Trier Seminar on Germany's foreign deployments - Deutsche ...
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Fazit Proseminar<br />
Essays<br />
Auslandseinsätze der<br />
Bundeswehr<br />
Martin Wagener (Hrsg.)<br />
Nr. 2<br />
September 2003
Universität <str<strong>on</strong>g>Trier</str<strong>on</strong>g><br />
Lehrstuhl für Internati<strong>on</strong>ale Beziehungen<br />
und Außenpolitik<br />
Proseminar SS 2003<br />
Einführung in die Internati<strong>on</strong>alen Beziehungen/Außenpolitik.<br />
Militarisierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik?<br />
Auslandseinsätze der Bundeswehr<br />
Universität <str<strong>on</strong>g>Trier</str<strong>on</strong>g><br />
Fachbereich III - Politikwissenschaft<br />
Universitätsring 15<br />
54286 <str<strong>on</strong>g>Trier</str<strong>on</strong>g><br />
Teilnehmer<br />
Alexander Beier, Lars Bretthauer, Thorsten Eberhardt,<br />
Claus Ensinger, Timo Erdmann, Rita Flad, René<br />
Fritsch, Daniel Heisig, Viktor Höhn, Martin Heuskel,<br />
Daniel Kirch, Martin Lempe, Martina Randel,<br />
Johannes Schäfer, Sabine Schlecker, Anna Stege,<br />
Bernhard Straßen, Thomas Streißelberger, Jan Wolter.<br />
Redakti<strong>on</strong>steam<br />
René Fritsch, Martin Heuskel, Anna Stege.<br />
Tel.: + 49 (0) 651 / 201 - 2110<br />
Fax: + 49 (0) 651 / 201 - 3821<br />
e-mail: wagener@uni-trier.de<br />
Internetseite: http://www.martin-wagener.org<br />
Martin Wagener, M.A.,<br />
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für<br />
Internati<strong>on</strong>ale Beziehungen und Außenpolitik der<br />
Universität <str<strong>on</strong>g>Trier</str<strong>on</strong>g>.<br />
2
Inhalt<br />
I. <str<strong>on</strong>g>Seminar</str<strong>on</strong>g>beschreibung ...................................................................................... 4<br />
1. Auszug aus dem „Kommentierten Vorlesungsverzeichnis“ ..................... 4<br />
2. Fazit Proseminar ........................................................................................ 6<br />
II. Fall- und Querschnittsanalysen ...................................................................... 7<br />
1. Vorgehensweise ......................................................................................... 7<br />
2. Arbeitsgruppen ........................................................................................... 7<br />
III. Essays ................................................................................................................. 8<br />
1. Verfassungs- und Völkerrecht .................................................................... 9<br />
2. Werte, Interessen und Herausforderungen ................................................. 18<br />
3. Akteure und Entscheidungsprozesse .......................................................... 27<br />
4. Fähigkeitsprofil der Bundeswehr ............................................................... 35<br />
5. Instituti<strong>on</strong>elle Rahmenbedingungen .......................................................... 46<br />
6. Erfahrungen in Auslandseinsätzen ............................................................. 53<br />
3
I. <str<strong>on</strong>g>Seminar</str<strong>on</strong>g>beschreibung<br />
1. Auszug aus dem „Kommentierten Vorlesungsverzeichnis“<br />
Das Proseminar soll den Studenten grundlegende Kenntnisse über die Internati<strong>on</strong>alen<br />
Beziehungen im Allgemeinen sowie über Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehr im<br />
Bes<strong>on</strong>deren vermitteln. Im ersten Teil der Veranstaltung werden zentrale Begriffe und<br />
Theorien der Teildisziplin vorgestellt. Dabei ist u.a. folgenden Fragen nachzugehen: Welche<br />
Akteure dominieren die internati<strong>on</strong>ale Politik? Auf welchen Fundamenten fußt Sicherheit?<br />
Wie kommen außenpolitische Entscheidungen zustande? Welche Ursachen können für<br />
entwicklungspolitische, ök<strong>on</strong>omische oder militärische K<strong>on</strong>flikte identifiziert werden? Wie<br />
lassen sich die Unterschiede zwischen den Theorieansätzen Realismus, Neorealismus,<br />
Liberalismus, Instituti<strong>on</strong>alismus und dem K<strong>on</strong>struktivismus umschreiben?<br />
Im zweiten Teil des Proseminars werden die Auslandseinsätze der Bundeswehr seit der<br />
Wiedervereinigung Deutschlands analysiert. Die Entsendung deutscher Streitkräfte in z.T.<br />
weit entfernte Krisengebiete hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Am Ende<br />
der Ära Helmut Kohls waren 2.800 Soldaten, vornehmlich auf dem Balkan, eingesetzt.<br />
Während der Amtszeit Gerhard Schröders wuchs diese Zahl zeitweise auf bis zu 10.000<br />
Soldaten an, die nun auch am Horn v<strong>on</strong> Afrika und in Afghanistan zum Zwecke des Kampfes<br />
gegen den internati<strong>on</strong>alen Terrorismus stati<strong>on</strong>iert worden sind. 1995 wurde erstmals seit dem<br />
Ende des Zweiten Weltkrieges die Luftwaffe in einen Kampfeinsatz geschickt (Bosnien-<br />
Herzegowina), was sich 1999 (Kosovo) wiederholte. Seit Anfang 2002 sind zudem<br />
Bodentruppen des Kommandos Spezialkräfte am Hindukusch im Einsatz, deren Aufgabe die<br />
Neutralisierung versprengter Kräfte der Al Qaida und der Taliban ist. Vor diesem Hintergrund<br />
wird oftmals behauptet, daß es in den vergangenen Jahren zu einer Militarisierung der<br />
deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gekommen ist. Das Proseminar soll herausfinden, ob<br />
und unter Berücksichtigung welchen Maßstabs diese Interpretati<strong>on</strong> gerechtfertigt ist. Dabei<br />
soll ein Vergleich der Amtszeiten Kohls und Schröders feststellen, wo Auslandseinsätze<br />
Formen der K<strong>on</strong>tinuität bzw. des Wandels aufweisen: Hat sich z.B. die Einsatzlogik<br />
verändert? Welche Rückschlüsse sind aus Auslandseinsätzen für die Modernisierung der<br />
Bundeswehr gezogen worden? Diese Thematik begleitend werden folgende Inhalte behandelt:<br />
4
1) Geschichte: Entstehung der Bundeswehr im K<strong>on</strong>text des Kalten Krieges, alte und neue<br />
Herausforderungen<br />
2) Innenpolitik: Einstellungen in der Bevölkerung und in den Parteien zur Verwendung<br />
deutscher Streitkräfte im Ausland, Bedingungen eines Wandels der Meinungen<br />
3) Rechtliche Aspekte: Grundlagen des Streitkräfteeinsatzes im Grundgesetz,<br />
Bundesverfassungsgerichtsurteil v<strong>on</strong> 1994, mögliche Inhalte eines Entsendegesetzes,<br />
Völkerrecht<br />
4) Einsatzmöglichkeiten: Betrachtung der Ausstattung der Bundeswehr, der<br />
Modernisierungsvorhaben sowie der Leistungsgrenzen unter Berücksichtigung der<br />
Merkmale Verlegefähigkeit, Aufklärung, Wirksamkeit im Einsatz, Überlebensfähigkeit,<br />
Durchhaltefähigkeit und Führungsfähigkeit<br />
5) Einsatzformen: Geschichte der Auslandseinsätze der Bundeswehr, Auftragsinhalte zwi-<br />
schen Beobachtermissi<strong>on</strong>en, Friedensbewahrung und Friedensschaffung<br />
6) Einsatzrahmen: UN, OSZE, NATO, WEU<br />
7) Einflußnahme: Abwägung politischer Einflußmöglichkeiten über den Einsatz v<strong>on</strong> hard<br />
power<br />
5
2. Fazit Proseminar<br />
Mit „Fazit Proseminar“ soll der Versuch unternommen werden, zwei<br />
Unterrichtsentwicklungen entgegenzusteuern. Zum einen ist festzustellen, daß sich die<br />
meisten Studenten mit zunehmender zeitlicher Distanz zum <str<strong>on</strong>g>Seminar</str<strong>on</strong>g> an immer weniger<br />
Details erinnern können. Oftmals erscheint nur noch nebulös, worüber einst hitzig diskutiert<br />
wurde. Zum anderen bleibt die Kenntnisnahme dessen, was während des Unterrichts<br />
erarbeitet worden ist, auf den Teilnehmerkreis beschränkt. Studenten, die inhaltlich ähnlich<br />
aufgebaute Proseminare besuchen, können somit nicht vergleichen, wie und worüber<br />
anderenorts gearbeitet worden ist und welche Ergebnisse dabei erzielt worden sind.<br />
Ziel eines Proseminars kann es nicht sein, im Trichterverfahren Unmengen v<strong>on</strong> Empirie zu<br />
lehren. Wesentlich wichtiger ist die Vermittlung v<strong>on</strong> Arbeitsmethoden und grundsätzlichen<br />
Aspekten des Unterrichtsgegenstandes. Im zweiten Teil des SS 2003 wurden deshalb<br />
zusätzlich zu den üblichen Referaten Arbeitsgruppen gebildet, die Querschnittsthemen der<br />
Auslandseinsätze der Bundeswehr analysierten und auf ihre wesentlichen Inhalte auswerteten.<br />
Diese Unterrichtsergebnisse sollen mit „Fazit Proseminar“ einem breiteren Publikum<br />
zugänglich gemacht werden. Das Niveau bewegt sich auf dem eines arbeitsintensiven<br />
Proseminars, dessen Teilnehmer sich in der Regel erstmalig mit den Auslandseinsätzen der<br />
Bundeswehr beschäftigt haben. Nachdem die erste Ausgabe v<strong>on</strong> „Fazit Proseminar“ auf<br />
positive Res<strong>on</strong>anz gestoßen ist (Thema: Motive beim Umgang mit<br />
Massenvernichtungswaffen, veröffentlicht im März 2003 bei der Hessischen Stiftung<br />
Friedens- und K<strong>on</strong>fliktforschung, http://www.hsfk.de/abm/uniforum/pdfs/wagener.pdf),<br />
wurde die Reihe fortgesetzt. Auch dieses Mal sei bet<strong>on</strong>t, daß die Essays Ergebnisse v<strong>on</strong><br />
Studenten im Grundstudium dokumentieren. Die <str<strong>on</strong>g>Seminar</str<strong>on</strong>g>leitung hat inhaltlich und<br />
strukturierend dort eingegriffen, wo es unbedingt notwendig war und dem Lernfortschritt<br />
diente. Ans<strong>on</strong>sten übte sie sich in Zurückhaltung, um den Proseminarcharakter nicht zu<br />
verwässern. Der Herausgeber ist für Anregungen und Kritik jeder Art dankbar.<br />
„Fazit Proseminar“ soll weiterhin halbjährlich erscheinen und wird die Arbeitsergebnisse der<br />
Proseminare v<strong>on</strong> Martin Wagener zusammenfassen. Für das WS 2003/2004 ist folgendes<br />
Thema geplant: „Krieg und Frieden im asiatisch-pazifischen Raum“ (Informati<strong>on</strong>:<br />
http://www.martin-wagener.org).<br />
6
II. Fall- und Querschnittsanalysen<br />
1. Vorgehensweise<br />
Im Laufe des Proseminars wurden alle wichtigen Auslandseinsätze der Bundeswehr seit der<br />
Wiedervereinigung Deutschlands in Form v<strong>on</strong> Referaten diskutiert. Diese Falluntersuchungen<br />
wurden durch Querschnittsbetrachtungen ergänzt, die v<strong>on</strong> sechs Arbeitsgruppen<br />
vorgenommen wurden. Ziel war, die einzelnen Auslandseinsätze durch Rahmenthemen noch<br />
besser zu durchdringen. Dabei sollten Veränderungen und aktuelle Fragestellungen<br />
aufgegriffen werden, um etwa am Beispiel des Fähigkeitsprofils der Bundeswehr zu erklären,<br />
warum sich dieses in welcher Weise gewandelt hat und ob es aktuellen Herausforderungen<br />
gerecht wird.<br />
Die Essays sind Ergebnis eines dreigliedrigen Arbeitsprozesses: (1) Während des Unterrichts<br />
wurde immer wieder auf die Themen der Arbeitsgruppen eingegangen, um wichtige Inhalte<br />
zu identifizieren. (2) Erste Entwürfe der Essays wurde in den beiden letzten Sitzungen der<br />
Veranstaltung vorgestellt, kommentiert und verbessert. (3) Die Essays wurden dann v<strong>on</strong><br />
einem Redakti<strong>on</strong>steam überarbeitet und in Rücksprache mit den Arbeitsgruppen und der<br />
<str<strong>on</strong>g>Seminar</str<strong>on</strong>g>leitung optimiert.<br />
Ein bes<strong>on</strong>derer Dank gilt an dieser Stelle dem Redakti<strong>on</strong>steam, das für die Qualitätssicherung<br />
zuständig war. René Fritsch, Martin Heuskel und Anna Stege haben eigenständig und mit<br />
großem Engagement dafür gesorgt, daß „Fazit Proseminar“ pünktlich erscheinen k<strong>on</strong>nte.<br />
2. Arbeitsgruppen<br />
Arbeitsgruppe 1: Verfassungs- und Völkerrecht<br />
Rita Flad, Daniel Heisig, Jan Wolter<br />
Arbeitsgruppe 2: Werte, Interessen und Herausforderungen<br />
Claus Ensinger, Daniel Kirch, Thomas Streißelberger<br />
Arbeitsgruppe 3: Akteure und Entscheidungsprozesse<br />
Lars Bretthauer, Timo Erdmann, Martina Randel, Sabine Schlecker<br />
Arbeitsgruppe 4: Fähigkeitsprofil der Bundeswehr<br />
Thorsten Eberhardt, René Fritsch, Martin Heuskel<br />
Arbeitsgruppe 5: Instituti<strong>on</strong>elle Rahmenbedingungen<br />
Alexander Beier, Viktor Höhn, Anna Stege<br />
Arbeitsgruppe 6: Erfahrungen in Auslandseinsätzen<br />
Martin Lempe, Johannes Schäfer, Bernhard Straßen<br />
7
III. Essays<br />
ISAF (Internati<strong>on</strong>al Security Assistance Force), Afghanistan, Usbekistan: ca. 1.780<br />
KFOR (Kosovo Force): ca. 3.850<br />
SFOR (Stabilizati<strong>on</strong> Force), Bosnien und Herzegovina: ca. 1.330<br />
CONCORDIA, Mazed<strong>on</strong>ien: 49<br />
NATO HQ Skopje , Mazed<strong>on</strong>ien: 13<br />
UNOMIG (United Nati<strong>on</strong>s Observer Missi<strong>on</strong> in Georgia), Georgien: 11<br />
JFHQ (Joint Forces Headquarters), Neapel: 2<br />
OEF (Operati<strong>on</strong> Enduring Freedom, beinhaltet Marinek<strong>on</strong>tingent am Horn v<strong>on</strong> Afrika und bis zu 100<br />
Spezialkräfte in Afghanistan): ca. 690<br />
Artemis (K<strong>on</strong>go-Missi<strong>on</strong> der EU): 10<br />
Mit den in Deutschland zur Evakuierung aus medizinischen Gründen bereit gehaltenen Soldaten und<br />
den im östlichen Mittelmeer an den Operati<strong>on</strong>en gegen den Terrorismus (Active Endeavour)<br />
beteiligten Kräften sind insgesamt ca. 8.020 Soldaten der Bundeswehr unmittelbar in<br />
Auslandseinsätze involviert. (Stand: 11. September 2003)<br />
Quellen: http://www.bundeswehr.de/forces/030728_einsatz_welt.php (Abruf vom 22.09.2003)<br />
http://www.bundeswehr.de/forces/einsatzzahlen.php (Abruf vom 22.09.2003)<br />
8
Arbeitsgruppe 1<br />
Verfassungs- und Völkerrecht<br />
Rita Flad, Daniel Heisig, Jan Wolter<br />
Möchte man die Auslandseinsätze der Bundeswehr näher analysieren, stellt sich zunächst die<br />
Frage nach deren rechtlicher Grundlage. Die multinati<strong>on</strong>ale Einbindung Deutschlands macht<br />
es notwendig, hierfür über das Grundgesetz hinaus auch die Charta der Vereinten Nati<strong>on</strong>en<br />
(UN) sowie den NATO-Vertrag heranzuziehen. Daher soll im Folgenden zunächst ein<br />
Überblick über diese Instituti<strong>on</strong>en gegeben werden. Die Vielfalt der zu beachtenden Gesetze<br />
und Regelungen führt zu rechtlichen Spannungsfeldern, welche im ersten Teil dieses Essays<br />
aufgezeigt werden. Nach dieser Betrachtung der rechtlichen Spielräume wird die Frage<br />
erörtert, in wieweit die Bundesregierung diese ausschöpft oder gar überschreitet. Schließlich<br />
führt die Analyse der Auslandseinsätze zur Frage nach einem neuen Völkergewohnheitsrecht<br />
und zur Problematik v<strong>on</strong> Präemptiv- und Präventivschlägen. Offene Rechtsfragen,<br />
insbes<strong>on</strong>dere bzgl. der parlamentarischen Mitwirkung in Verbindung mit der Diskussi<strong>on</strong> über<br />
ein Entsendegesetz sollen im Anschluss beleuchtet werden. Abschließend soll nach einer<br />
kurzen Zusammenfassung der Fakten ein Ausblick über die künftige Relevanz der einzelnen<br />
Normen sowie über den anstehenden Reformbedarf gegeben werden.<br />
Rechtliche Grundlagen und Spannungsfelder<br />
Als rechtliche Grundlagen für Einsätze der Bundeswehr dienen neben dem Grundgesetz auch<br />
die UN-Charta und der NATO-Vertrag. Auf alle drei Bereiche soll hier kurz und skizzenhaft<br />
eingegangen werden.<br />
Grundgesetz 1<br />
Das Grundgesetzes enthält vielfältige normative Vorgaben für die deutsche Außenpolitik und<br />
definiert deren Grundlagen. Zunächst ist die in der Präambel enthaltene Vorgabe zu nennen,<br />
daß Deutschland „in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“ hat, welche<br />
v<strong>on</strong> Art. 26 k<strong>on</strong>kretisiert wird, der besagt, daß keine „Handlungen, die geeignet sind und in<br />
1 Alle folgenden nicht anders gekennzeichneten Artikelangaben beziehen sich auf das Grundgesetz.<br />
9
der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören“<br />
erlaubt sind. Explizit wird in Art. 26 auch der Angriffskrieg verboten.<br />
Ein anderes Gebiet wird durch Art. 24 geregelt: In diesem Artikel wird die Erlaubnis erteilt,<br />
Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Instanzen zu übertragen, sofern diese als Systeme<br />
kollektiver Sicherheit dem Frieden verpflichtet sind. Art. 24 wird nur v<strong>on</strong> Art. 59 II<br />
(Mitwirkung der für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften) und Art. 79 III<br />
(Grundrechte und Bundesstaatlichkeit als unantastbare Bestandteile der Verfassung)<br />
beschränkt. Das Eintreten des Verteidigungsfalles wird durch Art. 115a geregelt und durch<br />
Art. 53a k<strong>on</strong>kretisiert. Schließlich regelt Art. 87a, daß der Bund Streitkräfte zur Verteidigung<br />
aufzustellen habe, diese jedoch nur in Einklang mit den vorgenannten Artikeln einzusetzen<br />
sind.<br />
Hier ergibt sich ein erstes Problemfeld: Unter der Regierung Kohl, und noch stärker unter der<br />
Regierung Schröder, wurde dem Wort „Verteidigung“ viel mehr Spielraum entnommen, als<br />
dies noch unter vorangegangenen Regierungen der Fall war. Dieser Spielraum wurde<br />
allerdings erst durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 eröffnet.<br />
Darin präzisierte das Gericht das Verhältnis zwischen Art. 87a und Art. 24 und entschied, daß<br />
die Aufstellung v<strong>on</strong> Streitkräften zur Verteidigung nicht einer Teilnahme an<br />
Blauhelmmissi<strong>on</strong>en der UN entgegensteht. Als Einschränkung wurde jedoch die Zustimmung<br />
des <strong>Deutsche</strong>n Bundestages zu den Einsätzen vorausgesetzt.<br />
Art. 25 schließlich bestimmt, daß das Völkerrecht Bestandteil des Bundesrechts ist und<br />
Rechte und Pflichten für den Bundesbürger erzeugt. Damit stellt Art. 25 die Verbindung zur<br />
zweiten wichtigen Rechtsquelle für die Auslandseinsätze der Bundeswehr her.<br />
UN-Charta 2<br />
Die wichtigste Quelle des im Grundgesetz angesprochenen Völkerrechts stellt die UN-Charta<br />
dar: Sie regelt den Umgang der Mitgliedstaaten der Vereinten Nati<strong>on</strong>en. Art. 2 der UN-Charta<br />
verbietet die „Androhungen oder Anwendung v<strong>on</strong> Gewalt“, die sich „gegen die territoriale<br />
Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates“ richtet.<br />
2 Abrufbar unter: http://www.UN.de/charta/charta.htm [22.08.03].<br />
10
Nach Art. 39 UN-Charta entscheidet allein der Sicherheitsrat, ob eine Bedrohung des Friedens<br />
vorliegt und welche Art v<strong>on</strong> Maßnahmen, ob nichtmilitärische (Art. 41 UN-Charta) oder<br />
militärische (Art. 42 UN-Charta), ergriffen werden sollen.<br />
Art. 51, der den Staaten die individuelle und kollektive Selbstverteidigung erlaubt, eröffnet<br />
ein weiteres Problemfeld, da es dazu kommen kann, daß ein Land sich durch großzügige<br />
Interpretati<strong>on</strong> dieser Norm einen übergroßen Spielraum zu sichern versucht. Die<br />
Argumentati<strong>on</strong> der USA im Zusammenhang mit dem Dritten Golfkrieg gegen den Irak im<br />
Frühjahr 2003 ist ein Beispiel für dieses Vorgehen.<br />
NATO-Vertrag 3<br />
Der Washingt<strong>on</strong>er NATO-Vertrag vom 4. April 1949 bekräftigt sch<strong>on</strong> in seinem Vorwort den<br />
Glauben an die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nati<strong>on</strong>en. Art. 1 des Vertrages bet<strong>on</strong>t die<br />
Verpflichtung zur friedlichen Beilegung v<strong>on</strong> K<strong>on</strong>flikten und der Wahrung der UN-Charta.<br />
Art. 7 des Nordatlantikpaktes stellt das Gewaltm<strong>on</strong>opol des Sicherheitsrates der UN noch<br />
einmal explizit heraus. Art. 9 des NATO-Vertrages bestimmt den NATO-Rat dazu, über die<br />
Ausführung v<strong>on</strong> Art. 3 (Erhaltung der Widerstandskraft) und Art. 5 (Gemeinsame Reakti<strong>on</strong><br />
auf Angriffe) des Vertrages zu beratschlagen. Der Art. 5 NATO-Vertrag setzt jedoch ähnlich<br />
wie die Bestimmungen in der UN-Charta keinen Automatismus für eine militärische<br />
Unterstützung des Angegriffenen in Gang.<br />
Als Spannungsfelder kann man all die Stellen bezeichnen, in denen erstens die Verträge nicht<br />
k<strong>on</strong>kret genug sind, so daß Interpretati<strong>on</strong>sspielraum gegeben ist. Zweitens ergeben sich<br />
Probleme durch die gegenseitige Bedingung der Vertragswerke. Um dieses mit einem<br />
Einzelbeispiel verdeutlichend abzuschließen, sei auf das Urteil der Berliner Amtsrichters<br />
Lickleder verwiesen, der einen wegen Aufruf zur Fahnenflucht und Befehlsverweigerung<br />
