Der Deutschland-Test: Die Kunst mittelbarer Außenpolitik
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„<strong>Deutschland</strong>: nicht normal, sondern zentral.<br />
Von der Notwendigkeit einer deutschen Führungsrolle in der<br />
<strong>Außenpolitik</strong> Europas“<br />
Essay für die Sendereihe „Für eine bessere <strong>Außenpolitik</strong>“ des <strong>Deutschland</strong>funks<br />
Ausstrahlungstermin: Sonntag, 8. August 2004, 9:00-9:30<br />
Von Christoph Bertram<br />
Es gibt zwei Gründe, weshalb deutsche <strong>Außenpolitik</strong> heute nur noch europäische<br />
<strong>Außenpolitik</strong> sein kann und europäische <strong>Außenpolitik</strong> sein muß: alleine schaffen wir<br />
es nicht, und abseits stehen kann Europa vom internationalen Geschehen nicht mehr.<br />
Ob Europa handeln kann, wird aber davon abhängen, ob <strong>Deutschland</strong> zum Handeln<br />
bereit und fähig sein wird.<br />
Alleine schaffen wir es nicht: Nur Europa zusammen ist groß genug, auf das<br />
internationale Geschehen nachhaltig einwirken zu können, <strong>Deutschland</strong> ist - wie auch<br />
jedes andere große EU-Mitglied - zu klein. Daß deutsche <strong>Außenpolitik</strong> nicht auf sich<br />
allein gestellt sein kann, traf schon zu während des langen Kalten Krieges, als die<br />
Bundesrepublik noch in ihrer Souveränität beschränkt war. Es gilt nicht weniger seit<br />
der Wiederverlangung von nationaler Einheit und Souveränität.<br />
<strong>Der</strong> andere Grund: Europa hat nicht mehr die Wahl, ob es zusehen will oder gestalten<br />
muß. Es wird unweigerlich in den Sog internationaler Ereignisse und Entwicklungen<br />
hineingezogen und davor weder von seiner Geographie noch von einer Supermacht<br />
bewahrt. Mit ihrer Erweiterung rückt die EU den instabilen Regionen der Welt<br />
immer näher: Rußland, Ukraine, der Kaukasus und der Nahe Osten sind unmittelbare<br />
Nachbarn. Und spätestens seit dem 11.September 2001 wissen wir, daß nicht nur<br />
Kommerz und Kommunikation globalisiert sind, sondern auch die Unsicherheit. So<br />
angenehm und in unserer Geschichte einmalig das ist - es reicht für deutsche<br />
Sicherheit nicht mehr aus, daß <strong>Deutschland</strong> heute nur von Freunden umgeben ist;<br />
Feinde jenseits dieser Freunde können uns alle gefährden. Und so hilfreich, ja<br />
maßgeblich die verbündete Supermacht Amerika ist und bleibt, so wenig ist sie für<br />
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unseren Schutz und unsere Interessenwahrung ausreichend oder auch nur willens,<br />
darüber den eigenen Schutz und die eigenen Interessen hintanzustellen.<br />
Aber was heißt europäische <strong>Außenpolitik</strong>? Und wieweit wird die deutsche<br />
<strong>Außenpolitik</strong> den damit verbundenen Anforderungen gerecht?<br />
Das ist die Kernfrage deutscher <strong>Außenpolitik</strong> im 21. Jahrhundert. Nur: merkwürdiger<br />
Weise wird sie in der deutschen Diskussion kaum gestellt. Da fordert die<br />
Bundesregierung einen eigenen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten<br />
Nationen und begründet dies, nicht zu unrecht, damit, daß <strong>Deutschland</strong> einer der<br />
wichtigsten Finanziers der Uno und im übrigen ja auch bereit sei, internationale<br />
Verantwortung zu tragen - auch wenn niemand ausbuchstabiert, was das konkret<br />
heißt. Da schreiben ausgewiesene Hochschullehrer hunderte von Seiten, um allein<br />
aus der deutschen Weigerung, am amerikanischen Irak-Abenteuer teilzunehmen,<br />
