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das Magazin - Hamburger Theater Festival

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Was treibt Sie an?Dass ich mit jeder neuen Arbeit eine neue Chance bekomme,<strong>das</strong>, was mir misslungen ist, wiedergutzumachen.Und so befinde ich mich in einer Art Hamsterrad.Jetzt sind sie entweder sehr selbstkritischoder kokett. Das Publikum nimmt Ihre Arbeitdoch begeistert auf …DIE MEISTEN HISTORISCHEN THEATERREGISSEUREWAREN SCHLECHT GELAUNT UND HATTEN EINREFLUX-PROBLEMIch weiß, <strong>das</strong>s mir die eine oder andere Sache ganz gutgelungen ist. Dass wir es in den letzten Jahren beim<strong>Hamburger</strong> <strong>Theater</strong> <strong>Festival</strong> geschafft haben, die Menschenin solche Euphorie zu bringen, ist etwas sehrTröstliches und widerspricht allem Geraune von derVergeblichkeit des <strong>Theater</strong>s. Es ist sicher eine spannendeErfahrung, mit Onkel Wanja und Troja nachHamburg zu gehen.Sind die Wiener verwöhnt?Wir sind verwöhnt, weil die Wiener ihr <strong>Theater</strong> sosehr lieben! Das ist keine Selbstverständlichkeit.Wir erleben einen Generationenwechsel beiden Regisseuren und neue Sehweisen. Was hatsich verändert?Die meisten historischen <strong>Theater</strong>regisseure, die ichkenne, waren schlecht gelaunt und hatten ein Reflux-Problem. Sie erzählen den Menschen von ihren vergangenenErfolgen. Dafür ist die Kunst zu flüchtig,und es geht alles zu schnell vorbei. Seitdem die Söhneder Nazis nicht mehr Regie führen, wird <strong>das</strong> <strong>Theater</strong>lebendiger. Es gab ein großes Missverständnis im <strong>Theater</strong>der siebziger Jahre. Es sah sich als ein <strong>Theater</strong> derzweifelsfreien Gewissheiten. Die wussten noch, wasgut und böse ist.© Reinhard Werner / Burgtheater© Reinhard Werner / BurgtheaterWissen wir <strong>das</strong> nicht mehr?Nicht mehr in dieser einfachen Zuordnung. Dramatischer Diskursentsteht, wenn zwei Dinge einander unvereinbar begegnen undbeide haben recht. Wenn nur einer recht hat, ist es nicht mehrspannend. Spannend wird es, wenn beide gut und beide böse sind.Das Leben ist nie eindeutig. Das Leben ist ambivalent, und deswegenweise ich Schuld auf der Bühne niemals zu, sondern ich zeigeden Abgrund aller Menschen.Was spricht gegen politisches <strong>Theater</strong>?Das politische <strong>Theater</strong>, <strong>das</strong> man sich ersehnt, wenn man über politisches<strong>Theater</strong> spricht, ist nach meiner Auffassung ein großesMissverständnis. Büchner hat gefragt: »Was ist <strong>das</strong>, was in unslügt, mordet, stiehlt?« Das ist eine spannende Frage. Ich muss mitFragen aus dem <strong>Theater</strong> herauskommen, die mich nicht mehr inRuhe lassen. Ich muss <strong>das</strong> Mögliche und Unmögliche erschrockenwahrnehmen.Welches politische Thema sollte <strong>das</strong> <strong>Theater</strong> aufgreifen?Die Erosion von Demokratie. Wir stellen fest, <strong>das</strong>s Demokratieein Auslaufmodell wird, weil junge Leute sich nicht mehr dafürinteressieren, sie wollen nicht beteiligt werden am politischenEntscheidungsprozess, sie sind der Diskussion müde. Das ist einMedienphänomen. Die ständige Suche nach der richtigen Wählerstimme,der passenden Talkshow, die ständige Orientierung anUmfragewerten führen zu populistischer Anbiederung, zu Charakteren,die täglich ihre Meinung ändern und möglichst offenhalten,weil sie Angst haben müssen, <strong>das</strong>s sie durch den Rostrutschen, sobald sie Position beziehen. Sie suchen Strömungenabzugreifen. Und so spielen sich Medien und Politik ständig in dieHand, und die Demokratie geht den Bach runter.Was folgt daraus?Das <strong>Theater</strong> muss sich um <strong>das</strong> Thema Demokratie kümmern.Was macht Ihnen Angst? Was ist Ihnen unheimlich?Routine! Was jeder Herzchirurg braucht und jeder