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Magisterarbeit Peter Baruschke - supes.de

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Darstellungen <strong>de</strong>s Journalismusin <strong>de</strong>utschen Erzähltexten<strong>de</strong>r Siebziger und Achtziger JahreHausarbeitzur Erlangung <strong>de</strong>s Magistergra<strong>de</strong>s (M.A.)am FachbereichHistorisch-Philologische Wissenschaften <strong>de</strong>r UniversitätGöttingenvorgelegtvon<strong>Peter</strong> <strong>Baruschke</strong>aus UelzenGöttingen 1989


Glie<strong>de</strong>rung1. Exposition1.1. Begründung <strong>de</strong>s Themas und <strong>de</strong>r zeitlichenEingrenzung1.2. Der Gang <strong>de</strong>r Untersuchung1.3. Definitionen "Journalismus", "Erzähltexte"1.4. Materialselektion, Son<strong>de</strong>rfälle1.5. Eingangshypothesen2. Vorliegen<strong>de</strong> Untersuchungen zum Thema2.1. Karl d' Ester "Die Presse und ihre Leute imSpiegel <strong>de</strong>r Belletristik" (1941)2.2. Cecilia von Studnitz "Kritik <strong>de</strong>rJournalisten:ein Berufsbild in Fiktion und Realität"(1983)2.3. Neuere Untersuchungen von Marina Knippel(1983) und Stefan Pannen (1987)3. Zum Erzählgegenstand: Ten<strong>de</strong>nzen <strong>de</strong>s "realen"Journalismus 1970 bis heute3.1. Journalisten in <strong>de</strong>r Presse3.2. Journalisten im Rundfunk3.3. Journalisten in <strong>de</strong>n "Neuen Medien"3.4. Die Perspektiven eines "neuen" Journalismus3.5. Journalisten in <strong>de</strong>r DDR3.5. Thesen zur Situation <strong>de</strong>s realen Journalismus4. Journalismus als Arbeitsfeld <strong>de</strong>s Protagonisten4.1. Medientechnik4.2. Einblicke in die Redaktion4.3. Abbildung journalistischer Arbeit4.3.1.Berufliche Rahmenbedingungen4.3.2.Das Handwerkszeug <strong>de</strong>s Journalisten4.3.3.Der Schreib- / Produktionsvorgang4.4. Zusammenfassen<strong>de</strong> Schlußfolgerungen


5. Fiktive Journalisten als Handlungsträger5.1. "Macher"5.2. "Gerissene"5.3. "I<strong>de</strong>alisten"5.4. "Angepaßte"5.5. "Aussteiger"5.6. Zusammenfassen<strong>de</strong> Beobachtungen6. Der Journalismus in <strong>de</strong>r Handlungsführung amBeispiel<strong>de</strong>s Romans "Die Fälschung" von Nicolas Born7. Das Verhältnis <strong>de</strong>r Autoren zu ihremErzählgegenstand7.1. Journalistisches Schreiben versus literarischesSchreiben: Schreiben<strong>de</strong>r Journalisto<strong>de</strong>r interessierter Schriftsteller?7.2. EXKURS: Journalistische Aspekte <strong>de</strong>sSchriftstellers in <strong>de</strong>r DDR8. Zusammenfassung9. Anhang9.1. Primärtexte9.2. Sekundärtexte9.2.1.Monographien9.2.2.Zeitungs- und Zeitschriftenartikel9.2.3.Nachschlagewerke9.2.4.Briefe an <strong>de</strong>n Verfasser


1. Exposition1.1. Begründung <strong>de</strong>s Themas und <strong>de</strong>r zeitlichen EingrenzungDie Sparten Literatur und Journalismus wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r wissenschaftlichenForschung weitgehend getrennt betrachtet,dabei haben sie eigentlich sehr viel miteinan<strong>de</strong>r zu tun.Fast je<strong>de</strong>r Schriftsteller hat schon in <strong>de</strong>n Medien gearbeitet,<strong>de</strong>nn sie bieten durch ihre offene Beschäftigungsstruktur1 ) freien Mitarbeitern ein offenbar noch immerinteressantes Tätigkeitsfeld. Nicht wenige Schriftstellerhaben sich zum Beispiel mit Rundfunkarbeit ihre ersten literarischenArbeiten finanzieren können, einige namhafteAutoren betätigen sich auch weiterhin in bei<strong>de</strong>n Medienbereichen.Lange Zeit fan<strong>de</strong>n die Einflüsse <strong>de</strong>s Journalismus auf dieLiteratur in <strong>de</strong>r Germanistik wenig Beachtung. Erst Dr. Karld' Ester legte 1941 eine umfassen<strong>de</strong> wissenschaftliche Arbeitüber Journalismus in <strong>de</strong>r Literatur vor, die allerdingsweitgehend <strong>de</strong>skriptiv angelegt war und zu weiteren Studienanimieren sollte. 2 )Das Thema wur<strong>de</strong> aber nur zögernd aufgegriffen. Am ehesteninteresierten sich an einer Hand abzuzählen<strong>de</strong> sozialwissenschaftlicheWissenschaftler für das Bild <strong>de</strong>s Journalistenin <strong>de</strong>r Belletristik. Sie verglichen das reale Berufsbildmit <strong>de</strong>r Medienrealität und leiteten daraus Aussagenüber das Image von Journalisten in <strong>de</strong>r Gesellschaft ab. Diegrößte <strong>de</strong>rartige Arbeit legte 1983 Cecilia von Studnitzvor, diese Untersuchung wur<strong>de</strong> später von an<strong>de</strong>ren Autorennoch erweitert und ergänzt. 3 )Germanistische Aspekte wur<strong>de</strong>n in diesen Arbeiten allenfallsam Ran<strong>de</strong> verfolgt, erst Stefan Pannen benutzte in seinerebenfalls vorwiegend empirischen Diplomarbeit Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>rInterpretation. 4 )1) Knapp ein Vierel aller Journalisten sind freie Mitarbeiter,siehe Siegfried Weischenberg: Journalismus,in: Kurt Koszyk / Karl Hugo Pruys: Handbuch<strong>de</strong>r Massekommunikation, München 1981, S. 962) Karl d' Ester: Die Presse und ihre Leute im Spiegel<strong>de</strong>r Dichtung. Eine Ernte aus drei Jahrhun<strong>de</strong>rten,Würzburg 19413) Cecilia von Studnitz: Kritik <strong>de</strong>r Journalisten. Ein Berufsbildin Fiktion und Realität, Dortmun<strong>de</strong>r Beiträgezur Zeitungsforschung, Band 36, München, New York,London, Paris 19834) Stefan Pannen: Die machtlosen Meinungsmacher. Zur politischenRolle und zum Berufsbild <strong>de</strong>s Journalisten in


Mit dieser Untersuchung möchte ich die bislang vernachlässigteinhaltliche Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m Thema Journalismusin <strong>de</strong>r Literatur beför<strong>de</strong>rn. Ich arbeite <strong>de</strong>shalbnicht empirisch, son<strong>de</strong>rn zunächst beschreibend und vergleichend,im Einzelfall auch interpretierend.Um das Material überschaubar zu halten, war ich gezwungen,die Untersuchung auf Erzähltexte zu begrenzen.Außer<strong>de</strong>m habe ich die Textauswahl auf neuere Veröffentlichungenbegrenzt, weil ich annehme, daß gera<strong>de</strong> die umfassen<strong>de</strong>Medienentwicklung <strong>de</strong>r letzten Jahrzehnte zu einerausführlichen Beschäftigung mit Journalismus in <strong>de</strong>r Literaturgeführt haben müßte. Ich lege <strong>de</strong>n zeitlichen Schnitt1970, weil schon in <strong>de</strong>n siebziger Jahren neue JournalismuskonzepteGewicht erlangten, die im Zusammenhang mit <strong>de</strong>n'neuen' Medien heute beson<strong>de</strong>res Gewicht erhalten.Schon die Beschäftigung mit diesem begrenzten Textkanonführte zu einer Fülle von Untersuchungsansätzen, die indieser Arbeit aus Platzgrün<strong>de</strong>n nicht erschöpfend behan<strong>de</strong>ltwer<strong>de</strong>n können - ich beschränke mich weitgehend auf inhaltlicheAspekte. Es dürfte eine lohnen<strong>de</strong> Aufgabe sein, <strong>de</strong>nEinfluß <strong>de</strong>s Journalismus auf die Literatur im Rahmen einerumfassen<strong>de</strong>ren literaturwissenschaftlichen Arbeit bzw. unterspezielleren Fragestellungen noch einmal gründlicher zubehan<strong>de</strong>ln.1.2. Der Gang <strong>de</strong>r UntersuchungZu Beginn dieser Untersuchung stand die ausgiebige Suchenach Erzähltexten mit journalistischen Themen, sie waraufwendiger als zunächst erwartet (siehe Kapitel 1.4.).Daneben bibliographierte ich geeignete Sekundärliteratur.Dabei zeigte sich bald, daß es literaturwissenschaftlicheForschung zum Thema nicht gibt. Ich war daher darauf angewiesen,die nur bis 1940 reichen<strong>de</strong> Untersuchung d'Estersals Grundlage zu nehmen und zusätzlich sozialwissenschaftlicheForschungen in literaturwissenschaftlicher Hinsichtauszuwerten.Zu <strong>de</strong>r überwiegen<strong>de</strong>n Zahl <strong>de</strong>r aufgefun<strong>de</strong>nen Erzähltexte istzu<strong>de</strong>m (noch) keine wissenschaftliche Sekundärliteraturgreifbar. Um nicht ausschließlich auf direkte Textarbeit<strong>de</strong>r Prosaliteratur <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland,Diplomarbeit, sozialwissenschaftliche Fakultät <strong>de</strong>rLudwig-Maximilians- Universität München, Sept. 1987


angewiesen zu sein, behalf ich mir mit einer intensivenAuswertung <strong>de</strong>r Literaturkritik in Tages- und Wochenzeitungen.Eine Reihe von Verlagen ließ mich direkt Einblick in ihreRezensionssammlungen nehmen 5 ) o<strong>de</strong>r übersandte mir Fotokopien<strong>de</strong>r wichtigsten Literaturkritiken 6 ). In je<strong>de</strong>mFalle prüfte ich auch die Rezensionsangaben, die im "KritischenLexikon <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschsprachigen Gegenwartsliteratur"(KLG) vermerkt sind. 7 )Dennoch arbeite ich vorwiegend direkt an <strong>de</strong>n ausgewähltenErzähltexten. In mehreren Arbeitsschritten erhob ich alleTextstellen, die sich mit <strong>de</strong>m journalistischen Arbeitsfeldund <strong>de</strong>n fiktiven Journalisten selbst befassen. Aus diesemMaterial entstan<strong>de</strong>n die Kapitel 4 und 5 dieser Arbeit, diedas Bild <strong>de</strong>s Journalismus in <strong>de</strong>n Erzähltexten textnah beschreibenund erläutern.Parallel zu dieser inhaltlichen Arbeit, die abschließen<strong>de</strong>inen <strong>de</strong>r Texte genauer interpretierend behan<strong>de</strong>lt, versuchteich, Zusammenhänge zwischen Erfahrungshorizont <strong>de</strong>rAutoren und ihrer Gestaltung journalistischer Themen herauszuarbeiten.Dazu schrieb ich eine Reihe von Autoren auchan, von <strong>de</strong>nen allerdings nur vier antworteten. 8 )Die zunächst geplante Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit Parallelenzwischen Inhalt und Form <strong>de</strong>r Erzähltexte mußte schließlichaus Platz- und Zeitgrün<strong>de</strong>n entfallen.1.3. Definitionen "Journalismus", "Erzähltexte"Unter <strong>de</strong>m Begriff "Journalismus" fin<strong>de</strong>t sich in Meyers EnzyklopädischemLexikon:5) Es waren dies <strong>de</strong>r Suhrkamp Verlag, Frankfurt und <strong>de</strong>rResi<strong>de</strong>nz Verlag, Salzburg.6) Fotokopierte Rezensionen erhielt ich von folgen<strong>de</strong>nVerlagen: Claasen, Diogenes, Econ, Fischer, Hoffmann &Campe, Kiepenheuer & Witsch, Rowohlt, Schneekluth.7) KLG: Kritisches Lexikon <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschsprachigen Gegenwartsliteratur,Hg.: Ludwig Arnold, München 1978 (mitNachlieferungen)8) Jürgen Breest, Friedrich Christian Delius, Gert Hei<strong>de</strong>nreichund Eckhart Schmidt


"1. Pressewesen;2. Sammelbezeichnung für die aktuell- schriftstellerischeTätigkeit vorwiegend bei <strong>de</strong>n Massenkommunikationsmitteln.(...)" 9 )Die erste Definition bezieht sich auf die direkte Übersetzungaus <strong>de</strong>m Französischen (von le journal = Zeitung, aberauch für Zeitschrift benutzt) und bezeichnet nur die Tätigkeitin Printmedien, die zweite Begriffsbestimmung beziehtin logischer Konsequenz <strong>de</strong>r technischen Entwicklung auchalle neueren Medien mit ein. Sie soll in dieser Arbeit zugrun<strong>de</strong>gelegt wer<strong>de</strong>n.Der Medienpraktiker Walther von La Roche <strong>de</strong>finiert die Berufsbezeichnung"Journalist" wie folgt:"Journalist kann sich je<strong>de</strong>r nennen, <strong>de</strong>r Lust dazu hat.Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt; es gibtkein gültiges Berufsbild, keine Min<strong>de</strong>stvoraussetzungen<strong>de</strong>r Qualifikation (...).Was tut ein Journalist? Er trägt jeweils an seinemPlatz dazu bei, daß die Medien ihre Aufgabe erfüllenkönnen: zu informieren und zu kommentieren." 10 )Journalismus umfaßt also ein offenes Berufsfeld ohne festgeregelten Ausbildungsgang. Man kann ohne verbindlich<strong>de</strong>finierte Vorbildung ein Volontariat in einem Medienbetriebbeginnen o<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m Abitur an einer Journalistenschuleo<strong>de</strong>r Hochschule Journalismus bzw. Kommunikationswissenschaftund/o<strong>de</strong>r Publizistik studieren. 11 )Ebenso offen soll die Bezeichnung "Journalismus" in dieserArbeit gehandhabt wer<strong>de</strong>n. Einbezogen wer<strong>de</strong>n grundsätzlichauch alle Tätigkeitsbereiche am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>r eigentlichen Massenmedien,z.B. in Nachrichtenagenturen und Pressestellen,in <strong>de</strong>nen Journalisten arbeiten.Die Einschränkung auf <strong>de</strong>n Gattungskomplex "Erzähltexte" isterfor<strong>de</strong>rlich, um nicht schon durch die Verschie<strong>de</strong>nartigkeit9) Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 9. völlig neu bearbeiteteAuflage, Mannheim 1975, Band 13, S. 19610) Walter von La Roche: Einführung in <strong>de</strong>n praktischenJournalismus. Mit genauer Beschreibung aller Ausbildungswege,9. neubearbeitete Auflage, München 1975,S. 1711) Siehe Meyers Enzykopädisches Lexikon, Begriff Journalist,a.a.O.; die Bezeichnungen <strong>de</strong>r Studiengängesind nach ihrer Lehrabsicht stark differenziert,"Journalismus"-Studiengänge zielen direkt auf die Ausbildungzum Journalisten, "kommunikationswissenschaftliche"Studiengänge beabsichtigen die Ausbildung zumMedienwissenschaftler.


<strong>de</strong>r zu behan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Texte eine ausufern<strong>de</strong> Breite <strong>de</strong>s Materialsherauszufor<strong>de</strong>rn.Der Bezeichnung "Erzähltext" liegt dabei die Be<strong>de</strong>utung von"Erzählung" im weiteren Sinne zugrun<strong>de</strong>, das heißt, es sollenalle episch erzählen<strong>de</strong>n Gattungen untersucht wer<strong>de</strong>n. 12 )Einbezogen sind auch Randbereiche <strong>de</strong>r Erzählung, etwa ausErzählpassagen montierte Texte.1.4. Materialselektion, Son<strong>de</strong>rfälleLiterarische Texte mit <strong>de</strong>m Thema Journalismus sind nichtohne weiteres greifbar. Es gibt we<strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong> Schlagwortein Bibliothekskatalogen noch irgendwelche einschlägigenVerzeichnisse. Die Auswahl ist schon aus diesem Grundwillkürlich. 13 )Für <strong>de</strong>n Zeitraum bis etwa 1982 konnte ich mich zunächst aufdie Textlisten von Studnitz und Knippel stützen. Allerdingswaren viele <strong>de</strong>r in Frage kommen<strong>de</strong>n Texte für mich schonnicht mehr erreichbar: Die Romane und Erzählungen wenigerbekannter Autoren verschwan<strong>de</strong>n meist schon nach einer Auflagevom Buchmarkt und waren in Bibliotheken nicht angeschafftwor<strong>de</strong>n. Außer<strong>de</strong>m hätte <strong>de</strong>r sehr umfangreicheTextkorpus die beabsichtigte qualitative Untersuchung schonaus Zeitgrün<strong>de</strong>n gesprengt. Schließlich beschränkte ich dieAuswahl auf in Buchhandlungen bzw. Bibliotheken beschaffbareTexte.Die Texte nach 1982 sind unter Mithilfe von Dozenten 14 ),angeschriebenen Verlagen, Buchhandlungen und Bekanntenaufgefun<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nen ich an dieser Stelle für ihreHinweise danken möchte. Auch hier sind sicher nicht allezum Thema erschienenen Texte berücksichtigt, manche <strong>de</strong>rErzähltexte waren Zufallsfun<strong>de</strong>.Bei allen aufgefun<strong>de</strong>nen Texten wur<strong>de</strong> geprüft, ob <strong>de</strong>r Autornoch weitere Texte zum Thema verfaßt hat. Dies scheint mirfür die beabsichtigte Interpretation sinnvoll, um eventuell12) Siehe Begriffs<strong>de</strong>finition von "Erzählung" in: Gero vonWilpert: Sachwörterbuch <strong>de</strong>r Literatur, Stuttgart61979, S.24213) Diesen Umstand merkten schon Cecilia von Studnitz undMarina Knippel an. Sie behalfen sich mit Befragung vonmutmaßlich kompetenten Personen bzw. FAZ-Büchertagebüchernund an<strong>de</strong>rer Literatur. Siehe C. von Studnitz,a.a.O., S. 24f. und M. Knippel, a.a.O., S. 3014) Beson<strong>de</strong>rs bedanke ich mich bei Otto Schlie (Instiututfür Kommunikationswissenschaften <strong>de</strong>r Universität Göttingen).


auf Verän<strong>de</strong>rungen innerhalb einer schriftstellerischen Entwicklungeingehen zu können.Aus diesem Grund wur<strong>de</strong>n auch von Heinrich Böll und MartinWalser ausnahmsweise Texte aufgenommen, die vor 1970 erschienensind. Es han<strong>de</strong>lt sich um Heinrich Bölls "DoktorMurkes gesammeltes Schweigen" von 1958 und Martin Walsers"Ehen in Philippsburg" von 1957. Bei<strong>de</strong> Texte haben grundlegen<strong>de</strong>nCharakter, sind in Neuauflagen im Buchhan<strong>de</strong>l erhältlichund sollen <strong>de</strong>shalb auch hier zum Vergleich herangezogenwer<strong>de</strong>n.1.5. EingangshypothesenAusgangsfrage dieser Arbeit ist, ob <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong>n Be<strong>de</strong>utung<strong>de</strong>r Massenmedien in <strong>de</strong>r Gesellschaft eine entsprechen<strong>de</strong>Be<strong>de</strong>utung dieses Themas in fiktiven Texten gegenübersteht.Die wachsen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Massenmedien äußert sich einerseitsin <strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen durch <strong>de</strong>n Einsatz neuer Informations-und Kommunikationstechniken und an<strong>de</strong>rerseits in <strong>de</strong>rzunehme<strong>de</strong>n Rolle <strong>de</strong>r Massenmedien als sogenannter 'vierterGewalt', die auch die an<strong>de</strong>ren Gewalten und das öffentlicheLeben immer stärker prägt. So wird von einigen Kritikernbehauptet, daß die Politik nicht mehr primär von Wahlentscheidungenabhänge, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>n Einflüssen <strong>de</strong>s Fernsehens.15 )Beson<strong>de</strong>rs interessant ist es <strong>de</strong>shalb zu prüfen, ob dieserFunktionswa<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Massenmedien in ihrer Relevanz im politischenHerrschaftssystem in <strong>de</strong>r Belletristik über <strong>de</strong>nJournalismus ihren Nie<strong>de</strong>rschlag fin<strong>de</strong>t.Es ist herauszuarbeiten, ob und wie die literarischenHel<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>n neuen Entwicklungen fertig wer<strong>de</strong>n und ob diein <strong>de</strong>r Realität ansatzweise anzutreffen<strong>de</strong>n Gegenströmungenzur fortschreiten<strong>de</strong>n Kommerzialisierung <strong>de</strong>r Medien, wie zumBeispiel <strong>de</strong>r anwaltschaftliche Journalismus, bereits Eingangin literarische Texte gefun<strong>de</strong>n haben.In diesem Zusammenhang wer<strong>de</strong>n die in <strong>de</strong>r DDR erschienenenErzähltexte unter beson<strong>de</strong>ren Prämissen betrachtet, weil siesich auf die in <strong>de</strong>r DDR völlig an<strong>de</strong>re Medienrealitätbeziehen (siehe Kapitel 3.1.). Aufgrund <strong>de</strong>r parteilichgebun<strong>de</strong>nen Medienstruktur lautet meine These für dieseTexte abweichend, daß die Autoren in <strong>de</strong>r Fiktion libera-15) Die Verän<strong>de</strong>rungen im realen journalistischen Arbeitsfeldwer<strong>de</strong>n in Kapitel 3 dieser Arbeit beschrieben .


lisieren<strong>de</strong> Entwicklungen voranzutreiben suchen, die es imDDR-Journalismus bis heute praktisch nicht gibt.Wie das Arbeitsfeld <strong>de</strong>s Journalisten in <strong>de</strong>r Literaturdargestellt wird, untersuche ich in einem eigenen Abschnitt<strong>de</strong>r Arbeit. Ich möchte dabei vor allem zeigen, wie die Einbindung<strong>de</strong>r fiktiven Journalisten in die Redaktionendargestellt wird und wie genau die Autoren auf die Tätigkeiten<strong>de</strong>r Redakteure eingehen. Meine These ist, daß <strong>de</strong>rAkt <strong>de</strong>s Schreibens in seinem Bezug zu literarischer Produktionbeson<strong>de</strong>rs ausführlich beschrieben wird.Außer<strong>de</strong>m möchte ich untersuchen, wie Journalisten typischerweisein <strong>de</strong>r Literatur dargestellt wer<strong>de</strong>n. Die Thesedabei ist, daß es "<strong>de</strong>n" Journalisten - wie auch in <strong>de</strong>r Realität- nicht gibt, son<strong>de</strong>rn daß bestimmte Typen, je nachMedium und Berufsauffassung, unterscheidbar sind.Den vergleichen<strong>de</strong>n Kapiteln dieser Arbeit stelle ich dannein ausführlicher interpretieren<strong>de</strong>s gegenüber: An NicolasBorns Roman "Die Fälschung" möchte ich <strong>de</strong>n Stellenwert <strong>de</strong>sJournalismus in einem Erzähltext exemplarisch zeigen.Bevor ich dann die Ergebnisse abschließend zusammenfasse,möchte ich auf die Motivation <strong>de</strong>r Autoren eingehen, sichmit journalistischen Themen in ihren Erzähltexten zu befassen.Ein Exkurs beleuchtet die Son<strong>de</strong>rsituation <strong>de</strong>r DDR-Autoren.


2. Vorliegen<strong>de</strong> Untersuchungen zum Thema2.1. Karl d' Ester "Die Presse und ihre Leute im Spiegel<strong>de</strong>r Dichtung" (1941)Eine erste breit angelegte Untersuchung über das ThemaJournalismus in <strong>de</strong>r Literatur legte 1941 Karl d' Estervor 16 ).D' Ester spannt <strong>de</strong>n Bogen <strong>de</strong>s untersuchten Materials inzweifacher Hinsicht sehr weit: Zum einen geht er bis an diezeitlichen Ursprünge <strong>de</strong>s Journalismus zurück, die er bereitsEn<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts erkennt 17 ), zum an<strong>de</strong>ren beziehter neben Romanen und Erzählungen alle greifbaren Gedichte,Lie<strong>de</strong>r und Dramen in die Untersuchung mit ein, einzigSatiren sind von <strong>de</strong>r Untersuchung ausgenommen. 18 )D' Ester untersucht ausschließlich Texte über gedrucktejournalistische Medien, <strong>de</strong>r Begriff "Presse" im Titel weistdarauf hin. Innerhalb <strong>de</strong>r Untersuchung sind Presse undJournalismus für ihn <strong>de</strong>nn auch nur verschie<strong>de</strong>ne Beschreibungsansätze<strong>de</strong>sselben Phänomens 19 ).Es ergibt sich mit über 400 Texten aus neun europäischenLän<strong>de</strong>rn ein großes Konvolut untersuchten Materials, über350 Texte sind <strong>de</strong>utschsprachig.Die Prämisse d' Esters ist es, daß <strong>de</strong>r Journalismus und dieDichtung als eine Einheit alles Gedruckten unmittelbar zusammengehören,"daß <strong>de</strong>r Schlachtruf: Hie Dichtung! - hiePresse! fehl am Ort ist." 20 ) Wie i<strong>de</strong>alistisch d' Esterdiese Einheit sieht, machen seine ersten Sätze <strong>de</strong>rEinleitung <strong>de</strong>utlich:16) Karl d' Ester: Die Presse und ihre Leute imSpiegel <strong>de</strong>r Dichtung, a.a.O.17) D' Ester setzt die "Frühzeit <strong>de</strong>s Journalismus" sogarbereits im Mittelalter an und rechnet zu <strong>de</strong>ren Vertreternz.B. Walter von <strong>de</strong>r Vogelwei<strong>de</strong> (siehe ebenda, S.9.) Der früheste untersuchte Text stammt aus <strong>de</strong>m Jahr1682 (siehe ebenda, Anhang, S. 606).18) D' Ester wollte die Satiren in einem zweiten Band behan<strong>de</strong>ln(siehe ebenda, "Zum Geleit", S. VIII), offenbarhat er diesen Plan jedoch später aufgegeben.19) "Presse" ist <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Wirtschaftsunternehmen basieren<strong>de</strong>Begriff, "Journalismus" bezieht sich auch auf<strong>de</strong>ren Beschäftigte. D' Ester vernachlässigt <strong>de</strong>n bereitsweit entwickelten Hörfunk und das in <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rschuhenstehen<strong>de</strong> Fernsehen gänzlich.20) siehe ebenda, "Zum Geleit", S. VII


"Zwei majestätischen Strömen gleich, gespeist vonzahllosen Bächen und Rinnsalen kristallklaren Bergwassers,aber auch hie und da getrübt durch gifthauchen<strong>de</strong>Schlammfluten, ziehen die bei<strong>de</strong>n Mächte <strong>de</strong>r Druckkunst,die unperiodische in Buch, die periodischein Zeitung und Zeitschrift, durch <strong>de</strong>utsches Landund über die Er<strong>de</strong>. Obwohl getrennt, sollen sie <strong>de</strong>mselbenZiele zuströmen: <strong>de</strong>r Bildung und Gesittung <strong>de</strong>r Nationund <strong>de</strong>r Menschheit." 21 )Obwohl im Vorwort <strong>de</strong>r gefühlsbetonte, nationalistischgefärbte Stil auffällt, bemüht sich d' Ester in seiner Untersuchungum eine weitgehend neutrale Wertung <strong>de</strong>rTexte 22 ). In vier großen Kapiteln schil<strong>de</strong>rt er inzeitlicher Reihenfolge Strömungen <strong>de</strong>r Journalismus-Darstellung in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Literatur in engem Bezug zurEntwicklung <strong>de</strong>s Journalismus 23 ). Weitere Kapitel behan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>m Journalismus nahe Themen sowie die Texte <strong>de</strong>s Auslands.Immer wie<strong>de</strong>r versucht d' Ester herauszuarbeiten, wie in literarischenTexten die journalistische Realität erläuterndund kritisierend begleitet wird und versucht, einen Einfluß<strong>de</strong>r Literatur auf die Realität zumin<strong>de</strong>st nahezulegen.Zwei Aspekte stehen dabei im Vor<strong>de</strong>rgrung <strong>de</strong>r Betrachtung:Die Beweggrün<strong>de</strong>, die <strong>de</strong>n Autor veranlaßt haben, die Realität<strong>de</strong>r Presse zu verarbeiten und <strong>de</strong>r Stellenwert, <strong>de</strong>n einText innerhalb einer journalistischen Entwicklung einnimmt.Aufgrund <strong>de</strong>r großen Materialfülle und <strong>de</strong>s weitgespanntenZeitraums muß d' Esters Untersuchung zwangsläufig oberflächlichbleiben. Gezeigt wer<strong>de</strong>n können nur größere Entwicklungssträngeund inhaltliche Ähnlichkeiten, direkteVergleiche und tiefergehen<strong>de</strong> Analysen einzelner Texte unterbleibenweitgehend.Zu fast je<strong>de</strong>m aufgenommenen Text liefert d' Ester einegrobe Inhaltsangabe und Berührungspunkte <strong>de</strong>r fiktionalenHandlung mit <strong>de</strong>r journalistischen Realität. Nur bei wenigenzentralen Autoren bzw. Texten schil<strong>de</strong>rt d' Ester darüberhinaus die biographischen Hintergrün<strong>de</strong>, referiert die Entstehungsgeschichte<strong>de</strong>s Werks und interpretiert genauer.Ein zentraler Text ist für d' Ester zum Beispiel das "klassischePressestück" Gustav Freitags "Die Journalisten" 24 ),21) ebenda22) Allerdings mußte er <strong>de</strong>n Nationalsozialisten offenbareinige Zugeständnisse machen, so sind zum Beispiel allejüdischen Autoren im Verfasserverzeichnis mit einemStern gekennzeichnet (siehe ebenda, S. 617).23) zeitliche Schnitte legt d' Ester 1813, 1848 und 1914.24) Gustav Freytag: Die Journalisten, Lustspiel in vierAkten, Leipzig 1854, Uraufführung 8.12.1852, sieheKarl d' Ester: Die Presse und ihre Leute, a.a.O.,


das er ausführlich vorstellt und auf das er in <strong>de</strong>r Vorstellungzahlreicher an<strong>de</strong>rer Texte immer wie<strong>de</strong>r Bezug nimmt.D' Esters Untersuchung bietet einen weitgreifen<strong>de</strong>n Überblicküber literarische Abbildungen <strong>de</strong>s Journalismus biszum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r dreißiger Jahre mit einer - allerdings subjektiven- Gewichtung in Hinblick auf die Entwicklung <strong>de</strong>r realenPresse. Als rein <strong>de</strong>skriptive Untersuchung kann sie alsBasis für analytische Studien dienen.2.2. Cecilia von Studnitz "Kritik <strong>de</strong>s Journalisten. EinBerufsbild in Fiktion und Realität" (1983)Eine analytische Untersuchung auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>s von d' Estergesammelten Materials unternimmt Cecilia von Studnitz25 ). An<strong>de</strong>rs als d' Ester bezieht sie ihre Untersuchungjedoch nicht nur auf die Printmedien, son<strong>de</strong>rn schließt alleMedienbereiche und <strong>de</strong>ren Randgebiete, wie etwa Werbung undProduct Placement 26 ), mit ein.Der Forschungsansatz ihrer Studie geht aber auch in an<strong>de</strong>rerHinsicht über die Absicht d' Esters hinaus: Studnitz möchtenicht nur das in <strong>de</strong>r Literatur auffindbare fiktive Berufsbild<strong>de</strong>s Journalisten untersuchen und <strong>de</strong>r Realität gegenüberstellen,son<strong>de</strong>rn die fiktiven Darstellungen direkt mit<strong>de</strong>r journalistischen Realität auf empirischer Basis vergleichen.Sie stellt neben das auf <strong>de</strong>r Grundlage vond' Esters Literaturkatalog erstellte Textkonvolut sozialwissenschaftlicheUntersuchungen <strong>de</strong>r realen Medienberufe,die auf <strong>de</strong>r Basis von Befragungen vorgenommen wur<strong>de</strong>n. 27 )Damit das eigene Material mit diesen bereits vorhan<strong>de</strong>nenempirischen Daten vergleichbar wird, versucht Studnitz,auch die Texte anhand eines Fragebogens zu untersuchen. 28 )S. 14825) Cecilia von Studnitz: Kritik <strong>de</strong>s Journalisten: ein Berufsbildin Fiktion und Realität, a.a.O.26) Auch in Werbung und Product Placement (werben<strong>de</strong> Produktplazierungin nichtwerblicher Umgebung) arbeitenheute viele Journalisten.27) Das Berufsbild <strong>de</strong>s Journalisten (in <strong>de</strong>r Realität) istab 1950 relativ umfassend empirisch untersucht wor<strong>de</strong>n.Von Studnitz kann sich daher auf eine Vielzahl vonForschungsergebnissen stützen. Vergleiche ihr Literaturverzeichnis,ebenda, S. 232ff.28) Der Fragebogen enthält 88 Fragen zu folgen<strong>de</strong>n Themenkomplexen:"Persönliche und berufliche Daten <strong>de</strong>s journalistischenHel<strong>de</strong>n, genannt A", "Eigenschaften <strong>de</strong>sjournalistischen Hel<strong>de</strong>n", "Interaktionsnetze von A im


Das führt jedoch zu einer Reihe von methodischen Problemen:So muß die Textauswahl auf solche Werke beschränkt wer<strong>de</strong>n,die zumin<strong>de</strong>st einen überwiegen<strong>de</strong>n Teil <strong>de</strong>r Fragen beantworten,damit die Analyse nicht durch eine Überzahl fehlen<strong>de</strong>rAngaben an Aussagekraft verliert. 29 ) Durch diese Bedingungwird das Material zugunsten umfangreicher Texte mit Journalistenals zentrale Handlungsträger beschränkt, Lyrik undErzählungen sowie Texte mit Journalisten als Nebenfigurenbleiben weitgehend unberücksichtigt. 30 )Der beabsichtigte Vergleich mit <strong>de</strong>m realen Berufsbild vonJournalisten führt außer<strong>de</strong>m dazu, daß die Untersuchungstark auf die fiktiven Journalisten als Figuren zentriertist. Der berufliche Hintergrund <strong>de</strong>s Journalismus wird nurindirekt über <strong>de</strong>ren Einschätzungen und Beeinflussungen registriert.31 )Die zentrale Schwäche <strong>de</strong>s Forschungsansatzes liegt jedochin <strong>de</strong>r Untersuchungsmetho<strong>de</strong> selbst begrün<strong>de</strong>t. Studnitz versuchtmit <strong>de</strong>r Schematisierung <strong>de</strong>s Materials per Fragebogen,sozialwissenschaftliche Forschungsmetho<strong>de</strong>n auf fiktiveTexte anzuwen<strong>de</strong>n. Die sozialwissenschaftliche Inhaltsanalysekann jedoch nur zu quantitativen Ergebnissen führen,<strong>de</strong>ren qualititive Interpretation mit nicht kontrollierbarenUnwägbarkeiten verbun<strong>de</strong>n ist und <strong>de</strong>shalb überaus behutsamvorgenommen wer<strong>de</strong>n muß. 32 ) Zu<strong>de</strong>m wird das differenzierteliterarische Material durch die standardisierte Form <strong>de</strong>rUntersuchung unvertretbar stark kategorisiert. 33 ) VolkerRahmen <strong>de</strong>r fiktiven Handlung", "Selbstbild <strong>de</strong>s journalistischenHel<strong>de</strong>n im Rahmen <strong>de</strong>r fiktiven Handlung","Daten zum analysierten Werk und zum Verfasser <strong>de</strong>sWerkes", siehe Fragenkatalog im Anhang, ebenda,S. 204ff.29) Von Studnitz setzt diesen Anteil mit 70% an. Sieheebenda, S. 2230) Das Ungleichgewicht zeigt sich in <strong>de</strong>r Anzahl <strong>de</strong>r Werkein <strong>de</strong>n einzelnen Gattungen: 114 untersuchten Romanenstehen z.B. nur 44 Schauspiele, 2 in "Lyrik/Epos" und9 in "Novelle/Erzählung/Kurzgeschichte" gegenüber.Siehe ebenda, S. 23. Die Anzahl <strong>de</strong>r untersuchten Werkewird außer<strong>de</strong>m aufgrund <strong>de</strong>ren Verfügbarkeit begrenzt,viele ältere Texte sind nicht mehr verfügbar. Sieheebenda, S. 2531) Untersuchungseinheit ist nicht <strong>de</strong>r jeweilige Text,son<strong>de</strong>rn die darin vorkommen<strong>de</strong> Figur (es kann also mehrereUntersuchungseinheiten in einem Text geben). Siehedie Liste <strong>de</strong>r analysierten Fälle, ebenda, S. 224ff.32) Siehe zum Beispiel Jürgen Friedrichs, Metho<strong>de</strong>n empirischerSozialforschung, Opla<strong>de</strong>n 1980, Kapitel 5.10. Inhaltsanalyse,S. 314ff.33) Die Kategoriengrenzen in manchen Fragen wirken zu<strong>de</strong>mwillkürlich, z.B. Fragen 13, 54, 86, 88. Siehe Fragen-


Lilienthal schreibt in seiner Kritik:"Die Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r Literatur für das von <strong>de</strong>rÜbermacht <strong>de</strong>s Faktischen Ver<strong>de</strong>ckte wird so nicht gewürdigt,(...) Studnitz mißversteht Literatur alsbloßes Dokument einer beruflichen Praxis." 34 )Die Folgerungen, die Studnitz aus ihrer empirischen Erhebungableitet, sind <strong>de</strong>shalb zum einen stärker spekulativ,als die empirische Metho<strong>de</strong> erwarten läßt und zum an<strong>de</strong>renüberdies stark vereinfachend - zu<strong>de</strong>m die aus etwa 200 Jahrenzusammengetragenen Texte schon aus historischen Grün<strong>de</strong>nstarke Unterschie<strong>de</strong> aufweisen, die in einer so stark zusammenfassen<strong>de</strong>nUntersuchung unberücksichtigt bleibenmüssen. 35 )Eine Beschränkung <strong>de</strong>r Methodik auf die empirische Inhaltsanalysescheint mir aus diesen Grün<strong>de</strong>n problematisch zusein. Zumin<strong>de</strong>st hätte <strong>de</strong>r statistischen Auswertung einequalitativ orientierte Interpretation <strong>de</strong>r Werke selbst (undnicht nur <strong>de</strong>r durch die Inhaltsanalyse gewonnenen Daten)zur Seite gestellt wer<strong>de</strong>n müssen, um einen Teil <strong>de</strong>r methodischenProbleme abzumil<strong>de</strong>rn.Trotz dieser methodischen Schwäche sollen hier die grundsätzlichenErgebnisse <strong>de</strong>r Untersuchung kurz wie<strong>de</strong>rgegebenwer<strong>de</strong>n. Ich beziehe mich dabei hauptsächlich auf das zusammenfassen<strong>de</strong>Schlußkapitel von Studnitz unter <strong>de</strong>r Prämisse,daß die grundlegen<strong>de</strong>n Ergebnisse am wenigsten von <strong>de</strong>ndargestellten Problemen betroffen sind. 36 ) Außer<strong>de</strong>m stelleich im Interesse dieser Arbeit nur die auf neuere Texte bezogenenAussagen vor.Die am Anfang <strong>de</strong>r Untersuchung stehen<strong>de</strong> Kernhypothese vonStudnitz ist:"(...) fiktive Berufsbil<strong>de</strong>r als imaginäre Realitätenkönnen Einfluß ausüben auf Berufsbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Realität."37 ) Damit greift sie eine Vermutung Karl d' Esterskatalog, ebenda, S. 204ff.34) Volker Lilienthal: Hel<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Aufklärung? Auskunftüber Journalisten: in <strong>de</strong>r neueren Literatur (I), Medium5/1984, S. 2735) Von Studnitz versucht, diese Schwäche in <strong>de</strong>r Methodikdadurch auszugleichen, daß sie die Texte in Teilen ihrerUntersuchung zu Untergruppen zusammenfaßt, diebesser miteinan<strong>de</strong>r vergleichbar sind. Zeitlich wirdz.B. in 7 Untergruppen unterteilt, <strong>de</strong>ren aktuellstedie Spanne von 1950 bis 1983 umfaßt. Siehe Fragenkatalog,Frage 86: "Zeit, in <strong>de</strong>r Verfasser schrieb",ebenda, S. 22336) Kapitel 4., Schlußbetrachtungen, ebenda, S. 181ff.37) ebenda, S. 20, These 5


auf, <strong>de</strong>r ebenfalls in seiner Untersuchung Einflüsse <strong>de</strong>rfiktionalen Darstellung auf <strong>de</strong>n realen Journalismus nahelegte(s.o.).Es zeigt sich, daß Fiktion und Realität in Bezug auf journalistischeDarstellungen eng benachbart sind: "Die journalistischenHel<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Fiktion vertreten selten fanatischeI<strong>de</strong>en im Sinne einer in <strong>de</strong>r REALITÄT völlig unvorstellbarenUtopie." 38 ) Von Studnitz stellt außer<strong>de</strong>m fest, daß "das Berufsbild<strong>de</strong>r REALITÄT und Gegenwart zahlreiche fiktive Elemente"beinhaltet. Auf <strong>de</strong>m Umweg über die Fiktion wer<strong>de</strong>nI<strong>de</strong>ale formuliert, die - so Studnitz - "einst <strong>de</strong>r historischenWirklichkeit <strong>de</strong>s journalistischen Berufes entsprachen."39 ) Das be<strong>de</strong>utet, daß in <strong>de</strong>r Literatur zunächstnicht neue I<strong>de</strong>ale formuliert, son<strong>de</strong>rn alte Wertvorstellungenaufrechterhalten wer<strong>de</strong>n.Aber von Studnitz fin<strong>de</strong>t auch Belege für zukunftsweisen<strong>de</strong>Einflüsse <strong>de</strong>r von ihr untersuchten Texte. So sind die bei<strong>de</strong>nsowohl in Fiktion als auch in <strong>de</strong>r Realität nachweisbarenBerufsbildtypen <strong>de</strong>s "Emporkömmlings" und <strong>de</strong>s "Unabhängigen"wenn nicht von <strong>de</strong>r Literatur eingebrachte, so dochwenigstens von ihr neu <strong>de</strong>finierte Begriffe:Der "neue Typus <strong>de</strong>s 'Emporkömmlings' ist geprägt vonPragmatismus, Opportunismus und Illusionslosigkeit.Aufgrund <strong>de</strong>r marktgesetzlichen Bedingungen in einererfolgsorientierten Leistungsgesellschaft ist er bestrebt,seine individuelle Karriere voranzutreiben, umjene Anerkennung zu erzwingen, die ihm nach seiner Ansichtviel zu lange versagt geblieben ist. Er verkauftsich bewußt und han<strong>de</strong>lt mit <strong>de</strong>r Ware 'Information'." 40 )Dieser Typ <strong>de</strong>s "Emporkömmlings" ist in <strong>de</strong>r Fiktion <strong>de</strong>shalbweiter entwickelt als in <strong>de</strong>r Realität, weil er in <strong>de</strong>r Literaturfrei von verklären<strong>de</strong>n I<strong>de</strong>alen dargestellt wird. Der"Emporkömmling" <strong>de</strong>r Fiktion lehnt Berufsethik als Phraseab, trägt politischen Opportunismus offen zur Schau undorientiert sich unverbrämt an Lobbygruppen und <strong>de</strong>r Regierungsmeinung.In <strong>de</strong>r Realität wird solcher Egoismus, wo er<strong>de</strong>nn nachweisbar ist, hinter i<strong>de</strong>alistischen Zielvorstellungenversteckt. 41 )"Der 'Unabhängige' empfand sich als Gewissen <strong>de</strong>r Nation,als Anwalt <strong>de</strong>r Armen und <strong>de</strong>r Gerechtigkeit." Er38) ebenda, S. 18239) ebenda, S. 18340) ebenda, S. 18641) ebenda. Es ist zu berücksichtige, daß die Erhebungenaus <strong>de</strong>r Realität aus Befragungen stammen, also nur dassubjektive Selbstbild <strong>de</strong>r Journalisten beinhalten.


"<strong>de</strong>finierte sich als elitärer Führer ungebil<strong>de</strong>terVolksmassen, die es aufzuklären und zu för<strong>de</strong>rn galt."Er "wollte sich niemals vom Staat korrumpieren lassen,statt<strong>de</strong>ssen aber für das Wohl <strong>de</strong>s Volkes all seineKraft und Arbeit einsetzen." Außer<strong>de</strong>m wird "die Berufsethik(...) ihm zur Maxime seines Han<strong>de</strong>lns" 42 ).Dieses Bild <strong>de</strong>s "Unabhängigen" schwebt vielen realen Journalistenvor, ohne daß sie in <strong>de</strong>r Lage wären, diese I<strong>de</strong>alein ihrer täglichen Arbeit einzulösen.Studnitz zieht aus dieser Diskrepanz von Realität und Fiktion<strong>de</strong>n Schluß, daß das reale Berufsbild <strong>de</strong>s Journalisten<strong>de</strong>m fiktiven 'hinterherhinkt':"Es ist also im journalistischen Berufsbild <strong>de</strong>r REALI-TÄT ein <strong>de</strong>utlicher 'cultural lag' zu registrieren, einEntwicklungsrückstand in Bezug auf die Theorie in einemBeruf, <strong>de</strong>ssen materielle und strukturelle Bedingungensich längst verän<strong>de</strong>rt haben." 43 )Aus dieser Feststellung eines in <strong>de</strong>r Realität überholtenBerufsbil<strong>de</strong>s leitet Studnitz For<strong>de</strong>rungen für <strong>de</strong>n realenJournalismus ab: Ihrer Meinung nach sollte die Fiktion in<strong>de</strong>r Weise auf die Realität übertragen wer<strong>de</strong>n, daß die klarabgegrenzten und schematisierten Berufsbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Fiktiondirekt auf die Realität angewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n sollten. 44 )Ob eine solche For<strong>de</strong>rung sinnvoll ist und aus <strong>de</strong>m Untersuchungsmaterialtatsächlich in dieser Klarheit hervorgeht,soll hier nicht erörtert wer<strong>de</strong>n.42) ebenda, S. 18743) ebenda44) ebenda, S. 189f.


