aus dem „darüber h<strong>in</strong>aus“entgegen?Ja. Man versucht uns heute soe<strong>in</strong> Soft-Christent<strong>um</strong> beizubr<strong>in</strong>gen.Und das hat Tradition. Aberwenn <strong>der</strong> Apostel Paulus sagt:„Wir haben hier ke<strong>in</strong>e bleibendeStatt, unsere Heimat ist im Himmel“,dann ist das e<strong>in</strong>e klare Ansage,<strong>um</strong> sich auszurichten <strong>und</strong>nicht <strong>um</strong> sich e<strong>in</strong>zurichten. Es hatmich viele Jahre <strong>in</strong>nere Anstrengunggekostet, dass katholischePrediger mir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nazi-Zeitversucht haben auszureden,was da gesagt ist. Ich habe abererfahren, dass diese unbequemeBotschaft des Paulus e<strong>in</strong>e Quelle<strong>der</strong> Freude ist. An<strong>der</strong>s als beie<strong>in</strong>em Geschichtsoptimismus.Da strengt man sich sehr an, aberwenn die Sache schiefgeht, istman tief frustriert. Und die Weltist voll von zynisch gewordenenIdealisten.Wohl, weil das Gute ebenflüchtig ist?Man kann schon bei Platonlernen, dass alle Gestalten desguten Lebens vergänglich, s<strong>in</strong>d,so wie das Leben überhaupt. Aberwenn irgendwo e<strong>in</strong>e Gestalt gutenLebens realisiert wurde, dann hatdas e<strong>in</strong>e Ewigkeitsbedeutung.Das ist bei J.R.R. Tolkien im„Herrn <strong>der</strong> R<strong>in</strong>ge“ so schön. AlsSauron am Ende besiegt wird,heißt es: „<strong>und</strong> es war Frieden fürlange Zeit.“ Es war ke<strong>in</strong> ewigerFriede, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> langer. Mehrkönnen wir nicht hoffen. Aber wirtun jetzt, was wir können, <strong>um</strong>e<strong>in</strong>e gottgewollte Gestalt e<strong>in</strong>esfriedlichen Lebens zu verwirklichen.Wie lange das andauert,das liegt <strong>in</strong> Gottes Hand.Mit Gott lässt sich auch ha<strong>der</strong>n,etwa wenn wir <strong>in</strong> die Psalmen<strong>und</strong> Klagelie<strong>der</strong> schauen.Was lässt sich daraus für dieseTage schöpfen?Wir können unsere Klagenvor Gott br<strong>in</strong>gen. Sie trennen unsnicht von ihm. Wir müssen nichtsagen: Ich kann sowieso nicht<strong>in</strong> Gottes Geheimnisse schauen,also brauche ich mich nichtdafür zu <strong>in</strong>teressieren. Son<strong>der</strong>n<strong>um</strong>gekehrt: Ich kann das Leiden<strong>und</strong> me<strong>in</strong> Unverständnis vor Gottbr<strong>in</strong>gen.Vor Gott br<strong>in</strong>gen – me<strong>in</strong>t es<strong>in</strong> die Beziehung br<strong>in</strong>gen, es vorihm aussprechen?Natürlich. Das kann bis z<strong>um</strong>Ha<strong>der</strong>n gehen. Es ist <strong>in</strong>teressant,dass <strong>in</strong> den Psalmen immerwie<strong>der</strong> Gott angerufen wird,uns zu helfen: „<strong>um</strong> de<strong>in</strong>es Namenswillen“. Es wird an GottesEigen<strong>in</strong>teresse appelliert: Dukannst doch nicht wollen, dassdie Heiden sagen: Wo ist dennihr Gott? De<strong>in</strong>e eigene Ehre stehtja auf dem Spiel. Oft macht <strong>der</strong>Psalmist, <strong>der</strong> Gott anruft, Gottgegenüber Gott geltend. Er sagt:Du bist Gott, das impliziert Verpflichtungen.Wir können zwarnicht genau sagen welche, aberwir müssen vertrauen, dass erauch tun wird, was er sich selbstschuldig ist.Was können Christen <strong>in</strong> diesenTagen tun?Praktische Hilfe ist geboten.Wenn die Menschen <strong>in</strong> Zeltstädtenfrieren, brauchen sie warmeDecken. Es gibt immer zweiD<strong>in</strong>ge, die man tun kann: Helfen<strong>und</strong> beten. Übrigens auch <strong>in</strong><strong>um</strong>gekehrter Reihenfolge.Herzlichen Dank für dasGespräch.Robert Spaemann gehört zuden bedeutendsten Denkern <strong>der</strong>Zeit. Er wurde 1927 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>geboren, studierte Philosophie,Geschichte, Theologie <strong>und</strong> Romanistik.Spaemann war Professorfür Philosophie an denUniversitäten Stuttgart, Heidelberg<strong>und</strong> München, wo er 1992emeritiert wurde. 