Rechtsanwalt,ist beim <strong>Theater</strong> eine Todesstrafe. Ich habe die Erfahrung gemacht:Immer wenn man denkt, man weiß, wie etwas geht, misslingtes sofort. Und deswegen bin ich dankbar, <strong>das</strong>s mir <strong>das</strong> Burgtheatereine Infrastruktur stellt, die es möglich macht, sich immerneuen Erfahrungen zu öffnen.Auch mit alten, immer wieder gespieltenStücken?Wir proben jetzt einen Österreicher, Johann Nestroy.Der böse Geist Lumpazivagabundus oder <strong>das</strong> LiederlicheKleeblatt. Ein 180 Jahre altes Stück, und trotzdemetwas völlig Neues.LORIOTS SATZ »FRAUEN HABEN AUCH IHR GUTES«IST NICHT ZU ÜBERTREFFENSie riskieren wie nur sehr wenige deutscheRegisseure den Umgang mit Humor. Warum?Wenn ich die Chance habe, mit so sensationellen Komikernwie Joachim Meyerhoff, Michael Maertens,Maria Happel, Nicholas Ofczarek Was ihr wollt aufzuführen,bleibt mir doch gar nichts anderes übrig.Das Leichte ist schwer, oder?Dieser Destillierungsprozess, in dem wir gemeinsamdie Pointen raffiniert haben, ist tatsächlich harte Arbeit.Wenn man sich gegenseitig auf Augenhöhe begegnetund sagt: »Pass auf, da ist noch was drin, doch… An dieser Sache ist noch was, und da … Noch eineDrehung, denn da sitzt überhaupt erst die Pointe …Ach nee, da ist noch eine zweite Stufe, die können wirauch noch zünden …« Wenn man so arbeitet, <strong>das</strong> istdann schon eine Freude. Ich lach halt gern und tröstemich auch gern durch <strong>das</strong> Lachen über alle möglichenanderen Dinge hinweg.Bei Loriot lernt man, wie wichtig <strong>das</strong> Timingim Handwerk der Komik ist. Gilt <strong>das</strong> auch fürs<strong>Theater</strong>?Linke Seite:Burgtheater in Hamburg: Troja, mitLucas Gregorowicz und Adina Vetter,Onkel Wanja mit Nicholas Ofczarek,Gert Voss und Caroline PetersBild rechts:Matthias Hartmann, beredt argumentierend© Reinhard WernerTiming ist ungeheuer wichtig. Loriot ist einer der Größten überhaupt.Ich seziere sein Werk sehr gern und immer wieder. Vorallem sein Satz »Frauen haben auch ihr Gutes« ist nicht zu übertreffen.Wie wach ist <strong>das</strong> Publikum? Kann man es hinters Lichtführen?In den letzten Jahren gab es im <strong>Theater</strong> viele Strömungen, <strong>das</strong> Publikumzu verarschen. Ich bin grundsätzlich Verführer des Publikums,ich will sie haben, die Menschen da draußen. Ich möchtemich nie vor einem halb leeren Saal darüber trösten, <strong>das</strong>s ich einmissverstandener Künstler bin, und will mich trotzdem nicht billigverkaufen. Die These, <strong>das</strong>s RTL der bessere Sender sei als arte,weil er mehr Publikum hat, gilt im Umkehrschluss auch nicht.Also erst mal volles Haus, und dann sehen wir weiter?In Wien können wir sicher sein: Da draußen gibt es <strong>das</strong> Publikum,<strong>das</strong> sich für <strong>Theater</strong> interessiert und <strong>das</strong> auch nicht unter Niveauentertained werden will. Es hat ein starkes Qualitätsempfinden,vor allem was Schauspielerei anlangt. Schauspielerei steht hier inWien über allem, und <strong>das</strong> wird sehr honoriert. Wenn ein guterSchauspieler auf der Bühne steht, dann wird viel verziehen.Auch wenn man ein Stück gar nicht wiedererkennt?In der Musik steht Werktreue hoch im Kurs. Läuft es beim<strong>Theater</strong> genau andersherum, bloß weit weg vom Originaltext?Ich sehe viele große Regisseure, die versuchen, schauspielerischund textkonform zu arbeiten, und <strong>das</strong> respektiere ich total. Ichfinde auch diese Sehnsucht sehr verständlich. Aber im <strong>Theater</strong>darf grundsätzlich nichts verboten sein. <strong>Theater</strong> muss einfach gutsein. Und gut ist, was zwingend ist, was einleuchtend ist. Es darfschockierend sein. Es muss um Himmels willen nicht leicht gängigund gelenkig sein. Es muss sich nicht flüssig meinem Geschmack30

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