projektbeispiele<br />

speziell im Behördenumfeld zeigen, daß es allerd<strong>in</strong>gs<br />

verfehlt wäre, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er völligen Dezentralisierung der<br />

DV e<strong>in</strong> Allheilmittel zu sehen. E<strong>in</strong> vernünftiges Inter-<br />

174 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


network<strong>in</strong>g zwischen Zentralrechner und dezentralen<br />

Systemen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Client-Server-Architektur liefert <strong>in</strong> aller<br />

Regel die besseren Ergebnisse.<br />

Die Anforderungen e<strong>in</strong>er modernen Verwaltung zielen<br />

sowohl auf die klassische Vorgangsbearbeitung mit e<strong>in</strong>em<br />

durchgängigen Dokumentenmanagement als auch auf<br />

neue technische Lösungen für die sich fallweise ergebenden<br />

Entscheidungs-, Projekt- und Teamaufgaben. E<strong>in</strong><br />

Anwendungsbeispiel aus e<strong>in</strong>er Landesbehörde ist die<br />

geme<strong>in</strong>same Erstellung und <strong>in</strong>teraktive Bearbeitung von<br />

umfangreichen Dokumentationen durch Mitarbeiter aus<br />

verschiedenen, räumlich getrennten Dienststellen. In dieses<br />

regelmäßige Berichtswesen s<strong>in</strong>d zudem spezialisierte<br />

E<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong>volviert, die Zugriff auf ausgesuchte Datenbestände<br />

haben (z. B. Geo-Informationssysteme) oder<br />

über anspruchsvolle Werkzeuge (z. B. Bildverarbeitung für<br />

die Erstellung von Landkarten) verfügen.<br />

Technisch ist die Lösung realisiert durch den E<strong>in</strong>satz<br />

von »Lotus Notes« als Kommunikationsplattform, das die<br />

Verarbeitung und Verwal tung gemischter Text-/Grafik-<br />

Dokumente <strong>in</strong>nerhalb der Arbeitsgruppe, Freigabeprozeduren<br />

und Zugriffssicherung sowie den Abgleich von<br />

Datenbeständen über die Standorte h<strong>in</strong>weg unterstützt.<br />

Daneben ist »Softswitch Central« als Kommunikationsdrehscheibe<br />

zur e<strong>in</strong>heitlichen Verteilung von Schriftgut<br />

unterschiedlicher Formate (Designer, W<strong>in</strong>Word, Word<br />

Perfect, PCText4 und /370Text). Optimiert wird dadurch<br />

der transparente Dokumentenaustausch zwischen PC-,<br />

UNIX- bzw. hostbasierten Mail-Systemen und das<br />

Zusammenfügen von Teilergebnissen an e<strong>in</strong>er zentralen<br />

Stelle.<br />

E<strong>in</strong> weiteres Beispiel ist die im Rahmen des Landessystemkonzepts<br />

Baden-Württemberg geplante Vere<strong>in</strong>heitlichung<br />

und Zusammenlegung von bis dah<strong>in</strong> separaten<br />

Datennetzen zu e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>tegrierten Telekommunikationsnetz.<br />

E<strong>in</strong> Schwerpunkt bildet die Realisierung e<strong>in</strong>es<br />

durchgängigen Dokumenten- und Schriftgutverwaltungssystems<br />

(DSV), das auf allen Bürokommunikationsplattformen<br />

der Landesverwaltung lauffähig ist.<br />

Das System soll dabei im wesentlichen die schrittweise<br />

Realisierung e<strong>in</strong>er elektronischen Vorgangsbearbeitung<br />

ermöglichen, <strong>in</strong> die bew ährte Abläufe und bewährte<br />

Fachanwendungen <strong>in</strong>tegriert werden können. Es werden<br />

Registraturaufgaben unterstützt, d. h. Bearbeiten von<br />

Poste<strong>in</strong>- und -ausgängen, Erfassen und Pflegen der<br />

Verwaltungsdaten, Übernahme und Pflege des landese<strong>in</strong>heitlichen<br />

Aktenplans (Aktennummern, Schlagworte).<br />

Weitere Funktionen s<strong>in</strong>d Mitzeichnung, Akten- und<br />

Statusverfolgung (e<strong>in</strong>schließlich Regelung der Zugriffsberechtigung)<br />

sowie die Wiedervorlageverwaltung.<br />

Die DSV-Lösung ist als portables und konfigurierbares,<br />

auf dem Datenbanksystem Oracle (DBMS unter<br />

SQL*Forms) aufsetzendes System gestaltet und bietet<br />

Dienste, mit deren Hilfe Verwaltungsdaten (Referenz<strong>in</strong>formationen)<br />

von Dokumenten, Vorgängen und Akten im<br />

DBMS abgelegt und bearbeitet werden können. Sie ist als<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Stand-Alone-Version, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Multitask<strong>in</strong>g-Umgebung<br />

auf e<strong>in</strong>em Zentralrechner und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er verteilten Client-<br />

Server-Umgebung laufähig. Die Dokumente können dabei<br />

<strong>in</strong> Papierform oder als elektronisches Schriftgut vorliegen.<br />

Der Vorteil dieser Lösung ist, daß jede Bürokommunikations-Software<br />

mit jeder anderen auf jeder Hardware-<br />

Plattform zusammenarbeiten kann. Gleichzeitig wird e<strong>in</strong>e<br />

Basis für die später geplante elektronische Vorgangsbearbeitung<br />

geschaffen, ohne die vorhandene Vielzahl von<br />

Bürosystemen auf e<strong>in</strong>en Schlag ersetzen zu müssen.<br />

4. Erfahrungen bei der Umsetzung <strong>in</strong> die konkrete<br />

Projektarbeit<br />

Wie lassen sich aber nun die neuen technischen<br />

Möglichkeiten <strong>in</strong> der praktischen Projektarbeit nutzen?<br />

Wer formuliert den Bedarf, wer trägt die Budget- und<br />

Projektverantwortung, wie s<strong>in</strong>d die Nutzer zu beteiligen,<br />

wie ist der E<strong>in</strong>führungsprozeß zu gestalten? E<strong>in</strong>ige<br />

Gedanken hierzu sollen abschließend anhand der Erfahrungen<br />

aus e<strong>in</strong>em kürzlich abgeschlossenen Projekt <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Behörde formuliert werden. Ziel war der Aufbau<br />

e<strong>in</strong>er langfristig tragfähigen HW- und SW-Infrastruktur<br />

für den dienstweit e<strong>in</strong>heitlichen Dokumentenaustausch.<br />

Konkrete Vorstellungen über Umfang und Laufzeit des<br />

gesamten Vorhabens waren nicht vorhanden, gleichzeitig<br />

lag schon seit Monaten e<strong>in</strong>e Fülle von Anforderungen aus<br />

den Fachreferaten auf dem Tisch. Die Konsequenz war,<br />

daß letztlich doch — obwohl ursprünglich »nur« e<strong>in</strong>e<br />

»quick and dirty« - Lösung zur Vere<strong>in</strong>heitlichung der SW-<br />

Ausstattung an den Büroarbeitsplätzen geplant war — die<br />

»klassischen« Phasen Zieldef<strong>in</strong>ition, Anforderungsanalyse,<br />

Konzeption und Realisierungsplanung z. T. nachträglich<br />

durchlaufen werden mußten, um zu e<strong>in</strong>em tragfähigen<br />

Ergebnis zu kommen:<br />

Zieldef<strong>in</strong>ition:<br />

»Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen«. Dieser Satz gilt<br />

stärker noch als sonst für die Vorbereitung von abteilungs-<br />

oder behördenübergreifenden Vorhaben, z. B. die<br />

Entscheidung, ob e<strong>in</strong> eigenes »Corporate Network« aufgebaut<br />

werden soll oder wie umfassend e<strong>in</strong> Konzept für<br />

Dokumentenmanagement bestehende Abläufe verändern<br />

soll. Da hierfür ke<strong>in</strong>e klaren Vorgaben existierten, prallten<br />

während des laufenden Projekts plötzlich völlig konträre<br />

Vorstellungen der unterschiedlichen Fachabteilungen aufe<strong>in</strong>ander.<br />

Dies reichte von Rationalisierungsforderungen<br />

durch Neugestaltung der Verwaltungsabläufe bis h<strong>in</strong> zu<br />

Forderungen nach Multi-Media-PC’s für Servicestellen.<br />

Die Schlußfolgerung hieraus ist, daß die Auftragserteilung<br />

von e<strong>in</strong>er Stelle erfolgen muß, die auch die<br />

Kompetenz hat, die Realisierung durchzusetzen. Alle<br />

relevanten Organisationse<strong>in</strong>heiten s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die Projektorganisation<br />

e<strong>in</strong>zubeziehen oder zum<strong>in</strong>destregelmäßig zu<br />

<strong>in</strong>formieren. Zu Beg<strong>in</strong>n des Projekts muß e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />

»Sprache« geschaffen und e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />

Zielvorstellung erarbeitet werden.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

175


Anforderungsanalyse:<br />

Die Praxis ist, daß Redesign-Entscheidungen für die<br />

vorhandenen Netze anstehen — oft ausgelöst durch die<br />

aktuelle Kosten-/Nutzendiskussion über Corporate Networks<br />

- ohne daß systematische Analysen zur Identifizierung<br />

von Bedarfspotentialen abgeschlossen s<strong>in</strong>d (oder<br />

überhaupt nicht begonnen wurden). Aber was nützt es,<br />

wenn nach erfolgtem Technike<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> vielen Verwaltungsstellen<br />

vielleicht 10% aller Akten und Dokumente<br />

elektronisch erzeugt, bearbeitet und kommuniziert werden,<br />

die restlichen 90 % aber weiterh<strong>in</strong> lange Durchlaufzeiten<br />

über haus<strong>in</strong>terne Verteilsysteme — meist noch mit<br />

Boten — oder mühsames Suchen nach Informationen <strong>in</strong><br />

verstaubten Kellerarchiven verursachen.<br />

Die Konsequenz ist, trotz der verständlichen Neigung,<br />

den Aufwand für die Analyse möglichst ger<strong>in</strong>g zu halten<br />

- mit dem Argument: »Brauchen Sie diese Informationen<br />

wirklich«? oder »Das wissen wir doch schon längst«, bewährte<br />

und wenig aufwendige Verfahren zur »Informationsbeschaffung«<br />

(Kommunikationsanalysen, Verkehrsmessungen<br />

im Netz, etc.) wenigstens an ausgewählten<br />

typischen Arbeitsplätzen b zw. Systemen oder durch Be<br />

fragung von »Experten« e<strong>in</strong>zusetzen und die Auswertung<br />

dieser Informationen auf das »Wesentliche« beschränken.<br />

Konzeption:<br />

Die Diskussion um E<strong>in</strong>satzmöglichkeiten neuer technischer<br />

Lösungen wird verkürzt geführt, wenn bei der<br />

Planung ausschließlich die Vor- oder Nachteile e<strong>in</strong>zelner<br />

Software-Features im Vordergrund stehen. Die e<strong>in</strong>zusetzenden<br />

Systeme stellen primär e<strong>in</strong>e »passive« Infrastruktur<br />

bereit, auf der die Benutzer im Rahmen der entsprechenden<br />

Geschäftsprozesse aktiv alle Aktionen selbst bestimmen<br />

und durchführen.<br />

Als Folge s<strong>in</strong>d technische und organisatorische Aspekte<br />

im Zusammenhang mit der geplanten technischen Lösung<br />

gleichrangig zu betracht en. In unserem Beispiel sollten<br />

Fragen zur Neugestaltung von Arbeitsabläufen zunächst<br />

ausgeklammert bleiben. Nur die Erkenntnis währ end des<br />

Projekts, daß die Realisierung der Nutzenpotentiale neuer<br />

Technik auch aktive gestalterische Leistungen der Mitarbeiter<br />

erfordert und daß anders e<strong>in</strong> Wirtschaftlichkeitsnachweis<br />

nur schwer möglich ist, führte zu e<strong>in</strong>er wenigstens<br />

nachträglichen Erarbeitung e <strong>in</strong>es organisatorischen<br />

Maßnahmenkatalogs.<br />

Realisierungsplanung:<br />

Obwohl <strong>in</strong> der Realisierungsphase natürlich die Implementierung<br />

der Technik im Mittelpunkt steht, darf nicht<br />

vergessen werden, daß der »Erfolg« der Technik von der<br />

richtigen Wahl der E<strong>in</strong>stiegsanwendungen und E<strong>in</strong>stiegsfelder<br />

abhängt. Problematisch <strong>in</strong> dem hier erwähnten<br />

Projekt war, daß e<strong>in</strong>e Auswahl des Herstellers bereits<br />

vorab beschlossen war, also ke<strong>in</strong>e echte Auswahl zwischen<br />

alternativen Produktangeboten erfolgen konnte.<br />

Zudem fehlte e<strong>in</strong>e übergeordnete Planungs- und<br />

Steuerungs<strong>in</strong>stanz für die zur Umsetzung des Konzepts<br />

erforderlichen Teilprojekte. Konsequenterweise stellt<br />

neben der Identifizierung geeigneter Verwaltungsabläufe<br />

für Pilot<strong>in</strong>stallationen und dem damit verbundenen<br />

Nutzennachweis vor allem die Festlegung der dienstweit<br />

gültigen Standards für die Gestaltung der unterlegten<br />

Netz<strong>in</strong>frastruktur (und nicht zuerst die SW-Auswahl)<br />

e<strong>in</strong>en zentralen Planungsschritt dar.<br />

Die Erfahrung zeigt, daß unternehmensspezifische<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, mangelnde Kenntnis der Ist-<br />

Situation, unklare Kompetenzverteilung, Budget- und<br />

Kapazitätsprobleme oder unvorhergesehener Widerstand<br />

von Mitarbeitern ohne die dargestellte Orientierung an<br />

e<strong>in</strong>er grundsätzlichen Vorgehensweise e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong><br />

akzeptiertes und durchsetzbares Projektergebnis gefährden<br />

können. Die unbestrittenen Kosten- und Nutzeneffekte<br />

neuer technischer Lösungen, die auch <strong>in</strong> der<br />

öffentlichen Verwaltung die Investitionsentscheidungen<br />

bestimmen, s<strong>in</strong>d so kaum optimal zu erzielen.<br />

Interessierte Arbeitskreisteilnehmer<br />

<strong>in</strong> der Diskussion<br />

176 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Jörg Maier<br />

Telekommunikation im ländlichen<br />

Raum — Möglichkeiten und<br />

Grenzen der Errichtung von<br />

Telestuben<br />

1. Begriffsbestimmung und Grundlagen der<br />

technischen <strong>Entwicklung</strong><br />

Gegenstand der Telematik (synonym wird auch der<br />

Begriff der Informations- und Kommunikationstechniken<br />

bzw. -technologien, kurz IuK-Techniken, verwendet) ist die<br />

Technik der Übertragung von Sprache, Text, Bildern<br />

und/oder Daten über größere Distanzen mittels Leitungsoder<br />

Funknetzen. Die Informationstechnik bewerkstelligt<br />

dabei e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>seitige Übertragung, während die Kommunikationstechnik<br />

der zwei- oder mehrseitigen Sprach-, Text-,<br />

Bild, und/oder Datenübertragung <strong>dient</strong>. Obwohl die Grenzen<br />

zwischen Informations- und Kommunikationstechniken<br />

fließend se<strong>in</strong> können, soll an dieser Stelle das Abgrenzungskriterium<br />

der primären Funktion (Information<br />

oder Kommunikation) genügen.<br />

Zum Bereich der <strong>in</strong>formationsorientierten Telematikelemente<br />

zählen demzufolge <strong>in</strong>sbesondere der Rundfunk<br />

und das Fernsehen. In Verb<strong>in</strong>dung mit der Fernsehübertragung<br />

kann auch der Videotext bzw. der Videodat-<br />

Empfang genannt werden, die jeweils mit speziellen<br />

Dekodern empfangen werden können. Durch die genannten<br />

Dienste ist also der Empfang sowohl von Sprache,<br />

bewegten und stillen Bildern sowie Text und Daten<br />

möglich. Kennzeichnend für die Informationsdienste ist,<br />

daß hier e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>seitige Sender-Empfänger-Relation aufgebaut<br />

wird, die nur <strong>in</strong>direkt etwa über E<strong>in</strong>schaltquoten<br />

oder Zuschauer/Zuhörerreaktion <strong>in</strong> ihrem Inhalt bee<strong>in</strong>flußt<br />

werden kann. Entsprechend dieser Def<strong>in</strong>ition zählen<br />

auch die neueren Dienste Cityruf oder Eurosignal zu den<br />

Informationsdiensten, da hier ke<strong>in</strong>e direkte Kommunikation<br />

ermöglicht, sondern mehr oder weniger kurze<br />

Informationen übermittelt werden.<br />

Demgegenüber dienen die kommunikationsorientierten<br />

Elemente der Telematik <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie dem Dialog<br />

zwischen zwei oder auch mehreren Teilnehmern. Der<br />

älteste und auch am weitesten verbreitete Kommunikationsdienst<br />

ist das Telefon zur Übermittlung von Sprache.<br />

Als Folge der Weiterentwicklung der Übertragungstechnologie<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den letzten zwanzig Jahren immer mehr<br />

Dienste h<strong>in</strong>zugekommen. Zu nennen s<strong>in</strong>d hier etwa das<br />

ebenfalls bereits ältere Telex (zur Übertragung von<br />

Texten), das Telefax (zur Übertragung von Texten oder<br />

stehenden Bildern), die Daten(fern)übertragung (zur Übertragung<br />

von b<strong>in</strong>ären Daten und zur Computerkommunikation),<br />

Mobilfunk (zum ortsunabhängigen telefonieren)<br />

sowie die Möglichkeit zum Bildfernsprechen und zu<br />

Videokonferenzen.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Wesentlicher Bestimmungsfaktor der technischen<br />

<strong>Entwicklung</strong> der Telematik s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs die Übertragungsmedien.<br />

Zu unterscheiden ist dabei zunächst<br />

zwischen den leitungsgebundenen und den leitungsungebundenen<br />

(oder Funk-) Netzen.<br />

Bei den leitungsgebundenen Netzen spielt die mögliche<br />

Übertragungsgeschw<strong>in</strong>digkeit e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. Zur Zeit<br />

bef<strong>in</strong>den sich zwei Typen von Netzen im Bereich der<br />

Bundesrepublik Deutschland <strong>in</strong> Betrieb: Schmalbandnetze<br />

mit e<strong>in</strong>er möglichen Übertragungsgeschw<strong>in</strong>digkeit von bis<br />

zu 64 kbit/s und Schmalbandnetze mit e<strong>in</strong>er möglichen<br />

Übertragungsgeschw<strong>in</strong>digkeit von 64 bis 144 kbit/s. Zu<br />

dem Typ der langsamen Schmalbandnetze zählen bislang<br />

das herkömmliche Fernsprechnetz, das Telexnetz und die<br />

Datexnetze. Das schnellere Schmalbandnetz <strong>dient</strong> dem<br />

digital <strong>in</strong>tegrierten Netz auf der Basis der o. g. Netze<br />

(ISDN). Das ISDN (Integrated Services Digital Network)<br />

ist e<strong>in</strong> Universalnetz für die digitale Übertragung von<br />

Sprache, Text, Bildern und Daten. In ihm werden alle bisher<br />

zur Verfügung stehenden Dienste <strong>in</strong>tegriert, so daß<br />

e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fachere, schnellere und wirtschaftlichere Übertragung<br />

sichergestellt werden kann. Zukünftig sollen alle<br />

Funktionen auf digitaler Basis über das Breitbandnetz<br />

gehen, das über Glasfaserverb<strong>in</strong>dungen e<strong>in</strong>e Vielzahl an<br />

Informationen und Übertragungsgeschw<strong>in</strong>digkeit zuläßt.<br />

So ist erst hier e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Nutzung im Austausch von<br />

Massendaten und das Bildfernsprechen möglich.<br />

Zusätzlich zu den leitungsgebundenen Kommunikationstechniken<br />

hat sich <strong>in</strong> den letzten fünfzehn Jahren<br />

auch die Funkübertragung stetig weiter entwickelt. Neben<br />

verschiedenen Mobilfunknetzen der Telekom (C-Netz,<br />

D1-Netz, Chekker und Modacom) haben auch private<br />

Anbieter Funktelefonnetze aufgebaut (D2-Netz und<br />

künftig E-Netz). H<strong>in</strong>zu kommt noch das Satelliten-Funknetz<br />

Inmarsat. Diese Übertragungsmedien dienen etwa<br />

zur Nutzung von Auto- oder mobilen Handtelefonen,<br />

sowie der Übertragung von Daten im Rahmen der mobilen<br />

Datenkommunikation oder der Signalübermittlung für<br />

Cityruf oder Eurosignal. E<strong>in</strong>e weitere Nutzung der Funkund<br />

Satellitentechnologie liegt im Seetelefondienst und<br />

dem Mobilfunk.<br />

E<strong>in</strong> Sonderfall der leitungsgebundenen Netze s<strong>in</strong>d die<br />

Netzwerkdienste der Telekom. Diese Kommunikationsnetze<br />

(Corporate Networks) s<strong>in</strong>d Festverb<strong>in</strong>dungen für geschlossene<br />

Benutzergruppen, die speziell für e<strong>in</strong>zelne Kunden<br />

verlegt oder geschaltet werden. Es kann sich dabei sowohl<br />

um physikalisch unabhängige Netzwerke als auch um die<br />

Schaltung vorhandene Netze und die Nutzung spezieller<br />

Dienstleistungen im Rahmen etwa des Datex-J-(Btx -)<br />

Angebotes handeln.<br />

2. Räumliche Diffusion der Telematik<br />

Das Telefon ist bis heute die wichtigste und am weitesten<br />

verbreitete Telekommunikationstechnologie. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus bildet das Telefonnetz den Ausgangspunkt für die<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