2.3. Neuere Untersuchungen von Marina Knippel (1983) undStefan Pannen (1987)Marina Knippel ergänzt die Arbeit von Cecilia von Studnitzfür Texte, die zwischen 1977 und 1982 erschienen sind. Anlaß<strong>de</strong>r Untersuchung mit <strong>de</strong>m Titel "Das Bild <strong>de</strong>s Journalistenin <strong>de</strong>r neueren <strong>de</strong>utschsprachigen Literatur" 45 ) ist dieThese, daß sich Prosatexte mit journalistischem Inhalt nach<strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>r 70er Jahre häufen und sich das in ihnen übermittelteBild <strong>de</strong>s Journalisten wesentlich än<strong>de</strong>rt. 46 )Auch Knippel benutzt die Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r empirischen Inhaltsanalyse,die Arbeit ist also mit <strong>de</strong>n gleichen Metho<strong>de</strong>nproblemenbehaftet, wie sie schon für die Untersuchung vonStudnitz dargestellt wur<strong>de</strong>n. 47 ) Knippel beschränkt dieTextauswahl auf 40 Werke und verzichtet völlig auf die Einbeziehungvon Nebenfiguren - eine für eine statistische Untersuchungmit einer so umfassen<strong>de</strong>n Aussageabsicht problematischkleine Grundgesamtheit. 48 )Stärker als von Studnitz erhält Knippel trotz dieser Beschränkungenviele fehlen<strong>de</strong> Werte, d.h. die einzelnen untersuchtenTexte geben zu vielen <strong>de</strong>r formulierten Fragenkeine Antwort. Knippel zieht nun aber nicht <strong>de</strong>n Schluß, daßdie Auswertung <strong>de</strong>shalb beson<strong>de</strong>rs vorsichtig interpretiertwer<strong>de</strong>n müsse, son<strong>de</strong>rn behauptet im Gegenteil, daß "einedurchgängige Häufung von 'missing dates' durchaus Rückschlüsseauf einen <strong>de</strong>solaten Zustand im Journalismuszu(läßt)" 49 ). Knippel scheint zu erwarten, daß je<strong>de</strong>r literarischeText, <strong>de</strong>r journalistische Inhalte anspricht, dieseauch sogleich in allen Facetten erschöpfend behan<strong>de</strong>lt -eine meiner Einschätzung nach völlig überzogene For<strong>de</strong>rung.Immerhin räumt sie ein, daß "an diesem Punkt spätestens(...) die Inhaltsanalyse um die Interpretation ergänzt"45) Marina Knippel: Das Bild <strong>de</strong>s Journalisten in <strong>de</strong>r neueren<strong>de</strong>utschsprachigen Literatur: Von Angepassten, Aussenseiternund Aussteigern, Diplomarbeit an <strong>de</strong>r UniversitätDortmund 1983.46) siehe Hypothesenkatalog, ebenda, S. 32, beson<strong>de</strong>rsThese V. Der Beginn <strong>de</strong>s Untersuchungszeitraums gera<strong>de</strong>1977 kommt dadurch zustan<strong>de</strong>, daß Knippels Arbeit direktan die von Studnitz anschließt.47) Knippel formuliert 61 Fragen, siehe ebenda, S. 158ff.48) siehe die Erläuterungen zum Untersuchungsmaterial,ebenda, S. 3049) ebenda, S. 35


wer<strong>de</strong>n muß. 50 ) Tatsächlich wertet sie nicht nur das statistischeMaterial aus, son<strong>de</strong>rn geht auch auf einzelne Textekurz ein, um die Ergebnisse zu bewerten.Knippel gelingt es, die Eingangshypothesen am Material zubelegen. Tatsächlich scheint sich das Rollenverständnis <strong>de</strong>sfiktiven Journalisten in neuerer Zeit verän<strong>de</strong>rt zu haben,allerdings eher in negativer Richtung:"Die mo<strong>de</strong>rnen Hel<strong>de</strong>n erkennen zunehmend, welchen Zwängensie ausgesetzt sind. Die Folge ist bei <strong>de</strong>n einenFrustration und Zynismus, bei wenigen <strong>de</strong>r allmählicheAufbau eines Arbeitnehmerbewußtseins." 51 )Sie beobachtet aber auch Formen eines neuen Journalismus,<strong>de</strong>r die Entfernung <strong>de</strong>s Jouralisten vom Publikum zu überwin<strong>de</strong>nsucht. In ihm wer<strong>de</strong>n auch alte I<strong>de</strong>ale <strong>de</strong>s Journalismusüber Bord geworfen: "Der objektive Beobachter ist passé,gefragt ist <strong>de</strong>r engagierte Anwalt" 52 ).Offenbar scheinen neue technische und organisatorische Entwicklungenin Knippels Untersuchungsmaterial noch nichtaufgegriffen wor<strong>de</strong>n zu sein. Sie konstatiert, daß "in <strong>de</strong>rmo<strong>de</strong>rnen Literatur (...) die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>r innerenUmstrukturierung <strong>de</strong>r Medien noch nicht stattgefun<strong>de</strong>n(hat)" 53 ).Interessant ist Knippels These, daß sich die Darstellungenvon journalismuserfahrenen Autoren gegenüber <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>renSchriftsteller unterschei<strong>de</strong>t:"Wenn Journalisten über Journalisten schreiben, sokritisieren sie hauptsächlich die internen Zwänge unddie subtilen Medienmechanismen zur Sicherung von Herrschaft."54 )"Vor allem die Nichtjournalisten unter <strong>de</strong>n Autoren,wie Nicolas Born und Otto F. Walter, <strong>de</strong>cken Defiziteim traditionellen Journalismus auf." 55 )Offenbar haben die Autoren ohne journalistische Erfahrungeinen offeneren und unbefangeneren Blick für die problematischeGesamtentwicklung <strong>de</strong>s journalistischen Berufs.50) ebenda51) ebenda, S. 9352) ebenda, S. 9753) ebenda, S. 12554) ebenda, S. 12955) ebenda, S. 134


Stefan Pannen legt in seiner Diplomarbeit Schwerpunkte aufdie politische Rolle und das Berufsbild <strong>de</strong>r fiktiven Journalisten.Seine Arbeit befaßt sich mit allen für ihn greifbareneinschlägigen Erzähltexten aus <strong>de</strong>r Zeit seit Bestehen<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik und hat <strong>de</strong>shalb <strong>de</strong>n Anspruch, repräsentativfür diesen Zeitraum zu sein. 56 )Auch Pannens Arbeit basiert auf einer inhaltsanalytischenAuswertung <strong>de</strong>s Untersuchungsmaterials, preßt die Texte jedochnicht in ein festes Kategorienschema. 57 ) An<strong>de</strong>rs alsStudnitz und Knippel geht Pannen außer<strong>de</strong>m ausführlicher aufdie Inhalte vieler untersuchter Texte ein, arbeitet alsoauch hermeneutisch.Zur besseren Vergleichbarkeit teilt Pannen das Material invier Entstehungsperio<strong>de</strong>n ein: Die Nachkriegszeit (1945-1949), die Ära A<strong>de</strong>nauer ("Im Sog <strong>de</strong>r Restauration", 1949-1963), die "Zeit <strong>de</strong>s Übergangs" 1963-1969, die sozialliberaleÄra (1969-1982) und die Zeit nach <strong>de</strong>r Bonner Wen<strong>de</strong>(1982-1987). 58 )Die meisten untersuchten Texte fallen in die Zeit von 1969-1982, Pannen typisiert <strong>de</strong>shalb die dort vorkommen<strong>de</strong>nProtagonisten in drei Untergruppen ("Aufklärer", "Schreibtischtäter","Aussteiger"), um die Untersuchung übersichtlichzu halten. 59 )Lei<strong>de</strong>r verzichtet Pannen gera<strong>de</strong> bei Texten aus dieser Zeitin <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>s fiktiven Berufsbil<strong>de</strong>s auf direkteTextvergleiche und -zitate und erläutert lediglich seinestatistischen Auswertungen. Lieber hätte er auf <strong>de</strong>n Vergleich<strong>de</strong>s fiktiven mit <strong>de</strong>m realen Berufsbild verzichtensollen, <strong>de</strong>n ja auch schon von Studnitz zog und <strong>de</strong>r zu<strong>de</strong>mmethodisch nicht unproblematisch ist. 60 )Pannen stellt zweierlei Ten<strong>de</strong>nzen in <strong>de</strong>n von ihm untersuchtenErzähltexten fest:56) Stefan Pannen: Die mutlosen Meinungsmacher, S. 557) ebenda, S. 658) ebenda, Inhaltsverzeichnis, S. Iff.59) ebenda, S. 60ff., allein in dieser Zeitspanne erschienen73 von Pannen untersuchte Texte mit zusammen 114Protagonisten.60) Pannen vergleicht die gewonnen Daten <strong>de</strong>s fiktiven Berufsbil<strong>de</strong>smit AfK-Synopsen, die allerdings mit Mehrfachnennungenarbeiten. Der Vergleich ist also strengstatistisch eigentlich nicht zulässig. Siehe ebenda,S. 117


"Der Romanjournalist ist frei von <strong>de</strong>n Zwängen <strong>de</strong>r Realität.Dies hat einerseits zur Folge, daß manche Ten<strong>de</strong>nzenin <strong>de</strong>r Literatur <strong>de</strong>utlicher und pointierter zutagetreten als in <strong>de</strong>r Wirklichkeit. Die Dichtung kannalso das Bild <strong>de</strong>s Journalisten verdichten." An<strong>de</strong>rerseitsist "das Bild <strong>de</strong>s Journalisten in <strong>de</strong>r Literaturein Quasi-Ersatz für uneingelöste Möglichkeiten <strong>de</strong>rRealität". 61 )Die Ausgestaltung dieser bei<strong>de</strong>n Möglichkeiten ist in <strong>de</strong>nvon Pannen eingeteilten Zeitabschnitten unterschiedlich.Nach<strong>de</strong>m bis 1949 das Thema Journalismus überhaupt nicht in<strong>de</strong>r Literatur auftauchte, wird das Bild <strong>de</strong>s Journalisten in<strong>de</strong>r A<strong>de</strong>nauer-Ära <strong>de</strong>utlich 'verdichtet'.Es zeigt sich, daß die politisch-restaurativen Züge <strong>de</strong>rZeit von <strong>de</strong>n fiktiven Journalisten wenn nicht aktiv gestützt,so doch zumin<strong>de</strong>st gedul<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Die Protagonistensind allerdings zum übrwiegen<strong>de</strong>n Teil politisch indifferentund lassen sich von <strong>de</strong>n Strömungen <strong>de</strong>r Zeit tragen.62 ) Ihr Berufsbild basiert zwar auf <strong>de</strong>m Bewußtsein,"eine wichtige öffentliche Aufgabe zu erfüllen", die beruflicheEthik <strong>de</strong>r fiktiven Journalisten ist jedoch schlechtund sie sind leicht von Interessengruppen beeinflußbar. 63 )In <strong>de</strong>n sechziger Jahren wird in <strong>de</strong>r Erzählliteratur ebenfallseher <strong>de</strong>r Zustand <strong>de</strong>s Journalismus reflektiert als einI<strong>de</strong>albild entworfen 64 ):"Die Romanjournalisten <strong>de</strong>r Jahre 1963-69 sind entwe<strong>de</strong>rpolitisch naiv o<strong>de</strong>r verweigern sich bewußt einer tiefergehen<strong>de</strong>nBeschäftigung mit politischen Problemen.Dennoch wer<strong>de</strong>n sie sowohl in die Auseinan<strong>de</strong>rsetzungmit <strong>de</strong>r nationalsozialistischen Vergangenheit als auchin die mit <strong>de</strong>r Tagespolitik hineingezogen (...)." 65 )Auch hier wer<strong>de</strong>n die Journalisten vorwiegend als passiv beschrieben,obwohl ihr Berufsbild erste Ansätze zu einemneuen Realismus zeigt: "Der hohe Anspruch ist geschwun<strong>de</strong>n,die Ethik verbessert". 66 )Das än<strong>de</strong>rt sich in <strong>de</strong>r sozialliberalen Ära. Pannen meint,daß die Autoren <strong>de</strong>r Erzähltexte aus dieser Zeit "Kritik61) ebenda, S. 462) ebenda, S. 26, 3663) ebenda, S. 36, 4164) ebenda, S. 59: "Die Darstellung <strong>de</strong>r Romanjournalistenin <strong>de</strong>n Jahren 1963-69 orientiert sich stärker an <strong>de</strong>rRealität".65) ebenda, S. 5566) ebenda, S. 56


üben wollen am Zustand <strong>de</strong>r bun<strong>de</strong>srepublikanischen Gesellschaft"67 ). Erstmals wer<strong>de</strong>n dabei auch Perspektiven <strong>de</strong>sJournalismus für die Zukunft entworfen. Dazu bedienen sichdie Autoren verschie<strong>de</strong>ner Typen von Protagonisten:> Der "Aufklärer" klärt Verbrechen, Skandale und Hintergrün<strong>de</strong>auf, er will die Unmündigkeit <strong>de</strong>s Bürgers bekämpfen.Allerdings scheitern die meisten Aufklärungsversuche:im Kriminalroman an <strong>de</strong>n gesellschaftlichenUmstän<strong>de</strong>n, im Unterhaltungsroman an Intrigen. 68 )> Der "Schreibtischtäter" wird als Vertreter <strong>de</strong>r Boulevardpresseund <strong>de</strong>s Fernsehens dargestellt. Er ist "mitverantwortlichfür Mißstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Systems",wird allerdings selbst oft zum Opfer. "ImGrun<strong>de</strong>", so stellt Pannen fest, "bleibt er machtlos".69 )> Die "Aussteiger" schließlich sind "diejenigen, die aussteigeno<strong>de</strong>r sich auf die Flucht nach Innen begeben.Sie verweigern sich bewußt je<strong>de</strong>m politischen Engagement(...)." 70 )"(...) dies [ist] in vielen Fällen eine Folge davon,daß sie ihre politische Utopien nicht habendurchsetzen können und <strong>de</strong>n Einfluß <strong>de</strong>r Politik aufihre Arbeit nunmehr als bedrückend empfin<strong>de</strong>n.Hinzu kommen häufig Zweifel am journalistischenKönnen und Ethos." 71 )Pannen zieht für die Zeit <strong>de</strong>r sozialliberalen Koalition dasFazit, daß <strong>de</strong>r Romanjournalist im Grun<strong>de</strong> machtlos <strong>de</strong>n politischenEntwicklungen gegenübersteht:"Denn die journalistischen Aufklärer scheitern, dieSchreibtischtäter sind mehr Opfer beruflich-gesellschaftlicherZwänge als autonom Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Ausstiegin das Private ist bereits eine Folge <strong>de</strong>r Einsichtin die eigene Machtlosigkeit." 72 )Während im politischen Engagement die Protagonisten <strong>de</strong>sfiktiven Journalismus ihren realen Berufskollegen in <strong>de</strong>nsiebziger Jahren - wenn auch mit geringem Erfolg - vorauseilen,ist das in <strong>de</strong>n Erzähltexten vermittelte Berufsbildaus dieser Zeit traditionell. In <strong>de</strong>r Realität wur<strong>de</strong> indiesen Jahren ausführlich ein neuer, geregelter Berufszu-67) ebenda, S. 6668) ebenda, S. 67, 8869) ebenda, S. 89, 9770) ebenda, S. 9771) ebenda, S. 10672) ebenda, S. 108


gang diskutiert - in <strong>de</strong>r Literatur fin<strong>de</strong>t sich davonnichts. Pannen erklärt dies damit, "daß die Darstellung berufspolitischerZusammenhänge nichts ist, was bei einerbreiten Leserschaft auf Interesse stoßen wür<strong>de</strong>." 73 )Nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> geht die politische Aktivität <strong>de</strong>r fiktivenJournalisten wie<strong>de</strong>r stark zurück. Pannen konstatiert eine"<strong>de</strong>zidierte Verweigerungshaltung gegenüber <strong>de</strong>r Politik",die sich in politischer Indifferenz, Zynismus und oft sogarin Konservatismus ausdrückt. Die Erzähltexte zeigen Journalisten,die in einer "postmo<strong>de</strong>rnen Manier ihr Fähnlein nach<strong>de</strong>m Wind drehen". Das fiktive Berufsbild <strong>de</strong>r achziger Jahrezeigt Ten<strong>de</strong>nzen <strong>de</strong>r Enti<strong>de</strong>ologisierung, das Privatlebenwird ausführlich beschrieben."Der Romanjournalist hat <strong>de</strong>n Glauben an seine Machtendgültig verloren und damit seine Autonomie. Dadurchist er austauschbar gewor<strong>de</strong>n. Dies fin<strong>de</strong>t eine Entsprechungin <strong>de</strong>r Taylorisierungs<strong>de</strong>batte <strong>de</strong>r Kommunikationswissenschaften."74 )Am Schluß seiner Arbeit betrachtet Pannen noch einmal kursorischdie gesamte untersuchte Literatur und kommt zu <strong>de</strong>mFazit, daß die Romanjournalisten <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik bis aufwenige Ausnahmen profillose Medienarbeiter sind:"Die Romanjournalisten <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschlandsind machtlose Meinungsmacher. Dieses Bild von ihrerpolitischen Rolle wird von drei Faktoren bestimmt:1. Dem Einfluß von außen auf ihre Arbeit.2. Ihrer gewollten Meinungs- und Verantwortungslosigkeit3. Der von <strong>de</strong>r Realität abweichen<strong>de</strong>n Einschätzung <strong>de</strong>rRolle <strong>de</strong>es Journalisten innerhalb <strong>de</strong>s Kommunikationssystems.(...)"75 )73) ebenda, S. 11474) ebenda, S. 142, 149; unter "Taylorismus" versteht mandie von F.W. Taylor entwickelte Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r "wissenschaftlichenBetriebsführung", d.h. <strong>de</strong>r rationellenGestaltung <strong>de</strong>s Betriebsablaufs (siehe Meyers EnzyklopädischesLexikon, a.a.O., Band 23, S. 266)75) ebenda, S. 163


3. Zum Erzählgegenstand: Ten<strong>de</strong>nzen <strong>de</strong>s "realen"Journalismus 1970 bis heuteDieses Kapitel soll die Entwicklungen <strong>de</strong>s realen Journalismus<strong>de</strong>r letzten zwanzig Jahre im Überblick zeigen. Die hierzusammengetragenen Beobachtungen aus <strong>de</strong>r Realität bil<strong>de</strong>neine Basis für die Untersuchung <strong>de</strong>r Erzähltexte. Mit ihrerHilfe wird überprüfbar, welche Entwicklungen <strong>de</strong>r Realitätin <strong>de</strong>r Literatur aufgegriffen wor<strong>de</strong>n sind und welche (noch)nicht.Da ein direkter Vergleich von Realität und Fiktion indieser Untersuchung nicht beabsichtigt ist76, ist eine <strong>de</strong>taillierteAnalyse <strong>de</strong>s realen Berufsbil<strong>de</strong>s nicht nötig. Ichbeschränke mich darauf, grobe Entwicklungen und generelleTen<strong>de</strong>nzen aufzuzeigen.3.1. Journalisten in <strong>de</strong>r PresseIn <strong>de</strong>r realen Presse <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik prägen drei sichgegenseitig beeinflussen<strong>de</strong> Faktoren das heutige Bild journalistischerArbeit: Zunehmen<strong>de</strong>r administrativer Aufwand in<strong>de</strong>n Redaktionen, die Einführung neuer Techniken und eineweitgefächerte Ausdifferenzierung redaktioneller Tätigkeiten.77 )Vor allem die Einführung neuer redaktioneller Techniken,wie die <strong>de</strong>s Computersatzes, lassen in Zusammenhang mit <strong>de</strong>rgleichzeitigen Reduzierung <strong>de</strong>s Redaktionspersonals Einbußenjournalistischer Kreativität befürchten. JournalistischeTätigkeit verlagert sich zunehmend von aktiver Recherchevor Ort zu technisch-organisatorischen Arbeiten 78 ) und76) Es ist fraglich, ob ein solcher Vergleich überhauptmethodisch zulässig wäre, vergleiche meine Ausführungenzu <strong>de</strong>n vorliegen<strong>de</strong>n Untersuchungen mit vergleichen<strong>de</strong>mAnspruch in Kapitel 2.77) Siegfried Weischenberg: Journalismus, in: Koszyk/Pruys: Handbuch <strong>de</strong>r Massenkommunikation, a.a.O., S. 9678) Journalisten übernehmen zunehmend auch die Aufgabenfrüherer Setzer, da sie ihre Texte direkt in diezentrale Datenverarbeitungsanlage eingeben und elektronischredigieren. Damit übernehmen sie aber auchdie Arbeiten <strong>de</strong>r Textgestaltung und die Verantwortungüber korrekte Eingabe (Korrekturlesen entfällt). Siehe:Siegfried Weischenberg: Pressetechnik,in: Koszyk/Pruys: Handbuch <strong>de</strong>r Massenkommunikation,a.a.O., S. 252f.


Auswahltätigkeiten vorproduzierter Beiträge. 79 ) ÜberregionaleInformationen bezieht die Tagespresse fast ausschließlichvon Nachrichtenagenturen, die alle Nachrichteninzwischen zeitungsadäquat aufbereiten und damit eine direkteÜbernahme ermöglichen.Mit <strong>de</strong>r fortschreiten<strong>de</strong>n journalistischen Spezialisierungin <strong>de</strong>n größeren Redaktionen führt dieser Prozeß gleichzeitigdazu, daß <strong>de</strong>r Beruf <strong>de</strong>s Journalisten, <strong>de</strong>r ehemalsmit Vorstellungen von Freiheit und Ungebun<strong>de</strong>nheit verbun<strong>de</strong>nwur<strong>de</strong>, an Reiz verliert. Seine <strong>de</strong>sillusionierten Vertreterentwickeln zunehmend ein Arbeitnehmerbewußtsein im Sinneeines eigeschränkten Meinungsspektrums.In <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten wur<strong>de</strong> zu<strong>de</strong>m die Pressefreiheitdadurch gefähr<strong>de</strong>t, daß durch fortschreiten<strong>de</strong> Konzentrationsten<strong>de</strong>nzenMonopolsituationen innerhalb <strong>de</strong>r Presselandschaftentstan<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>shalb kein ausreichen<strong>de</strong>s Meinungsspektrummehr vorhan<strong>de</strong>n ist. Die Zahl <strong>de</strong>r 'PublizistischenEinheiten' 80 ) verringerte sich bei Tageszeitungen von 1967bis 1984 von 158 auf 125 81 ), vor allem Lokal- und Regionalzeitungensind in ihrem Verbreitungsgebiet inzwischenüberwiegend ohne direkte Konkurrenz.Aufgrund dieser Situation haben Journalisten oft nicht dieMöglichkeit, <strong>de</strong>n Arbeitsplatz innerregional zu wechseln.Sie wer<strong>de</strong>n vom beherrschen<strong>de</strong>n Pressebetrieb <strong>de</strong>r Region abhängigund gegebenenfalls gezwungen, sich Entscheidungen<strong>de</strong>r Verleger zu beugen, um <strong>de</strong>n Arbeitsplatz nicht zugefähr<strong>de</strong>n. 82 )Bei <strong>de</strong>n Zeitschriften gibt es zwar keine publizistischeKonzentration - die Anzahl <strong>de</strong>r Publikationen steigt sogar -dafür aber eine beträchtliche wirtschaftliche: Die vier79) Siegfried Weischenberg: Journalismus, a.a.O., S. 9780) Als Publizistische Einheit faßt man die Zeitungsbetriebezusammen, die publizistisch zusammenarbeiten,in<strong>de</strong>m sie Teile <strong>de</strong>r Zeitung (z.B. <strong>de</strong>n politischen undüberregionalen Teil) gemeinsam produzieren.81) Walter J. Schütz: Zeitungen in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublikDeutschland. In: Das Parlament, 34, 1984, Nr. 37,Tabelle 3#82) Verschärft wird dieser Zustand durch <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublikbestehen<strong>de</strong>n Ten<strong>de</strong>nzschutz, <strong>de</strong>r die Festlegung<strong>de</strong>r politischen Ausrichtung einer Zeitung <strong>de</strong>mVerleger überläßt. Siehe: Volker Schulze: Ten<strong>de</strong>nzschutz,in: Koszyk/Pruys: Handbuch <strong>de</strong>r Massenkommunikation,a.a.O., S. 310


größten Zeitschriftenkonzerne haben allein über 60% Marktanteil.83 ) Die Folgen für die Journalisten sind ähnlich wieauf <strong>de</strong>m Zeitungsmarkt.Diese Entwicklungen haben Folgen für Selbstverständnis undFunktion <strong>de</strong>r Journalisten in <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Wirklichkeit:Lokaljournalisten wer<strong>de</strong>n wegen ihrer oberflächlichenRecherchen und <strong>de</strong>r daraus resultieren<strong>de</strong>n Mängel immerweniger geschätzt. Da sie aufgrund <strong>de</strong>r eingeschränktenRecherchemöglichkeiten kaum einmal einen wirklichen Skandalauf<strong>de</strong>cken können, wird ihnen schnell 'Verfilzung' mit <strong>de</strong>rLokalpolitik unterstellt.Nur die wenigen Journalisten <strong>de</strong>r großen Zeitungs- undZeitschriftenredaktionen sind von diesen Zwängen frei: Siekönnen aus einem reichen Materialfundus in Archiven undDokumentationen und einer hervorragen<strong>de</strong>n redaktionelle Infrastrukturschöpfen und sind daher auch in <strong>de</strong>r Lage, intensivereRecherchen zu betreiben. Solche Arbeitsmöglichkeitengibt es aber nur in <strong>de</strong>n großen Zeitungen,etwa für Journalisten bei "Der Spiegel" o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r"Frankfurter Allgemeine Zeitung".3.2. Journalisten im RundfunkDie Entwicklung <strong>de</strong>s öffentlich-rechtlichen Hörfunk undFernsehen in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik ist geprägt durch zunehmen<strong>de</strong>politische Einflußnahme und Kommerzialisierung.Der Rundfunk in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland soll grundsätzlichstaatsfrei sein. Dieser von <strong>de</strong>n Alliierten beabsichtigteGrundsatz wur<strong>de</strong> erstmals im sogenannten Fernseh-Urteil 1961 vom Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht bestätigt 84 ), istseit<strong>de</strong>m und gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten aber immer83) bezogen auf <strong>de</strong>n Umsatz. Siehe Helmut H. Die<strong>de</strong>richs:Daten zur Konzentration <strong>de</strong>r Publikumszeitschriften in<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland im IV. Quartal 1986,in: Media Perspektiven, 1987, Heft 8, S. 503, Tabelle384) 1. Fernseh-Urteil vom 28. Februar 1961: Entscheidunggegen die Gründung einer von <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierungprojektierten "Deutschland-Fernsehen GmbH" ('A<strong>de</strong>nauer-Fern-sehen'). Siehe Karl Hugo Pruys: Fernsehen, in:Koszyk/Pruys, a.a.O., S.59


wie<strong>de</strong>r durch zunehmen<strong>de</strong>n politischen Einfluß auf die öffentlich-rechtlichenRundfunkveranstalter gefähr<strong>de</strong>t.Dabei fin<strong>de</strong>t politische Einflußnahme vor allem durch <strong>de</strong>nsogenannten Parteienproporz bei Stellenbesetzungenstatt, 85 ) <strong>de</strong>r sich dann schließlich in <strong>de</strong>r Programmpraxisauswirkt. 86 ) Dazu Gisela Marx 87 ):"[...] die Vertreter <strong>de</strong>r gesellschaftlich relevantenGruppen in <strong>de</strong>n Gremien lassen sich fast bis auf <strong>de</strong>nletzten Mann (Frau) <strong>de</strong>n Parteien zuordnen, es bil<strong>de</strong>nsich regelrechte Fraktionen, die <strong>de</strong>n politischen Parteiendas Sagen überlassen. So haben sich (im ZDFz.B.) um die großen Parteien herum ominöse 'Freun<strong>de</strong>skreise'gebil<strong>de</strong>t, die sich womöglich noch als Freun<strong>de</strong><strong>de</strong>s Fernsehens verstan<strong>de</strong>n wissen wollen." 88 )In <strong>de</strong>r Regel sind die Sympathisanten <strong>de</strong>r jeweiligenRegierungspartei in solchen 'Freun<strong>de</strong>skreisen' in <strong>de</strong>rÜberzahl und können auf alle wichtigen Entscheidungenwesentlichen Einfluß nehmen.Wichtigstes Argumentations- und Machtmittel ist dabei einverzerrtes Verständnis <strong>de</strong>r 'Programmausgewogenheit', dieeigentlich als eine gesetzliche Verpflichtung <strong>de</strong>s Rundfunksin <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik allen gesellschaftlichen GruppenGehör verschaffen sollte. 89 ) Sie wird aber nur immer genaudann als Argument gebraucht, wenn sich die stärkere Parteinicht positiv genug dargestellt sieht - mithin bei jegli-85) Beispiele dafür zeigt z.B.: Wolf Schnei<strong>de</strong>r: Unseretägliche Desinformation. Wie die Massenmedien uns indie Irre führen, Hamburg 1984, S.102ff.86) Die Rundfunkräte, die über Stellenbesetzungen entschei<strong>de</strong>n, bestehen zwar aus 'gesellschaftlich relevantenGruppen', wer<strong>de</strong>n aber aber zum Teil (o<strong>de</strong>r wiebeim WDR gänzlich) vom Landtag bestimmt. Siehe z.B.Hermann Meyn: Massenmedien in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublikDeutschland, Berlin 1985, S. 119, Abbildung 1087) Gisela Marx ist Autorin und Mo<strong>de</strong>ratorin für verschie<strong>de</strong>neHörfunk- und Fernsehanstalten. Außer<strong>de</strong>m arbeitetsie als Regisseurin, ist Mitinhaberin und geschäftsführen<strong>de</strong>Gesellschafterin einer Film- und Fernsehproduktionsfirmaund ist im Vorstand <strong>de</strong>s Verban<strong>de</strong>s <strong>de</strong>rFilm-,Fernseh- und Vi<strong>de</strong>owirtschaft Nordrhein-Westfalene.V.88) Gisela Marx: Eine Zensur fin<strong>de</strong>t nicht statt. Vom Anspruchund Elend <strong>de</strong>s Fernseh-Journalismus, Reinbek beiHamburg 1988, S. 3089) Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind inihrem Gesamtprogramm zur Ausgewogenheit verpflichtet.Das heißt, daß alle 'gesellschaftlich relevanten Gruppen'zu Wort kommen müssen. Siehe Karl Hugo Pruys:Ausgewogenheit, in: Koszyk/Pruys: Handbuch <strong>de</strong>r Massenkommunikation,a.a.O., S. 16ff.


cher Kritik an <strong>de</strong>r Regierung. 90 )Folge dieser Entwicklung ist, daß die Journalisten zunehmendvon Politikern gegängelt wer<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m journalistischeInhalte nicht mehr nach Qualität und Originalität, son<strong>de</strong>rnzunächst nach parteipolitischen Interessen beurteilt wer<strong>de</strong>n.Außer<strong>de</strong>m ist es für Journalisten von Vorteil, über taktischespolitisches Geschick zu verfügen, <strong>de</strong>nn die Ziele <strong>de</strong>rEinflußnahme sind je nach politischer Partei verschie<strong>de</strong>n.Da Rundfunk Län<strong>de</strong>rsache ist, kommt es darauf an, welchepolitische Partei ein bestimmtes Bun<strong>de</strong>sland regiert undwelche Absichten diese Partei mit ihren rundfunkpolitischenEinflußnahmen beabsichtigt. Dies zeigt sich auch im ZDF,das die politischen Verhältnisse <strong>de</strong>r einzelnen Län<strong>de</strong>r bun<strong>de</strong>sweitspiegelt.Die im Rundfunk arbeiten<strong>de</strong>n Journalisten entwickeln nichtselten ein Gespür für das politisch Durchsetzbare. Dasbeinhaltet jedoch die Gefahr, daß Beiträge, die nicht politischkonform sind und daher zu Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen mit<strong>de</strong>n Vorgesetzten führen könnten, gar nicht mehr entstehen,um von vornherein mögliche Konflikte zu vermei<strong>de</strong>n. DieJournalisten entwickeln also Formen <strong>de</strong>r Selbstzensur, dieihnen zwar eine weitgehend ungestörte Arbeit ermöglichen,gleichzeitig <strong>de</strong>n Rundfunk jedoch in übertriebener 'Ausgewogenheit'und Langeweile erstarren lassen.3.3. Journalisten in <strong>de</strong>n "Neuen Medien"Mit <strong>de</strong>m Begriff "Neue Medien" verbin<strong>de</strong>t man die auf neuenÜbertragungswegen verbreiteten Rundfunkprogramme in <strong>de</strong>rBun<strong>de</strong>srepublik. Es han<strong>de</strong>lt sich um die technisch eigentlichgar nicht so neuen Techniken <strong>de</strong>r Verkabelung und <strong>de</strong>r Satelliten.91 )Nach einer Experimentierphase <strong>de</strong>r Breitbandverkabelung ab1981, die von ausführlichen wissenschaftlichen Studien be-90) Siehe Jörg Aufermann: Rundfunkfreiheit und Programmausgewogenheit,in:Jörg Aufermann, Wilfried Scharf,Otto Schlie: Fernsehen und Hörfunk für die Demokratie.Ein Handbuch über <strong>de</strong> Rundfunk in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublikDeutschland, Opla<strong>de</strong>n 2 1981, S. 364-39491) Der Begriff "Neue Medien" ist nicht klar zu <strong>de</strong>finieren.Siehe Claus Detjen: Neue Medien, in: Koszyk/Pruys: Handbuch <strong>de</strong>r Massenkommunikation, a.a.O.,S. 207f.


gleitet wur<strong>de</strong> 92 ), wird seit 1984 in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublikweiträumig verkabelt - ohne daß zunächst die Ergebnisse <strong>de</strong>rwissenschaftlichen Begleitforschung abgewartet wor<strong>de</strong>nwären. Gleichzeitig wur<strong>de</strong> auch die Satellitentechnik vorangetrieben.93 )Mit <strong>de</strong>r Verkabelung kamen erstmals private Anbieter auf <strong>de</strong>nbun<strong>de</strong>srepublikanischen Rundfunkmarkt. 94 ) Sie waren vorheraufgrund <strong>de</strong>r beschränkt verfügbaren Frequenzzahl nichtzugelassen wor<strong>de</strong>n.Sehr schnell zeigte sich, wohin die Entwicklung <strong>de</strong>r neuenprivaten Medien geht: Gefragt sind seichte Unterhaltungsprogramme,die hohe Einschaltquoten und damit die für dieprivaten Anbieter so wichtigen Werbeeinnahmen erbringen. 95 )"Schon heute ist <strong>de</strong>utlich, welche neuen Programme zu<strong>de</strong>n ernsthaften Konkurrenten für ARD, ZDF und dieDritten Programme wer<strong>de</strong>n dürften: SAT1 und RTL plus.Im Mittelpunkt ihrer Angebote stand und steht Unterhaltung.Die Hauptkontingente stammen dabei aus <strong>de</strong>nSparten Spielfilm und Serien (...)." 96 )Dieses Programmkonzept hat Folgen für die Journalisten: Siesind gehalten, leichte Kost zu präsentieren, Effekte undoberflächliche Mo<strong>de</strong>ration wer<strong>de</strong>n auf Kosten ausführlicherRecherche bevorzugt.Der Anspruch, unterhaltend zu sein, wird von <strong>de</strong>n privatenAnbietern auf alle Programmsparten übertragen. So sollenauch die Nachrichten möglichst bunt, salopp und spannend92) Zu <strong>de</strong>n damaligen Kabelpilotprojekten siehe Klaus Brepohl:Lexikon <strong>de</strong>r neuen Medien. Von Abonnement-Fernsehenbis Zweiwegkommunikation, Köln 1985, StichwortKabelpilotprojekte, S. 109ff.93) Vor allem <strong>de</strong>r Rundfunksatelliten, <strong>de</strong>ren Übetragung je<strong>de</strong>rHaushalt mit einer kleinen Parabolantenne(Ý < 1,5m) nutzen kann.94) Inzwischen wer<strong>de</strong>n private Programme auch auf einigenneu von <strong>de</strong>r Post zugeteilten terrestrischen Frequenzenverbreitet, vor allem SAT1 und RTL plus. Siehe z.B.Ingrid Scheithauer: Im "Media Monopoly" hat SAT1 dieNase vorn. Der Kampf <strong>de</strong>r privaten Fernsehsen<strong>de</strong>r um höhereEinschaltquoten und Werbeeinnahmen, in: FrankfurterRundschau, Nr. 199, 27.8.1988, S. 695) Einen Einblick in die Inhalte <strong>de</strong>r neuen Fernsehprogrammebieten z.B. Christiane Grefe und Marie-LuiseHauch-Fleck: "Mami, hol Pudding!" Mit Spielen, Fußballund Filmkonserven suchen die privaten Fernsehsen<strong>de</strong>r<strong>de</strong>n Durchbruch, in: Die Zeit, Nr.27, 1.7.1988, S.11ff.96) Bernward Frank / Walter Klinger: Die verän<strong>de</strong>rte Fernsehlandschaft.Zwei Jahre ARD/ZDF-Begleitforschung zu<strong>de</strong>n Kabelpilotprojekten. Schriftenreihe Media Perspektiven7, Frankfurt am Main 1987, S. 150


sein: Katastrophen wer<strong>de</strong>n noch ausführlicher dargestelltals in <strong>de</strong>n öffentlich-rechtlichen Programmen, die Qualität<strong>de</strong>r Berichterstattung kann dagegen offenbar nicht mithalten.Cordt Schnibben vergleicht ironisch:"Die Nachrichtenschau von RTL ist die einzige programmatischeNeuschöpfung, die die neuen Medien hervorgebrachthaben. Das amerikanische Vorbild schimmert zwardurch, aber die luxemburgisch-<strong>de</strong>utsche Pioniereinheithat einen <strong>de</strong>utschen Bastard auf die Bildschirme gebracht:Weltumgreifend wie die <strong>de</strong>utsche 'Tagesschau',meinungsstark wie <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche Stammtisch, schnell wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche Schäferhund, herzzerreißend wie die <strong>de</strong>utscheHitpara<strong>de</strong>." 97 )Dieses offensichtliche 'Buhlen' um Zuschauer bringt auchdie öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Bedrängnis:Die Einschaltquoten wer<strong>de</strong>n immer stärker zum programmentschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>nKriterium. Auch die öffentlich-rechtlichenAnbieter verstärken das Spielfilm-Angebot und machenVersuche mit neuen Sen<strong>de</strong>formen: Sie sind ähnlich <strong>de</strong>nprivaten Veranstaltern zum Teil von Werbeeinnahmen abhängig.Die zunächst von einer Vermehrung <strong>de</strong>r Programme zu erwarten<strong>de</strong>Informationsflut hat daher keine positiven Auswirkungenauf die Qualität <strong>de</strong>r Inhalte. Das Gegenteil ist eher<strong>de</strong>r Fall: Auch die auf hohem Niveau produzieren<strong>de</strong>n öffentlich-rechtlichenRundfunkanstalten sehen sich gezwungen,<strong>de</strong>n Trend zur Kommerzialisierung mitzuverfolgen. Unterhaltungund Sport haben Vorrang vor kritisch-politischenSendungen.Es wer<strong>de</strong>n vor allem angekaufte Spielfilme gesen<strong>de</strong>t undwenig eigene Beiträge produziert, sodaß nur vergleichsweisewenige Journalisten beschäftigt wer<strong>de</strong>n müssen. Zu<strong>de</strong>m sollenNachrichten und selbst produzierte Sendungen möglichst billigsein, was zu eingeschränkten Recherchemöglichkeitenführt. Schließlich ist das Diktat durch Einschaltquoten97) Cordt Schnibben: Seid ihr alle da? Nach <strong>de</strong>m Fußball-Coup: Nun kommen die Privaten - aber womit? Ein Blickin die tägliche Nachrichtenschau von RTL-plus, in: DieZeit, Nr. 25, 17.6.1988, S. 55


noch weit stärker als in <strong>de</strong>n öffentlich-rechtlichen Anstalten.Der Journalist wird in seiner täglichen Arbeit weitgehendvon ökonomischen und werbestrategischen Zwängen bestimmt.Außer<strong>de</strong>m ist <strong>de</strong>r Arbeitsplatz <strong>de</strong>s Journalisten bei weitemnicht so sicher wie in <strong>de</strong>n öffentlich-rechtlichen Anstalten:Nicht alle neuen Sen<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n auf Dauer überleben,mancher neue Arbeitsplatz wird durch Pleiten - wie z.B.kürzlich beim zunächst als vorbildlich gelten<strong>de</strong>n privatenHamburger Hörfunksen<strong>de</strong>r "Radio Korah" - wie<strong>de</strong>r verlorengehen.98 )Die fortschreiten<strong>de</strong> Kommerzialisierung führt dazu, daßJournalisten zunehmend zu 'Unterhaltungsmachern' wer<strong>de</strong>n undanspruchsvolle Programmi<strong>de</strong>en nicht mehr verwirklichen können.Wo sie nicht selbst Talk- o<strong>de</strong>r Spielshows und Werbesendungenmo<strong>de</strong>rieren, füllen sie die Lücken zwischen <strong>de</strong>nSpielfilmen und Musiksendungen, in<strong>de</strong>m sie kurze vorproduzierteNachrichtenspots begleiten - journalistischeAnsprüche bleiben dabei auf <strong>de</strong>r Strecke.3.4. Die Perspektive eines "neuen" JournalismusDie weitgehend perspektivenlose Lage im Journalismus führtetrotz neuer Medienentwicklungen in <strong>de</strong>n letzten bei<strong>de</strong>nJahrzehnten zu einigen völlig neuen Arten journalistischerBerichterstattung, die sich unter <strong>de</strong>m Begriff "Neuer Journalismus"zusammenfassen lassen.Allen neuen Journalismus-Ten<strong>de</strong>nzen gemeinsam ist eine Abkehrvom Anspruch <strong>de</strong>r Objektivität bwz. <strong>de</strong>s Nicht-Beteiligtseinsam berichteten Geschehen. Journalisten greifenneuerdings in das Geschehen ein, ergreifen Partei und erforscheneinen Sachverhalt auf eigene Faust. Sie machensich zum Anwalt <strong>de</strong>r vermeintlich Schwachen. 99 )Die Ten<strong>de</strong>nzen <strong>de</strong>s amerikanischen Journalismus wer<strong>de</strong>n durchwegzum Vorbild gemacht,<strong>de</strong>nn die Watergate-Affäre ist dasI<strong>de</strong>albild <strong>de</strong>s neuen engagierten Journalisten. 100 ) Deshalb98) Siehe Ingrid Scheithauer, a.a.O.; zu "Radio Korah":N.N.: Falsch reingeeiert, in: Der Spiegel, Nr. 371988, S. 93-95 und Angela Oelckers: Wer, bitte, sen<strong>de</strong>thier? Wie die Leute von Radio Korah <strong>de</strong>n Bankrott ignorieren,in: Die Zeit, Nr. 38, 16.9.1988, S. 18.99) Siegfried Weischenberg: Journalismus, a.a.O., S. 98f.100) Siehe z.B. James H. Dygert: The investigative Journalist,Englewood Cliffs, New York 1976, S. 8ff.


stammen auch die Bezeichnungen für die neue Art <strong>de</strong>s Journalismuszum Teil aus <strong>de</strong>m Anglo-Amerikanischen: "InvestigativeJournalism" 101 ), "Un<strong>de</strong>rground-Journalism", AdvocacyJournalism" 102 ).Hans Heinz Fabris referiert, was <strong>de</strong>n "Neuen Journalismus"ausmacht:"Wenn es auch manchen Beobachtern problematisch erscheint,in dieser Bewegung etwas generell 'Neues' zuerblicken, sind doch eine Reihe gemeinsamer Elementefestzustellen, die die Sammelbezeichnung als 'neuer'Journalismus begrün<strong>de</strong>n können. Solche Elemente siehtMurphy im 'Subjektivismus' - als einer gegen <strong>de</strong>n 'objektiven'Journalismus gekehrten Grundhaltung -, in<strong>de</strong>r Verbindung von publizistischem und sozialem Engagement,in <strong>de</strong>r Benutzung spezifisch literarischerTechniken - wie <strong>de</strong>m 'inneren Monolog', <strong>de</strong>r Berichterstattungin <strong>de</strong>r dritten Person o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m dramatischenDialog - und einer beson<strong>de</strong>ren Intensivität <strong>de</strong>r Rechercheund interpretieren<strong>de</strong>n Berichterstattung." 103 )Damit können die eingefahrenen Schranken <strong>de</strong>r Abhängigkeitvon politischen und taktisch-wirtschaftlichen Überlegungenüberwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n und an<strong>de</strong>re, bisher nicht gehörte Stimmenkönnen zu Wort kommen. Dafür wird erkauft, daß <strong>de</strong>r Journalistanfechtbar wird, weil er involviert ist. Durch <strong>de</strong>n"neuen" Journalismus wird <strong>de</strong>r Journalist streitbar und aufneue, ganz an<strong>de</strong>re (bessere?) Art parteiisch.In <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik wer<strong>de</strong>n die neuen Strömungen allerdingsnur langsam akzeptiert. Bei <strong>de</strong>n öffentlich-rechtlichenRundfunkjournalisten ist dieser Einfluß am ehestenspürbar. So meint zum Beispiel <strong>de</strong>r verantwortliche Redakteur<strong>de</strong>r WDR-Sendung "Vor Ort" Hans Günter Wiegand:"Man kann nicht nur vom mündigen Staatsbürger re<strong>de</strong>n,man muß ihn auch zu Wort kommen lassen! Allerdingsnicht nur in zwei, drei Sätzen, eingeschnitten in einpolitisches Magazin, in ein Feature, nach <strong>de</strong>r Konzeptioneines Journalisten. Der Bürger, <strong>de</strong>r das Fernsehenfinanziert, muß das Recht haben, im Fernsehen seine101) Von "investigate": erforschen, untersuchen, nachforschen;aus: Edmund Klatt, Dietrich Roy: LangenscheidtsTaschenwörterbuch <strong>de</strong>r Englischen und Deutschen Sprache,6. Neubearbeitung, Berlin, München 1970102) = anwaltschaftlicher Journalismus, ebenda.103) Hans Heinz Fabris: Journalismus. Die bürgernahe Medienarbeit.Formen und Bedingungen <strong>de</strong>r Teilhabe an gesellschaftlicherKommunikation, Salzburg 1979, S. 208.Fabris zitiert James Murphy: The New Journalism: ACritical Perspective. in: Journalism Monographs 34/1974, S.3ff. (zitiert nach Fabris).


