13.07.2015 Aufrufe

das Magazin - Hamburger Theater Festival

das Magazin - Hamburger Theater Festival

das Magazin - Hamburger Theater Festival

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Vor der Burg: Matthias Hartmann im Café Landtmannanbiedern. Es kann mich herausfordern und aufs Ärgsteschockieren, wie ein Stück von Roland Schimmelpfennig,<strong>das</strong> ich gerade lese, ein Stück, wo ich beimLesen rote Ohren kriege vor lauter Ergiffensein, Bewegtsein.ES IST EINE KONZESSION AN DIE MEDIENZEIT,DASS REGISSEURE ZUNEHMEND EINE ART MARKEN­ZEICHENKUNST MACHENWas geschieht, wenn <strong>das</strong> Schockierende alserwartbare Bühnenpraxis überhandnimmt?Diejenigen, die sagen, es gibt zurzeit eine Vereinheitlichungdes <strong>Theater</strong>geschmacks, haben recht. Es istmehr eine Konzession an <strong>das</strong> Medienzeitalter, <strong>das</strong>sRegisseure um der Lesbarkeit ihrer Handschrift willenso eine Art Markenzeichenkunst machen. Das ist inWahrheit nicht notwendig. Es gab in letzter Zeit aucheinen Trend zum Tendenztheater, und <strong>das</strong> ist tatsächlichund zu Recht vom Publikum nicht gewollt. Es möchte keineSchulung durchmachen, sondern einfach offen bleiben.Was bedeutet <strong>das</strong> für Ihre Arbeit?Wir haben in Wien die Pflicht, <strong>das</strong> <strong>Theater</strong> in allen Ausdehnungenzu ermöglichen, und da kommt jemand wie Andrea Breth genausozum Zug wie Antú Romero Nunes. Da stehen sich diametralzwei Galaxien gegenüber, so wie ich im Museum die AltenMeister genauso bewundere wie ein avantgardistisches Kunstwerk.Wir kommen ja dieses Jahr mit zwei völlig unterschiedlichenStücken nach Hamburg. Das eine, Anton Tschechows OnkelWanja, ist ein Stück, bei dem ich mich tatsächlich sehr auf denText konzentriert habe.Ein oft gespielter Klassiker …?Oft gespielt, und voll daneben. In der Aufführungstradition vonOnkel Wanja gibt es ein großes Missverständnis. Ursache ist dieZusammenarbeit des <strong>Theater</strong>machers Stanislawski mit Tschechow.Stanislawski hatte eine sehr rigide <strong>Theater</strong>doktrin, durchihn kam dieses Missverständnis vom Befindlichkeitstheater in dieWelt. Deswegen laufen im Deutschsprachigen bei Tschechow© Peter Rigaudleinengewandete Menschen zwischen Birken herumund regen sich auf über die furchtbare Unbill desLebens. In Wahrheit sind diese Stücke schroffer, böser,monströser und vor allem auch viel komischer,viel grotesker. Es sind Satiren von unbeschreiblicherSchärfe.Hatte Stanislawski keinen Humor?Stanislawski hatte eine Mission. Er verlangte die Arbeitdes Schauspielers an sich selbst und hat damit eineeigene Aufführungstradition entwickelt. Wenn manweiß, <strong>das</strong>s Tschechow nach jeder Aufführung Stanislawskisgeschworen hat, er wolle nie wieder etwas mitihm zu tun haben, versteht man, <strong>das</strong>s dieses großeMissverständnis eigentlich hätte aufgelöst werdenmüssen.In Hamburg ist Stanislawski ein großerName, allerdings mit dem Vornamen Holger, alslangjähriger Trainer des FC St. Pauli …»WENN ALLE GEMEINSAM RATLOS SIND,IST DAS EINE SEHR KONSTRUKTIVE PHASE«Da ging es ja wohl auch um Spielwitz, denke ich. Damitsind wir gar nicht so weit voneinander entfernt.An Tschechow interessiert mich die Radikalität, dieHärte, die da drin steckt, und die haben wir versuchtherauszuarbeiten, und dafür haben wir auch die richtigenSchauspieler. Sie sind von einer Unverblümtheitund Boshaftigkeit, die dem Stück Rechnung trägt. So,wie die sich auf der Bühne beschimpfen, möchte manmit keinem Menschen auf der Welt reden.Wie steht es mit der Texttreue beim »TrojanischenPferd«?Da sind wir polygam. Bevor wir einen Text hatten, habenwir uns alle an einen Tisch gesetzt und uns auf denZeitraum geeinigt, in dem <strong>das</strong> Drama stattfinden soll.Es beginnt damit, <strong>das</strong>s die Trojaner glauben, die Griechenseien abgefahren und hätten nur dieses großePferd dagelassen, und es endet damit, <strong>das</strong>s der Kriegendet. Über diesen Moment gibt es wenig Literatur,außer einem Essay von Peter von Matt, Die Intrige,Theorie und Praxis der Hinterlist.Wo haben Sie noch gegraben?