BDKJ/BJA ROTTENBURG-STUTTGART
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FOKUS Q 10/09<br />
Q 10/09<br />
Aline (17 Jahre), ehemalige FSJlerin<br />
auf einer Pflegestation in einem<br />
Krankenhaus erzählt, was sie dort<br />
über das Sterben gelernt hat.<br />
Ich glaube, Patienten spüren, wenn sie<br />
sterben. Manche wollen dann noch mit<br />
bestimmten Menschen reden. Es ist wie ein<br />
letzter Wille. Vorher können sie nicht loslassen.<br />
Ich habe die Erfahrung gemacht,<br />
dass auch Angehörige spüren, wenn es<br />
zu Ende geht. Immer wieder kommen sie<br />
gerade zur rechten Zeit und eine halbe<br />
Stunde später stirbt der Patient.<br />
Ich selbst habe mich manches Mal einfach<br />
zu den schwer Kranken hingesetzt und<br />
ihre Hand gehalten. Viele erzählen dann<br />
von früher und haben bestimmte Sprüche,<br />
die ihnen wichtig geworden sind. Einer<br />
sagte mal zu mir: „Sage nicht alles was Du<br />
Gedanken zu Erfahrungen im Umgang<br />
mit Trauer bei Jugendlichen<br />
eines beteiligten Dekanatsjugendseelsorgers<br />
und Notfallseelsorgers.<br />
Es war mitten im Religionsunterricht Klasse<br />
3 an der GHS Großaspach, als mich die<br />
weißt, aber wisse immer, was Du sagst“.<br />
Wenn meine Mutter so einen Satz gesagt<br />
hätte, dann hätte ich gedacht: „Mensch<br />
Mutti“, aber im Gespräch mit dem Kranken<br />
habe ich noch einmal ganz anders<br />
darüber nachgedacht.<br />
Menschen, die im Sterben liegen sind ganz<br />
bestimmte Themen wichtig. Wir hatten da<br />
einmal einen Mann, der sich Gedanken<br />
machte, wie es mit seiner Frau und den Kindern<br />
weitergeht. Ein anderer war mit einem<br />
Familienmitglied zerstritten und wollte sich<br />
mit diesem aussöhnen. Familie ist ein ganz<br />
wichtiges Thema. Wir hatten aber auch<br />
eine Frau, die an einer seltenen Krebsart<br />
erkrankt war. Sie hat sich engagiert und<br />
Geld für die Forschung gespendet, damit<br />
anderen geholfen werden kann und diese<br />
nicht das gleiche Schicksal erleiden.<br />
Letztendlich ist mir in der Arbeit mit Sterbenden<br />
klar geworden, dass Sterbende genauso<br />
viel Aufmerksamkeit brauchen, wie<br />
Menschen, welche die Chance haben wieder<br />
gesund zu werden. Sogar noch mehr.<br />
Mehr Infos zum FSJ unter<br />
ww.bdkj.info/fsj<br />
schreckliche, unfassbare Nachricht des<br />
Amoklaufes in Winnenden an der Schule<br />
erreichte. Nachdem alle SchülerInnen<br />
in der Turnhalle in Sicherheit waren, ich<br />
auch meine Klasse zu einem Kreis versammeln<br />
konnte, wir durch Singen und Beten<br />
ein wenig Ruhe wieder gefunden hatten,<br />
sie von den Eltern abgeholt wurden, wa-<br />
ren für mich die darauffolgenden Wochen<br />
vorwiegend durch den Einsatz in der Trauerbegleitung<br />
und der Aufarbeitung des<br />
Amoklaufes geprägt – in Winnenden, im<br />
Dekanat, in der eigenen Gemeinde – in<br />
Form von Gottesdiensten, Gesprächen, im<br />
einfach Dasein.<br />
In dieser Zeit habe ich verschiedenste Formen<br />
des Umgangs mit Trauer und Betroffenheit,<br />
Wut und Entsetzen erlebt:<br />
7 Während am Abend des Amoklaufs<br />
in der Schlosskirche ein Trauergottesdienst<br />
