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Eine strukturale Filmanalyse - Universität Bielefeld

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Universität <strong>Bielefeld</strong>Fakultät für PädagogikStrukturale <strong>Filmanalyse</strong>Dr. Thomas WaldenSoSe 2007FallstudieDonnie Darko:<strong>Eine</strong> <strong>strukturale</strong> <strong>Filmanalyse</strong>Vorgelegt von:Angelika IsaakundCristina Sorian


Inhaltsverzeichnis1. Vorwort 12. Qualitatives Verfahren der Medienforschung 32.1 Strukturale <strong>Filmanalyse</strong> 43. <strong>Filmanalyse</strong> Donnie Darko 73.1 Lehrer - Schüler Verhältnis 83.2. Psychologe – Patient Verhältnis 123.3 Vater – Sohn Verhältnis 163.4 ‚Wahrheit’ – Illusion4. Fazit 20


1. VorwortIn Zeiten der Globalisierung und des Internets, in der die interaktive Kommunikationzwischen Menschen in Freizeit und Beruf, zunehmend durch das Angebot und die Auswahlder Medien, erweitert wird, gewinnt die Berücksichtigung neuer Medien einen großenStellenwert in der pädagogischen Forschung. Die rasante Entwicklung in derTechnologisierung des Alltags führt zu einer Vielzahl von Überlappungen vonForschungsbereichen und somit zu neuen interdisziplinären Forschungsschwerpunkten.Besonders ergiebig erscheint hierbei das Medium Film, da sich eine eigenständige Disziplin,die sogenannte Filmphilologie, erst vergleichsweise spät herausgebildet hat. Inzwischenwurde der Film als Medium in vielfältigster Weise als Forschungsgegenstand herangezogen.Ein Beispiel ist die Vorreiterrolle der Literaturwissenschaft bezüglich der Analyse vonAdaptionen bekannter literarischer Werke. Dies prägte sowohl die Übernahme von etabliertenliterarischen Fachbegriffen, als auch die Einführung von Neologismen für die <strong>Filmanalyse</strong>.Das Interesse der Pädagogik an der Medienanalyse ergibt sich unter anderem aus demexzessiven Eintauchen Kinder und Jugendlicher in mediale Sphären. Die quantitativeForschung, mit der sich die Pädagogik vorwiegend beschäftigte, zeigte auf, dassHeranwachsende häufiger und selbstverständlicher mit den neuen Medien arbeiteten unddadurch eine höhere Medienkompetenz als viele Erwachsene aufwiesen. Selbstverständlichkonnten anhand dieser Forschungsmethoden lediglich die zahlenmäßige Verteilung derAnwender verschiedener Medienformen empirisch dargelegt werden. Um dieWirkungsweisen der Medienformen auf die Rezipienten zu erfassen, welche zunehmend inden Focus der pädagogischen Forschung gerückt sind, bedarf es allerdings qualitativerForschungsmethoden.Zum Forschungsobjekt Film bietet die qualitative Medienforschung eine Reihe vonMethoden an, wie z.B. das Interview zur Analyse des Rezeptionsverhaltens. Um jedochinnere Strukturen und Mechanismen dieses Mediums aufzudecken, bedarf es einer direkterenMethode. Daher wird in dieser Fallstudie eine <strong>strukturale</strong> <strong>Filmanalyse</strong> Richard Kellys DonnieDarko vorgenommen. Es soll untersucht werden, inwiefern sich die ausgewählte qualitativeMedienforschungsmethode auf die folgende These anwenden lässt:1


Die spezielle Anordnung innerer Sinnstrukturen im Film ‚Donnie Darko’ kontrastiertzwei wesentlich gegensätzliche Modelle für das universell menschliche Bestreben nachWahrheit und Erkenntnis: zum einen der feste Glaube an Prädestination durch einehöhere Macht, zum anderen die selbstständige und eigenverantwortliche Suche desMenschen nach einem individuell entwickelten Verständnis bezüglich des Sinns seinerbesonderen Rolle im Leben. Diese impliziert eine vielschichtigere, widersprüchlichere,dynamischere und damit kritischere Auseinandersetzung mit der eigenen Existenz,welche im Charakter des Filmhelden Donnie Darko porträtiert werden.Diese Untersuchung basiert auf einer objektiv hermeneutischen Vorgehensweise, der in denletzten dreißig Jahren im deutschsprachigen Raum besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde.Dennoch ist an gegebener Stelle anzunehmen, dass Abweichungen bzw. Ergänzungen zurgewählten Methode vonnöten sein könnten.Zunächst werden allerdings wesentliche Merkmale und Funktionen der qualitativenMedienforschung aufgezeigt, um anschließend die ausgewählte Forschungsmethode, die aufeine detaillierte <strong>strukturale</strong> Analyse des Films Donnie Darko im Hauptteil vorbereiten soll, zubeschreiben. Im Fazit werden die Ansätze und Ergebnisse, die sich im Laufe der <strong>Filmanalyse</strong>ergeben haben, zusammengefasst und im Verhältnis zur These noch einmal in gebündelterForm erörtert.2


2. Qualitatives Verfahren der MedienforschungDie qualitative Medienforschung weist verschiedene Auswertungsverfahren auf, die jedochalle vom jeweiligen Forschungsinteresse abhängen. Zu nennen wären die qualitativeInhaltsangabe, die Grounded Theory, die psychoanalytische Textinterpretation und diversesprachwissenschaftliche Auswertungsmethoden. Allerdings ist zu beachten, dass diemöglichen Methoden keineswegs erschöpft sind und neue Ansätze jederzeit in das Repertoireder Medienforschung aufgenommen werden können. Die generellen Prinzipien derqualitativen Forschung sind: Einzelfallbezogenheit, Alltagsnähe, Kommunikation,Deskription, Interpretation und Offenheit. Diese werden von Bergmann wie folgtumschrieben:[...] Anstatt also bereits im Vorhinein Beobachtungseinheiten zu definieren oderverbindliche Interviewfragen festzuschreiben, verhält sich die qualitativeSozialforschung [meint hier auch Medienforschung] abwartend, zurückhaltend, offenund ist gekennzeichnet von dem Bemühen, gewissermaßen den untersuchtenGegenstand selbst erst einmal zu Wort kommen zu lassen(Bergmann 2006: 19).Die qualitative Medienforschung löst sich demnach bewusst von bereits genormtenVerfahren, um die beobachteten Sachverhalte möglichst unbedarft in ihrem ‚Kontext’ zuerfassen und die innere Beschaffenheit auszuleuchten. Damit wäre die Vorraussetzung zur„explorativen Forschung“ (Bergmann 2006: 19) erfüllt, deren Ziel es ist, neues Wissen zugenerieren, indem sie perpetuierende Muster jeweils am Einzelfall untersucht. Das Bestrebendieser Methode ist es, sich in einem Zirkel der ‚Selbstreflektion’ zu bewegen und sich ständigweiter um neue Einsichten und Perspektiven zu bemühen, die entweder zu einer Änderungoder Bestätigung der vorhergehenden Interpretation führen. Dementsprechend unterscheidetsich die qualitative Forschung von der eher linear vorgehenden quantitativen durch dasMerkmal der Zirkularität.Für die Erforschung des Films wurden ab den 1960er Jahren, mit der Etablierung vonfilm-, fernseh- und medienwissenschaftlicher Lehrstühle, Institute und Fachbereiche anUniversitäten und der damit einhergehenden Institutionalisierung des Mediums, viele neueFragestellungen und Analysemethoden erprobt (vgl. Schneider 2004: 214). Als besondersfruchtbar hat sich hierfür die <strong>strukturale</strong> <strong>Filmanalyse</strong> herauskristallisiert.3