177


E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>er Reihe an derer Dienste. Die Analyse der<br />

räumlichen Muster der Ausbreitung des Telefons und<br />

dessen siedlungsstrukturelle Folgewirkungen gibt auch<br />

H<strong>in</strong>weise auf die regionale Differenzierung der neuen<br />

Kommunikationsstrukturen. Das Telefon war zunächst auf<br />

den geschäftlichen Bereich konzentriert und wurde erst<br />

nach und nach im privaten Bereich genutzt. Da das Telefon<br />

zu Anfang teuer war, war es lange Zeit e<strong>in</strong>e ausgesprochene<br />

Mittelstandstechnologie. Insofern hat das ökonomische<br />

Interesse der Telefongesellschaften e<strong>in</strong>er räumlichen<br />

Konzentration Vorschub geleistet, weil das Netz<br />

nutzerabhängig aufgebaut wurde. Die Vollversorgung ist<br />

allerd<strong>in</strong>gs im Anschluß an diese <strong>Entwicklung</strong> nur unter<br />

staatlicher E<strong>in</strong>flußnahme möglich gewesen. Großräumig<br />

erfolgte die Ausbreitung demzufolge ausgehend von den<br />

Verdichtungsräumen mit sehr deutlicher Verzögerung des<br />

Ausbaus im ländlichen Raum. Inzwischen kann das Netz<br />

der Telefonanschlüsse, zum<strong>in</strong>dest auf dem Gebiet der<br />

alten Bundesländer als flächendeckend angesehen werden.<br />

Die Erschließung <strong>in</strong> den fünf neuen Bundesländern<br />

benötigt voraussichtlich noch e<strong>in</strong>ige Zeit bis auch hier<br />

e<strong>in</strong>e flächendeckende Anb<strong>in</strong>dung gegeben ist. Dafür<br />

kommen hier von Anfang an die neuesten Techniken der<br />

Leitungstechnologie zum tragen.<br />

Als Beispiel für die großräumige Verteilung neuerer<br />

Telematik-Dienste können exemplarisch die Teletex- (e<strong>in</strong>geführt<br />

1981) und Telefax-Dienste (e<strong>in</strong>geführt 1979) dargestellt<br />

werden. Für die räumliche Analyse dieser Dienste<br />

wurden die amtlichen Teilnehmer- und Anschlußverzeichnisse<br />

der deutschen Bundespost des Jahres 1984 untersucht.<br />

Dabei wurden für den Teletex-Dienst 4 487 Teilnehmer<br />

mit 5 181 Anschlüssen und für den Telefax-Dienst<br />

12 627 Teilnehmer und 15 005 Anschlüsse erfaßt. Von<br />

den 5 589 Geme<strong>in</strong>den bzw. der Verbandsgeme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> der<br />

alten Bundesrepublik wiesen zu diesem Zeitpunkt nur<br />

1 117 (20 %) m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>en Teletex-Teilnehmer und<br />

1 696 (30,3 %) m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>en Telefax-Teilnehmer auf.<br />

Als Ergebnis der Untersuchung kann festgehalten werden,<br />

daß Teletex vor allem die Verdichtungsräume hohe<br />

Teilnehmerquoten auf. Allerd<strong>in</strong>gs zeigt sich <strong>in</strong>nerhalb der<br />

Verdichtungsräume e<strong>in</strong> großer Unterschied zwischen<br />

Gebieten mit guter Struktur und alt<strong>in</strong>dustrialisierten<br />

Gebieten mit deutlich ger<strong>in</strong>gerer Teilnehmerquote. Bei der<br />

Betrachtung auf Landkreisebene zeigt sich auch <strong>in</strong> der<br />

zeitlichen Betrachtung zwischen 1981 und 1986 (Karte 1<br />

bis 3), daß <strong>in</strong>nerhalb der Verdichtungsräume oft nur die<br />

Kernstadt und e<strong>in</strong>ige Landkreise <strong>in</strong> unmittelbarer Nachbarschaft<br />

hohe Quoten aufweisen. Innerhalb der ländlich<br />

geprägten Räume heben sich fast überall die Mittel- und<br />

Oberzentren als Träger hoher Teilnehmer- und Anschlußquoten<br />

heraus.<br />

Bei Telefax bestimmten 1984 noch die Verdichtungsräume<br />

mit Ausnahme der alt<strong>in</strong>dustrialisierten Regionen<br />

das Bild. Die höchsten Quoten wurden bei diesem<br />

Kommunikationsdienst durchwegs <strong>in</strong> den Verdichtungsregionen<br />

erzielt. Bei der Nutzung von Telefax zeichnete<br />

sich somit e<strong>in</strong> viel ausgeprägteres <strong>Stadt</strong>-Land-Gefälle ab.<br />

Wie auch beim Teletex-Dienst zeigte sich auf der Landkreisebene<br />

die hohe Teilnehmerdichte <strong>in</strong> den Zentren der<br />

Verdichtungsräume.<br />

Ausgehend von dieser ersten Analyse der Diffusion<br />

verschiedener Telematikdienste gibt die Betrachtung der<br />

weiteren <strong>Entwicklung</strong> der Nutzung von Telefax- und Btx-<br />

Diensten der Deutschen Telekom <strong>in</strong> den letzten zehn<br />

Jahren e<strong>in</strong>en guten Überblick sowohl über die re<strong>in</strong> quantitative<br />

Nutzung als auch über die räumliche Diffusion.<br />

3. Auswirkungsbereiche der Telematik<br />

3.1. Auswirkungen auf die Standortwahl<br />

Allgeme<strong>in</strong> nimmt die Standortb<strong>in</strong>dung durch den<br />

E<strong>in</strong>satz von Telekommunikationse<strong>in</strong>richtungen ab. Auf<br />

mittlere Sicht ist e<strong>in</strong>e deutliche Erhöhung des Verlagerungspotentials<br />

allerd<strong>in</strong>gs nicht zu erwarten. Bisherige<br />

Studien zeigen, daß nur bei ohneh<strong>in</strong> geplanten Verlagerungen<br />

und Neuansiedlungen die Anzahl der Freiheitsgrade<br />

<strong>in</strong> der Standortwahl zunimmt. E<strong>in</strong>e Untersuchung<br />

der E<strong>in</strong>wirkungen neuer Telekommunikationsdienste auf<br />

Standortentscheidungen ergibt <strong>in</strong>sbesonders für peripher<br />

gelegene Regionen ke<strong>in</strong> günstiges Bild. So wird festgestellt,<br />

daß <strong>in</strong>sbesonders der Informationsstand über das<br />

Angebot der Telekom sehr ger<strong>in</strong>g ist. Für Ostbayern kam<br />

e<strong>in</strong>e Studie des OTTI-Instituts Regensburg 1986 zu dem<br />

Ergebnis, daß Teletex und Telefax nur bei wenig mehr als<br />

zehn Prozent der befragten Produktionsunternehmen<br />

bekannt war. Obwohl sich dies <strong>in</strong>folge der verbesserten<br />

Informationspolitik und der Ausbreitung der neuen Techniken<br />

geändert haben dürfte, stellt sich immer noch die<br />

Frage, ob und <strong>in</strong>wieweit auch heute noch <strong>in</strong> den verschiedenen<br />

siedlungsstrukturellen Gebietstypen Informationsdefizite<br />

vorliegen. Nach unseren neuesten Untersuchungen<br />

für die Telekom hängt dies mitentscheidend von Entscheidungsträgern<br />

und Vertretern der Telekom vor Ort ab.<br />

3.2. Auswirkungen im Verkehrsbereich<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der Auswirkungen der Telematik-Dienste<br />

auf den Verkehr werden unterschiedliche Thesen vertreten.<br />

Die Substitutionsthese unterstellt, daß die physischen<br />

Bewegungen im Raum mit Hilfe verschiedener Verkehrsmittel<br />

durch Telekommunikationsdienste und Informationsübertragungen<br />

ersetzt werden können. In Anspielung<br />

auf den Energieverbrauch ist hier von e<strong>in</strong>er Substitution<br />

des »heißen« durch e<strong>in</strong>en »kalten« Verkehr die Rede. Als<br />

Ursache für solche Vorgänge werden allgeme<strong>in</strong> Energieund<br />

allgeme<strong>in</strong>e Kostenersparnisse vermutet. Inzwischen<br />

hat sich bei der Mehrzahl der Fachautoren allerd<strong>in</strong>gs die<br />

Erkenntnis durchgesetzt, daß der Substitution von Verkehr<br />

durch Telekommunikation enge Grenzen gesetzt s<strong>in</strong>d und<br />

zusätzliche neue Verkehrsbewegungen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit<br />

der <strong>Entwicklung</strong> der Telematik entstehen werden.<br />

178 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


3.3. Auswirkungen auf die <strong>Stadt</strong>entwicklung und die<br />

Siedlungsstruktur<br />

In bezug auf die Siedlungsstruktur werden ke<strong>in</strong>e sensationellen<br />

Trendveränderungen erwartet. Eventuell könnte<br />

durch den E<strong>in</strong>satz und die Verbreitung der Telematik der<br />

Trend zur Dezentralisierung (Suburbanisierung) verstärkt<br />

werden, was zu e<strong>in</strong>er Entschärfung der Innenstadtprobleme<br />

— durch Rückgang des Zentral itätsdrucks aufgrund<br />

höherer Standortflexibilität — führen kann. Rationalisierungseffekte<br />

können zudem zu e<strong>in</strong>er Freisetzung<br />

von Büroarbeitsflächen mehrheitlich <strong>in</strong> Großstadtzentren<br />

und zu e<strong>in</strong>er Freisetzung von Industriearbeitsflächen<br />

mehrheitlich <strong>in</strong> agrar<strong>in</strong>dustriellen Gebieten führen. Durch<br />

die E<strong>in</strong>führung der Teleheimarbeit werden die Anforderungen<br />

an die Standortqualitäten von Büroarbeitsplätzen<br />

unspezifischer. Für F<strong>in</strong>anzzentralen sowie technologisch<br />

neu organisierte Fertigungsbetriebe h<strong>in</strong>gegen steigen die<br />

Anforderungen an die Ausstattungs- sowie die Umweltqualitäten.<br />

Innerhalb der Verdichtungsräume können Nutzungsverlagerungen<br />

stattf<strong>in</strong>den durch den Bedeutungsverlust<br />

der City als Standort für Büronutzung und entsprechende<br />

Bedeutungsgew<strong>in</strong>ne von Agglomerationsrandgebieten.<br />

Der ländliche Raum dürfte demgegenüber nur teilweise<br />

von solchen Verlagerungen profitieren.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der räumlichen Wirkungen lassen sich u. a.<br />

zwei verschiedene Thesen unterscheiden:<br />

— die Dekonzentrations- bzw.- Konzentrationsthese und<br />

— die Hierarchisierungs- und Polarisierungs- bzw.<br />

Nivellierungsthese.<br />

Die Vertreter der Dekonzentrationsthese gehen davon<br />

aus, daß die Telematik flächendeckend verfügbar s<strong>in</strong>d und<br />

damit die traditionellen Standortvorteile der Verdichtungsräume<br />

tendenziell abgebaut werden. Die Aufwertung<br />

der Standortvorteile des ländlichen Raumes sowie die<br />

Möglichkeit für die Menschen, ihre Standortpräferenzen<br />

zu realisieren, da enge B<strong>in</strong>dungen an den Arbeitsplatz<br />

entfallen, können dann zu e<strong>in</strong>er gleichmäßigeren Verteilung<br />

von Arbeitsstätten und Wohnungen im Raum und<br />

damit zu e<strong>in</strong>er räumlichen Dekonzentration führen.<br />

Die Vertreter der Konzentrationsthese gehen demgegenüber<br />

von der gegebenen räumlichen Struktur aus, die<br />

durch e<strong>in</strong> wirtschaftliches Gefälle von den Zentren zur<br />

Peripherie gekennzeichnet ist. Sie sehen zwar größtenteils<br />

die genannten potentiellen Wirkungen der Telematik auf<br />

die Standortfaktoren, nehmen aber an, daß die Zentren<br />

der Verdichtungsräume zuerst von den Vorteilen der<br />

neuen Technologie profitieren.<br />

Andere Studien weisen darauf h<strong>in</strong>, daß die <strong>Entwicklung</strong><br />

der Telematik unter Status-Quo-Bed<strong>in</strong>gungen eher zu<br />

e<strong>in</strong>er großräumigen Zentralisierung und Konzentration bei<br />

gleichzeitiger kle<strong>in</strong>räumiger Dekonzentration führen<br />

könnte. Dieser Prozeß geht e<strong>in</strong>her mit der Herausbildung<br />

e<strong>in</strong>er Hierarchie der bestehenden Zentren, wobei es zu<br />

e<strong>in</strong>er Polarisierung zwischen den sich relativ günstig ent-<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

wickelnden <strong>Stadt</strong>regionen auf der e<strong>in</strong>en und Regionen mit<br />

relativ ungünstiger <strong>Entwicklung</strong> auf der anderen Seite<br />

kommen könnte. Demgegenüber geht die Nivellierungsthese<br />

davon aus, daß sich die entsprechenden Standortund<br />

<strong>Entwicklung</strong>svorteile der erstgenannten Zentren<br />

durch den E<strong>in</strong>satz von Telematik-Diensten abbauen lassen.<br />

Dazu ist zunächst festzuhalten, daß der E<strong>in</strong>satz neuer<br />

Informations- und Kommunikationstechniken nicht nur<br />

E<strong>in</strong>fluß auf Kommunikationsprozesse, Organisationsstrukturen<br />

und Arbeitsabläufe hat, sondern auch auf die<br />

Attraktivität von Standorten e<strong>in</strong>wirken kann. Wenn etwa<br />

die betriebsexterne, aber auch -<strong>in</strong>terne Kommunikation<br />

sich der neuen Technik be<strong>dient</strong>, so könnte die Bedeutung<br />

von Standortfaktoren und Wettbewerbsvorteilen, die bislang<br />

typisch für die Zentren waren (Agglomerations- und<br />

Fühlungsvorteile) wie<br />

— Möglichkeiten zu persönlichen Kontakten (face-toface-contacts)<br />

mit Gesprächspartnern aus verschiedensten<br />

Bereichen,<br />

— Kundennähe,<br />

— Nähe zu Behörden, Agenturen, Unternehmen,<br />

Datenbanken, wissenschaftliche Institutionen,<br />

Servicefirmen usw.<br />

relativiert werden. Da Kommunikation aufgrund der<br />

neuen Netze und Dienste zum<strong>in</strong>dest technisch bald von<br />

jedem Standort aus möglich ist (Dienste wie Btx, Teletex,<br />

Telefax und Datex, also schmalbandige Dienste, werden<br />

heute schon flächendeckend angeboten), könnten<br />

Unternehmen auch <strong>in</strong> die peripheren Räume verlagern<br />

oder zum<strong>in</strong>dest die Errichtung geeigneter Arbeitsplätze<br />

aus den Unternehmen an die Wohnstandorte von<br />

Mitarbeitern (»Tele-Heimarbeit«).<br />

Allerd<strong>in</strong>gs stellte Mens<strong>in</strong>g 1988 fest, daß e<strong>in</strong>erseits<br />

immer noch deutliche Präferenzen für Zentrumsstandorte<br />

bestehen, etwa aufgrund von Imagefaktoren (»gute<br />

Adresse«, Prestigestandort), der Kundennähe, dem City-<br />

Umfeld (Atmosphäre) und der Möglichkeit zu vielfältigen<br />

Kontakten, also e<strong>in</strong>e wesentliche E<strong>in</strong>schränkung des<br />

Dezentralisierungspotentials der Telekommunikation<br />

besteht. Andererseits, und dies wissen wir <strong>in</strong> Oberfranken<br />

besonders seit der Grenzöffnung, ist ke<strong>in</strong>e Verlagerung<br />

geplant, so wird die Telekommunikat ion wohl alle<strong>in</strong> auch<br />

ke<strong>in</strong>e auslösen. S<strong>in</strong>d aber aus wirtschaftlichen und/oder<br />

organisatorischen Gründen schon Gedanken an e<strong>in</strong>e event<br />

uelle Aus- oder Verlagerung gegeben, so könnte die neue<br />

Technik e<strong>in</strong>e entsprechende Entscheidung erleichtern und<br />

vorantreiben.<br />

4. Das Konzept der Telehäuser und<br />

Telestuben<br />

Überträgt man nun diese Fragestellung auf die konkrete<br />

Ausrichtung der Telehäuser und Telestuben, so kann<br />

bereits im Landesentwicklungsprogramm Bayern (LEP)<br />

von 1984 nachgelesen werden, daß es das Ziel ist<br />

»im Interesse e<strong>in</strong>er besseren Befriedigung des Infor-<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

179


mations- und Kommunikationsbedarfs auf den E<strong>in</strong>satz<br />

geeigneter neuer Kommunikationstechnologien, <strong>in</strong>sbesondere<br />

für die peripheren Gebiete Bayerns, h<strong>in</strong>gewirkt<br />

werden (soll)«. Als mögliches Instrument hierzu kann<br />

das Konzept der Telehäuser bzw. Telestuben zum E<strong>in</strong>satz<br />

kommen.<br />

E<strong>in</strong>e Vorreiterrolle bei der E<strong>in</strong>richtung von Telestuben,<br />

Telehäusern bzw. e<strong>in</strong>es »<strong>in</strong>formationstechnologischen<br />

Lokalzentrums« — so der hier verwendete Oberbegriff —<br />

spielen die skand<strong>in</strong>avischen Länder, wo bis 1988 bereits<br />

über 30 solcher Projekte gegründet worden s<strong>in</strong>d. Zwar ist<br />

die Größe und Ausstattung dieser Zentren unterschiedlich<br />

und stark von den örtlichen Gegebenheiten abhängig,<br />

e<strong>in</strong>ige Geme<strong>in</strong>samkeiten lassen sich je doch bei allen<br />

feststellen:<br />

— Sie s<strong>in</strong>d konzipiert als Maßnahme für kle<strong>in</strong>e, periphere<br />

Kommunen bzw. Dörfer,<br />

— sie beruhen auf der Anwendung moderner Kommunikations-<br />

und Informationstechniken,<br />

— sie wollen die Benutzung entsprechender Anlagen und<br />

Geräte e<strong>in</strong>er breiten Bevölkerung zugänglich machen,<br />

— sie erstreben e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Hebung des Qualifikationsniveaus<br />

der Bevölkerung und des lokalen<br />

Wirtschaftslebens (die Anwendung von EDV und<br />

Kommunikationstechnik soll vermittelt werden),<br />

— sie sollen neue Arbeitsplätze schaffen, die entweder<br />

e<strong>in</strong>en ungedeckten lokalen Bedarf befriedigen oder<br />

aber auf Telearbeit beruhen;<br />

— sie werden gegründet und betrieben als »jo<strong>in</strong>t-venture«<br />

durch Zusammenarbeit von Geme<strong>in</strong>den und Privaten.<br />

Das Angebot <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Telestube richtet sich also zunächst<br />

an die Bevölkerung im Ort und an lokale Unternehmen.<br />

H<strong>in</strong>zu kommen aber <strong>in</strong> verstärktem Maße auch<br />

die Ausführung von Dienstleistungen für Auftraggeber <strong>in</strong><br />

entfernten Regionen und Zentren sowie die Kooperation<br />

und Hilfestellung der Telestuben untere<strong>in</strong>ander.<br />

Zum Aufbau und zur Funktionsweise e<strong>in</strong>es Tele-<br />

Servicecenters können gehören:<br />

1) Kommunalfunktionen, wie die Beratung und<br />

Vermittlung, die Information über Beratungsdienste<br />

und Planungen, die Vermittlung kommunaler<br />

Dienstleistungen, oder auch e<strong>in</strong>e Bibliothek, z. B. mit<br />

Videos oder Lernprogrammen auf Diskette.<br />

2) E<strong>in</strong>e Telekommunikationswerkstatt, zur Orientierung<br />

über IuK-Technik, zur Unterrichtung <strong>in</strong> der PC-Nutzung<br />

(»PC-Führersche<strong>in</strong>«), zur Vermittlung von PC-Anwendungsmöglichkeiten,<br />

mit Kursen für spezielle Zielgruppen<br />

und entsprechenden Aufbaukursen und evtl.<br />

e<strong>in</strong>er Videowerkstatt.<br />

3) Die Vermittlung von Dienstleistungstätigkeiten, wie<br />

z. B. Programmier-, Schreib- und Zeichenarbeiten,<br />

Buchhaltungsaufgaben für Unternehmen, Vere<strong>in</strong>e u. a.<br />

4) E<strong>in</strong> Kommunikationstreff (Foyer) mit Cafe/Kiosk,<br />

Informationstafeln und Filmvorführungen.<br />

5) Automatisierte private und öffentliche Dienstleistungen,<br />

mit öffentlichem Telefax und (Bild-) Telefon,<br />

mit SB-Bank mit Btx-Term<strong>in</strong>al, Geldautomaten, Kontoauszugsdrucker<br />

u.a. .<br />

Der »Kommunikations-Treff« sollte hier e<strong>in</strong>e zentrale<br />

Lage haben und e<strong>in</strong>ladend wirken, da er als <strong>in</strong>tegrierendes<br />

Moment das Image des Tele-Servicecenters bestimmt und<br />

helfen soll, Schwellenängste abzubauen.<br />

5. Umsetzung des Telestubenkonzepts am<br />

Beispiel Weißenbrunn<br />

Ausgehend von der Idee der kommunalen Wirtschaftspolitik,<br />

durch Innovationen im technologischen Bereich<br />

e<strong>in</strong>e Stabilisierung des Arbeitsmarktes bzw. neue Impulse<br />

für die örtliche Wirtschaft zu schaffen, wurden <strong>in</strong> dieser<br />

H<strong>in</strong>sicht Überlegungen zur Errichtung e<strong>in</strong>er Telestube <strong>in</strong><br />

