13.07.2015 Aufrufe

mord im garten des sokrates - Verlag Josef Knecht

mord im garten des sokrates - Verlag Josef Knecht

mord im garten des sokrates - Verlag Josef Knecht

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

nur misstrauischen Blickes vorbei. Im Inneren war es still undkühl. Unsere Schritte verhallten zwischen den Säulenreihen.Wir waren nicht allein, aber niemand sprach. Keiner wagte es,Athenes Ruhe und Andacht zu stören. Still durchmaßen wirden Vorraum, dann betraten wir die Cella, die den größtenReichtum der Stadt hütet. Und hier stand sie vor uns: die leibhaftigeGöttin in ihrer elfenbeinernen Gestalt, zart und gewaltigzugleich. Sie nahm den ganzen Raum bis hin zur Decke ein.Ihr jungfräulicher Körper war mit Edelsteinen gespickt und ineinen aus Gold gesponnenen Mantel gehüllt, so schwer, dasser einen Teil <strong>des</strong> Athener Kriegsschatzes bildete. Auf ihremHaupte thronte der dreifach geschmückte Helm, in ihrer rechtenHand der geflügelte Siegesgott, und neben ihr <strong>im</strong> Schutz<strong>des</strong> Schil<strong>des</strong> wartete die Schlange, bereit, sich sofort auf uns zustürzen und uns zu verschlingen. Athenes Augen dagegen sahenmild zu uns herab, und zart war ihr Gesicht, das bald demKnaben, bald dem Weibe glich.Sokrates trat vor die Göttin, und mit einer Anmut, die ichseinem älteren und ein wenig plumpen Körper niemals zugetrauthätte, verneigte er sich vor ihr.Als Sokrates später zum Tode verurteilt wurde, habe ich oftdaran denken müssen, wie wir zusammen zur Akropolis gegangensind und Sokrates mir unter den Augen der Göttin denVorzug der Demokratie damit erklärt hatte, dass die Volksherrschaftjemanden wie ihn ertrug. Nur zehn Jahre später wür<strong>des</strong>ie ihn nicht mehr ertragen und ihm wegen Gottlosigkeit denSchierlingsbecher reichen. Ich weiß, er leerte ihn, ohne auchnur mit der W<strong>im</strong>per zu zucken. Aus Respekt vor dem Gesetzeben dieser Demokratie, wie man sagte, und aus Ehrfurcht vordieser Göttin, deren größter Schüler er war – wie ich weiß.«Wann hat er dir denn das Buch gegeben?», fragte ich Sokrates,nachdem wir den Parthenon wieder verlassen hatten.Ich hoffte, zwischen der Wesensänderung Perianders und demBesitz <strong>des</strong> Buches könne vielleicht ein Zusammenhang bestehen.Aber Sokrates konnte dergleichen nicht ausmachen. Nachseiner Erinnerung lag sicher ein ganzes Jahr zwischen diesenbeiden Ereignissen.53

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!