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„Gewinnen durch Verlieren“ - AA Gruppe Markus Nürnberg

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„Gewinnen <strong>durch</strong> Verlieren“Ich möchte heute einmal über Ziele der Therapie von Alkoholikern undTabletten-abhängigen sprechen. Welche Ziel verfolgen wir hier in BadTönisstein? Viele von euch werden sagen, das ist doch klar: nicht mehrtrinken müssen, keine Tabletten mehr nehmen. Das ist natürlich richtigund ein wichtiges Ziel. Aber es ist noch nicht alles. Ich möchte inmeinem Vortrag zwischen Globalziel und Einzelziel unterscheiden.Das Globalziel:Die Abhängigkeit darf nicht mehr als eine äußere feindliche Wirklichkeitgesehen werden, über die der Abhängige Kontrolle ausüben muß,sondern als ein nicht mehr zu löschender Teil seiner Persönlichkeit. Esgeht im Grunde um Versöhnung, um Aussöhnung mit der scheinbarunerträglichen Wirklichkeit, Alkoholiker zu sein. Du hast lange gekämpft:Nein, ich bin doch kein Alkoholiker. So lange du gegen deineAbhängigkeit ankämpfst, hast du keinen inneren Frieden, sondern eineninneren Bürgerkrieg. Wie kommt es zu dieser Aussöhnung? WelcheSchritte führen dazu?1. Zugeben und Akzeptieren der NiederlageBeides ist wichtig. Zugeben und akzeptieren.Wir sprechen hier in Bad Tönisstein von Kapitulation. ,,Der Alkohol iststärker als ich. Ich bin ihm gegenüber machtlos.“ Diese eigeneBegrenzung anzuerkennen ist ein Akt der Demut. Wir alle wollen Machthaben und hassen Schwäche. Sie scheint unser Leben zu zerstören.Genau das Gegenteil ist für den Alkoholismus der Fall. Im Zugeben undAnnehmen meiner Schwäche, meiner Machtlosigkeit gegenüber demAlkohol werde ich zum Gewinner. Mein Leben wird zu einemgelingenden Leben. Erst im Zugeben der Niederlage werden die vorherblockierten Kräfte frei, um erfolgreich mit der Krankheit leben zu können.2. Ich wähle die Nüchternheit.Das übersteigt die Entscheidung, nicht mehr Trinken zu wollen. DieseEntscheidung ist natürlich notwendig und die Voraussetzung für allekommenden Schritte. ,,Ich wähle die Nüchternheit" meint aber auch eineneue Einstellung zum Leben, einen neuen Blick für den eigenen Wert,den Wert meiner Mitmenschen und dazu eine Entscheidung zur Freiheitvon jeder Art von Abhängigkeiten. Dazu ist es nötig, alte Pfade, die sichals lebensbehindernd erwiesen haben, zu verlassen und neue Wege1


ohne die Hilfe von Drogen zu gehen.3. Annahme von Hilfe.Gegenüber dem alkoholisierten Allmachtsdenken der ,,nassen" Phaseund dem Denken: ,,Ich kann das alles selbst, ich brauche keine Hilfe", istes für die Heilung notwendig, Hilfsquellen außerhalb meiner selbst zusuchen und anzunehmen.Wo findet der Alkoholiker diese Hilfsquellen? Ihr habe bereits einenwichtigen Schritt in dieser Richtung getan. Ihr habt euch entschlossen, inBad Tönisstein Therapie zu machen. Das ist ein gewaltiger Schrittheraus aus dem Denken, „ich brauche keine Hilfe, ich kann es allein“.Wobei es gar nicht so wichtig ist, wie die Motivation am Anfang deinerTherapie ausgesehen hat. Mancher von euch ist vielleicht gekommen,weil er Druck vom Arbeitgeber oder der Familie bekommen hat. Wenn eraber einmal hier ist und der Alkohol aus Kopf, Körper und Seele herausist, und er in der Aufnahmegruppe sitzt und sich Gedanken macht überGeschichte und Folgen seines Trinkens, dann wird ihm klar: Ich bin nichtfür meinen Chef hier, auch nicht für meine Frau und meine Kinder,sondern für mich. Mein Leben soll wieder gut werden und gelingen.Dann hat auch mein Arbeitgeber und meine Familie etwas von meiner,,Trockenheit". Aber ich tue es in erster Linie für mich selbst.Schauen wir uns nun einmal die Hilfsquellen an, die zur Verfügungstehen.a) TherapieprogrammEtwa das Programm von Bad Tönisstein. Wir sind jetzt etwa 25 Jahrealt. Ich weis nicht, wie viele Alkoholiker im Laufe dieser~ Jahre hierwaren. Ich habe allein 700 Patienten im Laufe meiner l5jährigen Arbeitals Therapeut gehabt. Sicher sind es aber viele Tausende, die hierwaren. Und die Hälfte davon, kann man sagen, ist ,,trocken" geblieben.Trocken, weil sie sich auf das Therapieprogramm in Bad Tönissteineingelassen haben und auch nach der Entlassung danach gelebt haben.Es könnte auch die Weisheit der 12 Schritte des <strong>AA</strong>-Programms sein,die aus der Isolation des Alkoholismus heraus führen.b) Andere MenschenGanz entscheidend für die Heilung vom Alkoholismus ist die aktiveZuwendung zu anderen Menschen. Der ,,nasse" Alkoholiker ist eineinsamer Mensch. Mag er auch in der Kneipe lauthals parlieren, imGrunde seines Herzens ist er total einsam. Aus dieser Einsamkeit gilt esaufzubrechen und sich den Mitmenschen zuzuwenden. Das kann zuerstin der Therapiegruppe in Bad Tönisstein geschehen. Im sich mitteilen2