Weißenbrunn (Lkr. Kronach) geprüft.<br />

Ausgangspunkt hierfür war die Überlegung, daß der<br />

E<strong>in</strong>satz neuer IuK-Techniken nicht nur die Leistungsfähigkeit<br />

der regionalen Wirtschaft verbessern kann,<br />

sondern auch positive Auswirkungen auf die Attraktivität<br />

bzw. das Image e<strong>in</strong>es Standortes nehmen kann.<br />

Bevor konkrete Entscheidungen über die E<strong>in</strong>richtung<br />

und Ausstattung e<strong>in</strong>er Telestube getroffen werden können,<br />

muß zunächst der Bedarf möglichst genau ermittelt<br />

werden, um unnötige Investitionen zu vermeiden. Bei entsprechender<br />

Akzeptanz und steigender Nachfrage kann<br />

dann die Ausstattung mit Computern, Btx- oder Telefaxgeräten<br />

und weiteren Gegenständen erweitert werden.<br />

Da die VHS <strong>in</strong> den Räumen der Volksschule bereits Computer-Kurse<br />

anbietet, sollte das Angebot der Telestube<br />

auch <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit der VHS aufgestellt werden.<br />

Bei der Nachfrage sollte unterschieden werden zwischen<br />

dem privaten und öffentlichen Interesse von seiten der<br />

Bevölkerung, der Geme<strong>in</strong>de aber auch möglicherweise<br />

Vere<strong>in</strong>en und dem ökonomischen Bedarf, also den Nutzungsmöglichkeiten,<br />

die sich für die Unternehmen<br />

ergeben.<br />

In Weißenbrunn bestehen im Bereich des Gewerbes,<br />

v. a. bei Kle<strong>in</strong>betrieben durchaus s<strong>in</strong>nvolle Anwendungsmöglichkeiten<br />

für den EDV-E<strong>in</strong>satz. Allerd<strong>in</strong>gs kommt<br />

i. d. R. bei diesen Betrieben der E<strong>in</strong>satz großer und dementsprechend<br />

kostenaufwendiger EDV-Anlagen, beispielsweise<br />

für Kosten- und Kalkulationsberechnungen, kaum <strong>in</strong><br />

Frage. Deshalb ist gerade diese Gruppe e<strong>in</strong> Potential für<br />

die Idee der Telestuben gegeben. Auch im Bereich der<br />

Mitarbeiterschulung zeigt sich e<strong>in</strong> nennenswertes Interesse.<br />

Da dieses E<strong>in</strong>satzfeld bisher von der VHS bzw. der<br />

IHK betreut wird, bietet sich e<strong>in</strong>e Kooperation, etwa <strong>in</strong><br />

Form der Durchführung entsprechender Kurse und Sem<strong>in</strong>are,<br />

an. Die Schaffung e<strong>in</strong>es Angebots vor Ort hätte für<br />

die kle<strong>in</strong>eren Betriebe da neben den Vorteil, direkt an den<br />

Geräten bzw. der Software ausgebildet zu werden, die<br />

ihnen danach im Arbeitsalltag auch tatsächlich zur<br />

Verfügung stehen.<br />

180 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Neben berufstätigen Weiterbildungswilligen ist auch<br />

bei den Jugendlichen e<strong>in</strong> hoher Anteil an Fortbildungswilligen<br />

vorhanden. Dieser Bedarf kann ebenfalls durch<br />

die Telestube <strong>in</strong> Kooperation mit bereits vorhandenen<br />

lokalen Jugend- bzw. Bildungse<strong>in</strong>richtungen abgedeckt<br />

werden.<br />

Die Möglichkeiten des EDV-E<strong>in</strong>satzes im Bereich der<br />

Landwirtschaft wird bislang kaum genutzt. Hier könnte<br />

e<strong>in</strong>e zentrale E<strong>in</strong>richtung mit Unterstützung des Landwirtschaftsamtes<br />

e<strong>in</strong>e weitere Nutzergruppe erschließen.<br />

Auch die privaten Haushalte stellen e<strong>in</strong>e potentielle<br />

Nachfragergruppe dar. Für Weißenbrunn denkbare<br />

Anwendungen wären dabei etwa Informationen über Busund<br />

Bahnverb<strong>in</strong>dungen, örtliche und regionale Veranstaltungsh<strong>in</strong>weise<br />

bis h<strong>in</strong> zu Dienstleistungen im Verwaltungsbereich<br />

(z. B. Ausdruck von Formularen für<br />

Steuererklärungen). Da zur Erledigung derartiger Dienstleistungen<br />

meist die Kreisstadt Kronach aufgesucht<br />

werden muß, würde die Telestube für viele Bürger sicherlich<br />

e<strong>in</strong>e Erleichterung darstellen, da nicht nur die Entfernung<br />

ger<strong>in</strong>ger wäre, sondern sie auch nicht an die<br />

Sprech- bzw. Öffnungszeiten der jeweiligen Ämter und<br />

Behörden gebunden wären.<br />

Daneben bestehen <strong>in</strong> Weißenbrunn zahlreiche Vere<strong>in</strong>e,<br />

die aufgrund der spezifisch anfallenden Arbeiten wie<br />

Erstellung von Ausschreibungen, von E<strong>in</strong>ladungen, Programmen,<br />

Satzungen, Wettkampfauswertungen sowie<br />

Mitgliederverwaltung u.ä. ebenfalls potentielle Nachfrager<br />

darstellen.<br />

Potentieller Bedarf besteht hiermit sowohl h<strong>in</strong>sichtlich des<br />

Dienstleistungsanbieters Geme<strong>in</strong>de als auch an e<strong>in</strong>em<br />

Ausbildungs-und Kommunikationszentrum. Was die<br />

Kommunikationsfunktion angeht, so ist hierbei <strong>in</strong>sbesondere<br />

auf die Möglichkeit der An- bzw. E<strong>in</strong>gliederung e<strong>in</strong>es<br />

Cafés o. ä. h<strong>in</strong>zuweisen, für das aufgrund des Fehlens<br />

e<strong>in</strong>er entsprechenden E<strong>in</strong>richtung im Ort e<strong>in</strong>e weitere<br />

<strong>Entwicklung</strong>schance zu sehen ist.<br />

6. Fazit — Telestuben als Instrument zur<br />

<strong>Entwicklung</strong> ländlicher Räume<br />

Abschließend kann gesagt werden, daß die Grenzen der<br />

E<strong>in</strong>satzfähigkeit von Telestuben im ländlichen Raum<br />

wesentlich von der tatsächlichen Nutzung durch die<br />

Nutzergruppen gesetzt werden. Wenn durch flankierende<br />

Maßnahmen im Werbungs- und Informationsbereich e<strong>in</strong>e<br />

ausreichende Nachfragemenge <strong>in</strong>duziert wird, e<strong>in</strong>e kompetente<br />

Betreuung der Hard- und Software sichergestellt<br />

und die Ausstattung der Telestube auf die tatsächlichen<br />

Bedürfnisse der Nutzergruppen abgestimmt s<strong>in</strong>d, ersche<strong>in</strong>t<br />

das Konzept im Rahmen weiterer Maßnahmen der<br />

Dorferneuerung tragfähig und s<strong>in</strong>nvoll. Da sowohl die<br />

Bedarfsanalyse als auch deren Umsetzung gerade im<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

ländlichen Raum mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden<br />

s<strong>in</strong>d, muß allerd<strong>in</strong>gs auch vor e<strong>in</strong>er allzu großen<br />

Euphorie gewarnt werden. Auch die Telestuben können<br />

alle<strong>in</strong>e ke<strong>in</strong> Allheilmittel für wirtschaftliche Probleme des<br />

ländlichen Raumes bilden.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

181


Arbeitskreis 7:<br />

Aus- und Fortbildung<br />

Helene Stegmann<br />

E<strong>in</strong>führung<br />

Unser Arbeitskreis trägt die Überschrift »Aus- und<br />

Fortbildung«. Im konkreten Thema, mit dem wir uns heute<br />

befassen, bildet die Aus- und Fortbildung lediglich e<strong>in</strong>en<br />

Teilaspekt, e<strong>in</strong>en Bauste<strong>in</strong>. Unser Thema lautet »Personalentwicklung«.<br />

Warum steht »Personalentwicklung« heute<br />

zur Diskussion? In der Arbeit mit unseren Beteiligten<br />

haben wir längst erkannt, wie wichtig es ist, bei allem<br />

Geschehen <strong>in</strong> den Ortschaften und Fluren die Bürger aktiv<br />

zu beteiligen. Denn nur so kann die Identifikation mit dem<br />

Neuen, mit den Veränderungen die wir <strong>in</strong>itiieren, entstehen.<br />

Wie sieht es <strong>in</strong>tern <strong>in</strong> unserer Verwaltung aus?<br />

Wie stark können sich unsere Mitarbeiter mit ihrer<br />

Arbeit, mit ihrem Unternehmen identifizieren?<br />

Wieviel Aufmerksamkeit schenken wir unseren<br />

Mitarbeitern im Alltag?<br />

S<strong>in</strong>d sie entsprechend ihren Neigungen und<br />

Fähigkeiten e<strong>in</strong>gesetzt?<br />

Wie zufrieden s<strong>in</strong>d sie mit ihrer Arbeit?<br />

Was tun wir als Vorgesetzte, um die Ängste, die sich<br />

durch die Kienbaum-Untersuchung allerorts breitgemacht<br />

haben, zu bearbeiten?<br />

Diese Untersuchung wird Veränderungen <strong>in</strong> unserer<br />

Verwaltung auslösen. Herr Staatsm<strong>in</strong>ister Bocklet hat<br />

gestern von »lean adm<strong>in</strong>istration«, »schlanker Verwaltung«<br />

gesprochen. Das Personal steht somit besonders stark im<br />

Kreuzfeuer, da es <strong>in</strong> unserem Dienstleistungsunternehmen<br />

den höchsten Kostenfaktor darstellt. Aber die Menschen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Unternehmen bergen auch das größte Potential<br />

<strong>in</strong> sich. Peter Zürn hat se<strong>in</strong>em Buch über Unternehmenskultur<br />

<strong>in</strong> Deutschland mit dem Titel »Vom Geist und Stil<br />

des Hauses« den Leitsatz vorangestellt: Das Wertvolle an<br />

e<strong>in</strong>em Unternehmen s<strong>in</strong>d nur die Menschen, die dafür<br />

arbeiten und der Geist, <strong>in</strong> dem sie dieses tun.<br />

Sie arbeiten fast alle für unsere Verwaltung oder s<strong>in</strong>d<br />

ihr zum<strong>in</strong>dest eng verbunden. Ich b<strong>in</strong> dankbar, daß <strong>in</strong><br />

diesem Kreis heute Gelegenheit zur Innenschau besteht,<br />

daß wir uns mit den Menschen im Unternehmen, — also<br />

uns selbst, — befassen. Dabei s<strong>in</strong>d uns Ihre Erfahrungen<br />

wichtig, Ihr subjektives Erleben am Arbeitsplatz. Uns <strong>in</strong>teressieren<br />

auch Ihre Wünsche, Ziele und Idealvorstellungen.<br />

Dr. Eykmann forderte gestern von den Führungskräften,<br />

sich aktiv und konstruktiv <strong>in</strong> Veränderungsnotwendigkeiten<br />

e<strong>in</strong>zuf<strong>in</strong>den. Ich fände es schön, wenn wir nicht<br />

Notwendigkeiten, sondern Chancen dar<strong>in</strong> sähen und kon-<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

E<strong>in</strong>stiegsreferat<br />

Dipl.-Soz. Rudolf Bögel<br />

Gruppenarbeit<br />

zu 5 Themenbereichen<br />

Präsentation der Gruppenarbeiten<br />

im Plenum<br />

Zusammenfassung<br />

Aktionsplan<br />

krete Aktivitäten festlegen, um noch vorhandene Gestaltungsspielräume<br />

zu nutzen. Da wir unter uns s<strong>in</strong>d, haben<br />

wir auch die Chance, den D<strong>in</strong>gen offen und ehrlich zu<br />

begegnen. Die wenigen externen Teilnehmer bitte ich um<br />

Diskretion bezüglich der Internas, die hier zur Sprache<br />

kommen.<br />

In e<strong>in</strong>em kurzen E<strong>in</strong>führungsreferat wird Sie Herr Bögel<br />

mit der Thematik vertraut machen und Ihnen Arbeitsfelder<br />

der Personalentwicklung vorstellen. Fünf Bereiche, fünf<br />

Bauste<strong>in</strong>e der Personalentwicklung davon werden Sie <strong>in</strong><br />

Kle<strong>in</strong>gruppen, jeweils unter Leitung e<strong>in</strong>es Moderators,<br />

genauer betrachten und bearbeiten.<br />

1. Auswahl und die E<strong>in</strong>arbeitung neuer Mitarbeiter<br />

2. die fachliche und außerfachliche Weiterbildung<br />

3. die Mitarbeiterführung<br />

4. die Arbeitsgestaltung<br />

5. die Persönlichkeitsentwicklung.<br />

Während die Themen 1 bis 3 für sich sprechen, darf ich<br />

zu den Themen 4 und 5 noch kurz erläutern, was sich<br />

dah<strong>in</strong>ter verbirgt.<br />

E<strong>in</strong>führungsreferate <strong>in</strong> den Arbeitskreis 7<br />

183


Die Gruppe 4, — Arbeitsgestaltung — betrachtet die<br />

Arbeit u. a. unter den Gesichtspunkten Verantwortung,<br />

Kreativität, Selbstorganisation, Lernmöglichkeit, Vielfalt,<br />

Arbeitsplatzumfeld und Rückmeldung.<br />

Thema 5 —Persönlichkeitsentwicklung — steht neben<br />

der fachlichen Aus- und Weiterbildung. Die Person des<br />

Mitarbeiters ist Mittelpunkt. Die Anlagen, die er mitbr<strong>in</strong>gt<br />

werden gefördert und entwickelt. Sie befassen sich <strong>in</strong> dieser<br />

Gruppe mit persönlichen Eigenschaften die im beruflichen<br />

Umfeld für erfolgreiches Handeln wichtig ersche<strong>in</strong>en<br />

wie z. B.<br />

— Welche Werte s<strong>in</strong>d mir wichtig?<br />

— Welche Überzeugungen trage ich <strong>in</strong> mir?<br />

— Mit welcher Tatkraft/Energie arbeite ich?<br />

— Liebe ich me<strong>in</strong>e Arbeit?<br />

— Kann ich strategisch Denken und Handeln?<br />

— B<strong>in</strong> ich teamfähig oder E<strong>in</strong>zelgänger?<br />

— Wie ist es um me<strong>in</strong>e Kommunikation bestellt?<br />

Moderation<br />

Gruppe 1 Herr Rudolf Langmantl von der Direktion für<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Regensburg<br />

Gruppe 2 Herr Egon Ankenbrand von der Staatlichen<br />

Führungsakademie<br />

Gruppe 3 Frau Cornelia Reiff von der Direktion für<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Landau<br />

Gruppe 4 Herr Re<strong>in</strong>hard Reif von der Direktion für<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Landau<br />

Gruppe 5 Herr Willi Perzl von der Direktion für<br />

<strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> Regensburg.<br />

Für die Bereitschaft, diese Aufgabe zu übernehmen<br />

bedanke ich mich vorweg bei der Kolleg<strong>in</strong> und den<br />

Kollegen. Die Vorgehensweise <strong>in</strong> den Kle<strong>in</strong>gruppen werden<br />

Ihnen die Moderatoren selbst erläutern.<br />

Die Ergebnisse der Kle<strong>in</strong>gruppen werden im Plenum<br />

präsentiert und stellen zusammengefaßt das Ergebnis des<br />

Arbeitskreises dar. Als Grundlage für die Arbeit <strong>in</strong> den<br />

Gruppen wird Sie nun Herr Rudolf Bögel von der Ludwig-<br />

Maximilians-Universität München mit dem Thema vertraut<br />

machen. Herr Bögel ist Diplom-Soziologe. Er arbeitet<br />

am Lehrstuhl für Organisations- und Wirtschaftspsychologie<br />

und befaßt sic h seit längerer Zeit <strong>in</strong>tensiv mit diesem<br />

Thema, nicht nur bezogen auf die freie Wirtschaft,<br />

sondern gerade auch auf die Verwaltung.<br />

Herr Bögel, ich freue mich, daß Sie me<strong>in</strong>er Bitte nachgekommen<br />

s<strong>in</strong>d und nun uns <strong>Ländliche</strong>n Entwicklern den<br />

Blick <strong>in</strong> Richtung Personalentwicklung lenken.<br />

Vorstellung und Diskuslsion<br />

der Ergebnisse<br />

der Arbeitsgruppe<br />

184 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Rudolf Bögel<br />

Systematische<br />

Personalentwicklung<br />

Selektion und <strong>Entwicklung</strong> von Mitarbeitern als<br />

Führungsaufgabe<br />

Wenn Sie an Ihre Behörde und Ihre Mitarbeiter<br />

denken, dann wünschen Sie sich vielleicht manchmal<br />

andere und kompetentere Mitarbeiter für e<strong>in</strong>e optimalere<br />

Erfüllung der Ihnen gesetzten Aufgaben und Ziele.<br />

Manche Vorgesetzte lamentieren ja viele Jahre über die<br />

schlechten Mitarbeiter, aber diese Vorgesetzten müssen<br />

sich auch fragen lassen, was sie <strong>in</strong> der ganzen Zeit zur<br />

Qualifizierung ihrer Mitarbeiter beigetragen haben?<br />

Die Qualifizierung von Mitarbeitern ist aus dieser<br />

Perspektive ke<strong>in</strong>e private Angelegenheit der Mitarbeiter,<br />

sondern e<strong>in</strong>e Führungsaufgabe und e<strong>in</strong>e der wichtigsten<br />

und vornehmsten, wenn vielleicht auch e<strong>in</strong>e nicht<br />

leichte.<br />

Manch e<strong>in</strong>er me<strong>in</strong>t vielleicht, er täte sich leichter, wenn<br />

er die Mitarbeiter e<strong>in</strong>fach austauschen könnte und beruft<br />

sich dabei auf die sog. »freie Wirtschaft«; aber dort weiß<br />

man längst, daß das Pr<strong>in</strong>zip »hire and fire« viel zu teuer ist<br />

und personalqualifizierende Maßnahmen letztlich nicht<br />

ersetzen kann.<br />

Im Zentrum der Überlegungen steht hier zuerst der<br />

Vorgesetzte als »Coach«, der se<strong>in</strong>e Mitarbeiter e<strong>in</strong>arbeitet,<br />

deren Zusammenarbeit fördert, sie <strong>in</strong>formiert, ihre<br />

Qualifizierung vorantreibt und mit ihnen zusammen<br />

lernt. Dieses Bild vom Vorgesetzten steht im Gegensatz<br />

zum traditionellen Bild des Vorgesetzten, der als erster<br />

Sachbearbeiter <strong>in</strong> der Abteilung alles besser weiß und<br />

kann als se<strong>in</strong>e Mitarbeiter. Dieses traditionelle Bild ist<br />

vom autokratischen und autoritären Führungsstil geprägt.<br />

Im folgenden soll die Bedeutung des Vorgesetzten für<br />

die Qualifizierung der Mitarbeiter deutlich werden. Selbst<br />

wenn wir das denkbar beste Weiterbildungs- und Personalentwicklungskonzept<br />

im H<strong>in</strong>tergrund hätten — was<br />

wir nicht haben — so bliebe doch die Bedeutung des<br />

unmittelbaren Vorgesetzten für die Qualifikation se<strong>in</strong>er<br />

Mitarbeiter zentral. Bei allen Bemühungen um die<br />

Qualifizierung se<strong>in</strong>er Mitarbeiter, die wir dem Vorgesetzten<br />

unterstellen, bleibt er relativ hilflos, wenn er<br />

nicht auf e<strong>in</strong>e systematische Unterstützung zurückgreifen<br />

kann; se<strong>in</strong>e Bemühungen bleiben beliebig und<br />

»Flickschusterei«.<br />

Aus- und Fortbildung als systematische<br />

Personalentwicklung<br />

Def<strong>in</strong>itionsversuche von Personalentwicklung, daß<br />

diese nur die Diskrepanz von Anforderungen und Fertigkeiten,<br />

die nicht durch Selektion ausgeglichen werden<br />

könne, zu entwickeln habe, greifen zu kurz. Sie berücksichtigen<br />

zu wenig die Zukunft der Organisation und<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong> der Menschen. Fortbildungsmaßnahmen<br />

s<strong>in</strong>d aber nur dann s<strong>in</strong>nvoll, wenn mit ihnen nicht nur<br />

die gröbsten Löcher zugestopft werden, sondern wenn<br />

mit ihrer Hilfe längerfristiger Erfolg gesichert<br />

werden kann. Dies ist nur im Rahmen e<strong>in</strong>es Konzepts<br />

möglich, das auf zukünftige Anforderungen h<strong>in</strong> ausgerichtet<br />

ist.<br />

Weiterbildungsmaßnahmen greifen zu kurz, wenn nur<br />

die unterschiedlichen Interessen e<strong>in</strong>zelner Mitarbeiter zum<br />