2.1 Strukturale <strong>Filmanalyse</strong>Zunächst erscheint es sinnvoll, das Medium Film als solches zur näheren Betrachtungherangezogen zu werden. Filme sind Kunstprodukte und damit stellt sich von vornherein eineallgemeine Skepsis gegenüber dem Dargestellten, welches immer nur eine künstliche Formder Realität ‚abbilden’ kann, ein. Dieses jedoch müsste seinerseits eingeschränkt werden, daman nicht generalisieren kann, der Film ginge allein mimetisch vor. Vielmehr stellt sichdieser stattdessen vorrangig immer erst selbst dar, bezieht sich damit auf sich selbst(‚Selbstreferentialität’) und arbeitet im Zuge der ‚Wirklichkeitsrekonstruktion’ nach eigeneninternen Regeln. Man könnte einerseits behaupten, die Bilder, die der Film vermittelt,entsprächen nur der Realität der Wirkung auf den Rezipienten. In gleichem Maße könnte manaber auch argumentieren, dass die Bilder die Realität darzustellen versuchen, die in dengegebenen soziokulturellen Parametern, den Kontext bilden (vgl. Wuss 1993: 150).Insgesamt erscheint das, was als ‚Wahrheit’ der filmischen Repräsentation überhauptbezeichnet werden kann, nicht der im Film dargestellten Version der Welt im Film zu folgen,sondern sich zugleich auch aus subtileren Strukturen zu ergeben. Zu unterscheiden wäredemnach auch der soziokulturelle Kontext des Rezipienten von dem des Films.Bezeichnenderweise schließt dieses insbesondere die Skepsis gegenüber der eigenenInterpretationsarbeit ein.Die <strong>strukturale</strong> <strong>Filmanalyse</strong> geht im Wesentlichen zurück auf die Arbeiten von UlrichOevermann (1979), der anhand dieser neuartigen Methode natürliche Interaktionen (z.B.Gespräche einer Familie beim Abendessen) analysierte (vgl. Flick 2000: 227). Im Zuge derAnwendung der Methode in weiteren Bereichen (vor allem in der Wissenssoziologie, aberauch Kunstwerke, Fotographien und Filme) und des folgenden Methodendiskursesentwickelten sich viele weitestgehend synonym verwendbare Begriffe, darunter objektiveHermeneutik, <strong>strukturale</strong> Hermeneutik und genetischer Strukturalismus. Die <strong>strukturale</strong><strong>Filmanalyse</strong> wird im Allgemeinen als Adaption der objektiven Hermeneutik auf das MediumFilm angesehen.Für die vorliegende Untersuchung ist es sinnvoll, den Film als Text zu betrachten. Dasich die Handlung dem Rezipienten in ähnlicher Weise präsentiert, wie die Erzählung desBuches dem Leser, kann man in beiden Fällen von einer „narrativen“ Darstellungsformsprechen (vgl. Hagenbüchle 1991: 17). Beide schildern die Ereignisse demnach erzählend undgeben gewissermaßen, bedingt durch ihre Beschaffenheit, eine ‚lineare Erzählreihenfolge’ derGeschehnisse vor. (Im Buch folgt logischerweise Seite 2 auf Seite1; genauso wie im Film nur4


jeweils eine Szene nach der anderen gezeigt werden kann.) Dies bedeutet selbstverständlichnicht, dass die tatsächliche Chronologie der Erzählung mit der Reihenfolge übereinstimmenmuss, die der Zelluloidstreifen zeigt. Ganz im Gegenteil, spielt das Medium Film inliterarischer Tradition bewusst mit den Zuschauern, indem er Rückblenden, Zeitsprünge,Zeitraffer oder/ und ähnliche Mittel verwendet.Nur mit Hilfe vom Verständnis des Films als Text, kann die objektive Hermeneutik fürdie <strong>Filmanalyse</strong> betrieben werden. In diesem speziellen Kontext bemüht sich dieses Verfahrenhauptsächlich um eine Freilegung von filmimmanenten Sinnstrukturen, die sich, vergleichbarmit literarischen Texten, auf zwei Ebenen der Erzählung bewegen, der offen erzählten und derlatenten Ebene. Die offen erzählte Ebene legt das Fundament für das Augenscheinliche imWerk, wobei sich die Rezeption mühelos zu vollziehen scheint. Die latente Ebeneandererseits, qualifiziert sich durch die Rücksichtnahme auf den inneren Kontext derHandlung. Da dieser in seiner Komplexität schwieriger zu erfassen ist, muss hierbei daraufhingewiesen werden, dass eine singuläre Interpretation des Kontextes dafür nicht ausreichendwäre. Vielmehr versucht die objektive Hermeneutik, diverse Blickwinkel innerhalb einessogenannten „Methodenpluralismus“ (Wulff in: Bergmann 2006: 236) einzunehmen, umgerade diese latente Ebene der Erzählung möglichst flächendeckend zu erforschen.Die Funktion der latenten Ebene liegt darin, handlungsgenerierende Sinnstrukturenunter der offenen narrativen Ebene bereitzuhalten. Damit eröffnet sich für den Forscher dieMöglichkeit, hinter die Kulissen des Gezeigten (offene Ebene) im Film zu schauen, und dieAufmerksamkeit somit auf das Gesagte (bezieht sich hierbei nicht auf das Gesprochene imFilm, wie z.B. in Dialogen, Monologen, durch die Stimme des Erzählers, sondern auf dasimplizit Gemeinte) zu lenken, welches allein erklären kann, warum das Gezeigte (hier dieBildeinheiten des Films) in der vorliegenden Art und Weise auftreten. Das Gesagte wiederumliegt meist in verschlüsselter Form vor, man spricht hierbei von sogenannten „filmischenCodes“ (zitiert in: Bergmann 2006: 231), bzw. von Zeichen eines Systems, die an und für sichabstrakte Sinneinheiten darstellen. Die Codes unterliegen ihrerseits ihrer vom Filmsuggerierten synästhetischen Beschaffenheit (beispielsweise ihrer ‚audio-visuellenKomposition’). Diese gilt es nun im Zuge des hermeneutischen Verfahrens sequentiell zuentschlüsseln. Einzelne Szenen werden dabei aus dem Kontext des Films extrahiert, gesondertauf latente Bedeutungsstrukturen hin untersucht, um somit ihr Auftreten und die Position imGesamtgefüge des Films besser nachvollziehen und rechtfertigen zu können. NachOevermann verläuft eine Sequenzanalyse typischerweise in drei Zügen der Rekonstruktionab:5


1. Es liegen vor die von der vorhergehenden Sequenz erzeugtAnschlussmöglichkeiten2. hieraus wählt die jeweilige Praxis eine aus und macht sie durch Vollzug zurWirklichkeit und3. schafft damit erneut Anschlussmöglichkeiten (Garz und Ackermann in: Bergmann2006: 330).Hierbei handelt es sich um ein abduktives Verfahren, da die einzelnen Schritte darlegen, wiedie ausgewählte Sequenz mit ihren möglichen vergangenen und gegenwärtigen Implikationenzur Bildung von Hypothesen für die Zukunft beitragen kann. Bei Betrachtung dernachfolgenden Sequenz besteht die Möglichkeit, dass die Zukunft mit einer der vorheraufgestellten Hypothesen verschmilzt und somit gleichzeitig eine Hypothese verifiziert wird,als auch neue Hypothesen für die darauffolgende Sequenz formuliert werden können. Wennder Fall auftritt, dass keine der vorher angenommenen Grundsätze bestätigt werden können,muss man sich fragen, ob wichtige hindeutende Aspekte der Sequenz unberücksichtigtgeblieben sind, oder ob der Film bewusst mit der Erwartungshaltung der Rezipienten spielt.Dies soll den Forscher jedoch nicht entmutigen, weitere Hypothesen aufzustellen. Im Ganzenließe sich argumentieren, dass die Sinnstrukturen der latenten Handlungsebene in ihrenZusammenhängen durch das sequentielle Vorgehen rekonstruiert werden können.Obzwar die offene Ebene für den Rezipienten leicht zugänglich erscheint, darf diesjedoch nicht über eine ebenso chiffrierte Gestaltung der Bildeinheiten hinwegtäuschen, dieihrerseits meist unbewusst entschlüsselt werden können. Die Sprache der Bilder im Film istimmer eingebettet in seinen speziellen soziokulturellen Kontext der Entstehung. Im Falleeines nicht entsprechenden soziokulturellen Hintergrundes (oder Wissen über diesen), kanneine unbewusste Decodierung von Seiten des Rezipienten nicht stattfinden. Dies hat zurFolge, dass der Film in gewissem Maße befremdlich wirken kann. Ein sogenannter‚objektiver’ Bedeutungsgehalt von Bildern an sich ist somit schwer zu abstrahieren, da dieserimmer an Wahrnehmungs- und Interpretationsverfahren geknüpft ist, diese wiederum vomRezipienten abhängen und damit immer nur subjektiv ablaufen können.Insgesamt bemüht sich die <strong>strukturale</strong> <strong>Filmanalyse</strong> vor allem um eine kontrollierteBeobachtung von Filmsequenzen, die zwischen theoretischen Annahmen und herausgestelltenwiederkehrenden Strukturen oszilliert. Wie Oevermann hervorhebt, bedeutet dies6