2005 erschiense<strong>in</strong> Buch „Das unsterbliche Gerücht.Die Frage nach Gott <strong>und</strong><strong>der</strong> Aberglaube <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne“.Christ&Welt vom 24.3.20118Zu wenig Christus: die Verfassung <strong>der</strong> Ev-Luth.Kirche im NordenDie durch Fusion <strong>der</strong> nordelbischen,<strong>der</strong> mecklenburgischen<strong>und</strong> <strong>der</strong> pommerschenKirche entstehende Kirche imNorden versteht sich als <strong>evangelisch</strong>-lutherischeKirche. Daskönnte Identität stiften. Die sorgfältigeAnalyse des Verfassungsentwurfszeigt allerd<strong>in</strong>gs Unschärfen<strong>und</strong> Defizite h<strong>in</strong>sichtlichdes lutherischen <strong>Bekenntnis</strong>sessowie Strukturen, die das geistlicheLeben <strong>der</strong> Kirche <strong>in</strong> die Irreführen. Die Verfassung bedarfe<strong>in</strong>er geistlich-theologischenÜberarbeitung.Bei kirchlichen Rechtstextenist festzuhalten: <strong>Bibel</strong> <strong>und</strong> <strong>Bekenntnis</strong>überlieferungens<strong>in</strong>d <strong>der</strong>Kirche gr<strong>und</strong>sätzlich vorgegeben<strong>und</strong> nicht Gegenstand <strong>der</strong> Recht-
setzung. Sie prägen das Kirchenrechtmit se<strong>in</strong>en pragmatischenZielen. Wir hatten zu prüfen, ob<strong>der</strong> vorliegende Verfassungsentwurfdem Ziel dient, kirchlichesLeben <strong>und</strong> Handeln bibel- <strong>und</strong>bekenntniskonform zu gestalten<strong>und</strong> für e<strong>in</strong>e dementsprechendegeistliche Dynamik den Ra<strong>um</strong>zu bieten. Wir nehmen wie folgtStellung:Die Verfassung ist christologisch<strong>und</strong> soteriologisch unterbestimmt.Deshalb fehlt es ihran biblischem <strong>und</strong> lutherischemProfil. Das ist e<strong>in</strong>e gefährdendeHypothek für die Zukunft. DieSituation, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Ev.-Luth.Kirche im Norden entsteht <strong>und</strong>leben wird, ist gekennzeichnetdurch e<strong>in</strong>en verwirrenden Pluralismusdes Geistes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Werte<strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft, aber auch <strong>in</strong><strong>der</strong> Kirche. Unverzichtbar ist <strong>in</strong>dieser Situation für die Kirchee<strong>in</strong>e profilierte christozentrische<strong>und</strong> soteriologische Identität auch<strong>in</strong> ihren Rechtstexten. Diese f<strong>in</strong>det<strong>in</strong> Rechtstexten Ausdruck <strong>in</strong>präzisierenden Formeln. Geradedie diese Identität markierendenFormelstücke aus dem Reicht<strong>um</strong>christologischer <strong>Bekenntnis</strong>aussagens<strong>in</strong>d jedoch bemerkenswertreduziert. Das zeigt e<strong>in</strong> Präambel-Vergleich:Schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verfassung <strong>der</strong>NEK wurde Christus präzis als<strong>der</strong> „Gekreuzigte <strong>und</strong> Auferweckte“def<strong>in</strong>iert (so auch <strong>in</strong>Pommern: „Die PommerscheEvangelische Kirche bekenntsich zu Christus, dem Sohn deslebendigen Gottes, dem für unsgekreuzigten <strong>und</strong> auferstandenenHerrn.“ In <strong>der</strong> Kirchenprov<strong>in</strong>zSachsen: „…unter ihrem HaupteJesus Christus, dem unter unsMensch gewordenen WorteGottes, dem gekreuzigten <strong>und</strong>auferstandenen Herrn, auf densie wartet…“; jetzt auch <strong>in</strong> <strong>der</strong>Ev.-Kirche <strong>in</strong> Mitteldeutschland:„Sie bekennt sich zu JesusChristus, dem gekreuzigten <strong>und</strong>auferstandenen Herrn <strong>der</strong> Welt<strong>und</strong> Haupt <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en heiligenallgeme<strong>in</strong>en <strong>und</strong> apostolischenKirche.“ Und im Rhe<strong>in</strong>land:„Die Evangelische Kirche imRhe<strong>in</strong>land bekennt sich zu JesusChristus, dem Fleisch gewordenenWorte Gottes, dem für unsgekreuzigten, auferstandenen<strong>und</strong> zur Rechten Gottes erhöhtenHerrn, auf den sie wartet.