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1 Bernhard Müßgens Musik und Tanz in der Schule und die ... - IMPG

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1<strong>Bernhard</strong> <strong>Müßgens</strong><strong>Musik</strong> <strong>und</strong> <strong>Tanz</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> Entwicklung e<strong>in</strong>er Lerndiagnostik für Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>Sehr geehrte Damen <strong>und</strong> Herren, liebe Kolleg<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Kollegen!Sie sehen während me<strong>in</strong>es Vortrags Videomitschnitte aus <strong>Tanz</strong>projekten an <strong>der</strong> UniversitätOsnabrück unter Beteiligung Stu<strong>die</strong>ren<strong>der</strong> aller an <strong>der</strong> Osnabrücker Lehrerausbildung mitwirkendenUnterrichtsfächer. Die Stu<strong>die</strong>renden entwickeln mit K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen erster bis zehnterSchulklassen immer neue, eigene Tänze. Die hier gezeigten <strong>Schule</strong>n bef<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong>Nie<strong>der</strong>sachsen, also im Nordwesten Deutschlands. Die Rahmenrichtl<strong>in</strong>ien <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sachsen für dasUnterrichtsfach <strong>Musik</strong> schreiben für <strong>die</strong> ersten vier Gr<strong>und</strong>schuljahre, auf <strong>die</strong> ich mich währendme<strong>in</strong>es Vortrags beziehe, „Hören <strong>und</strong> S<strong>in</strong>gen sowie Bewegung <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit <strong>Musik</strong>“ vor. Inden <strong>Musik</strong>richtl<strong>in</strong>ien für <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>schule steht s<strong>in</strong>ngemäß: Durch Bewegung lassen sich Formen<strong>und</strong> Strukturen <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> erfahren, Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler lernen darüber h<strong>in</strong>aus, ihren Körperbewusst e<strong>in</strong>zusetzen <strong>und</strong> eigene Bewegungsabläufe nach musikalischen Vorgaben zu koord<strong>in</strong>ieren.Als Kompetenz wird am Ende von Schuljahrgang zwei für den Bereich Bewegung zur <strong>Musik</strong>erwartet, dass <strong>die</strong> Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler e<strong>in</strong>fache Bewegungsgestaltungen zur <strong>Musik</strong> ausführenkönnen. Am Ende <strong>der</strong> Klasse 4 sollen sie sich auf e<strong>in</strong> Metrum bezogen „komplexer“ als zuvor <strong>und</strong>„ganzkörperlich“ zur <strong>Musik</strong> koord<strong>in</strong>iert bewegen. Das Curriculum betrachtet demnach <strong>die</strong> zeitlicheDimension, Metrum <strong>und</strong> Rhythmus <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> als musikalische Vorgabe. [Vgl. Kerncurriculum für<strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>schule: Schuljahrgänge 1-4, hg. vom Nie<strong>der</strong>sächsischen Kultusm<strong>in</strong>isterium (2006), dasKerncurriculum kann als PDF-Datei vom Nie<strong>der</strong>sächsischen Bildungsserver (NIBIS) unterhttp://db2.nibis.de/1db/cuvo/ausgabe/ heruntergeladen werden.]Die gezeigten Videomitschnitte entsprechen demnach den <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sachsen aktuell gültigen<strong>Musik</strong>curricula. Die eigentlichen Ziele <strong>der</strong> ausgewählten Unterrichtsst<strong>und</strong>en liegen aber ausverschiedenen Gründen, <strong>die</strong> ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Vortrag ausführen möchte, am Rande <strong>und</strong> sogaraußerhalb <strong>der</strong> Curricula für das Unterrichtsfach <strong>Musik</strong> im <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Bereich zwischen<strong>Musik</strong>pädagogik, Bewegungswissenschaft, <strong>und</strong> Entwicklungspsychologie [Vgl. <strong>Müßgens</strong>, B.(2012). „Soziale <strong>und</strong> emotionale För<strong>der</strong>ung durch <strong>Musik</strong> <strong>und</strong> <strong>Tanz</strong> an <strong>Schule</strong>n“. In: Fischer, C.,Fischer-Ontrup, C. u.a.: Individuelle För<strong>der</strong>ung multipler Begabungen. Fachbezogene For<strong>der</strong>- <strong>und</strong>För<strong>der</strong>konzepte. Münster: Lit, Seite 63ff.]