SEX SELLS » Frauen in der Werbung - Frauenzentralen
SEX SELLS » Frauen in der Werbung - Frauenzentralen
SEX SELLS » Frauen in der Werbung - Frauenzentralen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
C. Nie<strong>der</strong>berger-Metzler: Man könnte also me<strong>in</strong>en, dass nur<br />
Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft Verän<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Werbung</strong><br />
br<strong>in</strong>gen kann?<br />
D. Heim: Aufgrund gesellschaftlicher Verän<strong>der</strong>ungen zeigt die<br />
<strong>Werbung</strong> heute e<strong>in</strong>e grössere Bandbreite an Rollen, bei beiden<br />
Geschlechtern.<br />
D. Jakab: Das stimmt. Aber wir merken auch, dass bei vielen Auftraggebern<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz das Bewusstse<strong>in</strong>, dass die Frau den<br />
Kaufentscheid oft wesentlich bee<strong>in</strong>flusst, noch sehr frisch ist.<br />
Wir stehen am Anfang e<strong>in</strong>es gesellschaftlichen Wandels, <strong>der</strong> das<br />
Rollenverständnis bee<strong>in</strong>flusst. Die Bandbreite wird wohl noch<br />
breiter werden.<br />
R. Hal<strong>der</strong>: Oft geht es tatsächlich <strong>in</strong>s Klischeehafte und man for<strong>der</strong>t<br />
von uns e<strong>in</strong>fach auch noch e<strong>in</strong> <strong>Frauen</strong>sujet.<br />
C. Zechner: Das wirtschaftliche Potenzial <strong>der</strong> Frau ist erkannt. Zur<br />
Zeit happert es aber noch e<strong>in</strong> bisschen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umsetzung. Denn<br />
e<strong>in</strong>e Frau spricht man nicht damit an, <strong>in</strong>dem man alles Rosa e<strong>in</strong>färbt.<br />
Es brauchdie Entwicklung entsprechen<strong>der</strong> Dienstleistungen<br />
und Produkte und nachfolgend die zugeschnittene <strong>Werbung</strong><br />
<strong>in</strong> den richtig def<strong>in</strong>ierten Kanälen, um an die vielschichtige und<br />
anspruchsvolle weibliche Zielgruppe zu gelangen.<br />
C. Nie<strong>der</strong>berger-Metzler: Wie kann man <strong>Werbung</strong> verän<strong>der</strong>n,<br />
was kann Sie verän<strong>der</strong>n?<br />
R. Hal<strong>der</strong>: <strong>Werbung</strong> will ja <strong>in</strong> sich schon etwas verän<strong>der</strong>n. E<strong>in</strong><br />
Punkt ist sicher <strong>der</strong> Markt, wenn dort etwas nicht mehr funktioniert,<br />
ist es sicher <strong>der</strong> erste Ort <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en neuen Trend ausschlägt.<br />
Solange Diskrim<strong>in</strong>ierungen funktionieren, wird es<br />
unheimlich schwierig se<strong>in</strong>, da etwas zu än<strong>der</strong>n. Schlussendlich<br />
ist es <strong>der</strong> Markt, <strong>der</strong> entscheidet, was die <strong>Werbung</strong> kann o<strong>der</strong><br />
eben nicht darf.<br />
C. Nie<strong>der</strong>berger-Metzler: Heute s<strong>in</strong>d viele Menschen übersättigt<br />
von äusserlichen Impulsen und deshalb gegenüber vielem<br />
gleichgültig. Können wir darauf gehen, dass genug Menschen<br />
sich gegen störende <strong>Werbung</strong> wehren?<br />
R. Hal<strong>der</strong>: Bei schlechter <strong>Werbung</strong> reagiert <strong>der</strong> Markt<br />
ganz unmittelbar.<br />
D. Heim: Etwas vom Heikelsten s<strong>in</strong>d Gewalt-Darstellungen.<br />