und im Sorge tragen für andere. Später dann kann das in derSelbsthilfegruppe aber auch in der Familie, im Freundeskreis und imKreis der Kollegen fortgesetzt werden.c) Transzendente QuellenEine weitere Hilfsquelle können transzendente Quellen sein. Nichtwenige Alkoholiker finden nach dem ,,Trockenwerden" wieder einenZugang zu ihrem religiösen Glauben. Sie fangen wieder an zu beten undvertrauen sich Gott an. Ich erlebe das immer wieder hier in der Klinik,aber auch mit Ehemaligen. Eine spirituelle Sehnsucht wacht auf. Fürandere sind es ethische Werte, die für sie nun sehr wichtig werden.Etwa Nächstenliebe, Sorge für andere, Verantwortlichkeit, Mitgefühl,verantwortlicher Umgang mit sich selbst. Andere fragen intensiv nachdem Sinn ihres Lebens. Die Frage: „Was will ich eigentlich mit meinemLeben anfangen?“, kommt hier zur Sprache. „Was will ich mit dem Restmeines Lebens anfangen?“4. Bereitschaft zur VeränderungEine Münze hat 2 Seiten. Wenn du ein Markstück anschaust, dann ist daauf der Vorderseite eine 1 , darunter ,,Deutsche Mark". Auf derRückseite ist ein Adler und darum die Schrift ,,BundesrepublikDeutschland". So ist es auch mit der Therapie. Die Vorderseite heißt,,Entscheidung zur Trockenheit, Entscheidung zur völligen Alkohol- undTablettenabstinenz". Die Rückseite, die ist genau so wichtig und heißt,,Veränderung, Richtungswechsel". Manche Patienten und auch derenAngehörige meinen, es genüge, wenn der Patient nicht mehr trinke,sonst brauche er sich nicht zu verändern. Das geht aber nicht. Wertrocken bleiben und nüchtern werden will muss destruktiveVerhaltensweisen und Einstellungen verändern. Er muss z. B. lernen, fürsich und seine Überzeugungen einzustehen und sich nicht einfachimmer anzupassen, um dann aus Frustration und Ärger zu trinken. Aucheinen konstruktiven Umgang mit Arger und anderen Gefühlen muss erlernen. Wer sein altes Denk- und Verhaltensmuster auch nach derTherapie beibehält, steht auf wackligem Boden und der Rückfall istvorprogrammiert. Der Abhängige braucht eine tiefe und starkeMotivation, ein anderer zu werden, da wir uns nur sehr ungernverändern und in eine neue Richtung gehen wollen. Überlege einmal,was dich in diese neue Richtung bewegen könnte. Im einzelnen hat dieVeränderung zwei Aspekte:EgoreduktionTiebout spricht von dem aufgeblähten Ich (inflated Ego) des3


Abhängigen, das sich ausdrückt in Allmachtsgefühlen' Ungeduld undMangel an Frustrationstoleranz. Tiebout spricht auch vom ,,King-Baby",der mit dem naiven Anspruch vor die Welt tritt, dass alles nach seinenWünschen zu gehen hat. Aufgabe dieser Unreife, diesem falschenVerständnis der eigenen Wichtigkeit und der eigenen Macht istandauerndes Ziel.Entwicklung der verborgenen MöglichkeitenDer Abhängige muss seine positiven Seiten entdecken und diesekultivieren. Da<strong>durch</strong> gewinnt er Selbstbewusstsein und Selbstrespekt. Injedem Menschen sind eine Fülle von Möglichkeiten und Begabungen.Der Abhängige kann diese allerdings erst richtig entdecken, wenn er dasalte,. mit all seiner Unreife beladene „Ich“ loszulassen beginnt.5. Loslassen der KontrollhaltungIn der „nassen“ Phase meint der Abhängige, er könne das ganze Lebenmanagen, er habe totale Kontrolle.In der Surrender-Phase erkennt der Abhängige dagegen, dass seineKontrolle über die meisten Aspekte des Lebens äußerst beschränkt ist.Er erkennt seine Machtlosigkeit über seine Gefühle, andere Menschen,Ergebnisse seiner Handlungen und vieles mehr. Erkennt der Abhängigedieses nicht und hält er seine grandiose Idee, dass er alles im Griff hatweiter aufrecht, dann führt dies leicht zurück zum aufgeblähten Ich. Gibtder Abhängige jedoch seine Kontrollhaltung auf, und erkennt er demütigseine Begrenzungen und Fehler an, dann kommt er in eine zufriedeneund gelöste Position. Er ist fähig, Glied der menschlichen Gesellschaftzu werden und fühlt sich seinen Mitmenschen verbunden und nahe.Surrender to life ist nicht Resignation sondern eine kooperativeBeziehung zum Leben und seinen Kräften.Dieses Surrender to life ist mir während meiner Ausbildung inHasselten/USA in einer unvergesslichen Erfahrung deutlich geworden.Ich wohnte damals in einem Dorf am St. Croix River. Nach Dienst gingich während des Sommers oft am Abend zum Schwimmen in diesenFluss. Ich schwamm bis zur Mitte des Stromes und ließ mich danneinfach von der Strömung treiben. Ich brauchte nicht zu paddeln und zustrampeln, sondern mich einfach der Strömung anvertrauen. Ich hatteein tiefes Gefühl von Getragen werden. Sich dem Fluss des Lebensüberlassen, in dem Vertrauen, dass er mich trägt. Das meint Surrenderto life. Als Glaubender ging mir damals auch mehr und mehr auf, dasssich dem Leben anvertrauen auch heißt, sich dem Geber und Schöpferallen Lebens, Gott, anzuvertrauen. Dann erwacht auch ein neuesInteresse an anderen Menschen und dann an Dingen und Schönheiten4


der Welt.Franz Strieder5

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