. Zunächst unterstützen <strong>und</strong> för<strong>der</strong>n <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden, <strong>die</strong>wir hier sehen, <strong>die</strong> Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler e<strong>in</strong>er zweiten Klasse <strong>in</strong> ihren rhythmischenBewegungen zu e<strong>in</strong>em Klavierwerk von John Cage mit dem Titel „In a Landscape“ aus dem Jahr1948. Später während me<strong>in</strong>es Vortrags hören Sie e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> Orchesterwerke aus dem 1988begonnenen Zyklus <strong>der</strong> Zahlenstücke, an dem John Cage <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en letzten Lebensjahren arbeitete.Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> nutzen dabei noch differenzierter <strong>und</strong> flexibler ihren Bewegungsfluss, ihre Kraft <strong>und</strong> <strong>die</strong>räumlichen Gestaltungsmöglichkeiten ihrer Bewegungen. E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Gründe dafür: Die Zahlstückevon John Cage s<strong>in</strong>d metrisch ungeb<strong>und</strong>en. Das gibt K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Stu<strong>die</strong>renden zusätzlichenFreiraum, weitgehend gleichberechtigt alle vier gr<strong>und</strong>legenden Bewegungsantriebe e<strong>in</strong>zusetzen:den Raum, <strong>die</strong> Zeit, <strong>die</strong> Kraft <strong>und</strong> den Bewegungsfluss.Die Stu<strong>die</strong>renden spiegeln <strong>die</strong> Bewegungen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> zur <strong>Musik</strong> <strong>in</strong> verschiedenenRaumdimensionen. Da ist zunächst <strong>die</strong> horizontale Ebene, <strong>die</strong> auch Tischebene genannt wird, <strong>und</strong><strong>die</strong> das Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d bereits im ersten Lebensjahr erk<strong>und</strong>et; <strong>die</strong> Ebene des Erforschens, <strong>der</strong>Kommunikation <strong>und</strong> des Vertrauens, kognitiv <strong>die</strong> Ebene <strong>der</strong> Assoziation, wenn wir uns mit<strong>in</strong>direktem Raumfokus tendenziell suchend <strong>und</strong> erspürend ausbreiten <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ebene <strong>der</strong>Konzentration beim Verschmälern <strong>der</strong> Körperform mit direktem Fokus, etwa mit Blick auf e<strong>in</strong>Objekt <strong>in</strong> Körpernähe.Die Ebene des zweiten Lebensjahres ist <strong>die</strong> Vertikale, auch Türebene genannt, kognitiv <strong>die</strong> Ebenedes Vergleichs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bewertung, auch <strong>der</strong> Inspiration mit Leichtigkeit nach oben <strong>und</strong> <strong>der</strong>Def<strong>in</strong>ition mit bewusstem Krafte<strong>in</strong>satz nach unten. In <strong>der</strong> körpersprachlichen Interaktion machenwir mit Leichtigkeit nach oben auf uns aufmerksam, mit bewusster Kraft nach unten setzen wir uns


2durch o<strong>der</strong> for<strong>der</strong>n Kooperation.Und schließlich <strong>die</strong> Sagittale, auch Radebene genannt, <strong>die</strong> Ebene des drittens Lebensjahres,kognitiv <strong>die</strong> <strong>der</strong> Entscheidung <strong>und</strong> des planvollen <strong>und</strong> bewussten Handelns mit zeitlicherVerzögerung nach vorne <strong>und</strong> <strong>der</strong> Reflexion <strong>und</strong> Bes<strong>in</strong>nung auf Vergangenes mit sichbeschleunigen<strong>der</strong> Bewegung rückwärts.[Vgl. Kestenberg Amighi, J., Loman, S., Lewis, P. & Soss<strong>in</strong>, K.M. (1999). The Mean<strong>in</strong>g ofMovement. Developmental and Cl<strong>in</strong>ical Perspectives of the Kestenberg Movement Profile.Amsterdam: OPA, 161ff.]Die Stu<strong>die</strong>renden berücksichtigen darüber h<strong>in</strong>aus <strong>die</strong> E<strong>in</strong>stellungen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> zur Zeit: ob siegegen den Zeitverlauf ankämpfen o<strong>der</strong> <strong>die</strong> Dauer <strong>der</strong> <strong>Musik</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bewegung genießen <strong>und</strong>erspüren; den Bewegungsfluss - ob er frei <strong>und</strong> ungeb<strong>und</strong>en ist, wenn <strong>die</strong> Bewegung vomKörperzentrum ausgeht, o<strong>der</strong> geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> überwiegend kontrolliert, wenn sie von <strong>der</strong> Peripherieausgeht <strong>und</strong> zur Körpermitte zielt. Darüber h<strong>in</strong>aus beachten sie den bewussten Krafte<strong>in</strong>satz bzw. <strong>die</strong>Leichtigkeit <strong>der</strong> Bewegung <strong>und</strong> den Umgang des K<strong>in</strong>des mit dem eigenen Körpergewicht.Sem<strong>in</strong>are wie <strong>die</strong>se f<strong>in</strong>den seit Jahren regelmäßig statt. In jedem Sem<strong>in</strong>ar gibt es zwischen vier <strong>und</strong>sechs Schulterm<strong>in</strong>en. In den