i n t e r v i e ww t z - j o u r n a l 4 · 2 0 1 3 · 5 . J g8„Protonentherapieist kein Experimentmehr“Beate Timmermann, berufene Professorinund ärztliche Leiterin des WestdeutschenProtonentherapiezentrums (WPE),im Gespräch mit dem <strong>WTZ</strong>-<strong>Journal</strong>Im Jahr 2009 ist Beate Timmermann vom Schweizer Paul-Scherrer-Institut, wo sie <strong>das</strong> medizinische Programm zurProtonentherapie mit verantwortet hat, an <strong>das</strong> WPE nach<strong>Essen</strong> gewechselt. Nach nahezu vier Jahren war es dannendlich so weit: Das WPE hat im Mai 2013 seinen Betriebaufge-nommen. Neben der Charité in Berlin, der Rinecker-Klinik in München und dem Heidelberger Ionenstrahlen-Therapiezentrum HIT ist <strong>Essen</strong> damit der vierte Protonentherapie-Standortin Deutschland.Frau Dr. Timmermann, warum brauchtdie Medizin die Protonentherapie?Weil ich mit Protonen sehr viel genauerals mit der herkömmlichen Strahlen -therapie bestimmen kann, an welcherStelle im Körper sich die maximaleWirkung entfalten soll. Das hat dannVorteile, wenn der Tumor schwer zuerreichen ist oder wenn der Patientsehr empfindlich ist.Was meinen <strong>Sie</strong> mit „empfindlich“?Wenn es sich zum Beispiel um Klein -kinder handelt oder wenn der Tumoran einer Stelle sitzt – beispielsweise imAuge –, an der benachbart sehr empfindlicheStrukturen vorhanden sind.Im Grunde ist es so: Je höher die not -wen dige Dosis für die Behandlung undje empfindlicher der Patient, desto mehrkommt die Protonentherapie infrage.Voraussetzung ist natürlich, <strong>das</strong>s mantechnisch dazu in der Lage ist.Wo in Deutschland ist derzeit eineProtonentherapie möglich?Das älteste Zentrum in Deutschland ist<strong>das</strong> an der Charité in Berlin; die Kollegendort behandeln allerdings ausschließlichAugentumoren. Für ein breiteresSpektrum an Anwendungen ist im März2009 die Anlage an der privaten Rinecker-Klinikin München in Betrieb gegangen,und im November desselbenJahres haben die Heidelberger ihr Ionenstrahlen-Therapiezentrum,kurz HIT, eröffnet.Seit Mai 2013 behandeln wir Patientenauch hier am WPE. Am Universitätsklinikumin Dresden soll demnächstebenfalls eine Anlage eröffnet werden.Über die verspätete Eröffnung in <strong>Essen</strong>ist viel spekuliert worden. Woran lag es?Grundsätzlich ist zu sagen, <strong>das</strong>s beiProjekten dieser Größenordnung undKomplexität eine unvorhergesehene,unter Umständen auch jahrelange Verzögerungimmer eintreten kann. Daswar bei der Inbetriebnahme in Heidelbergund auch in München nicht anders.Hier in <strong>Essen</strong> war eine schlüssel -fertige Übergabe von der Hersteller -firma an die Klinik für Mitte 2010geplant. Letztlich hat sich aber herausgestellt,<strong>das</strong>s auf diese Weise eineklinische Betriebsgenehmigung nichtzu erreichen war. Wir haben dann dieZusammenarbeit mit der Hersteller -firma sehr intensiviert und die letztenAbnahmetests im März und April diesesJahres erfolgreich absolviert.Eines der Alleinstellungsmerkmaledes WPE sollte die Möglichkeit sein,auch bewegtes Gewebe, etwa Lungengewebe,zu behandeln. Ist dieser Ansatzmittlerweile verworfen worden?So würde ich <strong>das</strong> nicht sagen, nur zeitlichnach hinten geschoben. Hier in<strong>Essen</strong> hatte man einen sehr ambitio-
i n t e r v i e ww t z - j o u r n a l 4 · 2 0 1 3 · 5 . J gnierten und innovativen Ansatz geplant.Das sich bewegende Gewebe solltenicht mit Streufolientechnik, sondernmit dem sogenannten active scanningbehandelt werden.Was ist der Unterschied?Die Streufolientechnik funktioniert so,als würde ich auf den gesamten Tumoreinen Lichtkegel richten, der über dieTumorausmessungen hinausgeht unddamit sicherstellt, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Tumor -gewebe auch dann noch mit Protonenbestrahlt wird, wenn <strong>das</strong> Gewebe sichbewegt. Natürlich nimmt man damit inKauf, <strong>das</strong>s umliegendes gesundes Gewebeebenfalls geschädigt