Angeklagten freisprach. Der Angeklagte hatte mit Flugblättern zur Verweigerung der<br />
Teilnahme an den nicht UN-mandatierten Bombardierungen Jugoslawiens im Zuge des<br />
Kosovo-K<strong>on</strong>flikts aufgerufen. 4 Die Urteilsbegründung spricht v<strong>on</strong> völkerrechtswidrigen<br />
Akti<strong>on</strong>en der Bundesregierung und v<strong>on</strong> einem rechtswidrigen Krieg. Dieser NATO-Einsatz<br />
soll im folgenden nun kurz beleuchtet werden.<br />
3 Abrufbar unter: www.nato.int/docu/basictxt/treaty.htm [22.08.03].<br />
4 Aktenzeichen 239 Ds 446/99. Abrufbar unter: http://www.zakk.de/kok/hintergrund/tiergartenurteil.htm<br />
[22.08.03].<br />
11
„Humanitäre Interventi<strong>on</strong>“ - das Beispiel der NATO-Luftschläge gegen Jugoslawien<br />
Verstoß gegen Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta<br />
Da die Luftschläge, welche die NATO im Frühjahr 1999 gegen Jugoslawien durchführte, eine<br />
kollektive Anwendung v<strong>on</strong> Gewalt gegen einen anderen Staat ohne Mandat des UN-<br />
Sicherheitsrates darstellten, verstießen sie grundsätzlich gegen das Gewaltverbot der Charta<br />
der Vereinten Nati<strong>on</strong>en. Dieser Verstoß gegen Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta wird unabhängig<br />
dav<strong>on</strong> gewertet, ob ein Angriff zur Eroberung eines Gebietes erfolgt oder, wie im<br />
vorliegenden Fall, zum Schutz der Bewohner des Kosovo, die v<strong>on</strong> Mißhandlungen und<br />
Vertreibung bedrohten wurden. Dem Schutz der territorialen Unversehrtheit der Staaten wird<br />
in der UN-Charta eine hohe Priorität eingeräumt, die Möglichkeit einer humanitären<br />
Interventi<strong>on</strong> hingegen ist darin nicht vorgesehen.<br />
Ein neues Völkergewohnheitsrecht?<br />
Trotz der restriktiven Vorschriften der Charta der Vereinten Nati<strong>on</strong>en stellt sich die Frage, ob<br />
sich durch das Eingreifen in die inneren Auseinandersetzungen souveräner Staaten ein neues<br />
Völkergewohnheitsrecht gebildet haben könnte. Dazu müsste eine über längere Zeit<br />
ausgeübte Staatenpraxis (lat. c<strong>on</strong>suetudo) entstanden sein, die auf einer allgemein<br />
anerkannten Rechtsüberzeugung (lat. opinio iuris) beruht. 5 Beide Punkte können für die<br />
Rechtsfigur der humanitären Interventi<strong>on</strong> jedoch noch nicht als gegeben angesehen werden,<br />
da einerseits Menschenrechtsverletzungen, auch im größeren Stil, bisher nicht<br />
notwendigerweise eine Interventi<strong>on</strong> nach sich ziehen und das Fehlen einer weltgemeinsamen<br />
Rechtsüberzeugung sch<strong>on</strong> durch die vielen internati<strong>on</strong>alen Proteste gegen die NATO-Missi<strong>on</strong><br />
angedeutet wird. Diese Proteste stammten nicht nur v<strong>on</strong> Ländern, die damit auch eigenes<br />
Verhalten legitimieren wollten, wie z.B. Rußland mit Blick auf den eigenen Krieg in<br />
Tschetschenien, s<strong>on</strong>dern auch v<strong>on</strong> Ländern, deren Aussagen man als weniger eigennützig<br />
ansehen kann. Hier kann als Beispiel Nels<strong>on</strong> Mandela aus Südafrika angeführt werden, der<br />
die NATO-Luftschläge auf die gleiche völkerrechtsverletzende Stufe wie das Vorgehen gegen<br />
die Kosovaren durch Milosevic setzte.<br />
5 Vgl. Otto Kimminich, Stephan Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 7. Auflage, Tübingen/Basel 2000, S.<br />
179.<br />
12
Das Problem demokratische K<strong>on</strong>trolle v<strong>on</strong> Kommando-Unternehmen<br />
Die Problematik des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan ergibt sich nicht aus der in Kabul<br />
stati<strong>on</strong>ierten Schutztruppe ISAF, s<strong>on</strong>dern aus dem im Rahmen der Operati<strong>on</strong> Enduring<br />
Freedom (OEF) eingesetzten Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr. Ihr Einsatz<br />
wird seitens der Bundesregierung durch Art. 51 der UN-Charta, der das Recht zur<br />
individuellen und kollektiven Selbstverteidigung einräumt, begründet. Sch<strong>on</strong> diese<br />
Begründung ist unter Völkerrechtlern umstritten. Aber auch der Einsatz selbst bleibt nicht<br />
kritiklos: Aufgrund der Informati<strong>on</strong>spolitik der Bundesregierung, die selbst an die Mitglieder<br />
des Bundestages nur sehr spärlich Daten bzgl. dieses Einsatzes weiterleitet, ist nicht klar, was<br />
genau die KSK-Soldaten in Afghanistan tun. Beteiligen sie sich an kriegsähnlichen Akti<strong>on</strong>en,<br />
in denen Kriegsgefangene genommen werden könnten, oder führen sie auch Einsätze zur<br />
Exekuti<strong>on</strong> angetroffener Taliban und Al Qaida-Kämpfer aus? Auch ist nicht geklärt, ob es<br />
verfassungsrechtlich vertretbar ist, wenn gefangene Afghanen durch deutsche Soldaten, den<br />
amerikanischen Streitkräften übergeben werden, die diese nicht wie Kriegsgefangene, s<strong>on</strong>dern<br />
wie Terroristen bzw. Verbrecher behandeln. Die Verwahrung der Afghanen in Guantanamo<br />
Bay auf Kuba, welches nicht unter amerikanisches Gesetz fällt, ist einer der deutlichsten<br />
Hinweise auf ein völkerrechtlich nicht einwandfreies Vorgehen.<br />
Die Problematik v<strong>on</strong> Präemptiv- und Präventivschlägen<br />
Gemäß Art. 2 Nr. 4 UN-Charta ist jede Androhung oder Anwendung v<strong>on</strong> Gewalt, die gegen<br />
die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtet ist,<br />
verboten. K<strong>on</strong>flikte zwischen den Staaten sollen auf friedlichem Wege ausgetragen werden.<br />
Ausnahmen sind das Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UN-Charta und die<br />
Zwangsmaßnahmen, die der Sicherheitsrat im Rahmen des Kapitels VII der Charta anordnen<br />
kann.<br />
Die Problematik v<strong>on</strong> Präventiv- und Präemptivschlägen stellt sich dann, wenn ein Staat, auch<br />
ohne Angriff durch einen Dritten sich so bedroht fühlt, daß er ein militärisches Eingreifen als<br />
notwendig ansieht. Dabei sind Präemptivschläge, die sich gegen eine unmittelbar<br />
bevorstehende feindliche Aggressi<strong>on</strong> richten, v<strong>on</strong> sogenannten Präventivschlägen zu<br />
unterscheiden, welche sich gegen eine erst im Entstehen begriffene Gefahr wenden. 6<br />
6 Zur Erläuterung des Unterschiedes seien zwei militärische Akti<strong>on</strong>en der israelischen Armee genannt. Der<br />
zuvorkommende Militärschlag, den Israel 1967 zum Auftakt des Sechstagekrieges gegen seine<br />
13
Eine völkerrechtliche Legitimierung v<strong>on</strong> Präventivschlägen würde zur Aushöhlung des<br />
Schutzes staatlicher Souveränität und zu einer annähernden Wiederherstellung<br />
überkommenen Rechts zum Kriege (ius ad bellum) führen. Das Gewaltverbot wäre dann<br />
sinnlos, da die Ermächtigung zum Präventivschlag an seine Stelle treten würde. 7<br />
Ein anderer Fall liegt vor, wenn ein Warten auf einen tatsächlichen Angriff eine effektive<br />
Verteidigung unmöglich machen würde und eine Aggressi<strong>on</strong> unmittelbar bevorstünde. Hier<br />
die Möglichkeit einer Verteidigungshandlung auszuschließen, würde darauf hinauslaufen,<br />
dass der Sinn des Art. 51 UN-Charta, die Souveränität und die Integrität eines Staates zu<br />
schützen, ins Leere laufen würde. Eine präemptive Verteidigung wird in einem solchen Fall<br />
gewohnheitsrechtlich anerkannt und auch v<strong>on</strong> der UN akzeptiert. Gemäß Resoluti<strong>on</strong> 3314<br />
(XXIX), in der die UN-Generalversammlung eine Definiti<strong>on</strong> des Begriffs „Aggressi<strong>on</strong>“<br />
vornimmt, wird im Ersteinsatz v<strong>on</strong> militärischer Gewalt lediglich ein prima face Beweis für<br />
das Vorliegen einer Aggressi<strong>on</strong> gesehen. Daraus ist zu entnehmen, daß bereits im Vorfeld<br />
eine Aggressi<strong>on</strong> vorliegen kann, die ein Selbstverteidigungsrecht eines anderen Staates<br />
begründet. Ein Präemptivschlag, d.h. die vorbeugende Verteidigung gegen einen unmittelbar<br />
bevorstehenden Angriff ist somit gerechtfertigt, nicht jedoch ein Präventivschlag gegen eine<br />
lediglich abstrakte oder für die Zukunft befürchtete Bedrohung.<br />
Offene verfassungsrechtliche Fragen<br />
Parlamentsbeteiligungsgesetz<br />
In seinem Urteil vom 12. Juli 1994 fordert das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber<br />
auf, die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung zu regeln. 8 Zwar sind die<br />
auswärtigen Angelegenheiten weitgehend der Exekutive zugeordnet, der ehemalige Art. 59 a I<br />
GG regelte aber die Feststellung des Verteidigungsfalles durch den Bundestag. Trotz<br />
Wegfalls dieses Artikels ist der Parlamentsvorbehalt beim Einsatz deutscher Streitkräfte zwar<br />
nicht ausdrücklich, jedoch der Sache nach im Grundgesetz enthalten. Das<br />
Bundesverfassungsgericht beruft sich in der oben genannten Entscheidung auf die<br />
Nachbarländer ausführte, die ihrerseits einen Angriff planten, stellt einen Präemptivschlag dar. Die<br />
Bombardierung des im Bau befindlichen irakischen Atomkraftwerkes Osirak im Jahre 1981 is t dagegen als<br />
Präventivschlag zu klassifizieren, da die vom Reaktor ausgehende Gefahr für Israel allenfalls in der Zukunft<br />
entstanden wäre.<br />
7 Vgl. Dietrich Murswiek, Die amerikanische Präventivkriegsstrategie und das Völkerrecht, in: Neue<br />
Juristische Wochenschrift (NJW), Nr. 14, 31. März 2003, S. 1014-1020, hier: S. 1019.<br />
8 Vgl. BVerfGE 90,286 ff.<br />
14
Bestimmung des Art. 59 II 1 GG, die dem Parlament das Recht der Zustimmung zu<br />
völkerrechtlichen Verträgen vorbehält, und auf die sogenannte Wehrverfassung, welche die<br />
Erklärung des Verteidigungsfalles dem Parlament zuspricht. 9<br />
Das Bundesverfassungsgericht setzt jedoch als Mindestvoraussetzung für eine solche<br />
Regelung voraus, daß jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der k<strong>on</strong>stitutiven<br />
Zustimmung des Bundestages bedarf. Dem Bundestag kommt dabei jedoch keine<br />
Initiativbefugnis zu, er kann lediglich dem v<strong>on</strong> der Bundesregierung beabsichtigten Einsatz<br />
zustimmen bzw. die Zustimmung verweigern. 10 Damit soll die für außenpolitisches Handeln<br />
vorgesehene Handlungsbefugnis der Regierung nicht durch einen Parlamentsvorbehalt<br />
unterlaufen werden. Obwohl das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil die Möglichkeit<br />
eines Parlamentsbeteiligungsgesetzes erwähnt, wurde dav<strong>on</strong> bisher kein Gebrauch gemacht.<br />
Als Reakti<strong>on</strong> auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wurden vielmehr dem Parlament<br />
mehr Einblicke in militärische Einsätze der Bundeswehr gewährt. Bezüglich des<br />
Beteiligungsverfahrens des Parlamentes wurde auf das Gesetzgebungsverfahren für<br />
Bundesgesetze zurückgegriffen. 11 Danach wird der Kabinettbeschluss in einer<br />
Bundestagsdrucksache wiedergegeben und dem Parlament zur Beratung übermittelt. Dieses<br />
überweist es an die Ausschüsse, welche dann ihr Votum wieder an das Parlament zur erneuten<br />
Beratung zurückleiten. Nach einer zweiten und dritten Lesung erfolgt dann die Abstimmung<br />
im Parlament. Diese Praxis erweist sich aber als zu umständlich und insbes<strong>on</strong>dere zu<br />
langwierig. Bei Einsätzen v<strong>on</strong> geringerer Bedeutung bzw. bei Einsätzen, die in erster Linie<br />
der Erkundigung der Situati<strong>on</strong> vor Ort dienen oder deren Ziel es ist, vorbereitende<br />
Maßnahmen zu treffen, wirkt das skizzierte Procedere geradezu übertrieben. Vielmehr sind<br />
oftmals kleinere Erkundungs- und Vorbereitungsmissi<strong>on</strong>en bereits vor einer Entscheidung des<br />
Bundestages erforderlich, um überhaupt eine Entscheidungsgrundlage für den eigentlichen<br />
Einsatz zu schaffen. Auch in Fällen, in denen Geheimhaltung erforderlich ist, bzw. bei Gefahr<br />
in Verzug muß eine Regelung gefunden werden, bei der eine frühzeitige Beteiligung des<br />
Parlaments nicht schädlich für die Ausführung ist. Die momentane Regelung ist somit nicht<br />
ausreichend.<br />
9<br />
Vgl. Werner Link, Der Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinseinsätzen der Bundeswehr, in: Die politische<br />
Meinung, November 2001, S. 51.<br />
10<br />
Vgl. K<strong>on</strong>rad Hummel, Rückrufrecht des Bundestages bei Auslandseinsätzen der Streitkräfte, NZWehrr, Nr.<br />
6/2001, S. 224.<br />
11<br />
Vgl. Peter Dreist, Offene Rechtsfragen des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte, NZWehrr, Nr.<br />
4/2002, S.142.<br />
15
Entsendegesetz<br />
Im Zusammenhang mit der Beteiligung des Parlamentes bei den Entscheidungen über den<br />
Einsatz deutscher Streitkräfte wird neben der Diskussi<strong>on</strong> eines<br />
Parlamentsbeteiligungsgesetzes auch über die Möglichkeit eines Entsendegesetzes debattiert.<br />
Dabei vertreten die Parteien unterschiedliche Positi<strong>on</strong>en. 12 So vertritt Wolfgang Schäuble<br />
(CDU) die Auffassung, daß deutsche Truppen auch ohne Ermächtigung des Parlamentes im<br />
Ausland eingesetzt werden sollen, um die Bundesregierung bei internati<strong>on</strong>alen Einsätzen<br />
handlungsfähiger zu machen. Dem Parlament soll aber innerhalb einer Mindestfrist ein<br />
Widerrufsrecht im Nachhinein gewährt werden. Ähnlich äußert sich auch der ehemalige<br />
Verteidigungsminister und Verfassungsrichter Rupert Scholz (CDU). Auch er sieht das<br />
Erfordernis einer Vorabentscheidung der Regierung, das Parlament muß dann die<br />
Entscheidung überprüfen. Bei einer negativen Entscheidung müssen die Soldaten<br />
zurückbeordert werden. Dem widerspricht der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe<br />
(CDU), der wegen der Schwere der Entscheidung beim Einsatz v<strong>on</strong> Soldaten eine zusätzliche<br />
Prüfung durch das Parlament befürwortet. Bundeskanzler Schröder (SPD) spricht sich für ein<br />
Entsendegesetz aus, in dem die Kompetenzen v<strong>on</strong> Regierung und Parlament bezüglich der<br />
Auslandseinsätze zu regeln sind, wobei die Positi<strong>on</strong> des Parlamentes geschwächt werden soll.<br />
Bündnis 90/Grüne und FDP wollen am bestehenden Zustand nichts ändern. Die bestehende<br />
parlamentarische K<strong>on</strong>trolle soll nicht abgeschwächt, s<strong>on</strong>dern eher noch verstärkt werden. Die<br />
oben aufgeführten Positi<strong>on</strong>en der Parteien zeigten, wie groß der Handlungsbedarf zur<br />
Schaffung eines Entsendegesetzes ist. Dieses sah auch das Bundesverfassungsgericht in seiner<br />
Entscheidung zum Auslandseinsatz der Bundeswehr. 13 Dabei muß beachtet werden, daß jeder<br />
Einsatz unter dem Vorbehalt des Grundgesetzes steht und somit durch den Inhalt des Art. 25<br />
GG auch im Einklang mit dem Völkerrecht stehen muß. Des weiteren sind die bereits<br />
genannten vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Mindestanforderungen an die<br />
Parlamentsbeteiligung zu beachten.<br />
Fazit<br />
So schnell wirtschaftliche und sicherheitspolitische Realitäten sich wandeln, so langsam<br />
ändern sich nati<strong>on</strong>ale wie internati<strong>on</strong>ale Rechtsnormen. Das Grundgesetz der Bundesrepublik<br />
Deutschland wie auch die Charta der Vereinten Nati<strong>on</strong>en basieren auf den Erfahrungen des<br />
12 Vgl. Peter Dreist, Offene Rechtsfragen des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte, NZWehrr, Nr.<br />
4/2002, S.134.<br />
13 Vgl. BVerfGE 90, 286.<br />
16
Zweiten Weltkrieges und dienen einmal der militärischen Eindämmung Deutschlands und<br />
zum anderen der Präventi<strong>on</strong> nati<strong>on</strong>aler Gewaltausübung. In diesem Punkt erscheint das<br />
Grundgesetz mittlerweile anachr<strong>on</strong>istisch. Deutschland soll sich einerseits bei der<br />
Friedenswahrung und Friedensschaffung im multinati<strong>on</strong>alen K<strong>on</strong>zert in vollem Umfang<br />
beteiligen, andererseits werden ihm durch das Grundgesetz Fesseln auferlegt, die ein<br />
schnelles und umfassendes Eingreifen stark limitieren. Deutschland benötigt heute ein Gesetz,<br />
welches dem Kabinett bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr den Handlungsspielraum gibt,<br />
den es braucht, um schnell und umfassend auf neue K<strong>on</strong>fliktsituati<strong>on</strong>en und<br />
Bedrohungsszenarien reagieren zu können. Darüber hinaus sollte sich die Bundesrepublik<br />
internati<strong>on</strong>al dafür einsetzen, daß die Stärke des Rechts vor dem Recht des Stärkeren Bestand<br />
hat. Ein neues Völkergewohnheitsrecht, in dem Präventivschläge den Weg zu einer<br />
Aushöhlung der Charta der Vereinten Nati<strong>on</strong>en bilden, muß verhindert und die<br />
Staatengemeinschaft in dieses Vorhaben eingebunden werden. Daß die Charta der Vereinten<br />
Nati<strong>on</strong>en bei der Unterminierung v<strong>on</strong> Kriegen versagt hat, steht außer Frage, wenn auch die<br />
Arbeit der UN nicht unterschätzt werden darf. Wie das Beispiel der nicht mandatierten<br />
Luftschläge der NATO gegen das Milosevic-Regime allerdings zeigt, kann eine nach der<br />
Charta der Vereinten Nati<strong>on</strong>en illegale Handlung mitunter als legitim erscheinen.<br />
Offensichtlich besteht hier Reformbedarf. Während jedoch eine Änderung des Grundgesetzes<br />
bzw. der Beschluss über ein Entsendegesetz vergleichsweise einfach zustande kommen<br />
könnten, stellen die unterschiedlichen Sicherheits- und Völkerrechtsauffassungen der<br />
einzelnen Staaten ein schwer zu überwindendes Hindernis dar. Daraus ergibt sich, daß die<br />
Vereinten Nati<strong>on</strong>en und ihre Charta bei der Entscheidung für oder gegen einen<br />
Auslandseinsatz sowie bei dessen Zieldefiniti<strong>on</strong> mittel- bis langfristig an Einfluss auf die<br />
deutsche Außen- und Verteidigungspolitik einbüßen könnten, sollten die genannte Reformen<br />
nicht angegangen werden. Andernfalls wird die Bundesrepublik Deutschland ihre<br />
Sicherheitsinteressen nicht in vollem Umfang wahrnehmen können.<br />
17
Arbeitsgruppe 2<br />
Werte, Interessen und Herausforderungen<br />
Claus Ensinger, Daniel Kirch, Thomas Streißelberger<br />
Der folgende Essay beschäftigt sich mit den Werten, Zielen und Herausforderungen der<br />
deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Für die Untersuchung wurde eine zweigleisige<br />
Vorgehensweise gewählt. Zunächst werden die beiden aktuellsten „Verteidigungspolitischen<br />
Richtlinien“ (VPR) aus den Jahren 1992 und 2003 auf K<strong>on</strong>tinuität und Veränderungen untersucht<br />
und so die theoretische bzw. rhetorische Seite der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik<br />
beleuchtet. Anschließend wird in einem zweiten Schritt untersucht, in wiefern sich die so<br />
postulierten Aussagen in der Empirie der wichtigsten Auslandseinsätze der Bundeswehr<br />
wiedererkennen lassen. Im abschließenden Fazit erfolgen eine Zusammenfassung der Ergebnisse<br />
und ein Ausblick auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Zukunft.<br />
Vergleich der Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) v<strong>on</strong> 1992 und 2003<br />
Daß in diesem Jahr neue Verteidigungspolitische Richtlinien erlassen worden sind, begründet der<br />
Bundesminister der Verteidigung, Peter Struck, damit, daß K<strong>on</strong>sequenzen „aus der grundlegend<br />
veränderten sicherheitspolitischen Situati<strong>on</strong> in Europa und der Welt“ 1 gezogen werden müssten.<br />
Ein Vergleich der neu erlassenen VPR mit denen aus dem Jahr 1992 2 soll herausfinden, in<br />
wiefern sich Werte, Interessen und Herausforderungen in diesem Zeitraum geändert haben.<br />
Werte und Interessen: Wandel und K<strong>on</strong>tinuität<br />
„Ausgangspunkte aller Überlegungen zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ 3 sind in den<br />
VPR v<strong>on</strong> 1992 die Werteordnung des Grundgesetzes, der UN-Charta und der OSZE-Charta. In<br />
Europa soll eine Sicherheitsordnung geschaffen werden, die auf pluralistischer Demokratie,<br />
Rechtsstaatlichkeit und sozialer Marktwirtschaft gegründet ist. 4 Die Förderung v<strong>on</strong> Demokratie<br />
1 Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Verteidigungspolitische Richtlinien (VPR) 2003, Berlin,<br />
21.05.2003, http://www.bmvg.de/sicherheit/vpr.php [24.07.2003].<br />
2 Vgl. Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Verteidigungspolitische Richtlinien (VPR) 1992, B<strong>on</strong>n,<br />
26.11.1992, http://www.sicherheitspolitik.bundeswehr.de/10/22.php [24.07.2003].<br />
