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Dokumentation – Wanderarbeit - Förderwerk Land- und ...

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EinleitungArbeitsmigration verändert seit Jahrh<strong>und</strong>erten das Leben der Menschen <strong>–</strong>nicht nur das Wirtschaftliche. Menschen die wandern bringen ihre eigenenTraditionen, Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsweisen, ihre Kultur mit. Sie verändern damitauch das soziale, wirtschaftliche <strong>und</strong> kulturelle Leben der Einheimischen.Mit den Projekten „Spurensuche <strong>–</strong> <strong>Wanderarbeit</strong>“ <strong>und</strong> „Spurensuche <strong>–</strong>Zwangsarbeit“ <strong>und</strong> dem dazugehörigen Faltblatt soll ein Beitrag zur Belebung desGeschichts- <strong>und</strong> Bildungstourismus in der Magdeburger Börde <strong>und</strong> Umgebunggegeben werden. Das Interesse von Touristen <strong>und</strong> regionalen Ausflüglernbeschränkt sich nicht nur auf das Erleben von <strong>Land</strong>schaften, Dörfern, Städten <strong>und</strong>traditionellen Festlichkeiten. Bei aufgeschlossenen Besuchern ist insbesondere derBedarf etwas über die kulturhistorischen Gegebenheiten <strong>und</strong> die Alltagskultur desländlichen Raumes <strong>und</strong> der darin lebenden <strong>und</strong> arbeitenden Menschen zu erfahrensehr hoch. Vieles wird durch die Traditionspflege in Heimatvereinen, durchDorfmuseen <strong>und</strong> Chroniken <strong>und</strong> der Pflege historischer Sitten <strong>und</strong> Gebräuchevermittelt <strong>und</strong> weitergegeben, andererseits werden doch viele Informationen überdas frühere Alltags- <strong>und</strong> Arbeitsleben, persönliche Erlebnisse <strong>und</strong> Empfindungenvon noch lebenden Zeitzeugen nicht dokumentiert <strong>und</strong> geraten so ins Vergessen.Die Projekte „Spurensuche“ setzen sich mit einem speziellen Bereich, derArbeitsmigration in der <strong>Land</strong>wirtschaft der Magdeburger Börde <strong>und</strong> Umgebung inzwei unterschiedlichen Zeitabschnitten auseinander <strong>und</strong> rücken verschiedenekulturhistorische Gegebenheiten in der Region wieder ins Bewusstsein vonBewohnern <strong>und</strong> Besuchern, untersetzt mit Zeitzeugenberichten.In der vorliegenden Broschüre „Spurensuche - <strong>Wanderarbeit</strong>“ werden Hinweise<strong>und</strong> Spuren der Alltagsgeschichte der <strong>Wanderarbeit</strong>er im ländlichen Raum derMagdeburger Börde <strong>und</strong> Umgebung in der Zeit zwischen 1850 <strong>und</strong> 1933 gesucht.Zeitzeugenberichte, die Menschen selber reden lassen.Können natürlich immer nur Ausschnitte sein, Zufall wo <strong>und</strong> wie man geraderecherchieren konnte etcUnd was auch an positiven Erinnerungen geblieben istAnhand von Zeitzeugenberichten <strong>und</strong> Lebensbeschreibungen, Fotos <strong>und</strong>Dokumenten werden die Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen der <strong>Wanderarbeit</strong>eraufgezeigt, es werden noch vorhandene Spuren wie Schnitterkasernen <strong>und</strong> Kirchenin den Dörfern gesucht. Bräuche <strong>und</strong> Gewohnheiten, die sich über die Zeit <strong>und</strong> denEinfluss der jedes Jahr wiederkehrenden Menschen verändert haben werdendargestellt.Die zweite Broschüre „Spurensuche <strong>–</strong> Zwangsarbeit“ befasst sich mit demZeitabschnitt des Nationalsozialismus von ca. 1933 bis 1945, wo Bürger anderer4