Meinung eigenverantwortlich zu äußern (...)". 104 )Aufgrund <strong>de</strong>r bereits dargestellten Zwänge können es sichnur wenige Journalisten in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik leisten, Formen<strong>de</strong>s neuen Journalismus anzuwen<strong>de</strong>n. Der neue Journalismusist noch die Ausnahme. Er fin<strong>de</strong>t sich etwa im Nachrichtenmagazin"Der Spiegel" o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n 'Dossiers' <strong>de</strong>r Wochenzeitung"Die Zeit".3.5. Journalisten in <strong>de</strong>r DDRWährend die in <strong>de</strong>r Schweiz und in Österreich feststellbarenEntwicklungen <strong>de</strong>nen in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland vergleichbaresind, bietet die DDR in Hinblick auf <strong>de</strong>n Journalismusein völlig abweichen<strong>de</strong>s Bild."Die Massenmedien <strong>de</strong>r DDR wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r SED zentral geleitet."105 ) Diese Tatsache prägt das reale Berufsbild <strong>de</strong>rJournalisten in <strong>de</strong>r DDR grundlegend und fin<strong>de</strong>t sich wohlauch in <strong>de</strong>r fiktiven Beschreibung <strong>de</strong>s Journalismus in <strong>de</strong>nErzähltexten aus <strong>de</strong>r DDR wie<strong>de</strong>r.Die Aufgaben <strong>de</strong>r sozialistischen Journalistik wur<strong>de</strong>n vonLenin <strong>de</strong>finiert und gelten natürlich auch für die DDR:"Die Zeitung ist nicht nur ein kollektiver Propagandistund kollektiver Agitator, son<strong>de</strong>rn auch ein kollektiverOrganisator." 106 )Grundsätzliche For<strong>de</strong>rungen an die DDR-Medien sind: "Verbun<strong>de</strong>nheitmit <strong>de</strong>r Arbeiterklasse und Ergebenheit gegenüber'ihrer' Partei auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>s Marxismus-Leninismus." 107 )"Eine zentrale Lenkungsinstanz (in <strong>de</strong>r DDR die Abteilung104) Hans Günter Wiegand: Öffentlich-rechtliche Massenmedienim Dienst von Bürgerinitiativen - Thesen. Vortragim Rahmen <strong>de</strong>r Steirischen Aka<strong>de</strong>mie, 5.-9.11.1976 inGraz, zit nach Fabris, Journalismus, a.a.O., S. 231,Anm. 82.105) Wilfried Scharf: Das Bild <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschlandin <strong>de</strong>n Massenmedien <strong>de</strong>r DDR, Europäische Hochschulschriften,Reihe XXXI, Band 68, Frankfurt a.M.1985, S. 3106) Wörterbuch <strong>de</strong>r sozialistischen Journalistik, Karl-Marx-Universität Leipzig, 1981, S. 70107) Verena Blaum : I<strong>de</strong>ologie und Fachkompetenz. Das journalistischeBerufsbild in <strong>de</strong>r DDR, Bibliothek Wissenschaftund Politik, Band 34, Köln 1985, S.100


Agitation und Propaganda <strong>de</strong>s ZK <strong>de</strong>r SED) steuert durch Wochen-bis Vierteljahrespläne und Argumentationsanweisungendie Medien." 108 )Die Ausbildung zum Journalisten fin<strong>de</strong>t seit 1958 für dieDDR zentral nur an <strong>de</strong>r Karl-Marx-Universität Leipzig, SektionJournalistik, statt. 109 )Aus diesen Rahmenbedingungen ergeben sich für die Massenmedien<strong>de</strong>r DDR unter an<strong>de</strong>rem folgen<strong>de</strong> Konsequenzen:Statt Pressefreiheit steht Agitation im Mittelpunkt <strong>de</strong>r Medienarbeit.Die Journalisten sollen "Agitation durch Tatsachen"110 ) betreiben, sie sollen sich um eine beweiskräftigeund lebendige Vermittlung politischer Standpunkte inparteilicher Berichterstattung bemühen.Neben Information, Unterhaltung und Bildung ist die Funktion<strong>de</strong>r sozialistischen Massenmedien auch die Erziehung<strong>de</strong>r Rezipienten. Information und Unterhaltung sind dabeiuntergeordnete Funktionen. 111 )Die Medien wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r DDR von <strong>de</strong>r SED total und zentralbeherrscht. So gibt es zwar Zeitungen aller gesellschaftlichenGruppen, diese sind aber eng an die SED-Parteizeitungengebun<strong>de</strong>n. Maßgeblich sind die Parteizeitungen <strong>de</strong>rSED ("Neues Deutschland" und Bezirkszeitungen), <strong>de</strong>renJournalisten ausnahmslos Parteimitglie<strong>de</strong>r sind.Die streng parteiliche Bindung <strong>de</strong>r DDR-Medien macht eigenständigeEntwicklungen <strong>de</strong>s Medienwesens unmöglich. AlleVerän<strong>de</strong>rungen und Entwicklungen sind politisch gewollt undgeplant. Tatsächlich hat es seit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 50er Jahre nurwenige Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r Medienstruktur <strong>de</strong>r DDRgegeben. 112 )108) <strong>Peter</strong> Glotz/Karl Hugo Pruys: Kommunikationspolitik,in: Koszyk / Pruys: Handbuch <strong>de</strong>r Massenkommunikation,a.a.O, S. 120109) Verena Blaum:I<strong>de</strong>ologie und Fachkompetenz, a.a.O.,S. 37110) Die Rolle <strong>de</strong>s Journalismus in <strong>de</strong>r Parteiarbeit wir<strong>de</strong>rläutert bei: Hein Halbach: Zur Spezifik <strong>de</strong>s sozialistischenJournalismus. Fragen, Antworten, Überlegungen,Karl-Marx-Universität Leipzig, Sektion Journalistik,1979, S. 90ff. (Kapitel 3.2.1.3.1.: Journalismusund Partei <strong>de</strong>r Arbeiterklasse).111) Werner Lambertz: Probleme <strong>de</strong>r weiteren journalistischenArbeit nach Annahme <strong>de</strong>r sozialistischen Verfassung<strong>de</strong>r DDR. Schriftenreihe <strong>de</strong>s VDJ, Heft 44, Berlin1968, S. 29; zit. nach Gudrun Traumann: Journalistikin <strong>de</strong>r DDR. Sozialistische Journalsitik und Journalistenausbildungan <strong>de</strong>r Karl-Marx-Universität Leipzig,München-Pullach/Berlin 1971, S.49112) Gudrun Traumann, Journalistik in <strong>de</strong>r DDR, a.a.O., S.52


Somit bestehen in Deutschland zwei grundsätzlich verschie<strong>de</strong>neMediensysteme, die sich auch weiterhin stark auseinan<strong>de</strong>rentwickeln:In <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik basiert die Medienstrukturauf <strong>de</strong>r Grundlage eines I<strong>de</strong>als <strong>de</strong>r Pressefreiheit,die <strong>de</strong>r rechtlichen Garantie nach immerhin je<strong>de</strong>rmannzusteht; in <strong>de</strong>r DDR existiert dagegen ein politisch zweckgebun<strong>de</strong>nesMediensystem, das sich <strong>de</strong>rzeit kaum verän<strong>de</strong>rtund völlig an politische Entwicklungen gebun<strong>de</strong>n bleibt.3.6. Thesen zur Situation <strong>de</strong>s 'realen' JournalismusDie Medienlandschaft <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik ist geprägt vonzunehmen<strong>de</strong>n Einschränkungen journalistischer Gestaltungsfreiheit.Vorproduzierte Beiträge und eingeschränkteRecherchemöglichkeiten können zu Lasten von journalistischerKreativität gehen.Die in <strong>de</strong>r Presse arbeiten<strong>de</strong>n Journalisten sind mitzunehmen<strong>de</strong>r Medienkonzentration konfrontiert. Dadurch wirddie Möglichkeit <strong>de</strong>r freien Wahl <strong>de</strong>s Arbeitsplatzesbeschränkt und - weil eine Entlassung <strong>de</strong>mentsprechendweitreichen<strong>de</strong> Folgen hätte - eventuell auch die kritischeMeinungsäußerung.Im Rundfunk expandiert <strong>de</strong>r Arbeitsmarkt aufgrund von Neugründungenprivater Rundfunkunternehmen. Gleichzeitig sinddie neuen Arbeitsplätze aber geprägt von starker Kommerzialisierungim Mediensystem - die Journalisten wer<strong>de</strong>nzu 'Unterhaltungsmachern'.Die Arbeitsplätze im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wer<strong>de</strong>nebenfalls von Ten<strong>de</strong>nzen <strong>de</strong>r Kommerzialisierung berührt.Gleichzeitig sind die Journalisten politischer Einflußnahmeausgesetzt und unterliegen <strong>de</strong>r Gefahr von Selbstzensur.Gegen diese Entwicklungen journalistischer Arbeit versuchenauch in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Journalisten mit neuen, teilnehmen<strong>de</strong>nArbeitsformen eine leichte Gegensteuerung. Journalistenwollen nicht mehr nur unbeteiligt berichten, son<strong>de</strong>rnauch Partei ergreifen.Im Gegensatz zu <strong>de</strong>n westlichen <strong>de</strong>utschsprachigen Län<strong>de</strong>rngibt es in <strong>de</strong>r DDR nur eine parteiorientierte Medien. Die


Journalisten wer<strong>de</strong>n zentral geleitet und ausgebil<strong>de</strong>t,Medienfreiheiten in <strong>de</strong>mokratischen Sinne gibt es nicht. DasMediensystem <strong>de</strong>r DDR ist politisch zweckgebun<strong>de</strong>n.


4. Journalismus als Arbeitsfeld <strong>de</strong>s ProtagonistenNur wenige <strong>de</strong>r im Textkanon vertretenen Autoren verzichtendarauf, neben <strong>de</strong>r Persönlichkeit <strong>de</strong>r Journalisten auch<strong>de</strong>ren Tätigkeiten und berufliche Rahmenbedingungen zuzeigen.In diesem Kapitel soll <strong>de</strong>shalb untersucht wer<strong>de</strong>n, wie Arbeitsplatz,Verhältnis zu Kollegen und einzelne Arbeitstechniken<strong>de</strong>r Journalisten in <strong>de</strong>r Fiktion gezeichnetwer<strong>de</strong>n.Zunächst wer<strong>de</strong> ich versuchen, die vielen Einzelschil<strong>de</strong>rungenzusammenzutragen und typische bzw. ungewöhnliche Darstellungenzu zeigen. Daneben wer<strong>de</strong> ich Vermutungen anstellen,warum bestimmte Details in <strong>de</strong>r Fiktion auftauchen undwelche Absicht die Autoren mit <strong>de</strong>ren Darstellung verfolgen.4.1. MedientechnikTechnische Zusammenhänge wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n untersuchten Erzähltextenweitaus seltener thematisiert als es <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Realitätstark technisierte Arbeitsplatz <strong>de</strong>s Journalistenvermuten ließe.Autoren, die sich vorrangig als Schriftsteller verstehen,geben <strong>de</strong>n wenigsten Einblick in die Medientechnik. HeinrichBöll etwa setzt schon in seiner 1958 erschienenen Satire"Doktor Murkes gesammeltes Schweigen" 113 ) voraus, daß <strong>de</strong>rLeser mit <strong>de</strong>r Einrichtung eines Rundfunkstudios vertrautist und <strong>de</strong>shalb weiß, daß <strong>de</strong>r Sprecher durch einschalldichtes Glasfenster von Redakteur und Toningenieurgetrennt ist:"(...) Murke beobachtete durch die Glaswand hindurchkaltblütig, wie Bur-Malottke sich quälte; dann schalteteer plötzlich Bur-Malottke aus, brachte das ablaufen<strong>de</strong>Band, das Bur-Malottkes Worte aufnahm, zumStillstand und wei<strong>de</strong>te sich daran, Bur-Malottke stummwie einen dicken, sehr schönen Fisch hinter <strong>de</strong>r Glaswandzu sehen." 114 )Im Vergleich <strong>de</strong>r Sen<strong>de</strong>kabine mit einem Aquarium wird dieser113) Heinrich Böll: Doktor Murkes gesammeltes Schweigen,in: Heinrich Böll: Doktor Murkes gesammeltes Schweigen,Satiren, Köln 1958, hier Köln 1987, S. 9-51114) ebenda, S. 19


Sachverhalt allerdings gleichzeitig anschaulich vor Augengeführt.Ganz ähnlich arbeitet Martin Walser in seinem 1957 erstmalserschienenen Roman "Ehen in Philippsburg" 115 ). Nur wenn <strong>de</strong>rLeser die Studiotechnik mit ihren großen Tonbandgerätenkennt, wird ihm die Ironie <strong>de</strong>r ebenso naiv-einfachen wiewenig sachkundigen Beschreibung <strong>de</strong>utlich:"(...) <strong>de</strong>r [Intendant Dr. ten Bergen, P.B.] war mitihm durch die bunten Räume gegangen, in <strong>de</strong>nen weißeMäntel herumsaßen und auf kleine Metallkapseln einre<strong>de</strong>ten;durch enge Kabinen, in <strong>de</strong>nen gelangweilte Mädchenihre Hüften gegen lackierte Kommo<strong>de</strong>n lehnten, auf<strong>de</strong>nen sich was drehte; (...)." 116 )Mit <strong>de</strong>r übertrieben simplen Darstellung ver<strong>de</strong>utlicht Walserdie trotz Fachstudiums grenzenlose Ignoranz seines ProtagonistenHans Beumann, durch <strong>de</strong>ssen Augen <strong>de</strong>r Leser dieseFührung durch das Philippsburger Funkhaus miterlebt.Auch in späteren Erzähltexten schil<strong>de</strong>rn Böll und Walser nurwenig Medientechnik. In "Fürsorgliche Belagerung" 117 ) zeigtHeinrich Böll die Bedrohlichkeit einer Interviewsituation,in<strong>de</strong>m er "Mikrophone wie Handgranaten" 118 ) erscheinen läßt:die Medien wer<strong>de</strong>n reduziert auf Mikrophone, Kameras und gespitzteBleistifte. 119 ) Martin Walser thematisiert in seinenWerken zwar immer wie<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>n Journalismus 120 ), Medientechnikkommt jedoch nicht mehr vor.Drei weitere Autoren mit primär schriftstellerischemSelbstverständnis behan<strong>de</strong>ln in ihren hier untersuchten Romanendas Thema Technik: Friedrich Christian Delius in "EinHeld <strong>de</strong>r inneren Sicherheit" 121 ), Otto F. Walter in "Verwil<strong>de</strong>rung"122 ) und Jürgen Becker in "Erzählen bis Osten<strong>de</strong>" 123 ).Sehr kursorisch ist die Technikdarstellung bei Delius. Über115) Martin Walser: Ehen in Philippsburg. Roman, Frankfurta.M. 1957, hier Frankfurt a.M. 1985116) ebenda, S. 110117) Heinrich Böll: Fürsorgliche Belagerung, Roman, Köln1979, hier Köln 1982118) ebenda, S. 8119) ebenda, S. 11120) Neben "Ehen in Philippsburg" und "Ein fliehen<strong>de</strong>sPferd" beschäftigen sich noch weitere Erzähltexte Walsersam Ran<strong>de</strong> mit Journalisten.121) Friedrich Christian Delius: Ein Held <strong>de</strong>r ineren Sicherheit",Roman, Reinbek 1981, hier Reinbek 1984122) Otto F. Walter: Die Verwil<strong>de</strong>rung, Roman, Reinbek 1977,hier Reinbek 1983123) Jürgen Becker: Erzählen bis Osten<strong>de</strong>, Frankfurt a.M.1981, hier Frankfurt a.M. 1984


die Technik <strong>de</strong>r "Neuen Medien" wird in nur einem Satz hinweggegangen:"Kabel-Schmie<strong>de</strong> schüchterte die Run<strong>de</strong> zwei Miuten langein mit seinen Kenntnissen vom Fortschritt bei schmalbandigenund breitbandigen Netzen, bei Halbleiterschaltkreisenund Laserglasfaserkabeln. 124 )Durch die Anhäufung von Fachbegriffen wird die Technik geheimnisvollstatt verständlich, <strong>de</strong>r Kabel-Spezialist JürgenSchmie<strong>de</strong> vermittelt in <strong>de</strong>r geschil<strong>de</strong>rten Konferenz <strong>de</strong>n Kollegen- und damit auch <strong>de</strong>m Leser - ein bedrohliches Bild<strong>de</strong>r Neuentwicklungen. Dieser bedrohliche Eindruck wird nochdurch <strong>de</strong>n Vergleich mit <strong>de</strong>r Kernkraft unterstrichen, "(...)die Entscheidung über die neuen Medien sei be<strong>de</strong>utsamer alsdie Frage <strong>de</strong>r Kernenergie." 125 )Otto F. Walter behan<strong>de</strong>lt in einem einmontierten Gedankenmonologeines (sonst handlungsfrem<strong>de</strong>n) Setzers die Folgen <strong>de</strong>rRationalisierung in <strong>de</strong>r Zeitungsredaktion:"Fünfunddreißig Jahre lang bist du Setzer in einund<strong>de</strong>rselbenFirma, zwanzig davon an <strong>de</strong>r Linotype. Terminalsnennen sie das. Drei Terminals wer<strong>de</strong>n nächste Wocheangeliefert, hat Bohrer gesagt. Ja, fast so wieein Fernseher sehen die aus. Die wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Redaktionan <strong>de</strong>n Terminals sitzen und ihre Befehle eingeben,und bei uns unten braucht's dann keine Setzermehr. Fotosatz, alles elektronisch gesteuert, verstehstdu? (...) Der elektronische Fotosatz, hat Bohreruns gesagt, ist dreihun<strong>de</strong>rtmal schneller als <strong>de</strong>rschnellste von euch. Und, verstehst du, fehlerfrei,hat er zu mir gesagt." 126 )Auch hier ist die Technik bedrohlich, obwohl sie zunächstvereinfacht erklärt wird. Walter erreicht diese Vereinfachung,in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n offenbar nicht sehr versierten Setzerin Gedanken seine Frau die neue Technik erklären läßt.Allerdings gibt <strong>de</strong>r Text keinen Einblick in Zusammenhängeund man bekommt, wenn man nicht über Vorwissen verfügt, nur124) F. C. Delius: Ein Held <strong>de</strong>r inneren Sicherheit, a.a.O.,S. 138125) ebenda126) Otto F. Walter: Die Verwil<strong>de</strong>rung, a.a.O., S. 39;Linotype ist <strong>de</strong>r Markenname einer mechanischen Bleisatzmaschine,mit <strong>de</strong>r zeilenweise Druckzeilen gegossenwer<strong>de</strong>n können. Siehe Heijo Klein: DuMonts kleinesSachwörterbuch <strong>de</strong>r Drucktechnik und grafischen Kunst,Köln 5 1981


ein naives Verständnis <strong>de</strong>r neuen Satztechnik: Computerterminalund Fernseher haben schließlich nur <strong>de</strong>n Bildschirmgemeinsam.Bedrohlich sind die Computerterminals bei Walter aufgrundihrer nicht direkt verständlichen Eigenschaften <strong>de</strong>r Zuverlässigkeitund Schnelligkeit, in<strong>de</strong>m sie die Arbeit <strong>de</strong>s Setzersübernehmen und ihn Arbeitslos machen.Vergleichbar wird die Einführung <strong>de</strong>s Computers auch beiJürgen Becker dargestellt. Die eigentlichen technischen Apparaturen,die "Geräte" bleiben zunächst unerklärt und damitgeheimnisvoll. 127 ) Becker geht aber wenigstens <strong>de</strong>utlicherauf die Vorteile <strong>de</strong>r neuen Technik ein:"Die Geräte wer<strong>de</strong>n entwickelt, und wenn sie fertigentwickelt sind, sind sie da und müssen aufgestelltwer<strong>de</strong>n. (...) Überall dorthin, wo Bedarf ist. (...)Bedarf nach rascherem Eingang, unmittelbarer Wahrnehmung,sofortigem Ausdruck, direkter Weitergabe undlangfristiger Speicherung neuer Nachrichten. 128 )Auch bei Becker wird die Entwicklung von <strong>de</strong>n Redakteurenbedrohlich empfun<strong>de</strong>n, sie scheint unbeeinflußbar und unverstan<strong>de</strong>nvor ihren Augen stattzufin<strong>de</strong>n und gefähr<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n eigenenArbeitsplatz, <strong>de</strong>nn "(...) wo ein neues Gerät steht,ist kein Platz mehr für <strong>de</strong>n Kollegen da." 129 )Auch die Autoren mit journalistischer Berufserfahrung gebennur an wenigen Stellen Einblicke in die Technik. Wo siedies jedoch tun, gehen sie entwe<strong>de</strong>r ganz selbstverständlichmit ihr um - wie etwa die Protagonistin Anna Marx in ChristineGräns "Nur eine läßliche Sün<strong>de</strong>" 130 ) mit ihrem Computer- o<strong>de</strong>r sie setzen fachspezifisches Vorwissen voraus undverwen<strong>de</strong>n Fachtermini aus <strong>de</strong>m journalistischen Berufsalltag.Die Klatschkolumnistin Anna Marx geht wohl am unkompliziertestenmit neuer Redaktionstechnik um. In ihrerZeitschriftenredaktion gehört <strong>de</strong>r Computer schon zum Alltag,manchmal hat sie sogar das Gefühl, daß er ein Eigenlebenhat:"(...) bis zum nächstenmal, wenn ihr <strong>de</strong>r Chefredakteurim Nacken saß und <strong>de</strong>r Computer sie anstarrte und127) Erst an späterer Stelle wird mit "Datensichtgeräte"eine Präzisierung vorgenommen (siehe Jürgen Becker,a.a.O., S. 58).128) Jürgen Becker, Erzählen bis Osten<strong>de</strong>, a.a.O., S. 37129) ebenda130) Christine Grän: Nur eine läßliche Sün<strong>de</strong>, Thriller(Kriminalroman), Hamburg 1988


sagte: Füttere mich, Klatschklatsch, ich braucheStoff, und du bist zu nichts an<strong>de</strong>rem da, als mich und<strong>de</strong>n Verleger und die Leser zu befriedigen." 131 )Christine Grän kommt als einzige Journalistin in ihrem Romanohne Fachbegriffe aus.Otto Jägersberg beschreibt in seiner Erzählung "DerFernsehreporter unterwegs, hoppla" 132 ) die Produktion einesFernsehbeitrags im Schnei<strong>de</strong>raum schon in Anklängen journalistischerFachsprache:"Ansonsten wissen Kameramann und Cutterin allein, wieman so einen Bericht zusammenstaucht. (...) Das Materialläuft aus, die Vogel [Name <strong>de</strong>r Cutterin, P.B.]stoppt <strong>de</strong>n leerlaufen<strong>de</strong>n Teller, stülpt sich <strong>de</strong>nweißen Handschuh über die Schnippelrechte und willsich ins Handwerk stürzen. 133 )In diesem Studio wird also noch konventionell mit Zelluloidproduziert; vom Leser wird verlangt, daß er <strong>de</strong>n Vorgang <strong>de</strong>sFilmschnitts vor Augen hat und mit <strong>de</strong>n Bezeichnungen "Cutterin"und "Teller" in diesem Zusammenghang etwas anfangenkann. Weitere Fachbezeichnungen wie z.B. "Take" folgen. 134 )Auch in an<strong>de</strong>ren Erzähltexten journalistisch erfahrener Autorenfin<strong>de</strong>n sich medienspezifische Fremdworte für technischeVerfahren und Einrichtungen. So wer<strong>de</strong>n in Hermann131) ebenda, S. 56132) Otto Jägersberg: Der Fernsehreporter unterwegs, hoppla,in: Otto Jägersberg: Der letzte Biß. Geschichtenaus <strong>de</strong>r Gegenwart, Zürich 1977, hier Zürich 1988,S. 130-149133) ebenda, S. 134134) Cutterin ist die Schnitttechnikerin, "Teller" bezeichneteine <strong>de</strong>r horizontal angeordneten Filmspulen <strong>de</strong>sSchnei<strong>de</strong>geräts, "Take" ist ein Filmstreifen mit einerEinzelszene. Siehe: Manfred Buchwald: DarstellungsundSen<strong>de</strong>formen, in: Gerhard Schult / Axel Buchholz(Hrsg.): Fernsehjournalismus. Ein Handbuch für Ausbildungund Praxis, München 2 1984, S. 303


Kants "Impressum" 135 ) die zeitungstypischen Begriffe "Umbruch"und "Andruck" kommentarlos verwen<strong>de</strong>t 136 ), und in RainerHorbelts "Das Projekt E<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Die große Lüge <strong>de</strong>rFernseh-Macher" tauchen technische Abkürzungen wie "BIGFON"und "CPU" auf. 137 )Gelegentlich wer<strong>de</strong>n die Fachbegriffe jedoch auch erklärt.So bei Mathias Nolte die Bezeichnung "Morgenlatte" in seinemRoman "Großkotz" 138 ):"Als Irena unser Büro verließ, kam die Sekretärin vonTim Baecker herein und brachte uns die Morgenlatte.Das ist die Liste <strong>de</strong>r anstehen<strong>de</strong>n Themen, die an einemTag erledigt wer<strong>de</strong>n müssen." 139 )Eine nur für Medien-Insi<strong>de</strong>r verständliche Gruppensprache benutzenstellenweise die Autoren <strong>de</strong>r untersuchten Trivialromane.In Herbert Lichtenfelds "Die Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Löwen" 140 ) wer<strong>de</strong>nnoch lediglich technische Fachbegriffe aus <strong>de</strong>r Setzerei gehäuftverwen<strong>de</strong>t:"Unser Chefmetteur ist neulich mit <strong>de</strong>m Winkelhaken aufeinen Maschinensetzer los. Streß infolge135) Hermann Kant: Impressum, Roman, Neuwied und Berlin1972136) Der Begriff "Umbruch" (ebenda, S. 20) bezeichnet imHochdruck das Zusammenstellen <strong>de</strong>s Schriftsatzes in Kolumnen(=Schriftsatz-Seite) für <strong>de</strong>n Druck; "Andruck"(S. 409) ist die Bezeichnung für <strong>de</strong>n ersten Abdruck<strong>de</strong>s Klischees (=Druckwalze) bei maschinellen Druckverfahren(siehe entsprechen<strong>de</strong> Begriffe in: Heijo Klein:DuMont's kleines Sachwörterbuch <strong>de</strong>r Drucktechnik undgrafischen Kunst, a.a.O.137) Rainer Horbelt: Das Projekt E<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Die große Lüge<strong>de</strong>r Fernseh-Macher, Tatsachenroman, Frankfurt a.M.1984. "BIGFON" (S. 50) ist die Abkürzung von "BreitbandigesIntegriertes Glasfaser-Fernmel<strong>de</strong>-Orts-Netz",ein geplantes Netz <strong>de</strong>r Deutschen Bun<strong>de</strong>spost, in dasalle Kabelnetze integriert wer<strong>de</strong>n sollen. "CPU"(S. 106) ist die Abkürzung für "Central ProcessingUnit" ("zentrale Verarbeitungseinheit") und bezeichnet<strong>de</strong>n Verarbeitungsprozessor eines Computers. Er übernimmtdie zentrale Ablaufsteuerung <strong>de</strong>s gesamten Systems.Meist ist die CPU als Mikroprozessor auf einem'Chip' realisiert. (Quelle: Brockhaus Enzyklopädie in24 Bän<strong>de</strong>n, 19. völlig neu bearbeitete Auflage, Mannheim1988)138) Mathias Nolte:Großkotz. Ein Entwicklungsroman, Zürich1984139) ebenda, S. 208140) Herbert Lichtenfeld; Die Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Löwen, Roman,Berlin 1985


Überstun<strong>de</strong>n." 141 )An<strong>de</strong>rs in "Big Story" von Franz Josef Wagner 142 ). NebenFachbegriffen wie "Cutter", "<strong>de</strong>adline" 143 ), "Weichzeichner"und "Konverter" 144 ) wird eine Vielzahl von Markenbezeichnungenvon Film- und Fotogeräten beutzt. Es ist zum Beispieldie Re<strong>de</strong> von einer "Mini-Eclair", einem "MD4-Motor" 145 ) undKameras mit <strong>de</strong>n Bezeichnungen "FE" und "F2 " 146 ).Einmalig im Untersuchungsmaterial ist die direkte Übernahmevon Computersprache in Rainer Horbelts Roman "Das ProjektE<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Die große Lüge <strong>de</strong>r Fernseh-Macher". Computerbefehleund -ausgabezeilen wer<strong>de</strong>n quasi vom Bildschirmübernommen. Für das vollständige Verstehen dieser Romanpassagenist Grundwissen in einer Computersprache unerläßlich,<strong>de</strong>nn sonst wird kaum jemand mit Zeilen wie:"PRINT 'EINGABE HAUSHALTSGROESSE PERSONEN'INPUT PLET P < 3 " 147 )etwas anfangen können. Offenbar will Horbelt mit <strong>de</strong>r Einmontagevon Computersprache in <strong>de</strong>n Erzähltext mögliche Folgen<strong>de</strong>s Computerzeitalters vor Augen führen: Die eigentlichprimitive Computerlogik könnte eines Tages das Denken und141) ebenda, S. 236; Der Metteur führt <strong>de</strong>n Umbruch (sieheoben) durch, Winkelhaken ist die im Handsatz benutztewinkelförmige Schiene, in <strong>de</strong>r die Buchstaben zu einerZeile gesetzt wer<strong>de</strong>n. Siehe entsprechen<strong>de</strong> Begriffebei: Heijo Klein: Sachwörterbuch <strong>de</strong>r Drucktechnik undgrafischen Kunst, a.a.O.142) Franz Josef Wagner: Big Story, Roman, Berlin 1984143) ebenda, S. 16 bzw. 240; "Deadline" bezeichnet <strong>de</strong>nAbgabetermin für die fertige Story.144) ebenda, S. 191; "Weichzeichner" ist eine geschliffeneVorsatzlinse, die die Konturen <strong>de</strong>s fotografierten Objektsweicher erscheinen läßt ('künstlerische Unschärfe'),ein "Konverter" verän<strong>de</strong>rt - zwischen Kamera undObjektiv geschraubt - die Brennweite. (Quelle: BrockhausEnzyklopädie in 20 Bän<strong>de</strong>n, 17. völlig neubearbeiteteAuflage, Wiesba<strong>de</strong>n 1970ff.)145) ebenda, S.16; "Mini-Eclair" = kleine Filmkamera, "MD4-Motor" = schneller Filmtransportmotor für eine"Nikon"-Fotokamera146) ebenda, S.191; Bei<strong>de</strong> Bezeichnungen für Geräte <strong>de</strong>r Firma"Nikon".147) Rainer Horbelt, Das Projekt E<strong>de</strong>n..., S. 105


Leben <strong>de</strong>r Menschen wesentlich bestimmen und <strong>de</strong>n Mediennutzernurmehr zum überwachten Konsumenten machen. 148 )Allerdings wird dieser Zusammenhang im Roman nicht sehr<strong>de</strong>utlich.4.2. Einblicke in die RedaktionDie differenziertesten Beschreibungen <strong>de</strong>s journalistischenArbeitsplatzes und <strong>de</strong>r Kollegen in <strong>de</strong>r Fiktion fin<strong>de</strong>n sichbei Autoren mit journalistischer Berufserfahrung. So liefernWolfgang Ebert und Jürgen Breest die <strong>de</strong>tailreichstenAbbildungen <strong>de</strong>r jeweiligen Redaktion <strong>de</strong>s Protagonisten.Ebert stellt im Verlauf seines satirischen Romans "DerBlattmacher" 149 ) eine komplette Zeitungsredaktion vor. Neben28 redaktionellen Mitarbeitern wer<strong>de</strong>n sogar die Angestelltenan <strong>de</strong>r Pforte, im Archiv und bei <strong>de</strong>r Fahrbereitschaft<strong>de</strong>s Verlags eingeführt.Der Ich-Erzähler Dohl (er beklei<strong>de</strong>t die Position <strong>de</strong>s Chefsvom Dienst in <strong>de</strong>r Nachrichtenredaktion) kommentiert dievorkommen<strong>de</strong>n Personen jeweils mit Bemerkungen zu Aussehen,beson<strong>de</strong>ren Eigenheiten und vermeintlichen Karrierewünschen.Ein eindringliches Beispiel ist die Einschätzung <strong>de</strong>s"Seite 3" - Redakteurs Brocker:"Der gera<strong>de</strong>zu penetrant laute, immer lachen<strong>de</strong>, schulterklopfen<strong>de</strong>Brocker (...) hatte es, als Sohn eineskleinen Postbeamten irgendwo im Böhmischen, auch nötiger,sich überall anzubie<strong>de</strong>rn und sich hervorzutun,<strong>de</strong>nn er hatte sich über <strong>de</strong>n zweiten Bildungsweg vonunten heraufarbeiten müssen, was allen Respekt verdient,aber das Rückgrat nicht unbeschädigt läßt." 150 )Daß Dohls Selbstbild und seine hämische Kollegenschelte wenigverläßlich sind, bemerkt <strong>de</strong>r Leser bald und macht dieSatire dieses Romans aus. Die Einschätzung <strong>de</strong>r Redaktion:"Wir waren eine Manschaft von durch die Bank prächtigenKerlen und hielten zusammen wie Pech und Schwefel(...)"wird <strong>de</strong>nn auch umgehend relativiert:148) Die Computersprache-Zitate erscheinen nur in <strong>de</strong>nPassagen <strong>de</strong>s Romans, die sich mit einer Medien-Zukunftsvisionbefassen.149) Wolfgang Ebert: Der Blattmacher, Satirischer Roman,München 1983150) ebenda, S. 15


"(...) aber für kaum einen unter uns hätte ich meineHand ins Feuer gelegt, wenn die Versuchung an ihn heranträte,sich durch eine kleine Infamie einen Vorteilzu ergattern." 151 )Und diese Skepsis ist begrün<strong>de</strong>t. Denn ganz entgegen <strong>de</strong>mwohl gehüteten äußeren Schein, <strong>de</strong>r gegenseitige Schonunginnerhalb <strong>de</strong>r Redaktion verheißt 152 ), ist die Redaktion geprägtvon Intriegen, Hinterhältigkeiten und Heuchelei. Niemandwill sich Blößen geben, offen gere<strong>de</strong>t wird nur überewig gleiche Scheinthemen:"Ob einer nicht mehr rauchte, rückfällig gewor<strong>de</strong>n war,vom ersten <strong>de</strong>s Monats an nie mehr eine Zigarette anrührenwür<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r nun immerhin schon acht Monate ohneZigarette durchgehalten hatte, allerdings unter schwerenEntzugserscheinungen, das war unter Kollegen eines<strong>de</strong>s [muß "<strong>de</strong>r" heißen, P.B.] Lieblingsthemen, ähnlichbeliebt wie Fußballbun<strong>de</strong>sliga o<strong>de</strong>r Bandscheibenprobleme."153 )Die zur Schau gestellte Vertraulichkeit und Kollegialitäthat z.B. ein schnelles En<strong>de</strong>, wenn es um die Darstellung <strong>de</strong>rPosition innerhalb <strong>de</strong>r Redaktionshierarchie geht."Es hat schon seine guten Grün<strong>de</strong>, wenn es bei uns mit<strong>de</strong>r Sitzordnung sehr streng gehandhabt wird. Ich binsehr für die Demokratie, aber gegen je<strong>de</strong> Übertreibung."154 )Nicht annähernd so klar verlaufen die Fronten zwischenSchein und Realität bei Jürgen Breest.Er beschreibt in seinem Roman "Dünnhäuter" 155 ) zunächst dieEinbindung <strong>de</strong>s Fernsehabteilungsleiters Feldmann in die Hirarchieseiner arbeitgeben<strong>de</strong>n Rundfunkanstalt. Dabei wer<strong>de</strong>ndie Untergebenheitsverhältnisse zwischen Inntendant,Chefredaktion und Abteilung so ausführlich und mit Beispielenerläutert, daß ein differenziertes Bild <strong>de</strong>r gespanntenSituation im Sen<strong>de</strong>r entsteht.Breest arbeitet dabei an<strong>de</strong>rs als Ebert mit <strong>de</strong>m doppeltenBlickwinkel <strong>de</strong>r Innen- und Außenperspektive: Mehrfach wer<strong>de</strong>nSituationen und Begebenheiten, die <strong>de</strong>n hierarchischen151) ebenda, S. 13152) "(...) das ungeschriebene Gesetz unserer Redaktion,sich gegenseitig zu schonen (...)", siehe ebenda,S. 34153) ebenda, S. 29154) das Zitat ist bezogen auf eine Redaktionskonferenz;ebenda, S. 54155) Jürgen Breest: Dünnhäuter, Roman, Frankfurt am Main1981


Kleingeist beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich vor Augen führen, durch <strong>de</strong>nallwissen<strong>de</strong>n Erzähler zunächst vorgeführt:"Sattler war auf <strong>de</strong>r letzten Redaktionskonferenz völligbetrunken erschienen. Zunächst hatte er sich zusammengenommenund <strong>de</strong>n Mund gehalten, sich aber dannimmer häufiger gemel<strong>de</strong>t, Unsinn gere<strong>de</strong>t und schließlich,nach<strong>de</strong>m Wehrenberg ihm mehrmals <strong>de</strong>utlich seinMißfallen zu verstehen gegeben hatte, unmotivierte Attackengegen Wehrenberg und <strong>de</strong>n Chefredakteur geritten.Nach <strong>de</strong>r Sitzung hatte Wehrenberg Feldmann undSattler zu sich rufen lassen. Er hatte Sattler fertiggemacht,aber auch durchblicken lassen, daß Feldmannals Vorgesetzter von Sattler mitverantwortlichwäre." 156 )Im Anschluß wer<strong>de</strong>n die Gedankengänge Feldmanns referiert,also die Vorfälle aus <strong>de</strong>r subjektiven Sicht <strong>de</strong>s Protagonistenkommentiert:"Bin ich sein Kin<strong>de</strong>rmädchen? hätte Feldmann gern gefragt,aber er hatte geschwiegen. Was hätte er tunsollen? Wenn er Sattler von <strong>de</strong>r Sitzung fernhaltenwollte, mußte er ihn fesseln o<strong>de</strong>r einsperren. Im Suffwar Sattler beson<strong>de</strong>rs störrisch. Außer<strong>de</strong>m hatte erauch ein gewisses Verständnis für Sattlers Auftritt."157 )Mit dieser Technik wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Leser zunächst unkommentiertVorkommnisse geschil<strong>de</strong>rt, zu <strong>de</strong>nen dann Bewertungen hinzugefügtwer<strong>de</strong>n, die die Eindrücke und Gefühle Feldmannsver<strong>de</strong>utlichen. Durch die eingeschobenen rhetorischen Fragenwird die Unsicherheit Feldmanns ange<strong>de</strong>utet und seine problematischeEinbindung in die Hierarchie <strong>de</strong>s Sen<strong>de</strong>rs ver<strong>de</strong>utlicht.158 )Der Erzähler nimmt dabei immer eine Position zwischen Leserund Protagonist ein. Zwar ist er in Bezug auf Feldmann allwissendund schil<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>ssen Gefühle und Gedanken, oftrückt er aber auch von dieser distanzierten Innenperspektiveab und beschreibt Feldmann nur von außen:"Er re<strong>de</strong>te vom Streß im Sen<strong>de</strong>r, von <strong>de</strong>r allgemeinenUnterdrückung in unserer Gesellschaft, von <strong>de</strong>r Funktion<strong>de</strong>s Urlaubs als Regenerationspause bis zur nächstenPhase <strong>de</strong>r Ausbeutung usw. (...)." 159 )156) ebenda, S. 18157) ebenda158) Feldmanns Rolle ist doppelt problematisch, einerseitshat er selbst Kritik gegen die Bürokratie und Machtstrukturen<strong>de</strong>s Sen<strong>de</strong>rs, an<strong>de</strong>rerseits muß er als Abteilungsleitereben diese verteidigen.159) Jürgen Breest: Dünnhäuter, a.a.O., S. 27


Damit rückt Feldmann auf eine Stufe mit seinen Kollegen,die genauso von außen beschrieben wer<strong>de</strong>n. Er ist quasiFallbeispiel und Gradmesser für die Konflikte in <strong>de</strong>r Redaktion,die durch die vielen Nebenfiguren <strong>de</strong>s Romans nochdifferenziert wer<strong>de</strong>n.Auch in <strong>de</strong>n meisten an<strong>de</strong>ren untersuchten Erzähltexten wer<strong>de</strong>nInterna aus <strong>de</strong>r Redaktion beschrieben, die Stellung undSelbstbild <strong>de</strong>s Protagonisten ver<strong>de</strong>utlichen und gleichzeitigdie Machtstrukturen in Medienbetrieben zeigen.Fast immer wer<strong>de</strong>n einzelne Redakteure vorgestellt, sie sindmeist positive o<strong>de</strong>r negative Vorbil<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r Gegenspieler<strong>de</strong>r Erzählfigur.Wer<strong>de</strong>n Vorbil<strong>de</strong>r geschil<strong>de</strong>rt, so verbin<strong>de</strong>n die Autoren mit<strong>de</strong>r Darstellung oft auch aufklärerische Absichten. Mit <strong>de</strong>rvorgestellten Figur wird <strong>de</strong>r typische o<strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ale Medienarbeitergezeigt, <strong>de</strong>r Leser erhält Einblick in die sonstnicht einsehbare "black box" <strong>de</strong>r Redaktion.So zeigt Michael Springer in seinem Roman "Bronnen" 160 ) in<strong>de</strong>r Figur <strong>de</strong>s Redakteurs Koll einen typischen Vertreter <strong>de</strong>sLokalzeitungsgewerbes. Koll ist ein erfahrener Redakteur,<strong>de</strong>r seine Berichte mit einem Minimalaufwand von Recherchenproduzieren kann, er ist in <strong>de</strong>r Lage, winzige Nachrichtenzu großen Storys zu verarbeiten. Gegenüber seinem neuenKollegen Seebaum propagiert er seine Arbeitsweise:"'Aber Sie sehen: Fakten im Kopf haben, (...) einbißchen Routine, dann schreiben Sie Berichte, ohne vomSchreibtisch wegzumüssen. Zack zack!'" 161 )Seebaum nimmt diese Arbeitseinstellung als positives Vorbild,"so stellte auch er sich die Arbeit <strong>de</strong>s Reportersvor." 162 )In <strong>de</strong>r Figur <strong>de</strong>s Koll wer<strong>de</strong>n Seebaums neue Aufgaben ver<strong>de</strong>utlicht.Während <strong>de</strong>r umgängliche und hilfsbereite KollSeebaum in <strong>de</strong>n Journalismus einführt, erfährt auch <strong>de</strong>r Leser,was in einer Lokalredaktion passiert. Koll erfülltalso für <strong>de</strong>n Autor die Funktion eines Vermittlers.Unkritisch und mo<strong>de</strong>hörig wer<strong>de</strong>n die negativen Vorbil<strong>de</strong>rdargestellt. Sie verkörpern die gewissenlose und wichtigtuerischeSeite <strong>de</strong>s Journalismus. Christoph Meckel stelltdiesen unkritischen Journalistentypus in seiner Erzählung"Licht" 163 ) vor:160) Michael Springer: Bronnen, Roman, Hamburg 1983161) ebenda, S. 59162) ebenda, S. 61163) Christoph Meckel: Licht, Erzählung, Frankfurt a. M.