3 BMVg (1992), a.a.O., Ziffer 6.<br />
4 Vgl. ebd. Ziffe r 8.
sowie wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt in Europa 5 und weltweit wurde in den VPR v<strong>on</strong><br />
1992 ebenso als nati<strong>on</strong>ales Interesse angegeben wie eine gerechte Weltwirtschaftsordnung. 6<br />
Auch in den aktuellen VPR v<strong>on</strong> 2003 wird Bezug auf Völkerrecht sowie UN- bzw. OSZE-Charta<br />
genommen. 7 Diese seien bes<strong>on</strong>ders dort v<strong>on</strong> Bedeutung, wo Freiheit, Menschenrechte, Stabilität<br />
und Sicherheit durchzusetzen oder wiederherzustellen sind. Ferner solle Deutschland im Rahmen<br />
der UN das Ziel verfolgen, soziale Entwicklungen zu stärken, die natürlichen Lebensgrundlagen<br />
zu erhalten sowie die Kluft zwischen armen und reichen Weltregi<strong>on</strong>en zu überwinden, 8 also<br />
weltweiten Wohlstand zu schaffen. Ein Wandel der Werte hat somit nicht stattgefunden – hier<br />
läßt sich ganz im Gegenteil eine K<strong>on</strong>tinuität feststellen.<br />
Zentrales Interesse der Bundesrepublik stellt in beiden VPR der Schutz Deutschlands und seiner<br />
Bürger dar. 9 Ein Unterschied könnte darin liegen, daß dieser Schutz in Zukunft verstärkt im<br />
Ausland stattfinden wird – eine Folge der Neuinterpretati<strong>on</strong> v<strong>on</strong> Art. 87 a GG, die Verteidigung<br />
Deutschlands finde auch an anderen Orten der Welt statt. 10<br />
Das Interesse an einer „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten<br />
Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten<br />
Weltwirtschaftsordnung“ 11 hat im Gegensatz zu 1992 nicht mehr Einzug in die VPR gefunden.<br />
Keine Bedrohung durch k<strong>on</strong>venti<strong>on</strong>elle Streitkräfte mehr<br />
Die VPR aus dem Jahr 1992 sind geprägt v<strong>on</strong> den massiven weltpolitischen Umbrüchen seit dem<br />
Ende der 80er Jahre: Der Zusammenbruch der Sowjetuni<strong>on</strong>, die daraus resultierende Aufhebung<br />
der Teilung des K<strong>on</strong>tinents in zwei Blöcke, die Transformati<strong>on</strong> der kommunistischen Staaten des<br />
Ostblocks und nicht zuletzt die Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland machten<br />
eine Neuausrichtung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik notwendig. Im Zuge dieser<br />
Umbrüche brachen „bisher unterdrückte, nicht auf dem ideologischen Gegensatz beruhende<br />
K<strong>on</strong>flikte gewaltsam auf“. 12 Ein Beispiel hierfür sind die ethnisch motivierten<br />
Auseinandersetzungen in der früheren Republik Jugoslawien, die unter der Herrschaft des<br />
5<br />
Vgl. ebd. Ziffer 7.<br />
6<br />
Vgl. ebd. Ziffer 8.<br />
7<br />
Vgl. BMVg (2003), a.a.O., Ziffer 37.<br />
8<br />
Vgl. ebd.<br />
9<br />
Vgl. BMVg (1992), a.a.O., Ziffer 8.<br />
10<br />
Vgl. BMVg (2003), a.a.O., Ziffer 5.<br />
11<br />
BMVg (1992), a.a.O., Ziffer 8.<br />
12 Ebd., Ziffer 20.<br />
19
Marschalls Tito nicht zu Tage traten. Die zentrale Herausforderung zu Beginn der 90er Jahre war<br />
demnach die Stabilisierung dieser Staaten der europäischen Peripherie. 13<br />
Die Herausforderungen haben sich seit dem Beginn der 90er Jahre drastisch geändert, kann doch<br />
die Stabilisierung der „jungen Demokratien“ des (Süd-) Ostens bei fast allen Staaten als<br />
erfolgreich angesehen werden. Zwar stellt auch heute noch das Bemühen um einen stabilisierten<br />
Balkan eine Herausforderung für die deutsche Sicherheitspolitik dar, 14 jedoch kommt ihr heute<br />
eine geringere Priorität zu. Es wird festgestellt, daß Deutschland „derzeit und auf absehbare<br />
Zeit“ 15 nicht durch k<strong>on</strong>venti<strong>on</strong>elle Streitkräfte gefährdet sei. Aus dieser Feststellung folgert der<br />
Bundesminister der Verteidigung die Handlungserfordernis, die Bundeswehr v<strong>on</strong> einer<br />
schwerfälligen Panzerarmee 16 zu einer hochmobilen Interventi<strong>on</strong>sarmee bzw. einer Armee im<br />
Einsatz – einsatzfähig innerhalb kürzester Zeit und an jedem Ort der Welt – umzubauen. 17 Doch<br />
so neu ist diese Einschätzung der Bedrohung durch k<strong>on</strong>venti<strong>on</strong>elle Streitkräfte nicht. Sch<strong>on</strong> in<br />
den VPR v<strong>on</strong> 1992 wird festgestellt: „Deutschland liegt nicht mehr in unmittelbarer Reichweite<br />
eines zur strategischen Offensive und Landnahme befähigten Staates [...] Deutschland ist nicht<br />
länger Fr<strong>on</strong>tstaat. Statt dessen ist es heute ausschließlich v<strong>on</strong> Verbündeten und befreundeten<br />
Partnern umgeben.“ 18 Weiter heißt es, der bedrohlichste Fall einer großangelegten Aggressi<strong>on</strong> sei<br />
höchst unwahrscheinlich geworden. Eine Gefährdung durch Russland wird gänzlich<br />
ausgeschlossen. 19<br />
Bis hierher läßt sich festhalten, daß die Einschätzungen der beiden VPR bezüglich der<br />
Bedrohung durch einen k<strong>on</strong>venti<strong>on</strong>ellen Angriff auf deutsches Territorium nahezu identisch sind.<br />
Folgen des veränderten Verteidigungsbegriffes für die Bundeswehr<br />
Auch die Aussage der neuen VPR, Verteidigung lasse sich nicht mehr geographisch eingrenzen,<br />
findet ihre Ursprünge in den alten VPR. Auch dort ist dav<strong>on</strong> die Rede, daß sich Sicherheitspolitik<br />
unter den neuen sicherheitspolitischen Verhältnissen „weder inhaltlich noch geographisch“ 20<br />
eingrenzen lasse. Die Streitkräfte müssten demnach auf eine „flexible Krisen- und<br />
13<br />
Vgl. BMVg (1992), a.a.O., Ziffern 10 und 20.<br />
14<br />
Vgl. BMVg (2003), a.a.O., Ziffer 23.<br />
15<br />
Ebd., Ziffer 31.<br />
16<br />
Vgl. Essay IV dieser Sammlung zum „Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“.<br />
17<br />
Vgl. BMVg (1992), a.a.O., Ziffern 84 und 90.<br />
18<br />
BMVg (1992), a.a.O., Ziffer 9.<br />
19 Vgl. ebd., Ziffern 18 und 19.<br />
20 Ebd., Ziffer 24.<br />
20
K<strong>on</strong>fliktbewältigung im erweiterten geographischen Umfeld“ 21 ausgerichtet werden. In den VPR<br />
v<strong>on</strong> 2003 wird angegeben, für die neuen Aufgaben der Bundeswehr müssten „geeignete und<br />
hinreichende Kräfte mit einer hohen Verfügbarkeit und schneller Reakti<strong>on</strong>sfähigkeit“ 22<br />
vorgehalten werden. Diese Passage ist zugleich eine Handlungsanweisung für eine<br />
Neuausrichtung der Streitkräfte. So kündigte der Bundesminister der Verteidigung im Dezember<br />
2002 an, einerseits 18 Panzerkompanien aufzulösen und andererseits zusätzlich zu den bereits<br />
bestehenden 53.000 Mann starken Krisenreakti<strong>on</strong>skräften zwei Pi<strong>on</strong>ier-, sieben Fernmelde-, drei<br />
ABC-Abwehr- und fünf Logistikeinheiten zu „Reakti<strong>on</strong>skräften hoher Verfügbarkeit“<br />
umzugliedern. 23 Letzteres ist ein deutliches Indiz dafür, daß Teile der Bundeswehr schneller als<br />
bisher für Auslandseinsätze verfügbar sein sollen.<br />
Mit Blick auf das entsprechende Kapitel in den VPR v<strong>on</strong> 1992 kann festgestellt werden, daß die<br />
Politik mit den Vorgaben des Dokumentes nicht hinreichend Schritt gehalten hat, s<strong>on</strong>dern auch<br />
nach 1992 die Streitkräfte weitgehend in dem Zustand belassen hat, der sie eher zur<br />
Landesverteidigung gegen eine Panzerarmee befähigte als zu K<strong>on</strong>flikt- und Krisenbewältigung<br />
„im erweiterten geographischen Umfeld“. 24<br />
Neue Herausforderung: Die Bekämpfung des internati<strong>on</strong>alen Terrorismus<br />
Wichtigste Herausforderung für die Bundesrepublik ist die Bekämpfung des internati<strong>on</strong>alen<br />
Terrorismus. 25 Der Grund hierfür ist ein veränderter sicherheitspolitischer K<strong>on</strong>text, ausgelöst<br />
durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA. 26 Unter dem Eindruck<br />
vermehrter Terroranschläge in aller Welt, insbes<strong>on</strong>dere auf Bürger und Einrichtungen der<br />
westlichen Staaten, 27 hat die Bundesregierung ein Interesse daran, deutsche Staatsbürger – ob in<br />
Deutschland selbst oder im Ausland (z.B. Soldaten im Auslandseinsatz) zu schützen. Ferner<br />
bedrohe der Terrorismus die „Errungenschaften moderner Zivilisati<strong>on</strong> wie Freiheit und<br />
Menschenrechte, Offenheit, Toleranz und Vielfalt.“ 28<br />
21<br />
Ebd., Ziffer 37.<br />
22<br />
BMVg (2003), a.a.O., Ziffer 84.<br />
23<br />
Vgl. Peter Stuck, Punktati<strong>on</strong> des Bundesministers der Verteidigung für die Pressek<strong>on</strong>ferenz am 21. Mai 2003,<br />
Berlin, http://www.bmvg.de/archiv/reden/minister/030521_struck_vpr.php [24.07.2003].<br />
24<br />
BMVg (2003), a.a.O., Ziffer 25.<br />
25<br />
Vgl. ebd., Vorwort des Bundesministers der Verteidigung.<br />
26<br />
Vgl. ebd., Ziffer 18.<br />
27<br />
Solche terroristischen Anschläge wurden nach dem 11. September 2001 u.a. auf der Urlaubsinsel Djerba und auf<br />
Bali verübt. Überwiegend fielen Bürger westlicher Staaten den Anschlägen zum Opfer.<br />
28<br />
BMVg (2003), a.a.O., Ziffer 19.<br />
21
In den VPR v<strong>on</strong> 1992 ist der Ausdruck „internati<strong>on</strong>aler Terrorismus“ nicht zu finden. Dafür ist<br />
v<strong>on</strong> „mittelbaren Risiken“ 29 die Rede, denen für die Zukunft eine größere Bedeutung<br />
vorausgesagt werden als den unmittelbaren Gefahren (klassische militärische<br />
Bedrohungsszenarien). 30 Der Ausdruck „mittelbare Risiken“ wird definiert als „jede Form<br />
internati<strong>on</strong>aler Destabilisierung“, die den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt beeinträchtige,<br />
Radikalisierungsprozesse begünstige und die Gewaltbereitschaft fördere. „Kommt es zu solchen<br />
Fehlentwicklungen, werden zerstörerische Einflüsse auch in die hochentwickelten Gesellschaften<br />
getragen.“ 31<br />
In den VPR 1992 war dies nur ein Punkt unter vielen; in den aktuellen VPR zieht sich die Gefahr<br />
des internati<strong>on</strong>alen Terrorismus wie ein „roter Faden“ durch das Dokument. 32<br />
Zunehmend Sorge bereiten der Bundesregierung auch der Besitz und die Entwicklung v<strong>on</strong><br />
Massenvernichtungswaffen, die mit weitreichenden Trägermitteln auch die europäischen Staaten<br />
erreichen können. 33 Zusätzliche Bedeutung gewinnt dieser Aspekt durch die Gefahr, daß<br />
Massenvernichtungswaffen eines Tages in die Hände nichtstaatlicher Akteure (z.B. Terroristen)<br />
gelangen könnten. 34<br />
Massenvernichtungswaffen werden auch in den VPR v<strong>on</strong> 1992 als Gefahr angesehen, allerdings<br />
finden sie nur unter dem Gesichtspunkt der weltweiten Rüstungsk<strong>on</strong>trolle Erwähnung. 35 Dies ist<br />
darin begründet, daß Anfang der 90er Jahre keine vergleichbare Gefahr v<strong>on</strong> nichtstaatlichen<br />
Akteuren ausging und der (staatliche) Besitz solcher Waffen beispielsweise durch internati<strong>on</strong>ale<br />
K<strong>on</strong>trollregime besser zu überprüfen war.<br />
Auch die Informati<strong>on</strong>skriegführung, in den aktuellen VPR als Herausforderung deutscher<br />
Sicherheitspolitik genannt, 36 dürfte zum Zeitpunkt der Entstehung der alten VPR keine Rolle<br />
gespielt haben, weil Informati<strong>on</strong>s- und Kommunikati<strong>on</strong>ssysteme nicht den Stellenwert hatten,<br />
den sie heute – auch in den Streitkräften – besitzen. 37<br />
29<br />
BMVg (1992), a.a.O., Ziffer 23.<br />
30<br />
Vgl. ebd., Ziffer 25.<br />
31<br />
Vgl. ebd., Ziffer 23.<br />
32<br />
In sechs v<strong>on</strong> acht Kapiteln (Ausnahmen sind die Kapitel eins und zwei) wird explizit auf die Gefahr des<br />
Terrorismus eingegangen.<br />
33<br />
Vgl. BMVg (2003), a.a.O., Ziffer 20.<br />
34<br />
Vgl. ebd.<br />
35<br />
Vgl. BMVg (1992), a.a.O., Ziffer 42.<br />
36<br />
Vgl. BMVg (2003), a.a.O., Ziffer 26.<br />
37<br />
Vgl. Essay IV dieser Sammlung zum „Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“.<br />
22
Die Definiti<strong>on</strong> v<strong>on</strong> Herausforderungen hängt also eng mit dem jeweiligen historischen K<strong>on</strong>text<br />
zusammen. Ihre Formulierung ist immer auch eine Reakti<strong>on</strong> auf politische Ereignisse. Die VPR<br />
v<strong>on</strong> 1992 waren eine Antwort auf die neue sicherheitspolitische Lage nach dem Wegfall der<br />
Bedrohung durch die Sowjetuni<strong>on</strong> und ihrer mittel- und osteuropäischen Satellitenstaaten.<br />
Gleichzeitig ergaben sich neue Herausforderungen im Südosten Europas mit dem Zerfall<br />
Jugoslawiens und neuen (meist ethnisch motivierten) K<strong>on</strong>flikten. Die im Mai 2003 v<strong>on</strong> Peter<br />
Struck erlassenen VPR stellen dagegen eine Antwort auf die neue Bedrohung durch den<br />
internati<strong>on</strong>alen Terrorismus dar.<br />
Auslandseinsätze der Bundeswehr<br />
Im folgenden Teil des Essays sollen die im Vergleich der VPR v<strong>on</strong> 1992 und 2003 aufgezeigten<br />
Motive für Auslandseinsätze der Bundeswehr in der Praxis überprüft werden. Dafür werden<br />
ausgewählte Auslandseinsätze der Bundeswehr genauer untersucht und vor allem die Frage nach<br />
den genauen Gründen für ein deutsches Engagement gestellt. Das Kapitel gliedert sich in drei<br />
Abschnitte: Humanitäre Gründe und Wahrung der Menschenrechte, Stabilisierung v<strong>on</strong> Akteuren,<br />
v<strong>on</strong> denen eine Gefahr für Deutschland ausgehen könnte, und Beitrag zur Landesverteidigung<br />
sowie (Bündnis-)Solidarität und Aufbau v<strong>on</strong> neuen Akteuren auf militärischem Gebiet.<br />
Motiv 1: Humanitäre Gründe und Wahrung der Menschenrechte<br />
Einer ganzen Reihe v<strong>on</strong> Einsätzen sind die Ziele der Wahrung der Menschenrechte und der<br />
humanitären Hilfe gemeinsam. Hierfür lassen sich zahlreiche Beispiele anführen: 1993/1994<br />
beteiligte sich die Bundeswehr an der United Nati<strong>on</strong>s Operati<strong>on</strong> in Somalia (UNSOM II). Ziel<br />
der UN Operati<strong>on</strong> war es, in dem durch einen grausamen Bürgerkrieg zerstörten Land - wenn<br />
nötig auch mit Gewalt - Sicherheit herzustellen, um humanitäre Hilfe durchführen zu können. 38<br />
Deutschland beteiligte sich in Form v<strong>on</strong> logistischer Unterstützung der UN-Truppen vor Ort<br />
durch die Luftbrücke Mombasa-Somalia. Es wurden zahlreiche medizinische Behandlungen<br />
durchgeführt und in rund 30 Einzelprojekten humanitäre Hilfe ausgeführt. 39<br />
Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurde es notwendig, die Wahrung der<br />
Menschenrechte, das Leisten humanitärer Hilfe und das Herstellen einer rechtsstaatlichen<br />
38 Vgl. Department of Public Informati<strong>on</strong> (United Nati<strong>on</strong>s), Somalia - UNSOM II, o.O., 31.08.1996,<br />
http://www.un.org/Depts/DPKO/Missi<strong>on</strong>s/UNsom2p.htm [26.07.03].<br />
39 Vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Abgeschlossene Einsätze, UNSOM II in Somalia (United Nati<strong>on</strong>s<br />
Operati<strong>on</strong> in Somalia), Berlin, o.J. http://www.einsatz.bundeswehr.de/einsatz_abgeschl/abgeeins.php#2<br />
[26.07.2003].<br />
23
Ordnung im südöstlichen Europa mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Der Friedensvertrag<br />
v<strong>on</strong> Dayt<strong>on</strong> 40 beendete zwar den blutigen, ethnisch motivierten K<strong>on</strong>flikt in Bosnien-<br />
Herzegowina, jedoch war und ist zur Stabilisierung der Regi<strong>on</strong> die Präsenz einer internati<strong>on</strong>alen<br />
Truppe notwendig. Die Aufgaben der Implemenati<strong>on</strong> Force (IFOR) der Jahre 1995/1996 lassen<br />
sich aus besagtem Friedensvertrag v<strong>on</strong> Dayt<strong>on</strong> ableiten.<br />
Seit 1996 ist es Aufgabe der Stabilizati<strong>on</strong> Force (SFOR), den Frieden in Bosnien-Herzegowina<br />
aufrechtzuerhalten. Laut Begründung des Bundestagsbeschlusses vom 19. Juni 1998 wurden bei<br />
der Implementierung der zivilen Bestimmungen v<strong>on</strong> „Dayt<strong>on</strong>“ (z.B. Bildung gesamtstaatlicher<br />
Strukturen, Flüchtlingsrückkehr und Wiederaufbau) deutliche Fortschritte gemacht. 41 Vor allem<br />
der Aspekt der Flüchtlingsrückkehr spielt für die Bundesrepublik eine wichtige Rolle, hat sie<br />
doch während des Krieges einen Großteil der Vertriebenen aufgenommen. Darüber hinaus<br />
unterstützt SFOR das Internati<strong>on</strong>ale Kriegsverbrechertribunal bei seiner Arbeit in Bosnien-<br />
Herzegowina. 42<br />
Außerdem beteiligte sich die Bundeswehr an den Luftschlägen gegen Jugoslawien 1999, da die<br />
„serbischen Streit- und Sicherheitskräfte […] unter Missachtung der Menschenrechte<br />
systematisch gegen die Kosovo-Albaner vor[gingen]. Die Anwendung militärischer Gewalt blieb<br />
einziges Mittel, um die sich abzeichnende humanitäre Katastrophe abzuwenden.“ 43 Auf die sich<br />
anschließende KFOR-Operati<strong>on</strong> wird weiter unten genauer eingegangen.<br />
Motiv 2: Stabilisierung v<strong>on</strong> Akteuren, v<strong>on</strong> denen eine Gefahr für Deutschland<br />
ausgehen könnte und Beitrag zur Landesverteidigung<br />
Ein weiteres Ziel der genannten - und der folgenden Einsätze auf dem Balkan - war und ist die<br />
Stabilisierung der südosteuropäischen Peripherie. Sch<strong>on</strong> in den VPR v<strong>on</strong> 1992 wird vor dem<br />
gewaltsamen Aufbrechen „bisher unterdrückte[r], nicht auf dem ideologischen Gegensatz<br />
beruhende[r] K<strong>on</strong>flikte“ 44 gewarnt. Eine derartige Herausforderung läßt sich allerdings nicht in<br />
kurzer Zeit bewältigen, s<strong>on</strong>dern verlangt große zeitliche, finanzielle und militärisch-pers<strong>on</strong>elle<br />
40<br />
Vgl. The State Department, The Dayt<strong>on</strong> Peace Accords, o.O., 30.03.1996,<br />
http://www.state.gov/www/regi<strong>on</strong>s/eur/bosnia/bosagree.html [13.07.2003].<br />
41<br />
Vgl. BMVg, Folgeoperati<strong>on</strong> SFOR. Informati<strong>on</strong>en über die Beteiligung der Bundeswehr, B<strong>on</strong>n, September 2000,<br />
hier: Anhang.<br />
42<br />
Vgl. BMVg, Antworten auf häufig gestellte Fragen zu SFOR, Berlin, o.J.<br />
http://www.einsatz.bundeswehr.de/einsatz_aktuell/sfor/faq/faq_sfor.php [26.07.2003].<br />
43<br />
BMVg, Der Weg zum KFOR-Mandat, Berlin, o.J.<br />
http://www.bundeswehr.de/wir/einsatz/print/kfor.php [26.07.2003].<br />
44<br />
BMVg (1992), a.a.O., Ziff. 20.<br />
24
Anstrengungen. Bezüglich der SFOR Missi<strong>on</strong> in Bosnien-Herzegowina ist zu sagen, daß laut<br />
zitiertem Bundestagsbeschluß die zivilen Implementierungen v<strong>on</strong> „Dayt<strong>on</strong>“ „erfolgreich<br />
umgesetzt worden“ sind. 45 Deutschland beteiligte sich militärisch an den Luftschlägen der Nato-<br />
Operati<strong>on</strong> Allied Force gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999 und an der sich daran<br />
anschließenden Kosovo Force (KFOR). Diese soll „ein multi-ethnisches, friedliches,<br />
rechtsstaatliches und demokratisches Kosovo mit aut<strong>on</strong>omer Selbstverwaltung“ 46 aufbauen –<br />
erneut mit dem Langzeit-Ziel, die südosteuropäische Peripherie zu stabilisieren.<br />
Der Schutz deutscher Bürger im In- und Ausland hat mit den Terroranschlägen vom 11.09.2001<br />
in New York und Washingt<strong>on</strong> eine neue Qualität bekommen. In den aktuellen VPR v<strong>on</strong> 2003<br />
spielen der Terrorismus und dessen Bekämpfung die zentrale Rolle. Die Verteidigung<br />
Deutschlands findet jetzt auch an anderen Orten der Welt statt. 47 Dementsprechend beteiligt sich<br />
die Bundeswehr in großem Umfang am Kampf gegen den internati<strong>on</strong>alen Terrorismus (Enduring<br />
Freedom) und der Internati<strong>on</strong>al Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan. Erstgenannte<br />
Operati<strong>on</strong> hat zum Ziel: „Führungs- und Ausbildungseinrichtungen v<strong>on</strong> Terroristen<br />
auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie<br />
Dritte dauerhaft v<strong>on</strong> der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten.“ 48 Deutschlands<br />
Beitrag findet nicht nur aus Solidarität zu den USA, s<strong>on</strong>dern auch aus nati<strong>on</strong>alem Interesse statt,<br />
da „der internati<strong>on</strong>ale Terrorismus unsere Freiheit, unsere Werte, die Substanz unserer<br />
Gesellschaft im Visier hat.“ 49 Das starke Interesse und damit Engagement Deutschlands an der<br />
Bekämpfung des internati<strong>on</strong>alen Terrorismus läßt sich auch daran zeigen, daß die ISAF v<strong>on</strong><br />
Februar bis August 2003 unter deutsch-niederländischem Kommando stand. 50<br />
45<br />
Vgl. BMVg (2000), a.a.O.<br />
46<br />
BMVg, Antworten auf häufig gestellte Fragen zu KFOR, Berlin, 18.06.2003,<br />
http://www.einsatz.bundeswehr.de/einsatz_aktuell/kfor/faq/faq_kfor.php [26.07.03].<br />
47<br />
Vgl. Vergleich der Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) v<strong>on</strong> 1992 und 2003, oben in diesem Essay.<br />
48<br />
BMVg, Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Operati<strong>on</strong> ENDURING FREEDOM, Berlin, o.J.,<br />
http://www.einsatz.bundeswehr.de/einsatz_aktuell/oef/faq/faq_oef.php [03.09.03].<br />
49<br />
Ebd.<br />
50<br />
Vgl. <strong>Deutsche</strong> Bundesregierung, Deutschland und die Niederlande übergeben die Führung v<strong>on</strong> ISAF an die<br />
NATO, Berlin, 11.08.2003,<br />
http://www.bundesregierung.de/Themen-A-Z/Sicherheitspolitik-,8648.507430/artikel/Deutschland-und-die-<br />
Niederland.htm [14.09.03].<br />
25
Motiv 3: (Bündnis-)Solidarität und Aufbau neuer Akteure auf militärischem Gebiet<br />
Das letzte Motiv läßt sich in nahezu allen Einsätzen wiederfinden, da sie im Rahmen v<strong>on</strong> UN<br />
(z.B. Somalia) oder NATO (z.B. Balkan) stattfinden. Bes<strong>on</strong>ders aber der Beitrag Deutschlands<br />
bei der Operati<strong>on</strong> Enduring Freedom und bei ISAF läßt die Solidarität gegenüber dem<br />
Bündnispartner USA erkennen.<br />
Auf Einladung der dortigen Regierung und K<strong>on</strong>fliktparteien findet die EU Missi<strong>on</strong> C<strong>on</strong>cordia<br />
seit 2001 in Mazed<strong>on</strong>ien statt. Der „politische Prozeß“ und die „legitimen Instituti<strong>on</strong>en in<br />
Mazed<strong>on</strong>ien“ 51 sollen dem<strong>on</strong>strativ unterstützt werden. Dieser Einsatz wird v<strong>on</strong> der Bundeswehr<br />
als „EU Friedensmissi<strong>on</strong>“ bezeichnet. Daneben ist noch der Einsatz Artemis zu nennen, in dessen<br />
Rahmen 12 Soldaten in Uganda stati<strong>on</strong>iert sind. 52 Auch dieser findet unter EU-Führung statt. Die<br />
Bemühungen, die EU als relevanten Akteur bei militärischen Einsätzen ins Spiel zu bringen, sind<br />
hier unübersehbar.<br />
Fazit<br />
Im Mittelpunkt der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik steht der Schutz Deutschlands und<br />
seiner Bürger, aufgrund der Herausforderung des internati<strong>on</strong>alen Terrorismus neuerdings auch<br />
vermehrt im Ausland in Form einer nicht mehr territorial gebundenen Landesverteidigung.<br />
Wie der Vergleich der VPR v<strong>on</strong> 1992 und 2003 zeigt, gibt es mit dem Terrorismus, den Gefahren<br />
durch die Proliferati<strong>on</strong> v<strong>on</strong> Massenvernichtungswaffen und Informati<strong>on</strong>skriegsführung neue<br />
Schwerpunkte in den Herausforderungen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, welche<br />
auch in Zukunft v<strong>on</strong> zentraler Bedeutung sein werden. Vor allem ethnisch und religiös geprägte<br />
K<strong>on</strong>flikte bzw. Bürgerkriege fordern Deutschland und seine Bündnispartner zur<br />
Kriseninterventi<strong>on</strong> in der ganzen Welt, um hier für die Werte der westlichen Staatenwelt<br />
einzustehen, diese zu schützen und glaubhaft zu machen. Ein anderer wichtiger Aspekt ist die<br />
Demokratisierung der osteuropäischen Staaten und damit verbunden die Sicherung der<br />
europäischen Peripherie. Um den damit verbundenen Anforderungen gerecht zu werden und als<br />
ein vertrauenswürdiger und zuverlässiger Bündnispartner agieren zu können, muß die<br />
Bundeswehr weiter reformiert werden – weg v<strong>on</strong> einer zur Landesverteidigung aufgestellten, hin<br />
51 BMVg, Mazed<strong>on</strong>ien (Operati<strong>on</strong> C<strong>on</strong>cordia), Berlin, vom 13.06.2003,<br />
http://www.einsatz.bundeswehr.de/einsatz_aktuell/tff/ueberblick/tff_start.php [26.07.03].<br />
52 Vgl. BMVg, Einsatzgebiete der Bundeswehr (Stand 19.08.2003),<br />
http://www.bundeswehr.de/forces/030728_einsatz_welt.php [20.08.03].<br />
26
zu einer mobilen Armee, die für Einsätze in der ganzen Welt gewappnet ist und im Rahmen v<strong>on</strong><br />
multinati<strong>on</strong>alen Truppen ihren Beitrag leisten kann.<br />
Was die Zukunft bringt ist nicht sicher, jedoch wird Deutschland als eines der großen<br />
Industrieländer mit in die Verantwortung gezogen werden, wenn es darum geht, Frieden in der<br />
Welt zu schaffen bzw. Krieg und Terror zu verhindern. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß<br />
Deutschland selbst zum Ziel v<strong>on</strong> Terror wird, weshalb es sich so gut wie möglich auf diese<br />
Aufgaben vorbereiten sollte, um sich den kommenden Herausforderungen stellen zu können.<br />
27
Arbeitsgruppe 3<br />
Akteure und Entscheidungsprozesse<br />
Lars Bretthauer, Timo Erdmann, Martina Randel, Sabine Schlecker<br />
Bei der Entsendung der Bundeswehr zu einem Auslandseinsatz spielen Akteure und<br />
Entscheidungsprozesse eine wichtige Rolle. Die Akteure bestimmen mit ihren Überzeugungen<br />
und Interessen die laufenden Diskussi<strong>on</strong>en und tragen erheblich zum Ergebnis bei. Die Parteien<br />
stellen dabei die wichtigsten Akteure dar, da sie die Schlüsselpositi<strong>on</strong> im Parlament inne haben.<br />
Der Bundestag ist momentan das einzige Organ in Deutschland, das die Autorität besitzt, über<br />
Auslandseinsätze der Bundeswehr zu entscheiden.<br />
Die Sicherheitspolitik Deutschlands bietet mit ihren verstrickten Richtlinien ein breites<br />
Diskussi<strong>on</strong>sspektrum für die Akteure, die bei der Entscheidung zu Auslandseinsätzen der<br />
Bundeswehr beteiligt sind.<br />
Instituti<strong>on</strong>en und Verteidigungsfall<br />
Grundlage aller sicherheitspolitischen Entscheidungsprozesse ist aber der sog. „Heimatschutz“ 1 .<br />
Dieser beinhaltet „Krisenpräventi<strong>on</strong> und Krisenbewältigung“. Beide Maßnahmen erlauben es<br />
Deutschland sogar – basierend auf der „kollektiven Verteidigung“ –, Kampfhandlungen<br />
vorzunehmen. Doch bis solche Schritte bewilligt sind, müssen sie zunächst vom Bundestag und<br />
Bundesrat beschlossen und bewilligt werden. Der Ablauf des Entscheidungsprozesses ist im<br />
Grundgesetz festgelegt. So wird der Verteidigungsfall nur auf Antrag der Bundesregierung vom<br />
Bundestag mit Zustimmung vom Bundesrat festgestellt. Der Bundesrat muß mit 2/3 Mehrheit<br />
zustimmen, ans<strong>on</strong>sten wird der Antrag abgelehnt. Sollte der Fall eintreten, daß es dem Bundestag<br />
nicht möglich ist zusammenzutreten, so wird gemäß Art. 53a des Grundgesetzes ein<br />
„Gemeinsamer Ausschuß“ gebildet. Dieser setzt sich zu 2/3 aus Mitgliedern des Bundestages und<br />
zu 1/3 aus Mitgliedern des Bundesrates zusammen. Es dürfen hier keine Mitglieder der<br />
Bundesregierung vertreten sein. Der „Gemeinsame Ausschuß“ kann wiederum feststellen, ob der<br />
Bundestag beschlußfähig ist oder ob seinem Zusammentreffen unüberwindbare Hindernisse im<br />
Wege stehen. Je nach dem, wie seine Entscheidung ausfällt, übernimmt er gegebenenfalls die<br />
Stellung v<strong>on</strong> Bundestag und Bundesrat. Ist der Verteidigungsfall eingetreten, so wird er vom<br />
1 Vgl. Hans-Jürgen Leersch, Bundeswehr soll „Heimatschutz“ stärken, in: Die Welt, 26. Februar 2002 (<strong>on</strong>line).
