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Heilen durch Fasten - Verein Natürlich leben

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Märchen zum NacherzählenVom Tränenkrugeine Überlieferungaus Galizienerzählt von Helmut WittmannVor langer, langer Zeit, war‘s gestern, oder war‘s heut‘,da lebte in einem kleinen Dorf eine Frau. Die war infreudiger Erwartung. Sie wusste, sie würde bald einKind in die Welt setzen, und das noch vor Weihnachten.So geschah es denn auch. Zu Beginn des Adventssetzte sie ein Mädchen in die Welt. Jetzt das Glückvollkommen. Das Neugeborene war für die Frau ihrEin und Alles.Bald nach der Geburt aber wurde das Kind krank. DieMutter kümmerte sich aufopfernd um ihr Kleines.Dem Mädchen ging es aber bei aller Fürsorge immerschlechter. Kein Doktor und kein Bader konnten helfen.Das Mädchen siechte dahin und schließlich starbes. So groß vorher bei der Frau die Freude gewesenwar, so viel größer war jetzt die Verzweiflung.Die arme Frau fand in ihrem Kummer keine Ruhemehr. Tag und Nacht weinte sie um ihre Tochter. Wochenund Monate ging das so dahin.Die Nachbarn sagten schließlich zu ihr: »Hör dochauf zu weinen! - Deine Tochter kommt nicht mehrzurück. Lass ihr lieber ihren Frieden.«Es heißt nämlich, dass die Toten keine Ruhe finden,wenn die Lebenden gar zu viel sie trauern.Jede und jeder Tote hat einen Krug. DieTränen der Lebenden sammeln sich darin.Je mehr die Lebenden also weinen,desto voller und desto schwerer wird derKrug.Die Frau hörte in ihrem Kummer aber nicht aufdie Nachbarn. Weiter beweinte sie den Tod ihrerTochter - Tag für Tag.Das Jahr verging.Schließlich stand wieder Weihnachten vor der Tür.Immer wieder ging die Frau hinaus auf den Friedhofund klagte am Grab ihrer Tochter.Einmal war sie spät am Abend wieder am Weg hinaus.Da kommt in der sternenklaren Nacht ein Wind auf.Die Frau traut ihren Augen nicht: Durch die Luftzieht eine sonderbare Schar daher!Voraus eine strahlende Frau, mit leuchtendem Gewandund wehenden Haaren. Hinterdrein eine ScharKinder. In einem langen Zug folgen sie der Frau.Hand in Hand gehen sie und haben dabei nur Leinenhemdenan.Die Frau wusste sofort: Das muss die Frau Perchtsein, und hinter ihr das sind gewiss die unschuldigenKinder. »Unschuldige Kinder« nennt man Kinder, diegleich nach der Geburt sterben, noch bevor sie einenNamen bekommen haben. Die Frau Percht ist ihreSchutzfrau.Diese Schar zieht vor allem in den Raunächten, zwischender Thomasnacht zur Wintersonnwende unddem Dreikönigsfest, über das Land.Hinterdrein stolperte noch ein Kind daher. SeinLeinenhemd war <strong>durch</strong> und <strong>durch</strong> nass. Mit beidenHänden hielt es einen großmächtigen Krug. Der warrandvoll. Immer wieder schüttete es sich damit an.Jetzt wurden die Augen der Frau gleich noch größer.Das ist ja ihr Kind!»Mein liebes Kindl«, rief sie fassungslos: »Wie gehtes dir denn!?«»Ach, Mutter«, jammerte das Kind, »warum weinstdu denn so viel um mich? - Siehst du denn nicht, dassich den Krug kaum mehr schleppen kann. Deine Tränenfüllen ihn immer wieder an. Ich bitte dich: Hörauf mit deiner Weinerei!«Gefasst wischte sich die Mutter die Tränen ab. »Habkeine Angst, mein liebes Patschwascherl«, sagte siedann: »Jetzt, wo ich mit dir geredet habe, ist mirleichter. Du sollst deinen Frieden haben.«Da drehte sich die Frau Percht um zu den Zweienund lachte: »Patschwascherl!? - Du hast dein KindPatschwascherl genannt. So hat es jetzt einen Namenbekommen und es ist erlöst.«Da war die Mutter gleich umso glücklicher. Sie hättejauchzen können, so viel leichter war ihr.Der Zug verschwand langsam in der Nacht. Die Frauaber dachte noch oft an ihr liebes Patschwascherl,und das voller Freude, denn sie wusste:Ihr Kind war jetzt erlöst. Es hatte seinen Frieden gefunden.»Das Große Buch der Österreichischen Volksmärchen«,zusammengetragen und neu erzählt von Helmut Wittmann,Ibera Verlag, Wien, erhältlich überall im Buchhandel.ISBN 978-3-85052-208-3Weitere Infos zu Büchern und CDs, Hörproben und Erzähltermineunter www.maerchenerzaehler.at<strong>Natürlich</strong> Leben 29

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