"Die Kollegen von <strong>de</strong>r Presse sind ja ziemliche Pu<strong>de</strong>l,eigentlich trostlos mit ihren Mo<strong>de</strong>frisuren, immer dasrichtige Wort im Bart, garantiert international - unddie an<strong>de</strong>ren, die Leute, mit <strong>de</strong>nen wir es zu tun haben!Flotte Pokernasen aus einer jungen Branche, eingekniffeneBäuche, Zweizehntelprominenz, häufig auf Spesenrechnung,pressehörig, öffenntlichkeitsbewußt, sonoreTrompeten im Abendanzug." 164 )Diese Kollegen passen sich offenbar <strong>de</strong>m Gegenstand ihrerBerichterstattung - <strong>de</strong>n Reichen und Mächtigen - an und re<strong>de</strong>nihnen nach <strong>de</strong>m Mun<strong>de</strong>. Obwohl diese Art <strong>de</strong>s Journalismuseine Gefahr für das Ansehen <strong>de</strong>r Presse ist, wird sie von<strong>de</strong>n Redakteuren, die ihren Beruf ernst nehmen, nur belächelt,in vielen Erzähltexten fin<strong>de</strong>n sich entsprechen<strong>de</strong>ironische Passagen über das "Karriere-Gezappel" 165 ), so auchbei Meckel:"Das selbstgerechte Metropolgehabe, die Kinnla<strong>de</strong>n von<strong>de</strong>r Presse, die gewaltige Eitelkeitsnasen - das istdoch alles ziemlich komisch, diese Krawattenmentalitätmit Haifischpraxis, die Empfänge und Konferenzen, dasganze Gerangel (...)." 166 )Dieses Beispiel zeigt, wie schonungslos die Kollegen in <strong>de</strong>rRedaktion miteinan<strong>de</strong>r umgehen und übereinan<strong>de</strong>r re<strong>de</strong>n. JürgenBecker stellt die harten Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen innerhalb<strong>de</strong>r Redaktion überspitzt als Schießereien dar, man gehtvoreinan<strong>de</strong>r in Deckung und vermei<strong>de</strong>t, unliebsamen Kollegenin die Arme zu laufen:"Einige hatten mit einer Schießerei angefangen. Wirzielten genau und schossen sofort zurück. (...) Ehewir <strong>de</strong>n Aufzug, die Toiletteenräume, die Teeküche betraten,vergewisserten wir uns, daß nicht jemand schondastand. (...)" 167 )Fast durchweg als Gegenspieler <strong>de</strong>r Protagonisten wer<strong>de</strong>nihre Vorgesetzten dargestellt. Intendanten, Direktoren undChefredakteure bestimmen darüber, welche Aufgaben ein Redakteurzugeteilt bekommt und ob und wie er die Ergebnisseseiner oft langwierigen o<strong>de</strong>r gefahrvollen Recherchen veröffentlichendarf. Wie ein Redakteur mit seinem Chef auskommt,ist von zentraler Wichtigkeit für seine Arbeit undKarriere. Deshalb wird oft ausführlich gezeigt, welches1980, hier Frankfurt a.M. 1988164) ebenda, S. 53165) Barbara Frischmuth: Kai und die Liebe zu <strong>de</strong>n Mo<strong>de</strong>llen,Roman, Wien 1979, hier: München 1981, S. 97166) Christoph Meckel: Licht, a.a.O., S. 71167) Jürgen Becker, Erzählen bis Osten<strong>de</strong>, a.a.O., S. 162


Bild <strong>de</strong>r Protagonist von seinem Chef hat.Jürgen Breest läßt <strong>de</strong>n Redakteur Feldmann anläßlich einesWechsels in <strong>de</strong>r Verwaltungsspitze seiner Sen<strong>de</strong>anstaltdarüber spekulieren, wie <strong>de</strong>r neue Mann wohl einzuschätzensei:"Es war vom neuen Verwaltungsdirektor seines Sen<strong>de</strong>rsdie Re<strong>de</strong>. Intendant Fahrenholz hatte <strong>de</strong>n erst dreißigjährigenJuristen Dr. Harald Bremer aus <strong>de</strong>r Rechtsabteilungzum Direktor berufen, gegen heftigen Protestaus <strong>de</strong>r Belegschaft und gegen die Be<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>s Rundfunkrats.Bremer war somit <strong>de</strong>r jüngste Direktor aller<strong>de</strong>utscher Rundfunk- und Fernsehanstalten. (...) Bremerwar nicht sein Freund. Sie hatten mehrmals wegen juristischerProbleme seiner Sendungen miteinan<strong>de</strong>r zu tungehabt und sich auf Anhieb nicht gemocht. Bremer, <strong>de</strong>rKarrierist, wie er im Buche stand. Es ging ihm nie umSendungen, um Inhalte, son<strong>de</strong>rn nur darum, wie er alsJurist am besten wegkam und am meisten auffiel. Feldmannhatte ihm einmal im Zorn die Fähigkeit abgesprochen,bei journalistischen Fragen mitre<strong>de</strong>n zu können.Sei<strong>de</strong>m waren sie sich nur noch mit eisiger Höflichkeitbegegnet. Dieser Mann war also <strong>de</strong>r Intimus <strong>de</strong>s Intendanten.Und jetzt auch noch mit <strong>de</strong>r nötigen Macht ausgestattet.Feldmann hatte Magenschmerzen." 168 )Feldmanns Befürchtungen bewahrheiten sich. Trotz<strong>de</strong>m seineKollegen zunächst zuversichtlich sind, <strong>de</strong>n neuen Direktor"ganz dufte" fin<strong>de</strong>n 169 ) und von ihm erwarten, daß er in dasProgramm "nicht reinre<strong>de</strong>n" wird 170 ), än<strong>de</strong>rt sich das Arbeitsklimain <strong>de</strong>r Sen<strong>de</strong>anstalt.Wehrenberg, Feldmanns direkter Vorgesetzter, setzt ihn zunehmendunter Druck und verbietet die Produktion eines vorbereitetenFilmbeitrags über eine KBW-Aktivistin. Feldmannvermutet hinter <strong>de</strong>r Entscheidung verän<strong>de</strong>rte politische Rahmenbedingungenim Sen<strong>de</strong>r, weil Wehrenberg keinen wirklichinhaltlichen Grund für die Absetzung präsentieren kann undsich einfach darauf zurückzieht, er könne und wolle <strong>de</strong>nFilm nicht verantworten: "Ich erteile die Drehgenehmigungnicht, das ist alles." 171 )Feldmann versucht, gegen diese Entscheidung anzukämpfen undspricht beim Intendanten vor. Aber er hat bereits verloren:Breest schil<strong>de</strong>rt schon die Gesprächsvereinbarung am Telefonmit einem so ironisch-distanzierten Unterton, daß sofortklar wird, wie Feldmann mit seinem Protest ins Leere läuftund sich lächerlich macht:168) Jürgen Breest: Dünnhäuter, a.a.O., S. 42f.169) Feldmanns Kollege Huxoll über Bremer, ebenda, S. 53170) Feldmanns Kollege Noltenius über Bremer, ebenda, S. 51171) ebenda, S. 63


"Er [<strong>de</strong>r Intendant Fahrenholz, P.B.] begrüßte Feldmannsehr höflich. Feldmann grüßte ebenso zurück. Fahrenholzfragte nach Feldmanns Urlaub. Feldmann dankte <strong>de</strong>rNachfrage und bezeichnete seinen Urlaub als sehr erholsam.Er wies auf das hervorragen<strong>de</strong> Wetter hin.(...)" 172 )Tatsächlich hat Feldmann keine Chance, gegen die Entscheidunganzugehen, wenn er auch schließlich von Wehrenberg dieGewißheit bekommt, daß die Ablehnung auf eine Verän<strong>de</strong>rung<strong>de</strong>s politischen Klimas zurückgeht, die durch neue Vorgesetztehervorgerufen wur<strong>de</strong>:"'Was habe ich ihnen getan, Herr Feldmann, daß Sie sogegen mich arbeiten? (...) Sie wissen, daß meine Positiondurch <strong>de</strong>n neuen Intendanten und durch Herrn Bremersehr schwierig gewor<strong>de</strong>n ist. Man wartet nur darauf,daß ich mir eine Blöße gebe.'" 173 )Als Feldmann sich weiter wehrt, wird er abserviert,schließlich kündigt er.Breest arbeitet in seinem Roman klar die bei<strong>de</strong>n Fronten imSen<strong>de</strong>r heraus: Auf <strong>de</strong>r einen Seite die Redakteure, diesich, wenn auch hart im Umgang, in begrenztem Rahmen beratenund auch mal einan<strong>de</strong>r helfen - auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seitedie für ihre Untergebenen unnahbar erscheinen<strong>de</strong>n Vorgesetzten,die karrierebestimmte Entscheidungen anhand journalistischunzweckmäßiger Kriterien treffen und eine unüberwindlicheMachtposition darstellen.Obwohl sein Protagonist auf Seiten <strong>de</strong>r Redakteure steht,differenziert Breest. Denn daß die Direktoren und Intendantendurchaus nicht selbstherrlich agieren können, weilsie ihrerseits in ein starres Machtgefüge eingebun<strong>de</strong>n sind,läßt er ebenfalls anklingen. Von Feldmann bedrängt, versuchtWehrenberg, die eigene Position zu verteidigen:"'(...) Und glauben Sie, <strong>de</strong>r Intendant fin<strong>de</strong>t es nichtzum kotzen, alle drei Jahre um die Gunst <strong>de</strong>r Rundfunkratsmitglie<strong>de</strong>rbuhlen zu müssen, irgendwelchen Politikernin <strong>de</strong>n Allerwertesten kriechen zu müssen, umwie<strong>de</strong>rgewählt zu wer<strong>de</strong>n? (...) Sie wissen genausogutwie ich, daß es politisch unabhängige Leute in <strong>de</strong>roberen Hierarchie <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Sen<strong>de</strong>r nicht mehrgibt.'" 174 )Ein so differenziertes Bild <strong>de</strong>s Verhältnisses zwischen Redakteurenund ihren Vorgesetzten fin<strong>de</strong>t man sonst in <strong>de</strong>n172) ebenda, S. 93173) ebenda, S. 116174) ebenda, S. 117


untersuchten Erzähltexten nicht. Oft wird <strong>de</strong>r Vorgesetzteals direkter Gegner <strong>de</strong>s Redakteurs vorgestellt, ohne daß<strong>de</strong>ssen Zwänge o<strong>de</strong>r Beweggrün<strong>de</strong> gezeigt wür<strong>de</strong>n.So schil<strong>de</strong>rt Rainer Horbelt in <strong>de</strong>n Tagebuchpassagen seinesTatsachenromans in fiktiver Überarbeitung zahlreiche tatsächlichin <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik beobachtete Handlungen vonIntendanten. Die Figur <strong>de</strong>s Intendanten wird dabei jedochimmer selbstherrlich und unpersönlich gezeichnet, Horbeltgeht es offenbar darum, die Front zwischen Intendant undseinen Untergebenen beson<strong>de</strong>rs kraß vor Augen zu führen undPartei für die Redakteure zu ergreifen:"Der INTENDANT beklagt 'in kleinem Kreise', daß er dasamerikanische Prinzip <strong>de</strong>s 'Hire und Fire' nicht sodurchführen kann, wie er es gern möchte. Und triffterste Personalentscheidungen: Eine nicht beim SENDERangestellte, somit freiberuflich tätige Mo<strong>de</strong>ratorineiner Talkshow wird gefeuert, als sie mit <strong>de</strong>m Innenministereiner 'großen <strong>de</strong>utschen Volkspartei' nicht achtungsvollumgeht." 175 )In an<strong>de</strong>ren Erzähltexten erscheint <strong>de</strong>r Chef nur als Auftraggeber,er wird als kühler Boß geschil<strong>de</strong>rt, <strong>de</strong>r klare Anweisungengibt und aus <strong>de</strong>m Hintergrund die Fä<strong>de</strong>n zieht. Soschon in Bölls "Doktor Murkes gesammeltes Schweigen":"'Innerhalb <strong>de</strong>r nächsten drei Wochen', sagte <strong>de</strong>r Intendant,nun wie<strong>de</strong>r sanft, 'möchte ich eine Sendungüber die Hun<strong>de</strong>seele hören.'" 176 )Und das ist ein Befehl, wie man an <strong>de</strong>r Reaktion <strong>de</strong>s Untergebenenablesen kann:'Jawohl', sagte Krochy, er hörte <strong>de</strong>n Klicks, mit <strong>de</strong>m<strong>de</strong>r Intendant <strong>de</strong>n Hörer aufgelegt hatte, seufzte tiefund sagte: 'O mein Gott!'"Auch bei Nicolas Born treten die Chefs nur als ferne Auftraggeberin Erscheinung:"Der Herausgeber und die Chefredakteure bedachten ihngern mit <strong>de</strong>n heikleren Aufträgen. Er machte seine Arbeitgut, nicht schlechter, seit ihm davor grauste.175) Rainer Horbelt: Das Projekt E<strong>de</strong>n..., a.a.O., S. 99 (imOriginal ganze Passage Kursiv); Anmerkung auf S. 352:"Sensburg [<strong>de</strong>r Tagebuchverfasser, P.B.] bezieht sichhier hauptsächlich auf Ereignisse beim SFB. Der IntendantLoewe hatte bereits in seiner Antrittsre<strong>de</strong> bedauert,daß bestimmte Mitarbeiter nicht finanziell abgefun<strong>de</strong>nwer<strong>de</strong>n könnten (...)".176) Heinrich Böll; Doktor Murkes gesammeltes Schweigen,a.a.O., S. 35


Offenbar wollte man in Hamburg ihm nichts anmerken." 177 )An<strong>de</strong>re Vorgesetzte geben sich kumpelhaft, halten das Zepteraber <strong>de</strong>nnoch fest in <strong>de</strong>r Hand und zeigen ihre Macht,solltees nötig sein, nicht weniger unerbittlich. So "Boß Becker"in Eckhart Schmidts "Die Story" 178 ):"'Schöne Story, schöne Story!' murmelte Becker mit undurchdringlicherMiene und warf Raoul einen schnellenBlick aus <strong>de</strong>n Augenwinkeln zu.Dann han<strong>de</strong>lte Boß Becker. Er zerriß das Manuskript. Erzerriß die größeren Teile <strong>de</strong>s Manuskripts zu kleinerenTeilen und zerriß die kleineren Teile in nochkleinere. Becker han<strong>de</strong>lte ohne je<strong>de</strong> Agression. (...)Mit <strong>de</strong>r Gelassenheit eines Mannes, <strong>de</strong>r weiß, was ertut, und <strong>de</strong>n keine Macht <strong>de</strong>r Welt daran hin<strong>de</strong>rn wür<strong>de</strong>,das für richtig Erkannte zu tun." 179 )Diese Chefs nehmen zuweilen eine Art Vaterrolle ein undverstehen es geschickt, ihre Mitarbeiter zu motivieren.Härte und positive Motivation wechseln sich ab und machen<strong>de</strong>n Vorgesetzten unangreifbar und liebenswert zugleich. DerReporter En<strong>de</strong>rs in F.J. Wagners "Big Story" erkennt diesesPhänomen in seltener Schärfe:"Was wirfst du Lupo vor? Seine Kälte, seine Eigenliebe,seine Lust am Erfolg, die Angst, die er verbreitet,die kaputten Seelen seiner Redaktion? Der Erfolggibt ihm Recht. Er macht ein gutes Blatt. Er motiviertseine Jungs, for<strong>de</strong>rt das Beste. Sie fühlensich gar nicht kaputtgemacht. Sonst wür<strong>de</strong>n sie ihmdoch <strong>de</strong>n Krempel vor die Füße schmeißen, o<strong>de</strong>r?(...)" 180 )Liebenswert präsentiert sich auch <strong>de</strong>r Chef <strong>de</strong>s ZeitungsredakteursKilian in Jurek Beckers "Aller Welt Freund"181).Gelbke ist sensibel für Kilians journalistische Problemeund versetzt ihn in die Sportredaktion zurück, aus <strong>de</strong>r ereinmal in die Nachrichtenredaktion gewechselt war. Kilianbehan<strong>de</strong>lt er wie einen Sohn:"Er sagt: 'Mein lieber Junge, ich habe mir Gedanken überSie gemacht. Wir wollen nicht lange herumre<strong>de</strong>n: ich habevor, Sie aus <strong>de</strong>n Nachrichten herauszunehmen.'" 182 )177) Nicolas Born: Die Fälschung, Roman, Reinbeck 1984,hier Reinbeck 1986178) Eckhart Schmidt: Die Story, Filmbuch, München 1984179) ebenda, S. 19180) F.J. Wagner: Big Story, a.a.O., S. 146f.181) Jurek Becker: Aller Welt Freund, Roman, Frankfurt a.M.1985182) ebenda, S. 167


Aber auch hier gilt letztlich das Wort <strong>de</strong>s Chefredakteurs.Die Einwän<strong>de</strong> Kilians wer<strong>de</strong>n höflich besprochen, aberschließlich bestimmt abgewiesen.Allerdings kann man bei einem so väterlichen Chef wohl kaumvon einem "Gegenspieler" sprechen, es han<strong>de</strong>lt sich eher umeine organisieren<strong>de</strong> und planen<strong>de</strong> Zentralfigur, die um Abwägungaller Positionen bemüht ist - auch wenn sie schließlichdas letzte Wort behält.In manchen <strong>de</strong>r untersuchten Erzähltexte zeigen die Autorenneben individueller Auseinan<strong>de</strong>rsetzung <strong>de</strong>s Journalisten mitKollegen und Vorgesetzten auch das Zusammenspiel <strong>de</strong>r ganzenRedaktion. Schauplatz solcher Schil<strong>de</strong>rungen sind die Orte,an <strong>de</strong>nen die Akteure beruflich zusammentreffen - also etwadie Redaktionskonferenz einer Zeitung - o<strong>de</strong>r die Kaffeeteria,Kantine o<strong>de</strong>r Stammkneipe, in <strong>de</strong>r sich die Journalistenzu eher privaten Gesprächen begegnen.Die Redaktionskonferenzen zeigen Kompetenzaufteilungen undVerhältnisse <strong>de</strong>r Redakteure untereinan<strong>de</strong>r und zum Chefredakteurnoch einmal beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich.Außer von Ebert 183 ) wird auch in Monika Marons"Flugasche" 184 ) und Mathias Noltes "Großkotz" 185 ) die strengeSitzordnung hervorgehoben, die Hierarchie also betont.Mehrere Autoren schil<strong>de</strong>rn die Atmoshäre vor und währendsolchen Sitzungen, die Redakteure beobachten einan<strong>de</strong>rgespannt und hoffen, daß keine unangenehmen Themen zurSprache kommen.In Nicolas Borns "Die Fälschung" schil<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Erzähler dieVorgänge, wie sie <strong>de</strong>r Auslandskorespon<strong>de</strong>nt Laschen in seinerHeimatredaktion erlebt. Er ist nur sehr selten bei solchenSitzungen anwesend und beobachtet daher unvoreingenommen:"Die Tür ging noch ein paarmal auf, und auf Zehenspitzennäherten sich Kollegen einem leeren Stuhl; sieschienen aufgewühlt o<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> noch einer wil<strong>de</strong>n Raufereientkommen, aber all ihre entschuldigen<strong>de</strong> Behutsamkeitverhin<strong>de</strong>rte nicht, daß sie von allen bereitsAnwesen<strong>de</strong>n angestarrt wur<strong>de</strong>n." 186 )Wolfgang Ebert schil<strong>de</strong>rt, wie ein unangenehmes Thema von<strong>de</strong>n Redakteuren in <strong>de</strong>r Konferenz zunächst umschifft wird,183) Wolfgang Ebert: Der Blattmacher, a.a.O., S.54; sieheoben.184) Monika Maronn: Flugasche, Roman, Frankfurt a.M. 1981,hier Frankfurt a.M. 1984185) Mathias Nolte: Großkotz, a.a.O., S. 212186) Nicolas Born: Die Fälschung, a.a.O., S. 298f.


dann aber doch noch zur Sprache kommt:"Noch eine Viertelstun<strong>de</strong>, dann wäre das Schlimmsteüberstan<strong>de</strong>n. In dieser Konferenz käme das Thema Kalbussnicht mehr zur Sprache. (...) Und dan mußte dochso ein Tölpel aus <strong>de</strong>r Reihe tanzen und die ganzeschöne, mühsam bewahrte Harmonie war beim Teufel." 187 )Allerdings ist auch diese Darstellung satirisch, <strong>de</strong>nn die"mühsam bewahrte Harmonie" ist nur dünne Fassa<strong>de</strong> und dieKlärung <strong>de</strong>s genannten Themas, es han<strong>de</strong>lt sich um die Umbesetzungin <strong>de</strong>r Chefredaktion, dürfte in Wahrheit im Interessealler Redaktionskollegen liegen.Eckhart Schmidt und Hermann Kant zeigen, wie Entscheidungenin Konferenzen zustan<strong>de</strong>kommen. Bei<strong>de</strong> schil<strong>de</strong>rn, wie scheinbarspielerisch 188 ) und unbefangen diskutiert wird, bis einRedakteur eine günstige Gelegenheit erkennt und mit taktischemGeschick seine I<strong>de</strong>en einzubringen sucht.Kant, wie <strong>de</strong>r Redakteur David Groth zunächst ganz beiläufigeine Ausstellung über Jagdwaffen im Ausland ins Spielbringt, die dann so lange in <strong>de</strong>r Sitzung gedreht und gewen<strong>de</strong>twird, bis Groth - er hat Büchsenmacher gelernt und kanndaher Sachkenntnis vorweisen - <strong>de</strong>n Auftrag zu einem Berichtbekommt. 189 )Hier reicht die taktische Überlegung sogar noch weiter,<strong>de</strong>nn das Thema ist zwischen Groth und seiner Chefin JohannaMüntzer abgesprochen und wird mit Geschick in <strong>de</strong>r Konferenz<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Chefredakteuren schmackhaft gemacht.Ein kurzer Ausschnitt aus <strong>de</strong>r längeren Diskussion zeigt,wie die einzelnen Fachredaktionen sich um die mit <strong>de</strong>m Berichtverbun<strong>de</strong>ne attraktive Auslandsreise reißen:"'Gib mal rüber', sagte Jochen Gül<strong>de</strong>nstern,'das istLeichtindustrie, da könnten wir ruhig mal wie<strong>de</strong>r was machen.'Gerd Korn von <strong>de</strong>r Außenpolitik mel<strong>de</strong>te sich: 'Ich wür<strong>de</strong> esauch gern sehen; soll es nicht in London sein?''Ich geb es dir', sagte David, 'ich suche es gleich raus,nur, weißt du, es waren, glaub ich, Jagdwaffen. Sind die auchAußenpolitik? (...)''Ein<strong>de</strong>utig Leichtindustrie', rief Jochen Gül<strong>de</strong>nstern,'schmeiß rüber, das muß sich die Wirtschaft näher187) Wolgang Ebert, Der Blattmacher, a.a.O., S. 56188) Eckhart Schmidt gebraucht zum Beispiel das Bild, daßsich die Redakteure Bälle (= Themen) zuwerfen; sieheEckhart Schmidt: Die Story, a.a.O., S. 46189) Die Textpassage erstreckt sich über mehrere Seiten undwür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Rahmen dieser Arbeit sprengen. Siehe HermannKant: Das Impressum, a.a.O., S. 278-284


ansehen.'" 190 )Schon in "Doktor Murkes gesammeltes Schweigen" setzte HeinrichBöll gegen die internen Hierarchien und Zwänge <strong>de</strong>sMediums einen privaten Gegenpol <strong>de</strong>r Protagonisten: In <strong>de</strong>rKantine kann Murke aus <strong>de</strong>m Alltag <strong>de</strong>s Funkhauses entfliehenund zwanglos plau<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r mit Kollegen tratschen. Als erdie Kantine betritt, empfängt <strong>de</strong>n erschöpften Murke soforteine (nicht nur physisch) warme Atmosphäre und erholsameUnordnung:"(...) die Luft wur<strong>de</strong> wärmer, es roch nach Speisen.Murke sprang [aus <strong>de</strong>m Paternoster, P.B.] ab undtaumelte in die Kantine. In <strong>de</strong>r Ecke saßen drei freieMitarbeiter an einem Tisch. Eierbecher und Kaffeekannenstan<strong>de</strong>n um sie herum." 191 )Böll setzt die sehr persönlich geschil<strong>de</strong>rte Kantinenszene<strong>de</strong>r durchstrukturierten Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Funkhauses gegenüber.Er verstärkt mit diesem Gegenbild eines Ortes <strong>de</strong>rHerzlichkeit die Wirkung seines anonymen und herzlosen Bil<strong>de</strong>s<strong>de</strong>r übrigen Rundfunkanstalt und gibt gleichzeitig einepositive Perspektive menschlicheren Umgangs.Erhard Friedrichsmeyer beschreibt <strong>de</strong>n Gegenpol <strong>de</strong>r Kantinebei Böll folgen<strong>de</strong>rmaßen:"Neben das anstößige System <strong>de</strong>s Funkhauses stellt Bölleine 'Gegen-Hierarchie', die ohne Hackordnung auskommtund nur zwei Ebenen aufweist, <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>s Menschlichenund <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Göttlichen. Aus <strong>de</strong>r Warte <strong>de</strong>sFunkhauses gesehen ist das Gegen-Konzept be<strong>de</strong>utungslos.Die Sphäre <strong>de</strong>s Menschlichen ist die im Kellerliegen<strong>de</strong>, durch einen zweiten, im 'rückwärtigen Flur'(180) liegen<strong>de</strong>n Paternoster erreichbare Kantine." 192 )Mehrere Autoren greifen die I<strong>de</strong>e auf und nutzen Orte außerhalb<strong>de</strong>s Mediums, um in einer ungezwungeneren Atmosphäreein menschlicheres Konzept <strong>de</strong>s Journalismus zu zeigen.Bei Jürgen Breest ist die Kantine Ort offener innerbetrieblichenAussprache. Mißtrauen und Angst vor Pressionen weichenund die Kollegen verlieren ihre Scheu, sich über ihreProbleme auszutauschen:190) ebenda, S. 279f.191) Heinrich Böll: Doktor Murkes gesammeltes Schweigen,a.a.O., S. 25192) Erhard Friedrichsmeyer: Die satirische Kurzprosa HeinrichBölls, Chapel Hill 1981 (University of NorthCarolina Studies in the Germanie Languages andLiteratures, 97), S. 11


Man sprach über die schlechte Arbeitsatmosphäre imHaus, über das gegenseitige Mißtrauen, die ungenügen<strong>de</strong>Kommunikation <strong>de</strong>r Kollegen untereinan<strong>de</strong>r. Man klagteüber zunehmen<strong>de</strong> Isolation und wachsen<strong>de</strong>n Druck vonoben. Man trauerte <strong>de</strong>n Zeiten nach, als es noch sowaswie Solidarität gegeben hatte." 193 )Feldmann versucht, diese persönliche Atmosphäre umzusetzen,in<strong>de</strong>m er die Aussöhnung mit <strong>de</strong>m Verwaltungsdirektor Bremerin <strong>de</strong>r Kantine versucht. Aber er muß scheitern, <strong>de</strong>nn diebei<strong>de</strong>n Shären Funkhaus und Kantine sind nicht vereinbar.Bremer bleibt in <strong>de</strong>r Kantine ein Fremdkörper, <strong>de</strong>nn auchhier kann er seine Macht nicht verleugnen:"Der neue Verwaltungsdirektor Bremer betrat die Kantine.Er ging an <strong>de</strong>n Zeitungstresen. Es wur<strong>de</strong> leiseram Tisch. (...) Das war sie, die graue Eminenz." 194 )So ist <strong>de</strong>r Austausch in <strong>de</strong>r Kantine letztlich folgenlos,weil er nicht in <strong>de</strong>r Institution Funkhaus verwertbar ist.Auch die Kollegen scheinen außerhalb <strong>de</strong>r Kantine ihre Solidaritäts-I<strong>de</strong>alezu vergessen und lassen es zu, daß Feldmannspäter abserviert wird.Wolfgang Ebert beschreibt, daß auch private Zusammentreffen<strong>de</strong>r Redakteure von taktischen Überlegungen geprägt seinkönnen. Hier wirkt die Hierarchie <strong>de</strong>s Mediums bis in diePrivatsphäre seiner Beschäftigten, sogar beim privatenAben<strong>de</strong>ssen gilt es, Haltung zu bewahren.193) Jürgen Breest: Dünnhäuter, a.a.O., S. 81194) ebenda, S. 82


"Im Alberto, wie vorher im Da Bruno, verkehrte mannicht wegen <strong>de</strong>m beliebten Bollito misto, son<strong>de</strong>rn um zusehen und gesehen zu wer<strong>de</strong>n. Das Alberto war eine ArtBörse, an <strong>de</strong>r man <strong>de</strong>n <strong>de</strong>rzeitigen Kurswert <strong>de</strong>r bei unsim Hause beschäftigten o<strong>de</strong>r ihm nahestehen<strong>de</strong>n Personenermitteln konnte. Darum war es so wichtig, wo man saß(...) und vor allem, mit wem man saß!" 195 )4.3. Die Abbildung journalistischer Arbeit4.3.1. Berufliche RahmenbedingungenDer journalistische Beruf ist geprägt durch spezifische Belastungenund Konflikte. Dieses sind zum Teil sehr persönlicheProbleme je<strong>de</strong>s einzelnen Journalisten, etwa die Notwendigkeit,mit moralischen Be<strong>de</strong>nken fertig zu wer<strong>de</strong>n. Eskommen Zwänge durch die Medienarbeit hinzu, die alle Journalistenauch kollektiv betreffen, etwa Bürokratie, Zensurbestrebungeno<strong>de</strong>r die Abhängigkeit von Einschaltquoten. Indiesem Kapitel versuche ich zu zeigen, welche <strong>de</strong>r vielfältigenRahmenbedingungen sich im fiktiven Alltag <strong>de</strong>s Journalistenwie<strong>de</strong>rfin<strong>de</strong>n.Neben von außen direkt greifbar wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Berufseinflüssenwie Bürokratie und Zensurphänomene wer<strong>de</strong>n moralische Probleme<strong>de</strong>s Berufs in <strong>de</strong>n untersuchten Erzähltexten noch amhäufigsten thematisiert. Viele Autoren beschreiben die Auseinan<strong>de</strong>rsetzungihrer Protagonisten mit <strong>de</strong>m journalistischenI<strong>de</strong>al einer nicht eingreifen<strong>de</strong>n Berichterstattung,die als voyeuristisch empfun<strong>de</strong>n wird.Der Vorwurf, Journalisten wür<strong>de</strong>n , auch private und intimeMitteilungen gewissenlos in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit verwerten,sich aber nicht um das Schicksal ihrer Informanten kümmern,macht vielen fiktiven Redakteuren zu schaffen. Sie fühlensich als Spitzel mißverstan<strong>de</strong>n 196 ), haben sie doch selbstdas Bedürfnis, nicht nur von außen zu berichten, son<strong>de</strong>rndargestellte Sachverhalte möglichst durch ihren Bericht zuverän<strong>de</strong>rn. Aber <strong>de</strong>r klassische Journalismus verlangtmöglichst große Objektivität in <strong>de</strong>r Darstellung, die mannur als Unbeteiligter in <strong>de</strong>r Betrachtung von außen bewahrenkann.195) Wolfgang Ebert: Der Blattmacher, a.a.O., S. 156f.196) siehe etwa Günther Seuren: Die fünfte Jahreszeit, Roman,Reinbek 1979, S. 406


Auch <strong>de</strong>r Auslandskorrespon<strong>de</strong>nt Laschen in Borns "Die Fälschung"ist nur Beobachter, er "besuchte sie [die arabischeWelt, P.B.] nur, haftete jeweils ein paar Tage an ihrerAußenschale" 197 ).Laschen ist professioneller Nachrichtenlieferant, <strong>de</strong>r außerWissensdurst auch die voyeuristische Neugier seiner Leserbefriedigen muß:"Er glaubte doch wohl nicht, daß sein Bericht <strong>de</strong>n Leserermahnen wür<strong>de</strong>. Glaubte er nicht vielmehr, daß erfür Geld ein Entsetzen lieferte, für das es eine Nachfragegab, eine unersättliche." 198 )Noch <strong>de</strong>utlicher läßt F.J. Wagner in "Big Story" <strong>de</strong>n SensationsreporterEn<strong>de</strong>rs seine Berufszweifel formulieren:"Was mache ich, dachte er, was für einen Scheißjob macheich. (...) Der Journalist sucht das Ereignis.Warum sucht er es <strong>de</strong>nn? Weil es leer in ihm ist. Leer,leer. Warum interessiert er sich für alles mögliche,warum interessiert er sich nicht für seine eigenenDinge? (...) Es war die Meinungslosigkeit, <strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>Standpunkt. Es war das Heulen <strong>de</strong>r Windhun<strong>de</strong>.Narrentränen, dachte En<strong>de</strong>rs, du heulst Narrentränen."199 )Wie En<strong>de</strong>rs gibt auch <strong>de</strong>r Redakteur Blumer (in Otto F. Walter"Die Verwil<strong>de</strong>rung") sich selbst die Schuld an diesemDilemma. Er wirft sich als persönliches Versagen vor, wasdoch vorgegebene Aufgabe <strong>de</strong>s Journalismus ist: "Er war,selbst als Reporter, Zuschauer geblieben." 200 )"Fest stand: Er schrieb nicht aus diesem Leben, überdas er mel<strong>de</strong>te. Er lebte es nicht. Auch jetztnicht." 201 )In<strong>de</strong>m sie die <strong>de</strong>finierte Außenseiterrolle <strong>de</strong>s klassischenJournalisten als objektiven Beobachter problematisieren,zeigen die Autoren eine auch in <strong>de</strong>r Realität diskutierteSchwäche <strong>de</strong>s Berufes auf. Sie weisen insofern indirekt aufdie erweiterten Möglichkeiten eines "Neuen Journalismus"hin, wie er in Kapitel 3.4. dieser Arbeit kurz umrissenwur<strong>de</strong>.In <strong>de</strong>n Erzähltexten tauchen aber noch weitere berufsethischeKonfliktstoffe auf.197) Nicolas Born: Die Fälschung, a.a.O., S. 18198) ebenda, S. 187199) F.J. Wagner: Big Story, a.a.O., S. 201f.200) Otto F. Walter: Die Verwil<strong>de</strong>rung, a.a.O., S. 240201) ebenda


Vor allem Born, Meckel, Walser und Ebert zeigen diemoralische Auseinan<strong>de</strong>rsetzung ihrer Protagonisten mit <strong>de</strong>mWahrheitsbegriff und seiner nur begrenzt möglichen Umsetzungim journalistischen Alltag.Bei Nicolas Born steht <strong>de</strong>r moralische Konflikt <strong>de</strong>s Nahost-Korrespon<strong>de</strong>nten Laschens im Zentrum <strong>de</strong>r Handlung.Laschen lei<strong>de</strong>t darunter, daß sich die von ihm erlebte Wirklichkeitim Libanon nicht angemessen in Zeitschriftenartikelfassen läßt. Der Titel <strong>de</strong>s Romans, "Die Fälschung",gibt Laschens Urteil über die eigene Arbeit wie<strong>de</strong>r: Weil ernicht in <strong>de</strong>r Lage ist, die Stärke seiner Empfindungenschriftlich zu vermitteln, bleiben die Artikel seiner Ansichtnach unwirklich und verlogen:"Er haßte die eigenen Berichte, ohne bisher mit <strong>de</strong>mHaß in sich zu dringen, er haßte sie beson<strong>de</strong>rs, wennsie fertig waren und gedruckt, dann sah er sich selbstin <strong>de</strong>n Sätzen sitzen und feixen, obszöne zwei<strong>de</strong>utigeWinke geben, sich hindurchschlagen und hindurchbehaupten,schwören, etwas gesehen zu haben, jenen Tod, jeneWun<strong>de</strong>, er, ein einzelner, mitgestorben zu sein, hineingestarrtzu haben in die Gefahr, in <strong>de</strong>n unverständlichenAbgrund." 202 )Was Laschen als täglich neuen Existenzkampf im unübersichtlichenBürgerkrieg erlebt, wird in seinen Manuskripten zumewig gleichen beliebigen Geschehen, es bedarf immer neuer,immer schrecklicherer Detailschil<strong>de</strong>rungen, um aus <strong>de</strong>mscheinbar höhepunktslosen Überlebenskampf Nachrichten zumachen. So sind Laschen und <strong>de</strong>r Fotoreporter Hoffmann auchständig auf <strong>de</strong>r Suche nach autentischem Lei<strong>de</strong>n und Tod,Leichen wer<strong>de</strong>n zum Beleg für Laschens Schil<strong>de</strong>rungen:"Er wußte, daß er eine Arbeit, wenn er sie schonmachte, richtig machen sollte, und das hieß ehrlicheArbeit, Einsatz. Er mußte überall zur Stelle sein,wenn jemand starb, je<strong>de</strong>n Einzelfall mußte er dokumentieren,er war hier zu etwas verpflichtet, zum Hinsehen."203 )In<strong>de</strong>m Born diesen Konflikt eines Reporters zeigt, weist erauf ein grundsätzliches Problem <strong>de</strong>r Medien hin: Sie machenspektakuläres Geschehen, also auch massenhaften Tod, konsumierbar.Gleichzeitig besteht die Ten<strong>de</strong>nz, daß andauern<strong>de</strong>Vorgänge, auch wenn sie noch so drastisch sind, ständigdurch neue Nachrichten verdrängt wer<strong>de</strong>n.Durch die Verlagerung dieses allgemeinen Phänomens auf eine202) Nicolas Born: Die Fälschung, a.a.O., S. 54203) ebenda, S. 144


spezielle Situation und die fiktive Person Laschens wir<strong>de</strong>ine neue Sensibilisierung für <strong>de</strong>n Konflikt ermöglicht.Laschens moralische Be<strong>de</strong>nken sind direkt nachvollziehbar,sein Unvermögen, das Gesehene und Gefühlte in immer neueWorte zu fassen, kann direkt miterlebt wer<strong>de</strong>n.Schließlich beginnt Laschen, selbst abzustumpfen, er kanndas Miterlebte nicht mehr in ursprünglicher Intensität empfin<strong>de</strong>n.Er ist "als Berichterstatter (...) zu einem empfindungslosenMonstrum gewor<strong>de</strong>n." 204 ) Laschen beginnt, bewußtund damit quasi doppelt zu fälschen:"Es war fortan ein bezugloses Sehen, er hätte auch sagenkönnen, ein reines Sehen. Und wo waren die Gefühle,die Wahrheiten <strong>de</strong>s eigenen Körpers geblieben,wo die Schmerzen, das heillose und untröstliche Mitgefühl,die, wenn schon, ohnmächtige Wut, die wüten<strong>de</strong>Trauer um das Leben <strong>de</strong>r Welt, um das Leben von dirselbst, Laschen, die dich nie<strong>de</strong>rwerfen müßte in <strong>de</strong>nStaub. (...) So mußte er weiter sein Berufsbild erfüllenund sich unter Aufbietung von Kräften an Gefühleerinnern und sie simulieren." 205 )Während Laschen in <strong>de</strong>r Lage ist, sich fortwährend selbstkritisch zu überprüfen, Be<strong>de</strong>nken zu formulieren undschließlich eine Schlußfolgerung zu ziehen - er kündigt -,ist <strong>de</strong>r Redakteur Klaus Buch in Martin Walsers "Ein fliehen<strong>de</strong>sPferd" 206 ) zwar zu kritischer Selbstsicht fähig,zeigt nach außen aber ein geschöntes Berufsbild vor.Auch Klaus Buch plagen Selbstzweifel, auch er glaubt, seineArtikel seien Fälschungen, wenn auch diese Art <strong>de</strong>r Fälschungeine an<strong>de</strong>re Qualität hat.Buch hat ein schlechtes Gewissen, weil er seine Berichteangestrengt in quälen<strong>de</strong>r Langsamkeit produziert, während ernach Außen <strong>de</strong>n Eindruck müheloser Leichtigkeit zu erweckensucht. Im Vergleich zu Laschens inhaltlichen Be<strong>de</strong>nken istdieser Konflikt eher an <strong>de</strong>r Oberfläche <strong>de</strong>r journalistischenProduktion angesie<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>nnoch verstrickt sich Buch inseinen moralischen Be<strong>de</strong>nken wie in einer Falle: er istnicht mehr in <strong>de</strong>r Lage, seine Probleme mitzuteilen. Erstdurch Helene, seine Frau, erfährt man von <strong>de</strong>n SelbstzweifelnBuchs:"Es war nichts als eine Schin<strong>de</strong>rei. Je<strong>de</strong>n Tag zehn,zwölf Stun<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Maschine. Auch wenn er nichtschreiben konnte, hockte er an <strong>de</strong>r Maschine. Ich muß204) ebenda, S. 186205) ebenda, S. 188206) Martin Walser: Ein fliehen<strong>de</strong>s Pferd, Novelle, Frankfurta.M. 1980


auf <strong>de</strong>m Posten sein, hat er dann gesagt. Ihm ist alles,was er getan hat, furchtbar schwer gefallen.(...) Ja, mühelos, er wollte mühelos erscheinen. Unddann immer das Gefühl, daß alles, was er tue, Schwin<strong>de</strong>lsei. Daß man ihm eines Tages draufkommenwer<strong>de</strong>." 207 )An<strong>de</strong>re Protagonisten wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>n moralischen Problemen<strong>de</strong>s Berufs - soweit sie überhaupt dargestellt wer<strong>de</strong>n -leichter fertig. Die Journalistin Dole in Christoph Meckels"Licht" trifft für sich selbst klare, verantwortbare Entscheidungenund propagiert sachliches Umgehen mit <strong>de</strong>m Medium.Damit wird sie unangreifbar für Karriererummel undKollegenklatsch."Sie weiß, was sie will und sie weiß, was sie kann,sie setzt ihre Kräfte sicher ein. Trotz<strong>de</strong>m bin ichauch bloß eine Fassa<strong>de</strong>, sagt sie, Natürlichkeit kannich mir nicht leisten, schon aus Selbstschutz re<strong>de</strong> ichkein Wort zuviel (...)." 208 )"Meine Hoffnung und meine Courage, das ist mein persönlichesgeistiges Eigentum - lach mich nichtaus." 209 )Dole könnte Laschens Problem <strong>de</strong>r schwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Anteilnahmeallerdings noch bevorstehen, sie scheint nicht über langeBerufserfahrung zu verfügen und vertritt eine fast naivi<strong>de</strong>alistische Berufsauffassung:"Hälst du es für möglich, daß wir so abgebrüht wie diean<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n? So gelangweilt und kalt und clever imSessel sitzen und womöglich gar nicht auf <strong>de</strong>n Gedankenkommen, unser Bestes aufgegeben zu haben? Ach Gil, ichfin<strong>de</strong> es manchmal entsetzlich schwierig, älter zu wer<strong>de</strong>n.Küß mich, Gil, sag, daß du mich liebst, sei gutund küß mich." 210 )Christine Gräns Klatschkolumnistin Anna Marx ist bereitsälter - "auf <strong>de</strong>r falschen Seite <strong>de</strong>r Dreißig" 211 ) - und verfügtüber eine längere Berufserfahrung, die sie abgebrühthat. Aber sogar sie, die daran gewöhnt ist, verschwiegenesaus <strong>de</strong>r Bonner Szene ans Licht <strong>de</strong>r Öffentlichkeit zu zerren,hat sich eine gewisse Anständigkeit bewahrt:"Anna wußte in einem anständigen Winkel ihres Herzens,daß dies nicht <strong>de</strong>r beste Ratschlasg war. Wenn dieser Xseine Lage richtig einschätzte, wür<strong>de</strong> er sich mit ihr207) ebenda, S. 136f.208) Christoph Meckel: Licht, a.a.O., S. 52209) ebenda, S. 70210) ebenda, S. 71; Gil ist <strong>de</strong>r Ich-Erzähler.211) Christine Grän: Nur eine läßliche Sün<strong>de</strong>, a.a.O.,S. 119


vergleichen. Kein Verfahren, keine Presse, kein Skandal."212 )Anna ist noch fähig, zwischen Beruf und privatenMoralvorstellungen zu unterschei<strong>de</strong>n - wenn auch manchmalpersönliche und berufliche Interessen zusdammenfallen:"Anna, <strong>de</strong>r Mensch, war neugierig. Anna, die Journalistin,witterte eine heiße Fährte. Anna, die Frau,setzte sich neben sie und reichte ihr eine bereitsangezün<strong>de</strong>te Zigarette." 213 )Eine an<strong>de</strong>re Art, mit moralischen Konflikten umzugehen, ist,sich ihnen nicht wirklich zu stellen. Diese Strategie wirdvon Dohl in Eberts "Der Blattmacher" verfolgt und vom Autormit satirischen Mitteln entlarvt.Dohl hat das Selbstbild eines unkorrupierbaren Streitersfür die Pressefreiheit, er spricht fortwährend von seiner"schonungslosen Wahrheitsliebe" 214 ), seinem "tief ausgeprägtenGerechtigkeitsgefühl" 215 ) und von Zivilcourage 216 ). Geräter unter Druck, verfällt er jedoch sofort <strong>de</strong>r völligen Meinungslosigkeit:"Ich konnte mich mit keiner <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Positioneni<strong>de</strong>ntifizieren und nahm eine unzwei<strong>de</strong>utige Sowohl-alsauch-Haltungein." 217 )Mit Dohl zeigt Ebert das Klischee <strong>de</strong>s eingebil<strong>de</strong>ten, aberopportunistischen Lokalredakteurs. Mit satirischen Mittelnwird dieses Bild aber gleichzeitig hinterfragt und damitauf einen i<strong>de</strong>alen unbestechlichen Journalismus verwiesen.Ein weiterer großer Komplex von Rahmenbedingungen in <strong>de</strong>rjournalistischen Arbeit betrifft bürokratische Strukturenin <strong>de</strong>n Medien und damit verbun<strong>de</strong>ne Zensur- und Selbstzensurphänomene.Sie wer<strong>de</strong>n in fast allen untersuchten Erzähltextenbehan<strong>de</strong>lt.In Jürgen Breests "Dünnhäuter" stehen Bürokratie, Parteieneinflußund Einschränkungen <strong>de</strong>r Pressefreiheit in einer öffentlich-rechtlichenRundfunkanstalt im Zentrum <strong>de</strong>r Handlung.Feldmann, ein Fernsehredakteur, besteht darauf, einenFilm über eine KBW-Aktivistin zu drehen, obwohl seine Vor-212) ebenda, S. 17213) ebenda, S. 13214) Wolfgang Ebert: Der Blattmacher, a.a.O., S. 5215) ebenda, S. 49216) ebenda, S. 58217) ebenda, S. 136


gesetzten das Projekt hintertreiben und schließlich verbieten.218 )Anhand dieses Fallbeispieles wer<strong>de</strong>n auch rundfunkpolitischeEinflüsse auf das Fernsehen dargestellt. In Kapitel 11 wir<strong>de</strong>ine Fernsehbeiratssitzung geschil<strong>de</strong>rt, auf <strong>de</strong>r dieVorstellungen <strong>de</strong>r politischen Lager <strong>de</strong>utlich wer<strong>de</strong>n. EinBeispiel:"Zunächst verlas <strong>de</strong>r Beiratsvorsitzen<strong>de</strong> einen Briefeines CDU-Rundfunkratsmitglieds. Darin war die Re<strong>de</strong>von <strong>de</strong>r Unausgewogenheit <strong>de</strong>s Berichts. Als skandalöswur<strong>de</strong> hervorgehoben, daß Kommunisten zu Worte gekommenseien, ohne als solche gekennzeichnet zu wer<strong>de</strong>n. ZumSchluß gab <strong>de</strong>r Beschwer<strong>de</strong>führer seiner Sorge Ausdruck,daß die Massenmedien immer stärker unter <strong>de</strong>n Einflußlinker und linksradikaler Kräfte zu geraten im Begriffeseien." 219 )Feldmann ist entschlossen, sich gegen ihn direkt betreffen<strong>de</strong>Einflußnahmen zur Wehr zu setzen, er schreibt an <strong>de</strong>nIntendanten und bittet um Aussprache."Er sei nach zwölfjähriger Tätigkeit in diesem Sen<strong>de</strong>rnicht gewöhnt, mit <strong>de</strong>rartigen Eingriffen in seine Arbeitohne je<strong>de</strong> vorherige Diskussion konfrontiert zuwer<strong>de</strong>n. Er könne <strong>de</strong>n Beschluß <strong>de</strong>s Intendanten so nichtakzeptieren." 220 )Als seine Redaktionskollegen schon klein beigeben, macht erWehrenberg, seinem direkten Vorgesetzten, klar, daß erkeine Kompromisse machen will: "Ich bin kein Arschkriecherwie Herr Noltenius."Aber Feldmann hat gegen <strong>de</strong>n mühsam austarierten Parteienproportz221 ) und die medienpolitische Taktik <strong>de</strong>r Vorgesetztenkeine Chance. Weil er trotz<strong>de</strong>m nicht klein beigebenwill, muß er schließlich kündigen.218) siehe auch Kapitel 4.2. dieser Arbeit zu FeldmannsVerhältnis zu seinen Vorgesetzten.219) Jürgen Breest: Dünnhäuter, a.a.O., S. 56220) ebenda, S. 137221) die genaue Ausballancierung <strong>de</strong>r Patreiinteressen wirdzum Beispiel auf S. 136 geschil<strong>de</strong>rt (ebenda).


