ZWISCHEN KÖLN& KINGSTONDER KOSMOPOLIT DES REGGAE: GENTLEMANSeit 20 Jahren steht TilmannOtto alias Gentleman auf derBühne. Sein Vater ist eindeutscher Pastor aus Köln,seine Frau stammt aus Amerikaund sein Publikum findet er auf derganzen Welt. Mal macht GentlemanRoots-Reggae und Dancehall, malHip Hop und Pop. ,,New Day Dawn“(Universal), das 7. Studioalbum desSängers und Songwriters, ist dasErgebnis all dieser Einflüsse. Im Interviewmit Ultimo erklärt der 38-jährige Deutsche, wie er den Todseines besten Freundes verarbeitethat und was er auf dem Tahir-Platzerlebte.Tilmann, erstmals singst undspielst du auf einem Album alleSongs ohne Duett-Partner. Willstdu dich mit der aktuellen Platteneu erfinden?Gentleman: Man fängt mit jedemAlbum bei null an, aber ich wolltemich nicht bewusst neu erfinden.Reggae ist mehr als Kiffen & Sunshine: GentlemanVieles ist einfach passiert, weil ichHunger auf Neues und auch viel erlebthatte. Das sollte sich musikalischmanifestieren. Wir haben unsteilweise so lange ins Studio eingeschlossen,bis ein Song wirklich fertigwar. So viel Eigenregie gab es beimir noch nie. Dieses Album ist auchsehr vielseitig. Es gibt sowohl rootslastigeSongs als auch moderneelektronische Beats.Die Aufnahmen sind in Köln, Berlinund Kingston entstanden. Wasist der Unterschied zwischen derArbeit in Deutschland und in Jamaika?In Kingston bin ich mit Leuten zusammen,die das Beste aus mir alsSänger heraus kitzeln. Hier inDeutschland gibt es nicht viele, diemir Tipps in der Richtung gebenkönnen. Der Jamaikaner DannyBrownie zum Beispiel ist ein Produzentmit enorm viel Erfahrung.Manchmal geht es nur darum, an einerStelle ein bisschen höher zu singenoder ein bestimmtes Wort andersauszusprechen…Welche persönlichen Erlebnisseaus der letzten Zeit sind in dieSongs mit eingeflossen?,,Another Drama“ zum Beispiel gehtzurück auf mein Konzert in Kairo imvergangenen Jahr. Wir sind damalsmit unserem kleinen Tourbus amTahir-Platz vorbeigefahren undkonnten die Revolution direkt riechen.In Kairo habe ich Geschichtelive erlebt: Was Menschen bewegt,mit dem Alten radikal abzuschließenund etwas Neues zu ersehnen.Der Song handelt davon,dass Demokratie wirklich Zeitbraucht. Leider wurde der arabischeFrühling zum arabischenHerbst.In einem anderen Song beschäftigstdu dich mit dem Tod.Mein bester Freund ist gestorben.Er war als Fotograf 20 Jahre mit unsunterwegs. Das habe ich im Song,,Memories“ verarbeitet. So bin ichmit dieser Leere viel besser klar gekommen.Im Albumtitel ,,New DayDawn“ schwingt aber auch vielHoffnung mit, denn ich finde unsMenschen gar nicht so schlecht. Ichbin immer noch sozialkritisch undhinterfrage vieles, und trotzdem gebenmir bestimmte StrömungenHoffnung.Welche zum Beispiel?Ich gehe mit meinem Sohn amRhein entlang und stelle fest, es gibtda drin wieder Lachse. Als ich so altwar wie er, war es undenkbar, dassdie Flüsse in Deutschland jemalswieder sauber werden oder dassRauchen irgendwann nicht mehrcool sein würde. Vegetarier geltenheute nicht mehr als exotisch. Menschengehen wieder auf die Straße,wenn ihnen etwas nicht passt. Regimeswerden gestürzt mit Hilfe derneuen Medien. Allerdings mussman mit dem Neuen richtig umgehenkönnen. Ich glaube, wir leben ineiner bedeutenden Epoche. Zudemvermisse ich in der globalisiertenWelt auch ein wenig das Individuelle.Früher schrieb man Briefe, heutetippt man Text-Messages.Ist Musik in der Lage, die Verhältnissezum Tanzen zu bringen?Ich will in meinen Texten keinenBullshit schreiben, aber in erster Liniegeht es mir um die Musik. Dukannst einen hoch philosophischenoder gesellschaftskritischen Texthaben – wenn die Melodie nichtüberzeugt, hört dir niemand zu.Du bist einer der wenigen deutschenReggae-Musiker, dessenMusik auch in Jamaika populär ist.Wie siehst du deine geistige Heimat?Ich habe das Gefühl, dass der amerikanischeEinfluss auf die jamaikanischeMusikszene mehr und mehrzurückgeht. Den Menschen wirdbewusst, dass sie ihre eigene spirituelleKultur erhalten müssen. Aufpolitischer Ebene beobachte ich,dass es bei den letzten Wahlenkaum Unruhen gab. Früher gab esda immer bürgerkriegsähnliche Zustände.Aber die Gewalt, die hoheArbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeitsind nach wie vor da.Das Stichwort ,,Reggae“ löst eineganz bestimmte Assoziationsketteaus: Rastalocken, Kiffen, entspanntin der Sonne herumhängen.Was bedeutet Reggae wirklich?In Wirklichkeit ist Reggae eine sozialkritische,radikal politische Musik.Auch Bob Marley wurde immermissverstanden – es gab keinenzweiten, der politisch so viel bewegthatte.Deine Texte haben oft mit Spiri-20 ULTIMO