Bundespräsidenten im Bundesgesetzblatt verkündet. Mit der Verkündigung des<br />
Verteidigungsfalles erhält der Bundeskanzler das Kommando und die Befehlsgewalt über die<br />
Streitkräfte, und die Bundesregierung kann als Folge den Grenzschutz im ganzen Land einsetzen.<br />
Zur allgemeinen Sicherheitspolitik Deutschlands gehört zudem, daß der Bundessicherheitsrat, der<br />
unregelmäßig zusammentritt, sich mit generellen und richtungsweisenden Fragen der Sicherheit<br />
beschäftigt. Er wird vom Bundeskanzler geleitet. Seine Sitzungen gehen meist auf<br />
Vorbereitungsgespräche der Staatssekretäre zurück, wobei die Inhalte allerdings streng geheim<br />
sind und nicht an die Öffentlichkeit gelangen dürfen. Zu seinen Aufgaben und Kompetenzen<br />
zählen die Koordinati<strong>on</strong> v<strong>on</strong> Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Vorbereitung v<strong>on</strong><br />
Regierungsentscheidungen. Er ist ebenso zuständig für Rüstungsexporte und -k<strong>on</strong>trolle. Dabei<br />
besitzt er Beschlußkompetenzen. Die Entscheidungen werden einvernehmlich getroffen. Der<br />
Bundessicherheitsrat setzt sich zusammen aus Bundeskanzler, Chef des Bundeskanzleramtes,<br />
Außen-, Verteidigungs-, Finanz-, Innen-, Justiz- und Wirtschaftsminister sowie dem Minister für<br />
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.<br />
Ein weiteres Organ der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik ist das Sicherheitskabinett.<br />
Wichtig ist, daß dies kein Kabinettsausschuß ist. Das Sicherheitskabinett wird ebenfalls vom<br />
Bundeskanzler zusammengerufen und geleitet, ist aber keine ständige Einrichtung. Es ist eher<br />
eine informelle Runde, bei der es keine Tagesordnung gibt. Der Bundeskanzler ruft das<br />
Sicherheitskabinett nur bei Bedarf zusammen. Dabei treffen sich dann der Bundeskanzler, der<br />
Chef des Bundeskanzleramtes, sowie Außen-, Verteidigungs- und Innenminister. Gegebenenfalls<br />
kommen weitere Minister aus Behörden hinzu, die vom Bundeskanzler geladen wurden. Die<br />
Aufgaben und Kompetenzen des Sicherheitskabinetts umfassen keine verbindlichen Beschlüsse<br />
über die Richtung, in die die Politik gehen soll. Es handelt sich hierbei vielmehr um einen<br />
schnellen und direkten Informati<strong>on</strong>saustausch, der nach Abwägung v<strong>on</strong> Interessen eine beratende<br />
Funkti<strong>on</strong> einnehmen soll.<br />
Die Positi<strong>on</strong> der Parteien zum neuen Verteidigungsbegriff<br />
Hier zeigen sich nun bereits Kritikpunkte und verbesserungsträchtige Aspekte der deutschen<br />
Sicherheitspolitik bei Entscheidungsprozessen über Auslandseinsätze der Bundeswehr.<br />
29
Das Entsendegesetz als Mittel zu mehr Flexibilität<br />
Kritisiert wird dabei unter anderem das komplexe und unflexible Abstimmungsverfahren. Im<br />
Ernstfall ist ein schnelles Entscheiden mit diesem Verfahren nicht realisierbar. Somit wurde auf<br />
der Suche nach einer besseren Variante unter anderem der Vorschlag eines Entsendegesetzes zur<br />
Diskussi<strong>on</strong> gebracht. Mit diesem Gesetz soll es leichter und unkomplizierter werden, die<br />
deutsche Bundeswehr im Ausland einzusetzen. Zunächst wird nämlich der Parlamentsvorbehalt<br />
übergangen, so daß eine schnellere und flexiblere Entsendung der Streitkräfte in Krisengebieten<br />
ermöglicht wird. Denn es hat sich gezeigt, daß, wie z.B. bei dem Mazed<strong>on</strong>ien-Einsatz oder bei<br />
der Operati<strong>on</strong> „Enduring Freedom“, die Parlamentszustimmung nicht immer gesichert ist.<br />
Zeitverzögerungen und lange Diskussi<strong>on</strong>en sind die Folge. Dies hat ebenfalls einen<br />
Reputati<strong>on</strong>sverlust der Bundesregierung im Ausland und auch im Innland zur K<strong>on</strong>sequenz. 2<br />
Deutschland läuft Gefahr, seiner Bündnissolidarität im Rahmen kollektiver Sicherheit nicht mehr<br />
in dem Sinne nachgehen zu können, wie es v<strong>on</strong> den Bündnispartnern (NATO, (W)EU) erwartet<br />
wird. 3 Mit dem Entsendegesetz sollen Verfahrensabläufe bei der Entscheidung zu<br />
Auslandseinsätzen geregelt werden. Klare Richtlinien werden gefordert, wie sie z.B. bereits in<br />
Österreich existieren.<br />
In dem österreichischen Entsendegesetz sind „grundsätzliche Abläufe und Kompetenzen sowie<br />
Beratungs- und K<strong>on</strong>trollfunkti<strong>on</strong>en mit dem Parlament“ 4 fester Bestandteil. Momentan sieht es<br />
so aus, daß es der Bundesregierung ermöglicht würde, Streitkräfte vorab in einen Einsatz zu<br />
entsenden, der dann erst im „Nachholverfahren“ durch den Bundestag legitimiert wird. Um ein<br />
vereinfachtes und schnelleres Verfahren zu erreichen, bedarf es allerdings einer<br />
Grundgesetzänderung. Dies ist nahezu allen Politikern nach den K<strong>on</strong>flikten um die Mazed<strong>on</strong>ien-<br />
Einsätze und die Einsätze bei der Operati<strong>on</strong> „Enduring Freedom“ klar: Veränderungen in der<br />
Sicherheitspolitik Deutschlands sind dringend erforderlich. Diese Debatten, vor allem um das<br />
WIE, werden in erster Linie v<strong>on</strong> den Parteien geführt, die teilweise sogar als erste Forderungen<br />
nach Verbesserungen vorgebracht haben.<br />
2<br />
Vgl. Heiko Rottmann, Die Debatte unter den Parteien ist eröffnet. Entsendegesetz ohne eine Veränderung des<br />
Grundgesetzes wahrscheinlich nicht möglich (Teil 1), in: aktuell – Zeitung für die Bundeswehr, Nr.11/2003, S. 5.<br />
3<br />
Vgl. Christian Wernicke, Nato dringt auf Bundeswehr-Entsendegesetz, in: Süddeutsche Zeitung, 2. August 2003,<br />
S. 7.<br />
4<br />
Heiko Rottmann, Die Debatte unter den Parteien ist eröffnet. Entsendegesetz ohne eine Veränderung des<br />
Grundgesetzes wahrscheinlich nicht möglich (Teil 1), in: aktuell – Zeitung für die Bundeswehr, Nr.11/2003, S. 5.<br />
30
Positi<strong>on</strong> der Parteien zum Entsendegesetz<br />
Die Uni<strong>on</strong> machte sch<strong>on</strong> 1994 einen Vorstoß zur Schaffung v<strong>on</strong> Krisenreakti<strong>on</strong>skräften, die auf<br />
erbitterten Widerstand der SPD sowie der FDP stießen. Sie forderte einen „Nati<strong>on</strong>alen<br />
Sicherheitsrat“, welcher eine umfassende Analyse neuer Bedrohungen für die innere und äußere<br />
Sicherheit und die Einleitung geeigneter Abwehrmaßnahmen sicherstellen könne. In diesem<br />
Zusammenhang müsse über ein Entsendegesetz nachgedacht werden, das die Möglichkeit der<br />
Entsendung v<strong>on</strong> Vor- und Erkundungskommandos ins Einsatzland zuläßt und ein Rückholrecht<br />
des Bundestages bzw. eine Anpassung des Mandates an eine veränderte Lage umfaßt.<br />
Neben der Uni<strong>on</strong> drängt inzwischen auch die FDP auf ein Entsendegesetz. FDP-Frakti<strong>on</strong>schef<br />
Wolfgang Gerhardt bet<strong>on</strong>t, daß die FDP-Bundestagsfrakti<strong>on</strong> willens war und ist, ein<br />
Entsendegesetz zu beschließen, um in K<strong>on</strong>fliktsituati<strong>on</strong>en Klarheit zu schaffen. Ein solches<br />
Gesetz müsse sowohl dem Gedanken einer Parlamentsarmee Rechnung tragen wie auch der<br />
Regierung in Krisenzeiten Handlungsspielräume lassen.<br />
Wie bereits erwähnt, war die SPD Anfang der 90er Jahre strikt gegen ein Entsendegesetz.<br />
Genauso wie die Sicherheitspolitik der Partei im Laufe der Jahre einen Wandel erfahren hat, hat<br />
sich auch ihre Einstellung zum Entsendegesetz geändert. Sch<strong>on</strong> vor dem Regierungswechsel<br />
1998 mußte sich die SPD der außenpolitischen Linie der europäischen Sozialdemokraten<br />
anpassen. Dazu kam, daß die Partei durch ihren Erfolg bei den Bundestagswahlen 1998 die<br />
bequeme Positi<strong>on</strong> der Oppositi<strong>on</strong>sbank verließ und sicherheitspolitisch in die Pflicht genommen<br />
wurde. Ein Entsendegesetz hätte auch für die SPD als regierende Partei den Vorteil v<strong>on</strong> mehr<br />
Handlungsspielraum.<br />
Im Gegensatz zur SPD hat der Wechsel auf die Regierungsseite bei den Grünen die ablehnende<br />
Haltung zum Entsendegesetz nicht verändert. Für sie ist immer noch der Bundestag letzte<br />
Entscheidungsinstanz, die parlamentarische Entscheidungshoheit über das Militär wird als<br />
demokratische Errungenschaft gesehen. 5 Auf ihr Drängen wurde die Ausarbeitung eines<br />
Entsendegesetzes weder 1998 noch 2002 in die Koaliti<strong>on</strong>svereinbarung aufgenommen.<br />
5 Vgl. Financial Times: Stichwort: Entsendegesetz, 26. März 2003, http://www.ftd.de/pw/in/1048234735910.html<br />
[27.07.2003].<br />
31
Positi<strong>on</strong> der Parteien zu „Out-of-area“-Einsätzen<br />
Das diskutierte Gesetz zur flexibleren Entsendung v<strong>on</strong> deutschen Truppen soll vor allem eine<br />
Antwort auf die neue Herausforderung durch „out-of-area“-Einsätze sein.<br />
Die CDU vertritt die Meinung, daß die Sicherheit Deutschlands künftig sch<strong>on</strong> dort geschützt<br />
werden müsse, v<strong>on</strong> wo die Gefahr ausginge. 6 Bedrohungen entstünden oft fernab und bedürften<br />
der Eindämmung und Bekämpfung, bevor sie die Landes- oder Bündnisgrenze erreichen<br />
könnten. Die völkerrechtliche Grundlage dafür müsse notfalls angepaßt werden. Die Bereitschaft<br />
zur Verteidigung v<strong>on</strong> Bündnisinteressen (NATO) solle auch außerhalb der Bündnisgrenzen<br />
bestehen, da die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit ihre K<strong>on</strong>turen verlieren<br />
würden.<br />
Eine Grundgesetzänderung über die Einsatzmöglichkeiten v<strong>on</strong> Bundeswehrsoldaten wurde bis<br />
1991 zwar nicht juristisch, aber zumindest politisch für notwendig gehalten. Ab Herbst 1992<br />
wurde dann der Standpunkt vertreten, daß auch Einsätze ohne vorherige Verfassungsänderung<br />
möglich seien und zwar auf Grundlage eines mit einfacher Mehrheit zu verabschiedenden<br />
Entsendegesetzes. Mit dieser Entscheidung k<strong>on</strong>nte sich die CDU/CSU jedoch auf Grund der<br />
ablehnenden Haltung der FDP nicht durchsetzen. Nach heutiger Auffassung v<strong>on</strong> CDU/CSU über<br />
Auslandseinsätze sollte sich die Bundeswehr der globalen Krisenbeherrschung und<br />
Friedenssicherung stellen und zu einem erheblichen Teil Kräfte für die damit<br />
zusammenhängenden multilateralen Einsätze bereitstellen. 7 Um dabei handlungsfähig zu bleiben,<br />
müsse die rasche Einsatzfähigkeit schnell verlegbarer Verbände ermöglicht werden. Die<br />
internati<strong>on</strong>ale Gemeinschaft müsse laut Uni<strong>on</strong> destabilisierende K<strong>on</strong>flikte schlichten und notfalls<br />
Frieden erzwingen, um mittelbare Gefahren v<strong>on</strong> Deutschland abzuhalten. Angesichts des<br />
internati<strong>on</strong>alen Terrorismus fordert sie eine präventive Sicherheitsstrategie.<br />
Die FDP vertritt die Meinung, daß die NATO-Militäreinsätze außerhalb des Bündnisgebietes<br />
nicht nur an das Völkerrecht und einen einstimmigen Beschluß des NATO-Rates gebunden sein<br />
sollen, s<strong>on</strong>dern auch an ein UN-Mandat. Die Standfestigkeit der FDP in der<br />
Verfassungsänderungsdebatte v<strong>on</strong> 1992 ließ jedoch immer mehr nach und näherte sich den<br />
Uni<strong>on</strong>sparteien weiter an. Die Positi<strong>on</strong> Anfang der 90er, Auslandseinsätze seien nur als<br />
6 Vgl. CDU/CSU Bundestagsfrakti<strong>on</strong>, Die Bundeswehr in einem geänderten sicherheitspolitischen Umfeld, Berlin,<br />
25.02.2003, http://www.cducsu.de/upload/bundeswehr030225.pdf [18.09.03].<br />
Alle folgenden Positi<strong>on</strong>en der Uni<strong>on</strong>sfrakti<strong>on</strong> sind ebenfalls diesem Programm entnommen.<br />
7 Vgl. ebd.<br />
32
Blauhelm-Operati<strong>on</strong>en unter UN-Oberkommando durchsetzbar, wurde in den Folgejahren durch<br />
die Grundlage eines Mandats des UN-Sicherheitsrates erweitert.<br />
Auch die SPD vertrat zu Beginn der 90er Jahre eine strikt ablehnende Haltung zu „out-of-area“-<br />
Einsätzen, 8 was sich an diversen Verfassungsklagen wie zum Beispiel gegen die Somalia-<br />
Operati<strong>on</strong> und die Entsendung deutscher Soldaten zu AWACS-Einsätzen aufzeigen läßt. Bis<br />
heute hat sich jedoch ein völliger Wandel vollzogen, und die SPD geführte Regierung hat<br />
mittlerweile mehr „out-of-area“-Einsätze veranlaßt als ihre Vorgänger.<br />
Für die Grünen darf die Bundeswehr nur dann an Operati<strong>on</strong>en teilnehmen, wenn zuvor der UN-<br />
Sicherheitsrat ein Mandat erteilt hat. 9 Dies sollte allerdings nur im Rahmen v<strong>on</strong><br />
Krisenpräventi<strong>on</strong>, Friedensbewahrung und -herstellung geschehen. Somit haben auch die Grünen<br />
ihre sicherheitspolitische Positi<strong>on</strong> gewandelt. Während sie früher Kampfeinsätzen gänzlich<br />
ablehnend gegenüberstanden, was sich mit ihrem Ursprung in der Friedensbewegung erklären<br />
läßt, sehen sie heute die Notwendigkeit, Kampfeinsätze durchzuführen.<br />
Heftigst über Auslandseinsätze der Bundeswehr wird auch in der PDS diskutiert. Diese<br />
„k<strong>on</strong>sequente Friedenspartei“ 10 , wie es im Parteiprogramm steht, hat seit ihrer Gründung Anfang<br />
der 90er Jahre keinen Wandel in ihrem Verhalten und ihrer Einstellung erfahren. Sie spricht sich<br />
grundsätzlich gegen jeglichen Krieg oder Militäreinsatz aus, wenn dieser nicht die direkte<br />
Landesverteidigung umfaßt. Des weiteren ist die PDS gegen den „westlichen Militärblock“, also<br />
gegen das (west-) europäische Verteidigungsbündnis. Diese Haltung hat die PDS auch<br />
k<strong>on</strong>sequent in allen Fällen beibehalten. Der ständige und grundsätzliche Widerstand der PDS ist<br />
eher symbolisch und besetzt als einzige noch die grundsätzlich anti-militaristische Positi<strong>on</strong>.<br />
Das Einsatzführungskommando als Antwort auf die veränderte sicherheitspolitische Lage<br />
Wie man sieht, stehen inzwischen nahezu alle Parteien hinter Auslandseinsätzen der<br />
Bundeswehr. Mit der daraus folgenden Häufung solcher Operati<strong>on</strong>en wurde die Schaffung eines<br />
Führungsstabs notwendig.<br />
8 Vgl. University of Phoenix, Country and Study Guide: The Out-of-area Debate.<br />
http://www.1upinfo.com/country-guide-study/germany/germany148.html. [25.07.03].<br />
9 Vgl. Bündnis 90/Die Grünen, Die Zukunft ist grün, Berlin, 17.03.2002, S. 164. Alle folgenden Positi<strong>on</strong>en der<br />
Partei sind ebenfalls diesem Programm entnommen.<br />
10 Partei des Demokratischen Sozialismus, Programm (überarbeiteter Entwurf), o.O., 22.02.2003, S. 18. Alle<br />
folgenden Positi<strong>on</strong>en der Partei sind ebenfalls diesem Programm entnommen.<br />
33
Am 1. Juli 2001 wurde das Einsatzführungskommando der Bundeswehr eingerichtet, welches die<br />
Planung und Führung der Streitkräfte auf nati<strong>on</strong>aler und multinati<strong>on</strong>aler Ebene gewährleistet.<br />
Geführt wird dieses derzeit v<strong>on</strong> Generalleutnant Friedrich Riechmann, dem Soldaten und zivile<br />
Mitarbeiter aus Heer, Luftwaffe, Marine, dem zentralen Sanitätsdienst und der Wehrverwaltung<br />
sowie Rechtsberater unterstehen. Diese arbeiten in zehn Abteilungen zusammen. Das<br />
Einsatzführungskommando gibt als einzige Dienststelle der Bundeswehr nati<strong>on</strong>ale Weisungen an<br />
die K<strong>on</strong>tingente im Einsatzgebiet weiter. Zum ersten Mal kam das Einsatzführungskommando<br />
im Rahmen der ISAF in Afghanistan zum Einsatz.<br />
„Operati<strong>on</strong> Libelle“ im Jahre 1997<br />
Eine Bes<strong>on</strong>derheit bei den Entscheidungsprozessen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr bildet<br />
die „Operati<strong>on</strong> Libelle“. Hierbei handelte es sich um die Evakuierung vornehmlich deutscher<br />
Zivilisten aus Albanien. Dieser Kampfeinsatz der Bundeswehr mußte aufgrund der<br />
sicherheitspolitischen Brisanz vor Ort ohne ausgiebige Parlamentsdiskussi<strong>on</strong> durchgeführt<br />
werden. 11 Innerhalb v<strong>on</strong> 24 Stunden mußte das Koblenzer Heeresführungskommando<br />
Kampftruppen und Sanitäter koordinieren. Aus Gründen der militärischen Geheimhaltung<br />
wurden in B<strong>on</strong>n nur die Frakti<strong>on</strong>sführer vorab informiert. Erst einige Tage später wurde dieser<br />
Einsatz vom Bundestag nachträglich autorisiert. In diesem Fall gab es keine nennenswerte<br />
parlamentarische Diskussi<strong>on</strong>, weil es sich um die Evakuierung v<strong>on</strong> Zivilisten handelte.<br />
Allerdings muß bedacht werden, daß hier ein Anfang gemacht wurde, einen Kampfeinsatz ohne<br />
vorherige Zustimmung des Bundestages durchzuführen. Dies zeigt, daß die Notwendigkeit für<br />
ein Entsendegesetz eindeutig gegeben ist.<br />
Fazit<br />
Zusammenfassend kann man sagen, daß angesichts der immer häufiger werdenden<br />
Auslandseinsätze der Bundeswehr die vorhandenen Instituti<strong>on</strong>en in der Zukunft nicht mehr<br />
zeitgemäß und ausreichend sein werden. Die dargelegten komplexen Entscheidungsprozesse und<br />
k<strong>on</strong>troversen Debatten zwischen den Hauptakteuren verhindern ein schnelles und flexibles<br />
Handeln. Das Einsatzführungskommando und das Entsendegesetz sind erste Schritte in Richtung<br />
einer modernen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Auf Dauer werden jedoch noch<br />
grundlegendere Reformen notwendig sein.<br />
11 Vgl. Martin S. Lambeck, Feuerbefehl verhinderte Panik, in: Die Welt, 22. März 1997 (<strong>on</strong>line).<br />
34
Arbeitsgruppe 4<br />
Fähigkeitsprofil der Bundeswehr<br />
Thorsten Eberhardt, René Fritsch, Martin Heuskel<br />
Nach den bisher behandelten rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen der deutschen<br />
Verteidigungspolitik soll an dieser Stelle das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr untersucht<br />
werden. Der Begriff des „Fähigkeitsprofils“ stellt dabei eine Antwort auf die Frage dar, welche<br />
Arten v<strong>on</strong> Einsätzen überhaupt praktisch durchführbar sind und in welchem Umfang dies<br />
geschehen kann. Idealerweise entsprechen die vorgehaltenen militärischen Ressourcen dem, was<br />
erforderlich ist, um den auf der politischen Ebene formulierten Herausforderungen gerecht zu<br />
werden. Diese Herausforderungen und Bedrohungen 1 haben sich seit Gründung der Bundeswehr<br />
im Jahre 1955 geändert, wodurch sich ein Anpassungsdruck für die materielle Ausstattung der<br />
Armee ergab. Ziel dieses Essays ist es daher, das ursprüngliche Fähigkeitsprofil der Bundeswehr<br />
im K<strong>on</strong>text der damaligen Bedrohungslage darzustellen und zu untersuchen, welche<br />
Veränderungen seit dem zu verzeichnen waren.<br />
Die Blockk<strong>on</strong>fr<strong>on</strong>tati<strong>on</strong> des Kalten Krieges als prägender Faktor<br />
Die Ursprünge der Bundeswehr in den 1950er Jahren sind eng mit dem politischen Umfeld des<br />
sich entwickelnden Ost-West-K<strong>on</strong>flikts verknüpft. Die westdeutschen Streitkräfte waren niemals<br />
als rein nati<strong>on</strong>ale Verteidigungsarmee geplant, s<strong>on</strong>dern wurden als ein Beitrag zur Verteidigung<br />
des NATO-Gebietes aufgestellt und standen unter K<strong>on</strong>trolle der westlichen Allianz. Ihre Größe<br />
und Struktur hing daher stark v<strong>on</strong> der Sicherheitsstrategie der NATO ab.<br />
Die NATO-Strategie beinhaltete seit 1957 das K<strong>on</strong>zept der massiven atomaren Vergeltung durch<br />
die USA bei einem Angriff des Warschauer Paktes. 2 Die Verteidigung mit k<strong>on</strong>venti<strong>on</strong>ellen<br />
Mitteln hingegen oblag den weiteren europäischen Verbündeten. Dabei lag die<br />
Hauptverteidigungslinie aufgrund der geostrategischen Lage und im Sinne einer<br />
1 Vgl. Essay zwei „Werte, Interessen und Herausforderungen“ in dieser Sammlung.<br />
2 Vgl. NATO Military Committee, Overall Strategic C<strong>on</strong>cept for the Defense of the North Atlantic Treaty Organizati<strong>on</strong><br />
Area (MC 14/2), 23. Mai 1957, http://www.nato.int/docu/stratdoc/eng/a570523a.pdf, [18.09.03].