übrigen circa zehn Sem<strong>in</strong>arsitzungen reflektieren <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden mitmir <strong>und</strong> mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ihre Erfahrungen mit sich selbst <strong>und</strong> mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. AusgewählteVideomitschnitte helfen ihnen dabei. Die Schulterm<strong>in</strong>e dauern im Schnitt 90 M<strong>in</strong>uten <strong>und</strong> umfassenritualisiert am Anfang geb<strong>und</strong>ene <strong>Tanz</strong>formen, zum Beispiel e<strong>in</strong>fache Paarkreistänze. Diesegeb<strong>und</strong>enen Tänze werden schrittweise durch Improvisationsteile erweitert. Improvisationenkönnen aus Spiegelbewegungen entstehen. Wir unterscheiden <strong>in</strong>sgesamt acht Kategorienspiegelförmiger körpersprachlicher Interaktionen zwischen K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> Erwachsenem. Jede Kategoriehat e<strong>in</strong>e spezifische psychische <strong>und</strong> kommunikative Funktion. [Vgl. Eberhard Kaechele, M. (2010):Spiegelungsvorgänge <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Tanz</strong>therapie/Körperpsychotherapie. In: Ben<strong>der</strong>, S.: Bewegungsanalysevon Interaktionen – Movement Analysis of Interaction. Berl<strong>in</strong>: Logos, 193.] Die Stu<strong>die</strong>rendenlernen <strong>die</strong>se Funktionen im Sem<strong>in</strong>ar kennen <strong>und</strong> erproben sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Interaktion mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>und</strong> mitden K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Auf <strong>die</strong> Spiegelbewegungen folgen weitere Improvisationsformen, mit dem Gewicht,dem Bewegungsfluss, <strong>der</strong> räumlichen <strong>und</strong> <strong>der</strong> zeitlichen Dimension <strong>der</strong> Bewegung, zunächst zuzweit, dann <strong>in</strong> Gruppen von bis zu sechs K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> sechs Stu<strong>die</strong>renden. Am Semesterendekommt es nicht selten zu Improvisationen aller Stu<strong>die</strong>renden mit <strong>der</strong> ganzen Klasse.Je<strong>der</strong> Stu<strong>die</strong>rende betreut im Semesterverlauf e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> schreibt am Ende e<strong>in</strong>e Klausur o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>eHausarbeit über se<strong>in</strong>e Erfahrungen mit sich selbst <strong>und</strong> mit dem K<strong>in</strong>d. Aufgabe <strong>der</strong> Stu<strong>die</strong>renden istdabei unter an<strong>der</strong>em <strong>die</strong> E<strong>in</strong>schätzung des Lern- <strong>und</strong> Entwicklungsprozesses des (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel perLos) zugeteilten K<strong>in</strong>des. Diese E<strong>in</strong>schätzung erfolgt neben an<strong>der</strong>en Instrumenten mit Hilfe e<strong>in</strong>ervere<strong>in</strong>fachten Form des Kestenberg-Movement-Profiles. [Vgl. hierzu Ben<strong>der</strong>, S.: (2010): Diepsychophysische Bedeutung <strong>der</strong> Bewegung. E<strong>in</strong> Handbuch <strong>der</strong> Laban Bewegungsanalyse <strong>und</strong> desKestenberg Movement Profiles. Berl<strong>in</strong>: Logos.] Judith Kestenberg (1910 geboren als JudithSilberpfennig) wuchs als K<strong>in</strong>d wohlhaben<strong>der</strong> jüdischer Eltern <strong>in</strong> Polen auf, stu<strong>die</strong>rte Anfang <strong>der</strong>dreißiger Jahre <strong>in</strong> Wien Mediz<strong>in</strong> mit Schwerpunkten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Neurologie <strong>und</strong> Psychiatrie, entwickeltegroßes Interesse für <strong>die</strong> Psychoanalyse, emigrierte 1937 nach New York <strong>und</strong> arbeitete ab 1962 <strong>in</strong>e<strong>in</strong>er Forschergruppe aus K<strong>in</strong><strong>der</strong>psychiatern <strong>und</strong> Bewegungsexperten, <strong>der</strong> Sands Po<strong>in</strong>t MovementStudy Group, an e<strong>in</strong>er Langzeitstu<strong>die</strong>. Ziel war e<strong>in</strong> vertieftes Verständnis <strong>der</strong> Bedeutung vonBewegungen für <strong>die</strong> Entwicklung <strong>der</strong> k<strong>in</strong>dlichen Persönlichkeit. Ihr beson<strong>der</strong>es Interesse galtZusammenhängen zwischen dem k<strong>in</strong>dlichen Denken <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bewegung, <strong>die</strong> sie beide <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emtheoretischen Rahmen sah. Während ihrer Stu<strong>die</strong>n beriet sie Eltern sowie Therapeuten <strong>und</strong>Forscher, <strong>die</strong> mit K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> ihren Eltern arbeiteten.Im Vorwort zu Janet Kestenbergs „The Mean<strong>in</strong>g of Movement“ liest man e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Tochter 1996persönlich weiter gegebene Er<strong>in</strong>nerung von Hershey Marcus, e<strong>in</strong>em Mitglied <strong>der</strong> frühen SandsPo<strong>in</strong>t Gruppe. Mit Bezug auf dessen erste Begegnung mit ihrer Mutter berichtete er: „At the time Iwas the Director of Child Psychiatry at Hillside hospital. Dr. Judith Kestenberg was one of the