Zuge kommen oder die willkürlich von Vorgesetzten diagnostizierten<br />

Schwachstellen berücksichtigt werden oder<br />

auf den e<strong>in</strong>gefahrenen Geleisen von Fortbildungen weitergefahren<br />

wird, weil e<strong>in</strong>e »Personalverwaltung« auch<br />

e<strong>in</strong>en Etat für Fortbildung aufwirft.<br />

Bei e<strong>in</strong>em systematischen Ansatz muß deshalb gefragt<br />

werden:<br />

1. Was fordert die Zukunft von uns?<br />

2. Welche Konsequenzen hat das?<br />

3. Wo haben wir unsere Schwachstellen bzw.<br />

Nachholbedarf?<br />

4. Wie können wir diese erfolgreich beseitigen bzw.<br />

e<strong>in</strong>holen?<br />

Zu 1. Was fordert die Zukunft von uns?<br />

Bei aller Vorsicht bei der Prognose dessen, was der<br />

»Markt« von uns fordert, sehen wir folgende Forderungen<br />

auf uns zukommen:<br />

• Hohe Erwartungen an den öffentlichen Dienst bezüglich<br />

se<strong>in</strong>er Flexibilität und Kundenorientierung.<br />

• Neue wissenschaftliche und technologische<br />

Erkenntnisse, die schnell umgesetzt werden sollen.<br />

• Gewandelte Interessen der Mitarbeiter: Postmaterielle<br />

Werte; ganzheitliche Aufgaben und <strong>Entwicklung</strong>smöglichkeiten;<br />

mehr Frauen; mehr Teilzeitarbeit,<br />

job-shar<strong>in</strong>g etc.<br />

• Konkurrenz durch sog. »freie Anbieter«, die staatsentlastend<br />

tätig werden wollen und teilweise auch<br />

können.<br />

• Knappere Mittel, die effizienter als bisher e<strong>in</strong>gesetzt<br />

werden sollen; Qualitätsmanagement, verstärktes<br />

Controll<strong>in</strong>g und »Zertifizierung«.<br />

Zu 2. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus:<br />

• Ständige Optimierungsprozesse, die auch vor traditionellen<br />

Strukturen nicht halt machen.<br />

• E<strong>in</strong>e »Lernende Organisation« im Unterschied zu<br />

Mitarbeitern, die etwas lernen sollen.<br />

• Mehr <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Zusammenarbeit als bisher und<br />

Teamarbeit.<br />

• Mitarbeiter mit mehr und teils auch anderen Schlüsselqualifikationen<br />

als bisher: kognitive und soziale<br />

Fähigkeiten, z. B. Lern-, Konflikt- und Teamfähigkeit.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

185


E<strong>in</strong>e systematische Personalentwicklung ist vor dem<br />

H<strong>in</strong>tergrund dieses Scenarios e<strong>in</strong>e Notwendigkeit, die sich<br />

jedoch nicht automatisch ergibt, aber mit Ihrer Hilfe entwickelt<br />

werden kann. E<strong>in</strong>e Personalentwicklung kann auch<br />

von »oben« angeordnet werden, sie ist dann meistens<br />

nicht so erfolgreich, als wenn sie von und mit den<br />

Betroffenen selbst erarbeitet wird.<br />

Überblick über e<strong>in</strong>e umfassende Personalentwicklung<br />

Um Sie bei den Überlegungen, »wo haben wir unsere<br />

Schwachstellen bei der Personalentwicklung« und »wie<br />

können wir diese zukünftig meistern«, zu unterstützen,<br />

erlaube ich mir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Abriß über die Spanne des<br />

Berufslebens h<strong>in</strong>weg zu zeigen, was alles unter Personalentwicklung<br />

im weiteren S<strong>in</strong>ne zu verstehen ist:<br />

(1) Beg<strong>in</strong>nen wir bei der Auswahl des »Personals« (besser<br />

ist wohl der Ausdruck: »Mitarbeiter«), dann kommen<br />

wir schon zu spät, wird häufig behauptet, d.h.<br />

wir müssen im öffentlichen Dienst nehmen, was der<br />

Markt übrig läßt. E<strong>in</strong> offensives Personalmarket<strong>in</strong>g,<br />

das auf die optimale Fächerkomb<strong>in</strong>ation <strong>in</strong> Ausbildung<br />

und Studium E<strong>in</strong>fluß nimmt und diese auch<br />

zum Gegenstand ihres Market<strong>in</strong>gs und des Auswahlverfahrens<br />

macht, wäre hier zu fordern. Ich<br />

glaube, daß der öffentliche Dienst hierbei gar nicht so<br />

hilflos se<strong>in</strong> muß, wie es den Ansche<strong>in</strong> hat.<br />

(2) Die üblichen Prospekte und Ausschreibungen im<br />

öffentlichen Dienst stellen häufig Negativbeispiele<br />

der Personalwerbung dar. Der potentielle Bewerber<br />

liest mehr die traditionelle »Anpassung« als die herausfordernden<br />

Tätigkeiten und <strong>Entwicklung</strong>smöglichkeiten<br />

aus dem Ausschreibungstext heraus, weil<br />

diese Tätigkeiten selbst nicht realitätsgerecht und<br />

glaubwürdig beschrieben werden.<br />

(3) Für die Auswahl selbst s<strong>in</strong>d Anforderungsprofile<br />

zu erstellen, die vom zukünftigen Arbeitsplatz ausgehen.<br />

Schlüsselqualifikationen, wie z. B. Team- und<br />

Konfliktfähigkeit, kommunikative Fertigkeiten oder<br />

Alternativen für Entscheidungen entwickeln zu können,<br />

bekommen <strong>in</strong> Zukunft größere Bedeutung.<br />

Schaut man bei der Auswahl — wie das traditionell<br />

üblich ist — nur auf bestimmte Noten, dann wird die<br />

Basis für die Auswahl oft recht schmal, zu schmal für<br />

e<strong>in</strong> differenziertes Auswahlverfahren wie z. B. für e<strong>in</strong><br />

»Assessment Center«.<br />

(4) Der E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Organisation und die erste Zeit<br />

der Sozialisation oder die E<strong>in</strong>gewöhnung, stellen<br />

e<strong>in</strong>en der wichtigsten Abschnitte im Berufsleben<br />

des e<strong>in</strong>zelnen und der Personalentwicklung dar:<br />

An se<strong>in</strong>en ersten Arbeitstag er<strong>in</strong>nert man sich noch<br />

nach vielen Jahren. Wird man den Mitarbeitern überhaupt<br />

vorgestellt; wird man e<strong>in</strong>fach alle<strong>in</strong> gelassen,<br />

»<strong>in</strong>s kalte Wasser geworfen«? Bekommt man e<strong>in</strong>en<br />

erfahrenen Mentor oder Tutor zur Seite gestellt, oder<br />

wird e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong> »Loch« <strong>in</strong> der schlechtesten Abteilung<br />

zugemacht bei Mitarbeitern, mit denen sonst<br />

ke<strong>in</strong>er mehr arbeiten will?<br />

(5) Hier ungefähr setzen traditionell Weiterbildungsmaßnahmen<br />

e<strong>in</strong>, aber s<strong>in</strong>d diese auch systematisch<br />

geplant und mit der Eignung und Neigung des Mitarbeiters<br />

abgestimmt? Für welche Karriere s<strong>in</strong>d welche<br />

Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen obligatorisch,<br />

wurden diese dem Mitarbeiter beim E<strong>in</strong>stellungsoder<br />

Förderungsgespräch auch mitgeteilt? S<strong>in</strong>d den<br />

Mitarbeitern, die immer über ihre begrenzten Aufstiegsmöglichkeiten<br />

klagen, die Kriterien dafür und<br />

ihre Chancen auch klar gemacht worden?<br />

(6) E<strong>in</strong> Beispiel im S<strong>in</strong>ne des »learn<strong>in</strong>g on the job«<br />

stellt Jobrotation dar: Job rotation <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Aufgabengebieten z. B. als Voraussetzung für<br />

Beförderungen. Jobrotation hält erstarrte Organisationen<br />

und ansonsten e<strong>in</strong>seitige Spezialisten<br />

flexibel! Jobrotation steht im Gegensatz zu<br />

»Kam<strong>in</strong>aufstieg«. Job rotation sollte geplant und im<br />

Rahmen e<strong>in</strong>er systematischen Personalentwicklung<br />

stattf<strong>in</strong>den.<br />

(7) Führungstra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs: Wie soll e<strong>in</strong> Vorgesetzter das<br />

Mitarbeitergespräch führen, wenn er das nicht<br />

gelernt hat? Wie soll er Gruppen- und Teamarbeit<br />

fördern und anleiten, wenn dies nicht Teil e<strong>in</strong>er<br />

systematischen Personalentwickung ist? Führungssem<strong>in</strong>are,<br />

z. B. s<strong>in</strong>d s<strong>in</strong>nvoll, wenn sie systematisch<br />

aufbauen, alle Vorgesetzten nach Plan diese durchlaufen,<br />

Nachfolge-Veranstaltungen stattf<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> die<br />

die Führungskräfte ihre praktischen Erfahrungen mit<br />

dem Gelernten e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen und schließlich organisationszentriert<br />

Vorgesetzte und Mitarbeiter geme<strong>in</strong>sam<br />

teilnehmen. Nur so kann e<strong>in</strong> Transfer <strong>in</strong> die Praxis<br />

sichergestellt werden und die Bedürfnisse der Betroffenen<br />

berücksichtigt werden.<br />

(8) Die Weiterbildung im Rahmen e<strong>in</strong>es s<strong>in</strong>nvollen<br />

Personalentwicklungs-Konzeptes bedeutet auch<br />

Weiterbildung für alle Mitarbeiter und nicht nur<br />

für e<strong>in</strong>ige auserwählte. Weiterbildungsmaßnahmen<br />

kommen auch häufig zu spät. Führungstra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs gibt<br />

es manchmal erst, wenn man zur letzten Beförderung<br />

ansteht.<br />

(9) Der oft beschworene ältere Mitarbeiter, der ke<strong>in</strong>e<br />

Motivation (dt.: Anstrengungsbereitschaft) für se<strong>in</strong>e<br />

Arbeit mehr aufbr<strong>in</strong>gt und statt dessen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Freizeit recht aktiv ist, ist auch das Produkt organisationaler<br />

Sozialisation! Es s<strong>in</strong>d nicht die mangelnden<br />

äußeren Anreize <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie, die dieses Verhalten<br />

bed<strong>in</strong>gen, wie z. B. »Das Ende der Fahnenstange«,<br />

sondern mangelnde Herausforderungen und <strong>in</strong>teressante<br />

Aufgaben und e<strong>in</strong>e Organisationskultur, die e<strong>in</strong><br />

bestimmtes Verhalten fördert. (Die empirische<br />

Motivationsforschung kann dies belegen.) Es ist ausgesprochen<br />

traurig, wenn Menschen im Berufsleben<br />

verkommen, daß der Beruf sozusagen amtlich zur<br />

Nebensache wird.<br />

Die Persönlichkeitsförderlichkeit durch die Arbeit ist<br />

e<strong>in</strong>e Aufgabe der Personalentwicklung. Die Organisation<br />

hat nicht nur e<strong>in</strong> Ziel, nämlich die Leistung,<br />

186 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


sondern auch das Ziel zufriedene, gesunde und entwickelte<br />

Persönlichkeiten hervorzubr<strong>in</strong>gen, so steht es<br />

ja auch <strong>in</strong> den Lehrbüchern der Betriebswirtschaftslehre.<br />

(10) Zu guter Letzt geht es noch um e<strong>in</strong>e gel<strong>in</strong>gende<br />

Ablösung aus dem Berufsleben und e<strong>in</strong>en bruchlosen<br />

Übergang <strong>in</strong> die Pensionierung, damit dieses<br />

lebensverändernde Ereignis nicht zum Schockerlebnis<br />

wird oder gar zum »Pensionstod« führt.<br />

Referent Bögel<br />

Personalentwicklung als lebendiger und partizipativer<br />

Prozeß<br />

Die »bestgewollten« Maßnahmen der Weiterbildung<br />

bleiben nutzlos, wenn ke<strong>in</strong> Transfer zur Praxis möglich ist.<br />

Das Transferproblem ist jedoch nur zum ger<strong>in</strong>gsten Teil<br />

e<strong>in</strong> <strong>in</strong>dividuelles. Der e<strong>in</strong>zelne kann die Bed<strong>in</strong>gungen<br />

se<strong>in</strong>er Praxis nur sehr begrenzt bee<strong>in</strong>flussen. Sie wissen ja,<br />

wie man manchmal nach dem »erfolgreichen« Besuch<br />

e<strong>in</strong>er Weiterbildungsmaßnahme von se<strong>in</strong>en Kollegen<br />

begrüßt wird: »Du hast e<strong>in</strong>e schöne Zeit gehabt, wir dagegen<br />

haben De<strong>in</strong>e Arbeit machen müssen.«<br />

Die Frage ist, ob die Organisation bereit ist, Impulse aus<br />

der Weiterbildung aufzunehmen? Diese Bereitschaft ist<br />

strukturell verankert <strong>in</strong> der Organisations- und Führungskultur.<br />

Wer von e<strong>in</strong>er qualifizierenden Weiterbildung<br />

nichts hält, der kann ke<strong>in</strong> Vorgesetzter se<strong>in</strong>!<br />

E<strong>in</strong> elaboriertes Konzept der Personalentwicklung ist<br />

natürlich e<strong>in</strong> strukturbildendes Element e<strong>in</strong>er Unternehmenskultur.<br />

Letztlich zeichnet sich e<strong>in</strong>e Organisationskultur<br />

aber dadurch aus, wie sie gelebt wird. Konzepte<br />

bleiben oft »totes Papier« und verstauben <strong>in</strong> Regalen, <strong>in</strong>sbesondere<br />

wenn sie fremdbestimmt wurden. Konzepte, die<br />

mittels partizipativer Strategien entwickelt wurden, wo<br />

Betroffene zu Beteiligten gemacht wurden, haben die<br />

Chance auch gelebt zu werden; denn durch die Beteiligung<br />

wird Akzeptanz für Inhalte und Ziele erreicht und<br />

die notwendige Motivation (Anstrengungsbereitschaft) für<br />

die Umsetzung.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

187


Arbeitskreis 8<br />

Unternehmenskultur<br />

Günter Bschor<br />

E<strong>in</strong>führung<br />

»Von ihrem Auftrag her eigentlich auf Dienstleistungen<br />

ausgerichtet, s<strong>in</strong>d solche Unternehmen tatsächlich häufig<br />

nach <strong>in</strong>nen orientiert und mit sich selbst beschäftigt. Die<br />

Mitarbeiter s<strong>in</strong>d gründlich und ordentlich, aber auch vorsichtig,<br />

kle<strong>in</strong>lich, perfektionistisch, detailbesessen, fügsam<br />

und angepaßt. Entscheidungen werden exakt vorbereitet,<br />

sie dauern entsprechend lange und man sichert sich nach<br />

allen Seiten ab.<br />

Die Kommunikation ist umständlich und hierarchiebetont.<br />

Kooperation f<strong>in</strong>det nur bed<strong>in</strong>gt statt. Das Hauptaugenmerk<br />

wird darauf gerichtet, wie etwas getan wird,<br />

weniger darauf, was getan wird. Die Form steht im Vordergrund,<br />

das Ergebnis eher im H<strong>in</strong>tergrund. Anordnungen<br />

werden ausgeführt, ob sie s<strong>in</strong>nvoll s<strong>in</strong>d oder nicht.<br />

Über alle Vorgänge werden Aktennotizen verfaßt, es<br />

besteht e<strong>in</strong> hervorragendes Ablagesystem. Man ist nach<br />

außen h<strong>in</strong> weitgehend abgeschottet, und der Realitätsverlust<br />

ist mitunter erschreckend. Zwischen Leistung und<br />

Belohnung besteht kaum e<strong>in</strong>e Beziehung. Titel spielen für<br />

die Selbste<strong>in</strong>schätzung e<strong>in</strong>e größere Rolle als Geld.« Der<br />

Autor des Bandes »Unternehmenskultur«, Herr Ulrich<br />

Wever, nennt diese Kategorie von Unternehmenskultur die<br />

Verwaltungskultur. Der öffentliche Dienst also mal wieder<br />

als Negativbeispiel?<br />

Zum Vorlauf<br />

Bei der <strong>Fachtagung</strong> 1992 beschäftigte sich ebenfalls e<strong>in</strong><br />

Arbeitskreis 8 mit der Thematik »Unternehmenskultur«.<br />

Kollege Egon Ankenbrand von der FÜAK stellte damals<br />

e<strong>in</strong>en Vergleich an zwischen unserer Tätigkeit <strong>in</strong> der<br />

Dorferneuerung und unserer Unternehmenskultur:<br />

Demnach s<strong>in</strong>d die drei Grundfragen <strong>in</strong> der Dorferneuerung<br />

— wo kommen wir her?<br />

— wer s<strong>in</strong>d wir?<br />

— wo wollen wir h<strong>in</strong>?<br />

auch für uns als Unternehmen anwendbar.<br />

Ziel des Arbeitskreises 8 sollte 1992 und soll auch<br />

heuer se<strong>in</strong>, zu den Fragen<br />

— wer s<strong>in</strong>d wir?<br />

— wo wollen wir h<strong>in</strong>?<br />

ansatzweise Perspektiven und Visionen aufzuzeigen.<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Wir bauen heute nicht auf den sachlichen<br />

Erkenntnissen des Arbeitskreises 8 von 1992 auf, sondern<br />

bearbeiten neue Themen. Diese Ergebnisse wollen wir<br />

gewissermaßen als weitere Glieder e<strong>in</strong>er Stoffsammlung<br />

zum Thema »Unternehmenskultur« weitergeben. Dabei<br />

hoffen wir natürlich auf e<strong>in</strong>e Umsetzung der enthaltenen<br />

Visionen und Anregungen.<br />

So wurde Ende 1993 e<strong>in</strong>er der Vorschläge des Arbeitskreises<br />

8 von 1992 erfüllt mit der Bekanntgabe unseres<br />

Corporate Design.<br />

Herr Strößner schreibt dazu <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vorwort:<br />

»Die Aufgaben und Schwerpunkte unserer<br />

Verwaltung haben sich <strong>in</strong> den vergangenen Jahren<br />

stark verändert und verlagert. Aus dem Fachgebiet der<br />

klassischen Flurbere<strong>in</strong>igung ist das umfassende<br />

Dienstleistungsangebot <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong> entstanden.<br />

Gleichzeitig haben sich nicht nur unsere Arbeitsplätze<br />

und -methoden, sondern auch unsere<br />

Beziehungen nach außen — <strong>in</strong>sbesondere zu unseren<br />

wichtigsten Partnern, den Bürgern und Geme<strong>in</strong>den —<br />

nachhaltig gewandelt. Die geänderte Unternehmenskultur<br />

unserer Verwaltung soll künftig mehr als bisher<br />

Themenauswahl<br />

Artefakte: 1 Identifikation-Market<strong>in</strong>g-<br />

Außenwirkung:<br />

Unsere Arbeit am Beispiel der<br />

gestalteten Landschaft<br />

Normen: 2 Konflikt-, Informations- und<br />

Kooperationsverhalten <strong>in</strong><br />

unserer Verwaltung<br />

Wertvor- 3a E<strong>in</strong>stellung zu Innovationen<br />

vorstellung: und ihre Auswirkungen auf<br />

die Arbeit<br />

Alternativ: 3b E<strong>in</strong>stellung des Personals zur<br />

Verwaltung<br />

Grundwerte: 4a Verhältnis zu Natur und<br />

Technik<br />

Alternativ: 4b Soziale Beziehungen <strong>in</strong> der<br />

Organisation<br />

E<strong>in</strong>führungsreferate <strong>in</strong> den Arbeitskreis 8<br />

189


durch e<strong>in</strong> zeitgemäßes Ersche<strong>in</strong>ungsbild <strong>in</strong>haltlich<br />

erfaßt werden und visuell zur Darstellung kommen.<br />

Es gibt zahlreiche Elemente, die dazu beitragen, die<br />

Identität der Gesamtheit unserer Verwaltung zu formen.<br />

Dies transparent zu machen und e<strong>in</strong>prägsam zu<br />

gestalten, ist Aufgabe e<strong>in</strong>es Corporate Design.«<br />

— Soweit Herr Strößner.<br />

Aus me<strong>in</strong>em Schreiben an die Teilnehmer dieses<br />

Arbeitskreises konnten Sie entnehmen, daß wir für Sie aus<br />

den Kulturelementen e<strong>in</strong>e Vorauswahl von sechs Themen<br />

getroffen haben. Sie können anschließend daraus drei<br />

Themen auswählen und <strong>in</strong> moderierten Kle<strong>in</strong>gruppen<br />

bearbeiten.<br />

Zur aktuellen Situation<br />

Wir und vor allem Kollegen des M<strong>in</strong>isteriums, aus<br />

Krumbach, Landau und Würzburg mußten uns für e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>gehende Untersuchung unseres Unternehmens <strong>in</strong> den<br />

letzten Wochen sehr <strong>in</strong>tensiv mit allen Vorgängen <strong>in</strong><br />

unserer Verwaltung befassen.<br />

An sich ist dies nichts Neues für uns, da sich an jeder<br />

Direktion Arbeitskreise für e<strong>in</strong>en möglichst effektiven<br />

Arbeitsablauf auch früher schon Gedanken machten und<br />

machen, — und auch <strong>in</strong> dem weit angelegten Spektrum<br />

der Untersuchung sollte es nicht nur e<strong>in</strong>e Gefahr, sondern<br />

auch e<strong>in</strong>e Chance für unser Unternehmen se<strong>in</strong>.<br />

Die allgeme<strong>in</strong>e Rezession, der Druck auf die öffentlichen<br />

Haushalte und damit auf den öffentlichen Dienst<br />

und auch <strong>in</strong>terne Probleme <strong>in</strong> der Landwirtschaftspolitik<br />

— e<strong>in</strong>e Politik für den ländlichen Raum gibt es leider noch<br />

nicht — kommen für unser Unternehmen <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang zu e<strong>in</strong>em denkbar ungünstigen Zeitpunkt.<br />

Aus e<strong>in</strong>er fast re<strong>in</strong>en Verteidigungsposition heraus<br />

(Stichwort Badura-Kommission) tun wir uns sehr hart,<br />

solche Chancen wahrzunehmen:<br />

— Die Stärken unserer eigenen Unternehmenskultur nach<br />

<strong>in</strong>nen und außen entsprechend darzustellen,<br />

— e<strong>in</strong> schlüssiges Gesamtleitbild weiter zu entwickeln<br />

und umzusetzen,<br />

— aufgezeigten Schwächen s<strong>in</strong>nvoll zum Wohl der<br />

<strong>Entwicklung</strong> des ländlichen Raumes zu begegnen.<br />

Jede Unternehmenskultur benötigt für e<strong>in</strong>e positive<br />

<strong>Entwicklung</strong> Freiräume und klar def<strong>in</strong>ierte Vorgaben.<br />