„Vorwärtsverteidigung“ auf bundesdeutschem Gebiet. 3 Deutschland hatte sich 1955 bei der<br />
Gründung der Bundeswehr und gleichzeitigem Eintritt in die NATO in diese Strategie<br />
einzufügen. Dies prägte das Fähigkeitsprofil und die Struktur der Bundeswehr über die folgenden<br />
Jahrzehnte. Unter den Bedingungen, daß die deutschen Streitkräfte nicht mehr als 20% der<br />
Truppen in Europa ausmachen durften und gleichzeitig kleiner als die französische Armee<br />
bleiben mußten, war eine Größe v<strong>on</strong> 500.000 Soldaten geplant. Die Aufstellung einer Armee<br />
dieser Stärke war unter den gegebenen Umständen nur durch die Einführung einer allgemeinen<br />
Wehrpflicht zu erreichen. 4 Auftrag der neu entstandenen Armee war die Stärkung der<br />
k<strong>on</strong>venti<strong>on</strong>ellen Verteidigungskräfte der NATO in einem K<strong>on</strong>fliktfall mit dem Warschauer Pakt.<br />
Man erwartete, daß nach Durchführung des atomaren Erst- und des darauffolgenden<br />
Vergeltungsschlages ein k<strong>on</strong>venti<strong>on</strong>eller Krieg mit einer Fr<strong>on</strong>tlinie auf deutschem Boden<br />
stattfinden würde. Die Struktur der Bundeswehr mußte also darauf ausgelegt werden, das<br />
Vorrücken der russischen Panzerdivisi<strong>on</strong>en zu verhindern. Um dies zu erreichen, bestand die<br />
Bundeswehr zu ca. 70% aus Heeresstreitkräften mit einem hohen Anteil an Panzer-,<br />
Panzergrenadier- und Panzerjägereinheiten. Diese mechanisierten Verbände sollten im Kampf<br />
der verbundenen Waffen die russischen Panzer stoppen. Die Bereitstellung leichter und mobiler<br />
Infanterieeinheiten wurde in diesem K<strong>on</strong>zept einer statischen Verteidigungsarmee vernachlässigt.<br />
Auch die Herstellung weitreichender Verlegefähigkeit wurde aufgrund der Annahme, daß ein<br />
möglicher Krieg auf deutschem Boden ausgetragen werden würde, nicht für erforderlich<br />
gehalten. Die pers<strong>on</strong>elle Stärke der Bundeswehr und ihrer Teilstreitkräfte blieb bis zur<br />
Wiedervereinigung, basierend auf den Überlegungen und Planungen der frühen fünfziger Jahre,<br />
unverändert. 5<br />
Beginnend mit dem 2+4-Vertrag v<strong>on</strong> 1990 kam es zu ersten Veränderungen an Struktur und<br />
Stärke der Bundeswehr. Man beschloß, die Truppenstärke auf 370.000 Soldaten zu senken 6 und<br />
legte in den Verteidigungspolitischen Richtlinien v<strong>on</strong> 1992 fest, die Bundeswehr strukturell den<br />
veränderten Aufgaben anzupassen. 7 Erstmalig wurde die Teilnahme an krisenbewältigenden<br />
internati<strong>on</strong>alen Einsätzen neben der Landes- und Bündnisverteidigung als eine Hauptfunkti<strong>on</strong> der<br />
Bundeswehr definiert. Fortan wurde unterschieden zwischen Hauptverteidigungs- und<br />
Krisenreakti<strong>on</strong>skräften. Letztgenannte hatten 1995 einen Umfang v<strong>on</strong> 53.000 Soldaten bei einer<br />
3<br />
Vgl. Ortwin Buchbender et al., Wörterbuch zur Sicherheitspolitik mit Stichworten zur Bundeswehr, 4. Auflage,<br />
Hamburg u.a. 2000, S. 248.<br />
4<br />
Vgl. Heinz Brill, Deutschlands geostrategische Lage und Wehrstruktur (1949-1999), in: Österreichische<br />
Militärische Zeitschrift, Nr. 4, Juli/August 1999, S. 417.<br />
5<br />
Vgl. ebd.<br />
6<br />
Vgl. Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland, hier: Art. 3 II, 12. September 1990,<br />
http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/download/pdf/dokumente/6-1aj.pdf [25.08.03].<br />
7<br />
Vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Verteidigungspolitische Richtlinien 1992, B<strong>on</strong>n, 26. November 1992.<br />
36
Gesamtstärke v<strong>on</strong> ca. 340.000, wobei der Anteil der Wehrpflichtigen etwa 150.000 Mann betrug.<br />
Die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht wurde als weiterhin notwendig betrachtet, um im<br />
Verteidigungsfall eine Aufwuchsfähigkeit auf ca. 680.000 Mann sicherzustellen.<br />
Veränderungen der sicherheitspolitischen Situati<strong>on</strong><br />
Die Bundeswehr des Jahres 2003 ist nicht mehr die Bundeswehr des Jahres 1990. Diese banale<br />
Aussage wird wohl niemand ernsthaft in Zweifel ziehen. Doch was sind die Elemente, welche<br />
die heutige Bundeswehr v<strong>on</strong> der Armee der Wendezeit unterscheiden? Welche Grundlagen sind<br />
für diese Änderungen maßgebend gewesen? Die Bundeswehr v<strong>on</strong> 1990 ist ausschließlich als<br />
Defensivstreitmacht für den Kalten Krieg k<strong>on</strong>zipiert gewesen. Doch mit Änderung der<br />
sicherheitspolitischen Lage und Wegfall der Bedrohung durch einen massiv vorgetragenen<br />
Angriff der Panzerarmeen des Warschauer Paktes ist diese Planungsgrundlage deutscher<br />
Verteidigungspolitik nicht mehr v<strong>on</strong> zentraler Relevanz. Neue Bedrohungsszenarien sind an die<br />
Stelle der Ost-West-K<strong>on</strong>fr<strong>on</strong>tati<strong>on</strong> getreten, obgleich die Landesverteidigung als denkbare, wenn<br />
auch weniger wahrscheinliche Variante des Streitkräfteeinsatzes in den Planungen der<br />
Bundeswehr weiterhin eine Rolle spielen wird. Die neuen Herausforderungen und damit die zu<br />
erwartenden Einsatzopti<strong>on</strong>en für deutsche Streitkräfte haben sich sch<strong>on</strong> in den neunziger Jahren<br />
des letzten Jahrhunderts gezeigt: Asymmetrische Bedrohungen 8 sowie friedenserzwingende und<br />
friedenssichernde Auslandseinsätze, teilweise auch im außereuropäischen Raum. Militärische<br />
Auseinandersetzungen werden zunehmend privatisiert und damit entstaatlicht, so daß die<br />
Wahrscheinlichkeit groß ist, auch auf nichtstaatliche Akteure als Gegner der Bundeswehr zu<br />
treffen. Diese Akteure bedienen sich asymmetrischer Kriegsführungsstrategien, d.h. sie<br />
attackieren regulär aufgestellte Streitkräfte oder Staaten mit minimalem Aufwand, aber teilweise<br />
großer Wirkung. 9 Die für die deutsche Armee zu erwartenden Einsätze sind aufgrund der<br />
Multidimensi<strong>on</strong>alität der möglichen K<strong>on</strong>flikte und K<strong>on</strong>fliktregi<strong>on</strong>en nur noch eingeschränkt<br />
vorhersehbar. Neben den Herausforderungen der sicherheitspolitischen Lage sind jedoch auch<br />
andere Aspekte als Determinanten für das Fähigkeitsprofil relevant.<br />
8 Asymmetrische Bedrohungsszenarien sind solche Szenarien, in denen der eine Akteur im K<strong>on</strong>flikt, meist eine<br />
vergleichsweise hochgerüstete Armee, mit einem Akteur k<strong>on</strong>fr<strong>on</strong>tiert wird, der auf Taktiken des Terrorismus und<br />
der Guerillakriegführung setzt.<br />
9 Vgl. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Reinbek bei Hamburg, 2002.<br />
37
Einflußfaktoren des Fähigkeitsprofils<br />
Selbstverständnis<br />
Das deutsche Selbstverständnis über die Rolle der Bundeswehr hat sich in den letzten Jahren<br />
verändert hin zur Bereitschaft, die Streitkräfte nicht nur als Defensivpotential gegen die<br />
Bedrohung aus der sowjetischen Einflußsphäre zu betrachten, s<strong>on</strong>dern sie nach dem Vorbild der<br />
Streitkräfte anderer westlicher Nati<strong>on</strong>en als Einsatzarmee in internati<strong>on</strong>ale Einsätze zu<br />
entsenden. Diese Entwicklung scheint ihre endgültige Manifestati<strong>on</strong> in der v<strong>on</strong> deutschen<br />
Kampfeinsätzen unterstützten, nicht UN-mandatierten Kosovo-Interventi<strong>on</strong> gefunden zu haben.<br />
Die Bundesregierung ist nun auch bereit deutsche Soldaten in Kampfeinsätze zu entsenden, um<br />
Menschenrechtsverletzungen und Völkermord zu verhindern und Regime zu stürzen bzw. in<br />
ihrem Herrschaftsbereich zu begrenzen, die diese Praktiken der Gewaltanwendung fördern oder<br />
billigen (Milosevic, Kosovo-Krieg). 10 Im Rahmen des Kosovo-K<strong>on</strong>fliktes offenbarte sich eine<br />
Inkompatibilität zwischen den Leitlinien deutscher Außenpolitik „Nie wieder Krieg“ und „Nie<br />
wieder Auschwitz“, deren K<strong>on</strong>sequenz ein Paradigmenwechsel hin zu einem neuen Leitmotiv<br />
war: „Auschwitz kann, wenn andere Möglichkeiten gescheitert sind, auch durch Krieg verhindert<br />
werden.“ Diese Prioritätenverschiebung nimmt auch eigene Verluste bei militärischen Einsätzen<br />
in Kauf, welche sich nicht nur auf Friedenssicherung k<strong>on</strong>zentrieren, s<strong>on</strong>dern auch die<br />
Friedenserzwingung als anwendbares Mittel beinhalten. 11 Mit dieser Positi<strong>on</strong> hat die<br />
Bundesrepublik ihre militärische Zurückhaltung aufgegeben und bedient sich nun der Streitkräfte<br />
als aktiv handelndem, außenpolitischen Instrument.<br />
Bündnisverpflichtungen<br />
Deutschland ist ein Akteur in den Internati<strong>on</strong>alen Beziehungen, der in Internati<strong>on</strong>alen<br />
Organisati<strong>on</strong>en integriert ist und damit vielfältigen Bündnisverpflichtungen unterliegt. So hat die<br />
Bundesrepublik sich im Rahmen der NATO mit der „Initiative zur Verteidigungsfähigkeit“<br />
(Defence Capabilities Initiative, DCI; 25. April 1999) auf Schwerpunkte und Zielvorgaben bei<br />
der Beschaffung v<strong>on</strong> Wehrmaterial festgelegt. Die deutschen Schwerpunkte bei diesem<br />
ehrgeizigen Programm sind die Bereiche strategische (Luft)-Verlegefähigkeit, weltumspannende<br />
10 Vgl. Martin Wagener, Auslandseinsätze der Bundeswehr. Normalisierung statt Militarisierung deutscher<br />
Sicherheitspolitik, in: Hanns Maull, Sebastian Harnisch, C<strong>on</strong>stantin Grund (Hrsg.), Deutschland im Abseits?<br />
Rot-grüne Außenpolitik 1998-2003, Baden-Baden 2003, S. 39ff.<br />
11 Dies lässt sich auch in Anbetracht der kategorischen Ablehnung einer deutschen Beteiligung an der US-geführten<br />
Irak-Interventi<strong>on</strong> vom März 2003 seitens der Bundesregierung k<strong>on</strong>statieren. Hier haben wohl innenpolitische<br />
Faktoren bei der Entscheidungsfindung eine nicht unerhebliche Rolle gespielt.<br />
38
Aufklärung sowie Führungs- und Kommunikati<strong>on</strong>sfähigkeit. Anläßlich des Prager NATO-<br />
Gipfels im November 2002 wurde die Aufstellung einer NATO-Kriseninterventi<strong>on</strong>struppe<br />
(NATO Resp<strong>on</strong>se Force) beschlossen, an der Deutschland sich ebenfalls in größerem Umfang<br />
beteiligt. Neben der NATO gibt aber auch die EU Vorgaben, welche die Streitkräfteentwicklung<br />
tangieren. Zu nennen sind die Vereinbarungen der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und<br />
Verteidigungspolitik (GESVP), welche neben der Aufstellung einer EU-Eingreiftruppe die<br />
Beseitigung v<strong>on</strong> Fähigkeitsdefiziten vorsehen. 12<br />
Wehrtechnische Industrie<br />
Es scheint erforderlich, einen Blick auf die Ressourcen der deutschen wehrtechnischen Industrie<br />
zu werfen, da diese maßgeblich in die Modernisierung der Bundeswehr eingebunden sein wird.<br />
Als wesentliches Standbein deutscher Sicherheitspolitik genießt die wehrtechnische Industrie<br />
internati<strong>on</strong>al einen nicht zu unterschätzenden Ruf, welcher sich auch in Exporterfolgen<br />
niederschlägt. Nati<strong>on</strong>al leidet sie allerdings unter der niedrigen Investivquote des<br />
Verteidigungshaushalts. Im Bereich der Luft- und Raumfahrtindustrie sowie im maritimen<br />
Rüstungssektor ist die Auftragslage noch als ausreichend zu bezeichnen, während sich die<br />
Heeres- sowie die Muniti<strong>on</strong>sindustrie in einer kritischen Situati<strong>on</strong> befinden. Dies erklärt sich aus<br />
den Überkapazitäten der Bundeswehr bei den Landstreitkräften sowie der umfangreichen<br />
Muniti<strong>on</strong>sbevorratung und der zunehmenden Anwendung moderner Simulati<strong>on</strong>stechniken. Diese<br />
Sparten der wehrtechnischen Industrie sind bes<strong>on</strong>ders gefährdet im Falle einer Einstellung eines<br />
Großprojektes und bedürfen dringend politischer Unterstützung zur Sicherung der<br />
Überlebensfähigkeit, falls es beabsichtigt ist, auf die Fähigkeiten der o. g. Bereiche in den<br />
nächsten Jahren zurückzugreifen und nicht das Gros des betreffenden Materials im Ausland zu<br />
beschaffen.<br />
Ausbildung<br />
Auf das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr wirkt sich aber neben den genannten Faktoren auch der<br />
Ausbildungsstand der Soldaten sowie die Fähigkeit aus, im jeweils erforderlichen Ausmaß<br />
ausgebildetes Fachpers<strong>on</strong>al, also Spezialisten, in den Einsatz zu schicken, welche über<br />
Fähigkeiten verfügen müssen, die über die eines Wehrpflichtigen in der Panzergrenadiertruppe<br />
deutlich hinausgehen. In den Balkan-Einsätzen der Bundeswehr wurden und werden z.B. noch<br />
spezialisierte Kräfte für die CIMIC-Verbände (Civil-Military-Cooperati<strong>on</strong>; Zivil-Militärische<br />
12 Vgl. IAP-Dienst Sicherheitspolitik, Bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr, S<strong>on</strong>derheft, Oktober 2002, S.<br />
4 f.<br />
39
Zusammenarbeit) benötigt, welche Aufgaben ausführten, die eher ziviler Natur gewesen sind.<br />
Diese Aufgaben, die dem Nati<strong>on</strong> Building (Aufbau v<strong>on</strong> Staatsstrukturen) sowie allgemeiner<br />
Entwicklungshilfe mit Tätigkeiten wie dem Aufbau v<strong>on</strong> Infrastruktur oder polizeilichen und<br />
quasi-judikativen Aufgaben zuzurechnen sind, werden klassischerweise in der Ausbildung v<strong>on</strong><br />
Soldaten nicht berücksichtigt (partielle Ausnahme: Pi<strong>on</strong>iere). Bei dem Kosovo Force (KFOR)-<br />
Einsatz müssen die deutschen Soldaten z.B. auch „den Berufsbildern Polizist, Sozialarbeiter,<br />
Mediator und Aufbauhelfer entsprechen.“ 13 Aus diesem Grund sind für solche Aufgaben gerade<br />
Reservisten mit entsprechender Fachausbildung gefragt. Jene könnten nach Bedarf eingezogen<br />
werden. An dieser Stelle muß die Frage aufgeworfen werden, wie die Bundeswehr solches<br />
Pers<strong>on</strong>al rekrutieren will, falls die Wehrpflicht abgeschafft wird. 14 Problematisch bei der<br />
Durchführung der Auslandseinsätze ist auch die Zusammensetzung der jeweils in den Einsatz<br />
entsandten K<strong>on</strong>tingente, welche aus den verschiedensten Einheiten und Teilstreitkräften<br />
zusammengestellt werden und deshalb in der Zusammenarbeit noch nicht reibungslos agieren<br />
können. Der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos sieht in der Fähigkeit, spezialisiertes<br />
Pers<strong>on</strong>al zu entsenden, die Kernherausforderung für die Zukunft. Technische Fähigkeiten seien<br />
unproblematischer (durch Kauf oder Leasing) zu beschaffen, dahingegen „bleiben Engpässe bei<br />
spezialisiertem Pers<strong>on</strong>al der limitierende Faktor für die Zahl v<strong>on</strong> Auslandseinsätzen.“ 15 Ein gutes<br />
Beispiel für die gerade geschilderte Problemlage sind die Schwierigkeiten der Bundeswehr,<br />
Pers<strong>on</strong>al in ausreichender Zahl für die Spezialeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) zu<br />
rekrutieren, die sich zur Zeit in Afghanistan im Anti-Terror-Einsatz Enduring Freedom<br />
befindet. 16<br />
Defizite und deren Regulierung<br />
Nun stellt sich also folgende Frage: Wie ist die Bundeswehr auf die oben skizzierte neue<br />
Situati<strong>on</strong> eingestellt, wo sind ihre Defizite und welche Anstrengungen wurden zur Behebung<br />
dieser Defizite unternommen? Die zurückliegenden wie die noch laufenden Einsätze im Ausland<br />
haben die Defizite der deutschen Streitkräfte zu Tage gefördert: Mit der Ausrüstung des Kalten<br />
Krieges kann die Bundeswehr nur schwerlich die Aufgaben bewältigen, denen sie heute<br />
13 Peter Goebel, Less<strong>on</strong>s learned - der Blick nach vorn, in: Peter Goebel (Hrsg.), V<strong>on</strong> Kambodscha bis Kosovo.<br />
Auslandseinsätze der Bundeswehr, B<strong>on</strong>n 2000, S. 329.<br />
14 Es sei denn, die Bundeswehr tritt diese Aufgaben in Gänze an zivile Organisati<strong>on</strong>en ab, z.B. Hilfsorganisati<strong>on</strong>en,<br />
Unternehmen oder ein sch<strong>on</strong> einmal angedachtes „Friedenskorps“.<br />
15 Friedrich Riechmann, Ein Jahr Einsatzführungskommando der Bundeswehr, in: Soldat und Technik, Nr.10, S.<br />
13. Der Schluß v<strong>on</strong> Generalleutnant Riechmann läßt die Möglichkeit unberücksichtigt, durch das Anwerben<br />
ausländischer Fachkräfte die deutschen Lücken auch beim Pers<strong>on</strong>al zu überbrücken oder gar zu beheben. Doch<br />
die Vorstellung, in Auslandseinsätzen Söldner (-firmen) als Subunternehmer der Bundeswehr einzusetzen,<br />
erscheint nicht nur gewöhnungsbedürftig, s<strong>on</strong>dern auch wenig wünschenswert.<br />
16 Vgl. Adolf Brüggemann, Kampf gegen den Terrorismus, in: Europäische Sicherheit, Nr. 7, Juli 2003, S. 63.<br />
40
gegenübersteht. Die entscheidenden Defizite liegen in den Bereichen strategische<br />
Verlegefähigkeit, weitreichende Logistik, Führungsfähigkeit und Bündnisinteroperabilität sowie<br />
bei der Aufklärungsfähigkeit. Die Bundeswehr hat auf die neuen Herausforderungen der 90er<br />
Jahre nicht nur mit der Änderung der technischen Ausrüstung reagiert, s<strong>on</strong>dern auch mit<br />
strukturellen Änderungen. Deutschland verfügt seit Juli 2001 über ein<br />
Einsatzführungskommando, welches die zentrale Kommando- und Lenkungsinstanz der<br />
Bundeswehr-Auslandseinsätze geworden ist, womit Deutschland sich den Strukturen seiner<br />
Bündnispartner angepaßt hat. Eine Streitkräftebasis als fünfte Teilstreitkraft wurde zur<br />
Übernahme der teilstreitkräftegemeinsamen Aufgaben, vor allem solcher aus dem Bereich der<br />
Logistik, ins Leben gerufen. Die Divisi<strong>on</strong> Spezielle Operati<strong>on</strong>en (DSO) sowie das ihr zugehörige<br />
KSK wurden als für (Kampf)-Einsätze im Ausland bes<strong>on</strong>ders geeignete Verbände aufgestellt.<br />
Beschaffungen und Beschaffungsvorhaben<br />
Mit dem Projekt A400M wird (wenn auch auf vergleichsweise niedrigem Niveau) die<br />
Luftverlegefähigkeit verbessert werden. Bis zur Lieferung des neuen Airbus, frühestens im Jahr<br />