3supervisors of our fellows and we heard strange stories about how she would describe a specificmovement and its mean<strong>in</strong>g <strong>in</strong> or<strong>der</strong> to <strong>und</strong>erstand a child better. When I f<strong>in</strong>ally got to sit down andspeak to Judith about children I was a bit stiff. She already had a huge reputation as a child analyst,but I was a young psychiatrist then, a bit full of myself and arrogant. She said, 'Hershey let's crawl.You have to experience how to crawl <strong>in</strong> or<strong>der</strong> to <strong>und</strong>erstand a child.You cannot sit <strong>in</strong> a chair orstand up and <strong>und</strong>erstand it.' I looked at her and she started to crawl, so I started to crawl too andthere went my dignity.“ [Kestenberg Amighi, J (1999), Page viii]Judith Kestenberg war seit frühester K<strong>in</strong>dheit bestens vertraut im Umgang mit K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong>schwierigen Lebenssituationen. Ihre Mutter hatte vor dem Krieg <strong>in</strong> Tarnoff <strong>in</strong> Polen e<strong>in</strong> Waisenhausgeleitet. Nachdem <strong>die</strong> Familie Silberpfennig <strong>in</strong> den vierziger Jahren vom Holocaust zerstört wordenwar, betreute Kestenberg nach dem zweiten Weltkrieg <strong>in</strong> New York unter an<strong>der</strong>em K<strong>in</strong><strong>der</strong> vonHolocaustopfern. Als K<strong>in</strong>d, wie sie später berichtete, trotz e<strong>in</strong>er angeborenen RückenfehlstellungTänze lebhaft phantasierend <strong>und</strong> imag<strong>in</strong>ierend war sie als Erwachsene am <strong>Tanz</strong> mehr als nur<strong>in</strong>teressiert <strong>und</strong> stu<strong>die</strong>rte <strong>in</strong> New York, ab den vierziger Jahren Welthauptstadt des mo<strong>der</strong>nen<strong>Tanz</strong>es, Bewegungsanalyse <strong>und</strong> <strong>Tanz</strong>schrift bei Schülern des <strong>Tanz</strong>theoretikers, Pädagogen <strong>und</strong>Ausdruckstänzers Rudolf von Laban. Das nach ihr benannte Kestenberg-Movement-Profileentwickelte sie geme<strong>in</strong>sam mit Bewegungsexpert<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> -experten wie Irmgard Bartenieff,Warren Lamb <strong>und</strong> im Gespräch mit Sigm<strong>und</strong> Freuds Tochter Anna Freud. Ihre Tochter <strong>und</strong> <strong>der</strong>enSchüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler entwickeln das Kestenberg-Movement-Profile (KMP) <strong>in</strong> Sands Po<strong>in</strong>tnahe New York bis heute weiter. [Vgl. Ben<strong>der</strong>, S.: (2010) S. 333 f.]Zwischen <strong>der</strong> Geburt ihrer Tochter im Jahr 1946 <strong>und</strong> ihres Sohnes 1956 begann Judith Kestenbergmit jener Langzeitstu<strong>die</strong>, aus <strong>der</strong> das KMP entstand. Sie notierte Bewegungen von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n vomSäugl<strong>in</strong>gs- bis zum Jugendalter, zeichnete unter an<strong>der</strong>em <strong>die</strong> beständig wechselnden An- <strong>und</strong>Entspannungen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> als fortlaufende wellenartige Zeichen um e<strong>in</strong>e horizontale Gr<strong>und</strong>l<strong>in</strong>ieauf <strong>und</strong> nannte den Wechsel von freiem Fluss (oberhalb <strong>der</strong> horizontalen Gr<strong>und</strong>l<strong>in</strong>ie) <strong>und</strong>geb<strong>und</strong>enem Fluss (unterhalb <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>l<strong>in</strong>ie) den „Muskelspannungsfluss“ [Vgl. Ben<strong>der</strong> (2010) 9ff. sowie Kestenberg (1999) 23f.)]. Sie erkannte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bewegungsanalyse <strong>der</strong> von ihr beobachtetenPersonen erhebliche <strong>in</strong>dividuelle Unterschiede: sowohl situationsabhängig wechselndeSpannungsflusseigenschaften („tension flow attributes“) als auch klar zu unterscheiden<strong>der</strong>hythmische Muster [vgl. Kestenberg (1999) 59 ff.]