„[…] nicht mit vorgeprägten bzw. feststehenden Begriffen und Kategorien an diesoziale Wirklichkeit [und ihrer Repräsentation im Film] heranzutreten und nach einerÜbereinstimmung zwischen dieser und den Kategorien zu suchen, sondern vielmehraus der Sache selbst heraus methodologisch angeleitet zu theoretisieren“ (Garz undAckermann in: Bergmann 2006: 341).Man sollte sich demnach bei der Untersuchung von jeglichen Vorannahmen lösen, da dieseeine freie Analyse hemmen und womöglich neue Perspektiven außer Acht lassen könnten.Den Wegen einer entdeckenden Forschung folgend, erhält man insgesamt die Chance,permanent neuen Fragen zu begegnen, welches bedeutet, dass diese wiederum auch ständigneue Perspektiven für die Untersuchung eröffnen. Hierbei liefe man aber zugleich Gefahr,sich in den Zeichensystemen, womöglich wie in einem Labyrinth, zu verirren. Durch dasmehrfache Wiederholen eines so genannten hermeneutischen Zirkels, in welchem „das Ganzeaus dem Einzelnen und das Einzelne aus dem Ganzen“ zu erkennen ist, entstünde zuweileneine hermeneutische Spirale (vgl. Vogt 2002: 59-60). In diesem Zusammenhang ließe sich amBeispiel des Films Donnie Darko gleichwohl feststellen, dass sich unter Umständen aus demhermeneutischen Zirkel sogar eine hermeneutische ‚Zentrifuge’ entwickeln könnte, in der derForscher sich immer schneller ergebenden Hypothesen ausgesetzt sieht, die ihrerseits zuweiteren Annahmen führen.3. <strong>Filmanalyse</strong> Donnie DarkoAuf den ersten Blick könnte Donnie Darkos Leben das eines ganz normalenKleinstadtteenagers sein. Doch Donnie plagen furchterregende Visionen: nachtserscheint ihm Frank, der ihm im Hasenkostüm zerstörerische Aufträge erteilt. AlsFrank prophezeit, dass in genau 28 Tagen, 6 Stunden, 42 Minuten und 12 Sekundendie Welt untergehen wird, weiß auch Donnies Psychologin keinen Rat mehr…(DVDKlappentext, Director’s Cut).Diese kryptische Beschreibung des Filmplots klingt vielversprechend. Allein die benutztenAdjektive „furchterregend“ und „zerstörerisch“, sowie der genaue Countdown in Tagen,Minuten und Sekunden, lenken die Aufmerksamkeit auf das suggeriert düstereWeltuntergangsszenario. Bereits im ersten Satz wird herausgestellt, dass der Protagonist desFilms Donnie Darko (Jake Gyllenhaal) keine gewöhnliche Rolle erfüllt. Insbesondere wird indiesem kurzen Text schon darauf hingewiesen, dass Halluzinationen einen zentralenStellenwert einnehmen, wobei noch nicht einmal psychologischer Beistand mehr geleistet7


werden kann. Für den Helden bedeutet dieses zunächst, dass er sich allen folgendenHerausforderungen hauptsächlich alleine stellen muss.Ausgehend von der Annahme, dass interne Sinnstrukturen im Zuge der hermeneutischgeleiteten <strong>strukturale</strong>n <strong>Filmanalyse</strong> aus dem Handlungsgeflecht des Filmplotsherausgemeißelt werden können, erscheint Donnie Darko mit seinen divergierenden Ansätzenbezüglich der allumfassenden Frage nach der Bestimmung und Zweck des Lebens alsbesonders geeignet für eine derartige Herangehensweise. Im weiteren Verlauf dieserFallstudie werden binäre Oppositionspaare innerhalb des Interaktionsgefüges der Charaktereaufgezeigt, um allegorisierte Formen der in der These formulierten Dualität zwischenGlauben und Wissen zu typisieren.3.1 Lehrer – Schüler VerhältnisFür den Teenager-Helden des Films Donnie Darko bedeutet die Institution Schule der zentraleOrt für soziale Interaktionen. Diese setzt die Rahmenbedingungen für integrativeVerhaltensmodelle, die von den Schülern im Prozess der Sozialisation verinnerlicht werdensollen. Donnies Verhalten sticht insbesondere durch seine von vornherein ablehnende bisignorante Haltung gegenüber Autoritätspersonen heraus. Verglichen mit den anderenSchülern, scheint er eine überlegenere Rolle einzunehmen; er ist gleichzeitig Außenseiter undHeld in der Middlesex Ridge School.Die Außenseiterrolle lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass er dieLehrmethoden seiner Ethiklehrerin Kitty Farmer (Beth Grant) offen kritisiert und sogar insLächerliche zieht. Kittys Unterricht orientiert sich an dem Lebenshilfeprogramm ControllingFear, welches Menschen, die von ihrer eigenen Angst blockiert sind, den ‚rettenden Weg derLiebe’ vermitteln will. Der Meisterkopf des Programms, Jim Cunningham (Patrick Swayze)unterstützt Kittys konservative und stark religiös geprägte Lebenseinstellung, die von denPrinzipien Verantwortung, Moral und Familie bestimmt wird. Die in seiner LektüreAttitudinal Beliefs vorgestellten Methoden eignen sich daher hervorragend alsAnschauungsmaterial, um ihre Überzeugungen schematisch und beispielhaft zu fundieren.Die darin enthaltene zentrale Idee einer Lebenslinie mit den Polen Angst und Liebe, implizierteine religiöse Ideologie, in der sich alles zwischen Gut (impliziert hier die Begriffe Liebe,Glaube) und Böse (Angst, Atheismus) aufzuteilen scheint. In Kapitel 10 zeigt der FilmAusschnitte des Ethikunterrichtes, in denen sowohl Videos als auch die dazugehörigen8