Staaten von Deutschen zwangsrekrutiert <strong>und</strong> zur Arbeit in Deutschland gezwungenwurden.Das <strong>Förderwerk</strong> <strong>Land</strong>- <strong>und</strong> Forstwirtschaft Sachsen-Anhalt e.V. als Bildungsträger<strong>und</strong> gewerkschaftsnahe Institution hat ein Interesse daran zu erinnern dasArbeitsmigration im landwirtschaftlichen Bereich kein Phänomen der heutigen Zeitist, sondern schon seit h<strong>und</strong>erten von Jahren in unterschiedlichen Formen <strong>und</strong>Ausprägungen existiert <strong>und</strong> Spuren hinterlassen hat.Finanziert werden konnten diese Recherchen im Rahmen der <strong>Land</strong>esinitiativePAKTE aus dem Fördertitel „Lokales Kapital für soziale Zwecke“.Wir möchten uns an dieser Stelle noch einmal für die Unterstützung der Museen <strong>und</strong>Archive, <strong>und</strong> vor allem der Zeitzeugen, die aus ihrem Leben berichtet habenbedanken. Wir hoffen einen kleinen Beitrag zur politischen Bildung gegeben zuhaben <strong>und</strong> als Anregung die regionale Geschichte ins Bewusstsein zu bringen.5


I. Von der Großen Geschichte .........Zu Beginn des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts fanden im wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Leben derMenschen umfangreiche Veränderungen statt. Die Industrialisierung <strong>und</strong> den damitverb<strong>und</strong>enen Umwälzungen brachten für die ländliche Bevölkerung Veränderungenin allen Lebensbereichen der Menschen mit sich.• Mit der so genannten Bauernbefreiung waren die <strong>Land</strong>arbeiter <strong>und</strong> Bauernnicht mehr an ihren <strong>Land</strong>besitz geb<strong>und</strong>en. Die Bauern konnten ihr <strong>Land</strong>verlassen.• Viele kleine bäuerliche Familienbetriebe gaben auf, größere Güter konntensich vergrößern, bzw. reiche Leute konnten sich große Güter kaufen. MitVergrößerung der Betriebe wurden auch mehr lohnabhängige Arbeitskräftegebraucht.• Mit der Gründung des deutschen Zollvereins 1834 (?) wurden Zölle, für eineprotektionistische Politik des Staates z.B. in der Zuckerproduktion betrieben.• Die Zuckerproduktion war jedoch dadurch geprägt, dass sie in saisonalenSchwankungen sehr hohe menschliche Arbeitskraft benötigte.Die heimischen Arbeitskräfte, zumeist die <strong>Land</strong>arbeiter bzw. Tagelöhner, verließenihre Dörfer <strong>und</strong> zogen in die Regionen, in denen sich einen industrieller Aufschwungvollzog. Dort konnten sie mehr verdienen <strong>und</strong> waren nicht mehr den restriktivenLeben auf dem <strong>Land</strong> unterworfen. In den tradierten sozialen Hierarchien hatten dieuntersten Schichten kaum die Möglichkeit des wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialenAufstiegs. An eine politische Organisierung <strong>und</strong> Durchsetzung der Interessen von<strong>Land</strong>arbeitern war damals gar nicht zu denken. Ungehorsam, Widerstand gegen dieHerren wurde mit strengen Strafen belegt.Bald gab es in vielen ländlichen Regionen Deutschlands einen Arbeitskräftemangel.Doch anstatt für die heimischen Arbeitskräfte bessere Bedingungen zu schaffen,warben die Unternehmer immer mehr <strong>Wanderarbeit</strong>er aus den ärmeren Regionen.So wanderten bereits zu Beginn des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts viele Menschen in diereicheren Regionen des heutigen Niedersachsens, Sachsen-Anhalts <strong>und</strong> Sachsen.Die damaligen <strong>Wanderarbeit</strong>er wurden dementsprechend auch „Sachsengänger“genannt.„Der Drang der Zuckerrübenanbauer zwecks möglichst weitgehenderAusnutzung der günstigen Konjunktur (nach 1830/40) ….führte jedoch balddazu, aus dem Osten, zunächst aus den preußischen <strong>Land</strong>en, <strong>Wanderarbeit</strong>erheranzuziehen, welche geringe Wohnungsansprüche stellten. Sie boten zudemden Vorteil, dass sie über Winter wieder Heim geschickt werden konnten, sodaß ihre Sommerquartiere barackenmäßig gebaut sein konnten….. JedeVermehrung der Zahl der eingestellten <strong>Wanderarbeit</strong>er steigerte also dieMöglichkeiten des Geldverdienens in hohem Maße.“ Aereboe, Friedrich,Agrarpolitik, Berlin 1928, S.163.6


Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts setzte eine Wanderungsbewegung aus den ärmerenRegionen Deutschlands, z.B. aus Schlesien ein. Doch auch diese Arbeitskräfteblieben nicht häufig in der <strong>Land</strong>wirtschaft. Doch anstatt die jämmerlichen Lebens<strong>und</strong>Arbeitsbedingungen der <strong>Land</strong>arbeiter nachhaltig zu verbessern, setzte derDruck der damals mächtigen Agrarverbände, vornehmlich der feudalen Gutsbesitzerein, um Arbeitskräfte für saisonale Spitzen aus den noch ärmeren Regionen Mittel<strong>und</strong>Osteuropas wie dem heutigen Polen, Galizien ….. nach Deutschland zuzulassen.Wieviel kamen ?Jedoch war die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften politisch nieunumstritten. Die Ausweisungsverordnungen für „ausländische Arbeiter“, gültig von1885 bis 1891, sahen von Seiten des Staates einen Abbau polnischer Arbeitskräftein Preußen vor. Nationalistische Ideen bildeten die Gr<strong>und</strong>lagen für dieseEntscheidungen. Da aus der <strong>Land</strong>wirtschaft die Forderungen nach Arbeitskräftenaus Polen verstummten, wurde 1890 ein Kompromiss geschlossen: UnverheirateteArbeitskräfte durften nun zunächst in den Ostprovinzen Preußens, ab 1891 auch imübrigen preußischen Gebiet <strong>–</strong> jedoch nur in der Zeit vom 1. April bis zum 15.November <strong>–</strong> eingesetzt werden. Die Festlegung auf Saisonarbeit sollte dieEingliederungen der Arbeitskräfte verhindern. Wenige Jahre später lag die Zahl beigut 20.000.Anfang 1900 wurde der Druck von unterschiedlichen Kreisen auf den preußischenStaat die Zulassung von Auslandspolen zu reglementieren sehr stark. Zum einenvon denjenigen, die weiterhin eine „Polonisierung“ des deutschen Reichesbefürchteten, von den Großagrariern die wirksame Maßnahmen gegen die wildenAnwerber <strong>und</strong> gegen den Kontraktbruch verlangten <strong>und</strong> vom Staat selber, dersowohl eine bessere Übersicht <strong>und</strong> eine polizeiliche Überwachung über die im<strong>Land</strong>e arbeitenden Ausländer sicherstellen wollte.Ab ca. 1908 bestand dann eine „Legimitationspflicht“ für ausländische Arbeitnehmer.Die „Legitimationskarte“ galt im Reichsgebiet als Ausweis <strong>und</strong> wurde von den 39Grenzämtern ausgestellt. Die ankommenden ausländischen <strong>Wanderarbeit</strong>ererhielten dort gegen Gebühren eine Identitätskarte mit den eigenen Namen <strong>und</strong> demdes Arbeitgebers, den er meist noch nicht kannte <strong>und</strong> an den er für eine ganzeArbeitssaison geb<strong>und</strong>en war. Die Karte musste er dem Arbeitgeber bei Arbeitsantrittaushändigen. Dies sollte den vom Arbeitgeber so gefürchteten Kontraktbruch, alsoden Wechsel des Arbeitgebers ohne dessen Zustimmung verhindern. Wobei derKontraktbruch das einzige Mittel des <strong>Wanderarbeit</strong>ers war sich gegen ungerechteBehandlung zur Wehr zu setzen. Durch das Doppelexemplar der Legitimationskartewar die Polizei in der Lage „Kontraktbrüchige“ aufzugreifen: Wer ohneLegitimationskarte angetroffen wurde konnte nur kontraktbrüchig sein oder warillegal eingereist.Dieses preußische Modell der „regulierten Ausländerzufuhr“ war somit gleichzeitigRegulationsschleuse <strong>und</strong> Disziplinierungsinstrument.Die Zulassung von <strong>Wanderarbeit</strong>ern war in den Zeiten bis zum zweiten Weltkriegstets im Spannungsfeld zwischen ökonomischen Anforderungen <strong>und</strong> politisch7