. E<strong>in</strong>e Bewegung konnte etwa geb<strong>und</strong>en se<strong>in</strong>,das heißt kontrolliert <strong>und</strong> an je<strong>der</strong> Stelle <strong>der</strong> Bewegung abschließbar o<strong>der</strong> – wie bei kle<strong>in</strong>erenK<strong>in</strong><strong>der</strong>n öfter - im freien Muskelspannungsfluss kaum o<strong>der</strong> gar nicht kontrolliert. DerSpannungsfluss wechselte <strong>in</strong> rhythmischen Mustern, <strong>die</strong> sie <strong>in</strong> räumlichen, zeitlichen <strong>und</strong>dynamischen Kategorien genau beschrieb. Die jeweilige Bedeutung e<strong>in</strong>er Bewegung erschloss sichihr aus <strong>der</strong> Komb<strong>in</strong>ation des Rhythmus mit den jeweiligen Varianten <strong>der</strong> Bewegungsantriebe Raum,Zeit <strong>und</strong> Kraft:- räumlich direkt o<strong>der</strong> <strong>in</strong>direkt,- zeitlich genießend o<strong>der</strong> gegen den Zeitverlauf ankämpfend,- mit bewusster Kraft o<strong>der</strong> mit Leichtigkeit sowie- im freiem o<strong>der</strong> geb<strong>und</strong>enen Fluss.Im Laufe <strong>der</strong> folgenden Jahre <strong>und</strong> Jahrzehnte entstanden Notationen nahezu je<strong>der</strong> dem K<strong>in</strong>dmöglichen Körperbewegung e<strong>in</strong>schließlich des jeweiligen Bewegungsantriebs. Sie verwendete dazu<strong>die</strong> von Rudolf Laban im englischen Exil entwickelte Bewegungsnotation (<strong>die</strong> K<strong>in</strong>etographieLaban), e<strong>in</strong> komplexes Verfahren, das viel Übung erfor<strong>der</strong>te, vor allem aber den Blick auf das K<strong>in</strong>daufs äußerste schärfte. Die systematische Beobachtung k<strong>in</strong>dlicher Bewegungen <strong>und</strong>Bewegungsantriebe schulte <strong>und</strong> differenzierte aber auch (<strong>und</strong> das ist für <strong>die</strong> Ausbildung unsererStu<strong>die</strong>renden von beson<strong>der</strong>er Bedeutung) <strong>die</strong> Wahrnehmung eigener Bewegungsmuster [Vgl.Rudolf von Laban (5. Aufl. 2001). Der mo<strong>der</strong>ne Ausdruckstanz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erziehung. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung<strong>in</strong> <strong>die</strong> kreative tänzerische Bewegung als Mittel zur Entfaltung <strong>der</strong> Persönlichkeit. Wilhemshaven:Noetzel S. 112ff]. Kestenberg erkannte <strong>und</strong> beschrieb unter an<strong>der</strong>em sechs


4Spannungsflussrhythmen. Alle sechs Rhythmen <strong>und</strong> ihre Gegenrhythmen (e<strong>in</strong>schließlichankämpfen<strong>der</strong> <strong>und</strong> genießen<strong>der</strong> Varianten, also <strong>in</strong>sgesamt zwölf Rhythmen) brachten verschiedene<strong>und</strong> für <strong>die</strong> k<strong>in</strong>dliche Entwicklung <strong>und</strong> das k<strong>in</strong>dliche Lernen gr<strong>und</strong>legend wichtige Bedürfnisse zumAusdruck. Rhythmus <strong>und</strong> Bewegungsfluss gaben zudem Aufschluss über <strong>die</strong> aktuelle Bef<strong>in</strong>dlichkeitdes K<strong>in</strong>des.Judith Kestenberg erkannte auch <strong>die</strong> Bedeutung <strong>der</strong> Pre-efforts für alle Lernprozesse. Das s<strong>in</strong>d nochunsichere <strong>und</strong> unausgeprägte Komb<strong>in</strong>ationen von Bewegungsantrieben. Sie s<strong>in</strong>d für <strong>die</strong>Persönlichkeits- <strong>und</strong> Lernentwicklung enorm wichtig. Unsicherheiten s<strong>in</strong>d nach Kestenbergnotwendiger Bestandteil jedes nachhaltigen Lernprozesses. Im freien Fluss fühlten sich K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong>ihrer Umgebung sicher <strong>und</strong> wohl, neigten zur Kommunikation, reagierten auf komplexe Weise<strong>in</strong>tuitiv <strong>und</strong> lösten selbst schwierige Aufgaben mehrdimensional. Im freien Fluss handeln <strong>und</strong>reagieren wir spontaner <strong>und</strong> vergleichsweise kreativer; e<strong>in</strong>e gute Voraussetzung für <strong>die</strong> Befähigungzur Selbstmotivation. E<strong>in</strong> harmonisches Gleichgewicht von freiem <strong>und</strong> geb<strong>und</strong>enem Flusserleichtert den Zugang zu dem Teil unserer Persönlichkeit, den Psychologen das „Selbst“ nennen.Wir nehmen mit dem Selbst den eigenen Körper <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Bedürfnisse genauer wahr <strong>und</strong>unterscheiden unsere Bedürfnisse <strong>und</strong> Ziele deutlicher von den Anfor<strong>der</strong>ungen an<strong>der</strong>er Personen anuns. K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> ausgewogenem Gleichgewicht von freiem <strong>und</strong> geb<strong>und</strong>enem Fluss unterscheiden mitviel komplexer Intuition (<strong>und</strong> auch mit analytischem Denken) <strong>die</strong> e<strong>in</strong>er Situation angemesseneHandlung von e<strong>in</strong>er unangemessenen. S<strong>in</strong>d K<strong>in</strong><strong>der</strong> mehr im geb<strong>und</strong>enen als im freien Fluss, dannfällt es Ihnen leichter sich anzustrengen. Sie lösen auch Aufgaben, <strong>die</strong> nicht unmittelbar mit Freudeverb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d (vgl. Ben<strong>der</strong> 2010, S. 12 f.). Bewegungen im geb<strong>und</strong>enen Fluss erleichtern zudem<strong>die</strong> Konzentration auf e<strong>in</strong>e zielgerichtete Tätigkeit. Geb<strong>und</strong>ener Fluss unterstützt auch <strong>die</strong>Fähigkeit, sich störenden äußeren E<strong>in</strong>flüssen zu wi<strong>der</strong>setzen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Konzentration gefährden. Diewestliche Kultur <strong>und</strong> Tradition schätzt den Wert des geb<strong>und</strong>enen Flusses hoch e<strong>in</strong>.Auch das deutsche Schulsystem for<strong>der</strong>t planvolles <strong>und</strong> zielstrebiges Handeln. Geb<strong>und</strong>ener Flusserfährt zweifellos zu recht e<strong>in</strong>e hohe Wertschätzung. Andauernd geb<strong>und</strong>ener Fluss kann aber zuProblemen führen bei <strong>der</strong> Selbstmotivation <strong>und</strong> im gleichberechtigten Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong>Kommunikation. K<strong>in</strong><strong>der</strong> überlegen <strong>und</strong> planen im überwiegend geb<strong>und</strong>enen Fluss <strong>und</strong> könnensagen, was sie vorhaben, denn <strong>die</strong> Entstehung des Absichtsgedächtnis <strong>und</strong> <strong>die</strong> Differenzierung vonKrafte<strong>in</strong>satz <strong>und</strong> Bewegungsfluss s<strong>in</strong>d mit <strong>der</strong> frühen Sprachentwicklung eng verb<strong>und</strong>en. Doch denersten Schritt zum Erreichen ihrer persönlichen Ziele gehen sie im harmonischen Wechsel zwischengeb<strong>und</strong>enem <strong>und</strong> freiem Fluss. Im überwiegend geb<strong>und</strong>enen Fluss s<strong>in</strong>d sie vorsichtiger (dabei nichtimmer umsichtiger), kontrollieren nicht nur <strong>die</strong> eigenen Bedürfnisse, son<strong>der</strong>n oft auch Personen <strong>in</strong>ihrer Umgebung. E<strong>in</strong>erseits verschafft also geb<strong>und</strong>ener Fluss <strong>die</strong> für langfristige <strong>und</strong> schwierig zuerreichende Ziele notwendige Diszipl<strong>in</strong>. Nicht selten beobachtet man bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n im überwiegendgeb<strong>und</strong>enen Fluss e<strong>in</strong>e Neigung zu Sorge <strong>und</strong> Ängstlichkeit, verstärkt durch sorgenvolle schulischeLeistungserwartungen <strong>der</strong> Eltern.Doch ist das Ziel unserer Bewegungsbeobachtung nicht <strong>die</strong> Korrektur <strong>der</strong> Bewegung o<strong>der</strong> desBewegungsflusses. Es geht nicht um „richtig o<strong>der</strong> falsch“, „gut o<strong>der</strong> schlecht“. Die zentralen Fragenlauten vielmehr: Wie för<strong>der</strong>e ich e<strong>in</strong> bewegliches Gleichgewicht zwischen allenBewegungsantrieben <strong>und</strong> den mit ihnen verb<strong>und</strong>enen Persönlichkeitssystemen? Wie kann manK<strong>in</strong><strong>der</strong>n helfen, sich selbst klare <strong>und</strong> realistische Ziele zu setzen, sich selbständig zu motivieren,Fehler <strong>und</strong> Ungenauigkeiten zu erkennen <strong>und</strong> mit Misserfolgserlebnissen gut umzugehen? Wiekönnen K<strong>in</strong><strong>der</strong> im Gr<strong>und</strong>schulalter lernen <strong>und</strong> üben, Affekte <strong>und</strong> Emotionen selbständig zuregulieren <strong>und</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen an<strong>der</strong>er Personen an sie von ihren eigenen Bedürfnissen <strong>und</strong> Zielenklar zu unterscheiden? [Vgl. Kuhl, J. (2001). Motivation <strong>und</strong> Persönlichkeit. Gött<strong>in</strong>gen: Hogrefe.]Kann man an <strong>der</strong> Art, wie e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d sich bewegt erkennen, was es bewegt? Manches K<strong>in</strong>d bewegtsich zu Anfang unserer Projekte so komplex <strong>und</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Bewegungsantrieben so wi<strong>der</strong>sprüchlich<strong>und</strong> konfliktreich, dass es nur mit Mühe gespiegelt werden kann. Die Spiegelbarkeitmusik<strong>in</strong>duzierter Bewegungen lässt sich jedoch üben.