schon eine neue deutsche <strong>Außenpolitik</strong> abzuleiten. Da fordern Kanzler und<br />
Außenminister gern, Berlin müsse - wie es so fordernd-stolz heißt - "auf gleicher<br />
Augenhöhe" mit anderen Staaten verkehren. Ausländische Diplomaten registrieren<br />
ein selbstbewußteres deutsches Auftreten in internationalen Fragen. Aber wer wissen<br />
will, wie sich denn <strong>Deutschland</strong> mit seinem größeren Selbstvertrauen in die<br />
internationale Politik einbringen will, der bekommt nur vage Gemeinplätze zur<br />
Antwort. Es geht Berlin anscheinend weniger darum, auf die internationale<br />
Entwicklung Einfluß zu nehmen, als einen als angemessenen erachteten Status für<br />
sich zu reklamieren. Das mag deutschem Selbstvertrauen gefallen. Zu einer Politik<br />
aber für das Auswärtige, als tatkräftiges Engagement für eine gerechtere oder auch<br />
nur sicherere Welt gibt es wenig her.<br />
In den Monaten der Irak-Krise, als alle Welt sich angesichts der deutschen<br />
Verweigerung verwundert die Augen rieb, kamen unzählige Journalisten in meinem<br />
Institut vorbei, um zu ergründen, ob dahinter so etwas wie eine umfassende<br />
außenpolitische Strategie - wir Deutschen nennen so etwas gern ein "Gesamtkonzept"<br />
- verborgen sei. Ich mußte sie enttäuschen. <strong>Die</strong> Bundesrepublik <strong>Deutschland</strong>, mit der<br />
Vereinigung souverän geworden, ist nur dabei, für sich selbst zu definieren, was es<br />
heißt, "normal" zu sein -und das wichtigste, was ihr dabei einfällt, ist, auf einer Ebene<br />
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mit den anderen Schwergewichten Europas, vor allem Frankreich und Großbritannien,<br />
eingestuft zu werden. Es ist fast so, als habe das neue Vorstandsmitglied eines großen<br />
Konzerns vor allem im Sinn, einen <strong>Die</strong>nstwagen zu bekommen, wie auch die anderen<br />
Vorstandsangehörigen ihn fahren.<br />
So verständlich dieses Streben nach Status und „Normalität“ ist für ein so lange<br />
formal nicht völlig souveränes Land, so einfältig ist es zugleich. Denn der Ehrgeiz,<br />
so viel zu gelten wie die anderen "Großen" Europas, enthüllt das bedrückende<br />
Unverständnis der heutigen politischen Klasse unseres Landes für die Einzigartigkeit<br />
der deutschen Rolle: <strong>Deutschland</strong> ist und bleibt zentral für den Zusammenhalt<br />
Europas wie für die atlantische Partnerschaft. <strong>Die</strong> EU wäre ohne England, Italien,<br />
vielleicht sogar ohne Frankreich denkbar - ohne <strong>Deutschland</strong>, das Land in der Mitte,<br />
ist sie es nicht. Ohne <strong>Deutschland</strong> wäre auch die besondere, enge Verbindung des<br />
europäischen Kontinents mit Amerika unvorstellbar. <strong>Die</strong> Bundesrepublik kann nicht<br />
nur wegen ihrer Geschichte nicht sein wie die anderen, sie kann es auch nicht wegen<br />
der zentralen strategischen Position, die sie im europäischen und atlantischen Gefüge<br />
innehat: ohne sie fiele auseinander, was seit einem halben Jahrhundert<br />
zusammengehört.<br />
Indem <strong>Deutschland</strong> - wie die meisten seiner Regierungen seit der Gründung der<br />
Bundesrepublik es getan haben - diese strategische Rolle akzeptiert, dient es zugleich<br />
seinen wichtigsten nationalen Interessen. Dank der Europäischen Union – die mit<br />
dem Einverständnis aller Nachbarn gelungene Wiedervereinigung hat es bekräftigt -<br />
ist Europa mit <strong>Deutschland</strong> und <strong>Deutschland</strong> mit Europa ausgesöhnt. Dank der<br />