ideologischen Auseinandersetzungen. Die Zahl <strong>und</strong> der Umgang mit den<strong>Wanderarbeit</strong>skräften spiegelten dieses Spannungsfeld wieder.Die Arbeits- <strong>und</strong> Lebensbedingungen dieser Menschen waren insgesamt sehrschlecht, an eine Organisierung ihrer Interessen war überhaupt nicht zu denken.Mit der aufkommenden Sozialdemokratie entwickelten sich Kräfte, die nicht nur dieökonomische Seite der Saisonarbeiter sahen, sondern Vorstellungen entwickelten,wie mit dem Phänomen Saisonarbeit anders umgegangen werden kann.Die Saisonarbeiter waren für die landwirtschaftlichen Betriebe beliebte Arbeitskräfte,auch wenn der Akkordlohn <strong>–</strong> gemessen am Einkommen der einheimischen Arbeiter<strong>–</strong> relativ hoch liegen konnte. Der Wegfall der Sozialleistungen war dafür unteranderem ausschlaggebend.Frauen <strong>und</strong> Mädchen waren als Saisonarbeiterinnen beliebt, weil sie nicht imFamilienverband reisen durften <strong>und</strong> so Doppelbelastung Feldarbeit <strong>und</strong>Haushaltsarbeit nicht ausgesetzt waren. Die Löhne der Frauen lagen erheblich unterdenen der Männer.Natürlich wäre es gr<strong>und</strong>falsch zu glauben, dass die <strong>Land</strong>wirtschaft nur vonProduktionsfamilien betrieben würde. Eine ständig zunehmende Rolle spielen dieJahres- <strong>und</strong> Tageslöhne ohne <strong>Land</strong>, <strong>und</strong> unter den letzteren wieder die Saison-<strong>Wanderarbeit</strong>er, <strong>und</strong> unter den letzteren wieder die ausländischen Arbeiter, derenZahl vor dem Kriege r<strong>und</strong> eine halbe Million betrug. Sie arbeiteten auf denJunkergütern im Osten wie auch in der Zuckerwirtschaft Mitteldeutschlands zum Teilunter stärkstem ökonomischem Zwang„Fortschreitende Mechanisierung führte allmählich zu vermehrter Akkordarbeit aufden Güter. Vor allem für Erntearbeiten wurden saisonale Arbeitskräfte, ostdeutsche,polnische oder russische <strong>Wanderarbeit</strong>er/innen eingestellt <strong>und</strong> meist inMassenlagern untergebracht. „In Schnitt“ gingen (d.h. Schnitterin wurden) sehr vieleArbeitertöchter, sogenannte „Tippelschicksen. Auf dem Schlesischen Bahnhof inBerlin eingetroffen, bildeten sie oft mit Schnittern zusammen „ein Pasch“, weil dieAgrarier am liebsten Paare einstellten, der Verpflegung der Männer wegen“.Bis zum Beginn des ersten Weltkrieges lag die Zahl der Saisonarbeiter in der<strong>Land</strong>wirtschaft auf ca. 360.000 Arbeitskräfte an.„Bei jeder Konjunktur haben die Unternehmungen aber das Bestreben, teure Arbeitskräfte durchbilligere zu ersetzen. Sind solche Arbeitskräfte mit annähernd gleicher Leistungsfähigkeit <strong>und</strong>gleichem Arbeitswillen hinter der Grenze zu haben, so ist es selbstverständlich, daß man mit ihrerHilfe mehr verdienen kann <strong>und</strong> dass man sie holt, sofern man dies kann <strong>und</strong> darf. Dem einzelnenUnternehmer ist dies auch nicht zu verargen, <strong>und</strong> am wenigsten kann sich ein leitender Beamter <strong>–</strong>sofern die Ausländer einmal zugelassen sind <strong>–</strong> von deren Beschäftigung ausschließen, weil erandernfalls nicht konkurrenzfähig produzieren kann. Wenn aber eine Staatsregierung sich durch dieKlagen über den Arbeitermangel bluffen lässt <strong>und</strong> die nationalen Notwendigkeiten nicht erkennt, soverdient das den allerhärtesten Tadel.“ Aereboe, S.165.8