5Aus den Bemühungen um systematisch aufbauende Übungen entstand <strong>in</strong> den vergangenen Jahren <strong>in</strong>Osnabrück aus <strong>der</strong> Zusammenarbeit des Verfassers mit <strong>der</strong> <strong>Musik</strong>pädagog<strong>in</strong> <strong>und</strong>Bewegungsexpert<strong>in</strong> Vera Gehrs e<strong>in</strong> Forschungsprojekt. Geme<strong>in</strong>sam mit dem Team des OsnabrückerPersönlichkeitspsychologen Julius Kuhl <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auch des Diplom-Psychologen ThomasKünne wurde unter standardisierten Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>e lerndiagnostisch e<strong>in</strong>setzbare Folge vonBewegungsaufgaben entwickelt [Gehrs, V., Kuhl, J., Künne T., <strong>Müßgens</strong>, B., Strehlau, A., Völker,S., (2011). Standardisierte Partner-Bewegungsübungen für Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>. UnveröffentlichtesManuskript. Universität Osnabrück]. Die aufbauenden Übungen wurden so ausgewählt <strong>und</strong>zusammengestellt, dass sie für K<strong>in</strong><strong>der</strong> hoch motivierend s<strong>in</strong>d. Ausgeführt zu ausgewählten<strong>Musik</strong>beispielen bilden sie selbst komplexe Bef<strong>in</strong>dlichkeiten wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Spiegel ab. In ihrerFunktion als Abbild <strong>der</strong> k<strong>in</strong>dlichen Persönlichkeit s<strong>in</strong>d <strong>Musik</strong> <strong>und</strong> Bewegung <strong>der</strong> verbalen Sprachenach Überzeugung des Osnabrücker Teams weit überlegen.Das Projekt selbst zielt durch Analyse von Bewegungsfaktoren auf e<strong>in</strong> methodisch gesichertesVerständnis von Persönlichkeits- <strong>und</strong> Lernentwicklungen von Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n dritter <strong>und</strong> vierterKlassen. Ziel ist e<strong>in</strong>e standardisierte <strong>und</strong> weitreichend e<strong>in</strong>setzbare Lern- <strong>und</strong>Entwicklungsdiagnostik. Sie soll den Zugang zu Entwicklungen verbessern, <strong>die</strong> sich aufSelbstkompetenzen auswirken, beson<strong>der</strong>s auf <strong>die</strong> emotionale <strong>und</strong> soziale Entwicklung <strong>und</strong> auf <strong>die</strong>schulische Leistungsfähigkeit des e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>des. Standardisierte Bewegungsaufgabenermöglichen dabei e<strong>in</strong>en systematischen Vergleich gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Bewegungskategorien mitzentralen Variablen <strong>der</strong> Persönlichkeitsdynamik. E<strong>in</strong>es von mehreren Test<strong>in</strong>strumenten zurKontrolle <strong>der</strong> Bewegungsanalysen ist <strong>der</strong> Fragebogen zur Erfassung emotionaler <strong>und</strong> sozialer<strong>Schule</strong>rfahrungen von Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n dritter <strong>und</strong> vierter Klassen von Wulf Rauer <strong>und</strong> KarlDieter Schuck aus dem Jahr 2003. Die Testergebnisse basieren auf Selbstaussagen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>.Wir verwenden daraus vor allem <strong>die</strong> Unterbereiche Schul- <strong>und</strong> Lernklima sowie Sozialklima <strong>und</strong>befragen auch <strong>die</strong> Lehrer<strong>in</strong>nen etwa h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> von ihnen empf<strong>und</strong>enen Belastung des K<strong>in</strong>desim Schulalltag. [Rauer, W., Schuck, K. D.: (2003): FEESS 3-4. Fragebogen zur Erfassungemotionaler <strong>und</strong> sozialer <strong>Schule</strong>rfahrungen von Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n dritter <strong>und</strong> vierter Klassen.Gött<strong>in</strong>gen: Beltz.]Die Test- <strong>und</strong> Befragungsergebnisse werden verglichen mit anonymisierten Rat<strong>in</strong>gs standardisierterPartner-Bewegungsübungen für Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong> [Vgl. Gehrs, V., Künne, T., <strong>Müßgens</strong>. B. (2011):Me<strong>in</strong> <strong>Tanz</strong> – selbstvergessen o<strong>der</strong> selbstkontrolliert. Zusammenhänge zwischenBewegungsbeobachtungen <strong>und</strong> Selbstkompetenzen bei Gr<strong>und</strong>schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Posterpräsentation zurJahrestagung <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft für <strong>Musik</strong>psychologie, Bremen]. Das s<strong>in</strong>d acht Übungenim E<strong>in</strong>zelkontakt zwischen K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> Versuchsleiter<strong>in</strong> zu ausgewählter <strong>Musik</strong> <strong>in</strong> tänzerischer Form.Die Übungen dauern <strong>in</strong>sgesamt 22 M<strong>in</strong>uten. Den Übungen zugr<strong>und</strong>e liegen Annahmen zurVerb<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> Raumebenen, des Bewegungsflusses, <strong>der</strong> Zeitwahrnehmung, <strong>und</strong> des Krafte<strong>in</strong>satzes<strong>der</strong> Bewegungen e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> <strong>der</strong> kognitiv-emotionalen Verarbeitungskompetenzen an<strong>der</strong>erseits.Bestandteil <strong>die</strong>ser Übungsfolge s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> oben