Aufgaben der Controlling Fear – Reihe bearbeitet werden sollen. Bei der ersten zu lösendenAufgabe (Lebenslinieaufgabe1: eine Dilemma-Situation auf der Lebenslinie entsprechendeinordnen) verweigert Donnie die Mitarbeit mit dem Argument, das Leben könne nicht in nurzwei Kategorien aufgeteilt werden, da die menschlichen Emotionen weitaus mehrunterschiedlich eingefärbte Nuancen aufweisen. Donnie stellt hiermit die Dichotomiezwischen Angst und Liebe, die im Wesentlichen mit den Adjektiven negativ und positivgleichgesetzt werden, in Frage. Die Konsequenz aus der Auseinandersetzung mit seinerLehrerin besteht zunächst darin, dass man ihm eine schlechte Note androht. Darüber hinauswerden Donnies Eltern zum Direktor der Schule einberufen, nachdem dieser seine Lehrerinvor der ganzen Klasse mit Obszönitäten bloßstellt.Diese Szene lässt den Zuschauer vermuten, dass Donnies Eltern, Eddie (HolmesOsborne) und Rose (Mary McDonnell), nach üblichen Verhaltensmustern in einer derartigenSituation, das heißt mit disziplinären Maßnahmen, durchgreifen würden. DieseErwartungshaltung wird jedoch enttäuscht, indem der amüsierte Vater mühsam versucht, nachder Äußerung der Obszönität aus dem Munde der mokierten Kitty selbst, sein Lachen zuunterdrücken. Während des ganzen Gesprächs scheint Donnie recht gelassen bis teilnahmslosder heiklen Situation gegenüberzustehen, und sogar die angepasstere Mutter Rose wirkt nichtbesonders überrascht. Die Szene mündet darin, dass beim Verlassen des Büros, Eddieschließlich lachend sein wahres Gesicht zeigen kann und das zweifelhafte Verhalten seinesSohnes Donnie somit legitimiert. Bei genauerer Betrachtung der Mimik, könnte man sogarauf eine Siegerhaltung beider schließen. Der eigentliche Konflikt wird dabei auf die MutterRose übertragen, die sich Kittys Sorgen, bezüglich Donnies weiterer Entwicklung, stellenmuss.Vertieft wird Donnies Überlegenheit gegenüber der in sich apodiktischenLebensideologie in der Szene (Kapitel 14), die Jim Cunninghams Sondervorstellung seinesProgramms in der Aula der Schule darstellt. Diesmal greift der Protagonist nicht Kitty an,sondern ihren ‚Guru’ Jim selbst, und zwar vor den Augen der versammelten Schule (seinerMitschüler und Lehrer), was als eine Steigerung der vorherigen Autoritätskritik angesehenwerden kann. Jim kann auf Donnies Bemerkungen nicht anders reagieren, als sich wiederumauf sein vereinfachtes Konzept von der Bipolarität aller Handlungen zu berufen. Ironischscheint hierbei, dass gerade der, wie sich später herausstellt, pädophile Guru, derjenige ist, derVorträge hält über das Überwinden der Angst durch Liebe. Die Szene schließt mit einem, vomDirektor, unter dem Beifall seiner Mitschüler, die offensichtlich nun auch dieUnanwendbarkeit dieses Konzepts erkennen, aus der Aula geführten Donnie. Dieser wird9


hiermit noch offensichtlicher als Held seiner Mitschüler dargestellt, denn er gibt denFragenden klarere Anweisungen, die, verglichen mit den oberflächlichen Ratschlägen desvermeintlichen Experten Jims, im Alltag viel konkreter anwendbar scheinen und sich somitdirekt auf die jeweilige Lebenssituation der Schüler beziehen.Die ebengenannte Heldenrolle Donnies wird zusätzlich besonders in der Interaktionmit den anderen im Film gezeigten Lehrern pointiert. Der Film unterstreicht Donniesbesonders stark ausgeprägten Begabungen in Form von überragenden Leistungen, sowohl imEnglisch-/ Literaturunterricht, als auch in naturwissenschaftlichen Bereichen. Dieseunterschiedlichen Disziplinen werden zum einen von der Englischlehrerin Karen Pomeroy(Drew Barrymore), zum anderen vom Physiklehrer Dr. Kenneth Monnitoff (Noah Wyle)repräsentiert, die ihn beide in ihrem jeweiligen Unterricht fördern. Interessant zu bemerken istan dieser Stelle die Verbindung beider in Form einer Liebesbeziehung. Dieses könnteallegorisch für das Verschmelzen von Geisteswissenschaft mit Naturwissenschaft gelten, diein der Figur Donnies zusammenlaufen.Karen scheint auf Anhieb Donnies aufgeweckte, revolutionäre Einstellungen zu seinerUmwelt zu erkennen und zu schätzen. Gerne animiert sie ihn dazu, seine Meinung zu äußern,wenn in der Klasse keine qualifizierten Antworten mehr zu erwarten sind. Anhand der von ihrfür den Unterricht ausgesuchten kritischen Literatur, wie z.B. Graham Greenes TheDestructors und Richard Adams’ Watership Down, zeigt sich, dass sie besonderen Wert aufvon den Normen abweichende und innovative Ansätze legt, die in abgewandelter FormDonnies späteren Handlungen entsprechen. Ein Beispiel dafür wäre Donnies von Frankbeauftragte Überschwemmung der Schule durch einen Wasserrohrbruch, die bereits in derKurzgeschichte antizipiert wurde. Die Rolle des Protagonisten in The Destructors entsprichthier der Rolle Donnie Darkos, dessen Zerstörungswut sich in ähnlicher Weise „aus demSchmerz der Pubertät herauskristallisiert hat“ (Donnie Darko, Kapitel 5), um gegebeneZustände umzuwerfen und aus der Zerstörung, auf kreativem Wege, Neues zu schaffen.Donnies Beitrag zur Buchbesprechung zeigt, wie er innere Sinnstrukturen in derKurzgeschichte durchschaut und diese beispielhaft auf Alltägliches bezieht. Hierbei wirddeutlich, dass Donnie über ein gutes Einfühlungsvermögen verfügt, welches ihm erlaubt, sichzumindest besser als seine Mitschüler in die Charaktere der Geschichte hineinzuversetzen.Dieser Hypothese bedarf es an späterer Stelle einer kritischeren Betrachtung, da geradeDonnies Fähigkeit des ‚Sich-Hinein-Versetzen-Könnens’ im Falle der Interpretation RichardAdams’ Watership Down von der Lehrerin in Frage gestellt wird.10


Dreh- und Angelpunkt des Films scheint Roberta Sparrows wissenschaftliche Abhandlungüber Zeitreisen, The Philosophy of Time Travel, zu sein. Dieses Werk ist für die Handlunginsofern wichtig, als dass es den Erzählfluss des Films zum einen begleitet, aber auch formt,indem Auszüge aus entscheidenden Kapiteln eingeblendet werden. Diese kurzenfragmentarischen Texte dienen der Hypothesenbildung bezüglich der latenten Sinnstruktureninnerhalb der erzählten Geschichte und bilden dabei ein Theorienkonstrukt, welches alsBegleitlektüre zum Film gelesen werden kann. Es deutet zukünftige Geschehnisse an, fasstaber auch bereits Vergangenes erklärend zusammen und bleibt dennoch außerordentlichverwirrend, weil dem Zuschauer nur auszugsweise Einblicke in den philosophischen Textgewährt werden. Diese werden zwischen die Handlungseinheiten des Films eingeschoben,was wiederum bedeutet, dass die Theorie zum Film, das Rüstzeug zur Deutung der Handlung,erst am Ende des Films in der beabsichtigten Form vorliegt.Als besonders ergiebig zur Veranschaulichung der Wirkungsweise des Buches imFilm erscheint das letzte Kapitel des Buches zu sein (Kapitel 26). Die wahrscheinlich größteEnttäuschung der Erwartungshaltung des Zuschauers ergibt sich durch die Suggestion einesTraumes. <strong>Eine</strong>rseits wird in dem entsprechenden Text darauf verwiesen, dass Träume eine Artvon Ressentiments der Reise ins Paralleluniversum bedeuten können. Andererseits wäre esgenauso plausibel zu argumentieren, dass dieser Hinweis alles vorher Geschehene als bloßeTraumerscheinung degradiert. Damit wäre die Bedeutung des Versuches einer Rekonstruktionder inneren Sinnstrukturen im Buch und Film hinfällig und schließlich vollständig negiert.Wenn alles nur ein Traum wäre, müsste man gar nicht erst versuchen, diesennachzuvollziehen, da Träume, als Produkte des Unterbewussten, vollkommen frei sind vonjeglichen Werten und Moralvorstellungen. Zugespitzt könnte man sogar behaupten, dass derFilm insgesamt, durch seine permanent unruhige und verstörende Atmosphäre, erschaffendurch das Infragestellen jeglicher möglicher Axiome des Gesamtgefüges, bezogen auf dieimplizierte religiöse Ideologie, infolge dessen das Adjektiv böse verdient.Es erscheint naheliegend, dass gerade Donnies Physiklehrer, Dr. Kenneth Monnitoff,dieses bedeutungstragende Werk in die Handlung des Films einführt. Donnies auffälligesInteresse an Zeitreisen wundert diesen nicht, da er, wie vorhin erwähnt, als einer der wenigenErwachsenen erkennt, welches Potential in seinem Schüler steckt. Das Thema scheintKenneth schon länger zu beschäftigen, da er in der betreffenden Szene (Kapitel 11), nicht nurdie ‚Heilige Schrift’ der Metaphysik, nämlich Stephen Hawkins A Brief History of Time:From the Big Bang to Black Holes, bei sich trägt, sondern sogar Roberta Sparrows ThePhilosophy of Time Travel. In dieser Szene stellt sich heraus, dass diese, als ehemalige11