KONZERTEtualität zu tun. Was bedeutet siefür dich?Wenn kein Spirit da ist, kann garkeine Musik entstehen. Gerade imReggae ist so viel Spirit mit drin, dasist manchmal unerklärlich. Könnteman alles restlos erklären, hätte dieMusik gar nichts Mystisches mehr…Interview: Olaf NeumannKÖLN,SUMMERJAM OPEN AIR 6.7.BIELEFELD,RINGLOKSCHUPPEN 17.10.Gegen den Rest der WeltMIT GITARRE UND SCHLAGZEUG IN DIE CHARTS:»JOHNOSSI«Sie sind auf dem besten Weg,hierzulande Mando Diao, inderen Vorprogramm sie malangefangen haben, zu beerben –nicht musikalisch, sondern was denErfolg anbelangt. Die Zeiten, als dasDuo nur ein Geheimtipp für Alternative-und Indie-Fans war, sinddefinitiv vorbei. Überall, wo Johnossimittlerweile auftreten, sind dieHallen proppenvoll, feiert ein begeistertesPublikum selbst simple Akkordewie eine Offenbarung.Johnossi bedeutet nichts anderesals John plus Ossi oder anders ausgedrückt:,,Johnossi ist das, waspassiert, wenn John und ich gemeinsamMusik machen“, erklärtOscar Bonde, der schon als KindOssi gerufen wurde.Seit der Grundschule in Stockholmist der vielseitige Schlagzeugermit John Engelberg befreundet.Der erwies sich bereits im Teenageralterals versierter Gitarrist undSänger. Was ihm allerdings fehlte,war der geeignete Partner, um esrichtig krachen zu lassen. Statt sicheine Band zu suchen, erinnerte sichJohn an seinen alten Freund ausKindertagen, der seine Qualitätenals Drummer schon in diversenGruppen unter Beweis gestellt hatte.John rief ihn an und kurze Zeitspäter standen sie bereits im Proberaumund stellten fest, dass sie perfektharmonierten. Warum sie allerdingskeine weiteren Musikeranheuerten, können sie selbst auchnicht genau beantworten. Die spartanischeBesetzung, Gitarre,Schlagzeug, Gesang, reichte halt fürihre Vorstellung von schlichtem Garagen-Rock’n’Rollmit guten Melodienund eingängigen Refrains…Da sie auf Anhieb gut in Schwedenund bald auch anderswo ankamen,bestand nun wirklich keinGrund, am Duo-Konzept zu rütteln,zumal ihnen eben genau diese Konstellationam meisten Spaß machteund macht. ,,John und ich, gemeinsamgegen den Rest der Welt – soeinfach ist das“, stellt Ossi fest.,,Und ein Ende ist da nicht in Sicht.“Ganz gleich, was sie anfassen,immer klingen Johnossi spontan,wild und unangepasst. Und klugerweisenehmen sie sich selbst nichtallzu ernst. Schon auf dem namenlosenDebütalbum kreuzten sie mitgesunder Härte völlig ungezwungenund manchmal auch wunderbarironisch zwischen Pop, Folk,Beat, Garagen- und Heavy-Rock.Aber noch besser und humorvollerals im Studio wirkt die Mini-Bandauf der Bühne. Hier sind die Schwedeneine Macht – zu Recht gelten sieals einer der besten, weil explosivstenLive-Acts Europas. Das Duoholt aber auch das Maximum ausseiner Zweierbesetzung heraus undtürmt gewaltige Berge an Gitarrenund Schlagwerk übereinander.375.000 Zuschauer haben derBand auf ihrer letzten Tour dabeizugesehen und zugehört. Und diesmalwerden es wohl noch mehrsein. Denn mit ihrem letzten Album,,Mavericks“ sind die Nordmännerauf dem Rock-Olymp angekommen.Und dort wollen sie bleiben, was siemit ihrem neuen, im Studio vonAbba-Veteran Benny Anderson aufgenommenenAlbum ,,Transitions“mit hymnischen Rocksongs, großenGesten, Pomp und Gloria unmissverständlichklarstellen. Kein Zweifel:Johnossi haben das Zeug zurStadionband. Allerdings verdanktder opulente Sound des Albumsauch sehr viel Martin Hederos vonThe Soundtrack Of Our Lives, dereine extragroße Portion Keyboardszu Ossis straightem Beat und Johnsvollen Riffs beisteuert. Streicherfinden hier auch noch Platz wieauch eine ergreifende Piano-Ballade.Stellt sich die Frage, wie das Duodiese Veränderungen, Erneuerungenund Übergänge – der Albumtitel,,Transitions“ hat ohne Zweifel seineBerechtigung – live umsetzt. MitMartin Hederos, mit dem Johnossiauch schon im Proberaum erfolgreichexperimentierten, oder dochwieder ,,nur“ zu zweit? In jedemFall wird es spannend, denn wie sieselbst ankündigen: ,,We are now enteringa new era. We are more enlightenedand hungrier thenever…“ Volkard SteinbachMÜNSTER,SKATERS PALACE 26.4.ULTIMO 21