Unterbrochen wurden die Regelungen für Saisonarbeiter mit dem Ausbruch des 1.Weltkrieges. Während des 1. Weltkrieges leisteten 3,4 Millionen Menschen aus der<strong>Land</strong>wirtschaft Preußens Kriegsdienst. Bereits „Wenige Tage nach dem Beginn desKrieges wies das preußische Kriegsministerium die stellvertretendenGeneralkommandos an, die auf dem Gebiet des Deutschen Reiches befindlichen<strong>Land</strong>arbeiter aus dem ´feindlichen Ausland` an eine Rückkehr in ihre Heimatländerhindern <strong>und</strong> sie, soweit wie irgend möglich, zur Einbringung der Ernte <strong>und</strong> zuanderen dringenden Arbeiten heranzuziehen. Die zwangsweise zurückgebliebenenpolnischen Saisonarbeitskräfte wurden während der Kriegsjahre schlechterbehandelt, der Lohn war geringer <strong>und</strong> ihre Rechte waren stärker eingeschränkt alsin den Jahren davor.Auch die ca. 750.000 der insgesamt 1,6 <strong>–</strong> 2 Mio Kriegsgefangenen vorwiegendeRussen <strong>und</strong> Franzosen wurden nach 1915 in der <strong>Land</strong>wirtschaft eingesetzt.1919 wurden die Grenzen für zuwanderungswillige ausländische Arbeitskräftenahezu geschlossen Der Arbeitskräftebedarf sollte durch die Kriegsheimkehrergedeckt werden. Doch diese wollten aufgr<strong>und</strong> der dort herrschenden schlechtenBedingungen nicht in der <strong>Land</strong>wirtschaft dauerhaft arbeiten, so dass dort bald wiederArbeitskräftemangel herrschte.Wieder wurde der Ruf nach polnischen Arbeitskräften laut, <strong>und</strong> bereits 1919 ließendie Behörden 50.000 polnische <strong>Land</strong>arbeiter in Deutschland zu.Während der Weltwirtschaftskrise (1929-1933) kam die Zuwanderung vonausländischen Arbeitskräften nahezu zum erliegen. 1932 wurden die Grenzengänzlich geschlossen.Am Ende der Weimarer Republik war die Ausländerbeschäftigung in Deutschlandnur ein Randphänomen. Von 750.000 in Deutschland lebenden Ausländern waren50% erwerbstätig, ca. 75.000 davon waren in der <strong>Land</strong>wirtschaft <strong>und</strong> darunterwiederum nur 3.000 Saisonarbeitskräfte.II......<strong>und</strong> den regionalen Rahmenbedingungen im UntersuchungsraumBörde <strong>und</strong> UmgebungDas Untersuchungsgebiet umfasst die Magdeburger Börde, als deren Kern dieRegion zwischen der Elbe im Osten, der Bode im Süden, dem Quellgebiet der Allerim Westen <strong>und</strong> der Ohre im Norden angesehen wird <strong>und</strong> die nähere Umgebung.Die Magdeburger Börde ist seit jeher durch ihre geografischen Verhältnisse einbevorzugtes Agrargebiet. Diese wirtschaftliche Bevorzugung der Region durch diefruchtbaren Böden mit bis zu 100 Bodenpunkten zeigt sich auch in ihrer historischen<strong>und</strong> sozialökonomischen Entwicklung. Im Gegensatz zu Ostelbien herrschten imUntersuchungsgebiet bäuerliche Dörfer, mit „großen Bauern“ (Großbauern)gegenüber junkerlichen Gutsbezirken vor.Findet man noch heute in den dörfern wieder dorfstruktur etc.9


Der fruchtbare Lößboden ermöglicht den Anbau von Getreide <strong>und</strong> Hackfrüchten.Anfang der 60iger Jahre des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts stand der Anbau von Zuckerrüben anerster Stelle vor den Kartoffeln <strong>und</strong> Zichorien. Der besonders arbeits- <strong>und</strong>pflegeintensive Anbau von Hackfrüchten erforderte einen saisonal erheblich höherenArbeitskräfteeinsatz als an heimischen <strong>Land</strong>arbeitern in den Dörfern vorhanden war.So begann eine jährlich zunehmende Wanderung von Arbeit suchenden Menschen,die sich auch räumlich immer mehr ausweitete. Die ersten „Sachsengänger“, die indie Magdeburger Börde kamen waren vorwiegend in den angrenzendeninnerdeutschen Regionen wie dem Eichsfeld <strong>und</strong> der Altmark beheimatet. Viele derEichsfelder, die über die Saisonarbeit in die Börde kamen wurden dort auch mit ihrenFamilien ansässig oder verheirateten sich <strong>und</strong> blieben so in der Region.AhnentafelMit dem ständig wachsenden Arbeitskräftebedarf, vor allem auch auf Gr<strong>und</strong> desindustriellen Wachstums <strong>und</strong> dem Eisenbahnbau verlagerte sich der Zustrom nach<strong>und</strong> nach auf die ärmeren preußischen Ostprovinzen <strong>und</strong> später dann nach Polen,Galizien <strong>und</strong> Rußland.10


ZuckerrübenanbauVeränderung der Arbeitsabläufe durch MaschineneinsatzVeränderungen mit Auswirkungen auf die Menschen <strong>und</strong> ihren Arbeitsplatzsozioökonomische Bedingungen der Menschen <strong>und</strong> Arbeiter auf dem <strong>Land</strong>11