Unter dem äußeren Druck stecken wir derzeit sicher <strong>in</strong><br />

<strong>Entwicklung</strong>sproblemen. Lassen Sie sich davon <strong>in</strong> unserer<br />

heutigen Tätigkeit bitte nicht zu sehr bee<strong>in</strong>flussen. Die<br />

wesentlichen Merkmale unserer Unternehmenskultur<br />

behalten auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em personell reduzierten Unternehmen<br />

ihre Gültigkeit!<br />

Zu den Personen, die Sie heute begleiten<br />

Ich freue mich, daß wir zur fachlichen E<strong>in</strong>führung und<br />

Begleitung Herrn Dr. Norbert Hagemann gew<strong>in</strong>nen konnten.<br />

Nach e<strong>in</strong>em Studium der Politikwissenschaften pro-<br />

movierte er <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> zu gesellschaftlichen, wirtschaftlichen<br />

und organisatorischen Konsequenzen technischer<br />

Innovationen. Se<strong>in</strong>e beruflichen Erfahrungen sammelte<br />

er <strong>in</strong> öffentlichen Verwaltungen sowie Unternehmen der<br />

Privatwirtschaft. Seit 1993 ist Dr. Hagemann als Berater<br />

im Bereich Management Consult<strong>in</strong>g der Firma Sietec<br />

Consult<strong>in</strong>g tätig.<br />

Näheres zur Moderation und zum Ablauf erläutern<br />

Ihnen im Anschluß an das Fachreferat des Herrn<br />

Dr. Hagemann die Kollegen Alois Krausenböck und<br />

Harald Mohr. Bei der Moderation der Gruppen werden Sie<br />

weiterh<strong>in</strong> von den Kolleg<strong>in</strong>nen Gerl<strong>in</strong>de August<strong>in</strong> und<br />

Monika Hirl und den Kollegen Wolfgang Ewald, Ferd<strong>in</strong>and<br />

Bisle und Karl Schur — alle Direktion für <strong>Ländliche</strong> Entwickung<br />

Krumbach — unterstützt. Von der <strong>Ansbach</strong>er<br />

Direktion s<strong>in</strong>d für die heutige Organisation die Kollegen<br />

Klaus Zupfer und Wolfgang Gartzke zuständig. Zu me<strong>in</strong>er<br />

Person: Ich b<strong>in</strong> an der Direktion für <strong>Ländliche</strong> <strong>Entwicklung</strong><br />

Krumbach Abteilungsleiter IT und Geschäftsführer<br />

der Schule für Dorf- und Landentwicklung Thierhaupten.<br />

Beim Schnuppern <strong>in</strong> der Literatur b<strong>in</strong> ich auf e<strong>in</strong>e<br />

amüsante Parallele gestoßen: Im Mittelalter pflegte sich<br />

jeder König e<strong>in</strong>en Hofnarren zu halten. Der Hofnarr hatte<br />

nicht nur die Aufgabe, den König mit Scherzen zu unterhalten.<br />

Er hatte außerdem die sprichwörtliche »Narrenfreiheit«,<br />

die ihn verpflichtete, die Politik des Königs scharf<br />

zu beobachten und — wenn auch mit dem berufseigenen<br />

Schalk im Nacken — massive Kritik zu äußern.<br />

In Zukunft wird wohl kaum e<strong>in</strong> Unternehmen ohne<br />

e<strong>in</strong>en Hofnarren auskommen. Vorbei s<strong>in</strong>d die Zeiten der<br />

Firmenideologien, die e<strong>in</strong>en Bann gegen jeden aussprachen,<br />

der gut geme<strong>in</strong>te E<strong>in</strong>wände hatte. Lassen sie uns<br />

also heute unsere eigenen Hofnarren se<strong>in</strong>, die kritisch<br />

ihren »Hofstaat« beäugen.<br />

Herr Dr. Hagemann wird Sie nun mit se<strong>in</strong>em Referat<br />

»Unternehmensstrategie und Unternehmenskultur<br />

— der Schlüssel zum Unternehmenserfolg« <strong>in</strong>s Thema<br />

e<strong>in</strong>führen<br />

190 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Norbert Hagemann<br />

Unternehmensstrategie und<br />

Unternehmenskultur<br />

— der Schlüssel zum Unternehmenserfolg<br />

»Die Unternehmensberater erhalten e<strong>in</strong> neues und<br />

attraktives Beratungsprodukt, der akademisch-wissenschaftliche<br />

Bereich f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> legitimatorischer und beruflicher<br />

H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong> thematisch neues Arbeitsfeld«. Auf<br />

dieses lakonische Kürzel br<strong>in</strong>gt Karl Sandner von der Wirtschaftsuniversität<br />

Wien das Interesse, die Hoffnungen<br />

und die Erwartungen, die sich an das <strong>in</strong> Fachkreisen seit<br />

geraumer Zeit stark diskutierte Thema der Unternehmenskultur<br />

knüpfen. Die Entdeckung der Unternehmenskultur<br />

und deren Zusammenhang mit dem Erfolg e<strong>in</strong>es Unternehmens<br />

hat <strong>in</strong> den letzten Jahren aber auch bei vielen<br />

Managern <strong>in</strong> der Privatwirtschaft den E<strong>in</strong>druck entstehen<br />

lassen, der Universalschlüssel für den Erfolg <strong>in</strong> schnellebigen<br />

Zeiten sei gefunden worden. Akute Probleme und<br />

Rückschläge bei der Umsetzung neuer Strategien, die<br />

Suche nach neuen, effizienteren Führungskonzepten und<br />

-<strong>in</strong>strumenten sowie der Erfolgsnimbus, der der kulturellen<br />

Andersartigkeit japanischer Unternehmen anhaftet,<br />

bildeten den fruchtbaren Boden für die anhaltend hohe<br />

Akzeptanz unternehmenskultureller Fragestellungen <strong>in</strong><br />

Managementkreisen.<br />

Inhalt dieses Vortrages wird die kritische Betrachtung<br />

dieses »Universalschlüssels« sowie das Aufzeigen<br />

von Möglichkeiten und Grenzen se<strong>in</strong>er Nutzung se<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong>geleitet werden die Ausführungen durch e<strong>in</strong>en<br />

kurzen Aufriß der Herausforderungen, mit denen sich<br />

öffentliche Verwaltungen gegenwärtig und zukünftig konfrontiert<br />

sehen. Der sich hieran anschließende Überblick<br />

über die Entstehungsgeschichte des Interesses an unternehmenskulturellen<br />

Themen und ihrer E<strong>in</strong>ordnung <strong>in</strong> den<br />

Unternehmenszusammenhang soll die Bedeutung der<br />

Unternehmenskultur für die heutige Betriebswirtschaft<br />

aufzeigen. Hierauf aufbauend werden unter E<strong>in</strong>bezug von<br />

Beispielen die e<strong>in</strong>zelnen Ebenen und Elemente der Unternehmenskultur<br />

e<strong>in</strong>er näheren Betrachtung unterzogen.<br />

Ansatzpunkte für die Gestaltung der Kultur e<strong>in</strong>es Unternehmens<br />

schließen den Vortrag ab und bilden zugleich die<br />

Überleitung zur weiteren Vertiefung des Themas <strong>in</strong> den<br />

Arbeitsgruppen.<br />

Als e<strong>in</strong> zentraler Leistungsträger unseres Geme<strong>in</strong>wesens<br />

rückt der Bereich öffentliche Verwaltungen zusehends <strong>in</strong><br />

das Zentrum der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Von<br />

ihm werden Leistungen erwartet, die bei deutlich ger<strong>in</strong>gerem<br />

Ressourcene<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>e höhere Qualität des Geme<strong>in</strong>wohls<br />

sichern sollen. Effektivität und Effizienz s<strong>in</strong>d damit<br />

die aktuellen Schlagworte auch für das »Unternehmen«<br />

Verwaltung. Verwaltungserfolg wird an wirtschaftlichen<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Kennziffern gemessen werden. Aber nicht nur. Bereits<br />

heute, und zukünftig noch mit steigender Intensität, sieht<br />

sich die öffentliche Verwaltung mit e<strong>in</strong>er Vielfalt zum Teil<br />

neuartiger Herausforderungen konfrontiert. In der Folie,<br />

die wir »Dreieck der Herausforderungen« genannt haben<br />

(s. Abb. S. 192) s<strong>in</strong>d diese schematisch angerissen. Zu<br />

ihnen zählen vor allem die hochdynamischen <strong>Entwicklung</strong>en<br />

<strong>in</strong> technischer, organisatorischer, aber auch gesellschaftlicher<br />

H<strong>in</strong>sicht.<br />

Neue und steigende Anforderungen erwachsen z. B.<br />

aus dem Wertewandel <strong>in</strong> der Gesellschaft, denken wir<br />

nur an die veränderte gesellschaftliche Rezeption der<br />

Bedeutung des Dorfes, erwachsen aus den Veränderungen<br />

im Arbeitsprozeß sowie <strong>in</strong> der gesellschaftlichen Organisation,<br />

die der rasanten Verbreitung der neuen Informations-<br />

und Kommunikationstechologien geschuldet s<strong>in</strong>d,<br />

erwachsen aus dem veränderten Demokratiebewußtse<strong>in</strong><br />

der Bürger und ihrem Wunsch, im eigenen Lebensbereich<br />

unmittelbarer mitwirken und mitbestimmen zu können.<br />

Nennenswerte Beispiele aus dem schier unerschöpflichen<br />

Fundus unserer sich stetig verändernden Umwelt s<strong>in</strong>d<br />

ebenso die deutsche E<strong>in</strong>heit, die Zunahme multikultureller<br />

Aspekte unserer Gesellschaft sowie der Europäische<br />

E<strong>in</strong>igungsprozeß mit se<strong>in</strong>en Rückwirkungen auf die<br />

nationale, Landes- und ländliche Politik.<br />

Aber nicht nur die Nutzer der öffentlichen Dienstleistungen<br />

wollen sich <strong>in</strong> ihren Ansprüchen befriedigt<br />

wissen. Die Mitarbeiter der Verwaltungen selbst s<strong>in</strong>d Teil<br />

dieser Umwelt und entwickeln ähnliche Bedürfnisse wie<br />

ihre Kollegen, z. B. privatwirtschaftlicher Unternehmen.<br />

Denken wir nur an die Fragen der flexiblen Arbeitszeitgestaltung<br />

oder der größeren Attraktivität der eigenen<br />

Verwaltungsarbeit. Schließlich will der Mitarbeiter stolz<br />

se<strong>in</strong> auf se<strong>in</strong> erbrachtes Produkt, sich auch offen identifizieren<br />

können mit se<strong>in</strong>em »Unternehmen«.<br />

Und letztlich muß diesen Herausforderungen unter<br />

den Bed<strong>in</strong>gungen von tiefgreifenden Umbrüchen <strong>in</strong><br />

den Verwaltungen selbst Rechnung getragen werden<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

191


192 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


(s. Abb. S 196). Wie bereits erwähnt, müssen wir davon<br />

ausgehen, daß gegenläufig zu den steigenden<br />

Anforderungen die Budgets der Verwaltungen real s<strong>in</strong>ken<br />

werden, und zudem <strong>in</strong> vielen Bereichen die Verschlankung<br />

der Verwaltung zu e<strong>in</strong>em nicht unerheblichen<br />

Stellenabbau führen wird. In Baden-Württemberg s<strong>in</strong>d es<br />

mittelfristig ca. 4 000 Stellen, <strong>in</strong> den anderen<br />

Bundesländern nicht weniger.<br />

Sie als aktive Gestalter s<strong>in</strong>d gefordert, nicht nur jede<br />

Ecke dieses Dreiecks <strong>in</strong> sich zu verbessern, sondern die<br />

Relationen <strong>in</strong> ihrer Ganzheitlichkeit zu erkennen und zu<br />

optimieren. Selbstverständlich kann man nicht davon ausgehen,<br />

daß dies von jedem e<strong>in</strong>zelnen Mitarbeiter geleistet<br />

wird, aber an jedem Arbeitsplatz wird sich diese Situation<br />

widerspiegeln, und jeder Mitarbeiter wird sich mit ihr konfrontiert<br />

sehen.<br />

Die Bewältigung der aufgezeigten Herausforderungen<br />

erfordert, um das Wort von Herrn Glück zu<br />

gebrauchen, »Realutopien«. Sie erfordert e<strong>in</strong>e Kultur, die<br />

es ermöglicht, Herausforderungen auch als Chance zu<br />

begreifen. Jürgen Weber, Controll<strong>in</strong>g- und Logistik-<br />

Professor an der Wissenschaftlichen Hochschule für<br />

Unternehmensführung <strong>in</strong> Koblenz, schätzte jüngst im<br />

Manager-Magaz<strong>in</strong> e<strong>in</strong>, daß die Realisierung der Vision<br />

von Verwaltungen nur gel<strong>in</strong>gen werde, wenn der öffentliche<br />

Dienst die Herausforderung der permanenten Veränderung<br />

akzeptiere. Dieses aber greife so tief <strong>in</strong> das<br />

Verhalten aller Bediensteten e<strong>in</strong>, daß es hierzu e<strong>in</strong>er<br />

grundlegenden Kulturveränderung bedarf. Um so begrü-<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

ßenswerter s<strong>in</strong>d solche Arbeitskreise wie der heutige, <strong>in</strong><br />

denen es im geme<strong>in</strong>samen Austausch und Überlegen<br />

konkret zur Sache geht (s. Abb. unten).<br />

Durch die Globalisierung der Märkte sahen sich die<br />

Unternehmen der Privatwirtschaft schon seit Beg<strong>in</strong>n der<br />

80er Jahre mit dem angedeuteten Optimierungsproblem<br />

konfrontiert. Inzwischen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Privatwirtschaft<br />

Erkenntnisse gereift, die <strong>in</strong> neu entwickelten Methoden<br />

und Instrumenten für die Bewältigung dieser Herausforderungen<br />

ihren Niederschlag gefunden haben.<br />

Beispiele hierfür s<strong>in</strong>d:<br />

• das Qualitätsmanagement<br />

• Organisations- und Strukturanpassungen z. B. unter<br />

den Stichworten Lean Production, Lean Management<br />

oder Workflow-Management<br />

• Controll<strong>in</strong>gsysteme oder auch<br />

• die Optimierung von Geschäftsprozessen.<br />

Diese Methoden und Instrumente stellen das eigentliche<br />

Betätigungsfeld des Bereiches Management Consult<strong>in</strong>g<br />

der Sietec Consult<strong>in</strong>g dar. In unserer täglichen Arbeit<br />

<strong>in</strong> den Unternehmen und Verwaltungen mußten wir aber<br />

beobachten, daß es e<strong>in</strong>en Faktor gibt, der den Erfolg unserer<br />

Arbeit maßgeblich bee<strong>in</strong>flußt und somit beständig mit<br />

<strong>in</strong> Betracht zu ziehen war: Dieser Faktor ist das, was wir<br />

mit dem Begriff Unternehmenskultur fassen.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

193


Immer wieder haben wir festgestellt, daß der Erfolg der<br />

E<strong>in</strong>führung und Umsetzung neu konzipierter Strategien<br />

und Strukturen wesentlich davon abhängt, ob die Mitarbeiter<br />

diese mittragen, ob das Neue mit der kulturellen<br />

Tradition und dem kulturellen Horizont vere<strong>in</strong>bar ist, d. h.,<br />

dem kulturellen Selbstverständnis der Organisation entspricht.<br />

Plastisches Beispiel hierfür ist unser Mutterunternehmen,<br />

die Siemens Nixdorf Informationssysteme AG<br />

selbst. Es war ke<strong>in</strong> Geheimnis, daß der Informatik-Bereich<br />

von Siemens und die Nixdorf AG zum Zeitpunkt der<br />

Fusion beider Unternehmen zwei völlig unterschiedliche<br />

Kulturen verkörperten. Weit mehr als zwei Jahre hat es<br />

nach ihrer Zusammenführung gedauert, bis aus den<br />

beiden Kulturen e<strong>in</strong>e von allen Mitarbeitern geme<strong>in</strong>sam<br />

getragene SNI-Kultur wurde. Zweifellos gab es auf diesem<br />

Weg diverse Reibungsverluste, das schlagartige Durchsetzen,<br />

quasi per Vorstandsrundschreiben, e<strong>in</strong>er der<br />

beiden Kulturen hätte aber mit Sicherheit zu e<strong>in</strong>em Fiasko<br />

der Fusion geführt.<br />

Gehen wir davon aus, daß die im Bereich der Wirtschaft<br />

und <strong>in</strong> den öffentlichen Verwaltungen zu lösenden<br />

Probleme strukturell ähnlich s<strong>in</strong>d, so ist die Frage der<br />

Nutzung der <strong>in</strong> der Privatwirtschaft gewonnenen Erfahrungen<br />

naheliegend.<br />

Zweifelsfrei können e<strong>in</strong>e Vielzahl der entwickelten<br />

Methoden und Instrumente auch im Verwaltungsbereich<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden. Bezogen auf unser Thema um so mehr,<br />

als wir von e<strong>in</strong>em Organisationsbegriff ausgehen, wonach<br />

die Unternehmung, das Krankenhaus, der Sportvere<strong>in</strong> und<br />

eben auch die Verwaltung Organisation ist. Es bleibt aber<br />

weiterh<strong>in</strong> offen, ob sich bei e<strong>in</strong>em bloßen Übertragen der<br />

Erfahrungen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Kulturumfeld erzielt<br />

wurden, auch dieselben Wirkungen e<strong>in</strong>stellen werden.<br />

In unserem Unternehmen hat sich diesbezüglich die<br />

Erkenntnis durchgesetzt, daß jede Organisation ihren<br />

»eigenständigen« Weg der Problemlösung f<strong>in</strong>den muß.<br />

Diese Eigenständigkeit bezieht sich auch auf die Zusammenarbeit<br />

mit dem externen Know-how, sprich mit den<br />

Beratern. In ihrem jüngst herausgegebenen Buch<br />

»Organisationsentwicklung — Verwaltungen helfen sich<br />

selbst« stellen die Autoren der Bayerischen Verwaltungsschule<br />

<strong>in</strong> diesem Zusammenhang heraus, daß sich der<br />

Lösungsbedarf der öffentlichen Verwaltungen nicht auf<br />

die gegenwärtigen Probleme beschränkt. Die Aufgaben<br />

und Rahmenbed<strong>in</strong>gungen ihres Handelns würden sich<br />

ständig ändern, was die Fähigkeit der Verwaltung erfordere,<br />

heute gefundene Lösungen weiterzuentwickeln und<br />

zukünftige Probleme sachgerecht anzupacken. Erschließen<br />

und Entwickeln des eigenen Sachverstandes und knowhow-Transfer<br />

heißen die diesbezüglichen Stichworte.<br />

Nach unserem Verständnis sollte sich der E<strong>in</strong>satz externen<br />

Know hows bei der Lösung so komplexer Aufgabenstellungen<br />

wie der <strong>Entwicklung</strong> von Organisationskultur<br />

im wesentlichen auf die Moderation des angestrebten<br />

Veränderungsprozesses beziehen. Wie aus der abgebildeten<br />

Folie ersichtlich, steht dabei die Gestaltung e<strong>in</strong>es<br />

wünschenswerten Unternehmenskulturmodells, nennen<br />

wir es e<strong>in</strong>mal SOLL-Kultur, im Vordergrund der <strong>in</strong>haltlichen<br />

Arbeit. Voraussetzung hierfür ist e<strong>in</strong> zum<strong>in</strong>dest<br />

grobes Verständnis des IST-Zustandes der Kultur im<br />

194 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Unternehmen. Die hierfür erforderliche Analysearbeit, vor<br />

allem aber die <strong>Entwicklung</strong> der SOLL-Kultur, sollte — unter<br />

Anleitung externer Moderatoren — von den Mitarbeitern<br />

selbst durchgeführt werden. Dieses wäre zugleich e<strong>in</strong>e<br />

entscheidende Voraussetzung dafür, daß die »Früchte dieser<br />

Anstrengungen« von möglichst vielen getragen und<br />

damit auch umgesetzt werden.<br />

Wie kam es zur Entdeckung der Organisationskultur<br />

als Faktor des Erfolgs von Unternehmungen?<br />

Seit Beg<strong>in</strong>n der Industrialisierung bis heute wurde der<br />

Mensch im Unternehmen stets <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Funktion für den<br />

Unternehmenserfolg betrachtet. Anfang des 20. Jahrhunderts<br />

wurde dabei vor allem arbeitsorganisatorischen<br />

Aspekten Aufmerksamkeit geschenkt. Die organisatorische<br />

Struktur von Unternehmungen, ihre hierarchischen Gliederungen<br />

und die damit e<strong>in</strong>hergehende Arbeitsteilung<br />

standen im Zentrum aller Bestrebungen.<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>er gesellschaftlichen Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

um mehr <strong>in</strong>dividuelle Freiräume verlagerte<br />

sich die Aufmerksamkeit <strong>in</strong> den siebziger Jahren von der<br />

strukturellen auf die soziale Dimension der Arbeit. Die<br />

Organisationswissenschaft »entdeckte« parallel, daß<br />

Organisationen e<strong>in</strong>er permanenten dynamischen <strong>Entwicklung</strong><br />

unterworfen s<strong>in</strong>d, daß erst die Menschen <strong>in</strong> der<br />

Organisation diese mit Leben erfüllen und dieses oft<br />

anders, als man sich es bei der Planung der Strukturen<br />

und der Arbeitsorganisation gedacht hatte. »Glückliche<br />

Mitarbeiter leisten mehr« wurde zum zentralen Motto der<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

Unternehmensführung. Das Schlagwort von der<br />

»Humanisierung der Arbeit« machte die Runde und damit<br />

Pro-gramme zur Erweiterung des Arbeits<strong>in</strong>haltes, zur<br />

Rotation an den Arbeitsplätzen und zur Verbesserung der<br />

sozialen Beziehungen der Mitarbeiter untere<strong>in</strong>ander.<br />

In der ersten Hälfte der achtziger Jahre hatten sich die<br />

wirtschaftlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen durch gestiegene<br />