Atlantischen Allianz sind <strong>Deutschland</strong> und Europa mit der stärksten Macht der Welt<br />
verbunden, deren Interessen sich nach wie vor in den meisten großen internationalen<br />
Fragen mit denen Europas und <strong>Deutschland</strong>s decken und ohne deren internationales<br />
Engagement die Welt aus den Fugen geriete. Beides erkannt und beharrlich verfolgt<br />
zu haben, hat der deutschen <strong>Außenpolitik</strong> ihre größten Erfolge beschert. Es zu<br />
vergessen oder gar zu verachten, würde ihren größten Rückschlag bewirken.<br />
<strong>Die</strong> deutsche Erkenntnis und Akzeptanz dieser zentralen Rolle ist Voraussetzung<br />
erfolgreicher deutscher <strong>Außenpolitik</strong> in Europa. Beides – die deutsche und die<br />
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europäische Einwirkung auf internationale Ereignisse – ist ohnehin nicht mehr zu<br />
trennen. „Unsere <strong>Außenpolitik</strong>“ hat Außenminister Fischer formuliert, „ hat immer<br />
einen Doppelcharakter“. Man kann es noch unverblümter ausdrücken: Rein nationale<br />
<strong>Außenpolitik</strong> ist allenfalls noch als Traditionspflege zu betreiben, und vielleicht hält<br />
der in allen Ländern traditionsbewußte Diplomaten-Stand auch deshalb so gern an ihr<br />
fest; mit erfolgreicher Ausübung internationalen Einflusses hat sie nur noch wenig zu<br />
tun.<br />
<strong>Die</strong> Probe aufs Exempel: Wo, wenn nicht im Gewand der EU, hat die deutsche<br />
<strong>Außenpolitik</strong> seit der Wiedervereinigung nennenswerte Ergebnisse vorzuweisen?<br />
Auf dem Balkan liegt die entscheidende Hoffnung künftiger Stabilität in der<br />
Beitrittsperspektive zur Europäischen Union. <strong>Die</strong> Verwandlung unserer östlichen<br />
Nachbarn in moderne Volkswirtschaften, demokratisch geprägte Staaten und<br />
außenpolitische Partner ist das Produkt europäischer Erweiterungspolitik, nicht das<br />
Ergebnis nationaler Diplomatie. Wenn heute wenigstens eine Chance für einen<br />
atomwaffenfreien Iran besteht, dann auch wegen des gemeinsamen Vorgehens<br />
Frankreichs, England und <strong>Deutschland</strong>s und des Rückhalts dafür in der gesamten EU.<br />
Im Vergleich dazu fallen die Früchte rein nationaler <strong>Außenpolitik</strong> dürftig aus.<br />
Deutsche <strong>Außenpolitik</strong> gegenüber Rußland erschöpft sich in einer Kombination von<br />
Hinnahme des Bestehenden und wirtschaftlicher Vorteilssuche. China ist für die<br />
deutsche <strong>Außenpolitik</strong> allenfalls ein Markt, Indien, der andere große strategische<br />
Mitspieler des 21.Jahrhunderts aus Asien, in den Köpfen der Berliner <strong>Außenpolitik</strong>er<br />
allenfalls als Ort billiger elektronischer <strong>Die</strong>nstleistungen angekommen. Im Nahen<br />
Osten bleibt das unermüdliche Engagements des Außenministers jenseits des<br />
selbstverständlichen Eintretens für die Existenz Israels und der ebenso<br />
selbstverständlichen Befürwortung eines eigenständigen Palästina ein eher<br />
symbolisches Signal ohne Wirkung. Gegenüber den Vereinigten Staaten haben die<br />
Europäer nur dort Durchschlagskraft und Einfluß, wo sie - im Außenhandel, in der<br />
Wettbewerbspolitik und in Währungsfragen - in europäischer Verzahnung auftreten;<br />
im strategischen Bereich versucht jeder es für sich - mit dem bekannten Ergebnis der<br />
Einflußlosigkeit.<br />
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<strong>Die</strong> Bilanz ist eindeutig, die Schlußfolgerung liegt auf der Hand: nationale<br />