Physiklehrerin an Donnies Schule, eine ungewöhnliche Wendung im Leben durchlaufen hat.Sie war ursprünglich Nonne, wand sich jedoch über Nacht von der Kirche ab, um dasebengenannte Buch zu schreiben. The Philosophy of Time Travel hat von vornherein etwasMysteriöses an sich, einmal durch die ungewöhnliche Geschichte seiner Entstehung, aberauch durch Kenneths Bestehen auf Verschwiegenheit auf Seiten Donnies.Noch sensationeller erscheint die Tatsache, dass Donnies Handlungen insgesamt vonvermeintlichen Halluzinationen einer furchterregenden Erscheinung im Hasenkostüm namensFrank geleitet werden. „Was weißt du über Zeitreisen?“, fragt Frank Donnie in Kapitel 9 undschickt Donnie somit zu Kenneth. An dieser Stelle ergibt sich für den Zuschauer eine neuePerspektive, die auf die Möglichkeiten der Zeitreise, den physikalischen Zusammenhang vonRaum und Zeit aufzulösen, hinweist. In dieser Auffassung wären sowohl Vergangenheit alsauch Zukunft vom Zeitreisenden manipulierbar.Die Frage, ob Donnie tatsächlich Halluzinationen hat, kann vom Zuschauer logischnicht eingeordnet werden, da dieser genauso auf Irrwege geführt wird. Der Hase Frank wirdfür den Zuschauer gleichermaßen als real dargestellt, wie für Donnie. Festzuhalten ist hierbei,dass der Betrachter die Perspektive des Protagonisten nicht verlassen kann. Er ist somitgebunden an Donnies unzuverlässige Position im Verstehen seiner Welt. Daher wird Donnie,sowie dem Betrachter die Psychologin/Therapeutin Dr. Lilian Thurman (Katharine Ross)unterstützend zur Seite gestellt, um den unklaren Standpunkt Donnies im Leben zu erklärenund ihm zu helfen, die ‚Wahrheit’ von Trugbildern unterscheiden zu können.3.2 Psychologe – Patient VerhältnisDie Psychologin ist die einzige Person, der Donnie seine Halluzinationen anvertraut. ImGespräch mit ihr wird evident (Kapitel 6), dass Donnie sich sehr wohl dessen bewusst ist,dass Frank für den Rest seiner Mitmenschen nicht vorhanden ist. Dies begründet er, indem ereingesteht, diesen nur erfunden zu haben. Dadurch erhält der Zuschauer eine gewisse kritischeDistanz zu der vermeintlichen Sinnestäuschung Donnies. Zusätzlich bedeutet dies eineerneute Enttäuschung der Erwartungshaltung des Zuschauers, welcher besonders an dieserStelle annehmen könnte, Donnie sei Frank hilflos ausgeliefert. Donnie überrascht denZuschauer hierbei damit, dass er über seine Halluzinationen reflektieren kann, sie als solcheakzeptiert und demnach gleichzeitig innerhalb und außerhalb seiner Situation steht. DiePsychologin ihrerseits interpretiert die Beziehung zu Frank als imaginäre Freundschaft,12


welche in diesem Kontext als eine Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten des Patienteninterpretiert werden könnte. Die Idee des imaginären Freundes Frank könnte hierbei auch alseine intertextuelle Markierung bezüglich Mary Chases’ Theaterstück Harvey berücksichtigtwerden, in dem eine ähnliche Figur, ein menschengroßer unsichtbarer weißer Hase, denProtagonisten des Stücks begleitet (vgl. www.german.imdb.com: 27. September 2007). Fürdieses Problem zieht Lilian die therapeutische Methode der Hypnose heran (Kapitel 8 undKapitel 21), um in Donnies Unterbewussten die versteckten Motivationen, beruhend aufseinen Ängsten und Bedürfnissen, aufzudecken. Durch das hypnotische Verfahren hat sie dieMöglichkeit, Dinge über Donnie zu erfahren, die er sonst nicht preisgeben würde, wie zumBeispiel, dass er sowohl die Überflutung der Middlesex Ridge School, als auch für den Brandim Haus des ‚Lebenshilfegurus’ verantwortlich ist.An anderer Stelle (Kapitel 16) wird verdeutlicht, dass Donnie seine Therapeutin sogarbewusst belügt, um sich selbst zu schützen, indem er ihr verschweigt, die Waffe aus demSchlafzimmer seiner Eltern entwendet zu haben. Für den Zuschauer bedeutet dies, dass er dieAnnahmen und Schlussfolgerungen, die sich auf die Arbeit der Psychologin zurückführenlassen, wieder verwerfen muss. Hierin wird erneut die Abhängigkeit des Films von seinerRezeption sichtbar, welcher permanent darauf abzuzielen scheint, den Zuschauer in seinerErwartungshaltung zu verunsichern. Vielmehr wird anhand der Interaktionsszenen Donniesmit der Psychologin deutlich, wie diese dazu führen, die Heldenrolle des Protagonistenabzuschwächen und ihn damit zunehmend als einen recht unzuverlässigen ‚Erzähler’ zuporträtieren. In ähnlicher Weise verhält sich die Darstellungsweise der Psychologin. Sieerscheint gleichermaßen unzuverlässig, wenn sie einerseits seinen Eltern gegenüberbehauptet, Donnie leide an „paranoider Schizophrenie mit Tageslichthalluzinationen“ (vgl.Kapitel 13), andererseits Donnie gegenüber zugibt, er bräuchte seine Tabletten nicht mehreinzunehmen, da sie nur Placebos sind (vgl. Kapitel 21), obwohl im vorherigen Verlauf derGeschichte klar wird, dass Donnie schon verhaltengestört ist.Ebenso kündigt sich erzähltechnisch eine verstärkte Vermischung von Illusion undRealität an, die der Film als transparente Trennwand darstellt, die den Hasen von DonniesWelt trennt. Aber gerade durch die Tatsache, dass es Donnie in seiner Überlegenheit dennochzu gelingen scheint, die Trennwand zu durchbrechen, erlebt der Zuschauer eine wiederholteForm der Täuschung. Dies wird in Kapitel 13 gezeigt, als Donnie, bewaffnet mit einemMesser ins Badezimmer geht, um mutwillig in des Hasen Franks Sphäre einzudringen. Das‚tatsächliche’ Überschreiten der Grenze wird durch die Soundeffekte und das Aufleuchten desHasenauges suggeriert und an späterer Stelle sogar wieder aufgenommen, indem der Hase13


seine Maske abnimmt und der Zuschauer und Donnie die Verletzung sehen können. Dajedoch auf Donnies Frage „Was ist mit deinem Auge?“ (Kapitel 17) keine Antwort folgt, kannder Film wieder einmal den Zuschauer auf Irrwege führen, denn eine weitere Ursache fürFranks Verletzung könnte auch darin liegen, dass Donnie dem Jungen im Hasenkostüm mitder Waffe seiner Eltern ins Auge schießt (Kapitel 24).Hierbei erscheint es sinnvoll, die folgende Parenthese einzugliedern. Wie bereits anfrüherer Stelle erwähnt, wurde Donnies Vermögen, sich in andere Menschenhineinzuversetzen, bereits angezweifelt. Dies geschah im Hinblick auf die Interpretation vonRichard Adams’ Watership Down. Nun soll die Funktion dieser Szene aus einem anderenBlickwinkel beleuchtet werden. Der im Schulunterricht von der Englischlehrerin gezeigteZeichentrickfilmausschnitt (als Adaption des ebengenannten Werkes) beschreibt dasinterpretative Missverständnis der Hauptfigur (ein Hase) bezüglich einer erst als Metaphererscheinenden Bedrohung (das sich von der untergehenden Sonne blutrot färbende Feld).Obwohl die tatsächliche Gefahr noch nicht eingetreten ist, könnte man die Angst des Hasendarin begründet sehen, dass er in seiner Vision das Blutvergießen antizipiert. Hierbei wirdoffensichtlich das wörtlich mit dem allegorisch Gemeinten vertauscht. Da genau diesesAuseinanderhalten in der Literatur, sowie auch im wahren Leben, eine Grundvoraussetzungfür zwischenmenschliche Kommunikation ist, verwundert es den Zuschauer umso mehr, dassDonnie speziell bei der Interpretation dieser Szene versagt. Die Parallelen zu DonniesSituation könnten kaum offenkundiger sein.Was könnte dem zugrunde liegen? Mögliche Gründe wären, dass Donnies fabulierteWelt selbst keine Grenzen mehr zwischen Illusion und Realität aufweist, und er sich deshalban die Trennungen in der Literatur klammern will, um den Halt und jegliche Orientierungnicht zu verlieren. Zudem ist anzunehmen, dass er sich unbewusst weigert, sich mit den Hasenzu identifizieren, weil er eine enorme Angst vor seiner Phantasmagorie im Hasenkostümentwickelt hat. Man könnte sogar soweit gehen zu behaupten, dass der Hase Frank in seinerfratzenhaften Erscheinung allegorisch für die Dimension der Angst im Film steht. Da der Filmhier offenbar ein eher mit positiven Assoziationen behaftetes Sympathietier, das sogenannte‚unschuldige Häschen’, durch ein Skelettgesicht entfremdet, erhält die Figur Franks einekomplexere Funktion, die das Böse im Guten vereint. Parallel dazu könnten es die Charaktereim Film sein (wie z.B. Jim Cunningham), die hinter scheinbar friedlichen Gesichtern, einedunklere Seite ihrer Persönlichkeit verstecken, möge dies auf bewusstem oder unbewusstemWege geschehen.14