Komplexität und Dynamik stark verändert. Um den<br />

Unternehmenserfolg auch unter diesen Bed<strong>in</strong>gungen zu<br />

gewährleisten, mußte e<strong>in</strong> Weg gefunden werden, die<br />

Mitarbeiter <strong>in</strong> die Lage zu versetzen, auch <strong>in</strong> komplexen,<br />

sich schnell verändernden Situationen im S<strong>in</strong>ne des<br />

Unternehmens richtig zu entscheiden. Bisher genutzte<br />

Verfahrensvorschriften und Verhaltensmaßregeln erwiesen<br />

sich als nur noch bed<strong>in</strong>gt nutzbar, der Übergang zur<br />

Delegation von Entscheidungskompetenz als notwendig.<br />

Man erkannte, daß es neben dem »Glücklichse<strong>in</strong>« der<br />

Mitarbeiter noch etwas gibt, von dessen Ausprägung es<br />

wesentlich abhängt, ob die Mitarbeiter die an sie geknüpften<br />

Erwartungen erfüllen.<br />

Dieses Etwas ist die Organisationskultur. »So wie man<br />

e<strong>in</strong>es Tages begonnen hatte, Kommunikationsprozesse<br />

oder Konflikte oder Führungsverhalten bewußt wahrzunehmen,<br />

um diese dann auch bewußt zu gestalten, auch<br />

wenn man dies immer schon <strong>in</strong>tuitiv getan hat, so . . .<br />

(begann) man nun, die kulturelle Dimension (der Unternehmung)<br />

bewußt wahrzunehmen«, also all das, was den<br />

Charakter, den Geist und damit die E<strong>in</strong>maligkeit und<br />

Unverwechselbarkeit e<strong>in</strong>es Unternehmens ausmacht. So<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

195


Dr. Wagner <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Referat vor 2 Jahren <strong>in</strong> Bamberg.<br />

Mit den Themen der E<strong>in</strong>stellungen und Werthaltungen<br />

war zugleich e<strong>in</strong> neuer Ansatz der Unternehmensführung<br />

gefunden, der dem Wunsch des Managements nach<br />

<strong>in</strong>direkten, impliziten und damit weicheren Führungs<strong>in</strong>strumenten<br />

im Rahmen e<strong>in</strong>er gelenkten und gestalteten<br />

Evolution des Unternehmens entsprach.<br />

Wie ordnet sich die Organisationskultur <strong>in</strong> das<br />

Management e<strong>in</strong>es Unternehmens e<strong>in</strong>?<br />

Ausgehend von den Zielen e<strong>in</strong>es Unternehmens oder<br />

e<strong>in</strong>er Organisation werden Strategien zu deren Erreichung<br />

aufgestellt. Die Umsetzung dieser Strategien manifestiert<br />

sich <strong>in</strong> der konkreten Ausgestaltung der e<strong>in</strong>zelnen Organisationselemente,<br />

zu denen die Mitarbeiter, die Organisationsstrukturen,<br />

die Systeme (EDV), die Geschäftsprozesse,<br />

der Führungsstil, aber auch die Organisationskultur<br />

zu zählen s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e erfolgreiche Realisierung unternehmenspolitischer<br />

Zielsetzungen ist nur möglich, wenn die<br />

Ziele, die verfolgte Strategie sowie die e<strong>in</strong>zelnen Organisationselemente<br />

konsistent s<strong>in</strong>d. Damit ist auch die<br />

wechselseitige Bed<strong>in</strong>gtheit von Unternehmensstrategie,<br />

Unternehmenskultur und Unternehmenserfolg umrissen.<br />

Besteht zwischen den Werten und Normen der Unternehmenskultur<br />

e<strong>in</strong>er Organisation und der Strategie<br />

dieser Organisation ke<strong>in</strong> Gleichklang, so bedarf es zur<br />

Sicherung des angestrebten Unternehmenserfolges entweder<br />

e<strong>in</strong>er Anpassung der Strategie an das kulturell<br />

Machbare oder e<strong>in</strong>er <strong>Entwicklung</strong> der Organisationskultur<br />

(s. Abb. S. 197).<br />

Diesen Zusammenhang reflektieren auch die gegenwärtig<br />

<strong>in</strong> der Siemens AG unternehmensweit laufenden<br />

Aktivitäten zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit.<br />

Dabei wird davon ausgegangen, daß das Ziel, im <strong>in</strong>ternationalen<br />

Wettbewerb durch e<strong>in</strong> schnelleres Reagieren<br />

auf Marktveränderungen zu bestehen, mit der herkömmlichen<br />

Siemens-Kultur nicht zu bewerkstelligen ist. E<strong>in</strong>e<br />

unter dem Namen TOP (Siemens soll top werden) laufende<br />

»Kampagne« zielt <strong>in</strong> diesem Zusammenhang vor allem auf<br />

Veränderungen <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>stellung, der Motivation der<br />

Mitarbeiter und dem Führungsverhalten der Vorgesetzten.<br />

Die zielgerichtete <strong>Entwicklung</strong> der Unternehmenskultur<br />

soll ihren Niederschlag f<strong>in</strong>den <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er größeren<br />

Verantwortung jedes e<strong>in</strong>zelnen. Die Vorgesetzten sollen<br />

im Ergebnis nicht mehr »Anweiser« sondern »Coach«, die<br />

Mitarbeiter nicht mehr »Mit-Arbeiter« sondern »Mit-<br />

Denker« se<strong>in</strong>. Bei der Konzipierung der »Kampagne« ließen<br />

sich die Verantwortlichen zugleich von der Erkenntnis leiten,<br />

daß es nicht möglich se<strong>in</strong> wird, das noch weit verbreitete<br />

Warten auf Vorgaben abzubauen, wenn die kulturellen<br />

nicht durch die entsprechenden z. B. organisatorischen<br />

Veränderungen begleitet werden. TOP thematisiert<br />

<strong>in</strong> diesem Zusammenhang die Verlagerung operativer<br />

Tätigkeiten und Befugnisse von oben nach unten, ebenso<br />

wie Fragen e<strong>in</strong>er Weiterentwicklung der bestehenden<br />

Entgeltsysteme sowie maßgeschneiderter Arbeitszeitmodelle.<br />

Der auch an diesem Beispiel sichtbare Zusammenhang<br />

zwischen Unternehmensstrategie, Unternehmenskultur<br />

und Unternehmenserfolg verdeutlicht e<strong>in</strong> wesentliches<br />

Axiom für die Kulturentwicklung selbst: die Stärke der<br />

Kultur e<strong>in</strong>es Unternehmens liegt nicht so sehr <strong>in</strong> der spezifischen<br />

Ausprägung se<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Bestandteile sondern<br />

vor allem im Grad der Harmonie mit den unternehmenspolitischen<br />

Notwendigkeiten.<br />

Kommen wir nun zur Begriffsbestimmung.<br />

Zahlreich s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen auch <strong>in</strong> Deutschland die<br />

Bücher und Publikationen der Fachpresse zum Thema der<br />

Organisationskultur. In allen e<strong>in</strong>schlägigen Nachschlagewerken<br />

der Betriebswirtschaft f<strong>in</strong>den Sie Abhandlungen<br />

von profilierter Hand. Ungeachtet dessen werden Sie<br />

Schwierigkeiten haben, e<strong>in</strong>e übere<strong>in</strong>stimmende und zudem<br />

unserem Kulturkreis adäquate, weil klare und präzise<br />

Def<strong>in</strong>ition dieses Phänomens zu f<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong> Teil der Autorenschaft<br />

versucht sich gar ganz darum herumzumogeln<br />

oder def<strong>in</strong>iert sie z. B. nur als<br />

» . . . grundsätzliche Idee oder Vorstellung davon . . . ,<br />

wie mit organisatorischer Komplexität besser<br />

zurechtzukommen« ist.<br />

Die Ursachen hierfür liegen unter anderem dar<strong>in</strong>, daß<br />

die Betriebswirtschaft über ke<strong>in</strong>e diesbezügliche Begrifflichkeit<br />

verfügt, diese somit der anthropologischen Kulturforschung<br />

zu entleihen war, welche aber aufgrund<br />

konzeptioneller Unterschiede auch ke<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>heitlichen<br />

Kulturbegriff bietet. H<strong>in</strong>zu kommt, daß sich die Organisationskultur<br />

als e<strong>in</strong> sehr komplexes und zudem schwer<br />

faßbares Phänomen darstellt. Se<strong>in</strong>e bis zum gegenwärtigen<br />

Zeitpunkt nur mangelnde empirische Durchleuchtung<br />

hat zur Folge, daß wir um se<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zelnen Bestandteile<br />

wissen, weit weniger jedoch darum, wie und durch<br />

welche Prozesse aus den e<strong>in</strong>zelnen Elementen Organisationskultur<br />

entsteht. Sehr treffend ist der <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang oft angeführte Vergleich zwischen der<br />

Organisationskultur und dem, was August<strong>in</strong>us von der<br />

Zeit sagte: »Beim Aussprechen des Wortes verstehen wir<br />

. . . , was es me<strong>in</strong>t, und verstehen es gleichso, wenn wir es<br />

e<strong>in</strong>en anderen aussprechen hören. (. . .) Wenn mich<br />

niemand danach fragt, weiß ich es; will ich e<strong>in</strong>em<br />

Fragenden es erklären, weiß ich es nicht«.<br />

Dieses Defizit wird sicherlich von der Organisationsund<br />

auch der Kulturwissenschaft <strong>in</strong> den nächsten Jahren<br />

zu tilgen se<strong>in</strong>. Dabei bleibt aber offen, ob wir angesichts<br />

divergierender Ansätze, auf die wir später noch e<strong>in</strong>mal<br />

zurückkommen, dann die Def<strong>in</strong>ition erhalten werden.<br />

E<strong>in</strong>e treffende Charakteristik des Wesens von<br />

Organisationskultur liefert der St. Gallener Betriebswirtschafts-Professor<br />

Bleicher. Er versteht unter Unternehmenskultur<br />

»das kognitiv entwickelte Wissen und die Fähigkeiten<br />

e<strong>in</strong>er Unternehmung sowie die affektiv<br />

geprägten E<strong>in</strong>stellungen ihrer Mitarbeiter . . . <strong>in</strong><br />

196 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


ihrer Formung von Perzeption (Wahrnehmungen)<br />

und Präferenzen (Vor-lieben) gegenüber Ereignissen<br />

und <strong>Entwicklung</strong>en . . .«.<br />

Organisationskultur ist demnach die Gesamtheit der <strong>in</strong><br />

der Unternehmung gewachsenen Denk- und Verhaltensmuster<br />

sowie der <strong>in</strong> ihr geltenden Werte und Normen.<br />

Gehen wir mit Hegel davon aus, daß das Wesen sche<strong>in</strong>t<br />

und die Ersche<strong>in</strong>ung west, so kann sich Organisationskultur<br />

jedoch begrifflich nicht auf die handlungsbestimmenden<br />

Orientierungsmuster beschränken, sondern muß<br />

ihre symbolischen und d<strong>in</strong>glichen Manifestationen, ihre<br />

Vermittlungsmechanismen und Ausdrucksformen ebenso<br />

berücksichtigen.<br />

Die Komplexität der Organisationskultur läßt sich am<br />

besten über das von Sche<strong>in</strong>, dem Vordenker unternehmenskultureller<br />

Theoriebildung, entwickelte Schichtenmodell<br />

erschließen. Dieses Schichtenmodell bildet die<br />

e<strong>in</strong>zelnen Kulturebenen <strong>in</strong> ihrem <strong>in</strong>neren Zusammenhang<br />

ab. Vorweggeschickt sei an dieser Stelle bereits, daß sich<br />

die eigene, unverwechselbare kulturelle Identität e<strong>in</strong>er<br />

Organisation nach <strong>in</strong>nen und außen nur aus der Gesamtheit<br />

und dem Zusammenspiel ihrer e<strong>in</strong>zelnen Kulturebenen<br />

und -elemente ergibt.<br />

Die eigentliche Basis der Organisationskultur bildet das<br />

sogenannte Weltbild der Mitarbeiter. Dabei handelt es sich<br />

um meist unbewußte, als selbstverständlich gelebte<br />

Orientierungs- und Vorstellungsmuster, so z. B. über<br />

dieNatur des menschlichen Handelns, über das Verhältnis<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

zur Wahrheit oder über die sozialen Beziehungen <strong>in</strong><br />

Organisationen. Zusammen mit den darüberliegenden<br />

Wertvorstellungen bilden sie Prädispositionen der<br />

Wahrnehmung und damit auch Interpretationsmaßstäbe<br />

für fremdes und eigenes Handeln. »Weltbild« und<br />

Wertvorstellungen erfahren ihre handlungsorientierende<br />

Konkretisierung <strong>in</strong> Verhaltensweisen. Über sie (z. B. <strong>in</strong><br />

Gestalt von Maximen, ungeschriebenen<br />

Verhaltensrichtl<strong>in</strong>ien, Verboten u. ä.) erfolgt die eigentliche,<br />

implizite Verhaltenssteuerung der Mitarbeiter. Allen<br />

drei Ebenen ist geme<strong>in</strong>sam, daß sie gar nicht oder nur<br />

begrenzt wahrnehmbar s<strong>in</strong>d. Explizit def<strong>in</strong>iert f<strong>in</strong>den wir<br />

die Ausprägungen der Organisationskultur auf diesen drei<br />

Ebenen nur <strong>in</strong> Unternehmensphilosophien oder <strong>in</strong> sogenannten<br />

Führungsgrundsätzen, wie wir sie<br />

z. B. von BMW kennen. Unmittelbar überprüfbar im S<strong>in</strong>ne<br />

e<strong>in</strong>es Corporate Design s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong> Führungsgrundsätzen<br />

festgeschriebenen Orientierungsmuster nur auf der Ebene<br />

der Artefakte. Hierbei handelt es sich um durch Menschenhand<br />

erzeugte materielle, greif- und beobachtbare<br />

Objekte, so z .B. Technik, die Aufmachung von Dokumenten,<br />

Architektur, die Gestaltung von Werk- und Büroräumen<br />

oder, wie <strong>in</strong> Ihrem Falle, die gestaltete Landschaft<br />

als Ergebnis Ihrer Arbeit. Artefakte s<strong>in</strong>d der eigentliche<br />

d<strong>in</strong>gliche Ausdruck der ver<strong>in</strong>nerlichten Weltbilder, Wertvorstellungen<br />

und Verhaltensweisen.<br />

Betrachten Sie die e<strong>in</strong>zelnen Ebenen <strong>in</strong> ihrem Zusammenhang,<br />

so wird deutlich, daß mit zunehmender Transparenz<br />

die Komplexität der Phänomene abnimmt,<br />

während gleichzeitig die Gestaltungsmöglichkeiten von<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

197


der Ebene des Weltbildes über die der Wertvorstellungen<br />

und der Verhaltensweisen bis zur Ebene der Artefakte<br />

zunehmen.<br />

Die Substanz der Kultur e<strong>in</strong>es Unternehmens läßt sich<br />

jedoch nur über den umgekehrten Weg erschließen, durch<br />

die Interpretation dessen, was an der für Externe sichtbaren<br />

Oberfläche bewußt oder unbewußt vermittelt wird.<br />

Auch <strong>in</strong> diesem Zusammenhang sei e<strong>in</strong> Beispiel aus<br />

dem Siemens-Konzern gestattet. Im Rahmen e<strong>in</strong>er Neuausrichtung<br />

der Kommunikationspolitik wurde das<br />

Bereichsmarket<strong>in</strong>g der Siemens-Unternehmen mit zwei<br />

gleichberechtigten Zielstellungen konfrontiert: Externe<br />

Image-Untersuchungen hatten ergeben, daß die Kunden<br />

Siemens zwar als marktstark und technisch kompetent<br />

e<strong>in</strong>schätzen, der Konzern aber gleichzeitig als unübersichtlicher<br />

Industriegigant wahrgenommen wird. Daraus<br />

wurde das Ziel e<strong>in</strong>er stärkeren Profilierung der e<strong>in</strong>zelnen<br />

Bereiche am Markt abgeleitet. Der technische Nutzen für<br />

den e<strong>in</strong>zelnen und nicht die Technik für sich soll nunmehr<br />

im Vordergrund stehen, erstmals will man nicht nur wirtschaftliche<br />

und politische Entscheider, sondern auch<br />

generell die <strong>in</strong>teressierte Öffentlichkeit ansprechen und<br />

hierbei e<strong>in</strong>e emotionale, unkonventionelle und modernwitzige<br />

Sprache nutzen. Neben der Verb<strong>in</strong>dung von<br />

Kompetenz und Sympathie im Rahmen e<strong>in</strong>er stärker artikulierten<br />

Kunden- und Bürgernähe sollte als zweites Ziel<br />

die Zugehörigkeit der e<strong>in</strong>zelnen Bereiche zum Siemens-<br />

Konzern-Verbund prägnanter dokumentiert werden.<br />

Synergie-Effekte werden dabei ebenso anvisiert wie e<strong>in</strong>e<br />

größere Identitätsstiftung nach <strong>in</strong>nen.<br />

Die Komb<strong>in</strong>ation von Logo und Symbol der Sietec<br />

Consult<strong>in</strong>g verdeutlicht anschaulich die simultane Zielerreichung.<br />

So wird die Zugehörigkeit zum Siemens-<br />

Konzern-Verbund, die u. a. Macht, Stärke, Tradition und<br />

<strong>in</strong>ternationale Erfahrung aber auch Kompetenz und Innovation<br />

manifestieren soll, vor allem über zwei Momente<br />

transportiert. Zum e<strong>in</strong>en über die, den Firmennamen<br />

Sietec e<strong>in</strong>führende Silbe »Sie« und zum anderen über die,<br />

seit der jüngsten Veränderung, petrolfarbene Darstellung<br />

der Silbe »tec«. Diese Petrolfarbe f<strong>in</strong>den Sie im Firmennamen<br />

von Siemens oder im Logo der SNI als Balken zwischen<br />

Siemens und Nixdorf wieder. Die geforderte eigenständige<br />

Profilierung am Markt wird unterstützt durch<br />

das Symbol der sechs Kugeln <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sich überlappenden<br />

Kreis. Die Form der Kugel, die Überschneidungen, die an<br />

e<strong>in</strong> stilisiertes Kugellager er<strong>in</strong>nern, sowie die Verwendung<br />

von Spektralfarben stehen zum e<strong>in</strong>en für Globalisierung,<br />

Ganzheitlichkeit und Integration und zum<br />

anderen für Kundenorientierung und Kundennutzen.<br />

Wie an diesem Beispiel zu erkennen, werden Artefakte<br />

nicht nur durch die ver<strong>in</strong>nerlichten Weltbilder, Wertvorstellungen<br />

und Verhaltensweisen geprägt, sondern spiegeln<br />

diese auch wider. Durch ihre primär nach außen<br />

gerichtete Orientierung und Wirkung gestatten sie somit<br />

Rückschlüsse auf die Kultur e<strong>in</strong>er Organisation. Die hierbei<br />

vorhandenen Interpretationsspielräume schließen allerd<strong>in</strong>gs<br />

die Gefahr e<strong>in</strong>er gewissen Fehl<strong>in</strong>terpretation mit<br />

e<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong>en weiteren Zugang zur Kultur e<strong>in</strong>er Organisation<br />

ergibt sich aus der Analyse der Verhaltensweisen ihrer<br />

Mitglieder. Über Sagas, Geschichten und Mythen oder<br />

auch über Formen sozialer Interaktion, z. B. <strong>in</strong> Gestalt von<br />

Zeremonien und Riten, werden die spezifischen Verhaltensweisen<br />

von den Mitgliedern der Organisation gelernt.<br />

Wer kennt <strong>in</strong> diesem Zusammenhang nicht die Anekdote<br />

über die immer offene Tür zum Materiallager e<strong>in</strong>es führenden<br />

<strong>in</strong>ternationalen Elektronikunternehmens und über<br />

den Chef Bill H., der sie e<strong>in</strong>es Samstags verschlossen fand,<br />

sie persönlich aufsperrte und damit Kultur stiftete, <strong>in</strong>dem<br />

er signalisierte, bei uns kann jeder frei von formalen<br />

Grenzen und zeitlichen Beschränkungen — so wie es kreatives<br />

Arbeiten erfordert — für das geme<strong>in</strong>same Wohl des<br />

Unternehmens tätig se<strong>in</strong>. An diesem Beispiel wird die<br />

eigentliche Zielsetzung von Geschichten oder auch Riten<br />

sichtbar. Über das <strong>in</strong>direkte aber e<strong>in</strong>prägsame Vermitteln<br />

oder Weitervermitteln von dem, worauf es <strong>in</strong> der Unternehmung<br />

besonders ankommt, soll primär geme<strong>in</strong>sames<br />

Praktizieren e<strong>in</strong>heitlicher Normen erreicht werden. Integration<br />

durch Vorleben seitens des Managements ist hier<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>begriffen. Nicht der Pförtner, sondern der Chef fand<br />

die Tür zum Materiallager versperrt, und er entdeckte<br />

dies nicht irgendwann <strong>in</strong> der Arbeitswoche sondern am<br />

Samstag. Sche<strong>in</strong>bar die Geschichte e<strong>in</strong>er Kle<strong>in</strong>igkeit, mit<br />

ihrem enormen symbolischen Gehalt gibt sie jedoch prägnante<br />

Verhaltensorientierungen aus. Wer die so vermittelten<br />

Orientierungen kennt, sie akzeptiert und praktiziert,<br />

der signalisiert, daß er dazu gehört. Verhaltensweisen<br />

kommen somit <strong>in</strong> der Unternehmensführung Indikatorfunktion<br />

über die Integration und die potentielle Rolle<br />

des Mitarbeiters <strong>in</strong> der Organisation zu.<br />

Die Verhaltensweisen, die ihren Niederschlag <strong>in</strong> den<br />

Artefakten f<strong>in</strong>den, stellen die konkrete Ausprägung der<br />

ihnen zugrunde liegenden Wertvorstellungen dar. Diese<br />

charakterisieren mentale Dispositionen der Mitarbeiter<br />

gegenüber konkreten Objekten, Personen bzw. Leistungsanforderungen.<br />

Die aus der Privatwirtschaft sicherlich<br />

bekanntesten Kategorien erfolgreicher Wertvorstellungen<br />

s<strong>in</strong>d die Kundenorientierung, die Mitarbeiterorientierung,<br />

die Innovationsorientierung sowie die Produktivitätsorientierung.<br />

E<strong>in</strong>stellungen selbst basieren immer auf<br />

der Existenz und Konsistenz ihrer drei Komponenten,<br />

der kognitiven (Gedanken, Wissen, bewußte Wahrnehmungen),<br />

der affektiven (Gefühle, Haß, Zuneigung, Ärger)<br />

und der Handlungs-Komponente (ausgelöste Anreizwirkung<br />

auf das Handeln). Die jeweils konkrete Ausprägung<br />

der mentalen Disposition, die sich z. B. <strong>in</strong> Wertschätzung,<br />