<strong>Außenpolitik</strong> zeigt nur dann internationale Wirkung, wenn sie vorher zu einer<br />
europäischen Politik führt. Deswegen gibt es guten Sinn, wenn in der neuen, noch<br />
nicht verabschiedeten EU-Verfassung ein EU-Außenminister und ein EU-eigener<br />
diplomatischer <strong>Die</strong>nst vorgesehen sind. Selbst wenn die Annahme der Verfassung am<br />
Ende scheitern sollte - immerhin müssen 25 Parlamente und in 14 der 25<br />
Mitgliedsstaaten zudem das Volk in Form von Referenden zustimmen - wird die<br />
europäische Logik eine zunehmende Brüsseler Zuständigkeit für <strong>Außenpolitik</strong><br />
bewirken.<br />
Allerdings: ohne nationale Vorarbeit wird europäische <strong>Außenpolitik</strong> auch dann kaum<br />
zustande kommen, und sie muß von den nationalen Hauptstädten geleistet werden.<br />
Denn ohne deren Rückhalt kann keine Brüsseler Institution in der Außen- und<br />
Sicherheitspolitik handeln. Selbst Mehrheitsentscheidungen wird es hier nicht geben,<br />
jedes Mitgliedsland behält ein Veto und kann somit jede gemeinsame Aktion<br />
torpedieren. <strong>Der</strong> europäische Außenminister wird 25 Chefs über sich haben, die es<br />
nicht schätzen, daß er ihnen das internationale Rampenlicht nehmen oder auch nur<br />
dimmen könnte.<br />
Gerade darin aber liegt die Herausforderung für <strong>Deutschland</strong> und für seine zentrale<br />
Rolle. Selbst die besten Brüsseler Institutionen können nur funktionieren, wenn die<br />
Mitgliedstaaten sie nutzen, sie sind Werkzeuge der Politik, die Politik selbst muß<br />
anderswo vorbedacht und vorbereitet werden. Und das heißt, es gibt nur dann eine<br />
europäische <strong>Außenpolitik</strong>, wenn ein Mitgliedsland sich dafür stark macht, die<br />
Initiative ergreift, die Zustimmung anderer einwirbt und so eine schließlich vom<br />
Konsens getragene Position produziert.<br />
Natürlich gilt das nicht nur für <strong>Deutschland</strong>. Es gibt kein deutsches Monopol für<br />
außenpolitische Initiativen in der EU; alle Mitglieder sind gefordert. Aber ohne die<br />
Billigung des Größten unter ihnen kann es keine europäische <strong>Außenpolitik</strong> geben.<br />
<strong>Deutschland</strong>s Teilnahme wird stets eine Erfolgsbedingung für europäische<br />
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Gemeinsamkeit sein. Und seine zentrale Verantwortung gebietet, daß es aktiv an dem<br />
Konsens mitschmiedet, der am Ende gemeinsame <strong>Außenpolitik</strong> werden kann.<br />
Was es dazu braucht, ist dreierlei. Zum einen die Bereitschaft, in strategischen<br />
Kategorien zu denken. Zum zweiten die Bereitschaft, die Mittel für eine europäische<br />
<strong>Außenpolitik</strong> zur Verfügung stellen. Zum dritten die Bereitschaft<br />
Führungsverantwortung zu übernehmen, damit gemeinsame europäische Politik<br />
möglich wird. In allen drei Bereichen hinkt <strong>Deutschland</strong> den Anforderungen<br />
hinterher.<br />
Das Denken in den strategischen Kategorien des 21. Jahrhunderts ist kein Merkmal<br />
der deutschen politischen Klasse. Das war in der Kaltenkriegs-Zeit anders, als unser<br />
Land an der Schnittstelle zwischen Ost und West lag, für beide Lager der strategische<br />
Angelpunkt. Damals gab es eine ganze Heerschar außenpolitischer Fachleute im<br />
Deutschen Bundestag, das Parlament war der Ort großer außenpolitischer Debatten,<br />
die in die Öffentlichkeit und die Medien ausstrahlten. Aber es war damals auch<br />
einfacher, strategisch zu denken: die Gefahr für unser Überleben war mit Händen zu<br />
greifen.<br />