2009, 17 ist die Bundeswehr jedoch weiterhin auf fremde Kapazitäten angewiesen, um Einsatzorte<br />
wie Afghanistan zu erreichen. Der Bau eines Einsatztruppenunterstützungsschiffes (ETRUS)<br />
würde die Verlegefähigkeit über See sowie die Stehzeit der Landstreitkräfte im Einsatzraum in<br />
erheblichem Ausmaß verbessern, wie dies der Einsatzgruppenversorger (EGV) für die<br />
Seestreitkräfte vermag. Hinter die Realisierung des Projektes des ETRUS ist jedoch noch ein<br />
Fragezeichen zu setzen. Verschiedene Beschaffungsvorhaben verbessern die Wirksamkeit im<br />
Einsatz und runden die (Kampf)-Fähigkeiten ab. Dies trifft auf den Eurofighter, dessen erstes<br />
Exemplar der Luftwaffe in diesem Jahr übergeben wurde, wie den sich ebenfalls im Zulauf<br />
befindenden Kampfhubschrauber Tiger zu. Die Luftwaffe erhält ab dem Jahresende 2004 18 die<br />
Präzisi<strong>on</strong>swaffe Taurus, mit deren Hilfe dann Präzisi<strong>on</strong>sangriffe unter Vermeidung allzu hoher<br />
ziviler Opferzahlen (Stichwort: „Kollateralschäden“) möglich sind. Die Flugkörper IRIS-T und<br />
Meteor sind als wesentlicher Bestandteil der Eurofighter-Bewaffnung für dessen<br />
Durchsetzungsfähigkeit in der Bekämpfung gegnerischer Luftziele verantwortlich. Die<br />
Wirksamkeit im Einsatz werden ebenso die Vorhaben neues Gepanzertes Transportfahrzeug<br />
GTK, neuer Schützenpanzer SPz, die Korvette K 130 mit den Lenkflugkörpern Polyphem (dieser<br />
ist aufgrund der Lenkung durch Lichtwellenleiter sehr präzise einsetzbar) und RBS 15 Mk3<br />
sowie das U-Boot U212A erhöhen, während die Anschaffung der drei Fregatten vom Typ 124<br />
17<br />
Vgl. Soldat und Technik, Themenausgabe „Das BWB und seine Projektabteilungen“, Nr. 12, Dezember 2002, S.<br />
43.<br />
18<br />
Vgl. Karl Häringer/Bernd Jelinek, Moderne Luft/Boden-Bewaffnung der Luftwaffe, in: Soldat und Technik,<br />
Nr.1, Januar 2003, S. 34.<br />
41
Sachsen-Klasse auch die Führungsfähigkeit erheblich verbessert; Anstrengungen in diesem<br />
Bereich werden bei der Bundeswehr intensiviert.<br />
Weiterhin bestehende Defizite<br />
Die Fähigkeiten, über die die Bundeswehr zur Zeit verfügt, reichen nicht aus, um eine Operati<strong>on</strong><br />
durchzuführen, in der alle Segmente moderner Streitkräfte gefordert sind, wie dies die<br />
Vereinigten Staaten in den Einsätzen in Afghanistan und im Irak dem<strong>on</strong>striert haben. Der Nutzen<br />
neu beschaffter Waffensysteme zeigt sich bes<strong>on</strong>ders plastisch bei der Operati<strong>on</strong> Enduring<br />
Freedom und bei ISAF in Afghanistan: Die Einsatzgruppenversorger zur Verbesserung der<br />
Logistik sowie das Allschutztransportfahrzeug (ATF) Dingo zum Schutz der Soldaten im<br />
Einsatzland haben sich bereits bewährt. Die Gewichtung der verschiedenen<br />
Beschaffungsvorhaben bzw. deren Stückzahlen erscheint teilweise aber unausgewogen. Für einen<br />
Eurofighter könnte man z.B. die für die aktuellen Auslandseinsätze relevantere Dingo-Flotte<br />
deutlich ausweiten. Die Investiti<strong>on</strong> in Großprojekte der Luftwaffe ist zwar auch sinnvoll, diese<br />
Ausgaben könnte man allerdings eher bei einem deutlich ausgeweiteten Verteidigungsetat<br />
ermöglichen. In der angespannten Situati<strong>on</strong> binden solche vertraglich festgelegten Vorhaben,<br />
Mittel, welche für den immediaten Bedarf der Auslandseinsätze entfallen. 19 Der<br />
Verteidigungshaushalt in seiner derzeitigen Ausgestaltung ist für die Erreichung der<br />
selbstgesteckten Ziele (v.a. DCI) nicht ausreichend. Eine erfolgreiche Modernisierung der<br />
Bundeswehr setzt eine Erhöhung der Investivquote des Verteidigungsetats in erheblichem<br />
Ausmaße voraus. Die Etats aller europäischen NATO-Staaten müssten um ca. 3 - 4% steigen, nur<br />
um die DCI-Forderungen zu erfüllen. Die fiskalischen Mittel, welche in Deutschland seit den<br />
frühen 90er Jahren des letzten Jahrhunderts für die Bundeswehr und im Bes<strong>on</strong>deren für<br />
Investiti<strong>on</strong>en in militärisches Gerät aufgewendet wurden, gingen aber k<strong>on</strong>tinuierlich zurück. 20<br />
Bes<strong>on</strong>ders an dieser Stelle wird der Bedarf nach einer tragfähigen Strategie und einem darauf<br />
basierenden sicherheitspolitischen K<strong>on</strong>zept deutlich, welches allerdings ein Umdenken der<br />
politischen Führung voraussetzt. Es bleibt anzumerken, daß das Ziel deutscher Sicherheitspolitik<br />
im Sinne der Glaubwürdigkeit der deutschen Positi<strong>on</strong> und dem Schutz der eingesetzten Soldaten<br />
im Einsatz nur sein kann, die K<strong>on</strong>gruenz v<strong>on</strong> Aufgaben (welche eigens unter dem Oberbegriff<br />
Ziele deutscher Sicherheitspolitik zu definieren sind) und Fähigkeiten der deutschen Streitkräfte<br />
so weit wie möglich zu erhöhen. Mittlerweile zeichnet sich deutlich ab, daß die fortschreitende<br />
19<br />
Vgl. Martin Wagener, Auf dem Weg zu einer „normalen Macht“? Die Entsendung deutscher Streitkräfte in der<br />
Ära Schröder, K<strong>on</strong>ferenzpapier i.E., <str<strong>on</strong>g>Trier</str<strong>on</strong>g> 2003.<br />
20<br />
Vgl. Zentrum für Analysen und Studien der Bundeswehr (ZAS), Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologie im<br />
21. Jahrhundert (SFT 21), Waldbröl 30. September 2002,<br />
http://www.geopowers.com/Machte/Deutschland/Rustung/Rustung_2003/SFT_21_R_.pdf, [01.09.03].<br />
42
Ausweitung deutscher Auslandseinsätze und die geographische Entgrenzung der Einsatzorte, an<br />
welchen zur Zeit Soldaten der Bundeswehr ihrer Tätigkeit nachgehen, nicht einherging mit einer<br />
gleichermaßen k<strong>on</strong>sequenten Ausdehnung des Fähigkeitspotenzials der deutschen Streitkräfte. 21<br />
Das Auseinanderklaffen dieser Elemente führt zwangsläufig zu Ereignissen wie dem v<strong>on</strong> Kabul<br />
vom 7. Juni 2003, wo deutsche Soldaten in einem ungeschützten Reisebus ihr Leben ließen.<br />
Aktuelle und zukünftige Anforderungen<br />
Die oben skizzierten sicherheitspolitischen Herausforderungen der 1990er Jahre bestanden vor<br />
allem im Umgang mit ethnisch oder religiös begründeten K<strong>on</strong>flikten im Inneren v<strong>on</strong> Staaten<br />
sowie in der Abwehr v<strong>on</strong> zerfallsbedingten Instabilitäten im Bereich der ehemaligen<br />
Sowjetuni<strong>on</strong>. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts kristallisieren sich jedoch wiederum neue Risiken<br />
heraus. Die Terroranschläge auf New York und Washingt<strong>on</strong> vom September 2001 können als<br />
endgültige Manifestati<strong>on</strong> dieser Bedrohungen gelten, obwohl ihnen bereits eine Serie v<strong>on</strong><br />
kleineren Anschlägen auf amerikanische Truppen und Einrichtungen im Ausland vorausging. 22<br />
Der internati<strong>on</strong>ale Terrorismus, der in seiner schlimmsten Ausprägung auch<br />
Massenvernichtungswaffen (MVW) zum Einsatz bringen könnte, wird in den aktuellen<br />
Verteidigungspolitischen Richtlinien des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) vom<br />
Mai 2003 als eine der maßgeblichen Herausforderungen der Zukunft benannt. 23 Es stellt sich also<br />
auch für Deutschland die Frage, auf welche Weise die Bundeswehr auszustatten und einzusetzen<br />
ist, um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Es lassen sich hier generell zwei<br />
Kategorien v<strong>on</strong> Fähigkeiten unterscheiden. Zunächst sind reaktive Kapazitäten zu benennen,<br />
durch die k<strong>on</strong>krete Angriffe abgewehrt werden oder deren Folgen begrenzt werden können. In<br />
diese Kategorie fallen in der Regel defensive Waffen wie Raketenabwehrsysteme, mit denen ein<br />
im Anflug befindlicher (k<strong>on</strong>venti<strong>on</strong>ell oder mit MVW bestückter) Flugkörper zerstört werden<br />
kann, bevor er sein Ziel erreicht. Für einen wirksamen Schutz des deutschen Staatsgebietes wäre<br />
jedoch der Aufbau eines flächendeckenden Abwehrsystems erforderlich. Dieses würde zum<br />
einen mehrere Milliarden Euro kosten und wird darüber hinaus bei den politischen<br />
Entscheidungsträgern (anders als in den USA) nicht für notwendig erachtet. Anders stellt sich die<br />
Situati<strong>on</strong> jedoch bei örtlichen Abwehrsystemen dar, die zum Schutz v<strong>on</strong> Interventi<strong>on</strong>s-<br />
21<br />
Die Bundeswehr ist zur Zeit auf drei K<strong>on</strong>tinenten mit Truppen im Einsatz präsent, ein zukünftiges, militärisches<br />
Engagement in weiteren Regi<strong>on</strong>en erscheint zumindest mittelfristig nicht unwahrscheinlich. Zur Diskussi<strong>on</strong> um<br />
den Verteidigungsbegriff vgl. auch Essay II "Werte, Interessen und Herausforderungen" in dieser Sammlung<br />
22<br />
Vgl. Heinz Vetschera, Die militärische Dimensi<strong>on</strong> im „Neuen Terrorismus“, in: Österreichische Militärische<br />
Zeitschrift, Nr. 2, März/April 2002, S. 142.<br />
23<br />
Bundesministerium der Verteidigung, Verteidigungspolitische Richtlinien 2003, Berlin, 21. Mai 2003.<br />
43
Streitkräften jenseits des eigenen Staatsgebietes eingesetzt werden können. In diesem Bereich der<br />
Punktverteidigung verfügt die Bundeswehr mit den amerikanischen Systemen HAWK und<br />
Patriot sowie der deutsch-französischen Entwicklung Roland bereits über grundlegende<br />
Fähigkeiten. Jedoch stößt HAWK nach nunmehr 40 Dienstjahren an seine Grenzen und<br />
entspricht längst nicht mehr dem Stand der Technik. 24 Roland ist eher als Ergänzung des<br />
HAWK-Systems anzusehen und ist ebenfalls zur Bekämpfung v<strong>on</strong> Flugzeugen ausgelegt. Um<br />
hingegen einen zuverlässigen Schutz vor ballistischen Raketen zu erreichen, kommen derzeit<br />
lediglich die aktuelle Ausbaustufe der Patriot (PAC 3) sowie in Zukunft das Mittlere Erweiterte<br />
Luftverteidigungssystem (MEADS) in Frage. Es soll sowohl zur Abwehr v<strong>on</strong> Flugzeugen und<br />
Drohnen sowie v<strong>on</strong> ballistischen Flugkörpern mit bis zu 1.000 km Reichweite geeignet sein.<br />
Darüber hinaus stellt die Luftverlastbarkeit jedes Moduls 25 einen bes<strong>on</strong>ders für<br />
Interventi<strong>on</strong>struppen wichtigen Mobilitätsvorteil v<strong>on</strong> MEADS gegenüber anderen Systemen dar.<br />
Wichtiger als die erste (reaktive) Kategorie werden in der Zukunft voraussichtlich die proaktiven<br />
Maßnahmen aus Kategorie zwei sein. Sie zielen darauf ab, eine Gefahr dort auszuschalten, wo<br />
sie entsteht, und zwar bevor sie akut wird. Da die große Mehrzahl der zu erwartenden<br />
Bedrohungen vom Ausland auf Deutschland einwirken wird, benötigt die Bundeswehr die<br />
Fähigkeit zur Machtprojekti<strong>on</strong> im Zielgebiet. Das bedeutet zunächst, daß Aufklärungskapazitäten<br />
vorhanden sein müssen, mit denen die auszuschaltenden Ziele sicher identifiziert und lokalisiert<br />
werden können. Dies wird heute in der Regel weltraumgestützt mit Hilfe v<strong>on</strong><br />
Aufklärungssatelliten geschehen, sofern vor Ort keine durch human intelligence beschafften<br />
Informati<strong>on</strong>en verfügbar sind. Zwar wird die Bundeswehr mit dem System „SAR-Lupe“ ab 2007<br />
eine erste Kapazität in der (radarbasierten) weltraumgestützten Aufklärung besitzen, doch ist<br />
dieses aufgrund des zunächst auf fünf Satelliten begrenzten Umfangs des Programms bei weitem<br />
nicht ausreichend. Die geplante Vernetzung mit den strategischen Aufklärungssystemen der<br />
europäischen Partner 26 (v.a. mit dem optischen HELIOS Frankreichs) wird jedoch helfen, diese<br />
Lücke zu schließen.<br />
Nach der Identifikati<strong>on</strong> des Zieles müssen die Truppen soweit in dessen Nähe gelangen, daß eine<br />
wirksame Bekämpfung erfolgen kann. Der dafür benötigte Transport und die Logistik einer<br />
24<br />
Vgl. Luftwaffe <strong>on</strong>line, HAWK,<br />
http://www.luftwaffe.de/lwdenew/lwbas.nsf/vwC<strong>on</strong>tentFrame/W25J2BC6435LWAADE [26.08.03].<br />
25<br />
Vgl. Christoph Grams, Das Mittlere Erweiterte Luftverteidigungssystem MEADS – Geschichte, Idee, Realisierung,<br />
Frankfurt a.M./B<strong>on</strong>n 2003.<br />
26<br />
Vgl. Kurt Herrmann, Die Bedeutung der satellitengestützten Aufklärung durch das System SAR-Lupe für die<br />
strategischen Aufklärungsfähigkeiten der Bundeswehr, Vortrag des Kommandeurs strategische Aufklärung der<br />
Bundeswehr vor der DGAP am 3. April 2003 in Berlin,<br />
http://www.dgap.org/bfz/veranstaltung/Praes_Herrmann_2003.ppt [26.08.03].<br />
44
Operati<strong>on</strong> lassen sich wesentlich erleichtern, wenn Deutschland über Abstützpunkte in der Nähe<br />
des Einsatzgebietes verfügt 27 . Dies läßt sich sehr deutlich am laufenden Anti-Terror-Einsatz<br />
Enduring Freedom ablesen. Ohne die bereitgestellten Basen in Dschibuti und Mombasa wäre<br />
weder der Einsatz v<strong>on</strong> MPA-Aufklärungsflugzeugen der Marineflieger am Horn v<strong>on</strong> Afrika<br />
möglich noch ließe sich die „Rasterfahndung auf See“, welche die Marine dort durchführt,<br />
längere Zeit durchhalten. Um im Falle einer sich zuspitzenden Krise sofort agieren zu können,<br />
wäre daher die Schaffung eines Netzes v<strong>on</strong> Abstützpunkten in allen sicherheitspolitisch<br />
relevanten Regi<strong>on</strong>en der Welt ratsam, zumal Deutschland bisher nicht über Flugzeugträger<br />
verfügt, die solche Stützpunkte wenigstens teilweise kompensieren könnten.<br />
Die eigentliche Wirksamkeit im Ziel wird zukünftig entscheidend dav<strong>on</strong> abhängen, die u.a.<br />
mittels Satellitenaufklärung erreichte Informati<strong>on</strong>süberlegenheit durch eine umfassende<br />
Vernetzung aller beteiligten Truppenteile (im Extremfall bis hin zum einzelnen Infanteristen)<br />
auch vollständig zu nutzen. Diese Entwicklung, die zuerst in den Vereinigten Staaten praktiziert<br />
wurde und dort Network Centric Warfare (NCW) genannt wird, ermöglicht eine präzise Echtzeit-<br />
Führung der eingesetzten Truppen und erhöht so bei gesteigerter Schlagkraft die<br />
Überlebenschancen der eigenen Soldaten auf dem Gefechtsfeld. 28 Mit dem Projekt SATCOMBw<br />
wird auch die Bundeswehr in der Zukunft über ein deutlich verbessertes Kommunikati<strong>on</strong>ssystem<br />
zu diesem Zweck verfügen.<br />
Fazit<br />
Angesichts der zur Zeit als relevant eingestuften sicherheitspolitischen Herausforderungen<br />
werden zudem in der Zukunft vermehrt militärische Fähigkeiten gefragt sein, mit denen<br />
präemptiv bzw. präventiv gehandelt werden kann. Ihre Beschaffung und erst recht ihr Einsatz<br />
sollte jedoch sowohl durch eine Analyse des rechtlichen Rahmens und der eigenen<br />
sicherheitspolitischen Prioritäten gründlich vorbereitet werden. Zusammenfassend ist<br />
festzustellen, daß die Bundeswehr im Begriff ist, die wesentlichen Fähigkeiten zu beschaffen, die<br />
sie für aktuelle und absehbare zukünftige Einsätze benötigt. Da viele der angesprochenen<br />
Neuanschaffungen jedoch erst um das Jahr 2010 und später der Truppe zulaufen werden, wird bis<br />
dahin noch eine große Abhängigkeit vom Material verbündeter Staaten und v<strong>on</strong> zivilen<br />
Anbietern wie beim strategischen Lufttransport bestehen.<br />
27 Vg l. Martin Wagener, Auf dem Weg zu einer „normalen Macht“? Die Entsendung deutscher Streitkräfte in der<br />
Ära Schröder, K<strong>on</strong>ferenzpapier i.E., <str<strong>on</strong>g>Trier</str<strong>on</strong>g> 2003.<br />
28 Vgl. Holger H. Mey, Network Centric Warfare - K<strong>on</strong>zept netzwerkzentrierter Kriegführung, in: Soldat und<br />
Technik, Nr. 2, Februar 2003, http://www.soldat-und-technik.de/artikel-02-03/bundeswehr.htm [26.08.03].<br />
45
Arbeitsgruppe 5<br />
Instituti<strong>on</strong>elle Rahmenbedingungen<br />
Alexander Beier, Viktor Höhn, Anna Stege<br />
Die instituti<strong>on</strong>ellen Rahmenbedingungen für Auslandseinsätze der Bundeswehr ergeben sich aus<br />
der Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nati<strong>on</strong>en (UN), der<br />
Nordatlantischen Allianz (NATO), der Europäischen Uni<strong>on</strong> (EU) und der Organisati<strong>on</strong> für<br />
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Im Folgenden wird auf die Mitgliedschaft<br />
der Bundesrepublik in diesen Organisati<strong>on</strong>en eingegangen, wobei Einbindung, Nutzung und<br />
Gewichtung dieser Instituti<strong>on</strong>en aus deutscher Perspektive dargestellt werden.<br />
Die Grundlage der Mitgliedschaften ist in Art. 24 II GG zu finden. Danach kann sich der Bund<br />
„zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird<br />
hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und<br />
dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.“<br />
Nach Einschätzung des Verteidigungsministeriums v<strong>on</strong> 2002 könne Deutschland seine Interessen<br />
nur gemeinsam mit den oben genannten Instituti<strong>on</strong>en und Verbündeten wahrnehmen. „Um die<br />
Handlungsfähigkeit dieser Instituti<strong>on</strong>en zu sichern und ihre Politik mitgestalten zu können, muß<br />
Deutschland zu ihrer Aufgabenerfüllung in einer seinem Gewicht und seinen Interessen<br />
entsprechenden Weise beitragen. Dies schließt die Bereitstellung militärischer Mittel ein.“ 1<br />
Grundsätzlich ist „die multinati<strong>on</strong>ale Sicherheitsvorsorge ein grundlegender Bestimmungsfaktor<br />
deutscher Verteidigungspolitik.“ 2 Ausgenommen werden allerdings Einsätze der Bundeswehr im<br />
Rahmen v<strong>on</strong> Evakuierungs- und Rettungsoperati<strong>on</strong>en, wie z.B. die Operati<strong>on</strong> Libelle, die wie<br />
diese auch unilateral erfolgen können.<br />
UN<br />
Nach den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) v<strong>on</strong> 2003 fällt den Vereinten Nati<strong>on</strong>en<br />
(UN) nach wie vor „eine herausragende Rolle“ zu, wobei der UN-Sicherheitsrat „die<br />
Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internati<strong>on</strong>alen Sicherheit“ 3 trägt.<br />
1 Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), Sachstand und Perspektiven, Berlin 2002, S. 13.<br />