Interessant in diesem Zusammenhang ist das Echo <strong>de</strong>r Medienkritikauf diesen Roman. Neben Stimmen, die Breests Beobachtungen<strong>de</strong>r politischen Einflußnahme bestätigen und die"genauen Milieuschil<strong>de</strong>rungen und Personenbeschreibungen"loben 222 ), treten Verteidiger <strong>de</strong>s bun<strong>de</strong>srepublikanischen Mediensystems,die <strong>de</strong>m Autor "ein falsches Verständnis von<strong>de</strong>n Möglichkeiten <strong>de</strong>r Selbstverwirklichung" vorwerfen 223 ).Holger Schlod<strong>de</strong>r hält Breest im Hei<strong>de</strong>lberger Tageblatt sogarvor, er bleibe "seinen Lesern (...) so ziemlich allesschuldig, was Licht auf sein öffentlich-rechtliches Arbeitsfeldwerfen könnte". 224 ) Welche Interessenlagen zu sounsachlichen Behauptungen führen, bleibt das Geheimnis <strong>de</strong>rKritiker.Wo Feldmann letztlich sinnlos gegen eine Mauer <strong>de</strong>r Machtanzulaufen versucht, haben sich an<strong>de</strong>re Protagonisten längstarrangiert. Allenfalls ironisch kommentieren sie die fürsie unumgänglichen Grenzen <strong>de</strong>r Pressefreiheit. Der LokalredakteurDohl legt <strong>de</strong>n Finger auf die wun<strong>de</strong> Stelle:"Nun ist <strong>de</strong>r Hagelstedter Anzeiger, wie es unter <strong>de</strong>mTitel heißt, sowohl 'überparteilich' wie 'unabhängig',und die Verlagsleitung betont auch gerne und oft, daßes ihr damit ernst sei, aber dieser schöne Vorsatzfin<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>r Praxis irgendwo seine Grenzen, und dieliegen dort, wo die geschäftlichen Interessen <strong>de</strong>s Verlagesberührt wer<strong>de</strong>n." 225 )Die Devise heißt: "Sich mit Defiziten einrichten." 226 ) Diejournalistischen Beschränkungen wer<strong>de</strong>n zunächst mit Zornund Tränen hingenommen 227 ), schließlich wer<strong>de</strong>n "Abstriche"von Beiträgen kommentarlos akzeptiert 228 ). Die Zahl <strong>de</strong>r Einschränkungenund Verbote ist lang, Rainer Horbelt stellt inseinem Roman "Das Projekt E<strong>de</strong>n" ganze Listen von Verstößengegen die Freiheit <strong>de</strong>r Berichterstattung auf. 229 )Paul Kersten zeigt in seinem Roman "Absprung" die zuneh-222) Wolfgang Bittner: Zwischen Atemnot und Überdruß", inNürnberger Nachrichten, 24./25.11.1979223) Alexan<strong>de</strong>r U. Martens: Das System ist schuld - wersonst?, in: Darmstädter Echo vom 14.7.1979224) Holger Schlod<strong>de</strong>r: Nichts als Sex und Suff im Sen<strong>de</strong>r,in: Hei<strong>de</strong>lberger Tageblatt, 5.10.1979225) Wolfgang Ebert: Der Blattmacher, a.a.O., S. 65226) Ingeborg Drewitz: Gestern war Heute. Hun<strong>de</strong>rt Jahre Gegenwart,Roman, Düsseldorf 1987, S. 285227) Christoph Meckel: Licht, a.a.O., S.64228) Gert Hei<strong>de</strong>nreich: Der Ausstieg, Roman, Düsseldorf1984, S. 80229) Rainer Horbelt: Das Projekt E<strong>de</strong>n..., a.a.O., z.B.S. 157


men<strong>de</strong> Abstumpfung eines einst kämpferischen Redakteurs, <strong>de</strong>ndie lange zähe Auseinan<strong>de</strong>rsetzung gegenüber "heuchlerischerSüffisannz und sich weltoffen-liberal geben<strong>de</strong>m Imponiergehabe"230 ) abgestumpft hat:"Er sei einfach zu mü<strong>de</strong> gewesen, mal <strong>de</strong>n Mund aufzumachenund sich mit <strong>de</strong>n Kollegen auf Diskussionen einzulasseno<strong>de</strong>r sich etwa, wie er es in <strong>de</strong>r Anfangszeitgetan habe, für die Durchsetzung eines Redaktionsstatutszu engagieren. Ihm habe es plötzlich ausgereichtzu wissen, was er schreiben konnte und wie er schreibenmußte, um etwas zu sagen, war [muß 'was' heißen,P.B.] er nicht schreiben durfte. Er habe in diesemZeitungsjob sehr schnell gelernt, die Grenzen zu sehen,die ihm von Grohmann und <strong>de</strong>n hinter ihm stehen<strong>de</strong>nVerleger- und Kommerzinteressen gesetzt wur<strong>de</strong>n, und erhabe auch ziemlich rasch gespürt, daß er anfing, mit<strong>de</strong>r Zensur bei sich selber anzusetzen." 231 )Etwas an<strong>de</strong>re Probleme <strong>de</strong>r Zensur fin<strong>de</strong>n sich bei <strong>de</strong>n DDR-Schriftstellern, die in <strong>de</strong>r Realität ein völlig an<strong>de</strong>resVerständnis von Pressefreiheit vorfin<strong>de</strong>n (siehe Kapitel3.5.). Die kritischen Protagonisten sehen sich nicht nurihrem Chefredakteur o<strong>de</strong>r Intendanten gegenüber, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>rallmächtigen Partei SED, die je<strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rspruch gegen dieParteilinie erbarmungslos ausmerzt.Josefa Nadler in Monika Marons "Flugasche" 232 ) will einenBericht über Umweltverschmutzung schreiben und verstricktsich zunehmend in einen nicht gewinnbaren Kampf gegen dieZensurinstanzen. Mit unbekümmerter Naivität will sie dieWahrheit ans Licht bringen, obwohl Kolleginen sie warnen:"Ich habe nichts dagegen, daß du das alles schreibst,bestimmt nicht. Aber ich habe etwas dagegen, daß jemandso etwas schreibt und nicht weiß, worauf er sicheinläßt." 233 )Die Warnungen nützen wenig, Josepha will <strong>de</strong>n Berichtschreiben. Sarkastisch wer<strong>de</strong>n die Folgen ihrer Bemühungenum die Wahrheit geschil<strong>de</strong>rt:"Die Sonne schien. Der Generaldirektor hatte Presseverbot.Rudi Goldammer hatte Magenschmerzen. SiegfriedStrutzer verbot <strong>de</strong>n Beitrag." 234 )230) Paul Kersten: Absprung, Köln 1979, hier München 1985,S. 91231) ebenda, S. 91f.232) Monika Maron: Flugasche, Roman, a.a.O., <strong>de</strong>r Roman istbis heute in <strong>de</strong>r DDR nicht erschienen.233) ebenda, S. 75234) ebenda, S. 134


Schließlich wird <strong>de</strong>r Artikel vor einem Parteiausschuß beratenund abgelehnt. Ein Vertreter <strong>de</strong>s Ausschusses erklärt,warum:"'Sie sind zu ungeduldig', sagte <strong>de</strong>r Genosse. 'Vielleichtbrauchen wir <strong>de</strong>n gleichen Beitrag in einem Jahrdringend. Jetzt nicht. Denken Sie an Brecht, Galilei.Manchmal ist es klüger zu schweigen, wenn man nochviel zu sagen hat.'" 235 ) Und:"Zu je<strong>de</strong>r Zeit gäbe es im Klassenkampf ein taktischesund ein strategisches Ziel. (...) Das Mißverständniszwischen ihm und Josepha (...) bezöge sich ausschließlichauf die Taktik." 236 )Die Zensur entzieht sich <strong>de</strong>r Kontrolle <strong>de</strong>r Redakteure, sieist außer<strong>de</strong>m willkürlich. Das zeigt Hermann Kant beispielhaftin "Das Impressum" am Beispiel eines Fotos, das eineRedakteurin während <strong>de</strong>r Geburt ihres Kin<strong>de</strong>s gemacht hatte:"' 1958 - Aufgenommen, NBR zum Druck angeboten, Veröffentlichungabgelehnt; 1961 - Goldmedaille im Rahmen<strong>de</strong>r ungarischen Aufklärungsschau: >Die MenschenUnsere Menschen< zurückgewiesen,Begründung: >Zuviel SexMenschenkin<strong>de</strong>r< (...).'" 237 )4.3.2. Vorgehensweisen und Handwerkszeug <strong>de</strong>s JournalistenWo die Autoren <strong>de</strong>n Arbeitsprozeß <strong>de</strong>s Journalisten schil<strong>de</strong>rn,wer<strong>de</strong>n meist zwei Arbeitsbereiche unterschie<strong>de</strong>n: Planung,Informationsbeschaffung und Selektion <strong>de</strong>s Materials -diese Schritte lassen sich als Recherche im weiteren Sinnezusammenfassen - stehen vor <strong>de</strong>r meist schriftlichen Umsetzungin einen Bericht. Deshalb sollen diese bei<strong>de</strong>n Bereicheauch in dieser Arbeit getrennt behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Dieses Kapitelbehan<strong>de</strong>lt die journalistische Recherche, im nächstenKapitel soll dann <strong>de</strong>r eigentliche Produktionsprozeß untersuchtwer<strong>de</strong>n.Themen zu möglichen Berichten bieten sich je<strong>de</strong>m Journalistenaus <strong>de</strong>r täglich über ihn hereinbrechen<strong>de</strong>n Nachrichtenflut.Otto F. Walter schil<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n Strom <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Nachrichtenagenturenin die Redaktion dringen<strong>de</strong>n Meldungen in235) ebenda, S. 170236) ebenda, S. 169237) Hermann Kant: Das Impressum, a.a.O., S. 340


<strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>s Redakteurs Blumer:"Tag für Tag, die Meldungen kamen, zumeist zeilenweise,herein, über Ticker, Telefon, auch schriftlich in Massen.Agenturberichte. Korrespon<strong>de</strong>ntenmeldungen, Kommentare.Nein. Was die alle da aus <strong>de</strong>r ganzen Welt hereinspielten,(...) Reflexe in Sprache und auf Papier, Auswahl einerAuswahl einer Auswahl nach einer Mechanik, die zwarerklärbar, kaum mehr kontrollierbar, steuerbar war. Ausdieser riesigen Auswahl von Papieren schnei<strong>de</strong>rten sie hierin <strong>de</strong>r Redaktion jene Auswahl zurecht, Tag für Tag, diedann gedruckt als »Tages-AnzeigerDiese Beschreibung, dieauch stilistisch die rasch drängen<strong>de</strong> Informationsflut inaufgebrochener Satzkonstruktion nachbil<strong>de</strong>t, ver<strong>de</strong>utlicht,daß die überwiegen<strong>de</strong> Zahl <strong>de</strong>r Nachrichten direkt von <strong>de</strong>rAgentur übernommen wer<strong>de</strong>n. Dennoch fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>nfiktiven Texten überwiegend Journalisten, die selbstInformationen sammeln und bearbeiten - offenbar wer<strong>de</strong>ndiese traditionellen Tätigkeiten von <strong>de</strong>n Autoren immer nochals die zentrale Aufgabe <strong>de</strong>s Journalisten angesehen.Neben <strong>de</strong>n Anregungen durch die täglichen Nachrichten führtmanchmal <strong>de</strong>r Zufall dazu, daß ein Redakteur auf eine Storyaufmerksam wird und zu recherchieren beginnt. So geht eszum Beispiel <strong>de</strong>m Fernsehredakteur Johann in Jürgen Beckers"Erzählen bis Osten<strong>de</strong>": "Der Zufall fügte es auch, daß wirim Lift plötzlich Eileen gegenüberstan<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Frau füreine längere Story (...)." 238 )Soll eine umfangreiche o<strong>de</strong>r langwierig zu recherchieren<strong>de</strong>Story entstehen, bedarf es <strong>de</strong>r Planung. Dieser Vorgang wirdnur bei Hermann Kant ausführlich dargestellt, typischerweiseeinem planungsgewöhnten DDR-Schriftsteller 239 ). An<strong>de</strong>reAutoren <strong>de</strong>uten <strong>de</strong>n Vorgang kurz an, so etwa Jürgen Breest,<strong>de</strong>r ein in <strong>de</strong>r Rundfunkarbeit übliches "Treatment" 240 ) indie Handlung einführt.Dann beginnt die eigentliche Recherche, die sich aufteiltin Archivarbeit, Beobachtung und Interviews. Diese dreiTeilbereiche wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Autoren unterschiedlich breitdargestellt.Interviews sind als Informationsbeschaffung in <strong>de</strong>r Fiktion238) Otto F. Walter: Die Verwil<strong>de</strong>rung, a.a.O., S.234238) Jürgen Becker: Erzählen bis Osten<strong>de</strong>, a.a.O., S. 70;allerdings wird die I<strong>de</strong>e nicht aufgegriffen, vielleichtsoll diese Bemerkung auch nur die bewegte VergangenheitEileens an<strong>de</strong>uten.239) Hermann Kant: Das Impressum, a.a.O., S. 488240) Jürgen Breest, Dünnhäuter, a.a.O., S.61


am häufigsten anzutreffen - vermutlich, weil sie neue Figurenin das Geschehen einführen und die Handlung beleben.Außer<strong>de</strong>m ist <strong>de</strong>r Fragen stellen<strong>de</strong> Reporter in <strong>de</strong>r Öffentlichkeitdas anschaulichste Berufsbild <strong>de</strong>s Journalismus.Ziel <strong>de</strong>s Interviews ist neben <strong>de</strong>r reinen Wissensabfrage,<strong>de</strong>m Interviewten Aussagen abzuringen, die dieser eigentlichgar nicht preisgeben wollte.Die fiktiven Reporter bedienen sich verschie<strong>de</strong>ner Tricks,um das zu erreichen:Am besten ist es offenbar, vorsichtig zu beginnen und sichzu <strong>de</strong>n eigentlichen Themen erst vorzutasten. So verfahrenLaschen in Borns "Die Fälschung" 241 ) und Hans Krohn in JostNoltes "Eva Krohn" 242 ). Hans Krohn:"Was ich drauf hatte, war die Platte mit <strong>de</strong>m Berufs-Charme. Rezept: im Small Talk Vertrauen gewinnen, unauffälligdie Gesprächsführung übernehmen, und frühestensnach einer halben Stun<strong>de</strong> die erste halbwichtigeFrage stellen." 243 )Gut ist es, wenn man zum Einstieg über gemeinsame Interesseno<strong>de</strong>r Erfahrungen re<strong>de</strong>n kann, so etwa <strong>de</strong>r freie MitarbeiterHarry in Jörg Fausers "Rohstoff" im Gespräch mitWilliam S. Burroughs:"Ich versuchte Burroughs zu erklären, daß ich selbstvier Jahre Junkie gewesen war und in <strong>de</strong>m Bericht auchüber die Möglichkeiten schreiben wollte, von <strong>de</strong>m Zeugloszukommen. Burroughs hatte es mit Apomorphin geschafft.(...) Er machte eine neue Zigarette an. Errauchte Senior Service ohne Filter. Kette.'Was für ein Zeig haben Sie <strong>de</strong>nn genommen?' (...)" 244 )So wird <strong>de</strong>r Gesprächspartner interessiert und gesprächsbereit.Manchmal bedienen sich die Journalisten in <strong>de</strong>r Fiktion einesBlöffs, um Gesprächsbereitschaft zu erreichen. Sie verschweigenzum Beispiel die I<strong>de</strong>ntität als Reporter und geben241) Nicolas Born: Die Fälschung, a.a.O., S. 107242) Jost Nolte: Eva Krohn o<strong>de</strong>r Erkundigungen nach einemMo<strong>de</strong>ll, Roman, Frankfurt a.M. 1976243) ebenda, S. 53244) Jörg Fauser: Rohnstoff, Roman, Gütersloh o.J., S.73


sich als Amtsperson aus. Morlock ist in F.J. Wagners "BigStory" beson<strong>de</strong>rs dreist und täuscht einen Polizisten vor,um an Fotos zu kommen:"Morlock maß die Grube aus, weil er wollte, daß seineSachlichkeit die Frau in ihrem Glauben bestärkte,einen Mann vom Präsidium vor sich zu haben. Morlockprüfte das Licht (...) und bat die Frau, die Falltürzur Jauchegrube hochzuheben. Die Frau bückte sich undMorlock schoß sie ab. 'Gehts', fragte er, 'nicht zuschwer?' und drückte zweimal auf <strong>de</strong>n Auslöser."Wagner führt die Gewissenlosigkeit Morlocks vor Augen, <strong>de</strong>reiskalt seine Interessen verfolgt, während er <strong>de</strong>n hilfsbereitenPolizisten vortäuscht. Die Schuß-Metapher stelltdiesen Gegensatz beson<strong>de</strong>rs heraus.Noch gewissenloser geht <strong>de</strong>r Sensationsreporter Tötges inHeinrich Bölls "Die verlorene Ehre <strong>de</strong>r Katharina Blum" mitseinen Interviewpartnern um. Er dringt unter Vortäuschungfalscher Tatsachen zu <strong>de</strong>r schwerkranken Frau Blum ins Krankenhausvor und bedrängt sie so stark, daß sie vermutlichaufgrund dieses Vorgehens bald darauf stirbt. Außer<strong>de</strong>m verfälschter noch die Aussagen <strong>de</strong>r Frau Blum:"(...) er habe Frau Blum mit <strong>de</strong>n Fakten konfrontiert,sei nicht ganz sicher, ob sie das alles kapiert habe,<strong>de</strong>nn Göttem sei ihr offenbar kein Begriff gewesen, undsie habe gesagt: 'Warum mußte das so en<strong>de</strong>n, warummußte das so kommen?', woraus er in <strong>de</strong>r ZEITUNGmachte: 'So mußte es ja kommen, so mußte es ja en<strong>de</strong>n.'"245 )Wer aber diese Tricks nicht anwen<strong>de</strong>t, wird es unter Umstän<strong>de</strong>nschwer haben, an seinen Interviewpartner heranzukommen.So ergeht es Seebaum in Michael Springers "Bronnen". Als ereinen Bauunternehmer befragen will, <strong>de</strong>r eines Umwelt<strong>de</strong>liktsverdächtigt wird, muß er zunächst wie ein Bittsteller warten:"Seebaum erklärte, er komme von <strong>de</strong>r Presse, um einenBericht über Chemikalien zu schreiben, die hier vergrabenseien. Der Mann machte kehrt und lief hintereinen Lastwagen. Seebaum wartete im Regen." 246 )Schließlich wird er mit einer Klage wegen Hausfrie<strong>de</strong>nsbruchsbedroht und muß vorerst unverrichteter Dinge wie<strong>de</strong>rabziehen.245) Heinrich Böll: Die verlorene Ehre <strong>de</strong>r KatharinaBlum o<strong>de</strong>r: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führenkann, Köln 1974, hier Köln 1987, S. 91246) Michael Springer, Bronnen, a.a.O., S.136


Damit eine Story unangreifbar wird, müssen alle Aussagenmöglichst genau überprüft wer<strong>de</strong>n. Gegebenenfalls muß <strong>de</strong>rJournalist zum Beispiel schon vor Interviews in Archivenrecherchieren, um wichtige Fakten zu kennen und <strong>de</strong>mentsprechendsinnvolle Fragen stellen zu können.Diese Archivarbeit wird in <strong>de</strong>r Fiktion nur ganz selten dargestellt.In Dieter Wellershoffs Roman "Einladung analle" 247 ) gibt sich <strong>de</strong>r "Reporter aus Hamburg" gut informiert,gezeigt wird also nur das Ergebnis <strong>de</strong>r Archivarbeit:"Die Sache war gut vorrecherchiert. Er hatte die Namen<strong>de</strong>r wichtigsten Polizeibeamten, die mit <strong>de</strong>r Fahndungbefaßt waren, vor allem aber auch die Adresse einesRechtsanwaltes, <strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r letzten Verurteilung Fin<strong>de</strong>isens<strong>de</strong>ssen Pflichtverteidiger gewesen war. Außer<strong>de</strong>mgab es noch entfernte Verwandte von ihm in <strong>de</strong>r Stadtund verschie<strong>de</strong>ne Firmen, bei <strong>de</strong>nen er früher einmalgearbeitet hatte." 248 )Geert Zebothsen zeigt in seinem Roman "Ararat" 249 ) lediglichdie Quellen <strong>de</strong>s Journalisten Herbert Hensmann auf: Das "Archiv<strong>de</strong>s New Yorker Time Magazine", "die europäische Pressewie die Neue Zürcher, die Frankfurter Allgemeine o<strong>de</strong>r meinehemaliger Brötchengeber, das Nachrichtenmagazin Der Spiegel(...)." 250 )Am ausführlichsten und offenbar mit didaktischem Anspruchbeschreibt F.J. Wagner in "Big Story" die Archivarbeit. Ererklärt, wozu die Archive gebraucht wer<strong>de</strong>n und welche Fragestellungenmit ihrer Hilfe geklärt wer<strong>de</strong>n können:"Je<strong>de</strong>r Reporter beginnt seine Story im Archiv. DerGang ins Archiv gehörte einfach zur Vor-Recherche.Hatte jemand schon über die Personen geschrieben, umdie es ging? Gab es Hintergrundmaterial? Die DRAFOGsollte angeblich im Han<strong>de</strong>lsregister stehen. Also wer<strong>de</strong>ndie Wirtschaftszeitungen über sie berichtet haben.(...)" 251 )Wagner liefert auch die Grün<strong>de</strong> für diese Sorgfalt:"Keine Zeitschrift <strong>de</strong>r Welt veröffentlicht einen Bericht,<strong>de</strong>r sich auf Vermutungen stützt. Kein Sen<strong>de</strong>rgab ihnen auch nur eine Minute, wenn sie keine Beweisehätten." 252 )247) Dieter Wellershoff: Einladung an Alle, Roman, Frankfurta.M. 1974, hier Frankfurt a.M. 1986248) ebenda, S. 67249) Geert Zebothsen: Ararat, Roman, Frankfurt a.M. 1987250) ebenda, S. 173251) F.J. Wagner, Big Story, a.a.O., S. 114f.252) ebenda


Neben Archivrecherche und Interview tritt die Beobachtung.Auch sie wird nur in wenigen Erzähltexten beschrieben. BeiIngeborg Drewitz ("Gestern war Heute") wird nur sehr kurzauf die Demonstrationen gegen <strong>de</strong>n Schah-Besuch eingegangen,die die Protagonistin Gabriele M. als Redakteurin verfolgthat 253 ).In Nicolas Borns "Die Fälschung" und <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Unterhaltungsromanenvon Hinrich Matthiesen und F.J. Wagner 254 ) wirdsehr breit über Beobachtung geschrieben. Das liegt daran,daß in allen drei Erzähltexten Reporter Kriegs- bzw. Skandalberichterstattungbetreiben und stark in das Gescheheninvolviert wer<strong>de</strong>n.In diesen drei Romanen kommt es auch zum Eingriff <strong>de</strong>r Protagonistenin das Geschehen, das heißt, die konventionellenGrenzen <strong>de</strong>s beobachten<strong>de</strong>n Journalismus wer<strong>de</strong>n überschritten.Schließlich wer<strong>de</strong>n alle Notizen gesammelt und gesichtet -sofern man sie noch entziffern kann. Der Redakteur inJägersbergs "Der Fernsehreporter unterwegs, hoppla" hatdabei Schwierigkeiten:"Ich habe Tage verbracht, um hinter die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>rvon mir im Suff angefertigten Zeichen zu kommen. Immerin <strong>de</strong>r Hoffnung, es stecke mal was Großes dahinter.Wann sonst sollte einem was Umwerfen<strong>de</strong>s einfallen?" 255 )Dann ist gegebenenfalls noch zu entschei<strong>de</strong>n, welchenSchwerpunkt die Story bekommen soll. Ein Beispiel fürsolche Überlegungen gibt Ingeborg Drewitz ("Gestern warHeute"):"Sie [Gabriele M., P.B.] will über die Versammlungschreiben und über die Re<strong>de</strong> von Renate. Aber sie weißnicht, was wichtiger ist: die Zustimmung, die Renate253) Ingeborg Drewitz, Gestern war Heute. Hun<strong>de</strong>rt Jahre Gegenwart,Düsseldorf 1978, hier München 1987, S. 310254) Hinrich Matthiesen, Tombola, a.a.O; F.J. Wagner, BigStory, a.a.O.255) Otto Jägersberg: Der Fernsehreporter unterwegs, hoppla,a.a.O., S. 135


im Saal fand, o<strong>de</strong>r das Polizeiaufgebot und die stummen,vom Zucken <strong>de</strong>r Bildschirme unruhigen Fenster in<strong>de</strong>n Hinterhäusern von Neukölln." 256 )Und dann beginnen die Redakteure, zu schreiben.4.3.3. Der Schreib-/ ProduktionsvorgangGleichgültig, in welchem Medium <strong>de</strong>r journalistischeProtagonist arbeitet, er zieht sich nach noch soabenteuerlicher Recherche zunächst an seinen Schreibtischzurück und verwan<strong>de</strong>lt die gesammelten Informationen ineinen zusammenhängen<strong>de</strong>n, seine Erkentnisse in logischer Abfolgeordnen<strong>de</strong>n Bericht.Insofern wird <strong>de</strong>r Journalismus mit seinen "unruhigen" und"verinnerlichten" Phasen als zweigeteiltes Berufsbild beschrieben(z.B. bei Matthiesen: "Tombola"):"Die Nie<strong>de</strong>rschrift seiner Artikel empfand er immer alsdie verinnerlichte Komponente seines Berufes, währen<strong>de</strong>r die an<strong>de</strong>re, das Draußensein mit <strong>de</strong>m Recherchierenund <strong>de</strong>m Kontaktieren, als die unruhige, die rastlosebezeichnete (...)." 257 )Wie genau diese "verinnerlichte" Phase <strong>de</strong>r journalistischenArbeit gezeigt wird, hängt von <strong>de</strong>r Intention <strong>de</strong>s Autors ab.Reicht es, nur einen allgemeinen Eindruck von <strong>de</strong>r angestrengtenund konzentrierten Schreibarbeit zu vermitteln,so genügt, wie in Paul Kerstens "Absprung", die Abschil<strong>de</strong>rung<strong>de</strong>s bekannten Klischees eines auf seine Schreibmaschinemit zwei Fingern einhämmern<strong>de</strong>n Redakteurs:"Rolf sah Thomas sitzen, wie er ihn täglich in <strong>de</strong>r Redaktionhatte sitzen sehen: <strong>de</strong>n Kopf zwischen <strong>de</strong>n hängen<strong>de</strong>nSchultern geduckt, mit zwei Fingern auf dieSchreibmaschine einhackend, als gälte es sie zu zertrümmern.Schweißperlen auf Stirn und Nasenspitze, <strong>de</strong>nMund hechelnd aufgerissen. Die Zunge weit herausgestreckt,über die Lippen leckend und in Augenblickenverbissener Konzentration, die sich Thomas bei seineroriginalitätssüchtigen Formulierungssuche abverlangte,an <strong>de</strong>r Spitze zu einem steifen, nach hinten geklapptenZipfel aufgerollt." 258 )Hier wird darüberhinaus versucht, die geistige Konzentra-256) Ingeborg Drewitz: Gestern war Heute, a.a.O., S. 358257) Hinrich Matthiesen: Tombola,München 1977, hierAugsburg 1985, S. 111258) Paul Kersten: Absprung, a.a.O., S.251f.


tion <strong>de</strong>s Schreiben<strong>de</strong>n mit körperlich sichtbaren Kennzeichen<strong>de</strong>utlich zu machen. Die geschil<strong>de</strong>rte Person ist mit zwischen<strong>de</strong>n Schultern hängen<strong>de</strong>m Kopf in sich gekehrt; dieAnstrengung wird durch hacken<strong>de</strong> Bewegung und Schweißange<strong>de</strong>utet, die gerollte Zunge zeigt angestrengtes Nach<strong>de</strong>nken.Der Schreiben<strong>de</strong> ist total in seine Arbeit vertieft, er erscheintwie im Rausch, <strong>de</strong>m einige Protagonisten ein wenignachhelfen, in<strong>de</strong>m sie sich einen "kleinen Arbeitsrausch" 259 )antrinken. Otto F. Walter schil<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n Zustand als"Schreibzwang" 260 ), Jost Nolte schreibt von einer "ArtTrip" 261 ); gemeint ist wohl das Gleiche.Allerdings bleiben solche Schlagworte allenfalls An<strong>de</strong>utungen,<strong>de</strong>nn sie wer<strong>de</strong>n nicht mit konkreten Schil<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>rSchreibarbeit gefüllt.An<strong>de</strong>rs verfahren Michael Springer, Hinrich Matthiesen undNicolas Born. Sie zeigen <strong>de</strong>tailliert bis in einzelne Formulierungenhinein die Anstrengung ihrer Jornalisten, aus <strong>de</strong>nRecherchenotizen Artikel zu produzieren.Springer zeigt in Seebaum einen Berufsanfänger, <strong>de</strong>r imLaufe <strong>de</strong>r Handlung mit <strong>de</strong>r Routine <strong>de</strong>s Lokaljournalismusbekannt gemacht wird. In<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n Redakteur Koll <strong>de</strong>mzunächst hilflosen Seebaum unter die Arme greifen läßt,wird die Textproduktion im Lokaljournalismus in Einzelheiten<strong>de</strong>utlich:"Seebaum spannte ein Blatt ein und überlegte. Wie beginnen?Koll schnaubte, kam um <strong>de</strong>n Tisch und sah ihmüber die Schulter. 'Los', drängte er, 'das erledigtsich doch im Schlaf. Also: Auf <strong>de</strong>r gestrigen Sitzung<strong>de</strong>s Finanzausschusses - Sie wissen, wir erscheinenmorgen, also ist heute gestern - auf seiner gestrigenSitzung befaßte sich <strong>de</strong>r Finanzausschuß mit zweiheißen Themen. Es ging um einen Spielplatz an <strong>de</strong>r Redlichstraße- schreiben Sie, Mann, wir haben keineZeit!' Seebaum begann mit zwei Fingern zu tippen, Kolldrängte ihn weg und setzte sich an die Masdchine. Erdiktierte sich selbst und ratterte mit zwei Fingernwin<strong>de</strong>seilig über die Tasten: 'An <strong>de</strong>r Redlichstraße',er rieb sich mit einem Finger <strong>de</strong>n Nasenflügel; dasmußte er oft tun, <strong>de</strong>r Nasenflügel war rot und glänzte,'einem Dauerthema <strong>de</strong>r Gruhmer Kommunalpolitik. (...)Außer<strong>de</strong>m', er wndte sich um, sichtlich stolz auf die259) Günter Seuren: Die Asche <strong>de</strong>r Davidoff, Reinbek beiHamburg 1985, S.15260) Otto F. Walter: Die Verwil<strong>de</strong>rung, a.a.O., S. 94261) Jost Nolte: Eva Krohn..., a.a.O., S. 343


Routine, mit <strong>de</strong>r er über ein Ereignis berichten konnte,an <strong>de</strong>m er nicht teilgenommen hatte: 'Wer hat <strong>de</strong>nnfür die PFAV gesprochen?' Seebaum zuckte verlegen dieAchseln.Koll seufzte, wandte sich <strong>de</strong>r Maschine zu und formulierte:'Außer<strong>de</strong>m, so die PFAV, stehe <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rnlängs <strong>de</strong>r Redlichstraße <strong>de</strong>r ganze Amselpark zur Verfügung.'Koll zählte die Zeilen, murmelte: 'Zu lang',rieb die Nase und fuhr fort: 'Dagegen hatte die PECHeinzuwen<strong>de</strong>n, daß dies die Kin<strong>de</strong>r zum Überqueren gefährlicherVerkehrsa<strong>de</strong>rn wie <strong>de</strong>r Haupt- und <strong>de</strong>r Mühlenstraßezwingt...' - 'Aber das haben die PECH-Leutenicht gesagt', warf Seebaum ein.Koll schlug auf <strong>de</strong>n Tisch: 'Traurig genug, wenn sie zufaul waren! - ...zwingt, und verwies auf mehrere hun<strong>de</strong>rtUnterschriften (...)'.'So', sagte Koll zufrie<strong>de</strong>n und zählte die Zeilen.'Viel zuviel', murmelte er und strich mehrere Zeilenaus.Sebaum sah auf die Uhr: Koll hatte sieben Minuten gebraucht.(...)" 262 )Nach sieben Monaten ist Seebaum so perfekt wie Koll, erkann quasi ohne Nachzu<strong>de</strong>nken Lokalberichte schreiben undfunktioniert in <strong>de</strong>r Redaktion unterschiedslos zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>renRedakteuren:"Sein Stil verlor die persönlichen Spuren, durch dieseine Arbeit aufgefallen war. Er schrieb jetzt flüssigesZeitungs-Freiländisch." 263 )Ähnlich <strong>de</strong>tailliert schil<strong>de</strong>rt Matthiesen, wie <strong>de</strong>r ReporterHanno Fries <strong>de</strong>n Beginn seiner Story auszuformulieren sucht.Er arbeitet für eine Zeitschrift, steht also nicht ganz soextrem unter Zeitdruck und kann seine Formulierungen genauerüber<strong>de</strong>nken. So schreibt er auch zunächst mit <strong>de</strong>rHand, streicht seine Sätze mehrfach und sucht nach passen<strong>de</strong>nFormulierungen mit <strong>de</strong>m richtigen "Sound" 264 ).Was zunächst nicht gelingen will, kommt am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Unterhaltungsromansdoch noch zu einem positiven Abschluß: Diebei<strong>de</strong>n Reporter-Freun<strong>de</strong> Fries und Stefan Hentrich formulierengemeinsam an ihrer Story, von <strong>de</strong>r Matthiesen allerdingsnur Werkstattproben wie<strong>de</strong>rgibt: "Natürlich schrieb Stefanseine Geschichte an<strong>de</strong>rs (...)" 265 ).Am genauesten wird die Textproduktion von Born beschrieben.Hier wer<strong>de</strong>n nicht nur einzelne Textpassagen wie<strong>de</strong>rgegeben,son<strong>de</strong>rn auch Vorüberlegungen und die Gedankengänge während262) Michael Springer: Bronnen, a.a.O., S.58f.; PFAV undPECH sind fiktive Parteienabkürzungen.263) ebenda, S. 92264) Hinrich Matthiesen: Tombola, a.a.O., S.116265) ebenda, S. 365f.


<strong>de</strong>s Schreibens. Auch diese Überlegungen stehen wie<strong>de</strong>r inZusammenhang mit <strong>de</strong>r problematischen Berufsrolle, in diesich <strong>de</strong>r Protagonist Laschen gedrängt sieht:"Was sollte er schreiben, notieren? Was er erlebthatte, die Angst, das Gefühl <strong>de</strong>r Unverwundbarkeit, daseigene Blutgedränge unter <strong>de</strong>m Gedränge <strong>de</strong>s Schalls <strong>de</strong>rdurchschossenen Luft, das konnte er nicht schreiben,das war Erfahrung, die in ihm drinbleiben mußte." 266 )Die subjektiv empfun<strong>de</strong>ne Fälschung zeigt sich im Gegensatzvon Nie<strong>de</strong>rgeschriebenem und <strong>de</strong>r zuvor erlebten Realität.Weil <strong>de</strong>r Schreibprozeß so genau abgebil<strong>de</strong>t wird, kann manverfolgen, wie die Fälschung nicht beim eigentlichenSchreiben selbst, son<strong>de</strong>rn unmittelbar danach bei erstemDurchlesen empfun<strong>de</strong>n wird:"Er schrieb mit spitzem Filzstift auf lose Blätter.Manchmal, das kannte er, wechselte die Handschrift,auf <strong>de</strong>m einen Blatt verlief sie scharf und schräg mitzugespitzten Kurven, auf <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren offen und großzügigbauchig. Manchmal wechselte das Schriftbild mittenauf <strong>de</strong>m Blatt. Er schrieb über die Ursachen, die zu<strong>de</strong>m aktuellen Palästinenserproblem geführt hatten, diePalästinenserkriege (...). Damit fütterte er die aktuellenEreignisse. Woran lag es aber, daß es so nie gewesenwar? Entwe<strong>de</strong>r griffen die Sätze nicht, erhieltenkein bestimmtes Gewicht, o<strong>de</strong>r alles klang nach unverschämtlaunig vorgetragenen Anekdoten. Es schien alleserfun<strong>de</strong>n. (...) Es war so, als ob er in <strong>de</strong>m bisher geschriebenenherumkletterte." 267 )Später folgen Überlegungen Laschens, wie er seine Schreibproblemein <strong>de</strong>n Griff bekommten könnte und für sich selbstvertretbare Texte schreiben könnnte. Er probiert verschie<strong>de</strong>neBeschreibungstechniken aus. Zunächst"(...)schrieb er nie, was er dachte, das heißt, er schriebnur, was er außer sich dachte, auch was er für schreibbarhielt gera<strong>de</strong>." 268 )Laschen versucht, sich von <strong>de</strong>r eigenen Textproduktion zudistanzieren und sie <strong>de</strong>m Leser näherzubringen: "Sollte erdie Ereignisse in das Präsens hineinschreiben, näher an <strong>de</strong>nLeser heran?" 269 ) Obwohl er zunächst glaubt, mit diesenneuen Verfahren die Fälschung zu umgehen und realitätsnahbeschreiben zu können 270 ), gibt er schließlich <strong>de</strong>n Beruf266) Nicolas Born: Die Fälschung, a.a.O., S. 55267) ebenda, S. 14f.268) ebenda, S. 123269) ebenda, S. 183270) siehe z.B. ebenda, S.218: "Heute konnte (...) nichtsFalsches entstehen (...)."


zunächst ganz auf:"Er wollte nur einen Zustand been<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Fälschensebenso wie <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r moralischen und kritischenEmpörung, diesen Zustand been<strong>de</strong>n, ohne völlig <strong>de</strong>rGleichgültigkeit zu verfallen, das war das Kunststück."271 )Auch an<strong>de</strong>re fiktive Journalisten wollen aus <strong>de</strong>r sich infortschreiten<strong>de</strong>r Routine einstellen<strong>de</strong>n Gleichgültigkeitausbrechen.Der Fernsehredakteur Feldmann "war immer außen vor dabei,sah sich zu, wie er Filme machte" 272 ). Schon lange bevor erkündigt, "(...) hatte er Lust, etwas an<strong>de</strong>res zu tun, einFernsehspiel zu schreiben o<strong>de</strong>r eine Unterhaltungssendung."273 ) Ähnlich <strong>de</strong>r Reporter En<strong>de</strong>rs, von <strong>de</strong>mseine Kollegen sagen, er "(...) wür<strong>de</strong> ein Buch über fehlgeleiteteEntwicklungshilfe schreiben und hätte vorerst <strong>de</strong>mJournalismus <strong>de</strong>n Rücken gekehrt." 274 )Bei vielen <strong>de</strong>r Autoren, die eigentlich im Journalismus heimischsind, dürften ähnliche Erfahrungen dazu geführt haben,Erzähltexte zu schreiben - hier wird die nahe Verwandschaftvon Journalismus und Literatur <strong>de</strong>utlich, die auch<strong>de</strong>r Grund sein könnte, warum <strong>de</strong>r eigentliche Schreibprozeßin einigen Texten so genau wie<strong>de</strong>rgegeben wird.Daß aber "'Schreiben' unter <strong>de</strong>n genannten journalistischenTätigkeitsfel<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Literatur an erster Stelle steht",wie Stefan Pannen 1987 auf empirischer Untersuchungsbasisfeststellte 275 ), kann für die hier untersuchten Erzähltextenicht bestätigt wer<strong>de</strong>n. Vielmehr nehmen Recherche und Bearbeitungdurchaus einen vergleichbaren Stellenwert ein.271) ebenda, S. 304272) Jürgen Breest: Dünnhäuter, a.a.O., S.39273) ebenda274) F.J. Wagner: Big Story, a.a.O., S. 11275) Stefan Pannen: Die machtlosen Meinungsmacher, a.a.O.,S. 155. Die von Pannen aufgeführten Tätigkeitsfel<strong>de</strong>rsind: Schreiben, Recherchieren, Redigieren, Organisieren,Fotografieren.


4.4. Zusammenfassen<strong>de</strong> SchlußfolgerungenDie Untersuchung <strong>de</strong>s Arbeitsfel<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r fiktiven Journalistenführt zu einigen überraschen<strong>de</strong>n Ergebnissen.Ganz im Gegensatz zu meiner These, daß neuere Erzähltextedie Fortschritte in <strong>de</strong>r Medientechnik <strong>de</strong>r letzten zweiJahrzehnte wohl wie<strong>de</strong>rspiegeln wür<strong>de</strong>n, wird Medientechnikin <strong>de</strong>n untersuchten Texten nur am Ran<strong>de</strong> thematisiert. Insbeson<strong>de</strong>redie 'Neuen Medien' kommen nur sehr selten vor undwer<strong>de</strong>n in keinem <strong>de</strong>r Texte erklärend behan<strong>de</strong>lt.Vorherrschend sind zwei Umgangsweisen mit Technik: entwe<strong>de</strong>rein völlig unspektakulärer Umgang mit neuen Techniken - wieetwa bei Christine Grän - o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ren teilweise bzw. völligeAblehnung - etwa bei Rainer Horbelt.Wer in <strong>de</strong>r erzählen<strong>de</strong>n Literatur <strong>de</strong>r Gegenwart differenzierteAuseinan<strong>de</strong>rsetzungen mit neuer Medientechnik erwartet,wird enttäuscht. Vorherrschend sind stark vereinfachen<strong>de</strong>Darstellungen, die <strong>de</strong>r Technik nicht gerecht wer<strong>de</strong>nkönnen, o<strong>de</strong>r, vor allem in <strong>de</strong>r Trivialliteratur, diefür Laien kaum verständliche Fachsprache von technisch versiertenJournalisten.Sehr ausführlich und differenziert sind dagegen dieSchil<strong>de</strong>rungen von Redaktion und journalistischer Tagesarbeit.Redaktionen wer<strong>de</strong>n zum Teil genau beschrieben und inihrem Zusammenspiel gezeigt, die Erzähltexte dringen sehrweit in <strong>de</strong>n redaktionellen Alltag ein.Beson<strong>de</strong>res Augenmerk richten viele Autoren auf Konflikteinnerhalb <strong>de</strong>r Redaktion. Redaktionelle Querelen und Konfliktemit Vorgesetzten wer<strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>rs ausführlichdargestellt und beleuchten gegenseitige Abhängigkeiten undZwänge. Allerdings wer<strong>de</strong>n nur selten, wie etwa bei Breest,übergreifen<strong>de</strong> Zusammenhänge hergestellt, die etwa auch dieZwänge <strong>de</strong>r Vorgesetzten umfassen. Die Konflikte bleibenzumeist auf <strong>de</strong>r Stufe zwischen Redakteur und direktemVorgesetzen verhaftet, <strong>de</strong>r in diesem engen Blickwinkelschnell zum Feind wird.Gera<strong>de</strong> in journalistischen Konflikten wer<strong>de</strong>n auch dasSelbstbild <strong>de</strong>r Redakteure und Reporter und ihre Auffassungenzu jornalistischen Moralbegriffen ausführlich gezeigt.Damit wer<strong>de</strong>n die Zwänge und Probleme, die innerhalb <strong>de</strong>r Medienherrschen, individuell nachvollziehbar und verständlich.


Beson<strong>de</strong>res Gewicht erlangen die journalistischen Arbeitstechnikenund <strong>de</strong>r eigentliche Schreib- o<strong>de</strong>r Produktionsvorgang.In fast allen Erzähltexten wer<strong>de</strong>n die Schrittenachvollzogen, die von <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e zum fertigen Berichtführen. Damit wird sicher einerseits <strong>de</strong>m Interesse <strong>de</strong>rLeser entsprochen, auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite liegt es wohl aberauch im Interesse <strong>de</strong>r Autoren, die beson<strong>de</strong>re journalistischeArt <strong>de</strong>s Recherchierens und Schreibens herauszuarbeitenund <strong>de</strong>r schriftstellerischen Produktion gegenüberzustellen- nicht selten wer<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong> Arten <strong>de</strong>s Schreibens im Romanselbst verglichen.Überraschend ist dabei, daß nicht nur <strong>de</strong>r Schreibvorgangselbst ausführlich beschrieben wird, wie bereits frühereUntersuchungen festgestellt hatten, son<strong>de</strong>rn auch dieBeschaffung <strong>de</strong>s dazu notwendigen Materials in <strong>de</strong>r journalistischenRecherche.


5. Fiktive Journalisten als HandlungsträgerNach<strong>de</strong>m berufliche Rahmenbedingungen und Arbeitsweise <strong>de</strong>rfiktiven Journalisten untersucht wur<strong>de</strong>n, sollen in diesemKapitel die Journalisten selbst betrachtet wer<strong>de</strong>n.Schon bei erster Lektüre <strong>de</strong>r Erzähltexte wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich,daß es "<strong>de</strong>n" typischen Journalisten in <strong>de</strong>r Fiktion offenbarnicht gibt. Vielmehr tauchen etwa eine Handvoll grundsätzlichunterscheidbarer Charakterzüge auf, die die Protagonistenverschie<strong>de</strong>n stark prägen und die Einordnung in eingrobes Typenraster 276 ) ermöglichen.Obwohl die von mir gebil<strong>de</strong>ten Kategorien aufgrund <strong>de</strong>r in<strong>de</strong>n Texten stark ausdifferenzierten Charaktere nicht ganztrennscharf sind 277 ), bietet dieses Verfahren doch dieMöglichkeit größerer Übersichtlichkeit und ermöglicht so<strong>de</strong>n direkten Vergleich zwischen Protagonisten ähnlichenTyps.Meine Kategorien resultieren aus direkter Leseerfahrung undbil<strong>de</strong>n daher eine subjektive textgebun<strong>de</strong>ne Grundlage. DieEinteilung begrün<strong>de</strong>t sich auf eine annähern<strong>de</strong> Gleichverteilung<strong>de</strong>r Anzahl <strong>de</strong>r Hauptfiguren auf die einzelnen Kategorien,um Vergleiche innerhalb <strong>de</strong>r Kategorie zu erleichtern.Einzelne Kategorien greifen die empirischen Erkenntnissevon Marina Knippel und Stefan Pannen auf, modifizieren aber<strong>de</strong>ren Benennungen. So basiert zum Beispiel meine Kategorie<strong>de</strong>s "Aussteigers" auf Beobachtungen von Knippel und Pannen278 ). An<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>n Untersuchungen gebrauchte Unterscheidungen,etwa die Kategorie "Der Journalist als Schreibtischtäter"bei Pannen 279 ), enthalten bei <strong>de</strong>n von mir untersuchtenTexten zu wenig Ausprägungen und schienen mir daherwenig hilfreich - die Kategorie geht in einer an<strong>de</strong>ren auf(hier in "Macher").Eine vollständige Beschreibung aller fiktiven Journalisten276) Der Begriff "Typ" soll hier nicht nur Charaktereigenschaftenumfassen, son<strong>de</strong>rn auch bestimmte Grun<strong>de</strong>instellungenzum Journalismus.277) Deshalb taucht ein Protagonist ggf. in mehreren Kategorienauf. In <strong>de</strong>r Regel wird er aber nach seiner'stärksten' Charaktereigenschaft zugeordnet.278) Marina Knippel: Das Bild <strong>de</strong>s Journalisten..., a.a.O.,Kapitel 5.10. "Die Aussteiger", S. 118ff.; StefanPannen: Die Machtlosen Meinungsmacher, a.a.O., Kapitel2.3. "Der Journalist als Aussteiger", S. 97. (DieseKategorie umfaßt bei Pannen nur Texte aus <strong>de</strong>n Jahren1969-82).279) Stefan Pannen, ebenda, Kapitel 2.2., S. 89ff.


zw. <strong>de</strong>ren Zuordnung in das Typenraster ist im Rahmen dieserArbeit nicht zu leisten. Ich beschränke mich darauf,die in <strong>de</strong>n Erzähltexten beschriebenen Grundtypen von Journalistenanhand von Beispielen vorzustellen und beschränkemich auf zentrale Figuren.5.1. "Macher"Sowohl <strong>de</strong>r Typ <strong>de</strong>s "Machers" als auch <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s "Gerissenen"basieren auf <strong>de</strong>m traditionellen Klischee <strong>de</strong>s Journalistenals "rasen<strong>de</strong>m Reporter", <strong>de</strong>r als Held <strong>de</strong>r Schreibmaschineimmer direkt am Geschehen ist, Skandale auf<strong>de</strong>ckt und unerbittlichseine Recherchen vorantreibt.Vor allem in <strong>de</strong>r Trivialliteratur mit ihrer Neigung zu betontmännlichen Hel<strong>de</strong>nfiguren wer<strong>de</strong>n diese Charakterzügebis heute verwen<strong>de</strong>t. Dabei ist <strong>de</strong>r "Macher" <strong>de</strong>r eher negativeVertreter dieses Bil<strong>de</strong>s: Er ist zwar voller Energieund Optimismus, aber auch übertrieben egoistisch und gehtfür seine Story gewissenlos 'über Leichen'.Am reinsten wird dieser Journalisten-Typus von F.J. WagnersProtagonisten Morlock verkörpert. Morlock ist ein "richtigerEinzelkämpfer" 280 ), durchtrainiert 281 ) und fanatisch inseine Arbeit verliebt 282 ). Er sucht fortwährend das Abenteuerund sieht seinen Beruf als Chance, seinen Erlebnishungerzu stillen: "Ich muß in die Nähe <strong>de</strong>r Schlösser,ich muß hinauf auf <strong>de</strong>n Berg." 283 )Die Storys, an <strong>de</strong>nen Morlock gera<strong>de</strong> arbeitet, rücken sostark in <strong>de</strong>n Mittelpunkt seines Interesses, daß selbst fürFrauen kein Platz mehr ist, sie nehmen sogar ganz <strong>de</strong>renPlatz ein. Auch das Vokabular wird übertragen: Morlockmeint eine Story, wenn er sagt, er hätte schon lange keinemehr "aufgerissen" 284 ); "Anmache" bezeichnet für ihn dieSelbstmotivation für eine neue Story, sie ist erfolgreich,wenn er schließlich "geil auf die Strory" ist. 285 )Dabei i<strong>de</strong>ntifiziert sich Morlock aber nie mit <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>rStory zutage treten<strong>de</strong>n Inhalten. Er ist ein kühl rechnen<strong>de</strong>r280) F.J. Wagner: Big story, a.a.O, S. 237; dies ist dieAnerkennen<strong>de</strong> Einschätzung von Morlocks Chef "Lupo".281) ebenda, S. 17282) ebenda, S. 42: "(...) liebte er seine Arbeit mehr alsalles."283) ebenda, S. 47284) ebenda, S. 190285) ebenda, S. 112