E<strong>in</strong>satzbereitschaft, Kompromißfähigkeit, Partizipation,<br />

Kooperation und Vertrauen äußern kann, steht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

sehr engen Abhängigkeit von der persönlichen Wahrnehmung<br />

der zu erfüllenden Aufgabe sowie des selbst erzeugten<br />

Produktes. Das betrifft, bezogen auf das Produkt,<br />

u. a. Fragen nach se<strong>in</strong>em gesellschaftlichen Nutzen, nach<br />

198 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


dem Ansehen und der Akzeptanz <strong>in</strong> der Öffentlichkeit,<br />

nach se<strong>in</strong>er Leistungsfähigkeit und Qualität sowie nach<br />

den Zukunftschancen. H<strong>in</strong>sichtlich der Aufgabe kann die<br />

konkrete E<strong>in</strong>stellung durch die Fragen nach dem eigenen<br />

Entscheidungs- und Verantwortungsspielraum, nach dem<br />

Grad der Zielerreichung und der Entlohnung oder auch<br />

danach bee<strong>in</strong>flußt werden, <strong>in</strong>wieweit mit ihr e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle<br />

Bedürfnisbefriedigung zu erreichen ist. Entsprechend<br />

der unterschiedlichen Beantwortung dieser Fragen<br />

ergeben sich unterschiedliche Ausrichtungen der Wertvorstellungen,<br />

die die Grundlage der eigentlichen organisationsspezifischen<br />

Kulturprofile bilden. Diese Besonderheiten<br />

der Kultur e<strong>in</strong>er Organisation liegen <strong>in</strong> der Regel im Verborgenen<br />

und können, wie das Beispiel e<strong>in</strong>er von uns<br />

durchgeführten Untersuchung der Dienstleistereignung<br />

im Fremdenverkehr <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern zeigt,<br />

durch den Vergleich mit andersartigen Kulturen oder wie<br />

<strong>in</strong> diesem Falle mit andersartigen Wahrnehmungen verdeutlicht<br />

werden.<br />

Basis aller bisher genannten Kulturebenen ist das<br />

»Weltbild«. Es besteht aus e<strong>in</strong>zelnen Grundwerten, die<br />

zusammengenommen e<strong>in</strong> ganzheitliches S<strong>in</strong>nbild der<br />

Organisation formen. Die Grundwerte selbst tragen<br />

abstrakten Charakter, verfügen jedoch über e<strong>in</strong>e faktische<br />

Wirkung. Sie s<strong>in</strong>d gesellschaftlich vorgeprägt, z. B. durch<br />

landesspezifische Traditionen (Schuhplatteln, Fensterln),<br />

durch Geschichte, Geographie und Religion. Aber auch<br />

und gerade das Bildungssystem bee<strong>in</strong>flußt die Verhaltensweisen,<br />

Wahrnehmungsmuster, Werte und Normen schon<br />

vor dem E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Organisation. Basierend auf oft<br />

langjährige, u. U. Jahrhunderte umfassende Erfahrungs-<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

prozesse werden Grundwerte wesentlich durch die Grundthemen<br />

menschlicher Existenzbewältigung bestimmt.<br />

Dazu zählt, um nur e<strong>in</strong> Beispiel zu nennen, u. a. die Sicht<br />

auf die Organisationsumwelt. Wird die Umwelt als<br />

bezw<strong>in</strong>gbar, herausfordernd, bedrohlich oder als übermächtig<br />

empfunden? Von der Beantwortung dieser<br />

Frage hängt wesentlich ab, welche kulturell machbare<br />

Strategie e<strong>in</strong>e Unternehmung wählt oder welche Schritte<br />

der Kulturentwicklung im Interesse der Realisierung<br />

der strategischen Zielsetzungen unternommen werden<br />

müssen.<br />

S<strong>in</strong>d alle die Kultur e<strong>in</strong>er Organisation kennzeichnenden<br />

Merkmale auf dem aufgezeigten Wege offengelegt, so<br />

offenbaren sich deren spezifischen, unverwechselbaren,<br />

<strong>in</strong>dividuellen Züge. Individuelle Charakteristika lassen sich<br />

nach verschiedenen Rastern wieder verdichten, wodurch<br />

sich Typen von anzutreffenden Kulturen ergeben. Die<br />

wohl bekanntesten s<strong>in</strong>d die von Kets de Vries und Miller,<br />

bei denen die Charakteristika der Kultur, ihr Leitmotiv und<br />

die <strong>in</strong> ihr angelegten Gefahren zur Typologisierung herangezogen<br />

wurden. E<strong>in</strong>e der von ihnen aufgezeigten<br />

Typen ist die depressive Kultur. Sie ist z. B. geprägt von<br />

pessimistischen Prognosen, von e<strong>in</strong>er Haltung des Ausgeliefertse<strong>in</strong>s<br />

an das Schicksal sowie des Wartens auf<br />

Hilfe von außen. Ihr Leitmotiv lautet: Ich kann am Lauf<br />

der D<strong>in</strong>ge ohneh<strong>in</strong> nichts ändern, dazu wäre ich auch<br />

nicht kompetent genug. Die Gefahren dieser Kultur s<strong>in</strong>d<br />

offensichtlich: Apathie, ger<strong>in</strong>ge Motivation, hohe Absentismusraten,<br />

wenig Entschlußkraft und e<strong>in</strong>e freudlose<br />

Stimmung, die sich bis <strong>in</strong> das Privatleben der Mitarbeiter<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>ziehen kann.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

199


Der Vorteil derartiger Typenbildungen liegt zweifellos <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er für die Unternehmensführung hilfreichen Schematisierung,<br />

die Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen<br />

ermöglicht. Um sich nicht falschen Rückschlüssen<br />

auszuliefern muß jedoch gleichzeitig kritisch angemerkt<br />

werden, daß Typologien ihrem Charakter nach immer<br />

Hilfsmittel der Interpretation s<strong>in</strong>d und somit oft mit<br />

erheblichen Reduzierungen und Vere<strong>in</strong>fachungen verbunden<br />

s<strong>in</strong>d. Ziel der Organisationskulturentwicklung ist aber<br />

gerade die erforderliche Unverwechselbarkeit der Kultur<br />

(s. Abb. S. 199).<br />

Welche Funktionen hat Organisationskultur?<br />

Wie schon zu Beg<strong>in</strong>n erwähnt, ist die Aufmerksamkeit,<br />

die die Organisationskultur neuerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der Unternehmensführung<br />

erfährt vor allem darauf zurückzuführen,<br />

daß sie als Instrument für die Lösung komplexer Probleme<br />

geeignet sche<strong>in</strong>t. In diesem Zusammenhang ist es notwendig,<br />

zum<strong>in</strong>dest schematisch auf die von ihr zu erfüllenden<br />

Funktionen e<strong>in</strong>zugehen.<br />

Kultur kann vor allem <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die Stabilität, die<br />

Identität und die Anpassung des Unternehmens an sich<br />

verändernde Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>en wesentlichen Beitrag<br />

leisten. Über den sie kennzeichnenden Basiskonsens der<br />

Mitglieder der Organisation h<strong>in</strong>sichtlich von Grundauffassungen<br />

sichert die Organisationskultur auch <strong>in</strong> Konfliktsituationen<br />

das Herstellen von E<strong>in</strong>vernehmen und<br />

bildet damit e<strong>in</strong>e wesentliche Voraussetzung für die<br />

Stabilität der Organisation selbst. Die Koord<strong>in</strong>ationsfunktion<br />

der Kultur kommt vor allem durch ihre entlastende<br />

Wirkung von fallweisen Handlungsanleitungen<br />

durch Verhaltensstandards zum tragen. Organisationskultur<br />

ist <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne auch Substitut für strukturelle<br />

und personelle Führung. Mit der Motivationsfunktion<br />

verb<strong>in</strong>det sich der s<strong>in</strong>nstiftende Charakter der Organisationskultur,<br />

der für die Mitarbeiter motivationsfördernd<br />

nach <strong>in</strong>nen und handlungslegitimierend im Außenverhältnis<br />

wirkt. Schreyögg weist <strong>in</strong> diesem Kontext auf den<br />

oft vernachlässigten Zusammenhang von Handlungssicherheit<br />

und Komplexitätsreduktion h<strong>in</strong>. So brauche der<br />

Mitarbeiter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Welt voller Unsicherheit und<br />

Komplexität Orientierungshilfen und Reaktionsmuster, die<br />

ihm die Möglichkeit e<strong>in</strong>er überschaubaren und zu bewältigenden<br />

Interaktion mit se<strong>in</strong>er Umwelt geben. Ihre<br />

Identifikationsfunktion erfüllt die Organisationskultur<br />

durch das Vermitteln e<strong>in</strong>es Zugehörigkeits- und damit<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsgefühls. Ist dieses positiv ausgeprägt, so ist<br />

e<strong>in</strong>e Stärkung des Selbstbewußtse<strong>in</strong>s ihr Ergebnis. Durch<br />

die Veränderung der Organisationskultur <strong>in</strong> Reaktion auf<br />

die permanenten Austauschprozesse im externen und<br />

<strong>in</strong>ternen Umfeld leistet sie nicht zuletzt e<strong>in</strong>en Beitrag zur<br />

Flexibilität der Organisation.<br />

Fassen wir die wesentlichen Aussagen (<strong>in</strong> Anlehnung<br />

an Schreyögg) zusammen.<br />

Organisationskultur ist e<strong>in</strong> im wesentlichen implizites<br />

Phänomen.<br />

• Organisationskulturen s<strong>in</strong>d geme<strong>in</strong>sam geteilte Überzeugungen,<br />

die die konstituierende Grundlage des<br />

Selbstverständnisses und der Eigendef<strong>in</strong>ition der<br />

Organisation bilden.<br />

• Als »Me<strong>in</strong>ungs-, Norm- und Wertgefüge« wird Organisationskultur<br />

von ihren Trägern, den Mitarbeiter der<br />

jeweiligen Organisation, <strong>in</strong> der Regel als selbstverständlich<br />

gelebt und nicht h<strong>in</strong>terfragt.<br />

• Organisationskultur bezieht sich auf geme<strong>in</strong>same<br />

Orientierungen, Werte usw. Als kollektiv angenommene<br />

Verhaltens- und Wertorientierung prägt sie das<br />

Handeln des e<strong>in</strong>zelnen Mitarbeiters.<br />

• Die Organisationskultur bildet durch ihren »verb<strong>in</strong>dlichen«<br />

Charakter die Basis für die E<strong>in</strong>heitlichkeit und<br />

Kohärenz des Verhaltens der Mitarbeiter der<br />

Organisation.<br />

• Die Organisationskultur ist das Ergebnis e<strong>in</strong>es permanenten<br />

Austauschprozesses mit der Umwelt <strong>in</strong>nerhalb<br />

und außerhalb der Organisation. In se<strong>in</strong>em Verlauf<br />

enstehen über e<strong>in</strong> sukzessives Profilieren bevorzugter<br />

Wege des Denkens und des Problemlösens Orientierungsmuster,<br />

die letztlich handlungsweisenden<br />

Charakter erhalten.<br />

• Als Abbild der »konzeptionellen Welt« der Mitglieder<br />

der Organisation vermittelt Organisationskultur S<strong>in</strong>n<br />

und Orientierung, <strong>in</strong>dem sie Muster der Selektion und<br />

der Interpretation liefert.<br />

• Organisationskultur wird nicht bewußt gelernt, sondern<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Sozialisationsprozeß vermittelt.<br />

Wie Sie spätestens aus der Erfahrung e<strong>in</strong>es größeren<br />

bayerischen Automobilproduzenten wissen, s<strong>in</strong>d Unternehmenskulturen<br />

trotz ihrer <strong>in</strong> der Regel stark beharrenden<br />

Züge deutlichen Wandlungsprozessen unterworfen.<br />

Hiervon ausgehend stellt sich die Frage, ob und <strong>in</strong>wieweit<br />

die Organisationskultur auch Gegenstand e<strong>in</strong>es geplanten<br />

Wandels se<strong>in</strong> kann. Im Folgenden gilt es, sich an diese vor<br />

allem <strong>in</strong> Extremen diskutierte Frage heranzuarbeiten. Das<br />

hierbei angewendete Muster lautet:<br />

Darf ich? — Kann ich? — Soll ich?<br />

Ähnlich wie wir es bereits aus anderen Bereichen der<br />

Organisationswissenschaften kennen, zeigen sich auch bei<br />

der Konzeptualisierung der Organisationskultur zwei diametral<br />

gegenüberstehende Ansätze. Lassen wir alle<br />

gegenseitigen Unterstellungen beiseite, so besteht der<br />

Extrakt beider Positionen <strong>in</strong> folgendem:<br />

• Die »<strong>in</strong>strumentalistische« Sichtweise stellt (nach<br />

Sandner) die Organisationskultur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Reihe mit vielen<br />

anderen Elementen, die e<strong>in</strong>e Organisation auszeichnen.<br />

Als Teil e<strong>in</strong>es übergeordneten Ganzen versteht<br />

sie Kultur als etwas, was e<strong>in</strong>e Organisation hat.<br />

Unternehmen produzieren demnach nicht nur Güter<br />

und Leistungen sondern ebenso Kultur. In der Überzeugung<br />

der Bedeutung der Kultur und ihrer verhaltenssteuernden<br />

Wirkung als erfolgsentscheidendem<br />

Faktor fordern sie ihren gezielten E<strong>in</strong>satz und ihre<br />

200 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


planmäßige Ausrichtung an den unternehmensrelevanten<br />

Zielstellungen. Analog der Konzipierung e<strong>in</strong>es verfahrenstechnischen<br />

Ablaufes sollen bei der <strong>Entwicklung</strong><br />

von Kultur jene kulturellen Faktoren identifiziert<br />

bzw. bestimmt und e<strong>in</strong>gesetzt werden, die e<strong>in</strong>e<br />

Anpassung der IST-Kultur an die anvisierte SOLL-Kultur<br />

ermöglichen.<br />

• In Abgrenzung davon betrachtet die »analytischdeskriptive«<br />

Sichtweise, deren Vertreter <strong>in</strong> der Literatur<br />

mit Charakterisierungen wie Kulturalisten, Abst<strong>in</strong>enzler,<br />

Chronisten oder Zweifler belegt werden, Kultur als<br />

etwas, was vor und über den konkreten Aufgaben liegt,<br />

die e<strong>in</strong>e Organisation zu erfüllen hat. Organisation sei<br />

selbst Kultur, die Organisationskultur bezeichne e<strong>in</strong>e<br />

Art S<strong>in</strong>ngeme<strong>in</strong>schaft. Da Kultur die ureigensten Bedürfnisse<br />

des Menschen zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen würde,<br />

müsse sie sich jeglichem Zugriff <strong>in</strong>genieurmäßiger<br />

Gestaltungsrationalität oder gar e<strong>in</strong>er Unterordnung<br />

unter wirtschaftliche Zielstellungen entziehen.<br />

Wie immer liegt der Ste<strong>in</strong> des Weisen offensichtlich <strong>in</strong><br />

der Mitte. Dem von den Kulturalisten geforderten »Hände<br />

weg« ist entgegenzuhalten, daß Organisationskultur stets<br />

das Ergebnis menschlicher Aktion ist. Man kann sich als<br />

Betrachter der Tatsache kultureller <strong>Entwicklung</strong> von<br />

Organisationen entziehen, ungeachtet dessen wird derartige<br />

<strong>Entwicklung</strong> aber weiterh<strong>in</strong> stattf<strong>in</strong>den. Problematisch<br />

ist die Position der »Zweifler« auch, wenn unsere<br />

E<strong>in</strong>gangsprämisse vom Wertewandel <strong>in</strong> der Gesellschaft<br />

stimmt. E<strong>in</strong> Reagieren der Organisation, die ja mit der im<br />

Umbruch bef<strong>in</strong>dlichen Umwelt im Austauschverhältnis<br />

steht, würde durch e<strong>in</strong> Festschreiben des kulturellen<br />

status quo unterbunden werden. Auch der Ansatz e<strong>in</strong>er<br />

planerischen Neugestaltung von Organisationskultur<br />

bedarf e<strong>in</strong>er kritischen H<strong>in</strong>terfragung. Alle bisherigen<br />

Erfahrungen haben gezeigt, daß e<strong>in</strong> diesbezüglicher <strong>Entwicklung</strong>sprozeß<br />

nur bed<strong>in</strong>gt steuerbar ist. Gezielte Anstöße<br />

zeitigen häufig völlig ungewollte Wirkungen und<br />

Ergebnisse, ignorieren sie doch <strong>in</strong> der Regel, daß Tiefenerkenntnisse<br />

nicht beliebig auflösbar s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong> Zerstören<br />

des sicherheitsspendenden Orientierungs- und Handlungsrahmens<br />

Gegenwehr erzeugt und letztlich Kulturwandel<br />

immer <strong>in</strong> die Verteilungsverhältnisse immaterieller<br />

und materieller Ressourcen e<strong>in</strong>greift und damit zwangsläufig<br />

Machtkämpfe verursacht. Selbst wenn man dies<br />

alles berücksichtigt, bleibt zu fragen, ob es nicht besser<br />

ist, den Mitarbeiter weniger als Objekt denn als Subjekt<br />

kultureller Veränderungen zu nehmen und auf den willentlichen<br />

Wandel zu setzen. In e<strong>in</strong>em solchen kulturellen<br />

Veränderungsprozeß könnte das Management e<strong>in</strong>e kulturgestaltende<br />

Funktion vor allem <strong>in</strong> Bezug auf das visionäre<br />

Konzipieren der angestrebten Kultur sowie h<strong>in</strong>sichtlich<br />

e<strong>in</strong>er korrigierenden Moderation des zu vollziehenden<br />

Übergangs erfüllen.<br />

Mit dem Begriff Kulturentwicklung wird <strong>in</strong> der Regel<br />

der Aufbau oder die Förderung von »starken« Kulturen<br />

verbunden. Als stark gelten dabei Kulturen, die klare<br />

Orientierungsmuster und Werthaltungen vermitteln, sich<br />

durch e<strong>in</strong>en hohen Verbreitungsgrad <strong>in</strong> der Organisation<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

auszeichnen und durch die Mitarbeiter <strong>in</strong>ternalisiert wurden.<br />

Nach dem Motto »Je stärker, desto besser« knüpft<br />

sich an e<strong>in</strong>en hohen Grad der Erfüllung dieser Kriterien<br />

immer die Hoffnung bedeutsamer Wirkungen z. B. gegenüber<br />

der Konkurrenz, mit der man im Wettbewerb steht.<br />

Der dabei unterstellte unmittelbare Zusammenhang<br />

zwischen Stärke von Organisationskultur und Leistungsfähigkeit<br />

e<strong>in</strong>er Organisation ist so nicht gegeben. Positiven<br />

Effekten, z. B. <strong>in</strong> Gestalt e<strong>in</strong>er wirkungsvolleren Kommunikation,<br />

e<strong>in</strong>er schnelleren Entscheidungsf<strong>in</strong>dung und<br />

e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>geren Kontrollaufwand, steht e<strong>in</strong>e Reihe<br />

negativer Effekte gegenüber. Bereits bei der Betrachtung<br />

des Zusammenhangs von Strategie, Kultur und Erfolg<br />

wurde auf den potentiell blockierenden Charakter von<br />

Organisationskulturen verwiesen. Daneben könnten aber<br />

auch Tendenzen zur Abschottung gegen kritische Umwelte<strong>in</strong>flüsse<br />

und die Fixierung auf traditionelle Erfolgsmuster<br />

genannt werden. Ist die Kategorie der »Stärke«<br />

e<strong>in</strong>er Kultur unter organisationstheoretischen Gesichtspunkten<br />

noch von Interesse, so relativiert sich ihre Bedeutung<br />

als Richtwert <strong>in</strong> der Praxis merklich. Beispiele aus<br />

unserer Beratertätigkeit belegen dieses. So sahen wir uns<br />

im Rahmen e<strong>in</strong>es Projektes <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em öffentlichen, zur<br />

Privatisierung anstehenden Unternehmen mit e<strong>in</strong>er ausgesprochen<br />

starken Organisationskultur konfrontiert. Die<br />

mit den Jahren der Existenz des Unternehmens allgeme<strong>in</strong><br />

akzeptierten und tief verwurzelten Orientierungsmuster,<br />

Wertvorstellungen und Verhaltensweise ließen die E<strong>in</strong>leitung<br />

e<strong>in</strong>es reflexiven Prozesses, d. h. der Lösung des<br />

Unternehmens aus se<strong>in</strong>er Verklammerung <strong>in</strong> diese starke<br />