Überall. Bei Raoul Schrott, Peter von Matt, ChristaWolf, Walter Jens, Gustav Schwab und auch bei Wikipedia.Wir haben alles genommen, was wir findenkonnten. Für die Figur des Paris haben wir Rudolf HagelstangesSpielball der Götter gefunden. Ein Dichterder fünfziger Jahre. Der ist wirklich toll. Er macht sichzum Anwalt der Paris-Figur, bei uns gespielt von LucasGregorowicz. Text und Schauspieler passen hervorragendzusammen.Wie funktioniert <strong>das</strong> Verhältnis zwischen Schauspielerund Regisseur? Sagen Sie als Regisseur, was Sie wollen, woes langgeht?Das Verhältnis ist geprägt von gegenseitiger Abhängigkeit, vonRespekt und von Vertrauen. Früher hatte meine Arbeit mehr Konturen,ich hatte Vorstellungen, wie etwas laufen könnte, ich binmehr von mir ausgegangen, wie ich es sehen möchte. Inzwischenglaube ich, die fruchtbarste Zusammenarbeit entsteht, wenn manSchauspielern zuschaut, wo ihre Möglichkeiten oder ihre Begrenzungensind, und indem man versucht, die Figur und den Schauspielerdeckungsgleich zu bekommen.Erzählen Sie mal, wie <strong>das</strong> funktioniert?Man hat seine Vorstellungen, aber man ist oft ratlos, weil mannicht weiß, wie man so was erzählen soll, und dann sind alle gemeinsamratlos. In Wahrheit ist <strong>das</strong> eine sehr konstruktive Phase.Man greift nach einem Strohhalm, dann probiert man was aus,und dann bricht <strong>das</strong> ganze Kartengebäude wieder zusammen,man hangelt sich hoch, versucht irgendwie Luft zu kriegen, undplötzlich ist dann doch was da, und ich bin dann sehr überrascht.Manchmal kontrolliere ich jeden Fingerzeig, jeden Blick, undmanchmal lass ich auch rennen und laufen, um die ganze Bau stelleüberhaupt erst einmal zu sehen.Ist die Bühne Teil der Baustelle?Wir bewegen uns in einem Portal von vierzehn mal sechs Metern.Das bringt lauter spannende Fragen: Wie schaffe ich es, die Konzentrationder Menschen auf eine Figur lenken, wie schaffe ich es,eine gewisse Brüchigkeit oder Kompaktheit, wie schaffe ich es,Aufmerksamkeit zu erzielen? Was muss geschehen, um Neugierzu erwecken? Das sind sehr schwierige Mechanismen, mit denenwir umgehen können.Welche Instrumente nutzen Sie?Alle Komponenten, die kompositorische Kraft haben. Laut, leise,schnell und langsam, hell und dunkel, vorn und hinten oder dieSeiten, <strong>das</strong> sind alles kompositorische Elemente, mit denen manSpannung erzeugen kann. Und dann lernt man: Das Spannendeist auch psychologisch richtig, man kann auch feststellen, <strong>das</strong>sman selber zum Medium wird und <strong>das</strong>s die Dinge in ihrer kompositorischenEnergie eine psychologische Szene erklären können.Das bedeutet: Am Ende steht die künstlerische Wahrheit über derpsychologischen Wahrheit.Matthias HartmannDer <strong>Theater</strong>regisseur Matthias Hartmann, geboren am 27. Juni 1963 inOsnabrück, führte nach dem Schauspielstudium in Stuttgart Regie imSchillertheater Berlin, in Kiel, Mainz und Wiesbaden, am Deutschen Schauspielhausin Hamburg, am Staatsschauspiel in München und am ZürcherSchauspielhaus. Er war künstlerischer Leiter am Niedersächsischen Staatstheaterin Hannover, Intendant am Schauspielhaus Bochum und am SchauspielhausZürich und leitet seit 2009 <strong>das</strong> Burgtheater in Wien. Er inszeniertseit 2003 auch an großen Opernhäusern und war als Regisseur mitden Burgtheater-Produktionen Amphitryon (2009), Phädra (2010), DerParasit, Krieg und Frieden (2011) und Was ihr wollt (2012) beim <strong>Hamburger</strong><strong>Theater</strong> <strong>Festival</strong> zu Gast.32 33

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!