Heute ist es anders. Heute verlangt strategisches Denken nicht mehr die Betrachtung<br />
deutscher Geographie, sondern das Hineindenken in internationale Zusammenhänge,<br />
das Ausloten von Gestaltungsmöglichkeiten fern unserer eigenen Nachbarschaft und<br />
den Willen, sie tatkräftig zu nutzen. <strong>Außenpolitik</strong> in diesem Sinne, ja schon das<br />
Nachdenken darüber, wie Herausforderungen von jenseits der EU bewertet und<br />
beantwortet werden sollten, ist in Parlament und Öffentlichkeit heute nur noch<br />
spärlich präsent. Zwar ist der Außenminister in allen Umfragen immer noch der<br />
populärste Politiker überhaupt. <strong>Die</strong> Zahl der Abgeordneten jedoch, die sich diesem<br />
Gebiet widmen, ist selbst in den großen Fraktionen auf eine Handvoll zusammen<br />
geschrumpft. Ein Gespür für die zentrale Funktion <strong>Deutschland</strong>s ist allenfalls bei<br />
einzelnen noch vorhanden. Zurecht klagt einer aus dieser kleinen Schar, der FDP-<br />
Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gerhardt, der deutschen <strong>Außenpolitik</strong> fehle "ein<br />
geostrategischer Entwurf", die deutschen politischen Eliten müßten sich erst noch<br />
dafür entscheiden, daß, so Gerhardt, <strong>Deutschland</strong> teilhabe und nicht ausweiche.<br />
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Rechtfertigungen für diese strategische Enthaltsamkeit gibt es viele. <strong>Die</strong> gängigste,<br />
gelegentlich auch als Kultur der Zurückhaltung drapiert: Wir dürfen, sollten uns nicht<br />
übernehmen. Haben wir nicht eine Vergangenheit, die dies anmahnt? Und haben wir<br />
nicht in der Gegenwart alle Hände voll damit zu tun, die Wiedervereinigung<br />
<strong>Deutschland</strong>s und Europas zu verkraften? Ist also der Mangel an strategischem<br />
Denken nicht Ausdruck von Unverstand, sondern eher von gebotener Bescheidenheit?<br />
Im übrigen, so kürzlich zwei namhafte deutsche Professoren in einer kritischen<br />
Bewertung des deutschen Wunsches nach einem eigenen Sitz im Uno-Sicherheitsrat:<br />
müßten wir nicht erst unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wiederherstellen,<br />
bevor wir uns in der Welt draußen engagieren? <strong>Deutschland</strong>, daran erinnern die<br />
beiden zu Recht, hat in der Vergangenheit seinen außenpolitischen Einfluß nicht<br />
zuletzt seiner Wirtschaftskraft und der damit verbundenen Bereitschaft verdankt, für<br />
gemeinsame Politik in Vorleistung zu treten – und heute ist diese Wirtschaftskraft<br />
angeschlagen.<br />
Dennoch kann dies außenpolitische Nonchalance nicht rechtfertigen. <strong>Deutschland</strong><br />
mag sich außenpolitisch noch so sehr auf sich selbst oder auf den EU-Raum<br />
einkrümmen, die außenpolitischen Probleme werden damit doch nicht weniger!<br />
Große Länder können sich den Luxus nicht leisten, die <strong>Außenpolitik</strong> zu vertagen oder<br />
an andere zu delegieren, bis die inneren Probleme gemeistert sind. Und so entpuppen<br />
sich die vermeintlichen Rechfertigungen als Ausflüchte. Es ist ja auch nicht so, als<br />
hätten wir strategische Konzepte parat, die wir lediglich wegen anderer Prioritäten zur<br />
Zeit nicht verfolgen könnten. Vorstellungen, was deutsche und europäische Interessen<br />
sind und wie man sie am besten in der Welt verfolgen sollte, haben leider nur selten<br />
einen Berliner Absender. Und es ist keine Entlastung, ganz im Gegenteil, daß auch<br />
andere EU-Mitglieder sich hierin nicht hervortun.<br />