Profi, <strong>de</strong>r mit seiner Arbeit keine i<strong>de</strong>ellen Zwecke verfolgt,son<strong>de</strong>rn lediglich Geld und vor allem Ruhm verdienenwill. Dieses Ziel vor Augen ist er auch bereit, gewissenlosvorzugehen, um an Informationen zu gelangen, die die Storyvoranbringen. Noch härter formuliert er es in einer Phase<strong>de</strong>s Selbstzweifels in Lebensgefahr selbst:"Du bist nicht hier, weil du Wän<strong>de</strong> versetzen undDecken durchstoßen willst, du bist nicht hier, weil duempört bist über das schreien<strong>de</strong> Unrecht, über Folter,Hunger und Elend. Morlock, du bist nicht hier, weil dudas Gewissen <strong>de</strong>r Welt wachrütteln willst, du bist auchnicht hier, weil du zwei kleine Kin<strong>de</strong>r und eine kränkeln<strong>de</strong>Frau ernähren mußt. Du bist hier, weil du einArschloch bist. 286 )Diese Selbsteinsicht führt aber nicht zu Konsequenzen. In<strong>de</strong>r in "Big Story" erzählten Geschichte geht Morlock sogardas Risiko eines Raketenangriffs auf Israel ein, <strong>de</strong>nn erhält Informationen über einen geplanten ugandischen Angriffzurück, um seine Story nicht zu gefähr<strong>de</strong>n.Hier zeigen sich Skrupellosigkeit und Fanatismus beson<strong>de</strong>rs<strong>de</strong>utlich:"Martins Gesicht hatte geglüht, als er gestern sagte:'Es wird ein Welthit. Die Amerikaner o<strong>de</strong>r die Israelishaben immer noch genügend Zeit, Amins Nazi-Raketen zuzerstören. Aber es muß unser Hit bleiben, unsereGeschichte.'" 287 )Sogar, als die eigene Mutter bedroht wird, arbeitet Morlockan <strong>de</strong>r Story weiter:"Nein, nein, es war <strong>de</strong>r alte Morlock. Seine Mutterwur<strong>de</strong> bedroht, aber es war ihm egal, Morlock wolltedie Story, um je<strong>de</strong>n Preis. Es war <strong>de</strong>r alteMorlock." 288 )Obwohl Morlock in erster Linie gegen gute Bezahlung arbeitetund mit zweifacher Berichterstattung für Illustrierteund Fernsehen doppeltes Geld verdient 289 ), motiviert ihndoch <strong>de</strong>r zu erwarten<strong>de</strong> Ruhm an einer gefahrvollen Story am286) ebenda, S. 29287) ebenda, S. 115288) ebenda, S. 117289) ebenda, S. 15


meisten. Der selbstverliebte Morlock sieht sich für Anstrengungund Gefahr entlohnt, wenn er das Lob seines Chefredakteurs"Lupo" erfährt und in seiner Zeitschrift dieeigene Story lesen kann:"'Ihr seid bei<strong>de</strong> groß', sagte Lupo, stand auf und diktierteim Vorzimmer die byline, die über <strong>de</strong>m Berichtstehen sollte. Es war das größte Lob, das Lupo jeeiner Story gegeben hatte. Noch nie hatte er die Autorenzeileüber einen Bericht selbst diktiert." 290 )"Die Fotos trugen sein [Morlocks, P.B.] Copyright.Seine byline stand unter <strong>de</strong>n Fotos: MARTINMORLOCK." 291 )Ganz ähnliche Charakterzüge zeigt <strong>de</strong>r Reporter Hanno Friesin Hinrich Matthiesens "Tombola". Auch er ist ein Einzelkämpfer,"seine besten Arbeitsbedingungen waren die Isolationeines Hotelzimmers und ein ausge<strong>de</strong>hntes Frühstück"292 ). Auch in <strong>de</strong>r Darstellung dieses Journalisten wirdimmer wie<strong>de</strong>r beschrieben, wie ruhelos und erlebnishungriger ist:"Er wür<strong>de</strong> nie <strong>de</strong>r Mann sein, <strong>de</strong>r sich irgendwo einHaus baut, für ein mittleres Blatt die Lokalseiteübernimmt und dann Jahrzehnte hindurch über dasAuftreten von Kirchenchören berichtet,(...) er wareben <strong>de</strong>r Typ, <strong>de</strong>n so etwas wie die Unruhe <strong>de</strong>s Söldnerstrieb." 293 )Auch Fries kann sich das Leben mit Frau und Familie nichtvorstellen, er hält Familienleben für ein naives Glück, das<strong>de</strong>m informierten Journalisten gar nicht möglich ist. 294 ) WieMorlock braucht er die Freiheiten seines Berufes:"Der Gedanke, ihm könnte jemals aufgetragen sein, füreine Familie zu sorgen, Vorratseinkäufe zu tätigen,Milch zu holen für die Kin<strong>de</strong>r, an einem Laufgitter miteiner Rassel zu scheppern o<strong>de</strong>r neben einem Paidi-Bettzu sitzen und Gutenachtgeschichten zu erzählen, erfüllteihn mit Unbehagen." 295 )Fries sucht "das Extravagante, das Nichtalltägliche" 296 ).An<strong>de</strong>rs als Morlock arbeitet er aber fest in <strong>de</strong>r Redaktion290) ebenda, S. 316291) ebenda, S. 310292) Hinrich Matthiesen: Tombola, a.a.O., S. 18293) ebenda, S. 23294) siehe ebenda, S. 63: "Wie oft ist ein Mensch nur <strong>de</strong>shalbglücklich, weil er nicht weiß, was alles an Nie<strong>de</strong>rtrachtmöglich ist."295) ebenda, S. 61296) ebenda, S. 63


einer Illustrierten und geht nur von Zeit zu Zeit in <strong>de</strong>nAußendienst, "(...) vor allem in Fällen, die <strong>de</strong>n aggressivenJournalismus erfor<strong>de</strong>rten." 297 )Morlock und Fries unterschei<strong>de</strong>t vor allem ihre Arbeitsauffassung.Obwohl fast ebenso draufgängerisch, ist Fries beiweitem nicht so gewissenlos wie Morlock. Obwohl auch ervermeidbare Risiken eingeht, in<strong>de</strong>m er in Kisten verpackteBomben zunächst nicht einfach beseitigt, son<strong>de</strong>rn sich dieSituation zuspitzen läßt, um damit <strong>de</strong>r Story einen zusätzlichenReiz zu geben, stellt er <strong>de</strong>n Stellenwert <strong>de</strong>r Storyimmerhin in Frage:"Die Story, ja. Was war sie überhaupt wert? fragte ersich plötzlich, und das hatte er sich noch nie gefragt.Was bringt es ein, wenn fünf Millionen Leserdiese afrikanische Reise nacherleben und ein paar Illustriertenseitenlang <strong>de</strong>n Nervenkitzel haben? Wasbringt es ein? Was bringt es mir ein? Vielleicht eineSteigerung <strong>de</strong>r Auflage und damit einen zufrie<strong>de</strong>nenMolthaupt und ein respektables Extra-Honorar. Aber wasist <strong>de</strong>nn das schon?" 298 )Die Motivation, eine gefährliche Story zu recherchieren,ist bei Fries also offenbar nicht an die Aussicht aufbeson<strong>de</strong>rs viel Geld o<strong>de</strong>r Ruhm gebun<strong>de</strong>n. Trotz seines rücksichtslosenund riskanten Vorgehens scheint Fries nochReste von journalistischem I<strong>de</strong>alismus zu haben, <strong>de</strong>r ihndazu treibt, wenigstens nur kalkulierbare Risiken einzugehenund sachlich zu berichten:"(...) in seinen eigenen Arbeiten hatte er stets zuvermei<strong>de</strong>n versucht, das Reißerische um <strong>de</strong>sReißerischen willen zu bringen. Seinem großen Berichtüber die Tankschiff-Saboteure wollte er daher <strong>de</strong>n hintergründigenTitel geben DIE KATASTROPHEN GMBH."Seine eigentliche Berufsmotivation zieht Fries aber aus <strong>de</strong>mtraditionell unjournalistischen Eingriff in das Geschehen.Er will die Katastrophe nicht nur auf<strong>de</strong>cken, son<strong>de</strong>rn möglichstauch gleich verhin<strong>de</strong>rn. Damit ist Fries <strong>de</strong>r einzigefiktive Journalist dieser Untersuchung, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n neueninvestigativen Journalismusformen sein eigentliches Berufszielerkennt. Wo Morlock noch lediglich die "Marktlücke <strong>de</strong>sinvestigative journalism" 299 ) ent<strong>de</strong>ckt, ist <strong>de</strong>r Eingriff indie Vorgänge <strong>de</strong>r eigentliche Grund für Fries, Journalist zusein:297) ebenda, S. 36298) ebenda, S. 306299) F.J. Wagner: Big Story", a.a.O., S. 290


"Eine Weile drückte er sich noch herum um die Wahrheit,spielte mit seinen Einwän<strong>de</strong>n, mit seinen Skrupeln,doch dann gestand er sich endlich ein, daß nochetwas an<strong>de</strong>res, Wichtigeres im Spiel war, das ihnlockte: die Regie. Recherchieren, das war eine Sache,Berichten eine an<strong>de</strong>re und das Kassieren <strong>de</strong>s Honorarseine dritte. Aber dies: ein bißchen mitmischen, einbißchen Einfluß nehmen, <strong>de</strong>n Gang <strong>de</strong>r Dinge leiten, jaihn umleiten, einen Kulminationspunkt um Tage undMeilen versetzen und dabei für eine Steigerung <strong>de</strong>rDramatik sorgen, zielstrebig, kaltblütig, bis zurSelbstgefährdung, war es nicht das? Und war es nichtimmer so gewesen? Das gewisse Management? Die Entscheidungerzwingen? Aus <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>s bloßen Nachrichtenübermittlersausbrechen und etwas tun, was <strong>de</strong>rNachricht eine Wendung gibt? Das große, bestrik-kendgefährliche Spiel spielen? Das Söldnerspiel? Was esnicht das?Ja, das war es." 300 )Ganz im Gegensatz zu Fries steht in dieser Beziehung <strong>de</strong>rFotoreporter Hoffmann in Nicolas Borns "Die Fälschung".Hoffmann schreckt zwar ebenfalls vor keiner noch sogefährlichen Situation zurück, tut aber distanziert undquasi gefühllos seine Arbeit. Hoffmann hat klare, einfacheCharakterzüge, er "wirkte nur, nämlich einfach undmännlich." 301 )Hoffmann arbeitet, ohne sich wie sein Kollege Laschengefühlsmäßig zu engagieren, er ist ein kühler Profi:"Als Fotograf war er mehr am Fotografieren interessiert,wechselte Filme und Objektive aus. So gab esselten etwas Gedachtes o<strong>de</strong>r Ausgedachtes von ihm zuhören, wenn, dann hörte es sich endgültig an, wie eineAuffor<strong>de</strong>rung an alle, zu schweigen." 302 )Diese Sachlichkeit trägt ihm <strong>de</strong>n Ruf ein, ein "kaltblütigerBursche"zu sein. 303 ) Diese Einschätzung könnte man aber auchals Lob für einen perfekten journalistischen Handwerker sehen:Hoffmann arbeitet schnell, verläßlich, unaufdringlichund technisch perfekt 304 ) und ist kooperativ - Laschen kannmit ihm offenbar gut zusammenarbeiten. 305 )In seiner Kaltblütigkeit kann er seinen Partner auch davorbewahren, unüberlegte Schritte zu unternehmen. Als Laschenangesichts einer Exekution durchzudrehen droht, hält Hoff-300) Hinrich Matthiesen: Tombola, a.a.O, S. 306301) Nicolas Born: Die Fälschung, a.a.O., S. 23302) ebenda, S. 22303) ebenda, S. 71 (Einschätzung vom ReporterkollegenRudnik)304) ebenda, S. 176305) ebenda, S. 128


mann ihn zurück:"(...) Hoffmanns Gesicht erschien vor ihm und sagte,sei ruhig, du kannst doch nicht durchdrehen. Ich habedie Bil<strong>de</strong>r. Ich habe alles drauf." 306 )Von <strong>de</strong>m am skrupellosesten agieren<strong>de</strong>n Macher in <strong>de</strong>n untersuchtenErzähltexten erfährt man nur wenig Persönliches -es ist Werner Tötges in Heinrich Bölls "Die verlorene Ehre<strong>de</strong>r Katharina Blum".Nur in einer Szene gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Erzählung läßt <strong>de</strong>r AutorKatharina Blum über Tötges berichten, sie schil<strong>de</strong>rt ihn als"hübsch" und verurteilt ihn charakterlich als "Schwein". 307 )Tatsächlich wird Tötges als völlig gewissenloser Sensationsreporterdargestellt. So manipuliert er in seinenBerichten für eine Boulevardzeitung fortwährend Interviewaussagenund verkehrt sie damit inhaltlich in ihr Gegenteil.Aus:"Wenn Katharina radikal ist, dann ist sie radikalhilfsbereit, planvoll und intelligent - ich müßte michschon sehr in ihr getäuscht haben (...)."wird in Tötges Artikel:"'Eine in je<strong>de</strong>r Beziehung radikale Person, die unsgeschickt getäuscht hat.'" 308 )Ganz ähnliche Verdrehungen kommen noch öfter vor, so zumBeispiel im Interview mit <strong>de</strong>r kranken Mutter Katharinas, zu<strong>de</strong>ren Krankenhausbett sich Tötges in <strong>de</strong>r Verkleidung alsHandwerker, also mit unlauteren Metho<strong>de</strong>n, vorgemogelt hat:"(...) sie habe gesagt: 'Warum mußte das so en<strong>de</strong>n,warum mußte das so kommen?', woraus er in <strong>de</strong>r ZEITUNGmachte: 'So mußte es ja kommen, so mußte es ja en<strong>de</strong>n.'Die kleine Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Aussage von Frau Blum erklärteer damit, daß er als Reporter darauf eingestelltund gewohnt sei, 'einfachen Menschen Artikulationshilfezu geben'." 309 )306) ebenda, S. 180307) Heinrich Böll: Die verlorene Ehre <strong>de</strong>r Katharina Blum,a.a.O., S. 120308) Bei<strong>de</strong> Zitate: ebenda, S. 38309) ebenda, S. 92


Katharinas Mutter stirbt später, vermutlich infolge vonTötges Besuch. Auch dieser Zusammenhang wird völlig verzerrt,<strong>de</strong>nn in <strong>de</strong>r ZEITUNG berichtet Tötges, daß Katharinaschuld am frühen Tod <strong>de</strong>r Mutter sei.Selbst <strong>de</strong>r Erzähler ist da nicht mehr "ganz sicher, ob manalle Verleumdungen, Lügen, Verdrehungen <strong>de</strong>r ZEITUNG richtigkapiert." 310 )Nicht genug mit dieser Art von Aussage- und Tatsachenverdrehungenin <strong>de</strong>r "ZEITUNG": Tötges beliefert unter falschemNamen Illustrierte, in <strong>de</strong>nen er offenbar noch weitausspekulativere Berichte schreiben darf. 311 )Außer<strong>de</strong>m sind in seinen Artikeln eine Reihe vonVorverurteilungen enthalten, Tötges bezeichnet KatharinaBlum bereits als "RÄUBERLIEBCHEN" und sogar "MÖRDER-BRAUT" 312 ), bevor die polizeiliche Ermittlungen abgeschlossensind, geschweige <strong>de</strong>nn ein Gerichtsurteil vorliegt.Tötges bzw. die Zeitung, bei <strong>de</strong>r er arbeitet, scheint sogarbestechlich zu sein. Nicht an<strong>de</strong>rs ist die Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>sErzählers zu verstehen, <strong>de</strong>r als Ergebnis einer Telefonüberwachungfolgen<strong>de</strong>s Gespräch wie<strong>de</strong>rgibt:"(...) ein gewisser Lüding, <strong>de</strong>r hier gelegentlich erwähntwur<strong>de</strong>, die Chefredaktion <strong>de</strong>r ZEITUNG anruft un<strong>de</strong>twa sagt: 'Sofort S. ganz raus, aber B. ganzrein.'" 313 )Mit dieser verklausulierten Anweisung wird erreicht, "daßman in <strong>de</strong>r SONTAGSZEITUNG nicht mehr über S., aber vielüber B. wird lesen können." 314 ) Ähnlich korruptes Vorgehenwird nur noch in Eckhart Schmidts Roman "Die Story"beschrieben. 315 )Die extrem negative Darstellung <strong>de</strong>s fiktiven Reporters Tötgesdürfte auf Bölls eigenen Erfahrungen mit <strong>de</strong>r Berichterstattung<strong>de</strong>r Sensationspresse beruhen - vor allem auf <strong>de</strong>runsachlichen Berichterstattung <strong>de</strong>r Springer-Presse überseinen Versuch einer geistigen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>rBaa<strong>de</strong>r-Meinhof-Gruppe Anfang 1972. Auf diesen Zusammenhangweist Böll selbst hin:310) ebenda, S. 104311) siehe ebenda, S. 81312) ebenda, S. 32 bzw. 35313) ebenda, S. 87314) ebenda315) Eckhart Schmidt: Die Story, a.a.O, (Der Text ist eigentlichals "Filmbuch" bezeichnet, wird aber in <strong>de</strong>rHandlung als "Roman" vorgestellt, S. 6), z.B. S. 72.


"Sollten sich bei <strong>de</strong>r Schil<strong>de</strong>rung gewisser journalistischerPraktiken Ähnlichkeiten mit <strong>de</strong>n Praktiken <strong>de</strong>r>Bild


"Böll baut ein realistisches 1984 auf, in <strong>de</strong>m diePolizei die Außenkontrolle, die Überwachung <strong>de</strong>r Bewegungen,Gespräche, Telefone regelt und BILD die Innenkontrolle,die Herstellung <strong>de</strong>r Informationen, Emotionenund Wünsche macht." 322 )Eine genauere Untersuchung <strong>de</strong>s Zusammenhangs zwischen <strong>de</strong>nErfahrungen <strong>de</strong>s Autors und <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspiegelung seiner Erlebnissein <strong>de</strong>r Fiktion könnte gera<strong>de</strong> an diesem Beispielver<strong>de</strong>utlichen, welche Absichten ein Autor mit <strong>de</strong>r Ausgestaltungseiner Protagonisten verfolgen kann. Eine solcheAnalyse wür<strong>de</strong>, sollte sie die nötige Differenziertheitaufweisen, <strong>de</strong>n räumlichen und thematischen Rahmen dieserArbeit allerdings sprengen. Ich verweise daher auf Anette<strong>Peter</strong>sen, die die Hintergrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Erzählung aufzeigt undmit einer Inhaltsanalyse <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Literaturkritik dieGrundlage weiterer Untersuchungen schafft. 323 )Die Macher-Allüren <strong>de</strong>s Werner Tötges wer<strong>de</strong>n in ChristianeGräns Figur <strong>de</strong>s Hannibal Matzke gleichzeitig auf die Spitzegetrieben und ad absurdum geführt. 324 )Die Handlung belegt durchgängig, was schon in <strong>de</strong>r Vorstellung<strong>de</strong>r Hauptpersonen über Matzke ausgesagt wird:"Hannibal Matzke hat das Gemüt und Taktgefühl einesNashorns" 325 )"Hannibal Matzke, <strong>de</strong>r Sexualgigant" 326 ), ist auch sonst einMonstrum: Wie ein Diktator leitet er sein Fimteam, das in<strong>de</strong>r dritten Welt über ein Entwicklungshilfeprojekt berichtensoll. Dabei geht er jedoch nicht auf Tatsachen ein, dieer vor Ort vorfin<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn will lediglich seine Klischeesabfilmen:"(...) ich bin nicht hier, um irgendwelchen DörflernHöflichkeitsbesuche abzustatten o<strong>de</strong>r überhaupt höflichzu sein. Wir wollen hier einen Film drehen, nach <strong>de</strong>mIhre werte Organisation sich die Finger leckt. Daswollen wir hier mal klarstellen. Ich weiß nicht, wiedie an<strong>de</strong>ren am Tisch darüber <strong>de</strong>nken, aber das ist mirauch scheißegal." 327 )322) Dorothee Sölle: Heinrich Böll und die Eskalation <strong>de</strong>rGewalt, in: Merkur, Heft 316, 1974, S.886323) Anette <strong>Peter</strong>sen: Die Rezeption von Bölls "KatharinaBlum" in <strong>de</strong>n Massenmedien <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland,Kopenhagen/Nünchen 1980324) Christine Grän: Ein Bran ist schnell gelegt...,'Thriller' (Kriminalroman), Reinbek bei Hamburg 1989325) ebenda, S. 5326) ebenda, S. 39327) ebenda, S. 50


Dementsprechend geht er vor: Er kommandiert die Einheimischenwie Statisten, verlangt ständig nach westlichem Komfortund führt sich zu allem Überfluß noch als Weiberheldauf:"Von Rosen wußte aus langer und leidvoller Erfahrung,daß Matzke unerträglich wur<strong>de</strong>, wenn er kein kaltesBier und keine Weiber hatte. Und es war besser, ihnbei Laune zu halten. Dann wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Film besser unddie Aben<strong>de</strong> lustiger." 328 )Die starke Überzeichnung <strong>de</strong>s Machers in Matzke führt dazu,daß diese Figur schon in ihrer Beschreibung karikiert wird.Er wird zu einem Klischeejournalisten, <strong>de</strong>r seine Arbeitverabsolutiert und keine Kritik ertragen kann:"Reizen Sie mich nicht, verehrter Pressereferent. Wennes Ihnen nicht gepaßt hat, wie ich <strong>de</strong>n Film gedrehthabe, dann könnte es Ihnen noch viel weniger passen,was ich daraus mache. Verstehen Sie? Ich kann euerProjekt loben o<strong>de</strong>r in die Scheiße ziehen. Das istfreier Journalismus." 329 )Ganz im Gegensatz zu Figuren wie Werner Tötges und HannibalMatzke steht <strong>de</strong>r Redakteur Klaus Buch in Martin Walsers"Ein fliehen<strong>de</strong>s Pferd". Buch ist kein durch und durch kaltblütigerMacher, son<strong>de</strong>rn in Wahrheit ein verletzlicher undhart arbeiten<strong>de</strong>r Kämpfer.Das gibt er selbst jedoch nicht zu. Krampfhaft versuchtBuch, sein Image <strong>de</strong>s strahlen<strong>de</strong>n Lebemannes aufrechtzuerhalten,<strong>de</strong>r im Journalismus das Abenteuer sucht und esdabei zu einiger Berühmtheit gebracht hat:"Ohne Provokation gebe es ihn nicht. Wenn er nichtüberfor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>, lebe er nicht. Er brauche dieGrenze, sonst fühle er sich nicht. Also sei er Journalistgewor<strong>de</strong>n. Spezialist für Umweltfragen. Innerhalb<strong>de</strong>r Ökologie Spezialist für Ernährungsfragen.Auch im Fernsehen zu sehen." 330 )Buch liebt die Extreme, die er gera<strong>de</strong>zu zelebriert, umnicht für durchschnittlich gehalten zu wer<strong>de</strong>n - was er inWahrheit ist. So hat er auch eine extreme Vorstellung vonpersönlicher Freiheit, die er mit seinem Beruf verbin<strong>de</strong>t:328) ebenda, S. 43329) ebenda, S. 121330) Martin Walser: Ein fliehen<strong>de</strong>s Pferd, a.a.O., S. 42


"Sie mie<strong>de</strong>n alles, was ihre Unabhängigkeit einschränkenkönnte, sagte Klaus Buch. Sie müßten, wenn ihnenvormittags einfalle, nach Teneriffa zu fliegen, mittagsihr Häuschen in Starnberg verlassen und abends inLos Ro<strong>de</strong>os lan<strong>de</strong>n können, sonst habe er einfach dasGefühl, eine Küchenschabe zu sein." 331 )Um seine Freiheit und Spontanität zu beweisen, führt sichKlaus Buch immer wie<strong>de</strong>r auf wie ein kleiner Junge, <strong>de</strong>rseine Eigenheiten ausleben muß und sich in seiner Unvernunftgefällt. Typisch dafür ist die Szene in einer Weinstube,es geht um das Bezahlen <strong>de</strong>r Rechnung:"Helmut brüllte förmlich alarmiert: Zahlen. Alleszusammen!!Klaus be<strong>de</strong>ckte bei<strong>de</strong> Augen mit einer waagerechtenHand. Er spielte einen, <strong>de</strong>r nicht Zeuge eines Unglückswer<strong>de</strong>n will. Hel sagte - und streichelte ihren Klausübertrieben mütterlich -, jetzt hätten die Halms ihrenKlaus aber arg beleidigt. Sie verfiel dabei völlig unvermitteltin ein groteskes Schwäbisch. Klaus fuhrhoch und hielt sich bei<strong>de</strong> Ohren zu. (...) Klaus Buchsprang auf. Darauf sagte Hel in einem genau so groteskenBairisch, Klaus sei ein spinnerter Hammel, ersolle sich nicht so haben (...). Klaus stand jetzt vorihr, als wolle er sie hypnotisieren. Sie sagte: Nichtdiesen Blick, Junge! Und wischte ihm über die Augen.Klaus sagte: Du magst mich nicht mehr, gell. Sie küßteihn. Man konnte gehen." 332 )Schon mit <strong>de</strong>r Kommentierung <strong>de</strong>s Vorgangs durch <strong>de</strong>n Erzählerim letzten Satz wird ange<strong>de</strong>utet, wie künstlich das Verhaltenvon Klaus und Helene Buch ist. Klaus hat <strong>de</strong>n zwanghaftenWunsch, immer im Mittelpunkt <strong>de</strong>s Geschehens zu stehenund <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren überlegen zu sein, um sein Selbstbewußtseinzu stärken. In Wahrheit ist dieser strahlen<strong>de</strong>Macher aber eher ein Opfer seines Berufes.Helene schil<strong>de</strong>rt, wie es um Klaus wirklich steht:"Aber im Grun<strong>de</strong> genommen war er fertig. Ehrlich. Erwar auf <strong>de</strong>m falschen Dampfer. (...) Durch einensaublö<strong>de</strong>n Zufall ist er in diesen Scheißjournalismushineingekommen. Dann auch noch in dieses Umweltzeug.Dann hat er geglaubt, er muß das alles ernst nehmen,weil wir jetzt davon leben. Er war so verkrampft.Zuletzt hat er mit allen Leuten Krach gekriegt. Aberschon mit gar allen. Die Redakteure, von <strong>de</strong>nen er abhängigwar, hat er gehaßt, weil er von ihnen abhängigwar. Wenn einer auch nur einen Hauch von Kritik spürenließ, hat Klaus das eigene Manuskript vor <strong>de</strong>ssen Augen331) ebenda, S. 59f.332) ebenda, S. 64


zerrissen. Das war echt brutal. Natürlich auch lächerlich.Er hatte ja einen Durchschlag. Das wußteje<strong>de</strong>r." 333 )Der Beruf, <strong>de</strong>r Buch die Freiheit verhieß, hat ihm die Abhängigkeitgebracht. Das sieht er auch selbst, wenn er Helmutgegenüber die eigene Lebenssituation so zusammenfaßt:"(...) ich, die alte Küchenschabe, nichts gewesen, nichtsgewor<strong>de</strong>n (...)." 334 )Aber er ist unfähig, seine Probleme offen zu schil<strong>de</strong>rn undwill offenbar auch nicht versuchen, eine akzeptable beruflicheNormalität zu erreichen. Wie<strong>de</strong>r sucht <strong>de</strong>r das Extrem:Buch will <strong>de</strong>n abrupten Ausbruch aus <strong>de</strong>r Abhängigkeit.Deshalb schwärmt er Helmut gegenüber von einem Neuanfangund versucht, ihn dafür zu gewinnen:"Ich fin<strong>de</strong> einfach, wir sollten, bevor wir fünfzigsind, noch einmal vom Stapel laufen. Und ohne dich binich in Gefahr zu verblö<strong>de</strong>n. Das ist mir klar." 335 )Helmut erkennt die Lage Buchs, wenn auch nicht so <strong>de</strong>utlich,wie sie Helene schließlich offenbart. Und er erkennt, daßer es sein könnte, <strong>de</strong>r das "fliehen<strong>de</strong> Pferd" Klaus Buchaufhält:"Helmut sei sich, das fühlte er, Klaus Buch, <strong>de</strong>utlich,<strong>de</strong>r Gefahr <strong>de</strong>r Stagnation schärfstens bewußt. Vielleichthabe Helmut sogar schon resigniert. Er, KlausBuch, glaube das nicht. Er glaube eher, Helmut spielesich die Resignation zur Zeit vor, wer<strong>de</strong> aber, sobal<strong>de</strong>r sehe, daß es ernst wer<strong>de</strong>, schreiend vor <strong>de</strong>r Resignationzu fliehen suchen. Dann sei es wirklich zuspät." 336 )In Klaus Streben nach Verän<strong>de</strong>rung wird Helmut die eigeneFestgefahrenheit <strong>de</strong>utlich, er erkennt, daß er ähnlichangepaßt und fremdbestimmt ist wie Klaus. So beschreibt esauch Martha Christine Körling in ihrer Literaturkritik:"(...) wie ähnlich sie sich bei<strong>de</strong> im Grun<strong>de</strong> doch sehen:Zwei Intellektuelle, die vor <strong>de</strong>m Leben, <strong>de</strong>m sienicht gewachsen waren, immer nur in die Pose gefüchtetsind, Helmut in die <strong>de</strong>s traurig-überheblichen Verweigerns,Klaus in die [<strong>de</strong>r, P.B.] beflissenen Überanpassungan jeglichen Druck." 337 )333) ebenda, S. 138f.334) ebenda, S. 110335) ebenda336) ebenda, S. 111337) Martha Christine Körling: Doppeltes Versteckspiel auf<strong>de</strong>r Flucht vor <strong>de</strong>r Wirklichkeit. In seiner Novelle


Wohl auch <strong>de</strong>shalb nimmt Helmut das Angebot nicht an, er istdurchschaut. So ist die Erzählung "eine Parabel von <strong>de</strong>rHilflosigkeit <strong>de</strong>s Menschen inmitten seiner menschengemachtenKraft- und Potenzwelt" 338 ), als <strong>de</strong>ssen Beispiel<strong>de</strong>r Journalismus beson<strong>de</strong>rs geeignet zu sein scheint.Es zeigt sich, daß <strong>de</strong>r "Macher" Klaus Buch eigentlich eherein Angepaßter ist, <strong>de</strong>r sich zwar nach außen produziert,innen aber "an <strong>de</strong>m Leistungsanspruch unserer Epoche" 339 )lei<strong>de</strong>t.Ähnlich von Leistungsansprüchen beeinflußt ist <strong>de</strong>r KulturredakteurKlemens in Barbara Frischmuths Roman "Kai unddie Liebe zu <strong>de</strong>n Mo<strong>de</strong>llen". Zwar steht Klemens nicht imMittelpunkt <strong>de</strong>r Handlung, er spielt aber als Freund <strong>de</strong>rProtagonistin eine zentrale Rolle.Die Lebensentwürfe <strong>de</strong>r Ich-Erzählerin Amy Stern stehen imZentrum <strong>de</strong>r Handlung, so wird auch die Beziehung zu Klemensausführlich thematisiert. Deshalb lassen sich gera<strong>de</strong> inFrischmuths Roman die Auswirkungen <strong>de</strong>s Journalistenberufsauf das Beziehungsleben gut verfolgen.Auch <strong>de</strong>r Macher Klemens hat Schwierigkeiten, Beruf und Privatlebenzu vereinigen. Gera<strong>de</strong>, wenn seine Freundin mit ihmund <strong>de</strong>m gemeinsamen Kind Kai zusammen sein möchte, muß Klemensoft ins Theater 340 ):"Da aber sind die vielen Tage, an <strong>de</strong>nen Klemens keineZeit hat. An <strong>de</strong>nen er ins Theater geht, um darüber zuschreiben. Tagsüber sitzt er dann in <strong>de</strong>r Redaktion,und es zahlt sich überhaupt nicht aus, daß er auchnoch vorbeikommt. Seine Wohnung, das heißt die seinerMutter, liegt in <strong>de</strong>r Innenstadt. Es ist dann vielpraktischer, wenn er gar nicht kommt, anstatt unsdurch seine Hetzerei nervös zu machen." 341 )Was Klemens als "Macher" auszeichnet, ist, daß er in seinemBeruf keine Kompromisse machen will. Stets geht die Arbeit'Ein fliehen<strong>de</strong>s Pferd' beschreibt Martin Walser dieFinten <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen Intellektuellen, in: Berliner Morgenpost,4./5.5.1978; in eckigen Klammern: Fehler imOriginal.338) <strong>Peter</strong> Wapnewski: Männer auf <strong>de</strong>r Flucht. Die Unmöglichkeit,sich zu entgehen, in: Deutsche Zeitung, 15.3.1978339) Marcel Reich-Ranicki: Martin Walsers Rückkehr zu sichselbst. Seine beschei<strong>de</strong>nste und überzeugendste Arbeit:die Novelle 'Ein fliehen<strong>de</strong>s Pferd', in: FrankfurterAllgemeine Zeitung, 4.3.1978340) Dies wird mehrfach angesprochen: Barbara Frischmuth:Kai o<strong>de</strong>r und die Liebe zu <strong>de</strong>n Mo<strong>de</strong>llen, a.a.O., S. 15,21, 100341) ebenda, S. 21


vor, wenn er sich im Konflikt zwischen Privatleben undBeruf befin<strong>de</strong>t:"Mein Beruf ist ein Wahnsinnsberuf. Solange ich keinenNamen habe, kann ich mir ein sogenanntes Familienlebennicht leisten." 342 )Er hat sich "darauf eingelassen (...), mit all <strong>de</strong>nen zukonkurrieren, an <strong>de</strong>ren Stelle er sein möchte o<strong>de</strong>r die anseiner Stelle sein möchten" 343 ) - also auf <strong>de</strong>n offenenKonkurrenzkampf mit allen Mitteln.Der Beruf <strong>de</strong>s Journalisten ist für Klemens überhaupt einJob, <strong>de</strong>r ihn als Person total in Anspruch nimmt, ein"Wahnsinnsberuf". Gegeüber Amy verteidigt er überheblichdiese Berufsauffassung:"Arbeiten, das können Frauen. Warum auch nicht. Aberin <strong>de</strong>n Wahnsinnsberufen, da muß man ganz da sein." 344 )Folglich steht das Familienleben am Ran<strong>de</strong>, Klemens trenntsich schließlich ganz von seiner Familie und lebt ganz fürdie Arbeit. Diese Entscheidung kommentiert Amy so:"Und wenn du noch immer nicht begreifst, was für einejämmerliche Figur du mit <strong>de</strong>inem Karriere-Gezappel und<strong>de</strong>inen Weisheiten im nachhinein machst, dann muß ichdir auch noch sagen, daß ich es keinen Augenblickbereut habe, daß ich ihn [gemeint ist Sohn Kai, P.B.]unbedingt haben wollte." 345 )Der Journalismus erscheint hier als so bestimmend im Lebeneines Redakteurs, daß je<strong>de</strong> persönliche Bindung zum Scheiternverurteilt ist. Allerdings liegt das vor allem an <strong>de</strong>regozentrischen Berufsauffassung <strong>de</strong>s Machers, <strong>de</strong>r sich ineine "Hel<strong>de</strong>npose" 346 ) zurückzieht. Amy Stern dagegen, dieebenfalls in einer Redaktion arbeitet, stellt <strong>de</strong>n Berufweniger in <strong>de</strong>n Lebensmittelpunkt. So ist es ihr möglich,genug Zeit für ihr Kind Kai zu haben.Etwas an<strong>de</strong>rs als die bisher betrachteten Macher sind die,<strong>de</strong>nen schon ihre Position eine starke Machtstellung im Medienbetriebgibt, also die Chefredakteure und Verleger.Am ausführlichsten von ihnen wird <strong>de</strong>r Chefredakteur <strong>de</strong>rNeuen Berliner Rundschau, einer DDR-Zeitung, von HermannKant vorgestellt. David Groth ist ein sozialistischer342) ebenda, S. 27343) ebenda, S. 94344) ebenda, S. 96345) ebenda, S. 97346) ebenda, S. 101


'Self-ma<strong>de</strong>-man', er hat sich in ein und <strong>de</strong>rselben Zeitungvom Boten bis zum Chefredakteur emporgedient - auch dieserWer<strong>de</strong>gang wird von Kant ausführlich reflektiert.Groth ist es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen undEntscheidungen zu fällen - die allerdings, wie in allenDDR-Betrieben, auch bei je<strong>de</strong>r Zeitung in enger Abstimmungmit <strong>de</strong>r Partei vollzogen wer<strong>de</strong>n.Groth ist trotz seiner Machtstellung um Kollegialität bemüht:"Aber ich will bleiben, was ich bin; ich liebe - warumsollte ich <strong>de</strong>n Ausdruck scheuen? -, ich liebe meineArbeit, ich mag meinen Beruf, ich fühle mich wohlhier, ich kenne mich aus (...)." 347 )Auch Groth hat mit <strong>de</strong>r Trennung von Privatleben und BerufProbleme, allerdings haben sie eine an<strong>de</strong>re Qualität als dievon Morlock o<strong>de</strong>r Klemens: Groth ist ein vielbeschäftigterChef, kann sich seine Zeit aber immerhin einteilen, wenn erauch "wollte, ich könnte eine Schleuse einbauen zwischenWohnung und <strong>de</strong>m Rest <strong>de</strong>r Welt" 348 ). Seine Frau ist ebenfallsJournalistin und versteht seine Situation, das verlangt erauch von ihr. 349 )Wie die an<strong>de</strong>ren "Macher" neigt auch David Groth zum Einzelgängertum- mehr als <strong>de</strong>r Partei recht ist. Er erhält einenVerweis,"(...) weil du <strong>de</strong>iner Neigung zu politischem Einzelgängertumso weit nachgegeben hättest, daß nur eineübernatürlich große Dosis Glück verhin<strong>de</strong>rt habe, waseigentlich die Folge <strong>de</strong>ines Han<strong>de</strong>lns hätte seinmüssen, nämlich Unheil gesellschaftlicher Natur." 350 )Solche Ermahnungen verdrängt Groth schnell, er wird nichtgern an eigene Fehler erinnert: "wie soll er das noch imKopfe haben, ein vielbeschäftigter Mann wie er". Zumal erseine Fehler nicht einsieht, schließlich han<strong>de</strong>lt es sichunter an<strong>de</strong>rem um einen Gedankenaustausch mit Konrad A<strong>de</strong>nauer,<strong>de</strong>r ihm politisch übelgenommen wird. 351 )Auch gegenüber <strong>de</strong>r Partei versucht er seinen journalistischenTugen<strong>de</strong>n treu zu bleiben, <strong>de</strong>r Journalist soll einMensch sein, <strong>de</strong>r347) Hermann Kant: Das Impressum, a.a.O., S. 18348) ebenda, S. 144349) siehe ebenda, S. 143350) ebenda, S. 357351) ebenda, S. 358, ausführliche Darstellung dieses VergehensS. 367ff.


"(...) freundlich ist, aber nicht feige; skeptisch,aber nicht pessimistisch; ironisch, aber nicht zynisch;<strong>de</strong>r die Arbeit liebt und seine freie Zeit genießt;seine Freiheit schätzt und ohne Disziplin nichtleben kann; Ignoranz als einen Ansatz zur Barberei begreift;Dogmen nicht achtet und Prinzipientreue nichtmit Dogmatismus verwechselt; ein Genosse <strong>de</strong>n Genossenund ein unversönlicher Feind <strong>de</strong>n Fein<strong>de</strong>n <strong>de</strong>rGenossen." 352 )Damit hat Groth eine eigentlich i<strong>de</strong>alistische Journalismusauffassung,die ihn nur mit Rücksicht auf die Parteigelegentlich zum Anpassertum zwingt. Sein I<strong>de</strong>alismusbezieht sich aber nur auf seinen Beruf, nicht auf diepolitischen Ziele, die er mit <strong>de</strong>ssen Hilfe erreichenkönnte. So ist er auch an<strong>de</strong>ren Menschen gegenüber eigentlichunsensibel und benutzt sie für seine beruflichenZwecke. Leonore Krenzlin charakterisiert Groth so:"Einfühlung in an<strong>de</strong>re Menschen, in frem<strong>de</strong> Gefühlsweltenund Wertvorstellungen ist nicht seine starke Seite- Menschen interessieren ihn vor allem, weil er sieschil<strong>de</strong>rn, nicht weil er mit ihnen empfin<strong>de</strong>n will.Sein Hauptzug ist eine produktive Neugier, ein lebhaftesBestreben, Menschen und Verhältnisse kennenzulernen,vom Symptom zu Zusammenhängen vorzudringenund das Erfahrene in seiner publizistischen Tätigkeitan an<strong>de</strong>re zu vermitteln." 353 )Groth ist auch <strong>de</strong>shalb ein Machertyp, weil er sich mitGeschick und Glück Macht zu verschaffen wußte und dieseMacht als gelegentlich strenger Lehrmeister seinen Untergebenenvermittelt. 354 )Kant zeigt schon durch die Art <strong>de</strong>r Darstellung, daß sichGroth in dieser Machtposition gefällt. Er wählte die Ich-Erzählung und zeigt durch umfangreiche Abschweifungen inWer<strong>de</strong>gang und Arbeitsalltag <strong>de</strong>s Protagonisten <strong>de</strong>ssen Stolzund Egozentrik, die immer wie<strong>de</strong>r auch in Wichtigtuerei umschlagen:352) ebenda, S. 416353) Leonore Krenzlin, Hermann Kant. Leben und Werk, Berlin(Ost) 1979, hier: Berlin (West) 1979354) siehe Hermann Kant: Das Impressum, a.a.O, S. 411


"Sie alle wollen nicht vergessen sein, und alle zuständigenAbteilungen wollen gehört sein, und alleMitarbeiter wollen gelobet sein, und alle Arbeit willgeplanet sein (...)." 355 )Dieses überhebliche Gehabe eines sozialistischen Apparatschiksist offenbar auch <strong>de</strong>m Autor Kant nicht ganzfremd, <strong>de</strong>r wie sein Protagonist Groth Journalist undParteifunktionär ist. In einem Interview mit AnnelieseGroße nimmt er Stellung zu seinen Parteiämtern:"Ich kann wirklich sagen, solange ich in <strong>de</strong>r Partei<strong>de</strong>r Arbeiterklasse bin, und das sind jetzt dreiundzwanzigJahre, war ich immer Parteisekretär o<strong>de</strong>rstellvertreten<strong>de</strong>r Parteisekretär. Für mich ist dassicherlich außeror<strong>de</strong>ntlich nützlich gewesen, weil einesolche Funktion die ständige Auseinan<strong>de</strong>rsetzung einfachnotwendig macht. Man ist ja nicht dazu da, Termineeinzutragen, son<strong>de</strong>rn man hat es mit Menschen undihren Problemen zu tun, man muß sich mit Meinungen undAnsichten von Genossen und Kollegen auseinan<strong>de</strong>rsetzen."356 )Die westlichen Vertreter dieses Machertyps sind die VerlegerinMagdalena Pieroth und die bei<strong>de</strong>n RundfunkmächtigenWehrenberg und Bur-Malottke.Wie David Groth leitet Magdalena Pieroth in Herbert LichtenfeldsUnterhaltungsroman "Die Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Löwen" einenZeitungsbetrieb, allerdings ist sie nur betriebswirtschaftlichenZwängen unterworfen und verfügt daher übereine größere Machtposition. Das macht sich in ihrerunbeschränkten Autorität bemerkbar: Sie entschei<strong>de</strong>t selbstsicherund bestimmt und ihre Redakteure akzepieren auchihre gelegentliche Strenge sofort.Auch Frau Pieroth stellt berufliche Belange über ihr Privatleben.Als ihr Mann entführt wird, zu <strong>de</strong>m sie allerdingsein gespanntes Verhältnis hatte, ist "ihr erster Gedanke,daß sie diese Geschichte exklusiv haben wür<strong>de</strong> (...)." 357 )Daß sie Machtausübung gewohnt ist, zeigt sich, als die Verlegerinsich gegenüber <strong>de</strong>n Kidnappern zunächst im Ton vergreift:355) ebenda356) Anneliese Große: Vom Werk <strong>de</strong>r Geschichte. Interviewmit Hermann Kant, in: Auskünfte. Werkstattgesprächemit DDR-Autoren, Berlin(Ost), Weimar, 1974, S. 278f.357) Herbert Lichtenfeld: Die Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Löwen, a.a.O.,S. 6


"'Ich kenne diese Sprüche aus Fernsehkrimis', antworteteMagdalena ärgerlich. Die Art <strong>de</strong>s Anrufers, einenMenschenraub wie die Wetteraussichten bekanntzugeben,ließ sie annehmen, er könnte es nicht ernst meinen unddurch Zurechtweisung von seiner Albernheit abgebrachtwer<strong>de</strong>n. (...)" 358 )Ähnlich wird von Heinrich Böll <strong>de</strong>r "große Bur-Malottke" 359 )gezeichnet. Wenn dieser Rundfunkgewaltige sich in die Studiosbemüht, stehen ihm alle Redakteure zu Diensten, <strong>de</strong>nn"Bur-Malottke wi<strong>de</strong>rsprach man einfach nicht." 360 )In Wahrheit ist er jedoch unbeliebt, man verachtet ihn alsBonze und ärgert ihn, wo man nur kann - ver<strong>de</strong>ckt, verstehtsich. 361 )Machtgewohnt ist auch <strong>de</strong>r Rundfunkdirektor Wehrenberg inJürgen Breests "Dünnhäuter". Als <strong>de</strong>r Redakteur Feldmann<strong>de</strong>ssen Autorität nicht akzeptieren will, reagiert seinVorgesetzter mit Härte:"Er [Feldmann, P.B.] erlebte einen ihm unbekanntenWehrenberg. Nichts mehr von Wohlwollen und Toleranz,wie er es von 'seinem' Direktor gewöhnt war. Er saßeinem Frem<strong>de</strong>n gegenüber, <strong>de</strong>r ihn eiskalt ablaufenließ." 362 )Allerdings steht Wehrenberg nicht so hoch in <strong>de</strong>r Rundfunkhierarchie,daß er alle Entscheidungsfreiheiten hätte.Seine Abhängigkeiten von Intendanz und Rundfunkrat lassenihn zum Teil ähnlich taktieren wie David Groth, <strong>de</strong>r jaebenfalls immer parteiliche Interessen im Auge haben muß.Deshalb trägt Wehrenberg auch Züge <strong>de</strong>s Angepaßten, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>nDruck seiner Vorgesetzten an die eigenen Untergebenenweitergibt. 363 )Ein völlig untypischer "Macher" ist <strong>de</strong>r Verleger Fritz Tolmin Heinrich Bölls "Fürsorgliche Belagerung". Zwar verfügtTolm über Macht, er hat das ihm gehören<strong>de</strong> Zeitungsimperiumaber nur geerbt und ist selbst zu <strong>de</strong>ssen Leitung gar nichtbefähigt.Tolm ist eine Art 'Ehrenverleger', <strong>de</strong>r als Strohmann <strong>de</strong>reigentlich leiten<strong>de</strong>n Kräfte <strong>de</strong>s Unternehmens fungiert,<strong>de</strong>ren Interessen er aber gar nicht genau überblickt. Diese358) ebenda359) Heinrich Böll: Doktor Murkes gesammeltes Schweigen,a.a.O., S. 11360) ebenda, S. 12361) siehe z.B. ebenda, S. 19362) Jürgen Breest: Dünnhäuter, a.a.O, S. 63363) zum Beispiel Feldmann gegenüber: ebenda, S. 132. Sieheauch Kapitel 4.4. dieser Arbeit.