Das Thema trifft e<strong>in</strong>e hohe gesellschaftliche<br />
Empf<strong>in</strong>dlichkeit. Da gibt es sofort heftige Reaktionen,<br />
und zwar unisono durch alle Generationen von<br />
<strong>Frauen</strong> und Männern.<br />
M. Felchl<strong>in</strong>: Stichwort «Gewalt<strong>»</strong>. Die ZF-Kampagne<br />
zur E<strong>in</strong>führung des neuen Gewaltschutzgesetztes<br />
wurde von Publicis entworfen. War das Gewaltthema<br />
e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>s schwierige Aufgabe für die Kreation?<br />
8 R o u n d t a b l e<br />
9<br />
D. Jakab: Ich plädiere dafür, dass Auftraggeber nicht aus Angst,<br />
etwas falsch zu machen, dem Langweiligen den Vorzug geben.<br />
Etwas Mut tut gut, wenn man das Ziel erreichen will. <strong>Werbung</strong><br />
muss auch auffallen.<br />
M. Felchl<strong>in</strong>: E<strong>in</strong>e Portion Mut brauchte die ZF für ihre Kampagne<br />
«Problemzone<strong>»</strong>, mit <strong>der</strong> sie <strong>Werbung</strong> für ihre Beratungsangebote<br />
machen und vor allem auch jüngere <strong>Frauen</strong> ansprechen<br />
wollte. E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Aufgabe für die Kreation?<br />
R. Hal<strong>der</strong>: Tja. F<strong>in</strong>anzberatungswerbung sehen wir Tag für Tag<br />
und überall. Wir wollten deshalb unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>gucker. Wir<br />
wollten aber die <strong>Frauen</strong> nicht über positive Emotionen abholen,<br />
son<strong>der</strong>n eher über die Auflösung, nämlich dass es sich hier eben<br />
nicht um e<strong>in</strong> paar Pfunde zuviel handelt, son<strong>der</strong>n um e<strong>in</strong> ernsthaftes<br />
Problem, nämlich das Geld. Wir haben mit e<strong>in</strong>em Klischee<br />
gespielt, es aber positiv aufgelöst.<br />
Claudia Zechner,<br />
Berater<strong>in</strong> <strong>der</strong> Werbeagentur «Proud Mary<strong>»</strong> « Gebt dem Mann e<strong>in</strong> Bier <strong>»</strong><br />
McCann <strong>Werbung</strong> für Amboss Bier<br />
R. Hal<strong>der</strong>: Bei <strong>der</strong> ersten ZF-Kampagne vor rund fünf<br />
Jahren g<strong>in</strong>g es um die Gewalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ehe. Dieses Sujet<br />
ist bei uns e<strong>in</strong>fach so entstanden und bildete den<br />
Anfang unserer Zusammenarbeit. In <strong>der</strong> Zwischenzeit<br />
kennen wir die ZF-Thematik recht gut. E<strong>in</strong>ige Themen<br />
waren zugegeben schwieriger umzusetzen. Das<br />
Gewaltschutzthema aber war e<strong>in</strong> Lichtblick. Warum?<br />
Weil es automatisch e<strong>in</strong> Reizthema ist. Wichtig war<br />
<strong>der</strong> Mix. Es g<strong>in</strong>g ja nicht nur um Gewalt, son<strong>der</strong>n um<br />
Emotionalität, um e<strong>in</strong>e Liebesbeziehung. Wir haben<br />
versucht, die beiden Welten zusammenzubr<strong>in</strong>gen für<br />
e<strong>in</strong>e starke plakative Lösung.<br />
C. Zechner: Das Plakat funktioniert superschnell und<br />
man spürt die Abhängigkeit dieser Frau gegenüber<br />
ihrem Partner sofort.<br />
D. Jakab: Das Sujet bricht bewusst mit bekannter<br />
Ästhetik – die geschm<strong>in</strong>kte Lippe kennen wir aus<br />
<strong>der</strong> Kosmetik – mit <strong>der</strong> Zahnlücke wird irritiert. Ich<br />
hätte die Aussage auch ohne die Headl<strong>in</strong>e über dem<br />