Hinsichtlich des gespaltenen Verhältnisses zur Relation von Illusion und Realität, könnte manauf einer tieferen Ebene darlegen, dass dieses auch Donnies Zerrissenheit auf seiner Suchenach Glaube und Wahrheit widerspiegelt und zusätzlich ungünstigerweise von seinerAdoleszenzkrise weiter intensiviert wird. Wie jeder Teenager befindet sich Donnie an einerkritischen Stelle des Übergangs zwischen kindlich sorgloser Naivität und verantwortlichemErwachsenendasein, getrieben von der Suche nach seiner eigenen Identität und seiner Rolleim Leben. Nichtsdestotrotz scheint diese von der allumfassenden Frage nach dem Glauben anGott ummantelt zu sein, welche darin zu begründen ist, dass ein Hauptteil derTherapiegespräche darum kreist. Dabei stellt die Therapeutin heraus, dass Donnie weder aneine Existenz, noch an eine Nicht-Existenz Gottes glauben kann, welches sie alsAgnostizismus einordnet. In seiner Anti-Haltung gegenüber jeglichen binärenOppositionspaaren, schließt er sich selbst aus dem sozialen Gefüge seiner Welt aus, ummöglichen Konfliktsituationen auszuweichen. Dieses könnte bedeuten, dass Donnie in dervom Film gezeigten von Entscheidungszwängen und Begründungsverpflichtungen geprägtenWelt nicht erwachsen werden möchte. Denn es ist offenkundig, dass sich durch das Treffeneiner Entscheidung, permanent Möglichkeiten ausschließen und man möglicherweise bessereEntscheidungen versäumt.Im Film wird der Weg, der auf eine Entscheidung folgt, anhand von den sogenannten„Gotteskanälen“, die Donnie zu erkennen meint, illustriert. Dieses Konzept scheint auf denersten Blick Gottes „Masterplan“ zu entsprechen, aber tatsächlich sind diese Kanäle dennochFranks Kontrolle unterworfen. Dieser Umstand entspricht der Unsicherheit des Zuschauers,da Donnie selbst keinen der vorher genannten beiden Standpunkte vertritt und er somit genauzwischen den genannten binären Oppositionen steht.Genauso scheint sich der Film zu verhalten, der keinen klaren Standpunkt zu denmöglichen Erklärungshypothesen einnimmt und die Verwirrung eher verstärkt, als sieaufzulösen. Damit könnte man die Annahme vertreten, der Sinn des Films löse sich gänzlichim ‚Weder-Noch’ auf. Dieses hieße, dass der Film selbigen agnostischen Standpunkt,unentschlossen zwischen Religion und Philosophie, vertritt. Für die Philosophie stündedemnach das Philosophy of Time Travel, wohingegen die Religion durch Jim CunninghamsAttitudinal Beliefs repräsentiert zu werden scheint. Dieses Buch, an welches sich Kitty Farmerwie an eine Bibel klammert, beinhaltet feste Glaubensinhalte, die wie eine religiöse Doktrinverehrt werden und daher unveränderlich sind. Im Gegensatz dazu stünde die Philosophie, dieauf ständiger Suche nach neuen Ansätzen zur Erkenntnis, ewig dynamisch bleibt und sichsomit die Möglichkeit einräumt, die ‚Wahrheit’ im Lichte einer sich ständig verändernden15


Welt einzufangen. Wieder einmal verhält sich der Film parallel zu dem Vorhergesagten, da erpermanent Erwartungshaltungen enttäuscht und immer wieder neue Wege findet, um sichvermeintlich selbst zu erklären.Insgesamt scheinen sich Donnies Gespräche mit seiner Therapeutin der Sinnfindungzu widmen, da er sich an einer kritischen Schnittstelle in seinem Leben befindet und sichvorgeblich in der Unübersichtlichkeit seiner Möglichkeiten verirrt sieht. Die Psychologinversucht ihm bei seiner Entscheidung beratend zur Seite zu stehen, muss aber am Ende(Kapitel 21) bekennen, dass sie hinsichtlich der komplexen Umstände kapitulieren muss. DerZustand, dass Donnie ausschließlich Franks Anweisungen folgt, bleibt somit unverändert.Dem letzterem gelingt es sogar, diese intime Sphäre der Patient – Therapeut Beziehung zudurchdringen, indem er Donnie selbst in ihrem Behandlungszimmer aufsucht.3.3 Vater – Sohn VerhältnisInteressanterweise figurieren sich im Charakter Eddie Darko genau diese entgegen gesetztenTendenzen zu einer Einheit. In seiner jugendlich verspielten Art, verkörpert er die Form eineridealen Überwindung der Adoleszenzkrise, indem er auf besondere Weise das rebellischeinnere Kind mit dem kompromissbereiten und gesellschaftlich angepassteren Erwachsenenversöhnt. Spannend ist hierbei, dass die vorher durch den Film suggerierte Hypothese, diePsychologin sei die Vertrauensperson, auf die sich Donnie am meisten verlassen kann,revidiert werden muss, da der Vater Donnie eine viel bessere Stütze anzubieten scheint. Ausdem Gespräch der beiden ergibt sich, dass Eddie seinen Sohn auf eine intuitive Art weitausbesser als die Meisten verstehen kann, zumal er sogar zugibt, sich selbst einmal in DonniesSituation befunden zu haben. In Kapitel 19 heißt es:Donnie: Dad, ich bin verrückt.Vater: Du bist nicht verrückt. Ich war mal verrückt. Aber du doch nicht! […] Hör zu, du bist meineinziger Sohn.Donnie: Ja, ich weiß.Vater: Nein warte. Es fällt mir oft schwer, mich richtig auszudrücken. Weißt du […] Pass auf,Donnie, was auch immer passieren wird, mit dir, bleib’ ehrlich. Auch wenn sie dich auslachen. Unddas werden sie! Du musst eines kapieren, mein Junge: dass all diese Leute Scheiße im Hirn haben – fastalle! Und die machen alle mit bei dieser Scheißverschwörung! Für’n Arsch! Und sie haben Angst vordir. Weil die Bettnässer wissen, dass sie dir nicht gewachsen sind. Weißt du, was man zu solchen Typensagt? Fickt euch!16