2 BMVg, Verteidigungspolitische Richtlinien (VPR) 2003, Berlin, 21.05.2003, Ziffer 11.<br />
3 Ebd., Ziffer 43.
Deutschland ist drittgrößter Beitragszahler 4 der Vereinten Nati<strong>on</strong>en und leistet Beiträge<br />
finanzieller, materieller und pers<strong>on</strong>eller Art. Weiterhin ist die Bundesrepublik bereits seit 1993<br />
an einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat interessiert.<br />
Nach Kapitel VIII der UN-Charta wird „Regi<strong>on</strong>alen Abmachungen“ die Anwendung v<strong>on</strong><br />
Maßnahmen zur friedlichen Beilegung v<strong>on</strong> Streitigkeiten (Kap. VI UN-Charta) ohne explizites<br />
UN-Mandat gestattet bzw. aufgetragen. Zu diesen regi<strong>on</strong>alen Abmachungen gehören sowohl die<br />
NATO als auch die EU und die OSZE, in denen Deutschland Mitglied ist.<br />
Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen (Kap. VII UN-<br />
Charta) sowie die Feststellung der Gefahrensituati<strong>on</strong> bedürfen einer Mandatierung durch den<br />
UN-Sicherheitsrat. Dies bedeutet für Transnati<strong>on</strong>ale Organisati<strong>on</strong>en und Staaten, daß sie<br />
militärisch nicht auf eigene Initiative tätig werden dürfen, ausgenommen hierv<strong>on</strong> ist das Recht<br />
zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta). 5<br />
Deutschland hat sich in den letzten Jahren schrittweise immer stärker an den Friedensmissi<strong>on</strong>en<br />
der Vereinten Nati<strong>on</strong>en beteiligt. Das Bundesministerium der Verteidigung kommt in den zur<br />
Zeit geltenden Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) zu folgender Einschätzung:<br />
„Internati<strong>on</strong>ale VN-Friedensmissi<strong>on</strong>en haben sich erheblich gewandelt. Sie reichen v<strong>on</strong><br />
klassischen Blauhelm-Missi<strong>on</strong>en über die K<strong>on</strong>fliktverhütung durch politische Aktivitäten und<br />
vorbeugende Truppenstati<strong>on</strong>ierung bis hin zum Einsatz bewaffneter Kräfte zur Eindämmung v<strong>on</strong><br />
K<strong>on</strong>flikten und zur Stabilisierung der politischen Lage.“ 6 „Klassische“ Blauhelm-Einsätze nach<br />
Kap. VI der UN-Charta sowie internati<strong>on</strong>ale Friedensmissi<strong>on</strong>en, die v<strong>on</strong> den Vereinten Nati<strong>on</strong>en<br />
nicht nur mandatiert, s<strong>on</strong>dern auch geführt werden, sind in ihrer Anzahl allerdings geringer<br />
geworden. Die Anforderungen und das Aufgabenspektrum bei internati<strong>on</strong>alen Friedensmissi<strong>on</strong>en<br />
haben hingegen stark zugenommen. Sie reichen mittlerweile v<strong>on</strong> humanitärer Hilfeleistung bis<br />
zum Aufbau staatlicher Strukturen (Nati<strong>on</strong> building). Da die UN keine eigenen Truppen zur<br />
Verfügung hat, überträgt sie die Durchführung v<strong>on</strong> Friedensmissi<strong>on</strong>en zunehmend auf regi<strong>on</strong>ale<br />
Organisati<strong>on</strong>en wie die NATO.<br />
Die Veränderungen der Rolle der UN bei internati<strong>on</strong>alen Friedensmissi<strong>on</strong>en wirken sich auch auf<br />
die deutsche Beteiligung an multilateralen Auslandseinsätzen aus. Die United Nati<strong>on</strong>s Operati<strong>on</strong><br />
4 Die Bundesrepublik Deutschland hatte nach den USA und Japan einen Anteil v<strong>on</strong> ca. 9,8% an dem Haushalt<br />
2003 der Vereinten Nati<strong>on</strong>en. Vgl. Manfred Knapp, Die Rolle der Vereinten Nati<strong>on</strong>en in den internati<strong>on</strong>alen<br />
Beziehungen, in: Manfred Knapp, Gerd Krell (Hrsg.), Einführung in die internati<strong>on</strong>ale Politik, 4. Aufl.,<br />
München/Wien 2003, S. 8 (Manuskript).<br />
5 Vereinte Nati<strong>on</strong>en: Charta der Vereinten Nati<strong>on</strong>en, Amtliche Fassung der Bundesrepublik Deutschland, BGBl.<br />
1973 II, S. 431, http://www.UN.de/charta/charta.htm [19.06.03].<br />
6 BMVg, VPR 2003, Ziffer 44.<br />
47
in Somalia (UNSOM II) 1993 erfolgte noch unter UN-Führung. Die Bundeswehr beteiligte sich<br />
mit logistischer Unterstützung für die UN-Truppen. Bereits 1995 in Bosnien-Herzegowina kam<br />
es im Rahmen des Implementati<strong>on</strong> Force (IFOR)-Einsatzes zu einer Übertragung des<br />
Kommandos v<strong>on</strong> den Vereinten Nati<strong>on</strong>en auf die NATO. Deutschland nahm hier mit der<br />
Bundeswehr an einem nicht UN-geführten Auslandseinsatz teil. Auf der anderen Seite<br />
übernehmen die Vereinten Nati<strong>on</strong>en weiterhin Einsätze wie zum Beispiel im Kosovo mit der<br />
United Nati<strong>on</strong>s Interim Administrati<strong>on</strong> Missi<strong>on</strong> in Kosovo (UNMIK), wobei sie die<br />
Koordinati<strong>on</strong> und Verantwortung über die zivile Präsenz übernommen haben. In diesem<br />
Zusammenhang ist für die Vereinten Nati<strong>on</strong>en eine Tendenz zur K<strong>on</strong>zentrati<strong>on</strong> auf zivile<br />
Aspekte zu erkennen.<br />
NATO<br />
In den VPR v<strong>on</strong> 2003 bleibt die NATO „auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts Garant für stabile<br />
Sicherheit in Europa, kollektives Verteidigungsbündnis und transatlantisches<br />
K<strong>on</strong>sultati<strong>on</strong>sforum.“ 7 Aus der Integrati<strong>on</strong> der Bundeswehr in die NATO ergeben sich zum einen<br />
die herausragende Bedeutung, die die NATO noch immer für die Bundesrepublik hat, zum<br />
anderen die mit der NATO-Mitgliedschaft einhergehenden Verpflichtungen. So kann die<br />
Bundeswehr in Zukunft gefordert sein, sich an internati<strong>on</strong>alen Einsätzen, wie dies sch<strong>on</strong><br />
geschehen ist, zu beteiligen. Diesen Forderungen ist die Bundesrepublik Deutschland in den<br />
letzten Jahren verstärkt nachgekommen. Mit der Zunahme des militärischen Engagements hat<br />
sich aus deutscher Sicht auch der Anspruch auf Mitsprache im Bündnis vergrößert<br />
Bezogen auf die europäische Perspektive liegt es im deutschen Interesse, eine Kompatibilität der<br />
Fähigkeiten v<strong>on</strong> NATO und Gemeinsamer Europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />
(GESVP) sicherzustellen. So wird die GESVP nicht als K<strong>on</strong>kurrenz zur NATO gesehen, s<strong>on</strong>dern<br />
soll in Zukunft den europäischen Pfeiler der NATO verstärken.<br />
Die Bundesrepublik beteiligt sich mit der Bundeswehr militärisch an NATO-geführten<br />
Auslandseinsätzen. Dies waren in der Vergangenheit sowohl Einsätze mit UN-Mandat (z. B.<br />
Stabilizati<strong>on</strong> Force (SFOR), Kosovo Force (KFOR)) als auch NATO-Interventi<strong>on</strong>en ohne UN-<br />
Mandat (Operati<strong>on</strong> Allied Force). Daraus kann sich für Deutschland durchaus ein Spannungs-<br />
und K<strong>on</strong>kurrenzverhältnis zwischen diesen beiden Organisati<strong>on</strong>en ergeben. Die Sicht der NATO<br />
auf die UN zeigt sich in dem Neuen Strategischen K<strong>on</strong>zept der NATO v<strong>on</strong> 1999. 8 Hier wird dem<br />
7 BMVg, VPR 2003, Ziffer 46.<br />
8 Vgl. NATO, Das strategische K<strong>on</strong>zept des Bündnisses, Brüssel, 24. April 1999,<br />
48
Sicherheitsrat der Vereinten Nati<strong>on</strong>en lediglich eine „primäre Verantwortung für die Wahrung<br />
des Weltfriedens und der internati<strong>on</strong>ales Sicherheit“ 9 zugewiesen. Dies stellt eine klare<br />
Abweichung zu der Formulierung „Hauptverantwortung“ 10 dar, welche der Sicherheitsrat nach<br />
Art. 24 UN-Charta trägt.<br />
Für die Neugestaltung der Aufgaben der NATO nach Ende des Ost-West-K<strong>on</strong>fliktes sind die<br />
Einsätze auf dem Balkan wegweisend, denn diese sind die ersten „out-of-area“–Einsätze der<br />
NATO. Seit dem IFOR-Einsatz der Allianz wird die bisherige Funkti<strong>on</strong> des kollektiven<br />
Verteidigungsbündnisses um Maßnahmen des „peace enforcement“ erweitert. Im Rahmen der<br />
Friedenssicherung des SFOR-Einsatzes wurde die NATO v<strong>on</strong> den Vereinten Nati<strong>on</strong>en mit einem<br />
„robusten“ Mandat ausgestattet, um in ihrem Auftrag militärische Maßnahmen umzusetzen und<br />
entsprechende zivile Maßnahmen abzusichern und zu unterstützen. Hier ist die Bundeswehr in<br />
die multinati<strong>on</strong>ale Sicherheitstruppe der SFOR integriert. Die Operati<strong>on</strong> Allied Force stellt den<br />
ersten Kampfeinsatz der NATO seit ihrem Bestehen dar. Zum ersten Mal beteiligen sich auch<br />
Soldaten der Bundeswehr uneingeschränkt an Kampfhandlungen. Dies geschah ohne<br />
ausdrückliche Absicherung durch ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nati<strong>on</strong>en. Allied<br />
Force stellt somit einen Verstoß gegen das Völkerrecht und den Nato-Vertrag dar. Der sich an<br />
diese Operati<strong>on</strong> anschließende KFOR-Einsatz ist hingegen v<strong>on</strong> den Vereinten Nati<strong>on</strong>en<br />
legitimiert worden. Dieser Einsatz entspricht der vierten Primäraufgabe im Strategischen<br />
K<strong>on</strong>zept der NATO vom 24.04.1999, dem Krisenmanagement. 11<br />
Auf dem NATO-Gipfeltreffen in Prag im November 2002 wurde die Schaffung v<strong>on</strong> NATO-<br />
Reakti<strong>on</strong>skräften (NATO Resp<strong>on</strong>se Force) beschlossen. 12 Diese sollen sich aus hochmodernen,<br />
flexiblen, weltweit dislozierbaren, zur Interoperabilität tauglichen Truppenteilen<br />
zusammensetzen. Geplant ist die Aufstellung mit einem Umfang v<strong>on</strong> ca. 21.000 Soldaten, deren<br />
Einsatzbereitschaft bis Oktober 2004 hergestellt sein soll. 13 Auch die Bundeswehr wird sich<br />
hieran beteiligen und „Einheiten der Marine, der Luftwaffe und des Heeres für solche Truppen“ 14<br />
http://www.nato.int/docu/pr/1999/p99-065e.htm [18.09.03].<br />
9<br />
Ebd., Ziffer 15.<br />
10<br />
Vereinte Nati<strong>on</strong>en, Charta der Vereinten Nati<strong>on</strong>en, Kapitel V, Artikel 24 (1).<br />
11<br />
Vgl. NATO, Das strategische K<strong>on</strong>zept des Bündnisses, 24. April 1999.<br />
12<br />
Vgl. NATO, Prague Summit Declarati<strong>on</strong>, Press Release (2002) 127, 21. November 2002,<br />
http://www.nato.int/docu/pr/2002/p02-127e.htm [31.07.03].<br />
13<br />
Eine „Initial Entry Brigade“ soll bereits ab Oktober 2003 zur Verfügung stehen. Vgl. NATO, NATO Update:<br />
Resp<strong>on</strong>se force buildup <strong>on</strong> target, 16. Juli 2003,<br />
http://www.nato.int/docu/update/2003/07-july/e0716e.htm [28.08.03].<br />
14<br />
Peter Struck, Beg<strong>on</strong>nenen Weg fortsetzen, Rede des Verteidigungsministers in der außenpolitischen Debatte des<br />
Bundestages am 14. November 2002,<br />
http://www.bmvg.de/archiv/reden/minister/ 021115_aussenpolitische_debatte.php [26.08.03].<br />
49
ereitstellen. Für die Bundeswehr gilt es, nach dem Prinzip des „single set of forces“ 15 , ein<br />
K<strong>on</strong>kurrenzverhältnis zur ESVP zu vermeiden und die Kräfte für Operati<strong>on</strong>en beider<br />
Organisati<strong>on</strong>en zur Verfügung zu stellen.<br />
Europäische Uni<strong>on</strong><br />
Die Bundesrepublik sieht die Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />
(GESVP) als wichtiges Instrument für die Handlungsfähigkeit der Gemeinsamen Außen- und<br />
Sicherheitspolitik (GASP) der EU an. Die GESVP „ist daher ein entscheidender Schritt zur<br />
Vertiefung der Integrati<strong>on</strong> und zur Erweiterung der sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit<br />
Europas. Ziel ist die Schaffung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsuni<strong>on</strong> als Teil<br />
einer voll entwickelten Politischen Uni<strong>on</strong>.“ 16 In Bezug auf die k<strong>on</strong>krete Ausgestaltung der<br />
militärischen Handlungsfähigkeit ist die GESVP allerdings noch auf die NATO angewiesen:<br />
„Die Kräfte, die der NATO und der EU angezeigt werden, stehen beiden Organisati<strong>on</strong>en zur<br />
Verfügung.“ 17 Im Dezember 1999 wurde vom Europäischen Rat in Helsinki mit den Headline<br />
Goals eine gemeinsame europäische Zielvorstellung für schnell verlegbare militärische<br />
Einsatzkräfte beschlossen. Diese werden nicht ständig und nicht in festen Strukturen bereit<br />
gehalten, s<strong>on</strong>dern jeweils lage- und auftragsabhängig zusammengestellt. Die Einsatzkräfte<br />
werden aus bestehenden nati<strong>on</strong>alen und multinati<strong>on</strong>alen Stäben und Verbänden gebildet, die<br />
auch der NATO zur Verfügung gestellt werden können. Der deutsche Beitrag zu den Headline<br />
Goals umfaßt ca. 30.000 Soldaten, 90 Kampfflugzeuge und 15 Schiffe und Boote, aus denen<br />
lageabhängig ein erstes K<strong>on</strong>tingent für einen EU-geführten Einsatz zusammengestellt werden<br />
kann.<br />
Die Ambiti<strong>on</strong>en der EU im Bereich der GASP werden im so genannten „Solana-Papier“ 18 vom<br />
20. Juni 2003 deutlich, in dem stark auf sicherheits- und verteidigungspolitische Aspekte<br />
eingegangen wird. Speziell werden die Herausforderungen Terrorismus, Proliferati<strong>on</strong> v<strong>on</strong><br />
Massenvernichtungswaffen und die Gefahr v<strong>on</strong> „failed states“ und Organisierter Kriminalität<br />
genannt. Die EU solle als „global actor“ mehr Verantwortung für die globale Sicherheit<br />
übernehmen und „more active, more coherent and more capable“ 19 werden. Wenn es die<br />
Situati<strong>on</strong> erforderlich macht, solle die EU in Zukunft fähig sein, „operati<strong>on</strong>s involving both<br />
15<br />
Wolfgang Schneiderhahn, Die Weiterentwicklung der Reform der Bundeswehr, in: Europäische Sicherheit,<br />
Februar 2003, http://www.bmvg.de/archiv/reden/inspekteure/print/0301_europäische_sicherheit.php [26.08.03].<br />
16<br />
BMVg, VPR 2003, Ziffer 50.<br />
17<br />
Ebd., Ziff. 52.<br />
18<br />
Vgl. Javier Solana, A secure Europe in a better world, Sitzung des Europäischen Rates in Thessal<strong>on</strong>iki, 20. Juni<br />
2003,<br />
http://ue.eu.int/pressdata/EN/reports/76255.pdf [19.09.03].<br />
19<br />
Ebd., S. 12.<br />
50
military and civilian capabilities“ 20 durchzuführen. Des weiteren wird in Reakti<strong>on</strong> auf die neuen<br />
Gefahren die Verteidigungsbereitschaft ausgedehnt: „the first line of defence will often be<br />
abroad.“ 21 Dies äußert sich darin, daß die „Z<strong>on</strong>e of Security around Europe“ 22 ausgedehnt<br />
werden soll.<br />
Die ESVP steckt noch in ihrer Anfangsphase. Als eine Art Bewährungsprobe übernahm die EU<br />
im März 2003 mit der Operati<strong>on</strong> C<strong>on</strong>cordia erstmals einen Einsatz v<strong>on</strong> der NATO. Bei diesem<br />
Einsatz wird noch eng mit der NATO zusammengearbeitet.<br />
Die EU-geführte Militäroperati<strong>on</strong> „Artemis“ in der Demokratischen Republik K<strong>on</strong>go stellt als<br />
reine GESVP-Missi<strong>on</strong> in der Ausgestaltung der GASP einen weiteren Schritt dar.<br />
Bundesaußenminister Fischer äußert sich vor dem <strong>Deutsche</strong>n Bundestag zur Beteiligung<br />
bewaffneter deutscher Streitkräfte an diesem Einsatz: „Wir müssen uns in diesem<br />
Zusammenhang in Bezug auf die zukünftige europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />
und die zukünftige europäische Außenpolitik auch darüber Klarheit verschaffen, daß es im<br />
deutschen Interesse ist, nicht abseits zu stehen, wenn die beiden anderen großen europäischen<br />
Nati<strong>on</strong>en mit dabei sind und wenn diese beiden Bereiche mehr und mehr zusammengeführt<br />
werden.“ 23 Als ein Motiv für die deutsche Beteiligung könnte so, neben dem Motiv der<br />
humanitären Interventi<strong>on</strong>, die Stärkung v<strong>on</strong> EU-Strukturen gesehen werden. Die Bundeswehr<br />
leistet im Rahmen dieses Einsatzes einen Beitrag im logistischen Bereich, wie zu Beginn<br />
deutscher Auslandseinsätze größeren Umfanges in Somalia. Es kann erwartet werden, daß es bei<br />
diesem vergleichsweise geringen Engagement in zukünftigen EU-Missi<strong>on</strong>en nicht bleiben wird.<br />
Aus deutscher Sicht vergrößert sich mit einer Stärkung der ESVP der Spielraum für mögliche<br />
Auslandseinsätze, da diese nun sowohl mit UN, NATO als auch ESVP erfolgen können.<br />
OSZE<br />
Die Organisati<strong>on</strong> für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist eine<br />
gesamteuropäische Instituti<strong>on</strong>, in der die USA, Kanada, Rußland und die Nachfolgestaaten der<br />
ehemaligen Sowjetuni<strong>on</strong> gleichberechtigt mitwirken. Die Hauptaufgaben der OSZE umfassen die<br />
Vereinbarung internati<strong>on</strong>aler Verhaltensnormen, die präventive Krisendiplomatie, die<br />
K<strong>on</strong>fliktverhütung, die Krisenbewältigung und zunehmend auch die K<strong>on</strong>fliktnachsorge sowie die<br />
20 Ebd. S. 13.<br />
21 Ebd. S. 11.<br />
22 Ebd. S. 7.<br />
23 Joseph Fischer, Rede des Bundesaußenministers vor dem <strong>Deutsche</strong>n Bundestag zur Beteiligung bewaffneter<br />
deutscher Streitkräfte in der Demokratischen Republik K<strong>on</strong>go, 18. Juni 2003,<br />
http://www.auswaertigesamt.de/www/de/ausgabe_archiv?archiv_id=4636 [31.07.03].<br />
51
k<strong>on</strong>venti<strong>on</strong>elle Rüstungsk<strong>on</strong>trolle. Die Bundesrepublik Deutschland arbeitet in allen Bereichen<br />
der OSZE aktiv mit und beteiligt sich finanziell und pers<strong>on</strong>ell maßgeblich an der OSZE. Zum<br />
laufenden Haushalt trägt Deutschland allein ca. zehn Prozent bei. 24 Daneben leistet die<br />
Bundesregierung substantielle Hilfe auch in Form zusätzlicher freiwilliger Beiträge.<br />
In den VPR v<strong>on</strong> 2003 wird der OSZE im Vergleich zu den VPR v<strong>on</strong> 1992 scheinbar weniger<br />
Gewicht beigemessen - insbes<strong>on</strong>dere im Hinblick auf die K<strong>on</strong>fliktverhütung. 25<br />
Die an die OSZE gestellten Erwartungen der K<strong>on</strong>fliktverhütung k<strong>on</strong>nten nicht in vollem Maße<br />
erfüllt werden. Dies führte dazu, daß die OSZE sich verstärkt mit der K<strong>on</strong>fliktnachsorge und dem<br />
„Post C<strong>on</strong>flict Peace Building“ beschäftigt. So ist die OSZE z.B. im Kosovo zuständig für die<br />
Demokratisierung und den Aufbau v<strong>on</strong> Instituti<strong>on</strong>en, dem sch<strong>on</strong> erwähnten Nati<strong>on</strong> building.<br />
Fazit<br />
Wie stehen die vorgestellten Instituti<strong>on</strong>en zueinander? Ist eine Gewichtung aus deutscher<br />
Perspektive zu erkennen? Traditi<strong>on</strong>ell und auch in Zukunft liegt insbes<strong>on</strong>dere die Stärkung<br />
internati<strong>on</strong>aler Instituti<strong>on</strong>en im Interesse der Bundesrepublik. Die Vereinten Nati<strong>on</strong>en nehmen<br />
weiterhin die herausragende Stellung einer Dachorganisati<strong>on</strong> ein. Darüber hinaus ist Deutschland<br />
bestrebt, die Handlungsfähigkeit der NATO wie auch die der EU zu vergrößern. Daraus könnten<br />
für Deutschland insgesamt flexiblere Handlungsopti<strong>on</strong>en entstehen. Angedeutet wird dies in den<br />
Verteidigungspolitischen Richtlinien v<strong>on</strong> 2003: „Europäische Sicherheits- und<br />
Verteidigungspolitik beruht auf der strategischen Partnerschaft mit der Nordatlantischen Allianz<br />
und ermöglicht selbständiges europäisches Handeln, wo die NATO nicht tätig sein muß oder<br />
will.“ 26 .<br />
Um die jeweils „komparativen Vorteile für die Krisenbearbeitung“ zu nutzen, ist die<br />
Bundesrepublik aber auch an einer verbesserten Zusammenarbeit der internati<strong>on</strong>alem<br />
Instituti<strong>on</strong>en interessiert, so daß aus den oftmals „interblocking“ wirklich „interlocking<br />
instituti<strong>on</strong>s“ werden können. 27<br />
24<br />
Auswärtiges Amt, Die Organisati<strong>on</strong> für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), <strong>Deutsche</strong>s OSZE<br />
Engagement, Januar 2003,<br />
http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/aussenpolitik/friedenspolitik/osze/basis_html#14 [26.08.03].<br />
25<br />
Vgl. BMVg, VPR 2003; BMVg, VPR 1992.<br />
26<br />
BMVg, VPR, 2003, IV. Prinzipien und Interessen deutscher Sicherheitspolitik, S. 10.<br />
27<br />
Vgl. Hans Georg Erhardt, Deutschland und die Bundeswehr im Geflecht internati<strong>on</strong>aler Organisati<strong>on</strong>en, in:<br />
Österreichische Militärische Zeitschrift, Nr. 1, Januar/Februar 2001, S. 25-32.<br />
52
Arbeitsgruppe 6<br />
Erfahrungen in Auslandseinsätzen<br />
Martin Lempe, Johannes Schäfer, Bernhard Straßen<br />
Diese Abhandlung geht im Folgenden auf die Erfahrungen und Lernfortschritte der Bundeswehr<br />
im Bereich der Koordinati<strong>on</strong> und Durchführung v<strong>on</strong> Auslandseinsätzen ein. Anhand ausgewähl-<br />
ter Fakten und Fallbeispiele soll dem Leser verdeutlicht werden, an welchen Eckpunkten sich die<br />
deutschen Streitkräfte immer neuen Gegebenheiten anpassen mußten.<br />
Zunächst wird dargestellt, was unter dem Begriff des Lernens zu verstehen ist. „Lernen“ be-<br />
zeichnet nach allgemeinem Verständnis das Aneignen v<strong>on</strong> Kenntnissen und Fähigkeiten. 1 „Unter<br />
Lernen versteht man auch den Prozeß, in dem Informati<strong>on</strong>en aus Objekten unserer Aufmerksam-<br />
keit in subjektiv bedeutsames und verfügbares Wissen oder in ein entsprechendes Können um-<br />
gewandelt werden.“ 2<br />
Wie wird aber nun in der Bundeswehr „gelernt“? Dem Text zu Grunde liegt die Aufgabe, den<br />
Prozeß der bewussten Fähigkeitsprofiländerung der Bundeswehr aufgrund v<strong>on</strong> wachsenden<br />
Aufgaben in spezifischen Auslandseinsätzen zu analysieren. Lernen in der deutschen Armee<br />
bedeutet das Erkennen v<strong>on</strong> Mißständen und nicht vorhandenen Fähigkeiten in Material und<br />
Ausbildung einerseits und die Entwicklung v<strong>on</strong> K<strong>on</strong>zepten zur Behebung der Schwächen und<br />
Bildung neuer Führungs- und Organisati<strong>on</strong>sstrukturen andererseits.<br />
Der Zerfall des Warschauer Paktes stellte eine Herausforderung für NATO und UN dar, welche<br />
zu dem Beginn einer zwangsläufigen Umstrukturierung der Streitkräfte der Bundesrepublik<br />
führte. Mit dem Wegfall des alten Feindbildes wurde ein k<strong>on</strong>venti<strong>on</strong>eller Krieg auf deutschem<br />
Boden unwahrscheinlich und somit die für Landesverteidigung k<strong>on</strong>zipierte Bundeswehr mit<br />
neuen Aufgabenfeldern k<strong>on</strong>fr<strong>on</strong>tiert. Unter diesem Gesichtspunkt galt es nun, die Bundeswehr<br />
auf die veränderte Situati<strong>on</strong> hinsichtlich supranati<strong>on</strong>al verantworteter „out-of-area“-Einsätze vor-<br />
zubereiten, die in den humanitären Anstrengungen in Kambodscha 1992 ihren Anfang fanden.<br />
1 Vgl. Definiti<strong>on</strong> „Lernen“ Brockhaus.de, www.brockhaus.de [14.07.03].<br />
2 Zitiert nach: Definiti<strong>on</strong> „Lernen“ TU Chemnitz,<br />
www.-user.tu-chemnitz.de/~horing/internet.Bildung/Lern_def_lang.htm, [14.07.03].