Einflußlosigkeit füllt Tolm nicht aus, er zieht sich insFamilienleben zurück, das allerdings aufgrund seinerBerühmtheit und <strong>de</strong>n damit verbun<strong>de</strong>nen Gefährdungen totalüberwacht wird. Er fühlt"(...) <strong>de</strong>n Überdruß am >BlättchenBlättchenBlättchen


Gelb und März sind überaus experimentierfreudig. Gelbschreibt vorübergehend Gedichte 368 ), macht Drogenerfahrungen369 ) und nimmt verschie<strong>de</strong>nste Jobs an; März zieht stattan die Universität nach Paris 370 ), befreun<strong>de</strong>t sich mit einerDirne 371 ) und übersetzt Groschenromane 372 ).Bei<strong>de</strong> kaufen sich eine Schreibmaschine und wollen einen Romanschreiben, allerdings verfolgt nur Gelb dieses Vorhabenwirklich hartnäckig bei diesem Vorhaben. März dagegen erhältschon recht schnell die Chance, in einer schweizerischenZeitschriftenredaktion mitzuarbeiten. Weil erGeld braucht, nimmt er <strong>de</strong>n Job in Zürich an, obwohl es sichbei "Grüezi" um ein Blatt <strong>de</strong>r Regenbogenpresse han<strong>de</strong>lt:"Die Zeitschrift, für die ich mich hatte kaufenlassen, spielte keine große Rolle. Ehrlich gesagt, sieinteressierte mich überhaupt nicht." 373 )Dennoch verlangt <strong>de</strong>r neue Job von März, "einige meinerPrinzipien über Bord zu werfen" 374 ). Aber er behält seineI<strong>de</strong>ale im Auge und wird nicht zum skrupellosen Macher: Immerwie<strong>de</strong>r plagen ihn auch Gewissensbisse. 375 )Und er läßt sich nicht unterkiegen. Trotz seiner Abhängigkeitvertritt er hartnäckig seine Meinung und läßt sichauch von Autoritäten nicht schrecken. Selbst seinemdirekten Vorgesetzten gegenüber begehrt er frech auf:"Gelbzahn lachte hochmütig und sagte: 'März, sie habenanscheinend noch immer nicht begriffen, wer in dieserRedaktion wichtig ist und wer nicht.' (...)'Herr März!' schrie ich Gelbzahn an.'Wie bitte?' fragte <strong>de</strong>r.'Für Sie bin ich immer noch Herr März. Ist das klar?'Gelbzahn preßte auf Köhlers Art seine Zähne aufeinan<strong>de</strong>rund ließ die Backenknochen fahren. Eine Antwortfiel ihm nicht ein." 376 )März setzt sich durch. Obwohl er zunächst "nicht für fünfPfennig Ahnung hatte, wie eine Illustrierte funktioniert"377 ), wird er Chefredakteur. Dies lag freeilich jen-Nolte: Großkotz, a.a.O., S. 7368) Jörg Fauser: Rohstoff, a.a.O, S. 29369) ebenda: mit Opium, S. 55; Vekaminen, S. 57; "Cappies",S. 97.370) Matthias Nolte: Großkotz, a.a.O., S. 7371) ebenda, S. 19372) ebenda, S. 11373) ebenda, S. 46374) ebenda, S. 40375) ebenda, S. 41, 54376) ebenda, S. 102377) ebenda, S. 44


seits seiner Erwartungen, so daß er nur zögernd annimmt. 378 )Obwohl auch Gelb bald Chef einer Zeitschrift ist, hatdieser weniger Glück. Seine unkonventionellen I<strong>de</strong>en gehen<strong>de</strong>n Geldgebern offenbar zu weit, die zweite Ausgabe wir<strong>de</strong>ingestampft. 379 ) Also beschließt er, an<strong>de</strong>re Medien'auszuprobieren'. Zunächst schreibt er ein Drehbuch um undarbeitet bei einer Filmproduktion für das Fernsehen mit,später ist er für einige Zeit als freier Mitarbeiter imHörfunk recht erfolgreich:"(...) für <strong>de</strong>n Frauenfunk, ich war ein Spezialist fürHalbstun<strong>de</strong>nessays, unentwegt lobte mich die Leiterin<strong>de</strong>s Frauenfunks für meine sensiblen Sendungen über dasLeben und das Werk bekannter Frauen." 380 )Sowohl März als auch Gelb bleiben beruflich beweglich. Siekönnen sich leicht einarbeiten und haben ein Gespür dafür,was von ihnen erwartet wird. Harry Gelb:"Wenn man <strong>de</strong>n Bogen einmal raus hatte, lief es wie vonselbst, hier noch eine kleine Pointe, da ein impressionistischerSchlenker, dann gut gesalzen mit ironisch-distanzierterKritik und zuletzt ein DeosprayFeuilletonismus darüber, und das Honorar bitte wie<strong>de</strong>ran <strong>de</strong>r Kasse, bar." 381 )Von <strong>de</strong>n Angepaßten unterschei<strong>de</strong>t sich dieser Journalistentyp,weil sich seine Vertreter zwar <strong>de</strong>n Gegebenheitenzunächst beugen - etwa, weil sie Geld brauchen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nAufstieg in eine Machtposition erhoffen - sie aber nichtakzeptieren.Gelb gibt seine Hörfunkarbeit wie<strong>de</strong>r auf, weil er <strong>de</strong>r Rundfunkroutineentgehen will, er hat größere Pläne:"(...) schließlich warst du schon Chefredakteur, dieDesert Boots auf <strong>de</strong>m Tisch und dann zum Hörer greifen:Ja, Herr Enzensberger, das ist ja wie<strong>de</strong>r ganz superb,aber ich fin<strong>de</strong>, wenn man <strong>de</strong>n vorletzten Absatz einfachwegläßt, dann gewinnt <strong>de</strong>r Text doch noch an Rasanz,gell? Das schien mir doch die überlegenere Tätigkeitzu sein (...)." 382 )März kann ähnlich hochtraben<strong>de</strong> Pläne sogar einlösen. Unklarbleibt allerdings, was passiert, wenn die "gerissenen"Journalisten die erhoffte Machtposition tatsächlich einnehmenkönnen: Wer<strong>de</strong>n sie, durch die Macht korrumpiert,378) ebenda, S. 266f.379) Jörg Fauser: Rohstoff, a.a.O, S. 100380) ebenda, S. 196381) ebenda, S. 197382) ebenda, S. 197


schließlich zu selbstzufrie<strong>de</strong>nen Machern? Immerhin wirdMärz schon bald nach seinem Aufstieg als "Großkotz" tituliert383 ) - ob er er es aber wirklich ist, läßt <strong>de</strong>r Romanoffen.Der Vorläufer von solchen Figuren wie März und Gelb istHeinrich Bölls Doktor Murke aus "Doktor Murkes gesammeltesSchweigen". Allerdings ist Murke noch wesentlich stärkerals sie in die Medienhierarchie eingebun<strong>de</strong>n und kann sichallenfalls kleine Freiheiten erkämpfen.Auch Murke möchte sich von <strong>de</strong>n Zwängen <strong>de</strong>s bürokratisiertenMediums befreien. Er schafft es jedoch nicht, diesen Wunschwirksam in die Tat umzusetzen und gewinnt nur persönlicheFreiräume, die ihm Unabhängigkeit nur suggerieren.Das dies nur ein Ersatz ist, zeigen die täglichen Paternosterfahrtenüber die Wen<strong>de</strong>marke hinweg, nach <strong>de</strong>nen Murkezwar das Gefühl hat, eine Angstsituation durchgestan<strong>de</strong>n zuhaben, die ihm aber in seiner abhängigen Tätigkeit natürlichnicht weiterhelfen:"(...) Murke starrte voller Angst auf diese einzigeunverputzte Stelle <strong>de</strong>s Funkhauses, atmete auf, wenndie Kabine sich zurechtgerückt, die Schleuse passiertund sich wie<strong>de</strong>r eingereiht hatte und langsam nach untensank, am fünften, am vierten, am dritten Stockwerkvorbei; Murke wußte, daß seine Angst unbegrün<strong>de</strong>t war:Selbstverständlich wür<strong>de</strong> nie etwas passieren, es konntegar nichts passieren (...)." 384 )Offenbar gelingt es Murke, mit diesem Nervenkitzel Frustrationenabzubauen, <strong>de</strong>nn nach diesen Fahrten ist "(...) erheiter und gelassen, wie eben jemand heiter und gelassenist, <strong>de</strong>r seine Arbeit liebt und versteht." 385 )Nach außen ist Murke stets pflichtbewußt, er ist "(...) immer<strong>de</strong>r erste im Dienst" und stets liebenswürdig 386 ). Dennochahnt zumin<strong>de</strong>st <strong>de</strong>r Intendant, daß Murke in Wahrheitan<strong>de</strong>re Vorstellungen von seiner Arbeit hat und schätzt ihnals "intellektuelle Bestie" ein:"(...) er hatte ihn engagiert, so wie ein Zoodirektor,<strong>de</strong>ssen Liebe eigentlich <strong>de</strong>n Kaninchen und Rehengehört, natürlich auch Raubtiere anschafft, weil ineinem Zoo eben Raubtiere gehören - aber die Liebe <strong>de</strong>sIntendanten gehörte eben doch <strong>de</strong>n Kaninchen und Rehen,383) Matthias Nolte: Großkotz, a.a.O., S. 275384) Heinrich Böll: Doktor Murkes gesammeltes Schweigen,a.a.O., S. 9385) ebenda, S. 10386) ebenda, S. 10


und Murke war für ihn eine intellektuelle Bestie." 387 )Tatsächlich legt Murke Scha<strong>de</strong>nfreu<strong>de</strong> und einige Hinterhältigkeitan <strong>de</strong>n Tag, als ihm Bur-Malottke im Studioausgeliefert ist. Er läßt ihn 'leerlaufen', in<strong>de</strong>m er Tonbandund Lautsprecher abschaltet:"(...) dann schaltete er plötzlich Bur-Malottke aus,brachte das ablaufen<strong>de</strong> Band , das Bur-Malottkes Worteaufnahm, zum Stillstand und wei<strong>de</strong>te sich daran, Bur-Malottke stumm wie einen dicken, sehr schönen Fischhinter <strong>de</strong>r Glaswand zu sehen. Er schaltete sich ein,sagte ruhig ins Studio hinein: 'Es tut mir leid, aberunser Band war <strong>de</strong>fekt, und ich muß sie bitten, nocheinmal von vorne (...) zu beginnen.'" 388 )Schließlich rächt er sich auch an Bur-Malottke für die ihmunliebsame Arbeit, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>ssen schlechtere Tonbandaufnahmefür die Sendung verwen<strong>de</strong>t. 389 )Auf die I<strong>de</strong>e, daß er Bur-Malottke auch offen kritisierenkönnte, kommt Murke gar nicht - vielleicht ist er auch zufeige zu offener Konfrontation.Aber Murke könnte auch die Vergeblichkeit von offenemProtest einkalkulieren, so interpretiert ErhardFriedrichsmeyer sein Verhalten:"Er han<strong>de</strong>lt nicht aus Prinzip, son<strong>de</strong>rn aus Verschlagenheit,wenn er vor <strong>de</strong>m uneingeschränkten und gefährlichenMachthaber im Funkhaus schweigt, diesen aberzwickt und kneift. Damit tritt er nach <strong>de</strong>rselben Losungan, die Bur-Malottke vertritt. Sie ist dasPrinzip hierarchischer Machtordnung, das Böll immerwie<strong>de</strong>r (...) als Quintessenz unserer Welt anprangert."390 )Letztlich versagt Murke, er paßt sich <strong>de</strong>m System an, wenner es auch insgeheim boykottiert, in<strong>de</strong>m er Schweigen sammelt(eben das Gegenteil von Hörfunk). Auch er trägt Züge<strong>de</strong>s Anpassers.Mit <strong>de</strong>r Satire <strong>de</strong>s Doktor Murke zeigt Böll "<strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rsinn387) ebenda, S. 12f.388) ebenda, S. 20389) ebenda, S. 32390) Erhard Friedrichsmeyer: Die satirische Kurzprosa HeinrichBölls, a.a.O., S. 16f.


und die Wi<strong>de</strong>rnatur bestehen<strong>de</strong>r Verhältnisse (...), um siead absurdum zu führen und <strong>de</strong>r Lächerlichkeit preiszugeben."391 ) Insofern ist seine Figur <strong>de</strong>s Murke auch Hoffnungsträger,<strong>de</strong>nn "(...) was 'vermurkst' wer<strong>de</strong>n kann, das istschon im Wort enthalten, kann glücklicherweise auch richtiggemacht wer<strong>de</strong>n..." 392 )Wie eine pessimistische Schlußfolgerung aus Bölls Erzählunglesen sich die ersten Sätze <strong>de</strong>r Erzählung "Der letzte Biß"von Otto Jägersberg:"Man wird nicht dafür bezahlt, daß man mit seinemLeben fertig wird. Das erledigt <strong>de</strong>r Tod. Man bezahltdie Position, die oft eigentlich wirkliches Leben verhin<strong>de</strong>rt."393 )Tatsächlich sind sich die bei<strong>de</strong>n Erzählungen in vielem ähnlich.Sie behan<strong>de</strong>ln die Situation von Rundfunkredakteuren,haben bei<strong>de</strong> mit einer religiösen Sendung zu tun - beiJägersberg geht es sogar um eine Sen<strong>de</strong>reihe - und thematisierendie Schwierigkeit, in <strong>de</strong>r Rundfunkbürokratie Individualitätzu bewahren.Dem Ich-Erzähler bei Jägersberg gelingt das noch wenigerals Murke. Einziger Freiraum ist für ihn die Sen<strong>de</strong>reihe"GitZ, 'Gott im technischen Zeitalter'", für die sich Pohl,sein Chef, nicht weiter interessiert. 394 )Sonst hat <strong>de</strong>r Ich-Erzähler allerdings einige anpasserischeEigenheiten: Er gehört zum Beispiel <strong>de</strong>r gleichen Partei anwie Pohl 395 ) und läßt sich vom Leiter eines privaten Filmunternehmensbestechen 396 ).Daß er <strong>de</strong>nnoch die Autorität seines Chefs überwin<strong>de</strong>t undselbst in <strong>de</strong>ssen Position aufsteigt, ist weniger Folgeseines taktischen Geschicks als vielmehr einer Gewalttat:Der Ich-Erzähler erschießt - wenn auch vermutlich versehentlich- Pohl beim Jagen.Dieser Protagonist läßt sich sehr schnell von <strong>de</strong>r nun391) Jens Hoffmann: Analyse und Interpretation, in: Protokoll(Nr. 114) einer Tagung <strong>de</strong>r Evangelischen Aka<strong>de</strong>mieRheinland-Westfalen. Mühlheim/Ruhr 1962, S. 62, zitiertnach Michael Beckert: Untersuchungen am ErzählwerkHeinrich Bölls. Themen - Gestalten - Aspekte, Inaugural-Dissertation,Erlangen-Nürnberg 1970, S. 111392) Erhard Friedrichsmeyer, a.a.O., S. 27393) Otto Jägersberg: Der letzte Biß, in: Otto Jährsberg:Der letzte Biß. Geschichten aus <strong>de</strong>r Gegenwart, Zürich1977, hier Zürich o.J., S. 150394) ebenda, S. 151395) ebenda396) ebenda, S. 153


gewonnen Macht korrumpieren: Kaum ist er Chefredakteur,nimmt er auch schon einen hochdotierten Beraterposten <strong>de</strong>rFilmfirma an, die ihn vorher bestochen hatte. Charakterzügevon Macher und Angepaßtem ersetzen die "Gerissenheit".Durchaus ähnlich verläuft die Entwicklung bei Roland Diehlin F.C. Delius "Ein Held <strong>de</strong>r inneren Sicherheit".Zwar führt Diehl <strong>de</strong>n Tod seines Chefs nicht selbst herbei -dieser wird von Terroristen entführt und ermor<strong>de</strong>t. DiesesEreignis bil<strong>de</strong>t aber auch hier <strong>de</strong>n Wen<strong>de</strong>punkt <strong>de</strong>r Kariere.Diehl, <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Journalismus kommt und nun "Chef<strong>de</strong>nker"im "Verband <strong>de</strong>r Menschenführer" ist 397 ), über<strong>de</strong>nkt zunächstsein Berufsi<strong>de</strong>al beim Unternehmerverband und Karriereträumeals Journalist. Für ihn hat die politische Werbung durchauspositive Aspekte:"Wir müssen Animatoren sein, wir müssen viel machtbewußtersein, machtbewußt im besten Sinn, nur dann könnenwir die praktischen Beispiele für die Politik undfür politische Menschenführung liefern." 398 )Dennoch steht er seinem Job zunächst kritisch gegenüber,auch weil von seinen Re<strong>de</strong>n für Politiker "immer nur einpaar Absätze" in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit hängenbleiben:"Zum ersten Mal dachte er daran zu kündigen, irgendwoneu anzufangen, vielleicht doch Pressechef." 399 )Aber als ihm die Stelle als Abteilungsleiter im Unternehmerverbandangeboten wird, nimmt er sofort an, wohlwissend, daß er auch gezwungen sein wird, zu manipulierenund "Journalisteneinseifer" zu sein 400 ):"Die Meinunge <strong>de</strong>s Verban<strong>de</strong>s wird er nachrichtenmäßigaufbereiten lassen, so daß die Journalistenkollegen aman<strong>de</strong>ren En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Fernschreiber das Material ohnegroßen Redigieranfall übernehmen können. Aber er wirdseinen Leuten auch beibringen, daß Journalisten einbißchen was zum Streichen brauchen. Sonst verlierensie ihre Selbstachtung, aber man muß ihnen solcheSätze zum Streichen geben, die sie an ihre Gewis-397) F.C. Delius: Ein Held <strong>de</strong>r inneren Sicherheit, a.a.O.,S. 18/20. Der Protagonist Diehl ist nicht (mehr) Journalist,die Tätigkeit im PR-Geschäft ist <strong>de</strong>m Journalismusaber nahe verwandt und wird von vielen Journalistenausgeübt.398) ebenda, S. 46399) ebenda, S. 63; Diehl beschließt sogar, sich zu bewerben(S. 135).400) ebenda, S. 56 ("Journalisteneinseifer"), S. 212(Aufstieg)


sensreste packen, damit sie beim nächstenmal uns mehrPlatz einräumen, langfristiger Zeilengewinn, Sen<strong>de</strong>minutengewinn."401 )Diehl setzt seine Gerissenheit um in Macherqualitäten, ergenießt die neue Machtposition. 402 )5.3. "I<strong>de</strong>alisten"Die größte, gleichzeitig aber sehr heterogene Gruppe vonProtagonisten ist die <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>alisten.Viele fiktive Journalisten haben <strong>de</strong>n Anspruch, journalistisch'gute', das heißt "emotional nachvollziehbare, genaubeobachtete und gut recherchierte" Artikel zu schreiben 403 ),stoßen dabei aber auf Zensurmaßnahmen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong>.Die unterschiedliche Reaktion auf solche Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong>unterschei<strong>de</strong>t die i<strong>de</strong>alistischen Journalisten zumTeil erheblich voneinan<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r macht sie sogar zuVertretern einer an<strong>de</strong>ren Typengruppe.Nur wenige Protagonisten halten ihre i<strong>de</strong>alistischen Zielsetzungendurch, sie nehmen dabei manchmal sogar ihreEntlassung in Kauf. An<strong>de</strong>re passen sich früher o<strong>de</strong>r späteran o<strong>de</strong>r steigen freiwillig aus <strong>de</strong>r journalistischen Laufbahnaus. Deshalb fin<strong>de</strong>n sich zuerst i<strong>de</strong>alistische Protagonistenauch in <strong>de</strong>n Gruppen "Angepaßte" und "Aussteiger".Erzähltexte, die Anpassung o<strong>de</strong>r Ausstieg erst gegen En<strong>de</strong><strong>de</strong>r Handlungsführung beinhalten, habe ich dagegen in dieserTypengruppe belassen.Streng genommen bleiben nur Gabriele M. aus IngeborgDrewitz "Gestern war Heute" und Dole aus Christph Meckels"Licht" ihren journalistischen I<strong>de</strong>alen völlig treu. 404 )Gabriele M. engagiert sich immer wie<strong>de</strong>r und mit hohem persönlichemEinsatz gera<strong>de</strong> in politischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen.Die Berichte, die dabei entstehen, kann sie nichtimmer in <strong>de</strong>r Rundfunkhierarchie durchsetzen.En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r fünfziger Jahre recherchiert sie mit verstecktemTonbandgerät in Ost-Berlin und versucht, in ihren Sendungen"gegen die zur Phrase heruntergekommene Freiheit" anzure-401) ebenda, S. 215402) Diehl überlegt begeistert neue PR-Konzepte, ebenda,S. 216.403) Eckhart Schmidt: Die Story, a.a.O., S. 6404) Bei Betrachtung aller Hauptfiguren im Untersuchungsmaterial- wenn man <strong>de</strong>n Berufsausstieg als eine ArtKapitulation wertet.


<strong>de</strong>n 405 ), in <strong>de</strong>n sechziger Jahren arbeitet sie akribisch dieGeschichte <strong>de</strong>r Berliner Stadtteile auf 406 ) und berichtet imMai 1970 über Gewerkschafts<strong>de</strong>monstrationen. "Es ist ihrschon fast zur Gewohnheit gewor<strong>de</strong>n, Reportagen zu übernehmen,wenn es um politisch schwierige Bewertungen geht".Manchmal gerät sie dabei selbst in Gefahr:"(...) nicht alle Demonstrationen verlaufen friedlich,oft wer<strong>de</strong>n Wasserwerfer eingesetzt, o<strong>de</strong>r es gibt Auseinan<strong>de</strong>rsetzungenmit <strong>de</strong>r Bevölkerung." 407 )Sogar ihre Tochter wirft Gabriele M. vor, nicht die Chanceeiner journalistischen Karriere zu nutzen 408 ), aber sie willsich nicht vereinnahmen lassen und statt<strong>de</strong>ssen persönlicheFreiheit bewahren. Immer wie<strong>de</strong>r hat sie Zweifel an ihrerArbeit, obwohl ihre Sendungen gelobt wer<strong>de</strong>n. Denn:"Die Sätze auf <strong>de</strong>m Band verschweigen die Menschen, diesie gesprochen haben." 409 )Der Roman schließt positiv mit <strong>de</strong>r Durchsetzung einer umstrittenenSendung gegen Rundfunkrat und Programmdirektion- <strong>de</strong>r Programmdirektor zeigt sich schließlich einsichtig.Gabriele M. bewahrt ihren I<strong>de</strong>alismus und schafft es, neben<strong>de</strong>m Beruf das Privatleben nicht zu kurz kommen zu lassen,eine sowohl im fiktiven wie auch realen Journalismus selteneFähigkeit.Diese positive Beschreibung <strong>de</strong>r Romanfigur Gabriele M.dürfte allerdings auch damit zusammenhängen, daß dieserErzähltext stark autobiographische Züge trägt. Die Literaturkritikzeigt Parallelen auf:"Ingeborg Drewitz' Roman ist offen autobiographisch.1923, das Geburtsjahr ihrer Heldin Gabriele, ist dasihre, auch Gabriele ist die Mutter dreier Töchter,auch Gabriele verdient sich ihr Geld als Rundfunkjournalistin."410 )Ingeborg Drewitz selbst beschreibt in einem Interview <strong>de</strong>ndirekten Zusammenhang mit <strong>de</strong>r eigenen Vergangenheit:"Der Anlaß [zum Schreiben dieses Romans war,P.B.]405) Ingeborg Drewitz: Gestern war Heute, a.a.O, S. 288406) ebenda, S. 293407) ebenda, S. 348408) ebenda, S. 315409) ebenda, S. 318410) Margret Ebert: Hun<strong>de</strong>rt Jahre Frauenleben. IngeborgDrewitz' Roman "Gestern war heute", in: DeutscheVolkszeitung, 30.11.1978


eigentlich meine Erinnerung, die sich ankoppelt an dieErinnerung in meiner Familie, die vor hun<strong>de</strong>rt Jahren,also jetzt in <strong>de</strong>n siebziger Jahren <strong>de</strong>s vorigenJahrhun<strong>de</strong>rts, nach Berlin gekommen ist (...)." 411 )Ähnlich selbstbewußt wie Gabriele M. han<strong>de</strong>lt auch Dole,allerdings hat sie mehr unter persönlichen und jounalistischenEinschränkungen zu lei<strong>de</strong>n.Ihren Partner sieht sie aufgrund <strong>de</strong>s aufreiben<strong>de</strong>n Berufsoft nur kurze Zeit am Tag:"Während <strong>de</strong>s Tages hatten wir zu tun, an getrenntenOrten und zu verschie<strong>de</strong>ner Zeit, und an <strong>de</strong>n Mittagentranken wir lieber Kaffee, o<strong>de</strong>r nur wenig Wein undviel Kaffee, um Kopfschmerz, Rausch und Melancholie zuvermei<strong>de</strong>n. Alles Schöne machen wir in <strong>de</strong>r Nacht, sagteDole." 412 )Außer<strong>de</strong>m ist sie von für sie offenbar nicht beeinflußbarenMaßnahmen ihrer Vorgesetzten betroffen:"Die Streichungen in ihrer Artikelserie über dieStreiks in Mailand, die Tränen, <strong>de</strong>r Zorn und die Telegramme,die Erschöpfung danach (...)." 413 )Dennoch behält sie ihren Optimismus und bleibt ihren I<strong>de</strong>alentreu. Sie ist sachlich im Beruf und paßt sich ihrenzuweilen korrupten Kollegen nicht an 414 ), <strong>de</strong>nn:"Meine Hoffnung und meine Courage, das ist mein persönlichesgeistiges Eigentum (...). Ich will, daß michalles etwas angeht. Ich will nichts auslassen und ichwill mir nichts einre<strong>de</strong>n, ich nehme je<strong>de</strong> Verzweiflungan (...)." 415 )Der Redakteurin Dole sehr ähnlich ist die KlatschkolumnistinAnna Marx in Christine Gräns "Nur eine läßlicheSün<strong>de</strong>". Allerdings steht sie nach langer Berufserfahrungmit bei<strong>de</strong>n Beinen in <strong>de</strong>r journalistischen Wirklichkeit undist <strong>de</strong>mentsprechend abgebrüht.Obwohl sie als faul beschrieben wird 416 ) und ihr Metier ausgerechnet<strong>de</strong>r unseriöse Klatsch ist, will sie sich von <strong>de</strong>n411) Statement von Ingeborg Drewitz, in: Vera Botterbusch:Ingeborg Drewitz "Gestern war Heute", in: Sendung <strong>de</strong>sBayerischen Fernsehens: Bücher beim Wort genommen.Kultur - Belletristik - Wissenschaft, vom 26.11.1978,III. Programm, 22.10 Uhr412) Christoph Meckel: Licht, a.a.O, S. 31413) ebenda, S. 64414) ebenda, S. 53415) ebenda, S. 70416) Christine Grän: Nur eine läßliche Sün<strong>de</strong>, a.a.O., S.8


"Schmierfinken" an<strong>de</strong>rer Blätter absetzen und zumin<strong>de</strong>st bei<strong>de</strong>r Wahrheit bleiben. 417 ) Als die ehemalige Sekretärin einesMinisters in Not gerät, versucht sie - natürlich nicht ganzselbstlos - näheres zu ermitteln, sogar über ihre eigentlicheArbeitszeit hinaus. Ihre Kollegen verachten sie allerdingswegen dieser für sie unnützen Bemühungen:"(...) in <strong>de</strong>r Redaktionskonferenz hatte <strong>de</strong>r Chefredakteursein Ego auf ihre Kosten aufpoliert. 'Anna malwie<strong>de</strong>r auf Mör<strong>de</strong>rjagd, hahaha.' Die Kollegenlachten." 418 )Daß gera<strong>de</strong> die Frauen unter <strong>de</strong>n fiktiven Journalisten verbissenfür ihre beruflichen I<strong>de</strong>ale kämpfen, zeigen die Figuren<strong>de</strong>r Josefa Nadler in Monika Marons "Flugasche" und<strong>de</strong>s erzählerischen Ichs in Irmtraud Morgners Erzählung "Bisman zu <strong>de</strong>m Kerne zu gelangen das Glück hat" 419 ).Obwohl es in bei<strong>de</strong>n Texten um Routineberichte über Menschenin <strong>de</strong>r Arbeitswelt geht, investieren die Redakteurinnenviel Zeit und Geduld in ausführliche Interviews und Recherchen.Für bei<strong>de</strong> sind damit persönliche Erfahrungen verbun<strong>de</strong>n.Aber während die Redakteurin bei Irmtraud Morgnerunproblematisches recherchiert, führt Josefa Nadlers Rechercheschnell auf politisch tabuisierte Mißstän<strong>de</strong>, diesie aus eigener Kraft nicht bewältigen kann.Berichtet wer<strong>de</strong>n soll über <strong>de</strong>n Arbeiter Hodriwitzka, <strong>de</strong>rmit <strong>de</strong>m 'Banner <strong>de</strong>r Arbeit' ausgezeichnet wor<strong>de</strong>n ist. FürNadler wird dieser 'Arbeiter Soundso' 420 ) sehr schnell zueiner Schlüsselfigur, die ihr die Tragweite <strong>de</strong>r ökologischenBelastung in <strong>de</strong>r von Braunkohleabgasen verseuchtenStadt B. vor Augen führt. Von <strong>de</strong>r zunächst naiven Empörungkommt sie zu einer differenzierten Einschätzung von Ursachenund Folgen <strong>de</strong>r Umweltverschmutzung 421 ), kann dieseErkenntnisse aber nicht journalistisch umsetzen, weilUmweltverschmutzung in <strong>de</strong>n DDR-Medien kein Thema sein darf.Dies zu akzeptieren, ist Josefa Nadler nicht bereit. Zwarverfolgt sie zunächst Strategien ihrer Kollegen, in<strong>de</strong>m siezum Beispiel zwei Fassungen ihres Berichts anfertigt -417) ebenda, S. 107418) ebenda, S. 117419) Irmtraud Morgner: Bis man zu <strong>de</strong>m Kerne zu gelangen dasGlück hat, in: Ingrid Krüger: Kommen wir zur Tagesordnung.Literarische Reportagen aus <strong>de</strong>r DDR, Darmstadt/Neuwied 1985, S. 7-24 (Die Erzählung ist in <strong>de</strong>r DDRentstan<strong>de</strong>n).420) Monika Maron: Flugasche, a.a.O, S. 13421) ebenda, z.B. S. 17, 34, 50ff.


einen wahrheitsgetreuen und einen für <strong>de</strong>n zensierten Abdruck422 ) -, um an <strong>de</strong>r journalistischen Verzerrung nicht zuverzweifeln, aber diese scheinbaren Lösungen können ihrGewissen nicht beruhigen. Sie hat Angst vor Anpassung:"Vielleicht trennen mich nur einige Jahre von ihnen,die Jahre, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Un-Mechanismus endgültig einrastetund mir das Undruckbare, das Unaussprechliche,das Un<strong>de</strong>nkbare zur Unwahrheit wer<strong>de</strong>n wird, weil ich esso wenig wie die an<strong>de</strong>ren ausgehalten habe, das Bewegendsteund das Aufregendste nicht zu schreiben, nichtzu sagen, nicht zu be<strong>de</strong>nken." 423 )Josefa legt sich schließlich mit Chefredaktion und Parteian. Damit bewirkt sie zwar nichts 424 ), ihr Wi<strong>de</strong>rstand wirdaber nur noch heftiger, als sie dabei bemerkt, wie vor<strong>de</strong>rgründigund fa<strong>de</strong>nscheinig die Argumentation <strong>de</strong>r DDR-Mächtigenist.Vor allem stört sie die schizophrene Art <strong>de</strong>s dialektischenAbwägens, mit <strong>de</strong>r ihr Artikel abgelehnt wird:"'Das ist eine Reportage so ganz nach meinem Herzen',sagt Luise. (...). 'Also von mir aus gleich und sofort',sagt Luise, 'aber wir müssen es Rudi zeigen.Ärger kriegen wir mit Sicherheit." 425 )Diese Art <strong>de</strong>r Argumentation fin<strong>de</strong>t Josefa bis in die Parteihinein. Der "zuständige Genosse" erläutert die Ablehnung<strong>de</strong>s Artikels durch <strong>de</strong>n "höchsten Rat" so:"Er wünschte sich, sagte er, es wür<strong>de</strong>n alle Journalistenso ehrlich und kämpferisch für die Sache eintreten.Er sagte 'unsere Sache'.Demzufolge wünsche er, sagte Josefa, unbedrucktes Papierstatt <strong>de</strong>r Zeitungen austragen zu lassen. (...)Zu je<strong>de</strong>r Zeit gäbe es im Klassenkampf ein taktischesund ein strategisches Ziel. (...) 'Sie sind zu422) ebenda, S. 24f.: "Ist immerhin besser als <strong>de</strong>ineSelbstzensur: rechts <strong>de</strong>r Kugelschreiber, links <strong>de</strong>rRotstift."423) ebenda, S. 33424) Zwar wird das Kraftwerk schließlich stillgelegt (ebenda,S. 244), ein Zusammenhang mit Josefas unveröffentlichtemArtikel bleibt aber offen.425) ebenda, S. 74


ungeduldig', sagte <strong>de</strong>r Genosse. 'Vielleicht brauchenwir <strong>de</strong>n gleichen Beitrag in einem Jahr dringend. Jetztnicht.'" 426 )Wenn Josefa Nadler auch als DDR-Jouralistin scheitern muß,so bleibt sie doch wenigstens sich selbst treu: Sie steigtaus <strong>de</strong>m Journalismus aus."Verständnis sollte sie haben. Sie hatte <strong>de</strong>n Anarchistenverstan<strong>de</strong>n und Thal, vor allem aber Hodriwitzkahatte sie verstan<strong>de</strong>n. Jetzt sollte sie <strong>de</strong>n Genossenverstehen. Zu viel Verständnis ist schlecht. Ein Verständnishebt das an<strong>de</strong>re auf. So viel Verständniskonnte sie nicht ertragen." 427 )Die gleichen Erfahrungen macht das erzählen<strong>de</strong> Ich inBrigitte Klumps autobiografischer Erzählung "Das roteKloster" 428 ). Die Erzählung schil<strong>de</strong>rt neben <strong>de</strong>r Arbeit inZeitungsredaktionen die journalistische Ausbildung <strong>de</strong>r DDRin <strong>de</strong>n 50er und 60er Jahren und legt dabei einen Schwerpunktauf die i<strong>de</strong>ologische Erziehung zu Partei- und STASI-Mitarbeit. 429 )Eindringlich schil<strong>de</strong>rt Brigitte Klump, wie stark journalistischeFreiheiten in <strong>de</strong>r DDR durch die Partei beschnittenwer<strong>de</strong>n. Die im Westen praktizierte Art <strong>de</strong>r Berichterstattungwird gera<strong>de</strong>zu ins Gegenteil verkehrt:"'Informationen gibt es wie Sand am Meer. Aber man mußdoch zuerst wissen, wie man die Wirklichkeit zu betrachtenhat, danach kann man sich seine Informationensuchen. Wir lernen das seit Jahren.'" 430 )Schon in <strong>de</strong>n Universitäts-Seminaren lernen die zukünftigenJournalisten die 'Schere im Kopf' richtig zu gebrauchen,nicht parteigemäße Arbeiten wer<strong>de</strong>n - im günstigsten Fall -nicht angenommen:"Reiner Kunze hielt mich auf nach <strong>de</strong>m Seminar fürTheorie und Praxis <strong>de</strong>r Pressearbeit, das er in unsererSeminargruppe leitete. Es war eins <strong>de</strong>r letzten Seminarevor <strong>de</strong>n Ferien. Er drückte mir einen Artikel indie Hand. 'Ich müßte ihn <strong>de</strong>m Stasi übergeben, weißt du426) ebenda, S. 169f.427) ebenda, S. 171, Kündigungsabsicht S. 243428) Brigitte Klump: Das rote Kloster. Eine <strong>de</strong>utsche Erziehung.Produktion <strong>de</strong>r Macht - Elite in <strong>de</strong>r DDR, Hamburg1978, hier Hamburg 1986429) Offenbar wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Ausbildung an <strong>de</strong>r JournalistischenFakultät <strong>de</strong>r Universität Leipzig die Stu<strong>de</strong>ntenzu Mitarbeitern <strong>de</strong>r Staatssicherheit herangebil<strong>de</strong>t(ebenda, S. 256).430) ebenda, S. 242


das? Nimm ihn zurück, ich hab ihn nicht zensiert. Erist wie nicht geschrieben.' (...)'Unsere Artikel gehen auch an <strong>de</strong>n Stasi?''Solche schon. Solche Meinungen sind hier nichtzuläsig, das war dir doch klar, als du schriebst?'" 431 )Zunächst paßt sich die zuweilen naiv erscheinen<strong>de</strong> Protagonistin<strong>de</strong>n Zwängen <strong>de</strong>r Ausbildung noch an. Als aber <strong>de</strong>rDruck durch Partei und STASI immer größer wird und sie zu<strong>de</strong>mZusammenhänge zwischen <strong>de</strong>n Organisationen erkennt,sieht auch sie <strong>de</strong>n Ausstieg aus <strong>de</strong>m journalistischen Berufswegals einzige Möglichkeit, ihre I<strong>de</strong>ale zu bewahren."Ich war an die Fakultät gekommen, um ein guter Journalistzu wer<strong>de</strong>n. Sprachrohr <strong>de</strong>r Partei? Das war nochzu akzeptieren. Aber nicht Kontrolleur von Gesinnungen."432 )Ihre Konsequenz aus <strong>de</strong>n Erlebnissen geht sogar noch weiter:Sie setzt sich in <strong>de</strong>n Westen ab. 433 )Erstaunlich ist, daß fast alle weiblichen Hauptfigureni<strong>de</strong>alistische Züge tragen und sich auch darüber hinaus sehrähneln. Alle fünf i<strong>de</strong>alistischen Protagonistinnen zeigen,daß - in <strong>de</strong>r Fiktion - weibliche Journalisten ihren Berufsehr persönlich angehen und sich mit ihrer Arbeit starki<strong>de</strong>ntifizieren.In <strong>de</strong>n untersuchten Erzähltexten recherchieren Frauendurchweg gewissenhafter und gründlicher als die männlichenKollegen. Und sie reflektieren oft auch länger darüber, obihre Berichte <strong>de</strong>r Wahrheit gerecht wer<strong>de</strong>n.Vielleicht ist dies <strong>de</strong>r Grund, warum <strong>de</strong>n Frauen die Bedrohungdurch Zensur <strong>de</strong>utlicher wird, wenn sie meist auchnaiver an diese Bedrohung herangehen.Männliche Kollegen, die diesen I<strong>de</strong>alistinnen ähnlich sind,beschreiben Günter <strong>de</strong> Bruyn, Nicolas Born und JürgenBreest.Sowohl Theo Overbeck in <strong>de</strong> Bruyns "Preisverleihung" alsauch Laschen in "Die Fälschung" quälen sich ähnlich wieihre Koleginnen mit <strong>de</strong>r für sie mangelhaften Darstellung<strong>de</strong>r Realität in ihren Berichten.Theo Overbeck, ebenfalls ein Protagonist aus <strong>de</strong>r DDR, isteigentlich Literaturprofessor. In <strong>de</strong> Bruyns Roman übernimmt431) ebenda, S. 201; Reiner Kunze war in <strong>de</strong>n fünfziger JahrenDozent an <strong>de</strong>r Fak. Jour. in Leipzig.432) ebenda, S. 272433) ebenda, S. 304f.


er vorübergehend die Rolle eines Literaturkritikers 434 ), ersoll die Laudatio bei einer Literaturpreisverleihung anseinen Studienfreund Paul Schuster halten.Obwohl er es sich nicht leicht macht, mißlingt seine Re<strong>de</strong>völlig. Denn Overbeck will es allen Recht machen und verstecktsich lieber hinter weitschweifigen literaturwissenschaftlichenFormulierungen, anstatt Farbe zu bekennen.Zwar ist von vornherein klar, daß er <strong>de</strong>n zu loben<strong>de</strong>n Romanschlecht fin<strong>de</strong>t, er will aber einerseits <strong>de</strong>m Jugendfreundnicht weh tun und an<strong>de</strong>rerseits die Parteigenossen nichtbrüskieren, die <strong>de</strong>n Preis vergeben haben.In einem Gespräch mit seiner Tochter wird OverbecksPflichtbewußtsein <strong>de</strong>utlich, das schließlich über seine I<strong>de</strong>alesiegt:"'Aber du weißt doch genau, daß du Schusters Buchsicherer beurteilen kannst als die, die es hochjubelnwollen!''Es gibt auch Pflichten, die man erfüllen muß.''Pflichten! Ein Wort, das ich hasse, weil es immerertönt, wenn Feigheit regiert. Man hat auch Pflichtengegen sich selbst. (...)'" 435 )Overbeck kann sich bis zuletzt nicht zwischen diesenPflichten entschei<strong>de</strong>n und wird <strong>de</strong>shalb nach seiner mißlungenenLaudatio von <strong>de</strong>r Partei gerügt:"Unsicherheit nennt Liebscher die Ursache, will dasaber i<strong>de</strong>ologisch, nicht psychologisch verstan<strong>de</strong>n wissen,nicht als Seelen-, son<strong>de</strong>rn als Klassenfrage, alsProblem <strong>de</strong>s richtigen o<strong>de</strong>r falschen Bewußtseins, <strong>de</strong>sfesten o<strong>de</strong>r schwanken<strong>de</strong>n Standorts. Nicht mangeln<strong>de</strong>Vorbereitung sei zu beklagen, son<strong>de</strong>rn mangeln<strong>de</strong>Prinzipienfestigkeit, Zersetzung durch ästhetischeZweifel (...)." 436 )Der Parteifunktionär Liebscher trifft genau <strong>de</strong>n Sachverhalt,wenn man seine Analyse auch gera<strong>de</strong> gegen die Parteigerichtet interpretieren kann - was <strong>de</strong>r Autor offenbardurchaus beabsichtigt.Während Overbeck sein Problem <strong>de</strong>r mangeln<strong>de</strong>n "Prinzipienfestigkeit"zumin<strong>de</strong>st theoretisch selbst überwin<strong>de</strong>n kann,ist Laschens Problem gar nicht direkt greifbar.434) Da jeglicher Journalismus in <strong>de</strong>r DDR zentralisiertist, und somit auch die Literaturkritik, kann von TheoOverbeck durchaus auf die Probleme <strong>de</strong>r journalistischenDDR-Literaturkritik geschlossen wer<strong>de</strong>n.435) Günter <strong>de</strong> Bruyn: Preisverleihung, Halle-Leipzig 1972,hier Frankfurt am Main 1981, S. 86436) ebenda, S. 124


Der Auslandskorrespon<strong>de</strong>nt in Borns "Die Fälschung" siehtsich <strong>de</strong>r Schwierigkeit gegenüber, daß sich beobachteteGeschehnisse in seinen eigenen Artikeln <strong>de</strong>r Kontrolleentziehen und zu "gefälschten" Nachrichten wer<strong>de</strong>n. Er spürtganz <strong>de</strong>utlich, daß die Sätze, die er im Libanon unter <strong>de</strong>mEindruck existentieller Bedrohung zu Papier bringt, inDeutschland eher zur Sensationsbefriedigung aufgenommenwer<strong>de</strong>n - und daß auf diesem falschen Bild die Vorstellungvom Bürgerkrieg basiert.Er ist sich nicht einmal sicher, ob das, was er erlebt, dieganze Wahrheit ist:"Laschen erschien das alles als ein wichtigtuerischesKriegsspiel, über das er schreiben sollte, damit essich in <strong>de</strong>r Reportage als Wirklichkeit entpuppte." 437 )Er ist hin- und hergerissen zwischen einem "Mangel an Empörung"über die alltägliche Brutalität im Bürgerkrieg 438 )und <strong>de</strong>r für ihn doch immer wie<strong>de</strong>r unfaßbaren Grausamkeit,die sich in Einzelereignissen manifestiert 439 ). Weil Laschenmeint, diese Grausamkeiten immer distanzierter zu erleben,hat er ein schlechtes Gewissen."Laschen empfand einen Groll gegen sich, als er wie<strong>de</strong>rnur zusah (...). So empfindlich du auch gebliebenbist, von Kindheit an, so bist du als ein Berichterstatterdoch zu einem empfindungslosen Monstrum gewor<strong>de</strong>n.(...)" 440 )Als er das Gefühl hat, persönliche Anteilnahme nur nochsimulieren zu können 441 ), beschließt er, <strong>de</strong>n Berufaufzugeben: Er kündigt.Ähnlich wie bei Josefa Nadler wird journalistisches Scheiternzunächst an einer bestimmten Story festgemacht, weilsich die persönliche Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m Konfliktstoffdaran gut ver<strong>de</strong>utlichen läßt. Letztlich liegen dieProbleme, auch bei Theo Overbeck und Brigitte Klump 442 ),aber tiefer: Der eigentliche Grund für diese Protagonisten,437) Nicolas Born: Die Fälschung, a.a.O., S. 56438) ebenda, S. 178439) zum Beispiel die Exekution: ebenda, S. 180.440) ebenda, S. 186441) ebenda, S. 188442) Unter <strong>de</strong>r Voraussetzung, daß <strong>de</strong>r Roman autobiographischist.


auf verschie<strong>de</strong>ne Arten auszusteigen, liegt in <strong>de</strong>r mangeln<strong>de</strong>nMöglichkeit, im Journalismus persönliche I<strong>de</strong>aleumzusetzen. 443 )Das Bild <strong>de</strong>s vermeintlich so freien und selbstbestimmtenJournalismus wird hier stark relativiert.So ist es auch beim Rundfunkredakteur Feldmann in JürgenBreests "Dünnhäuter".Feldmann hat Spaß an seiner Arbeit, obwohl sich die Euphorieseiner Anfangszeit im beruflichen Alltag inzwischengelegt hat. 444 ) Aber er ist ein gewissenhafter und liberalerRedakteur und Abteilungsleiter, <strong>de</strong>r seine Mitarbeitergegenüber <strong>de</strong>n Vorgesetzten in Schutz nimmt. 445 )Solchen Schutz könnte er allerdings bald selbst brauchen,<strong>de</strong>nn als ihm ein Beitrag verboten wird, wagt er sich aus<strong>de</strong>r Deckung heraus und nimmt offen Stellung für die gefähr<strong>de</strong>tePressefreiheit. Als er am eigenen Leibe erfährt, wieEntscheidungen in <strong>de</strong>r Rundfunkanstalt nach politischenErwägungen gefällt wer<strong>de</strong>n, läuft er Sturm, ohne die Sinnlosigkeiteines solchen Amoklaufs zu be<strong>de</strong>nken:"'Meine Pflicht ist es, ein anständiger Mensch zubleiben und solche Machenschaften mit Verachtung zustrafen, jawohl, mit Verachtung. Ich bin kein Arschkriecherwie Herr Noltenius.'" 446 )Er rechnet nicht damit, wie schnell und fast reibungslossich das politisch geprägte System 'Rundfunk'eines solchenEinzelprotestes entledigt: Feldmann wird zunächst mehrfachermahnt, dann schließlich abgeschoben.Auch bei dieser Figur zeigt sich I<strong>de</strong>alismus mit Naivitätgepaart: Feldmann kann nicht zwischen I<strong>de</strong>alismus und Pragmatismusabwägen. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen,die sich an Nie<strong>de</strong>rlagen gewöhnt haben und sich als "Stehaufmännchen"verstehen. 447 ) Mit <strong>de</strong>r trotzigen Art <strong>de</strong>ssen,<strong>de</strong>r unbedingt Recht bekommen will, stellt er sich quer:"'Ich wer<strong>de</strong> mir das nicht gefallen lassen.'" 448 )Feldmann steht mit diesem unbedingten Medieni<strong>de</strong>alismusallein, <strong>de</strong>nn seine Kollegen glauben nicht mehr an eine443) Wenn auch diese Zwänge verschie<strong>de</strong>ne Ursachen haben:Bei Overbeck und Klump sind sie politisch, bei Laschenliegen sie eher an <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Bedingungen<strong>de</strong>s Journalismus allgemein.444) Jürgen Breest: Dünnhäuter, a.a.O., S. 9, 39445) ebenda, S. 18446) ebenda, S. 143447) ebenda, S. 73448) ebenda, S. 134


Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Zustän<strong>de</strong> im Rundfunk. Aus Enttäuschungdarüber flüchtet er sich in die Kantine und veranstaltetregelrechte Alkoholexzesse: "Feldmann brachte es im Laufe<strong>de</strong>s Nachmittags auf run<strong>de</strong> fünfzig Brü<strong>de</strong>rschaften." 449 )Feldmann ist damit kein 'vorbildlicher' I<strong>de</strong>alist. Die Literaturkritikfällt über Breests Protagonisten <strong>de</strong>nn auchregelrecht her: Wolfgang Bittner beschreibt ihn in <strong>de</strong>r"Welt <strong>de</strong>r Arbeit" als "Narziß und Neurotiker", "ausgestattetmit einer gehörigen Portion negativer Eigenschaften".450 ) Walter Gallasch bezeichnet ihn in "Die Tat" sogarals "Ekel Feldmann". 451 ) Und Alexan<strong>de</strong>r U. Martens fragt, ob<strong>de</strong>nn wohl wirklich das System schuld sei an FeldmannsAbstieg:"Nicht vielleicht auch und viel eher ein falsches Verständnisvon <strong>de</strong>n Möglichkeiten <strong>de</strong>r Selbstverwirklichung?In welchem System, außer einem anarchischen,gäbe es <strong>de</strong>nn keine Zwänge, wie <strong>de</strong>nn wäre Zusammenlebenüberhaupt möglich ohne die Einsicht auch zur Anpassung?"452 )Daß ein Zeitungsredakteur einer "unabhängigen politischenTageszeitung" 453 ) die gegen Feldmann verhängten Zensurmaßnahmen<strong>de</strong>rart <strong>de</strong>utlich billigt, fin<strong>de</strong> ich bemerkenswert.Die letzte Gruppe von I<strong>de</strong>alisten i<strong>de</strong>ntifiziert sich nichtso stark mit <strong>de</strong>m Beruf <strong>de</strong>s Journalisten, son<strong>de</strong>rn sieht ihneher als Job wie je<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren. Folglich verbin<strong>de</strong>n dieseProtagonisten nicht so viele positive Vorbil<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>rBerufsausübung, sie sind auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite aber auchnicht bereit, Zensur o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Beschränkungen hinzunehmen:Der I<strong>de</strong>alismus ist bei ihnen eine Frage <strong>de</strong>r Professionalität.Ein typischer Vertreter dieser Gruppe ist Henning Streitbergin Jost Noltes "Eva Krohn o<strong>de</strong>r Erkundigungen nacheinem Mo<strong>de</strong>ll".Streitberg bemüht sich um guten, professionellen Lokaljour-449) ebenda, S. 165450) Wolfgang Bittner (mit Kurt B. Flaake): Zwei Romane,ein Thema. Die Journalisten und ihre Konflikte, in:Welt <strong>de</strong>r Arbeit, Nr. 25, 19.6.1980451) Walter Gallasch: Das beson<strong>de</strong>re Buch: Feldmanns sichererAbstieg. Ein Mann vom Fernsehen schrieb einenRoman über das Fernsehen, in: Nürnberger Nachrichten,19.3.1979, S. 5452) Alexan<strong>de</strong>r U. Martens: Das System ist schuld - wersonst? Ein Abteilungsleiter beim Fernsehen schreibtüber einen Abteilungsleiter beim Fernsehen, in: DarmstädterEcho, 14.7.1979453) Untertitel <strong>de</strong>s "Darmstädter Echo".