“ In <strong>der</strong>Lippischen Kirche: Getreu dem<strong>Bekenntnis</strong>…zu Jesus Christus,dem gekreuzigten <strong>und</strong> auferstandenenSohn Gottes, <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>kommen<strong>und</strong> se<strong>in</strong> Reich vollendenwird…“). In <strong>der</strong> Präambel desVerfassungsentwurfs fehlt diesechristologische Präzisierung,die verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t, daß <strong>der</strong> Begriff„Evangeli<strong>um</strong>“ unscharf wird.Das soteriologische „pronobis“ wird <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Verfassungen<strong>in</strong> <strong>der</strong> Präambel fixiert:„für uns gekreuzigt“ (Pommern,Rhe<strong>in</strong>land); das reformatorische„sola“ wird bezeugt: „…daß dasHeil alle<strong>in</strong> aus Gnaden, alle<strong>in</strong> imGlauben an Jesus Christus empfangenwird.“ (Baden); Hessen<strong>und</strong> Nassau: „…daß alle<strong>in</strong> JesusChristus unser Heil ist, uns offenbartalle<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heiligen SchriftAlten <strong>und</strong> Neuen Testaments,geschenkt alle<strong>in</strong> aus Gnaden,empfangen alle<strong>in</strong> im Glauben.“Bayern def<strong>in</strong>iert „die Mitte desEvangeli<strong>um</strong>s“ als „die Rechtfertigungdes sündigen Menschendurch den Glauben <strong>um</strong> Christiwillen“. Diese Formelfixierungenmarkieren unverzichtbare Grenzen,jenseits <strong>der</strong>er Kirche aufhört,Kirche Jesu Christi zu se<strong>in</strong>. Auchhier bleibt die neue Verfassungeigenartig schweigsam.Bemerkenswert ist, daß <strong>der</strong>Begriff „Wahrheit“, die Christus<strong>in</strong> Person ist, im gesamtenVerfassungstext fehlt. In <strong>der</strong>Präambel <strong>der</strong> nordelbischenVerfassung stand noch <strong>der</strong> Satz:„Die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche…ist verpflichtet,ihr <strong>Bekenntnis</strong>, ihreVerkündigung <strong>und</strong> ihren Dienstam biblischen Zeugnis zu prüfen<strong>und</strong> Verfälschungen abzuwehren.“Das war von Anfang an e<strong>in</strong>egenu<strong>in</strong> geistlich-theologischeAufgabe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirche. In denlutherischen <strong>Bekenntnis</strong>schriftenwird sie durchgängig wahrgenommen;ebenso <strong>in</strong> <strong>der</strong> BarmerTheologischen Erklärung. Auchhier bleibt <strong>der</strong> Verfassungsentwurfh<strong>in</strong>ter dem Notwendigenzurück. Denn Kirche agiert heute<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft, die e<strong>in</strong>emgeistig-religiösen Supermarktmit e<strong>in</strong>er hohen Verwirrungsdynamikgleicht. Der pastoraleAuftrag erzw<strong>in</strong>gt klare Orientierung.Die aber kann es nichtgeben kann ohne das Ne<strong>in</strong> zuE<strong>in</strong>stellungen <strong>und</strong> Lehren, die<strong>der</strong> Heiligen Schrift <strong>und</strong> den<strong>Bekenntnis</strong>sen <strong>der</strong> lutherischenKirche wi<strong>der</strong>sprechen.Im Verfassungsentwurf wirddie Geme<strong>in</strong>de zwischen Kirchenkreise<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> Diensten<strong>und</strong> Werken an<strong>der</strong>erseits <strong>in</strong> je<strong>der</strong>H<strong>in</strong>sicht geschwächt, obwohlsie <strong>der</strong> genu<strong>in</strong>e Ort ist, an demdie Christen ganzheitlich <strong>und</strong>kreativ Gott im Gottesdienstfeiern, das Wort Gottes hören,die Sakramente empfangen,Seelsorge erfahren, Unterrichterteilen, Menschen missionarischz<strong>um</strong> Glauben e<strong>in</strong>laden <strong>und</strong> denMenschen dienen. Die Nivellierungdes Geme<strong>in</strong>debegriffsdurch se<strong>in</strong>e Ausweitung auf alleEbenen kirchlichen Lebens <strong>in</strong><strong>der</strong> Ev.-Luth. Kirche im Nordenhalten wir für e<strong>in</strong>en Irrweg: Die9