wird. Andersbei active scanning: Stellen <strong>Sie</strong> sich vor,<strong>Sie</strong> wollten einen Fußball passgenaubestrahlen. Beim active scanning würden<strong>Sie</strong> dazu die durch Nähte getrenntenLedersegmente einzeln behandelnoder, um ein Bild zu nutzen, einzeln miteinem Pinsel bemalen. Damit ist großeGenauigkeit gewährleistet; der Nachteilist aber, <strong>das</strong>s man nicht alle Bereichegleichzeitig bemalen kann. <strong>Sie</strong> fangenvorne links an und hören eine Viertelstundespäter hinten rechts auf. Wennsich dieser Ball während des Pinselnsauch noch bewegt, verlieren <strong>Sie</strong> vollendsProtonentherapieEine Strahlentherapie ist umso verträglicher, je genauer sie auf <strong>das</strong> zu zerstörendeTumorgewebe fokussiert werden kann. Das ist bei einer herkömmlichen Bestrahlungmit Photonen respektive energiereichen elektromagnetischen Strahlen wieRöntgen- oder Gammastrahlen allerdings nicht immer einfach. Photonen werdenbereits kurz unterhalb der oberen Hautschichten maximal gebremst, die energiereichenStrahlen verlieren sehr schnell an Intensität, etwa so wie ein Lichtstrahlim Nebel. Die Strahlung wandert dann bis zur Austrittsstelle und verlässt denKörper mit immerhin noch etwa 50 Prozent ihrer Ursprungsenergie. Mit anderenWorten: Ein ungünstig liegender Tumor würde von einem einfachen, herkömmlichenStrahlenbündel nicht mit der maximalen Strahlendosis getroffen unddamit möglicherweise gesundes Gewebe in Mitleidenschaft gezogen.Anders bei der Protonentherapie. Durch die geeignete Wahl von Energiegehaltund Geschwindigkeit lässt sich sehr genau bestimmen, wo die elektrisch positivgeladenen Partikel maximal wirken sollen. Beim Eintritt in den Organismus gehenzwar auch etwa 30 Prozent der Ursprungsdosis verloren, der Rest aber wirkt zielgenauim Tumorgewebe. Das Resultat: Bessere Behandlungsergebnisse oder verringertenNebenwirkungen.DosisÜberlagerteBragg PeaksProtonenBragg PeakPhotonenTumorausdehungProtonenEindringtiefeSchematische Darstellung des Tiefendosisverlaufs von jeweils einem Bestrahlungsfeldmit Protonen und Photonen.„In den nächsten Jahrenkönnen und wollen wir uns neuenHerausforderungen stellen.“die Orientierung. <strong>Sie</strong> wissen nicht mehr,ob <strong>Sie</strong> jetzt auf ein Segment treffen, woschon Farbe drauf ist oder auf eines, <strong>das</strong>noch weiß ist. Die Gefahr von Über- undUnterdosierungen ist also sehr groß.Man wollte hier in <strong>Essen</strong> besser seinals alle anderen. Aber unser Ansatzwurde bislang noch nicht erprobt.Und <strong>das</strong> war der Grund für die langeVerzögerung?Das war sicher nur einer der Gründe.Wir haben uns aber dazu entschlossen,<strong>das</strong> active scanning von beweglichenTumoren nicht zur alleinigen Voraus -setzung für den Beginn des Therapie -betriebs zu machen. Es ist im Alltagsicher immer schwierig, gleich mit einerRiesenherausforderung zu beginnen.In den nächsten Jahren können undwollen wir uns neuen Herausforderungenstellen.Das heißt, die Behandlung bewegterStrukturen ist aufgeschoben, aber nichtaufgehoben?So ist es. Wir haben zunächst einmalmit dem begonnen, was wir heuteschon beherrschen, und in einem ge -sonderten Projekt versuchen wir, <strong>das</strong>wirklich schwierige Problem der Behandlungbewegter Gewebe konzeptionellund dann praktisch zu lösen. Endedes Jahres werden wir mit entsprechendenTestreihen mit beweglichen dosimetrischenGeräten beginnen. Unddann werden wir weitersehen.Hatte <strong>das</strong> ursprüngliche Beharrenauf der Behandlung bewegter Gewebedamit zu tun, <strong>das</strong>s man hoffte, mitdieser Alleinstellung viel Geld verdienenzu können?Nein, man beabsichtigte ursprünglich,im Rahmen der Konzeption unseresProtonentherapiezentrums eine neueMethode zur Optimierung der Strahlentherapiebei Lungentumoren zu ent -wickeln und <strong>das</strong> mit gleichzeitiger Reduktionder Nebenwirkungen. Es gingdabei um Qualität, nicht um Kommerz.9