Auffällig hierbei ist Eddies häufige Verwendung von Kraftausdrücken, die offenkundig seineinnere Ablehnung gegen das ‚Establishment’ widerspiegelt. Dadurch wäre auch seine Näheund besondere Verbundenheit zu Donnie zu erklären. Die beiden scheinen regelrecht einBündnis einzugehen, um sich der Einfältigkeit von ‚Führungspersonen’ wie Jim Cunninghamund Kitty Farmer zu widersetzen. Der Vater hebt die wichtige Prämisse der Ehrlichkeithervor, darüber hinaus betont er die Kraft, ungeachtet der Reaktionen anderer, zu sich selbstzu stehen, um einen möglichst selbstbestimmten Weg im Leben einschlagen zu können.Dieses stellt die erwarteten sozialen Verhaltensmuster, die zur Überprüfung derüblichen Kategorien von Irrsinn und Normalität dienen, nicht nur in Frage, sondern vielmehrsogar verdreht. Wenn nicht Donnie, der sich von Halluzinationen von einem übermächtigen‚Horrorhasen’ dazu verleiten lässt, regelmäßig nachts das Haus zu verlassen, nur um amnächsten Morgen irgendwo wieder aufzuwachen, darüber hinaus die Schule zu fluten, imFolgenden das Haus des ‚Lebenshilfeexperten’ in Brand zu stecken und über absurdeTheorien der Metaphysik nachzugrübeln, ‚verrückt’ ist, und die einzige Antwort seinesVaters, bezüglich Donnies antiautoritärer Haltung, generelles Amüsement ist - wer gilt dannnoch als ‚verrückt’? Und wenn diese beiden als ‚normal’ gelten, was sind dann alle anderen?Und was ist mit den Zuschauern, denen damit gleichsam unterstellt werden würde, sie seienwomöglich ebenfalls ‚verrückt’?Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass der Vater das Verhalten seines Sohnes imWesentlichen legitimiert. Gleichzeitig wird damit auch die Heldenrolle Donnies erneutverstärkt, die zuvor, in der Interaktion mit der Psychologin, in einer abgeschwächten Formdargestellt wurde. Für den Zuschauer reicht es an dieser Stelle schon aus, dass der Vaterbehauptet: „[Nein] du bist nicht verrückt“ und macht damit den auftretenden Konflikt zumProblem der anderen. Der Vater sieht Donnie als den einzigen an, der neben ihm, die innerenStrukturen und Mechanismen der Welt durchschaut und sich nicht blind wie alle anderen, ausAngst vor dem Unbekannten, hinter einem vereinfachten Lebenskonzept verstecken, indemsie jeder möglichen Erkenntnis mit einer ablehnenden Haltung begegnen, diese verdrängenund sich selbst belügen, während sie ihr Verhalten in die scheinbare Hülle der Liebeverpacken.17


3.4 Wahrheit –IllusionDie Wiederaufnahme des Konzepts des Protagonisten als Held wird jedoch in dennachfolgenden Szenen immer alternierend vorangetrieben: eine Szene stellt ihn als Heldendar, die nächste entlarvt seine Schwächen. Dieses erstreckt sich bis zum Ende des Films undintendiert, den Zuschauer immer wieder auf die falsche Fährte zu führen. Durch dieses‚Wahrheit – Täuschungsmodell’ werden diese Kräfte im Film immer wieder gegeneinanderausgespielt. Parallel dazu kann die Beziehung zwischen der offenen und latenten Ebene, diesich ebenfalls in einem ständigen Wechsel dem Zuschauer offenbaren, gesehen werden. JedesMal, wenn der Rezipient vermutet, er hätte die latente Ebene mit ihren verstecktenSinnstrukturen endlich erreicht, entzieht sich ihm diese gleichsam wieder durch eineüberraschende Dekonstruktion im Film, die ihrerseits vollkommen andere Hypothesenerfordert. Der Rezipient kann schlussendlich nie ganz auf die latente Ebene zugreifen.Dieser Vorgang soll, durch das Hindeuten auf divergierende innere Sinnstrukturen imFilm, den Zuschauer lehren, den Begriff der ‚Wirklichkeit’ als einen pluralistischenanzuerkennen und ihm somit das Verständnis sozialer Konzepte als Konstrukte zu vermitteln.In diesem Prozess steht sich der Rezipient selbst gegenüber. Er ist durch das verstörendeWirken des Unbekannten im Bekannten gewissermaßen gezwungen, eine selbstreflektierendeHaltung einzunehmen, wobei auch das Bekannte im Unbekannten gleichermaßenbeunruhigend wirken kann. Für das Letztere bietet sich eine erneute Veranschaulichung,anhand der Rolle des Hasen an. Dieses vermeintlich unschuldige Geschöpf wirkt durch dieTatsache hochgradig verstörend, dass es sich gänzlich ‚hasenuntypisch’ verhält. Außer deroberflächlichen Gemeinsamkeit bezüglich der äußeren Erscheinung, gibt es keine weiterenReferenzen zu Hasen. Daher kann das Zeichen, für welches das Hasenkostüm stehen könnte,vom Rezipienten nicht sinnvoll erklärt werden. Es gibt sozusagen keinen Grund, warumFrank in der Gestalt eines Hasen auftritt. Dies wird dem Zuschauer in der Szene (Kapitel 17)nahegelegt, in der Donnie Frank die simple Frage stellt, warum er das „blöde Hasenkostüm“trage? Der Zuschauer, der schon seit Langem eine erklärende Antwort auf diese Frageersehnt, wird gleichwohl durch Franks Gegenfrage zum wiederholten Male verwirrt: “Warumträgst du das blöde Menschenkostüm?“. Dies wiederum regt den Zuschauer womöglich zuSpekulationen hinsichtlich der ‚wahren’ Gestalt Donnies an. Ist hierbei anzunehmen, Frankwisse etwas, welches wir als Zuschauer noch nicht sehen können? Trägt Donnie selbst einKostüm, um sich zu verkleiden?18


Das Unbekannte im Bekannten hingegen kann vielleicht am Treffendsten am Beispiel desplötzlichen Einstürzens der Turbine in das Wohnhaus der Darkos verdeutlicht werden. Eskann nicht erklärt werden, woher die einzelne Turbine kommt. Damit wird sie herausgelöstaus dem bekannten Kontext eines Flugzeugabsturzes, da das dazugehörige Flugzeug nichtaufzufinden ist. Die Turbine stürzt unvermittelt aus dem Ungewissen in die Welt des Heldenein und bringt dadurch den ‚Stein der Suche nach den latenten Sinnstrukturen im Film insRollen’. Die Absurdität dessen wird überlagert von den folgenden noch geheimnisvollerenEreignissen, die den Zuschauer das unerklärbare Einstürzen der Turbine fast vergessen lassen.Die Charaktere des Films selbst tragen dazu bei, das Geheimnis unter der offenen Ebene derweiteren Handlung zu vergraben, denn keiner, außer Donnie selbst, stellt die mysteriöseHerkunft der Turbine weiter in Frage. Erst im Finale wird die Turbine noch einmalaufgegriffen. Das vermisste Flugzeug fügt sich in Gestalt einer kurzen Sequenz, DonniesMutter und kleine Schwester in der dazugehörigen Kabine zeigend, ins Bild, nur umletztendlich dennoch nicht zur isolierten Turbinenproblematik zu passen. Der Zuschauer, derbewusst oder unbewusst seit dem Anfang des Films (Kapitel 3) auf eine mögliche Erklärungihrer Herkunft wartet, mag sich zunächst mit dieser vorläufigen Entflechtung der Bündelungder Ereignisse zufriedenstellen, nur um sich wenig später an der wieder auftretendenTurbinenproblematik erneut reiben und scheitern zu müssen. Dies geschieht in Form einer fastidentischen Sequenzwiederholung der ersten Turbinenszene mit einem alternativen Ende, indem gezeigt wird, wie der Held stirbt. Die vermeintliche Entflechtung wird damit wiederaufgehoben, dass die Mutter in der folgenden Szene die gleiche Position wie in derursprünglichen Version der Szene einnimmt. Logischerweise kann sie nicht gleichzeitig ander Ursache und Wirkung des Geschehens teilnehmen. Somit müsste abschließend die einzigemögliche Erklärung, eine absurde Vorstellung bleiben, die nur damit zu belegen wäre, wennman von der Annahme der Möglichkeit des Reisens zwischen Paralleluniversen ausginge.Innerhalb dieses Erklärungsansatzes, würde sich der Kreis der Ereignisse durch dasZurückreisen in der Zeit wieder schließen und zugleich erneut von vorn beginnen. Der Film‚endet’ in seinem eigenen neukonstruiertem Anfang, was an sich schon ein Paradoxonbedeuten würde. Dem Zuschauer bleibt keine andere Wahl, als die auf den Widersinnberuhende Erklärungsmöglichkeit anzunehmen, um überhaupt eine ‚erlösende’ Lesart desFilms aufrechterhalten zu können.19