stattfand, war es mir gemeinsam<br />
mit Diözesanjugendseelsorger Wolfgang<br />
Kessler und Simone Hanisch, die<br />
in St. Borromäus für die Jugendarbeit<br />
verantwortlich ist, wichtig, in der Winnender<br />
Borromäuskirche einen Ort des<br />
Abschieds, der Stille, der Begegnung,<br />
der Trauer, des Gebets, der Verbundenheit<br />
für die Minis aus Winnenden, den<br />
Oberministranten der Seelsorgeeinheit<br />
und den Eltern der getöteten Oberministrantin<br />
Nicole zu schaffen.<br />
7 Ich denke an einen Abend in Winnenden<br />
mit jungen Erwachsenen der<br />
Pfarrei – ein Spieltreff, an ein erstes<br />
zaghaftes Lachen ohne die Trauer zu<br />
vergessen. Auch hier gab es die Möglichkeit,<br />
sich in die Stille der Kirche zurückzuziehen<br />
wie auch zum Gespräch.<br />
7 An den Gedenkstätten begegnete<br />
ich vielen Blicken stiller Trauer, einer<br />
Sprachlosigkeit von Kinder, Jugendlichen<br />
und Erwachsenen, die durch eindrückliche<br />
Bilder und Texte versuchten,<br />
ihrer inneren Not Ausdruck zu geben<br />
und sich gegenseitig zu trösten, zuzuhören,<br />
der Trauer, Verzweiflung, Ohnmacht,<br />
Wut, Schmerz Raum zu geben,<br />
still die Schüler in den Arm zu nehmen,<br />
reden zu lassen.<br />
In allen Gedenkgottesdiensten - ob in Großaspach,<br />
wo versucht wurde, neben persönlichen<br />
Gedanken auch Gedanken zum<br />
Miteinander an der Schule zu formulieren<br />
und diese zu Blumenblättern zusammen<br />
6 7<br />
FOKUS<br />
zu fügen – oder in Oppenweiler, wo Schüler,<br />
LehrerInnen und Eltern ihre Gedanken<br />
und Gefühle zu Papier zu bringen konnten,<br />
die in einer Mappe gesammelt an die<br />
Albertville Realschule ging - immer war<br />
eines wichtig: anschließend solange es<br />
nötig war, Zeit zu haben, in Stille im Gottesdienstraum<br />
zu bleiben, um Betroffenheit<br />
und Trauer miteinander zu teilen: sich still<br />
gegenseitig in den Arm zu nehmen, Trauer<br />
zeigen zu dürfen, zu weinen, sich auch<br />
von uns Seelsorgern in den Arm nehmen<br />
zu lassen, von ihren Gefühlen zu erzählen.<br />
Das Gesprächsangebot wurde insgesamt<br />
an den kommenden Tagen, an denen<br />
ich zu abgesprochenen Zeiten an meinen<br />
Schulen in Oppenweiler und Aspach war<br />
bzw. im Pfarrhaus erreichbar war – direkt<br />
wie telefonisch – auch spätabends, von<br />
vielen Jugendlichen angenommen.<br />
Das Geschehen von Winnenden hat die<br />
Jugendlichen im Rems-Murr-Kreis und weit<br />
darüber hinaus sehr aufgewühlt – Trauer,<br />
Wut, Tränen, stilles Gedenken – die Frage:<br />
warum? – in vielfältiger Weise haben<br />
sie ihre Gefühle, Fragen zum Ausdruck<br />
gebracht: im Gespräch, was sie bewegt<br />
und belastet; und in dem Versuch ihre Gedanken<br />
in Wort und Bild zum Ausdruck<br />
zu bringen. Oft kamen viele Elemente der<br />
Trauerarbeit zusammen, gerade auch bei<br />
spontanen Gesprächen über persönliche<br />
Gefühle und Erfahrungen: plötzlich laufen<br />
die Tränen, halten sich zwei Jugendliche<br />
still im Arm, entzünden eine Kerze in der<br />
Kirche und sprechen ein freies Gebet für<br />
die Opfer und die Familien.