13.07.2015 Aufrufe

Politisch korrekte Sprache

Politisch korrekte Sprache

Politisch korrekte Sprache

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

http://www.tagesspiegel.de/kultur/politisch-<strong>korrekte</strong>-sprache-lexikalischekriegfuehrung/7660218.html<strong>Politisch</strong> <strong>korrekte</strong> <strong>Sprache</strong>Lexikalische Kriegführung21.01.2013 00:00 Uhrvon Anna SauerbreyWörter können Waffen sein. Deshalb wollen manche Wörter wie "Neger" aus denBüchern löschen - um Verletzungen zu vermeiden. Doch wer Wörter tilgt, kann nichtmehr über sie reden.Man könnte sich Buchstaben vorstellen wie Fliegenfänger. Man rollt das klebrige Band aus,hängt das Wort in Raum und Zeit, Bedeutungen verirren sich durch das Fenster und bleibendaran hängen. Der Thienemann-Verlag möchte in Otfried Preußlers „Die kleine Hexe“ dasWort Neger streichen, weil es nicht mehr „politisch korrekt“ ist. Als das Buch 1957 erschien,empfand Preußler das Wort offenbar nicht als anstößig. Heute nehmen wir es von der Deckeab, betrachten angewidert die angesammelten Bedeutungskadaver und möchten das Ganze amliebsten in den Müll werfen. Wir möchten mit den Buchstaben die Bedeutungen und mit denBedeutungen die Phänomene entsorgen: den Rassismus, die Diskriminierung, die Gewalt.Die Wirkungskraft von Wörtern ist gewaltig und vielfältig, und sie wird oft unterschätzt.Wörter können Schaden anrichten, schrieb die Theaterregisseurin Simone Dede Ayivi amSamstag in dieser Zeitung, und das ist richtig. Selten werden Wörter passiv Raum und Zeitausgesetzt, meist ist gewollt, dass sie bestimmte Bedeutungen anziehen und dass dieseBedeutungen auch an dem haften, den sie bezeichnen. Einer, der „Neger“ genannt wird, andem haftet Minderwertigkeit.Wörter können aber, umgekehrt, Bedeutungen auch verstecken. Unternehmen sprechendavon, Mitarbeiter „freizusetzen“ statt sie zu „entlassen“. Militärs sprechen vom„Kollateralschaden“ statt von toten Zivilisten. Die düsteren Meister des Euphemismus bleibendie Nationalsozialisten. Millionenfachen Mord verbargen sie hinter der „Bearbeitung derEndlösung der Judenfrage“. Im Protokoll der Wannseekonferenz liest heute niemand mehr,ohne Schwindel zu empfinden angesichts der Tiefe des Abgrunds zwischen den semantischenEbenen.Vielleicht ist es dieser historische Schwindel der Deutschen, der dazu führt, dass die Machtder Wörter gleichzeitig überschätzt wird. <strong>Politisch</strong>e Korrektheit ist der Versuch, die, dieanderen mit Worten Übel anheften wollen, mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. LexicalWarfare, lexikalische Kriegführung, nennt der amerikanische Philosoph Peter Ludlow dastägliche Ringen um die Bedeutung von Wörtern. Wörter sollen die Realität verändern.Doch die Methode stößt an ihre Grenzen. Oft funktioniert die Reinigung der <strong>Sprache</strong> vonnegativen Bedeutungen nur kurze Zeit, dann haften sich Stereotype und Diskriminierung anden Nachfolgebegriff. So wurden aus Negern Schwarze und aus Schwarzen Afro-Deutsche. Jetiefer das Phänomen in der Gesellschaft verwurzelt ist, desto weniger wird es sich durch dieTilgung von Wörtern aus dem Sprachgebrauch eindämmen lassen. Der Rassismus hat dieTilgung des „Negers“ überlebt, der Sexismus das Löschen des „Fräuleins“ und Antisemitensprechen nun eben nicht mehr über „die Juden“, sondern über „den Staat Israel“. Zudemliegen der Versuch, Stigmatisierungen zu vermeiden, und die Realitätsverzerrung eng


eieinander. Es macht die Armen nicht wohlhabender, dass ihre Lebensumstände jetzt„prekär“ sind – im Gegenteil.Die <strong>Sprache</strong> aber wird zunehmend unsprechbar, und die Akzeptanz der politischenKorrektheit nimmt ab. Mancher gibt sich der mentalen Faulheit hin, will einfach daherredendürfen, ohne nachzudenken. Manche haben das Gefühl, abgehängt zu werden, weil die Kundevom Bann bestimmter Wörter sich nicht in allen Ecken der Gesellschaft gleich schnellverbreitet. Eine große semantische Verunsicherung erfasst die Deutschen, und im allgemeinenTohuwabohu heben diejenigen zur Schelte der politischen Korrektheit an, die in Wahrheitnicht Wörter, sondern ihre Einstellung legitimiert wissen wollen.Gerade weil die Sache so vertrackt geworden ist, ist das Tilgen von Wörtern aus der <strong>Sprache</strong>,gerade aus Kinderbüchern, falsch. Nur wer über Wörter redet, kann historisches Bewusstseinschaffen. Ein Wort – „Neger“ – genügt im besten Fall, und aus den Tiefen der Semantikerscheinen ganze Bilderbögen: dicht gedrängte Körper auf Sklavenschiffen, Baumwollfelder,Toiletten für weiße und schwarze Menschen, the back of the bus. Wer Wörter aber auslöscht,kann nicht mehr über sie reden.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!