<strong>Die</strong> zweite Bedingung für deutsche europäische <strong>Außenpolitik</strong> ist die Bereitschaft, die<br />
erforderlichen Mittel dafür aufzubringen. Auch darum ist es nicht eindrucksvoll<br />
bestellt. Unser diplomatischer <strong>Die</strong>nst ächzt unter immer neuen Personalkürzungen.<br />
Unsere auswärtige Kulturpolitik wird gekürzt. Unsere Entwicklungshilfe wird<br />
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vermindert. Unsere Militärausgaben bleiben weit hinter denen anderer europäischer<br />
Mittelmächte zurück.<br />
Natürlich, es wäre naiv zu erwarten, die <strong>Außenpolitik</strong> könnte ungeschoren bleiben,<br />
wenn staatliche Ausgaben allenthalben gekürzt werden müssen, Aber der Umstand,<br />
daß <strong>Außenpolitik</strong> umgekehrt auch keinerlei Priorität erfährt, sagt genug über ihren<br />
politischen Stellenwert aus. <strong>Die</strong>ser Bereich staatlichen Handelns gilt eben in keiner<br />
unserer politischen Parteien als besonders wichtig. <strong>Deutschland</strong> hätte eine zentrale<br />
Rolle in der europäischen <strong>Außenpolitik</strong>? Na ja, das muß warten, bis die<br />
Staatsfinanzen sich erholt haben. Und man muß sogar dankbar sein, daß die<br />
Einschnitte nicht noch tiefer ausfallen.<br />
Wie bei den deutschen Einstellungen zur <strong>Außenpolitik</strong> generell, so gilt auch dieser<br />
Befund für die gesamte politische Klasse unseres Landes, für alle Parteien im<br />
Parlament. Es gibt zahlreiche Gruppen, die sich für einen höheren Sozial- oder<br />
Bildungshaushalt stark machen, die <strong>Außenpolitik</strong> dagegen hat keine Lobby,<br />
niemanden, der so verwegen wäre, Kürzungen bei innerstaatlichen Aufwendungen zu<br />
befürworten, um außenpolitisch wirksamer auftreten zu können - das wäre, so das<br />
übliche Totschlagargument, nicht vermittelbar. Als kürzlich in der auch sonst recht<br />
einfältigen Liste der Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück zum Abbau von<br />
Subventionen die auswärtige Kulturpolitik als - eigentlich entbehrliche - staatliche<br />
Subvention ohne lange parlamentarische Debatte zu drastischen Kürzungen verurteilt<br />
wurde, da konnte das Damoklesschwert nur mit der Zusage abgewehrt werden, dann<br />
müsse das Auswärtige Amt eben auf andere Weise die entsprechenden<br />
Haushaltsminderungen erbringen.<br />
<strong>Der</strong> Kontrast zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist besonders ausgeprägt im<br />
Hinblick auf die Streitkräfte. Erst jetzt, anderthalb Jahrzehnte nach dem Ende des<br />
Kalten Krieges und der militärischen Konfrontation in der Mitte Europas, wird die<br />
Bundeswehr ernsthaft reformiert und auf Aufgaben vorbereitet, längst offenkundig<br />
waren: den raschen Einsatz an der Peripherie oder jenseits Europas zur<br />
Krisenbekämpfung und Krisen-Eindämmung. Seit den Balkankriegen Anfang der<br />
neunziger Jahre liegen diese neuen Anforderungen auf der Hand, sie sind seither in<br />
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Somalien, in Ost-Timor, in Afghanistan und im Einsatz gegen terroristische Gefahren<br />
immer inständiger angemahnt worden. Aber so sehr unsere Regierungen bald in der<br />
Entsendung deutscher Truppen ein nützliches Mittel außenpolitischer Mitwirkung<br />
erkannten, ja manche darin sogar die Besonderheit des eigenen außenpolitischen<br />
Ansatzes sehen wollen - die dafür erforderliche Reform der Bundeswehr wird erst<br />
jetzt angepackt, und noch dazu auf Sparflamme. <strong>Die</strong> von der Regierung Schröder vor<br />