Mund begriffen. Wenn Anstoss genommen wurde,<br />
dann vermutlich an den glänzend roten Lippen. Das<br />
spielt die Erotik mir re<strong>in</strong>. Aber das Thema ist ja damit<br />
verknüpft: mit sexueller Hörigkeit und Abhängigkeit.<br />
Mich persönlich stört daran nichts. E<strong>in</strong>e gute Idee.<br />
D. Heim: Mich hat das Plakat extrem irritiert als ich<br />
es das erste Mal sah. Warum? Weil e<strong>in</strong> relativ e<strong>in</strong>faches<br />
Stilmittel e<strong>in</strong>gesetzt wird: rote Lippen. Das ist<br />
e<strong>in</strong> Blickfang. Die Leute werden neugierig und gehen<br />
danach auf die Website. Kriegen sie dort weitere<br />
Information, ist es für mich <strong>in</strong> Ordnung. Aber bei mir<br />
hat es eigentlich etwas an<strong>der</strong>es ausgelöst. Als ich das<br />
Plakat das erste Mal anschaute, sah es für mich aus,<br />
als wäre häusliche Gewalt vor allem e<strong>in</strong> Problem <strong>der</strong><br />
«White Food Trash<strong>»</strong> People, die sogenannte Unterschicht.<br />
Knallrot geschm<strong>in</strong>kte Lippen mit e<strong>in</strong>er Zahnlücke<br />
verb<strong>in</strong>det man schnell mit <strong>der</strong> Unterschicht.<br />
Das hat mich irritiert an dieser Bildsprache. Aber das<br />
mit dem «er liebt mich, er liebt mich nicht<strong>»</strong>, die Assoziation<br />
zum Blümchen, f<strong>in</strong>de ich total kreativ. Es ist<br />
e<strong>in</strong> klassisches Beispiel von e<strong>in</strong>em Plakat, das eben<br />
emotionalisiert und e<strong>in</strong>e ganze Palette von Reaktionen<br />
auslösen kann.<br />
D. Heim: Das ist e<strong>in</strong>e Gratwan<strong>der</strong>ung. Hier sieht man eben das<br />
Typische an <strong>der</strong> <strong>Werbung</strong>, die immer auf das Defizit bei <strong>Frauen</strong><br />
zielt. Die ganze Kosmetik- und Schönheitsbranche kann nur<br />
darauf aufbauen, wenn <strong>Frauen</strong> das Gefühl haben, sie hätten e<strong>in</strong><br />
Defizit. Aber ich fand es trotzdem e<strong>in</strong>e witzige Umsetzung.<br />
V. Wenger: Ich möchte e<strong>in</strong>e <strong>Werbung</strong> zur Diskussion stellen, die<br />
mich persönlich gestört hat, denn ich sehe ke<strong>in</strong>en Zusammenhang<br />
zwischen dem Mann, den beiden schwangeren Bäuchen<br />
und dem Bier. Die <strong>Werbung</strong> suggeriert, man müsse Mitleid<br />
mit dem Mann haben, weil er beide <strong>Frauen</strong> geschwängert hat<br />
und darum e<strong>in</strong> Bier braucht. Es kommt mir auch vor, als würde<br />
hier gesagt, K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu haben sei nichts Schönes, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e<br />
Belastung, vor allem für den Mann, darum muss er sich betr<strong>in</strong>ken.<br />
Was halten Sie davon?<br />
R. Hal<strong>der</strong>: Ich f<strong>in</strong>de das Plakat vom Konzeptgedanken her absolut<br />
klar. Gut auch von <strong>der</strong> Idee, e<strong>in</strong> Problem zu zeigen. Bei <strong>der</strong><br />
Umsetzung habe ich Mühe und bezweifle, dass die Zielgruppe<br />
darauf abfahren wird.<br />
C. Zechner: Dass schlussendlich e<strong>in</strong>e solche Idee <strong>in</strong> die Umsetzung<br />
kommt, dafür braucht es immer zwei Parteien. Die Agentur,<br />
welche entwickelt und <strong>der</strong> Kunde, <strong>der</strong> dies absegnet.<br />