III.Spurensuche der <strong>Wanderarbeit</strong>er in der Magdeburger Börde <strong>und</strong>UmgebungWoher sie kamen <strong>und</strong> wieErst Eichsfeld„Jedes Jahr im Frühling rasen Züge nach Westen, die voll von so genanntenSachsenläufern sind. Deutsche Knotenbahnhöfe werden dann zu großenLagerstätten dieser Menschen. Ihre Arbeit ist zu einem sehr wichtigen Faktor derwestlichen Wirtschaft angewachsen. Die Zuckerfabriken Deutschlands würdenstehen bleiben ohne diese etwa halbe Million polnische Arbeitshände, dieZuckerrüben anbauen. (...) Allein in der <strong>Land</strong>wirtschaft Deutschlands arbeiten nach1900 jährlich etwa 600 00 polnische Saisonarbeiter, von ihnen 350 000 ausKongresspolen, 250 000 aus Galizien.“PIETRASZEK, S. 112Unterkünfte <strong>und</strong> Wohnen„Mit den Saisonkräften wurden die Probleme der Unterbringung sehr aktuell. DieWohnverhältnisse dieser Menschen waren aus heutiger Sicht katastrophal. EineWohnung bestand überwiegend aus einer kleinen Küche, Kammer <strong>und</strong> Stube. Diesewurden entsprechend der Struktur der Familie genutzt, mitunter bis zu 7 Personen.Der Ausstattungsgrad entsprach den primitivsten Verhältnissen, an fließend Wasserwar nicht zu denken <strong>und</strong> mehrere Familien mussten eine gemeinschaftliche Toilettebenutzen. Unter diesen primitiven Lebensbedingungen beherbergte zu jener zeit diekleine <strong>und</strong> die große Kaserne (im Volksm<strong>und</strong> als „Himmel-Hölle-Fegefeuer“ bekannt)fast 50 % der Bevölkerung des Ortes, nämlich r<strong>und</strong> 360-380 Einwohner. Insgesamtlag die Einwohnerzahl Schwanebergs bei r<strong>und</strong> 750 <strong>–</strong> 800 Personen, sie stieg stetigdurch den Zuckerrübenanbau in der Zeit von 1880 bis 1902 auf r<strong>und</strong> 1.200Einwohner <strong>und</strong> pendelte sich dann auf 750 <strong>–</strong> 800 ein.“( Chronik des VEG Pflanzenproduktion Schwaneberg, S.4)12


Ehemalige Schnitterkaserne in Schwaneberg13


Ehemalige Schnitterkaserne in HötenslebenDie ehemaligen Schnitterkasernen in Sülldorf14


Die ehemalige Schnitterkaserne des Klostergutes WinningenEntlohnung <strong>und</strong> Behandlung„Die Entlohnung der Tagelöhner <strong>und</strong> Saisonarbeiter im Gut Schwaneberg 1935Männer 0,26 M/Std. mit Deputat Deputat: 2500 qm Kart.-Acker; 50 kgGetreide monatlich; freie Wohnung)Männer0,42 M/Std. ohne DeputatFrauen0,18 M/Std.Jugendlicheunter 18 Jahre0,18 M/Std.Die Arbeitszeit erstreckte sich im Gutsbetrieb von 6.00 <strong>–</strong>18.00 Uhr, wobei ½ St<strong>und</strong>eFrühstück, 1 St<strong>und</strong>e Mittag <strong>und</strong> ½ St<strong>und</strong>e Vesper gewährt wurde.“( Chronik des VEG Pflanzenproduktion Schwaneberg, S.4)Leben <strong>und</strong> ArbeitenKirche, Friedhöfe <strong>und</strong> Kultur,15