vier Jahren eingesetzte Weizsäcker-Kommission zur Reform der Bundeswehr hatte<br />
für die "Reform von Grund auf" eine Anschubfinanzierung für notwendig gehalten.<br />
Heute müssen der Verteidigungsminister und sein Generalinspekteur ohne zusätzliche<br />
Mittel gleichzeitig die alte Struktur abschaffen und eine neue errichten - mit der<br />
Folge, daß beides noch mehr verzögert wird.<br />
<strong>Die</strong> dritte Bedingung, die <strong>Deutschland</strong> erfüllen müßte, um seiner zentralen Rolle bei<br />
der <strong>Außenpolitik</strong> Europas gerecht werden kann, ist die Bereitschaft,<br />
Führungsverantwortung zu tragen. Es ist von allen der entscheidende <strong>Test</strong>. Denn<br />
wenn die Berliner Politik nicht versteht, wie sie dafür sorgen kann, daß in der<br />
Europäischen Union außenpolitische Interessen formuliert und verfolgt werden,<br />
nützen ihr weder strategisches Verständnis noch mehr Ressourcen.<br />
Führungsverantwortung in und für Europa heißt nicht Kommandieren. Sie verlangt<br />
neben dem Willen zu führen im Gegenteil Respekt vor den Interessen und<br />
Empfindlichkeiten der europäischen Partner, vor allem der kleineren. <strong>Deutschland</strong><br />
macht gern bella figura durch gemeinsame Sache mit den anderen Großen Frankreich<br />
und England. Aber so schmeichelnd für deutsches Selbstgefühl der Umgang mit den<br />
anderen Schwergewichten der Union auch sein mag, so deplaziert ist er auch. Denn<br />
nur mit den Kleineren, nicht gegen sie, ist die Verfolgung deutscher außenpolitischer<br />
Interessen in der europäischen <strong>Außenpolitik</strong> überhaupt möglich. <strong>Der</strong> Konsens der<br />
Großen kann nicht am Anfang, er muß am Ende der Willensbildung in der Union<br />
stehen.<br />
<strong>Die</strong>se Erkenntnis war einmal in der Bundesrepublik selbstverständlich. Es war<br />
Leistung und Stolz deutscher <strong>Außenpolitik</strong> zugleich, daß die Kleineren in Bonn bzw.<br />
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Berlin ihren europäischen Vertrauensmann sahen. <strong>Die</strong> Führungsgestalten der frühen,<br />
um Einbeziehung in den Westen besorgten Bundesrepublik setzten bewußt darauf.<br />
Das deutsch-französische Tandem wäre nie als Motor europäischer Einigung<br />
akzeptiert worden, hätte <strong>Deutschland</strong> sich ähnlich hoffärtig gegenüber Belgiern,<br />
Holländern, Spaniern oder Iren gezeigt wie der Partner Frankreich. Und wenn es im<br />
Schicksalsjahr 1989 gelang, die deutsche Wiedervereinigung mit der Billigung fast<br />
aller Partner und Nachbarn zu verwirklichen, dann trug dazu das Vertrauensnetz<br />
entscheidend bei, das Kanzler und Außenminister wie Willy Brandt, Helmut Schmidt,<br />
Helmut Kohl und Hans-<strong>Die</strong>trich Genscher mit Takt und Einfühlungsgabe zu den<br />
anderen, meist kleineren Anrainern <strong>Deutschland</strong>s geknüpft hatten. Helmut Kohl<br />
wurde dank dieser Gabe geradezu zum Beichtvater Europas, ein Kanzler, der nie<br />
vergaß, daß <strong>Deutschland</strong> nur im Hineindenken in seine Nachbarn eine europäische<br />
Identität erringen kann.<br />
<strong>Die</strong>s war zum Vorteil des Landes und Europas, es bleibt zum Vorteil beider. Aber<br />
während <strong>Deutschland</strong> früher selbst alle Anstrengungen machte, das Vertrauensnetz<br />
auch zu den weniger gewichtigen Partnern in der Union zu knüpfen, erscheint dies für<br />
das heutige Berlin - übrigens auch hier wieder in einer alle Parteien umfassenden<br />
großen Koalition - geradezu als eine Bringschuld der Kleinen. Das Ergebnis läßt sich<br />