R. Hal<strong>der</strong>: Bierwerbung ist immer etwas <strong>der</strong>b, sollte aber doch<br />
noch orig<strong>in</strong>ell bleiben.<br />
D. Heim: Für mich ist dies e<strong>in</strong>e nicht gelungene Ironisierung e<strong>in</strong>es<br />
Stereotypen. Der mehrere <strong>Frauen</strong> schwängernde Mann ist ja e<strong>in</strong><br />
Stereotyp von männlicher Promiskuität. Diese Art von <strong>Werbung</strong><br />
wurde auch schon öfters diskutiert, aber ich glaube sie kommt<br />
beim Publikum e<strong>in</strong>fach nicht an. Das Plakat ist e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> Beispiele,<br />
wo Männer als Trottel ersche<strong>in</strong>en. Meistens werden sie<br />
aber doch immer noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erfolgsgeschichte dargestellt.<br />
R. Hal<strong>der</strong>: Es gibt ihn schon, den Trend zu Horrorszenarien, wie<br />
bei den <strong>Frauen</strong>. Also Männer mit Haarausfall, tollpatschige Männer<br />
etc. Und wenn es lustig und mit Niveau gemacht ist, kommt<br />
das aber auch rüber.<br />
C. Zechner: Für mich gilt grundsätzlich: Wenn ich mir<br />
zu e<strong>in</strong>em Plakat unzählige Fragen stellen muss, was<br />
die lieben Werber mir hier wohl sagen wollten – dann<br />
ist es e<strong>in</strong>fach ke<strong>in</strong>e treffende und schnelle Idee.<br />
D. Heim: Es ist auch noch wichtig zu sagen, dass<br />
diskrim<strong>in</strong>ierende <strong>Werbung</strong> gegen <strong>Frauen</strong> nicht weniger<br />
diskrim<strong>in</strong>ierend wird, wenn es daneben auch<br />
<strong>Werbung</strong> gibt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Männer als Trottel dargestellt<br />
werden. Das e<strong>in</strong>e wiegt das an<strong>der</strong>e nicht auf. Das<br />
Klischee vom Mann, <strong>der</strong> es nicht h<strong>in</strong>kriegt, ist auch<br />
dann nicht lustig, wenn man es e<strong>in</strong>fach immer wie<strong>der</strong><br />
reproduziert.<br />
Schlussvoten:<br />
Gute <strong>Werbung</strong> ist für mich….<br />
• e<strong>in</strong>e Idee, die Mann und Frau gleichwertig<br />
verkauft (Daniela Jakab)<br />
• wenn sie mich emotional berührt und ich mich<br />
respektiert fühle (Claudia Zechner)<br />
• wenn ich mich <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Form ertappt, im<br />
positiven S<strong>in</strong>n überrascht fühle (Ralph Hal<strong>der</strong>)<br />
• wenn e<strong>in</strong> Umdenken erreicht werden kann,<br />
dann ist dies das Optimum. (Dore Heim)<br />
Teilnehmer/<strong>in</strong>nen am Roundtable:<br />
Carol<strong>in</strong>e-Nie<strong>der</strong>berger-Metzler, Männedorf, Mentee,<br />
Grafiker<strong>in</strong> und Krankenschwester, Claudia<br />
Zechner und Daniela Jakab, Berater<strong>in</strong> resp. Kreativ-Direktor<strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Agentur «Proud Mary<strong>»</strong>, <strong>der</strong><br />
bisher e<strong>in</strong>zigen Werbeagentur, die sich auf die<br />
Zielgruppe «Frau<strong>»</strong> fokussiert und spezialisiert<br />
hat. Dore Heim, Leiter<strong>in</strong> <strong>der</strong> städtischen Fachstelle<br />
für Gleichstellung. Ralph Hal<strong>der</strong>, Kreativ-<br />
Direktor bei <strong>der</strong> Agentur Publicis, und Vera Wenger,<br />
Zürich, Anglistik-Student<strong>in</strong> und Mentee, und<br />
Margaritha Felchl<strong>in</strong>, Zürcher <strong>Frauen</strong>zentrale.