genannten Spiegelübungen mit ausgewählter <strong>Musik</strong>.Das K<strong>in</strong>d spiegelt zunächst <strong>die</strong> Bewegungen <strong>der</strong> Versuchsleiter<strong>in</strong>. Danach macht es selbstBewegungen vor, <strong>die</strong> von <strong>der</strong> Versuchsleiter<strong>in</strong> gespiegelt werden. Das K<strong>in</strong>d nimmt bei <strong>die</strong>serÜbung vielfältige Informationen auf. Es verarbeitet sie im Extrem sehr schnell <strong>und</strong> setzt sieunmittelbar <strong>in</strong> eigene Bewegung um. Dazu benötigt es parallele Verarbeitung im S<strong>in</strong>ne desSelbstzugangs [Kuhl (2001)]. Die parallele Verarbeitung von Informationen <strong>und</strong>Handlungs<strong>in</strong>tentionen beziehen sich auf zwei mögliche Aspekte <strong>die</strong>ser Übung: Das eigene Spiegelnfrem<strong>der</strong> Bewegungen erfor<strong>der</strong>t e<strong>in</strong>erseits Konzentration, an<strong>der</strong>erseits Bewegungsfluss. DasVorgeben eigener Bewegungen bedarf darüber h<strong>in</strong>aus hoher Kreativität <strong>und</strong> <strong>der</strong> Befähigung zurPerspektivenübernahme, damit <strong>die</strong> Versuchsleiter<strong>in</strong> <strong>die</strong> Bewegungen des K<strong>in</strong>des überhaupt spiegelnkann.In Bezug zu den e<strong>in</strong>gesetzten Instrumenten h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Selbstkompetenzen des K<strong>in</strong>des zeigten


6sich <strong>die</strong> erwarteten Auswirkungen: Ger<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> sehr ger<strong>in</strong>ge Bewegungsverzögerungen (<strong>und</strong> damit<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong>her gehen<strong>der</strong> freier Bewegungsfluss) standen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em positiven Zusammenhangmit <strong>der</strong> Fähigkeit <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, eigene Absichten umzusetzen. Die Korrelation von Handlungsfluss<strong>und</strong> Motivumsetzung betrug; r = .47. Größere zeitliche Verzögerungen <strong>der</strong> Bewegungen (<strong>in</strong> <strong>der</strong>Regel <strong>in</strong> geb<strong>und</strong>enem Bewegungsfluss) standen <strong>in</strong> positivem Zusammenhang von r = .51* mit <strong>der</strong>von <strong>der</strong> Lehrer<strong>in</strong> empf<strong>und</strong>enen Belastung des K<strong>in</strong>des im Schulalltag. Ähnliches zeigte sich beiTestergebnissen zur Bereitschaft des K<strong>in</strong>des, Verantwortung zu übernehmen. Den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n wurdee<strong>in</strong>e Bildgeschichte vorgelegt. Sie beschreibt e<strong>in</strong> Missgeschick, an dem e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> e<strong>in</strong>Erwachsener beteiligt s<strong>in</strong>d. Dabei wird <strong>die</strong> Verantwortungsübernahme als H<strong>in</strong>weis fürSelbstkompetenz versus e<strong>in</strong>seitiger Schuldzuweisung (im S<strong>in</strong>ne von: „Du bist schuld.“) gewertet.E<strong>in</strong>e differenziertere Emotionse<strong>in</strong>schätzung gilt als H<strong>in</strong>weis auf e<strong>in</strong>e hoheAffektregulationskompetenz im Gegensatz zur Verdrängung negativer Affekte. [Kuhl, J.,Solzbacher, C. (2009). Jahresbericht <strong>der</strong> Forschungsstelle Begabungsför<strong>der</strong>ung. http://nifbe.de].Ger<strong>in</strong>ge zeitliche Verzögerung <strong>der</strong> Spiegelbewegung des K<strong>in</strong>des standen <strong>in</strong> Zusammenhang von r=.42 mit <strong>der</strong> Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme <strong>und</strong> <strong>in</strong> negativem Zusammenhang von r =-.69** mit e<strong>in</strong>seitiger Emotionse<strong>in</strong>schätzung im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Verdrängung negativer Affekte. Dieseersten Ergebnisse deuten also ebenfalls <strong>in</strong> <strong>die</strong> erwartete Richtung. Ger<strong>in</strong>ge zeitliche Verzögerungbei Spiegelbewegungen <strong>und</strong> Selbstkompetenz stehen demnach <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em positiven Zusammenhang.Sie zeigen über<strong>die</strong>s hohe Korrelationen mit den emotional-sozialen <strong>Schule</strong>rfahrungen <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>.Die Werte liegen zwischen r = .57 <strong>und</strong> r = .71. Insbeson<strong>der</strong>e das Schul- <strong>und</strong> Lernklima wiesdeutliche positive Zusammenhänge zu e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gen Bewegungsverzögerung auf. K<strong>in</strong><strong>der</strong> mitkurzen Verzögerungen bei ihren Spiegelbewegungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> höherem Maße anstrengungsbereit <strong>und</strong>fühlen sich emotional durch ihre Lehrer<strong>in</strong> stärker angenommen. Sie haben e<strong>in</strong>e positivere<strong>Schule</strong><strong>in</strong>stellung <strong>und</strong> zeigen <strong>in</strong>sgesamt mehr Lernfreude [Vgl. hierzu ebenfalls Gehrs, u.a. (2011):Me<strong>in</strong> <strong>Tanz</strong> – selbstvergessen o<strong>der</strong> selbstkontrolliert.]

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