Einsatzführungskommando<br />
In der Vergangenheit traten Probleme auf, da zu viele Dienststellen der Teilstreitkräfte mit der<br />
Planung und Durchführung eines Einsatzes betraut wurden und die Kompetenzverteilung unklar<br />
war. Dies lag darin begründet, daß in Auslandseinsätzen Einheiten der verschiedenen Teilstreit-<br />
kräfte zusammen arbeiten mußten, jedoch nicht über gemeinsame Führungsstrukturen verfügten<br />
und dadurch Zweckmäßigkeit und Kürze v<strong>on</strong> Entscheidungen nicht immer gegeben waren<br />
(Stichwort: Reibungsverlust). 3<br />
Zur Behebung dieses Führungs- und Organisati<strong>on</strong>sdefizits, aber auch um Auslandseinsätze<br />
verantwortungsvoll und angemessen planen zu können, hat die Bundeswehr das<br />
Einsatzführungskommando zum 9. Juli 2001 in Potsdam aufgestellt. 4 Dabei handelt es sich um<br />
eine aus der traditi<strong>on</strong>ellen Streitkräftestruktur herausgelöste Einrichtung, die truppendienstlich<br />
dem Inspekteur der Streitkräftebasis (SKB) zugeordnet ist, für den Einsatz aber dem<br />
Generalinspekteur der Bundeswehr untersteht. Hier befasst man sich mit der detaillierten<br />
Planung v<strong>on</strong> Auslandseinsätzen, angefangen v<strong>on</strong> der Erkundung 5 und Informati<strong>on</strong>sbeschaffung<br />
über die Organisati<strong>on</strong> des Nachschubs bis hin zur Verlegung der Truppen und der Führung im<br />
Einsatzraum. Das Kommando bildet die nati<strong>on</strong>ale operative Führungsebene und setzt in<br />
Einsatzangelegenheiten ministerielle Weisungen und Vorgaben in Aufträge an die betroffenen<br />
Bereiche der Bundeswehr um. Die neuen Auslandseinsätze der Bundeswehr (z.B. Internati<strong>on</strong>al<br />
Security Assistance Force, ISAF; Operati<strong>on</strong> Enduring Freedom, OEF) werden in Potsdam-<br />
Geltow direkt koordiniert. 6<br />
Im Hinblick auf die Zukunft kann auch die fast komplett aufgebaute EU-Interventi<strong>on</strong>struppe vom<br />
Einsatzführungskommando aus befehligt werden, denn dieses ist auch der Kern eines „Operati<strong>on</strong><br />
Headquarters“ der Europäischen Uni<strong>on</strong>.<br />
3 Vgl. Peter Goebel, Less<strong>on</strong>s learned – der Blick nach vorne, in: Ders. (Hrsg.), V<strong>on</strong> Kambodscha bis Kosovo.<br />
Auslandseinsätze der Bundeswehr, B<strong>on</strong>n/Frankfurt a.M. 2000, S. 329-339.<br />
4 Vgl. Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr,<br />
http://www.einsatz.bundeswehr.de/einsfuekdo /efk_start.php [27.08.03].<br />
5 Erst kürzlich führte der Befehlshaber Einsatzführungskommando eine Erkundungsgruppe (Fact Finding Team) in<br />
der Regi<strong>on</strong> Kundus an, welche die Möglichkeiten zu einer Ausweitung des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan<br />
eruieren sollte, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,262852,00.html [12.09.03].<br />
6 Vgl. Friedrich Riechmann, Ein Jahr Einsatzführungskommando der Bundeswehr, in: Soldat und Technik, Nr.10,<br />
Oktober 2002, S. 6-14.<br />
54
Anpassung der technischen Ausrüstung<br />
Um den neuen Anforderungen gerecht zu werden, muß in vielen Feldern die materielle Ausstat-<br />
tung der Bundeswehr modernisiert, durch Neubeschaffungen ergänzt oder angepasst werden,<br />
verbesserte Durchhalte- und Reakti<strong>on</strong>sfähigkeit sind die bedeutsamsten Ziele. Neue Führungs-<br />
und Informati<strong>on</strong>ssysteme sowie die nati<strong>on</strong>ale Aufklärungskapazität, die Interoperabilität mit<br />
fremden Streitkräften und die strategische Transportfähigkeit sind ebenfalls in erheblichem Maße<br />
verbesserungswürdig. Während des Kalten Krieges war der Bedarf der Bundeswehr an strategi-<br />
schen Lufttransportmöglichkeiten nicht v<strong>on</strong> bes<strong>on</strong>derer Relevanz, da der Hauptkampfplatz bei<br />
einer Eskalati<strong>on</strong> der Blockk<strong>on</strong>fr<strong>on</strong>tati<strong>on</strong> auf bundesdeutschem respektive auf dem Territorium<br />
der <strong>Deutsche</strong>n Demokratischen Republik gelegen hätte, was die Anfahrtswege zum erwarteten<br />
Einsatzort in einem überschaubaren Rahmen hielt. Dieses Manko in der Ausrüstung zeigte sich<br />
das erste Mal im Umfeld des Zweiten Golfkriegs, als schnelle Material- und Pers<strong>on</strong>entransporte<br />
in die Türkei v<strong>on</strong> Nöten waren und wie im Somalia-Einsatz kurzfristig nicht-nati<strong>on</strong>aler Ersatz<br />
gefunden werden mußte, da der Bundeswehr strategische Lufttransportkapazitäten fehlten. Noch<br />
eindrucksvoller gestaltete sich dieses Problem im Rahmen der humanitären Hilfe in Mosambik<br />
und der Unterstützungsleistung in Ost-Timor. 7 Die Bundesrepublik benötigt daher im europäi-<br />
schen Verbund oder auch im aut<strong>on</strong>omen Rahmen eine deutliche Verbesserung der Verlegefähig-<br />
keit v<strong>on</strong> Material und Pers<strong>on</strong>en über weite Distanzen. Eine Problembeseitigung wird mit der<br />
Einbindung in das A-400M-Projekt angestrebt, welcher den Streitkräften frühestens ab 2009 8 die<br />
Möglichkeit der besseren logistischen Versorgung der Truppen im Einsatzgebiet bietet. 9 Der<br />
A400M läuft der Truppe jedoch mit den bisher bekannten Daten erst deutlich verspätet zu, so daß<br />
bis zu diesem Zeitpunkt kostenintensives Leasing ehemals sowjetischer Transportmaschinen der<br />
Typen Ant<strong>on</strong>ov und Iljuschin betrieben werden muss. Alternativen zu dieser Praxis sind der<br />
Transport v<strong>on</strong> Truppen und Material mit Kapazitäten der verbündeten Nati<strong>on</strong>en oder das An-<br />
mieten US-amerikanischer Flugzeuge im europäischen Verbund zur Überbrückung des Defizits<br />
bis zur Auslieferung des A400M. Die Leistungsfähigkeit des neuen, europäischen Transportflug-<br />
zeugs wird die Leistungsdaten der US-K<strong>on</strong>kurrenz nicht erreichen. Die Mängel in der materiellen<br />
Ausstattung der Bundeswehr wurden im Zuge des Einsatzes im Kosovo-K<strong>on</strong>flikt ein Gegenstand<br />
der umfangreichen öffentlichen und politischen Diskussi<strong>on</strong>. So stimmte die Bundesregierung im<br />
Frühjahr 1999 beim NATO-Gipfel in Washingt<strong>on</strong> der Defence Capabilities Initiative (DCI) zu,<br />
7<br />
Vgl. Peter Goebel, Less<strong>on</strong>s learned – der Blick nach vorne, in: Ders. (Hrsg.), V<strong>on</strong> Kambodscha bis Kosovo.<br />
Auslandseinsätze der Bundeswehr, B<strong>on</strong>n/Frankfurt a.M. 2000, S. 329-339.<br />
8<br />
Vgl. Soldat und Technik, Themenausgabe „Das BWB und seine Projektabteilungen“, Nr.12, Dezember 2002, S.<br />
43.<br />
9<br />
Vgl. Bundeswehr - Verträge für den A400M unterzeichnet,<br />
http://www.verteidigungsministerium.de/forces/030522_a400m.php [28.08.03].<br />
55
um die militärischen Möglichkeiten der europäischen NATO-Staaten nachhaltig zu verbessern.<br />
Eine Folge dieser Initiative ist das oben beschriebene Lufttransportprojekt, bei welchem sich die<br />
Bundesrepublik vertraglich zu einer Schwerpunktbildung verpflichtet hat. Das K<strong>on</strong>zept der Eu-<br />
ropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik/Europäische Sicherheits- und Verteidigungsi-<br />
dentität (ESVP/ESVI) ebnet einen weiteren Weg in Richtung einer kollektiven, europäischen<br />
Handlungsfähigkeit im militärischen Bereich und dient auch der Bündelung v<strong>on</strong> Fähigkeiten und<br />
Ressourcen der involvierten Staaten. Dabei ist es zwingend erforderlich, die Interoperabilität im<br />
transatlantischen wie auch im europäischen Rahmen sicher zu stellen. 10<br />
Anpassung der Ausbildung<br />
Lernen bei der Bundeswehr als Folge v<strong>on</strong> Erfahrungen aus Einsätzen kann auch in der Tatsache<br />
gesehen werden, daß Soldaten nicht mehr so unvorbereitet wie noch zu Beginn deutscher Aus-<br />
landseinsätze größeren Umfangs und längerer Dauer wie z.B. in Somalia in den Einsatz geschickt<br />
werden (hier: ohne spezielle Wüstenausbildung und Ausrüstung). Die Ausbildungsstruktur für<br />
Auslandseinsätze wurde völlig neu aufgebaut. So werden Sprachausbildungen für das Einsatz-<br />
land erweitert. Beispielsweise wird sich der zukünftige Feldwebel in den Lehrinhalten mit der<br />
Sprachausbildung Englisch befassen müssen. Die einzusetzenden Kräfte werden mit den Menta-<br />
litäten und der Kultur der im Einsatzland lebenden Bevölkerung vertraut gemacht. 11 Zusätzlich<br />
finden Schulungen statt, die in ihren Schwerpunkten bes<strong>on</strong>ders auf Menschenführung und das<br />
Bewältigen v<strong>on</strong> Streßsituati<strong>on</strong>en eingehen. Denn oft war der angemessene und respektvolle, aber<br />
stets auf die eigene Sicherheit bedachte Umgang mit der Bevölkerung im Land oder der Regi<strong>on</strong><br />
des Einsatzes nur unzureichend planbar. Den Soldaten fielen im Kosovo auch vermittelnde, frie-<br />
densstiftende und polizeiliche Kompetenzen zu.<br />
Um diese Fähigkeiten zu erlernen bzw. zu vertiefen, werden für den Auslandseinsatz abkomman-<br />
dierte Soldaten in speziellen Ausbildungscamps auf Truppenübungsplätzen (im Falle des Balkans<br />
in der Infanterieschule des Heeres in Hammelburg) ausgebildet. In so genannten „potemkinschen<br />
Dörfern“ wird auch der gefährliche Einsatz simuliert, da die auszubildenden Truppen unter<br />
möglichst realen Bedingungen auf einen Häuserkampf vorbereitet werden sollen. Bes<strong>on</strong>deres<br />
Augenmerk wird hier auf den Umgang mit der einheimischen Bevölkerung gelegt, um auch in<br />
10 Vgl. Peter Goebel, Less<strong>on</strong>s learned – der Blick nach vorne, in: Ders. (Hrsg.), V<strong>on</strong> Kambodscha bis Kosovo.<br />
Auslandseinsätze der Bundeswehr, B<strong>on</strong>n/Frankfurt a.M. 2000, S. 329-339.<br />
11 Vgl. Peter Goebel, Less<strong>on</strong>s learned – der Blick nach vorne, in: Ders. (Hrsg.), V<strong>on</strong> Kambodscha bis Kosovo.<br />
Auslandseinsätze der Bundeswehr, B<strong>on</strong>n/Frankfurt a.M. 2000, S. 329-339.<br />
56
Stresssituati<strong>on</strong>en, etwa bei Aufständen und Tumulten, nicht falsch und folgenschwer zu<br />
reagieren.<br />
Neuerdings wird auch verstärkt auf den Einsatz freiwillig länger dienender Grundwehrdienstlei-<br />
stender gesetzt, da diese nicht selten über eine bessere Schulbildung als der durchschnittliche<br />
Zeitsoldat verfügen. Der Gesichtspunkt der Besoldung, die in den letzten Jahren bei Ausland-<br />
seinsätzen gestiegen ist, zeichnet sich als ein Indikator für die Anstrengungen aus, einen mög-<br />
lichst gut abgesicherten und motivierten Soldatennachwuchs für Krisenoperati<strong>on</strong>en im Ausland<br />
zu gewinnen. 12<br />
Anpassung an die Topographie der Einsatzregi<strong>on</strong>en<br />
Um den gestiegenen und weiter in den außereuropäischen Süden verlagerten Einsätzen und Auf-<br />
gaben gerecht zu werden, ergab sich die Notwendigkeit, das Material auf die dortigen klimati-<br />
schen Extreme anzupassen, denn ursprünglich wurde die Bundeswehr für mitteleuropäisches<br />
Klima ausgebildet und ausgerüstet und war daher im tropischen Klima mit seinen hohen Bela-<br />
stungen für Mensch und Material nur eingeschränkt verwendungsfähig. Dabei muß als Beispiel<br />
vor allem auf den Gebrauch deutscher Schnellboote, die eigentlich für den Schutz der kalten<br />
Norddeutschen Hoheitsgewässer (Stichwort: Randmeerkriegführung in der Ostsee und den Ost-<br />
seezugängen) k<strong>on</strong>zipiert sind, am Horn v<strong>on</strong> Afrika hingewiesen werden. Die klimatischen Be-<br />
dingungen brachten das Gerät und die Besatzungen an den Rand der Belastbarkeit. So scheint die<br />
Anschaffung neuer Korvetten vom Typ K-130 zum Ersatz der zum Teil über 25 Jahre alten<br />
Schnellboote der Klasse 143 sinnvoll und weitsichtig. Die neuen Korvetten verfügen über die<br />
angepassten und notwendigen Ausrüstungsdetails und können nun klimatisch uneingeschränkt<br />
operieren, was eine hohe Kampfwertsteigerung nach sich zieht. Aber auch weniger kosteninten-<br />
sive Ausrüstungsgegenstände erwiesen sich als nicht mehr hinreichend für die Verwendung an<br />
den neuen Einsatzorten der deutschen Armee. So unterstützten die französischen Streitkräfte die<br />
Bundeswehr in Somalia mit für die dortigen Temperaturen geeigneter Kleidung. Zu den Erfah-<br />
rungen der Bundeswehr zählt auch, wie o.g. Beispiel zeigt, daß man sich bei „out-of-area“-Ein-<br />
sätzen auf das Wissen und die Hilfe der Verbündeten verlassen k<strong>on</strong>nte.<br />
12 Vgl. BMVg, Gutes Geld für gute Arbeit – Mehr Geld für Soldaten,<br />
http://www.bundeswehr.de/reform/faehigkeiten /ref_pers_sold.php [27.08.03].<br />
57
Eigenständigkeit trotz Zusammenarbeit mit anderen Streitkräften<br />
In der Vergangenheit waren die deutschen Streitkräfte vielfach auf die operative Aufklärungs-<br />
technik ihrer verbündeten Alliierten (allen voran der Vereinigten Staaten v<strong>on</strong> Amerika) angewie-<br />
sen. Um diese Abhängigkeiten zu umgehen und unilateral bei der Informati<strong>on</strong>sbeschaffung<br />
agieren zu können, wird in naher Zukunft das Satelliten-Aufklärungssystem „SAR-Lupe“ das<br />
Equipment der Bundeswehr bereichern. Zusätzlich soll das zunächst zivile europäische GPS-<br />
Navigati<strong>on</strong>ssystem „GALILEO“ zur weiteren Unterstützung militärisch genutzt werden, um den<br />
Grad der aut<strong>on</strong>omen Handlungsfähigkeit zu erhöhen.<br />
Denn in Krisensituati<strong>on</strong>en, in denen die USA partizipieren, kann das kommerzielle GPS-System<br />
mit bewusst herbeigeführter Datenabweichung bzw. Ungenauigkeit betrieben werden, um dem<br />
US-Militär einen Vorteil gegenüber den gegnerischen K<strong>on</strong>fliktparteien, was auch Terroristen<br />
beinhalten kann, zu verschaffen.<br />
Das zivile Signal des Systems kann darüber hinaus in einzelnen Regi<strong>on</strong>en ganz abgeschaltet<br />
werden, 13 um die volle Leistung für komplexe Militäroperati<strong>on</strong>en zu sichern. Auch ist nicht<br />
abzusehen, wie sehr den Verbündeten, also zum Beispiel der Bundesrepublik, im Ernstfall<br />
jeweils vertraut wird, weshalb ein Stück technischer Autarkie gegenüber den USA eher positiv<br />
zu bewerten ist.<br />
Resümee<br />
Im letzten Jahrzehnt haben sich die Aufgaben und Herausforderungen an die Bundeswehr stark<br />
verändert. Dies benötigt mitwachsende Reformen. Fortschritte und Neuerungen, wenn auch nicht<br />
selten über lange Umwege, sind zweifelsfrei zu verzeichnen, jedoch fehlt ein schlüssiges Ge-<br />
samtk<strong>on</strong>zept. Das Versäumnis, eine umfassende nati<strong>on</strong>ale Sicherheitsstrategie zu entwerfen,<br />
kann folglich als ein Beispiel für nicht erfolgtes Lernen gelten. Viele Neuerungen sind im<br />
europäischen K<strong>on</strong>text zu sehen und stehen der Truppe, speziell im Materialbereich, erst in<br />
einigen Jahren zur Verfügung.<br />
Nicht alle Veränderungen sind ausschließlich positiv zu bewerten, wie ein Blick auf das Einsatz-<br />
führungskommando 14 zeigt. Am Beispiel der Operati<strong>on</strong> Enduring Freedom (OEF) wird deutlich,<br />
13 Vgl. Martin-Ulrich Ripple, Military Use of Global Navigati<strong>on</strong> Satellite Systems, Vortrag anlässlich des<br />
Expertengesprächs „Sicherheitspolitische Bedeutung der Raumfahrt“ des Berliner Forums Zukunft (BFZ) der<br />
<strong>Deutsche</strong>n Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Berlin, 3. April 2003.<br />
http://www.dgap.org/bfz/veranstaltung/Praes_Ripple_030403.ppt [2003-09-15].<br />
14 Vgl. Abschnitt zum Einsatzführungskommando in diesem Essay.<br />
58
daß es auch in der zur Zeit praktizierten Führungsstruktur zu Reibungsverlusten und Irritati<strong>on</strong>en<br />
zwischen der Führungsorganisati<strong>on</strong> in Deutschland und dem K<strong>on</strong>tingent bzw. dem K<strong>on</strong>tingent-<br />
führer und seinem Stab im Einsatzgebiet kommen kann. Der erste K<strong>on</strong>tingentführer des mariti-<br />
men Anteils der OEF, der momentane stellvertretende Flottenbefehlshaber K<strong>on</strong>teradmiral Hoch,<br />
bewertet die aktuelle Führungspraxis aufgrund seiner Einsatzerfahrungen am Horn v<strong>on</strong> Afrika<br />
wie folgt: „Die neue nati<strong>on</strong>ale Führungsstruktur ist machbar, sie ist im Vergleich zum bisherigen<br />
[...] erheblich aufwendiger und erfordert einen ungleich höheren Koordinati<strong>on</strong>saufwand.“ 15<br />
Auch stellt sich die Frage, ob wirklich immer aus begangenen Fehlern gelernt wurde. Dies ist<br />
wohl nicht der Fall. Zum einen fehlt es an Finanzmitteln für die Streitkräfte, zum anderen existie-<br />
ren auch Akteure in bestehenden Strukturen, die punktuell den eigenen Erhalt als oberstes Ziel<br />
setzen und so Reformen erschweren. Häufig kam es zu einer Ink<strong>on</strong>gruenz v<strong>on</strong> Wille und Ver-<br />
pflichtung der politischen Führung mit den Möglichkeiten der Streitkräfte, ihre neue erweiterte<br />
(Bündnis-) Verantwortung in Europa und der Welt wahrzunehmen.<br />
Am Beispiel der Bundeswehr zeigt(e) sich, daß solche Lernprozesse oft durch schmerzhafte<br />
Fehleinschätzungen und -entscheidungen ihren Ausgangspunkt fanden. Problematisch ist auch,<br />
daß Lernen häufig verspätet erfolgte oder die Lernerfahrungen nicht hinreichend umgesetzt<br />
wurden.<br />
Weiterhin ist zu hinterfragen, wie die Bundeswehr das Lernen bzw. den Lernerfolg misst. Ledig-<br />
lich an Erfolgen in Auslandseinsätzen? Durch Anerkennung der Bündnispartner und Institutio-<br />
nen? Wesentliches Meßkriterium sollte hier die Frage nach Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlich-<br />
keit sein. Wurde im Angesicht der nicht selten stark reduzierten Finanzmittel auch das Maximum<br />
herausgeholt? Gerade in zukünftigen Einsätzen der Bundeswehr sollte eine überzeugende<br />
Zweck-Mittel-Finanzierung die höchste (Lern-) Priorität darstellen.<br />
Für das Lernen bei Auslandseinsätzen spielen sicher auch solche eine Rolle, an denen die deut-<br />
schen Streitkräfte gar nicht teilgenommen haben. Auch aus diesen Militärakti<strong>on</strong>en, vor allem aus<br />
denen der Bündnispartner, wurden und werden Lehren und Erfahrungen gezogen, welche die<br />
Weiterentwicklung der deutschen Armee forcieren können. Durch eine stärkere Vernetzung v<strong>on</strong><br />
Informati<strong>on</strong>s- und Kommunikati<strong>on</strong>seinrichtungen (z. B. auch über die jeweiligen Geheimdienste)<br />
erfolgt eine Erkenntnisabgleichung und zugleich Hilfestellung im Bündnis bzw. unter den Ver-<br />
bündeten. Eine wichtige Rolle spielen hierbei die (deutschen) Verbindungsoffiziere, welche wie<br />
15 Gottfried Hoch, Operati<strong>on</strong> Enduring Freedom, in: MarineForum, Nr. 10, Oktober 2002, S. 10.<br />
59
ei der OEF in Tampa/Florida und Manama/Bahrein stati<strong>on</strong>iert sind, K<strong>on</strong>takt zu den<br />
Verbündeten halten und den Informati<strong>on</strong>saustausch zwischen den an einer Operati<strong>on</strong> beteiligten<br />
Nati<strong>on</strong>en und Kommandobehörden sicherstellen. Verbindungsoffiziere befreundeter Nati<strong>on</strong>en<br />
sind auch beim Einsatzführungskommando in Potsdam-Geltow stati<strong>on</strong>iert.<br />
Es bleibt festzuhalten, daß die Bundeswehr im Rahmen ihrer Möglichkeiten in Verwendungen<br />
außerhalb der Bundesrepublik recht gute Resultate erlangen k<strong>on</strong>nte, dies sicher auch durch die<br />
erfolgreiche Umsetzung v<strong>on</strong> Erfahrungen in Auslandseinsätzen.<br />
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