4. FazitAnhand der objektiven Hermeneutik wurde am Einzelfall des Films Donnie Darko versuchtaufzuzeigen, dass die Erwartungshaltungen der Rezipienten von den inneren Strukturen desFilms geleitet und somit zugleich manipuliert werden. Typische Hollywood-Blockbusterwecken bestimmte Antizipationen lediglich, um sie im späteren Verlauf des Films zu erfüllen.Interessant dabei wäre ‚nur’ zu untersuchen, wie dieses geschieht. In diesem Falle verlässt derZuschauer den Kinosaal meist mit einem zufriedenen Gefühl der Bestätigung seiner durch dasPrisma des Films gefilterten und widergespiegelten Weltanschauung. Es nimmt dann nichtwunder, dass er in diesem Prozess auf bereits Bekanntes stößt, welches ihn darin bestätigt,sich normenkonform zu verhalten. Damit wäre seine kulturelle Sozialisation nicht nurbewährt, sondern auch aufgewertet. Zugespitzt könnte man behaupten, der Zuschauer gehedemnach nicht hauptsächlich deswegen ins Kino, um etwas vornehmlich Neues zu sehen,sondern lediglich um sein soziokulturelles Gedächtnis abzurufen und die Übereinstimmungmit der Kinoversion zu zelebrieren.Das Fallbeispiel Donnie Darko bricht in hervorstechender Weise mit dieserallgemeinen Praxis, indem es, ausgehend von der Annahme einer immer schon symbolischvorstrukturierten Wirklichkeit, sich bewusst gegen eine singuläre Deutungsmöglichkeit desZusammenspiels vom Gezeigten, Gesagten, Gesprochenen und Gemeinten des Film stellt. DerFilm spielt bewusst mit der Erwartungshaltung der Zuschauer und enttäuscht diese mitwiederkehrender Regelmäßigkeit. Steven Johnson spricht hierbei von einem so genannten„positive brainwashing“ (Johnson 2005: 13). Den Zuschauer betreffend, birgt dies eine höhereBereitschaft zur Mitgestaltung im Interpretationsprozess und eine größere Forderung seinerintellektuellen Fähigkeiten. Im Vergleich zu der tendenziell passiven Rolle eines BlockbusterKinobesuchers, sieht sich der Rezipient im Falle Donnie Darkos gezwungen, sich den Filmauf individuelle Weise selbständig zu konstruieren. Da die vermeintlich unterstützendenHinweise in einer kryptischen Form auftauchen, muss man den Film zwangsläufig mehrmalsaufmerksam verfolgen, um wirklich alle Hinweise in ihrer Komplexität zu erfassen, wasjedoch kein Garant für eine sinnstiftende Deutung ist.Dieser, in das Verstehen des Films investierte hohe Arbeitsaufwand, erklärt auch diegroße Fangemeinde des Films im Internet. Motiviert von den ersten Erfolgen der eigensentwickelten Theorie, wenden sich diese Fans akribisch allen verfügbaren Details zu undvergleichen ihre Ergebnisse und Theorien im Internet, wo sie in diversen Diskussionsräumenüber scheinbar unlösbare Probleme des Films hitzige Debatten abhalten können. Dieses hat20


einen permanenten Austausch von neuen Denkansätzen zur Folge. Da im Endeffekt dieTheorienbildung dermaßen individuell verläuft, bleibt der Prozess der ‚Wahrheitsfindung’jedoch unabgeschlossen, dem Ansatz der objektiven Hermeneutik entsprechend,gewissermaßen immer offen.In diesem ähnelt die fortlaufende Interpretation des Films eher der Analyse vonliterarischen Werken, die von verschiedenen literaturkritischen Perspektiven beleuchtetwerden. Postmoderne Ansätze bieten sich hierbei bestens an, da das freie Spiel der Zeichenerlaubt, von jedem einzelnen Betrachter unterschiedlich gedeutet zu werden. Damit lädt es einNebeneinander von Meinungen ein, die unabhängig voneinander ihre Berechtigung finden. Eshat sich herausgestellt, dass die Semiotik des Films im Laufe der Analyse eine besondereRolle dabei gespielt hat, den Zuschauer zu lenken, um sich die ‚Wahrheit’ aus dem Filmselbst herauszuarbeiten. Der Film kann dadurch nicht als ein geschlossenes Systemverstanden werden, da es ein Geflecht mehrerer, gleichwertiger Wahrheitsmodelle darbietet.Sinnbildlich dafür können im Film die Paralleluniversen stehen. Da man zu jedem möglichenZeitpunkt seines Lebens eine andere Entscheidung hätte treffen können, gibt es eineunendliche Vielzahl an möglichen Paralelluniversen, in denen diese alternativen Versionendes Lebens stattfinden. Die Idee eines sogenannten ‚Primäruniversums’ wäre aus dem Grundebedeutungslos, da wir Menschen gerade nicht zwischen den Paralleluniversen wechselnkönnen, um mehrere Konsequenzen unserer Entscheidungen auszuprobieren. Unterdessenwäre uns jedoch die reine Existenz mehrerer gleichzeitiger Entscheidungsmöglichkeiten imLeben dennoch bewusst. Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive lässt sich hierbei daszeitgenössische, im Zuge des Poststrukturalismus entstandene Erklärungsmodell anführen,das das heteronome Verhältnis zwischen Original und Kopie (Primäruniversum -Paralleluniversum) zugunsten einer gleichberechtigteren Beziehung revidiert hatte, in welcherder Wortsinn des Begriffs Original sich gänzlich in die Bezeichnung der Kopie der Kopie(Paralleluniversum - Paralleluniversum) auflöste.Abschließend lässt sich sagen, dass die anfangs aufgestellte These im Rahmen derAnalyse hermeneutisch erörtert werden konnte, und sich angesichts der ausgesuchtenBegriffskonstellation und Problematik als besonders ertragreich erwiesen hat.21


LiteraturverzeichnisBaacke, D.(Hrsg.), ‚Qualitative Medienforschung’, ‚Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 1989Bergmann, J.(Hrsg.), ‚Qualitative Methoden der Medienforschung’, Rowohlt TaschenbuchVerlag, Reinbek bei Hamburg, 2006Flick, Uwe, ‚Qualitative Forschung: Theorie, Methoden, Anwendung in Psychologie undSozialwissenschaften’, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2000Geisenhanslüke, A., ‚Einführung in die Literaturtheorie: Von der Hermeneutik zurMedienwissenschaft’, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2004Garz, D. und Ackermann, F., ‚Objektive Hermeneutik’. In: ‚Qualitative Methoden derMedienforschung’, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2006Hagenbüchle, W., ‚Narrative Strukturen in Literatur und Film’, Verlag Peter Lang, Bern,1991Johnson, S., ‚Everything Bad is Good for You’, Penguin Group, London, 2005Kelly, R., ‚Donnie Darko’ (Director’s Cut), Newmarket Films, 2004Schneider, R.(Hrsg.), ‚Literaturwissenschaft in Theorie und Praxis: <strong>Eine</strong> anglistischamerikanistischeEinführung’, Gunter Narr Verlag Tübingen, 2004Vogt, J.(Hrsg.), ‚Einladung zur Literaturwissenschaft’, Wilhelm Fink Verlag GmbH & Co.KG, Paderborn, 2002Wulff, H. J., ‚<strong>Filmanalyse</strong>’. In: Bergmann, J. (Hrsg.), ‚‚Qualitative Methoden derMedienforschung’, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2006Wuss, P., ‚<strong>Filmanalyse</strong> und Psychologie: Strukturen des Films im Wahrnehmungsprozess’,Rainer Bohn Verlag, Berlin, 1993http://www.german.imdb.com (27. September 2007)

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