Kultur, zur Voraussetzung für das Anpassen an die neuen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen der Privatwirtschaft werden. In e<strong>in</strong>er Anstalt<br />

des öffentlichen Rechts <strong>in</strong> den neuen Bundesländern<br />

führten unsere Untersuchungen dagegen zu der Erkenntnis,<br />

daß es im Interesse des Aufbaus perspektivisch relevanter<br />

Stärken notwendig sei, e<strong>in</strong>er »Profilierung« der als<br />

schwach bewerteten Organisationskultur verstärkte Aufmerksamkeit<br />

zu widmen. Wieder ganz anders sieht die<br />

Situation bei der SNI aus, wo sich die Überlegungen um<br />

das Kulturprofil des Unternehmens im Spannungsverhältnis<br />

von Harmonisierung und Offenheit für Veränderungen<br />

bewegen. Diente die altbekannte Losung »Synergie at<br />

work« lange Zeit als Symbol e<strong>in</strong>es produktiven Zusammenwachsens<br />

von Siemens und Nixdorf, so hat sie heute<br />

e<strong>in</strong>e neue Bedeutung erlangt. Überwiegend nur noch im<br />

Ausland gebraucht, soll sie dort signalisieren, Siemens<br />

Nixdorf schöpft <strong>in</strong> Zeiten der Globalisierung der Märkte<br />

aus dem Zusammengehen verschiedener Kulturen.<br />

H<strong>in</strong>tergrund dieser Entscheidung: die Überlegung, ist es<br />

für e<strong>in</strong> <strong>in</strong> 45 Ländern agierendes Unternehmen, dessen<br />

Personal zu e<strong>in</strong>em Viertel aus den unterschiedlichsten<br />

Kulturkreisen kommt, s<strong>in</strong>nvoll und zweckmäßig, sich e<strong>in</strong>e<br />

starke, e<strong>in</strong>heitliche Kultur zu geben. Die Antwort lautete:<br />

nicht s<strong>in</strong>nvoll, nicht zweckmäßig. Alle drei Beispiele unterstreichen<br />

die bereits getroffene Aussage: Entscheidend<br />

für die Bewertung der Kultur ist der Grad der Harmonie<br />

mit den unternehmenspolitischen Notwendigkeiten.<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

201


Veränderungen von Organisationskulturen können<br />

nicht per Anordnung durchgesetzt werden. Alle bisherigen<br />

»gestalterischen« Erfahrungen besagen, daß es hierzu<br />

systematischer und konsequenter, aber zugleich vorsichtiger<br />

Veränderungen von Rahmenbed<strong>in</strong>gungen im betreffende<br />

Unternehmen bedarf. Idealtypischer Weise könnte<br />

e<strong>in</strong> solcher Prozeß (nach Schreyögg) folgende Phasen<br />

umfassen:<br />

1. Diagnosephase: <strong>in</strong> ihr erfolgt das Erfassen der kulturellen<br />

Ausdrucksformen sowie das Erschließen der<br />

zugrundeliegenden Basis-Orientierungen;<br />

2. Beurteilungsphase: <strong>in</strong> ihr werden die Wirkungen der<br />

IST-Kultur abgeschätzt und deren Veränderungsbedürftigkeit<br />

ermittelt;<br />

3. Veränderungsphase: <strong>in</strong> ihr wird im Dialog mit den<br />

Betroffenen e<strong>in</strong>e anzuvisierende Kultur entworfen,<br />

werden die eigentlichen Interventionen e<strong>in</strong>geleitet und<br />

die Neuorientierung verifiziert und bestärkt<br />

In e<strong>in</strong>em von uns moderierend begleiteten großen ostdeutschen<br />

Studentenwerk erwies sich im Gefolge e<strong>in</strong>es<br />

umfangreichen Studiums der dort angetroffenen konkreten<br />

Bed<strong>in</strong>gungen sowie zahlreicher Absprachen mit dessen<br />

Leitung folgendes Vorgehen als das geeignetste, den<br />

anvisierten Veränderungsprozeß zu gestalten. In e<strong>in</strong>em<br />

ersten Schritt wurde <strong>in</strong> Beratungen mit dem engsten<br />

Führungskreis des Studentenwerkes die Unternehmensstrategie<br />

und -politik h<strong>in</strong>terfragt und aus ihr e<strong>in</strong>e kulturelle<br />

Vision abgeleitet. Diese wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em erweiterten<br />

Leitungskreis präsentiert und darüber e<strong>in</strong>e Sensibilisierung<br />

der SOLL-Kultur-Multiplikatoren e<strong>in</strong>geleitet. In diesem<br />

Kreis wurde auf der Basis e<strong>in</strong>er kritischen Bestandsaufnahme<br />

zugleich e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitlicher Aktionsfokus def<strong>in</strong>iert.<br />

Dieser umfaßte sowohl die Schwerpunkte als auch die<br />

weitere Vorgehensweise. Auf der Grundlage e<strong>in</strong>er kulturkritischen<br />

Analyse des Personalbestandes erfolgte e<strong>in</strong>e<br />

Bestimmung der »positiv« e<strong>in</strong>gestellten »Inseln« sowie der<br />

eigentlichen kulturellen Schwachstellen. Sie <strong>dient</strong>en als<br />

Ausgangspunkt für im weiteren durchgeführte strukturelle<br />

Veränderungen (z. B. Abschaffung von Posten, die von<br />

»Verweigerern« besetzt waren) sowie von Neubesetzungen<br />

neuralgischer Stellen mit Persönlichkeiten, die geeignet<br />

waren, Multiplikatorenfunktionen (kulturelle Taktschläger)<br />

zu übernehmen. Parallel hierzu wurden Aktivitäten e<strong>in</strong>geleitet,<br />

die auf e<strong>in</strong>e Sensibilisierung der Mitarbeiter für die<br />

erforderlichen kulturellen Veränderungen abzielten. Die <strong>in</strong><br />

diesem Zusammenhang vorgenommene Kritik der im<br />

Studentenwerk bestehenden Kultur wurde durch die<br />

E<strong>in</strong>beziehung von Öffentlichkeit über umfangreichen<br />

Befragungen der Dienstleistungsnehmer (Studenten,<br />

Personal von Universitäten sowie Professoren) abgesichert.<br />

Ausgehend von der Erkenntnis, daß neue Werte<br />

nicht durchgesetzt werden können, wenn sie dem Verständnis<br />

der Mitarbeiter nicht zugeführt werden, wurden<br />

die »Ziel«-Werte <strong>in</strong> Führungsleitsätzen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gesonderten<br />

Papier zur Kundenorientierung, wie wir es von AVIS<br />

oder auch von Siemens Nixdorf kennen, sowie <strong>in</strong> jeder<br />

e<strong>in</strong>zelnen Stellenbeschreibung schriftlich fixiert und damit<br />

verb<strong>in</strong>dlich festgeschrieben. Ungeachtet der Tatsache, daß<br />

der Veränderungsprozeß der Organisationskultur des<br />

betreffenden Studentenwerkes noch lange nicht abgeschlossen<br />

ist, brachten jüngste, der Verifizierung des<br />

Fortschritts dienende begrenzte Testumfragen e<strong>in</strong>ige<br />

erfreuliche Ergebnisse. Man gestand den Mitarbeitern des<br />

Studentenwerkes e<strong>in</strong>en deutlich gestiegenen Willen zu<br />

mehr Kundenfreundlichkeit zu.<br />

202 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


Bisher erschienene Berichte<br />

1/1966 *<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung 1965, Flurbere<strong>in</strong>igung Schönberg II<br />

2/1967 *<br />

Landwirtschaftsberatung und Flurbere<strong>in</strong>igung, Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

1966, Luftbildmessung, We<strong>in</strong>bergbere<strong>in</strong>igung,<br />

Kontenverbund, Zusammenwirken der Planungsträger<br />

3/1968 *<br />

Arbeitsprogramm 1968 – 1975, Grundsatzterm<strong>in</strong>, Schutzpflanzungen,<br />

Naturschutz, Wirtschaftswegebau, Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

1967, EDV<br />

4/1969 *<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung 1968, Flurbere<strong>in</strong>igung Nördl<strong>in</strong>gen<br />

5/1969 *<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung und Landschaftspflege<br />

6/1970 *<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> der Hallertau, Flurbere<strong>in</strong>igung 1969<br />

7/1970 *<br />

Ausarbeitung e<strong>in</strong>es Flächennutzungsplanes<br />

8/1970 *<br />

FlD Würzburg im neuen Gewande, Sem<strong>in</strong>ar <strong>Stadt</strong>- und<br />

Dorferneuerung, selbstregistrierende Theodolite<br />

9/1971 *<br />

Landschaftspflege und Flurbere<strong>in</strong>igung an den Beispielen<br />

Gottsdorf, Großengsee, Gritschen, Hirschlach, Wiesenfelden,<br />

Ammerbach und Munn<strong>in</strong>gen<br />

10/1971 *<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung 1970, Flurbere<strong>in</strong>igung Mail<strong>in</strong>g,<br />

Menschen- und Betriebsführung, Neuorganisation des<br />

Staatsm<strong>in</strong>isteriums für Ernährung, Landwirtschaft und<br />

Forsten<br />

11/1971 *<br />

Die moderne Flurbere<strong>in</strong>igung, 10 Beispiele (Faltblätter)<br />

12/1972 *<br />

Prämierung von Flurbere<strong>in</strong>igungen 1971: Strullendorf,<br />

Krombach, Hirschlach, Michelsneukirchen<br />

13/1972 *<br />

Städtebauliche Maßnahmen im Dorf, Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

1971, Flurbere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> Verdichtungsgebieten,<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung im Vorfeld Nationalpark,<br />

Grundstücksdatenbank, Flurbere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-<br />

Westfalen, FlG-Kongress, Flurbere<strong>in</strong>igung Olang<br />

* vergriffen<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

14/1973 *<br />

<strong>Fachtagung</strong> 1972: Flurbere<strong>in</strong>igung, e<strong>in</strong>e gesellschaftspolitische<br />

Aufgabe<br />

15/1973 *<br />

Baulandumlegung durch die Flurbere<strong>in</strong>igungsbehörde<br />

16/1973 *<br />

Prämierung von Flurbere<strong>in</strong>igungen 1972: Schwe<strong>in</strong>furt-<br />

Süd, Gegenbach, Tagmersheim<br />

17/1974 *<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung im Vorfeld des Nationalparks Bayer. Wald,<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung, e<strong>in</strong>e gesellschaftspolitische Aufgabe<br />

unserer Zeit, Flurbere<strong>in</strong>igung 1972, Denkmalpflege,<br />

Almsanierung<br />

18/1974 *<br />

Wertermittlung, Landwirtschaftliche Beratung,<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung 1973, Nutzen-Kosten-Untersuchungen,<br />

Flurbere<strong>in</strong>igungsrecht, AVA-Jahrestagung, Er<strong>in</strong>nerungen<br />

an e<strong>in</strong> Arbeitsleben (Präs. a.D. Hermann)<br />

19/1974 *<br />

<strong>Fachtagung</strong> 1974: Flurbere<strong>in</strong>igung, Hilfe für ländliche<br />

Problemgebiete<br />

20/1975 *<br />

We<strong>in</strong>bergbere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> Bayern<br />

21/1975 *<br />

Automation <strong>in</strong> der bayerischen Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

22/1975 *<br />

Prämierung von Flurbere<strong>in</strong>igungen 1973/74: Obere<br />

Altmühl, Postmünster-Rottspeicher, Pfreimd,<br />

Wildenranna/Thurnreuth, Handzell<br />

23/1975 *<br />

Wegebau im Hochgebirge, Dorferneuerung, Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

1974, Flurbere<strong>in</strong>igungsverfahren nach<br />

§ 87 FlurbG, Verbände der Teilnehmergeme<strong>in</strong>schaften,<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> Spargel- und Hopfenanbaugebieten<br />

24/1976 *<br />

Bayer. Agrarpolitik und Naturschutz, Geschichte der<br />

bayer. Flurbere<strong>in</strong>igung, Kemptener Vere<strong>in</strong>ödungen,<br />

Landentwicklung <strong>in</strong> der Krise, Flurbere<strong>in</strong>igung 1975,<br />

Großmasch<strong>in</strong>en und Grundstücksgröße, Taschenrechner<br />

HP-65<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

205


25/1976 *<br />

Forschungsvorhaben Hesselberg – Kurzfassung 1975<br />

26/1977 *<br />

Prämierung von Flurbere<strong>in</strong>igungen 1975/76:<br />

Fraunberg-Thalheim, Hausen, Pent<strong>in</strong>g, Velburg<br />

27/1977 *<br />

Flurbere<strong>in</strong>igungsrecht 1976/77 für Bayern<br />

28/1977 *<br />

Naturschutz und Landschaftspflege, Flurbere<strong>in</strong>igungsrecht,<br />

Bundesnaturschutzgesetz, Bundesbaugesetz,<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung 1976, Verfahren nach § 87 FlurbG,<br />

Landesentwicklungsprogramm, Besiedlung und Neuordnung<br />

im Bayer. Wald, Dorferneuerung, Waldflurbere<strong>in</strong>igung,<br />

Agrarstrukturelle Vorplanung<br />

29/1977 *<br />

Kontaktstudium Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

30/1978 *<br />

Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Flurbere<strong>in</strong>igung, Flurbere<strong>in</strong>igung im<br />

Wandel, Flurbere<strong>in</strong>igung 1977, Agrarpolitik, Dorferneuerung<br />

»Unser Dorf soll schöner werden«, Denkmalpflege,<br />

Untersuchung zur Erhaltung der Kulturlandschaft<br />

31/1979 *<br />

<strong>Fachtagung</strong> 1978: Landentwicklung durch Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

32/1979 *<br />

Prämierung von Flurbere<strong>in</strong>igungen 1977/78:<br />

Hesselberg, Schwanberg, Bärnau<br />

33/1980<br />

Kontaktstudium Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

34/1980 *<br />

Dr.-Ing. E.h. für M<strong>in</strong>isterialdirektor<br />

Dr.-Ing. Wilhelm Abb<br />

35/1980 *<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung 1978, Landesflurbere<strong>in</strong>igungsverband<br />

Bayern, Flurbere<strong>in</strong>igungsverfahren aus Anlaß von Unternehmen,<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> Südtirol, Flurbere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong><br />

Mittelgebirgslagen, Nachbarrecht <strong>in</strong> der Dorferneuerung<br />

36/1980 *<br />

Unser Land erhalten und gestalten –<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> Bayern<br />

37/1981 *<br />

<strong>Fachtagung</strong> 1980: Flurbere<strong>in</strong>igung und Umweltgestaltung<br />

38/1981 *<br />

Prämierung von Flurbere<strong>in</strong>igungen 1979/80:<br />

Albertshofen, Heiligenstadt, Illertissen, S<strong>in</strong>delsdorf<br />

* vergriffen<br />

39/1981 *<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung und Geme<strong>in</strong>de, Flurbere<strong>in</strong>igung 1979,<br />

Flurbere<strong>in</strong>igungsstatistik, Landesverschönerung <strong>in</strong> Bayern,<br />

Denkmalpflege und Dorferneuerung, Flurnamenforschung<br />

40/1981<br />

Neue <strong>Entwicklung</strong>en <strong>in</strong> der Flurbere<strong>in</strong>igungstechnik<br />

41/1982<br />

Bayerischer Flurbere<strong>in</strong>igungsbericht 1979/80<br />

42/1982 *<br />

Gutachten Grundlagen zur Dorferneuerung – Kurzfassung<br />

43/1982 *<br />

Niederalteich – e<strong>in</strong> Beispiel verdeutlicht die Anliegen der<br />

umfassenden Dorferneuerung<br />

44/1982 *<br />

Leitfaden Dorferneuerung (LeitFDorfErn)<br />

45/1983 *<br />

Groborientierung und Landtechnische Daten –<br />

Entscheidungshilfen für die Dorferneuerungsplanung<br />

46/1983 *<br />

<strong>Fachtagung</strong> 1982: Flurbere<strong>in</strong>igung und Geme<strong>in</strong>de<br />

47/1983 *<br />

Prämierung von Flurbere<strong>in</strong>igungen 1981/82:<br />

Freystadt-Europakanal, Niederalteich-Hengersberg,<br />

Seßlach, Hahnbach-Süß<br />

48/1983 *<br />

Bayerischer Flurbere<strong>in</strong>igungsbericht 1981/82<br />

49/1983<br />

Abzug nach § 47 FlurbG<br />

50/1984 *<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> erosionsanfälligen Gebieten, Sozialgeographische<br />

Auswirkungen der Dorferneuerung, dörfliche<br />

Straßenraumplanung, Me<strong>in</strong>ung der Landbevölkerung<br />

über Flurbere<strong>in</strong>igung, Naturschutz <strong>in</strong> der Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

51/1984<br />

1550 – 1880 <strong>Ländliche</strong> Neuordnung durch Vere<strong>in</strong>ödung<br />

52/1984<br />

<strong>Fachtagung</strong> 1984: Flurbere<strong>in</strong>igung und Landwirtschaft<br />

53/1985<br />

Prämierung von Flurbere<strong>in</strong>igungen 1983/84:<br />

Hechl<strong>in</strong>gen, Ratzenhofen, Sommerhausen-Erlach,<br />

Hemmersheim<br />

54/1985<br />

Bayerischer Flurbere<strong>in</strong>igungsbericht 1983/84<br />

206 Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong>


55/1985<br />

Landesentwicklungsprogramm Bayern, Flurbere<strong>in</strong>igung,<br />

Naturschutz, Dorferneuerung, Geme<strong>in</strong>schaftliche Anlagen,<br />

Wegeunterhaltung, Wasserrückhaltung, Unternehmensflurbere<strong>in</strong>igung,<br />

Darlehenskonditionen, Flurbere<strong>in</strong>igungs<strong>in</strong>formationssystem,<br />

Geschichtliches zur Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

56/1986<br />

»Wie sie E<strong>in</strong>öd<strong>in</strong>en gemachet«<br />

Vere<strong>in</strong>ödung im Kemptener Raum – e<strong>in</strong> Beitrag zur<br />

Geschichte der ländlichen Neuordnung durch Flurbere<strong>in</strong>igung<br />

57/1986<br />

<strong>Fachtagung</strong> 1986 München<br />

»100 Jahre Flurbere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> Bayern«<br />

58/1987<br />

Prämierung von Flurbere<strong>in</strong>igungen 1985/86:<br />

Vorfeld Nationalpark-West, Bad W<strong>in</strong>dsheim,<br />

Unterschleißheim III, Wurz<br />

59/1987<br />

Bayerischer Flurbere<strong>in</strong>igungsbericht 1985/86<br />

60/1988 *<br />

Flurbere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> den ausgehenden 80er Jahren;<br />

Möglichkeiten und Grenzen der Flurbere<strong>in</strong>igung zum<br />

Aufbau e<strong>in</strong>es Biotopverbundsystems; Waldflurbere<strong>in</strong>igung;<br />

Dorfökologie; E<strong>in</strong>fluß der Hangneigung auf den<br />

Wert landwirtschaftlicher Grundstücke; Umweltschutz<br />

und Landschaftsgestaltung; Die Verfahrensarten des<br />

Flurbere<strong>in</strong>igungsgesetzes; Bürgerbeteiligung <strong>in</strong> der Dorferneuerung;<br />

Auswirkungen der Dorferneuerung auf die<br />

Ortsverbundenheit der Bewohner; Konzept für die Weiterentwicklung<br />

der Datenverarbeitung der Bayerischen<br />

Flurbere<strong>in</strong>igungsverwaltung<br />

61/1989<br />

Prämierung von Flurbere<strong>in</strong>igungen 1987/88:<br />

Obernzenn, Unternzenn–Oberaltenbernheim, Unteraltenbernheim,<br />

Schottenste<strong>in</strong>–Welsberg, Fre<strong>in</strong>hausen, Forstern<br />

62/1989<br />

<strong>Fachtagung</strong> 1988 Würzburg<br />

»Flurbere<strong>in</strong>igung – Landwirtschaft – Umwelt«<br />

63/1990<br />

Bayerischer Flurbere<strong>in</strong>igungsbericht 1987/88<br />

64/1990<br />

Ausstellung »Dorf und Landschaft«<br />

65/1990<br />

<strong>Fachtagung</strong> 1990 Passau<br />

»<strong>Ländliche</strong> Neuordnung – Dienst an Bürger und Heimat«<br />

* vergriffen<br />

Berichte zur <strong>Ländliche</strong>n <strong>Entwicklung</strong> 70/<strong>1994</strong><br />

66/1991<br />

Prämierung 1989/90:<br />

Absberg, Kammeltal-Süd, Illschwang, Nammer<strong>in</strong>g<br />

67/1991<br />

Leitl<strong>in</strong>ien und Perspektiven der Dorferneuerung <strong>in</strong> Bayern<br />

und Europa; Bilanz 10 Jahre Bayerisches Dorferneuerungsprogramm;<br />

Erster Europäischer Dorferneuerungspreis<br />

1990; Agrarpolitik und Perspektiven für den ländlichen<br />

Raum <strong>in</strong> den 90er Jahren; Bayerisches Programm<br />

<strong>Ländliche</strong> Neuordnung; Betriebswirtschaftliche Vorteile<br />

durch <strong>Ländliche</strong> Neuordnung; Kultur- und Erholungslandschaft<br />

nach der Flurbere<strong>in</strong>igung; Dissertationen:<br />

Modell zur Auswahl von Gestaltungsmaßnahmen <strong>in</strong> der<br />

Dorferneuerung; Computerunterstützte Neuverteilung;<br />

Landschaftsästhetik, Ökologie und Ökonomie <strong>in</strong> der<br />

<strong>Ländliche</strong>n Neuordnung<br />

68/1992<br />

<strong>Ländliche</strong> Neuordnung <strong>in</strong> Bayern 1989/90<br />

69/1993<br />

<strong>Fachtagung</strong> 1992 Bamberg<br />

»<strong>Ländliche</strong> Neuordnung im Zeichen der Nachbarschaft«<br />

Referate Arbeitskreis 2<br />

207

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