Die Katholiken bekamen auf den Friedhöfen eine Extraseite, die katholische SeiteEs wurden katholische Kirchen gebaut, dadurch erfolgte ein Bindung an die Güter<strong>und</strong> an die RegionWo keine so große Gemeinde war wurde nur ein Betraum gebaut oder einWohnhaus wurde umgestaltet/ umgenutztNamen, etcFriedrich Kopf, Wolfgang Böse, Heimatforscher in Hakeborn (aufgeschrieben vonWerner Lange)!857 wurde die erste Zuckerfabrik in Hakeborn gebaut. Damit kamen auch die ersten<strong>Wanderarbeit</strong>er aus dem Eichsfeld. In Hakeborn gab es zwei Güter, das eine warPfafferott <strong>und</strong> das andere Weßling. Sie beschäftigten jährlich 60-80 <strong>Wanderarbeit</strong>er.Diese kamen überwiegend aus Schlesien. Meist kamen die gleichen Arbeiter, sieließen sich immer wieder einschreiben. Im Jahre 1893 wurde die ersteSchnitterkaserne gebaut. Im I. Weltkrieg wurden auch Kriegsgefangene alsZwangsarbeiter in der <strong>Land</strong>wirtschaft eingesetzt. Zwei sowjetische Kriegsgefangenesind auf dem Friedhof von Hakeborn begraben. Den Grabstein haben ihreKameraden <strong>und</strong> der Gutsbesitzer gestiftet.“Gräber von sowjetischen Kriegsgefangenen (Zwangsarbeitern) in Hakeborn16


Zeitzeugenbericht aus der Dorfchronik von Winningen: Gisela Stenschke; Bürgerinaus Winningen„Jedes Jahr kamen Saisonarbeiter - auch aus Polen. Die jungen Mädchen kamen,um bei der Ernte zu helfen. Während dieser Zeit wohnten sie in einem eigens dafürgebauten großen Haus - „der Kaserne“. Noch heute heißt dieses Gebäude so. FürIhre arbeit erhielten sie Geld. Der Lohn wurde wöchentlich ausgezahlt. Für denSt<strong>und</strong>enlohn gab es damals schon eine staatliche Festsetzung. Er durfte höchstens28,75 Pfennige betragen.Außerdem sorgten die Braune Frauen dafür, dass diese Mädchen immer einenWäschekorb mit Deckel erhielten. Darin bewahrten sie Leinen u.ä. <strong>–</strong> also eine ArtAussteuer - auf, dass sie zusätzlich zu ihrem Lohn von Braunes bekamen. DieseSachen brauchten nicht bezahlt zu werden. Es war alles umsonst.Viele dieser Saisonarbeiterinnen schrieb sich gleich für die darauffolgendeErntekampagne ein. Das hätten sie wohl nicht getan, wenn ihnen die Arbeit <strong>und</strong> dasKlima bei Braunes nicht gefallen hätte!“Zeitzeugenbericht: Hans Lehnert aus Winningen, 81 Jahre; (aufgeschrieben vonWerner Lange)„Während der beginnenden Industrialisierung durch den Zuckerrübenanbau war eineFamilie Braune Domänenpächter des Klostergutes Winningen <strong>–</strong> über dreiGenerationen hinweg. Winnigen hatte in dieser Zeit durchschnittlich 1000 Einwohner<strong>und</strong> ca. 130 Saisonarbeiter, meist junge Frauen aus Oberschlesien. DieArbeiterinnen wurden von Braune selbst in Oberschlesien geworben. Braunesbehandelten die Saisonarbeiter überdurchschnittlich gut. Da der St<strong>und</strong>enlohn auf28,75 Pfennige staatlich festgesetzt war gaben die Braunes zusätzlich Geschenkezu besonderen Anlässen an die Saisonarbeiter so dass viele sich gleich für dienächste Saison einschreiben ließen.Die Saisonarbeiter waren meist von Anfang März bis Ende Oktober des jeweiligenJahres anwesend. Etwa 15 Frauen haben in Winningen einen deutschen Manngeheiratet <strong>und</strong> sind ansässig geworden. Die polnischen Saisonarbeiter warenkatholisch <strong>und</strong> gingen in das benachbarte Königsaue in die Kirche.“Zeitzeugenbericht: Wilhelm Hellbach aus Schwaneberg, 83 Jahre; (aufgeschriebenvon Dietmar Ketzel)„Der Großvater kam um 1850 aus dem Eichsfeld nach Schwaneberg <strong>und</strong> wurde hiersesshaft. Der Vater von Wilhelm Hellbach heiratete eine Frau ausWestpreußen/Posen (Poznan). Diese Zusammenhänge kann man verallgemeinern.Es kam sehr oft zu Ehen von Saisonarbeitern aus unterschiedlichen Heimatregionenderen Glaubensrichtung katholisch geprägt war, wie z.B. Eichsfeld, Polen,Oberschlesien. Ganz selten kam es zu so genannten Mischehen(katholisch/evangelisch) <strong>und</strong> somit kaum zu Ehen mit „Einheimischen“, da dasGebiet der Börde evangelisch war. Auf Gr<strong>und</strong> der Zuwanderung, insbesondere vonMenschen mit einer katholischen Glaubensrichtung entstanden in vielen Ortenzwischen 1880 bis ca. 1900 katholische Kirchen. Sie wurden vielerorts in der Näheder Güter, auf denen die <strong>Wanderarbeit</strong>er arbeiteten gebaut. Im Ort gab es ca. 300Katholiken.17