an deren Reaktion ablesen, wenn die Bundesregierung - allein oder zusammen mit<br />
Frankreich oder Großbritannien - fordernd Vorschläge für die EU-Politik vorbringt:<br />
sie werden nicht mehr als uneigennütziger Beitrag zum gemeinsamen Nutzen<br />
gewertet, sondern als Versuch der Großen, die Kleinen in der Union zu dominieren.<br />
Wer hinhört, wenn die Vertreter der kleineren Staaten über die Behandlung sprechen,<br />
die ihnen von <strong>Deutschland</strong> zuteil wird, der spürt ihren wachsenden Unmut.<br />
Es brauchte nicht viel, um das Vertrauen der Kleinen zurückzugewinnen. Aber<br />
niemanden in Berlin scheint dies sonderlich umzutreiben. <strong>Der</strong> bürokratische Berliner<br />
Apparat ist zu sehr in seiner eigenen Hektik verstrickt, um die Pflege der Kleineren<br />
als Priorität deutscher <strong>Außenpolitik</strong> in Europa zu verfolgen. Das kann sich nur<br />
ändern, wenn die politische Führung diese Priorität formuliert. Aber die ist zu sehr<br />
mit innenpolitischen Bedrängnissen in Anspruch genommen. Wäre es der deutschen<br />
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<strong>Außenpolitik</strong> ernst damit, europäische <strong>Außenpolitik</strong> zu betreiben, sie würde schnell<br />
gewahr, daß der Weg dazu über den geduldigen Dialog in allen Hauptstädten der<br />
Union verläuft, nicht nur den größten. <strong>Der</strong> Umstand, daß deutsche <strong>Außenpolitik</strong>er<br />
diese Anstrengung nicht unternehmen und ihren Diplomaten verordnen, sagt vor<br />
allem dies über den außenpolitischen Ehrgeiz der Deutschen aus: es ist ihnen<br />
eigentlich damit nicht so wichtig. <strong>Deutschland</strong>, das zentrale Land, verweigert die<br />
Führung in Europa.<br />
Kann sich das ändern? Vielleicht könnte der Sitz im Uno-Sicherheitsrat, den Berlin<br />
mehr aus Gründen des Status als des Engagements fordert, einen Anstoß geben: dann<br />
nämlich müßten deutsche Politiker und Diplomaten bei internationalen Ereignissen<br />
plötzlich über etwas nachdenken, was sie sonst anderen überlassen: was haben wir zu<br />
tun? Welche Entscheidungen müssen wir treffen? Welchen Einsatz verlangt dies von<br />
uns? <strong>Die</strong> betrachtende <strong>Außenpolitik</strong> könnte zur handelnden <strong>Außenpolitik</strong> werden.<br />
Auch die Erweiterung der EU könnte zum Ansporn werden. Denn damit rückt die<br />
Union an Regionen heran, die unser Wohl und Wehe berühren und deshalb eine<br />
europäische Antwort verlangen: Rußland und Ukraine, der Balkan, der Nahe Osten.<br />
Europäische <strong>Außenpolitik</strong> wird unausweichlich, nicht weil die deutsche politische<br />
Klasse plötzlich von außenpolitischem Ehrgeiz gepackt wird, sondern weil die<br />
Ereignisse ihr nicht mehr die Wahl des Zuschauens lassen.<br />
<strong>Der</strong> verläßlichste Indikator für diesen notwendigen, am Ende unausweichlichen<br />
Sinneswandel ist und bleibt die Art und Weise, wie deutsche Politik nicht nur mit den<br />
großen, sondern vor allem mit den kleineren Partnern in der Union umgeht. Es ist der<br />
Lackmustest, ob <strong>Deutschland</strong> seine zentrale Rolle akzeptiert hat. Lernt es zu führen,<br />
indem es die anderen einbezieht und gewinnt, dann wird deutsche <strong>Außenpolitik</strong><br />
europäische <strong>Außenpolitik</strong> hervorbringen – zum Nutzen <strong>Deutschland</strong>s, zum Nutzen<br />
Europas und vielleicht auch zum Nutzen der Welt.<br />
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