Die Familie von Wilhelm Hellbach war eine typische <strong>Land</strong>arbeiterfamilie. AlleFamilienmitglieder haben auf dem Gut in Schwaneberg gearbeitet, Wilhelm selbsthat mit 14 Jahren angefangen dort zu arbeiten. Zu Anfang in der Frauenkolonne mitvorwiegend Saisonarbeiterinnen, später wurde er dann Vorarbeiter.Die Saisonarbeiter wohnten während ihres Aufenthaltes in der so genannten großenKaserne, die sich in unmittelbarer Nähe des Gutes befand.“Schlesiermädchen 1934Zeitzeugenbericht: Gustav-Adolf Schmidt, aus Altenweddingen, Vorsitzender desHeimatvereins Altenweddingen; (aufgeschrieben von Dietmar Ketzel)„Von der Struktur her war Altenweddingen gegenüber Schwaneberg <strong>und</strong> Bahrendorfein „Bauerndorf“, ähnlich auch Langenweddingen <strong>und</strong> Osterweddingen. InSchwaneberg <strong>und</strong> Bahrendorf waren Güter vorhanden auf denen wesentlich mehr<strong>Wanderarbeit</strong>er gebraucht wurden als in den vorgenannten „Bauerndörfern“. InAltenweddingen wurden <strong>Wanderarbeit</strong>er vor allem in den Betrieben der BaumschuleHüttner, des Saatzuchtbetriebes Mohrenweisser, der Buschhofgärtnerei <strong>und</strong> derKonservenfabrik Schrader eingesetzt. Da es sich in den einzelnen Betrieben immernur um wenige Arbeiter handelte wurden sie in den Wohnhäusern mit untergebracht,bzw. in den Wirtschaftsgebäuden waren so genannte „Gesindestuben“ eingerichtet,die auf Gr<strong>und</strong> des baulichen Zustandes auch nur vom Frühjahr bis zum Herbstgenutzt werden konnten.“IV.Abschluss18


V. AnhangVerwendete LiteraturAEROBE, Friedrich: Agrarpolitik, Berlin 1928BANDOLNY, Sieglinde: Zur sozialen Lage der <strong>Land</strong>- <strong>und</strong> <strong>Wanderarbeit</strong>er in derMagdeburger Börde von 1860 bis 1914, in: Jahresschrift des KreismuseumsHaldensleben, Bd. 14; Haldensleben 1973CLASSEN, Jürgen, u.a.: Ländliche Regionalentwicklung im Bördekreis / Sachsen-Anhalt, -Praxis-Potentiale-Perspektiven, ASG-Kleine Reihe Nr. 58; Göttingen 1996CHRONIK DES VEG PFLANZENPRODUKTION SCHWANEBERGOBERMEIER, Manuela: Die Sachsengänger <strong>–</strong> <strong>Wanderarbeit</strong>er im Rübenanbau 1850<strong>–</strong> 1915, Schriftenreihe des Zucker-Museums; Berlin 1999ORTSCHRONIK WINNINGENPIETRASZEK, Edward: Zwischen Geld verdienen <strong>und</strong> Aufstieg <strong>–</strong> PolnischeArbeitsmigration in Deutschland von 1870 <strong>–</strong> 1939, in ROTH, Klaus (Hg): VomWandergesellen zum „Green Card“ <strong>–</strong> Spezialisten: Interkulturelle Aspekte derArbeitsmigration im östlichen Mitteleuropa; Münster 2003SELBER, Martin: Sachsengänger, in: Beiträge zur Kulturgeschichte derMagdeburger Börde, Dr. Ziethen Verlag; Oschersleben 1999Museen <strong>und</strong> ArchiveBörde-Museum Burg UmmendorfMeyendorffstr. 4, 39365 Ummendorfwww.boerde-museum-burg-ummendorf.deArchiv des Bördekreises <strong>–</strong> KommunalarchivTriftstraße 9-10; 39387 Oschersleben (Bode)Öffnungszeiten: Dienstag 9 bis 12 <strong>und</strong> 13 bis 17 Uhr; Donnerstag 9 bis 12 <strong>und</strong> 13 bis15 Uhr <strong>und</strong> nach Vereinbarung19

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