nalismus, und zuweilen ist er sogar so begeistert bei <strong>de</strong>rSache, daß er Nächte durcharbeitet. Aber für ihn stehennicht so sehr die persönlichen Probleme <strong>de</strong>r Menschen überdie berichtet wird im Mittelpunkt . Ihm geht es in ersterLinie um "konkrete Angelegenheiten" 454 ), um politischeAuseinan<strong>de</strong>rsetzungen, Skandale und Verbrechen. 455 )Was ihn an seinem Beruf stört, ist die Routine, die ihnallmählich "halbzahm" gemacht hat und <strong>de</strong>r er noch überJahrzehnte ausgesetzt sein wird 456 ). Als er auf eine interessanteGeschichte über ein Mo<strong>de</strong>ll in Zusammenhang mit Drogenkriminalitätstößt, beginnt er <strong>de</strong>shalb eine gründlicheRecherche, die ihn allerdings von seiner Tagesarbeit abhält.Im Zusammenhang mit <strong>de</strong>n Recherchen zum Fall Eva Krohn reflektiertStreitberg <strong>de</strong>shalb auch seine Stellung zum Journalismus.Er konstatiert, daß seine "Lei<strong>de</strong>nschaft fürsZeitungsmachen erschreckend geschwun<strong>de</strong>n ist" 457 ) und er mußauch feststellen, daß sein Bericht über Eva Krohn nicht in<strong>de</strong>n Rahmen seiner Zeitung paßt. Der Artikel wird ihmschließlich vom Verleger gestrichen. 458 )Streitberg beschließt, die Ergebnisse <strong>de</strong>r Recherchen alsRoman zu veröffentlichen - <strong>de</strong>r Roman wird hier also selbstthematisiert - und zieht nach einigem Wi<strong>de</strong>rstand und Zögernschließlich die Konsequenz, zu kündigen - obwohl ihm einverlocken<strong>de</strong>s Karriereangebot gemacht wird. 459 ) Sein eigentlicherGrund für die Kündigung ist Berufsmüdigkeit:"Zwanzig Jahre Zeitung lagen hinter mir. Wenn ichweitermachte, stan<strong>de</strong>n mir noch fünfzehn Jahre bevor.Jahre, die bestenfalls um kaum einen Deut an<strong>de</strong>rs seinwür<strong>de</strong>n als die Jahre bisher. Kommunalprobleme, Stadtentwicklungsprobleme,Schützengil<strong>de</strong>nprobleme, Segelwochenprobleme.Zwischen <strong>de</strong>n Kaninchenzüchtern undörtlichen Tenniscracks gab es aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>s Lokalschreiberskaum einen Unterschied." 460 )Der Ausstieg ist hier gera<strong>de</strong> Ausdruck eines i<strong>de</strong>alistischenBerufsbil<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>nn Streitberg beschreitet diesen Weg, umnicht ein angepaßter und resignieren<strong>de</strong>r Provinzjournalistzu wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r seinem Anspruch von Professionalität nicht454) Jost Nolte: Eva Krohn o<strong>de</strong>r Erkundigungen nach einemMo<strong>de</strong>ll, a.a.O., S. 33455) z.B. ebenda, S. 47456) ebenda, S. 217, 33457) ebenda, S. 190458) ebenda, S. 198459) ebenda, S. 381, 418460) ebenda, S. 374


mehr gerecht wird.Große Storys, die eigentlich <strong>de</strong>n Rahmen ihres Medienunternehmenssprengen, recherchieren auch Daniel Ross in JohannesMario Simmels "Die im Dunklen sieht man nicht" 461 )und Raoul Miller in Eckhart Schmidts "Die Story".Bei<strong>de</strong> Unterhaltungsromane behan<strong>de</strong>ln Kriminalgeschichten.Bei Schmidt geht es um <strong>de</strong>n gewaltsamen Tod eines Redakteurs.Simmel beschreibt internationale Verwicklungen umeinen Dokumentarfilm <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Supermächte. In bei<strong>de</strong>nRomanen setzen sich die Protagonisten im Laufe <strong>de</strong>rRecherchen Lebensgefahren aus, weil sie sich von <strong>de</strong>rErmittlug <strong>de</strong>r Wahrheit um keinen Preis abbringen lassenwollen. Diese Romane bleiben allerdings weitgehend Klischeevorstellungen<strong>de</strong>s Sensationsjournalismus verhaftet;vor allem bei Simmel, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n drogenabhängigen Daniel Rosslediglich als Funktionsträger eines naiven "Anwalts für dieMenschheit" einsetzt und die Redakteure einer Rundfunkanstaltals notorische Alkoholiker beschreibt:"'Hohoho!' sagte <strong>de</strong>r Regisseur am Pult in <strong>de</strong>r einenStock höher gelegenen Kabine. Er hieß Kramsky und wareinigermaßen betrunken. Das war er häufig. Sehr vieleMitarbeiter <strong>de</strong>s Sen<strong>de</strong>rs Frankfurt - und an<strong>de</strong>rer Sen<strong>de</strong>r- waren häufig einigermaßen betrunken." 462 )Differenzierter wird Jörg En<strong>de</strong>rs in F.J. Wagners "BigStory" dargestellt. Er bil<strong>de</strong>t als Kollege von Morlock einGegenbild zum Macher-Journalismus, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>ssen hel<strong>de</strong>nhaftePosen hinterfragt und in kritischer Reflexion ein an<strong>de</strong>resJournalismus-Konzept an<strong>de</strong>utet.An<strong>de</strong>rs als Morlock hat En<strong>de</strong>rs eine sehr kritische Einstellungzum Jouralismus, weil er ihn als standpunktlosen Berufeigentlich verachtet:"Es kam nur auf eine Story an, auf die eigene. Zu ihrmuß man sich bekennen, zu seiner Frau, zu seinemStandpunkt.Manchmal benei<strong>de</strong>te er Menschen, die einen richtigenBeruf hatten. Es gab nur zwei richtige Berufe. Arztund Lehrer. Nur diese bei<strong>de</strong>n Berufe zählten für En<strong>de</strong>rs,weil es Berufe sind, durch die man praktischhelfen kann." 463 )En<strong>de</strong>rs läßt sich aber an<strong>de</strong>rerseits immer wie<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r461) Johannes Mario Simmel: Die im Dunklen sieht man nicht,Roman, München 1985, hier München 1988462) ebenda, S. 21463) F.J. Wagner: Big Story, a.a.O., S. 90


Story begeistern, die er gera<strong>de</strong> recherchiert: Distanz undFaszination wechseln einan<strong>de</strong>r ab. Und obwohl er sich vornimmt,nur "dieses Mal noch, nur noch dieses Mal" mitzumachen464 ), ist er auch bei <strong>de</strong>r nächsten Story wie<strong>de</strong>r dabei.Seine beruflichen Zweifel führen zwar zu keiner konkretenKonsequenz, sie beeinflussen aber En<strong>de</strong>rs Arbeitseinstellung.An<strong>de</strong>rs als seine Kollegen behält er immer die voneiner Story Betroffenen im Auge. Als Lupo <strong>de</strong>n Zeitpunkt <strong>de</strong>rVeröffentlichung ihrer Story über Idi Amin plant, <strong>de</strong>nkt erzum Beispiel an die Menschen, die bis dahin noch durch<strong>de</strong>ssen Befehl sterben wer<strong>de</strong>n (zuerst re<strong>de</strong>t "Lupo"):"'Wir dürfen nicht zu früh und nicht zu spät raus. Eskommt auf das Timing an. Woran <strong>de</strong>nkst du?''Ich <strong>de</strong>nke an <strong>de</strong>n Dicken', sagte En<strong>de</strong>rs. 'Der Dickeläßt je<strong>de</strong>n Tag, an <strong>de</strong>m er noch am Drücker ist, dreihun<strong>de</strong>rtbis vierhun<strong>de</strong>rt Mann umlegen.'" 465 )Lupo hat keine <strong>de</strong>rartigen Be<strong>de</strong>nken. Für ihn kommt es nurdarauf an, die Story gut zu verkaufen. Bis dahin muß "<strong>de</strong>rAffenarsch" 466 ) Idi Amin durchhalten, damit die Spannung fürdie Leser nicht verlorengeht.An<strong>de</strong>rs als etwa Josefa Nadler, Dole o<strong>de</strong>r Gabriele M.schöpft En<strong>de</strong>rs seinen journalistischen Ehrgeiz nicht ausBerufsoptimismus, son<strong>de</strong>rn im Gegenteil aus seiner scharfenKritik am Journalismus. Sie treibt ihn an, die Story beson<strong>de</strong>rssorgfältig zu recherchieren und nur im Ausnahmefall zuumstrittenen journalistischen Metho<strong>de</strong>n zu greifen. 467 ) Wür<strong>de</strong>er seinen I<strong>de</strong>alismus allerdings ernst nehmen und die Konsequenzenaus seiner Journalismus-Kritik ziehen, müßte En<strong>de</strong>rsseinen Beruf wohlaufgeben.5.4. "Angepaßte"Die angepaßten Journalisten haben ihren I<strong>de</strong>alismus - soweitsie jemals welchen hatten - in <strong>de</strong>n Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen mitChefredaktion und Verlag bereits abgeschliffen. Sie sindbereit, Rücksichten etwa auf Werbekun<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Parteien zu464) ebenda, S. 279465) ebenda, S. 154466) ebenda, S. 155467) So han<strong>de</strong>lt En<strong>de</strong>rs - an<strong>de</strong>rs als Morlock, <strong>de</strong>r dies schonbei Beginn <strong>de</strong>r Handlung tut - erst nach einem Anschlagauf sein Leben korrupt, in<strong>de</strong>m er Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s 'Scheckbuch-Journalismus'anwen<strong>de</strong>t (ebenda, S. 196ff.).


nehmen und <strong>de</strong>shalb einseitige Berichte zu liefern.Nur bei wenigen <strong>de</strong>r Angepaßten scheinen verschüttete I<strong>de</strong>aledurch, die aber, um die Karriere nicht zu gefähr<strong>de</strong>n, nichtmehr journalistisch umgesetzt wer<strong>de</strong>n.So ist es zum Beispiel bei Seebaum in Michael Springers"Bronnen". Er beginnt seine Laufbahn als Redakteur mitgroßen Vorsätzen und will berichten, "wie die Industrie dieUmwelt von Bronnen verän<strong>de</strong>rt", daß sie sie nämlichvergiftet. 468 )Sehr schnell merkt Seebaum, daß er diesen Vorsatz in <strong>de</strong>rLokalzeitung nicht verwirklichen kann. Als er sein Ansinneneinem Redaktionskollegen vorträgt, rät dieser ab, weil erselbst schon aus ähnlichem Grund bei einer an<strong>de</strong>ren Zeitunggekündigt wur<strong>de</strong>:"'Kann nicht eine Zeitung durch das Auf<strong>de</strong>cken einesSkandals eine Bewegung erzeugen?''Schwer', sagte Koll, 'und wegen eines solchen Versuchesbin ich von meiner früheren Zeitung, sagen wir,gebeten wor<strong>de</strong>n, zu gehen. Ein Journalist soll zwarüber alles berichten, was vorgeht, er darf aberniemals selber Politik machen.'" 469 )Diesem Rat folgend, paßt sich Seebaum schnell und perfekt<strong>de</strong>r verlangten Zeitungslinie an, er wird sogar aus finanziellerBequemlichkeit zum völlig unkritischen Werkzeug<strong>de</strong>s Verlages: "Die alltäglichen Hiobsbotschaften wur<strong>de</strong>nbeiseite geschoben, nach hinten verdrängt." 470 )Die anfängliche Begeisterung für <strong>de</strong>n Journalismus alsBeruf, <strong>de</strong>r persönliche Freiheiten verhieß, schwin<strong>de</strong>t mitdieser Anpassung:"Seebaums Freu<strong>de</strong> am Beruf erlosch; we<strong>de</strong>r waren ihmalle Menschen wun<strong>de</strong>rbar zugänglich, noch erwies sichdie Lokalpresse als glattes Sprachrohr für die großenSorgen." 471 )Als er dies bemerkt, versucht er, seine alten Ziele weiterzuverfolgenund recherchiert erneut für seine Umwelt-Story - allerdings in seiner Freizeit. Aber er kann nichtbei<strong>de</strong>s gleichzeitig durchhalten, Anpassung in <strong>de</strong>r Redaktionund Protest in <strong>de</strong>r privaten Auseinan<strong>de</strong>rsetzung, er mußFarbe bekennen.Dies versucht Seebaum auch, aber zu spät: Nach<strong>de</strong>m er In-468) Michael Springer: Bronnen, a.a.O., S. 52469) ebenda, S. 61470) ebenda, S. 119471) ebenda, S. 81


dizien für die Umweltverschmutzung gefun<strong>de</strong>n hat und seinBericht in <strong>de</strong>r Zeitung erscheint, kann <strong>de</strong>n betroffenen Industriellennichts mehr nachgewiesen wer<strong>de</strong>n.Seebaum erkennt also die Gefahr <strong>de</strong>r Anpassung, zieht aberdie falschen Konsequenzen. In<strong>de</strong>m er allein und privat gegenMißstän<strong>de</strong> vorgehen will, anstatt innerhalb <strong>de</strong>r Redaktionunbequem zu sein und eine offene Recherche zu erreichen,bleibt er chancenlos.Drei weitere Angepaßte machen erst gar nicht <strong>de</strong>n Versuch,aus ihrer Abhängigkeit zu entfliehen. Sowohl Martin WalsersFigur <strong>de</strong>s 'klassischen' 472 ) Angepaßten Hans Beumann als auchWolfgang Eberts "Blattmacher" Dohl und Otto JägersbergsJostes in "Der Fernsehreporter unterwegs, hoppla" sind autoritätenhörigeDruckmäuser, die beim Lügen keine Gewissensbissehaben.Allerdings haben sie verschie<strong>de</strong>ne Strategien entwickelt, um<strong>de</strong>r Öffentlichkeit ihre Anpassung zu verbergen:Hans Beumann ist sehr zurückhaltend und bleibt gern unauffälligim Hintergrund. Ihm ist es unangenehm, im Mittelpunkteiner Gesellschaft zu stehen:"'Wir haben noch etwas vor', rief Knut Relow, 'undzwar mit Ihnen, Hans Beumann!' Hans erschrak." 473 )So wissen die Einflußreichen von Philippsburg <strong>de</strong>n Neuen inihrer Run<strong>de</strong> zunächst nicht einzuschätzen. Erst allmählichbemerken sie, wie sehr Beumann sich an Autoritäten orientiert.Walser zeichnet seinen Protagonisten extrem: Beumann istvon je<strong>de</strong>m einflußreichen Gesprächspartner sofort beeindrucktund kann die kritische Sicht an<strong>de</strong>rer gar nicht verstehen:"Hans dachte, was gibt es <strong>de</strong>nn da noch zu re<strong>de</strong>n? DerIntendant ist ein kluger Mann. Viel klüger als ich. Erhat die alte Dame Öffentlichkeit, die nie recht wußte,was sie wollte, mit List und Klugheit behan<strong>de</strong>lt, alsogebt ihm doch euren Segen. Aber <strong>de</strong>r Saal war vollerZweifler und Nörgler." 474 )472) 'Klassisch' insofern, als daß "Ehen in Philippsburg"schon 1957 erschien.473) Martin Walser: Ehen in Philippsburg, a.a.O., S. 325474) ebenda, S. 115


Er ist ständig bemüht, <strong>de</strong>n über ihm Stehen<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>mMun<strong>de</strong> zu re<strong>de</strong>n und will einen "Dolmetscher in sich aufstellen",weil er meint, seine wahren Gedanken nicht preisgebenzu dürfen. 475 ) Beuman vertritt keinerlei I<strong>de</strong>ale, fürihn ist "Tugend (...) nichts an<strong>de</strong>res als Mangel an Gelegenheit"476 ). Mit seiner unterentwickelten Handlungsbereitschaftläßt er zu, was er selbst formuliert: "Der Menschtut nun einmal Böses, solang er dazu Gelegenheit hat." 477 )Beumann hat keine festen Überzeugungen und ist manchmalselbst überrascht, wohin er sich hat treiben lassen. Sosind für ihn Freundschaft und Feindschaft von äußerenZufällen abhängig:"Ah, hatte Hans gesagt und bei sich festgestellt, daßer jetzt also <strong>de</strong>r Gegner <strong>de</strong>s Mannes gewor<strong>de</strong>n war, <strong>de</strong>ssenMitarbeiter er hatte wer<strong>de</strong>n wollen." 478 )Beumann gibt seine Angepaßtheit offen zu. Er fin<strong>de</strong>t nichtsdabei. Als er einen PR-Job in <strong>de</strong>r Industriewerbung angebotebekommt, sind Gewissensbisse schnell überwun<strong>de</strong>n:"Und er sollte nun eine solche Stellung ausschlagen?Er sollte jetzt wohl <strong>de</strong>n Aufrechten spielen, ganz privatund ohne Zuschauer sollte er jetzt seine Zukunftopfern, sollte zurücksinken in die lebenslänglicheUngewißheit (...), aber wer lohnte diese Entscheidung?Wem nützte er damit? Ob die Industrie vom Übel o<strong>de</strong>rnicht vom Übel war, er konnte es ja nicht einmalrichtig beurteilen, und wenn er abschlüge, so war esfür Herrn Volkmann eine Kleinigkeit, für diesen Posteneinen an<strong>de</strong>ren zu fin<strong>de</strong>n: <strong>de</strong>r Posten also wür<strong>de</strong> auf je<strong>de</strong>nFall besetzt wer<strong>de</strong>n, das Büro wür<strong>de</strong> arbeiten, alsokonnte er nichts verhin<strong>de</strong>rn, wenn er ablehnte, alsonahm er an." 479 )Der Lokalredakteur Dohl in Wolfgang Eberts "Der Blattmacher"gibt seine Anpassung nicht so offen zu, er bestreitetsogar heftig, Rücksichten zu nehmen. Sein Selbstbild <strong>de</strong>skonfliktbereiten I<strong>de</strong>alisten weicht von seiner tatsächlichfeststellbaren Abhängigkeit von <strong>de</strong>n Meinungen <strong>de</strong>r Vorgesetztenerheblich ab.Je<strong>de</strong>smal wenn er die Möglichkeit hätte, längst reiflichüberlegte Vorbehalte offen vorzutragen, fällt ihm einefa<strong>de</strong>nscheinige Begründung ein, besser doch zu schweigen:475) ebenda, S. 41476) ebenda, S. 52477) ebenda478) ebenda, S. 67479) ebenda, S. 60


"(...) alles kann man mir nachsagen, aber nicht, daßich, wenn es darauf ankommt, aus meinem Herzen eineMör<strong>de</strong>rgrube mache. (...) Aber es schien mir jetztnicht <strong>de</strong>r rechte Augenblick zu sein, Einwän<strong>de</strong> zu erheben.Dazu war immer noch Zeit." 480 )Der "rechte Augenblick" kommt jedoch nie.Typisch für diese Taktik <strong>de</strong>s Hinhaltens, die offenbar zunichts an<strong>de</strong>rem dient, als das eigene Gewissen zu beruhigen,ist ein Brief Dohls an <strong>de</strong>n Verlag, <strong>de</strong>n er zwar scharf formuliert,dann aber so lange in <strong>de</strong>r Tasche behält, bis erwertlos gewor<strong>de</strong>n ist.Dohl paßt sich aber nicht nur an, son<strong>de</strong>rn beherrscht dietypische hirarchiegläubige 'Radfahrer'-mentalität: Er bukkeltnach oben, um sich lieb Kind zu machen und tritt um soheftiger nach unten, um Frustrationen abzubauen. Nicht nureinmal verhält er sich unkollegial, manchmal bleibt eben,wie er fin<strong>de</strong>t, "kein an<strong>de</strong>rer Ausweg, als die Schuld auf an<strong>de</strong>reKollegen abzuwälzen". 481 ) Dohl billigt auch unfairesVerhalten in <strong>de</strong>r Redaktion:"Wer eine so schöne Frau wie Gerbracht hatte, <strong>de</strong>rhatte es auch verdient, ein bißchen getriezt zu wer<strong>de</strong>n.Deshalb wur<strong>de</strong>n aus seinen Artikeln die prägnantestenWendungen erbarmungslos herausgestrichen, fandsich selten jemand dazu bereit, für ihn einzuspringen,wur<strong>de</strong> er bei <strong>de</strong>n Zuteilungen von Reisevergünstigungenbevorzugt übergangen." 482 )Überhaupt liegt Anbie<strong>de</strong>rei und Anpassertum nicht in <strong>de</strong>rVerantwortung <strong>de</strong>s Einzelnen, son<strong>de</strong>rn ist "im System"begrün<strong>de</strong>t 483 ) - von <strong>de</strong>m sich Dohl allerdings distanziert.In Wahrheit unterliegt auch er diesem System, er nimmt esje<strong>de</strong>nfalls hin, daß <strong>de</strong>r Verlag Selbstzensur paradoxerweisegera<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r Unabhängigkeit begrün<strong>de</strong>t:"Um wirklich unabhängig zu bleiben, könnten wir es unsnicht länger leisten, konservative Leser zu verprelleno<strong>de</strong>r gar gewisse Wirtschaftskreise. Kritik sei zwarnach wie vor gewünscht, sie müsse aber wohlwollend undausgewogen sein, keinesfalls zersetzend. 484 )Dohl läßt sich schnell von Sachzwängen aller Art 'überzeugen',weil er ständig um seinen "Kurswert" besorgt ist. 485 )Daß er <strong>de</strong>nnoch die journalistische Freiheit wie ein Banner480) Wolfgang Ebert: Der Blattmacher, a.a.O., S. 31481) ebenda, S. 16482) ebenda, S. 121483) ebenda, S. 15484) ebenda, S. 68485) ebenda, S. 40


vor sich herträgt, läßt ihn lächerlich erscheinen und machtdie Satire dieses "satirischen" Romans aus.Der Fernsehredakteur Franz Jostes aus Otto JägersbergsErzählung durchschaut diesen Typus <strong>de</strong>s angepaßten Möchtegern-I<strong>de</strong>alisten.Sein Chef Glasendorf scheint Dohl ähnlichzu sein:"Im Fahrstuhl zücken die Burschen plötzlich einParteibuch links von <strong>de</strong>r Mitte, und hinterm Schreibtischmauern sie die 'Ausgewogenheit'." 486 )Jostes braucht diese Selbstbeschwichtigungen nicht. Er gibtoffen zu, angepaßt zu sein und "mit viel Fleiß und Geschick"seine Berichte seicht zu formulieren, "damit sienieman<strong>de</strong>m weh tun". 487 ) Er produziert "geputzte" Fernsehbeiträgemit viel Bildmaterial, die absichtlich zu "beliebigemBrei" wer<strong>de</strong>n und zu allem Überfluß auch noch miteinem "netten" Text versehen wer<strong>de</strong>n. 488 )Er weiß, daß er journalistischen Berufsi<strong>de</strong>alen nicht mehrentspricht, "ein schlaffer Typ gewor<strong>de</strong>n" ist. Und er hatAngst vor Repressionen. 489 ) Nur mit Alkohol läßt sich <strong>de</strong>rJob beim Fernsehen und die eigene Anpassung noch ertragen:"Beschissener kann man nicht leben. Auf <strong>de</strong>m Lokussitzen und sich mit Büchsenbier bekleckern, Angst umseinen Job haben und nicht wissen, was war." 490 )Jostes nimmt sogar Valium, um <strong>de</strong>r beruflichen Langweile zuentfliehen. 491 )Wo Walser und Ebert ein überzogenes Bild <strong>de</strong>s resigniertenMedienarbeiters zeigen, um <strong>de</strong>n journalistischen Anpasserals negatives Gegenbild bloßzustellen, dürfte Jägersbergmit <strong>de</strong>r Figur <strong>de</strong>s Jostes nahe an <strong>de</strong>r Realität liegen.Er zeigt einen pragmatisch <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n Redakteur, <strong>de</strong>r zwarjournalistische I<strong>de</strong>ale hatte, sie aber <strong>de</strong>n beruflichenGegebenheiten zu opfern wußte, als es um seine Karriereging. Ein gesicherter, wenn auch langweiliger Job ist ihmwichtiger als das vielleicht interessantere, aber unsichereLeben eines freien Mitarbeiters.Jostes schlägt sich so durch, er kennt keine Tugen<strong>de</strong>n undfällt im Betrieb einer Rundfunkanstalt nicht weiter auf.486) Otto Jägersberg: Der Fernsehreporter unterwegs, hoppla,a.a.O., S. 130487) ebenda488) ebenda, S. 134489) ebenda, S. 144490) ebenda, S. 142491) ebenda, S. 139


Das sieht er auch selber so:"Seit siebzehn Jahren schleich ich durch die Lan<strong>de</strong> fürmehr Information, Aufklärung und Unterhaltung." 492 )Neben einer Reihe von I<strong>de</strong>alisten fin<strong>de</strong>n sich aber aucheinige Macher in <strong>de</strong>r Kategorie <strong>de</strong>r Angepaßten wie<strong>de</strong>r. Machtist offenbar am leichtesten durch Anpassung zu erlangen un<strong>de</strong>rfor<strong>de</strong>rt gleichzeitig neben persönlicher Autorität fortgesetzttaktisches Verhalten, um die errungene Position zusichern.Extremster Fall ist Bölls Fritz Tolm in "Fürsorgliche Belagerung",<strong>de</strong>r allerdings weniger Machtfaktor als vielmehr"Museumschef" <strong>de</strong>s Verlages ist. 493 ) Tolm läßt sich in seinerMachtfülle treiben von <strong>de</strong>n Entscheidungen <strong>de</strong>r Geschäftsführer<strong>de</strong>s Unternehmens 494 ), genießt ansonsten seinen Wohlstand495 ) und weiß nichts Neues zu sagen, weshalb er dieI<strong>de</strong>e von Interviews auf Vorrat ersinnt:"'Weißt du, während <strong>de</strong>r Interviews kam mir die I<strong>de</strong>e:Man könnte sie für Funk und Fernsehen auf Vorratgeben, sozusagen als Konserve: zur Frage <strong>de</strong>r Fusion,zu Lohnfragen, zu kulturellen Fragen, zur Innen- undAußenpolitik, zu Sicherheitsfragen. Man könnte sogarleichte Variationen einbringen, die <strong>de</strong>n Anschein vonAktualität erzeugen.'" 496 )Mit dieser Aussage karikiert Böll nicht nur seine FigurTolm, die von <strong>de</strong>r Aktualität <strong>de</strong>s Journalismus nichts versteht,son<strong>de</strong>rn auch die 'realen' Politiker , von <strong>de</strong>renzuweilen sinnentleerten Aussagen Tolm die I<strong>de</strong>e abgeleitetzu haben scheint.Auch Wehrenberg in Breests "Dünnhäuter" ist trotz persönlicherAutorität eine eigentlich traurige Figur. Sogarseine Mitarbeiter merken, wie er sich vor Verantwortungdrückt 497 ) und Angst vor Konflikten hat. Als <strong>de</strong>r Redakteureiner direkten Konfrontation nicht aus <strong>de</strong>m Wege gehen will,reagiert Wehrenberg sogar fast weinerlich:"'Ungerecht behan<strong>de</strong>lt - Sie sind wirklich naiv. Wervon uns wird <strong>de</strong>nn nicht tagtäglich ungerecht behan<strong>de</strong>lt?Wer von uns allen, <strong>de</strong>n Intendanten eingeschlossen?Meinen Sie, ich fin<strong>de</strong> nichts dabei, wenn <strong>de</strong>rIntendant mich wie einen dummen Jungen behan<strong>de</strong>lt, nur492) ebenda, S. 144493) Heinrich Böll: Fürsorgliche Belagerung, a.a.O, S. 81494) ebenda, S. 100495) ebenda, S. 99496) ebenda, S. 203497) Jürgen Breest: Dünnhäuter, a.a.O., S. 49, 59


weil ihm meine Nase nicht paßt (...)?'" 498 )Es zeigt sich, daß Wehrenberg sogar schon über-angepaßtist: Als ihn sein Direktor um ein Statement bittet, muß erpassen:"'Darf ich Ihre Meinung hören, Herr Doktor Wehrenberg.Möchten Sie lieber Feldmanns Frauenreihe o<strong>de</strong>r meineAbenterreihe?'Wehrenberg lächelte gequält. 'Tja...' sagte er undmachte eine Pause.'Nun, Sie haben doch eine Meinung, Herr Doktor Wehreberg,o<strong>de</strong>r nicht?''Ich bin davon ausgegangen, daß die Frauenreihegestoppt ist...'" 499 )Etwas an<strong>de</strong>rs verhält es sich bei Klaus Buch in Walsers "Einfliehen<strong>de</strong>s Pferd". Buch verfügt nicht, wie Tolm und Wehrenberg,über Macht und persönliche Autorität - er hätte sieaber gern. Deshalb spielt er <strong>de</strong>n Macher, obwohl er in Wirklichkeitnur Überfälliges formuliert - wie er selbst,allerdings nicht ganz ernst gemeint, zugibt:"Und Klaus hat sogar schon mehreres veröffentlicht.Über das Essen allgemein. Aha. Und fünfundsiebzigtausendLeute gibt es, die nach seinen Schriften essen.So ist das. Aber er ist beschei<strong>de</strong>n geblieben. Dassei nicht sein Verdienst. Er habe formuliert, was fälliggewesen sei." 500 )Buch ist ein Blen<strong>de</strong>r. Er macht sich und <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren etwasvor, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n mühelosen 'Sunnyboy'-Journalisten spielt.In Wahrheit orientiert er sich hauptsächlich an seiner offenbarerlebnisreichen Jugendzeit und versucht krampfhaft,seine damaligen Erfolge wie<strong>de</strong>r aufleben zu lassen:"Bei Klaus Buch rollte es nur so von Tönen, Gerüchen,Geräuschen; das Vergangene wogte und dampfte, als seies lebendiger als die Gegenwart." 501 )In <strong>de</strong>r Gegenwart ist Buch darauf angewiesen, zu schwin<strong>de</strong>ln,um sein Selbstbild aufrechtzuerhalten. Auch diese Wahrheitgibt er im Scherz offen zu:"Er könne einfach keinen Schwin<strong>de</strong>l sehen, ohne von <strong>de</strong>mWunsch gefoltert zu wer<strong>de</strong>n, an diesem Schwin<strong>de</strong>l zupartizipieren. Bitte, er sei nun einmal <strong>de</strong>r Sohn eines498) ebenda, S. 117499) ebenda, S. 150500) Martin Walser: Einfliehen<strong>de</strong>s Pferd, a.a.O., S. 44501) ebenda, S. 30


Patentanwalts." 502 )Wie wahr diese ironisch vorgebrachten Selbsteinschätzungensind, erfahren Sabine und Helmut später von Hel. 503 ) BuchsSchwin<strong>de</strong>l dient dazu, die Frustration über seine Unbegabtheitzu bewältigen und - auch sich selbst - von seinervölligen journalistischen Abhängigkeit abzulenken.Weil sonst niemand auf ihn aufmerksam wür<strong>de</strong>, muß er sichselbst in Szene setzen: "Ich bin ein Anbeter meinerselbst." 504 )5.5. "Aussteiger"Der Begriff <strong>de</strong>s Ausstiegs soll hier im engeren Sinn für <strong>de</strong>nBerufsausstieg verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>m allerdings manchmalauch ein Ausstieg aus <strong>de</strong>m 'normalen' gesellschaftlichenLeben einhergeht. Aussteiger sind also Protagonisten, dieaus enttäuschtem I<strong>de</strong>alismus o<strong>de</strong>r Überfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>n journalistischenBeruf vorübergehend o<strong>de</strong>r endgültig aufgeben.Vorübergehen<strong>de</strong> Aussteiger sind die bei<strong>de</strong>n Ich-Erzähler inGünter Seurens Romanen und <strong>de</strong>r Reporter Herbert Hensmann inGeert Zebothsens "Ararat" - zumin<strong>de</strong>st wird bei diesen Romanenein endgültiger Ausstieg nicht <strong>de</strong>utlich.Die Ich-Erzähler bei Seuren sind <strong>de</strong>sillusionierte I<strong>de</strong>alisten.Sie unterbrechen ihre journalistische Produktion, umAbstand zum Beruf zu gewinnen und sich über ihre Haltungzum Journalismus klar zu wer<strong>de</strong>n.In "Die fünfte Jahreszeit" zieht sich das erzählen<strong>de</strong> Ichvöllig in ein abgelegenes Holzhaus in <strong>de</strong>r Schweiz zurück,um einen Roman zu schreiben (Seuren thematisiert hier <strong>de</strong>nvorliegen<strong>de</strong>n Roman in sich selbst). Das Ich aus "Die Asche<strong>de</strong>r Davidoff" lebt vorübergehend mit <strong>de</strong>m FilmproduzentenFiedler zusammen, um seine Berufsmüdigkeit zu überwin<strong>de</strong>n.Aber <strong>de</strong>r in diesem Roman beschriebene Kulturkritiker bleibtmit <strong>de</strong>m Journalismus zumin<strong>de</strong>st insofern verbun<strong>de</strong>n, als daß502) ebenda, S. 85f.503) ebenda, S. 136ff.504) ebenda, S. 109


er sich um seine Rückkehr in <strong>de</strong>r Redaktion sorgt und auf<strong>de</strong>m laufen<strong>de</strong>n bleibt, in<strong>de</strong>m er regelmäßig 'seine' Zeitungliest."Dem Blatt, für das ich schreibe, sollte ich einLebenszeichen schicken. Sie warten auf meine Beiträge.Ich liefere nicht, und das ohne Entschuldigung. Ichweiß nicht, wie lange ich ihnen fehle, vielleicht istmein Platz in <strong>de</strong>n Spalten gefähr<strong>de</strong>t, weil Krappen, <strong>de</strong>rjüngere, hinter mir steht und auf seine Chancewartet." 505 )Diese Angst vor <strong>de</strong>m Jüngeren zeigt die Krise, in <strong>de</strong>r sich<strong>de</strong>r Kritiker befin<strong>de</strong>t: Sehr schnell hatte er offenbar seineBerufsi<strong>de</strong>ale über Bord geworfen - sie wer<strong>de</strong>n nicht ausführlichdargestellt - und fin<strong>de</strong>t nun wenig Positives, wenner über sein Berufsleben nach<strong>de</strong>nkt:"Dieser Journalist hat die Jahre im Kinosessel verbracht,er ist nach <strong>de</strong>r Vorstellung in sein Autogestiegen, nach Hause gefahren und hat seine Gesinnungskritikenfür seine bevorzugten Filmemachergeschrieben.""Ich war ein professioneller Kritiker gewor<strong>de</strong>n. Erstjetzt fiel mir auf, wie wenig ich gelebt hatte. UndNelly sagte: Wie fühlt man sich, wenn man tot ist?" 506'Professionell' meint hier wohl eher angepaßt und kritiklos.Der altern<strong>de</strong> Redakteur macht sich Sorgen, weil er mangelsProfil leicht ersetzbar gewor<strong>de</strong>n ist.Deshalb versucht er etwas Neues, er beginnt, in FiedlersAuftrag ein Drehbuch zu schreiben und seine Erfahrungen alsKritiker somit selbst <strong>de</strong>r Kritik zu stellen. Mit Fiedlerwill er die Medien von <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite her für sich einnehmen.Fiedler: "Wir beliefern die Medien. Wir haben <strong>de</strong>nBiß." 507 )Das erzählen<strong>de</strong> Ich in "Die fünfte Jahreszeit" flieht ehervor <strong>de</strong>r Anpassung als vor einer Midlife-Crisis aus <strong>de</strong>mJournalismus. Der Protagonist, ein Drehbuchautor, ist unzufrie<strong>de</strong>nmit seinen Auftragsarbeiten und bemerkt, daß ersich zunehmend <strong>de</strong>n Produktionsbedingungen <strong>de</strong>s Rundfunksangepaßt hat:505) Günter Seuren: Die Asche <strong>de</strong>r Davidoff, a.a.O., S. 103506) ebenda, S. 13, S. 107507) ebenda, S. 162


"Er hatte recht, ich rutschte immer weiter ab, dafürwer<strong>de</strong> ich bezahlt, ein Hausautor, wie es in <strong>de</strong>rSen<strong>de</strong>rsprache heißt; das Beste, was man einemHausautor sagen kann: Die Stoffbewilligung wur<strong>de</strong>erteilt. Geliefert, gesen<strong>de</strong>t, Feierabend." 508 )Außer<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n seine Produktionen vom Sen<strong>de</strong>r überwacht,in<strong>de</strong>m "Teilhaber" an <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rschrift <strong>de</strong>s Drehbuchsmitwirken. 509 ) So wird ein Drehbuch unpersönlich gemacht undverkommt zur Ware: Der Drehbuchautor ist ein Lohnschreiber510 ), er "funktioniert" 511 ).Die Erzählerfigur bricht aus diesen Abhängigkeiten in die"Erfüllungsschreiberei" 512 ) aus. Die Form <strong>de</strong>s Romans gibtihm die Möglichkeit, als Autor erkennbar zu bleiben und dieVerwertung selbst zu kontrollieren - gera<strong>de</strong> letzteres istfür ihn wichtig, weil Drehbücher schon vor Fertigstellungin <strong>de</strong>n Besitz <strong>de</strong>s Rundfunks übergehen und, nach Belieben<strong>de</strong>r Redakteure, unproduziert in <strong>de</strong>n Archiven ("Grabkammern")<strong>de</strong>s Sen<strong>de</strong>rs lan<strong>de</strong>n können. 513 ) Der Roman verhilft ihmzu einem neuen Freiheitsgefühl in <strong>de</strong>r Arbeit:"Schreiben, so wie man lebt, geht, sieht, vögelt, Lustauf morgen hat." 514 )Letztlich scheitert diese Illusion vom neuen, unbeschwertenSchreiben in <strong>de</strong>r Almhütte aber, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Erzähler kannseine bürgerlichen Zivilisationsängste nicht ganz abschütteln.Hans C. Blumenberg schreibt in seiner Kritik:"So scheitert das Experiment ziemlich kläglich, unddie 'Bil<strong>de</strong>rfabrik' hat einen ihrer kompetentesten Arbeiterwie<strong>de</strong>r. Aber es könnte immherhin sein, daß erweniger beflissen funktioniert als zuvor." 515 )Um eine Abenteuerreise zu unternehmen, entfernt sich <strong>de</strong>rehemalige "Spiegel"-Redakteur Herbert Hensmann zeitweiligvon seinem Arbeitsplatz.Bei ihm kommt dieser Ausstieg allerdings weniger durch Absichtals vielmehr eine Verkettung von Zufällen zustan<strong>de</strong>:Er verunglückt mit einem Surfbrett und wird von einem In-508) Günter Seuren: Die fünftee Jahreszeit, a.a.O., S. 179509) ebenda, S. 178510) ebenda, S. 227511) ebenda, S. 404512) ebenda, S. 318513) ebenda, S. 73514) ebenda, S. 327515) Hans B. Blumenberg: Kassiber aus <strong>de</strong>r Zwangsanstalt.Die Arbeitswelt <strong>de</strong>s Fernsehens in zwei Romanen, in:Die Zeit, 12.10.1979, Literatur, S. 4


dustriellen aufgelesen, <strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> eine Expedition zumArarat ausrüstet. Hensmann ist bald begeisterter Mitstreiter,als er erfährt, das dort nichts weniger als die ArcheNoah gefun<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n soll. Außer<strong>de</strong>m durchlebt er gera<strong>de</strong> einepersöliche und berufliche Krise, da kommt ein - bezahltes -Abenteuer gera<strong>de</strong> recht. 516 )Hensmann selbst will also eigentlich gar nicht aussteigen,son<strong>de</strong>rn wittert die Story, die sich ihm bei erfolgreicherSuche bietet. Obwohl die skurrile I<strong>de</strong>e ihn zunächstzweifeln läßt, ist er schnell von <strong>de</strong>r möglichen Existenz<strong>de</strong>r Arche Noah überzeugt:"Aber schließlich war ich berufsmäßig neugierig unddarauf getrimmt, unmöglich scheinen<strong>de</strong>s nicht von vornhereinabzulehnen, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Dingen auf <strong>de</strong>n Grund zugehen." 517 )Hensmann geht das Problem journalistisch an: Auf verschie<strong>de</strong>nenWegen recherchiert er über die Arche Noah und<strong>de</strong>n Ararat, schickt Kollegen zu Pressekonferenzen und läßtin Archiven forschen. 518 ) Die Arche Noah wird schließlichauch gefun<strong>de</strong>n, allerdings kommt es zu unvorhergesehenenZwischenfällen und Hensmann kommt nicht mehr dazu, seineStory zu schreiben.Zwei Protagonisten gestalten ihren Ausstieg ungleich dramatischer:Rolf Klaus aus Paul Kerstens "Absprung" und Kilianaus Jurek Beckers "Aller Welt Freund" sind gewillt, zusterben. Der Ausstieg bleibt aber nur vorübergehend, <strong>de</strong>nnbei<strong>de</strong>n mißlingt ihr Selbstmordversuch. 519 )Allerdings gibt es grundsätzliche Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>nbei<strong>de</strong>n. So ist Kilian zwar fest entschlossen zu sterben,hat seinen Freitod aber diletantisch geplant. Rolf Klausdagegen hat zwar genauestens geplant, wird sich aber seinerTo<strong>de</strong>sabsicht zunehmend unsicher und bringt <strong>de</strong>n Freitodvolltrunken nicht zustan<strong>de</strong>.Auch ihre Beweggrün<strong>de</strong> sind sehr verschie<strong>de</strong>n. Rolf Klaus istoffenbar Alkoholiker, <strong>de</strong>r Arzt hat bei ihm schlechte Leberwertediagnostiziert und befürchtet eine "Saufleber". Diesvor allem wirft ihn aus <strong>de</strong>r Bahn, Klaus befürchtet, so o<strong>de</strong>rso sterben zu müssen.516) Geert Zebothsen: Ararat, a.a.O., S.21517) ebenda, S. 50518) ebenda, S. 146, 172519) Die hier genannte Zahlenangabe umfaßt nur Protagonisten,die ich als Aussteiger bezeichne. Einen Selbstmordversuchunternimmt z.B. außer<strong>de</strong>m Daniel Ross inJ.M. Simmels "Die im Dunklen sieht man nicht".


Dazu kommen berufliche Frustrationen, Klaus kommt mit <strong>de</strong>nArbeitsbelastungen nicht mehr zurecht und muß sich zuweilen"die Rohentwürfe für seine Artikel von Thomas zu einembrauchbaren Bericht aufpolieren lassen." 520 ) Außer<strong>de</strong>m habensich Agressionen gegen berufliche Zwäge angesammelt, auchgegen Vorgesetzte:"Grohmann gegenüber zum Beispiel. Klar, <strong>de</strong>m hätte erschon gern mal eins in die Fresse gehauen, (...) somitten in <strong>de</strong>r Redaktionskonferenz, während einerseiner Monologtira<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen er die Pressefreiheithochleben ließ und gleichzeitig die von politischemArschkriecher-Opportunismus diktierten Richtlinien'seines' Blattes in schwadronieren<strong>de</strong>m Plau<strong>de</strong>rton absteckte."521 )Er spürt, daß er nachgelassen hat und auch seine altenVorstellungen nicht mehr durchzusetzen bereit ist."Stun<strong>de</strong>nlang habe er oft vor einer leeren Manuskriptseitegehockt und - nicht zuletzt, weil er gesoffenhatte - gespürt, wie ihm die Gedanken wegrutschten."522 )Rolf Klaus graut vor sich selbst. Er ist zum Mitläufergewor<strong>de</strong>n und damit zu einer Figur, die er selbst hassenmuß. Außer<strong>de</strong>m hat er Streit mit seiner Freundin, <strong>de</strong>r er inihm selbst unverzeihlicher Weise Freiheiten raubt.Schließlich fährt Rolf Klaus zu seinem Bekannten nachSchwe<strong>de</strong>n, um sich dort von einer Klippe zu stürzen. DasVorhaben ist genau geplant, <strong>de</strong>r Abschiedsbrief schonabgeschickt, und ein letztes Mal geht Klaus sein Lebendurch. Aber er zweifelt an seinem Vorhaben und betrinktsich fortgesetzt, weil er es nicht fertigbringt, die letzteKonsequenz wirklich zu ziehen. Selbst als er eigentlichschon gar nicht mehr sterben will, begeht er einen letztenverzweifelten Versuch, um nicht unverrichteter Dingezurückkehren zu müssen.Inzwischen hat er begriffen, daß nicht nur die an<strong>de</strong>ren anseiner Misere schuld sind, son<strong>de</strong>rn vor allem er selbst.Und: durch seinen Tod wür<strong>de</strong> sich nichts än<strong>de</strong>rn.Trotz dieser Einsicht kann er keine Hoffnung fasse. Als er520) Paul Kersten: Absprung, a.a.O., S. 89521) ebenda, S. 91522) ebenda, S. 93


in die Redaktion zurückkehrt, hat sich für ihn nichtsverän<strong>de</strong>rt, er wird fortfahren in <strong>de</strong>r "Einübung in dietägliche To<strong>de</strong>sverdrängung" 523 ):"Und wir wer<strong>de</strong>n weitermachen mit unserer jahrelangkultivierten Kotzbereitschaft, mit unserem Zwang zumverkrampften Sarkasmus und uns wun<strong>de</strong>r was einbil<strong>de</strong>nauf unsere lebensretten<strong>de</strong>, Ersatzbefriedigung verschaffen<strong>de</strong>Selbstironie." 524 )Bei Kilian liegen die Dinge etwas an<strong>de</strong>rs. Zentraler Grundfür seinen Selbstmordversuch ist sein Beruf, <strong>de</strong>nn es sinddie Nachrichten mit <strong>de</strong>nen er täglich umgeht, die er nichtertragen kann.Kilian lei<strong>de</strong>t an <strong>de</strong>n Nachrichten, er kann sie nicht lesen,ohne mit <strong>de</strong>n durch sie Betroffenen mitzufühlen. Obwohl erweiß, daß es sinnlos ist, legt er Erwartungen in dieNachrichten und versucht, in ihnen einen direkten Sinn zuent<strong>de</strong>cken. 525 ) Deshalb ist er total überreizt und hat"pausenlos das Schicksal <strong>de</strong>r Menschheit im Auge." 526 )"(...) die vielen kleinen Kriege streben einan<strong>de</strong>r zu:sie kommen näher und näher, sie haben mich zu ihremMittelpunkt erkoren und fressen sich von allen Seitenauf mich zu. Ich wer<strong>de</strong> krank vom Zeitunglesen und hörenicht auf damit, ich habe haargenau <strong>de</strong>n richtigenBeruf. Ich habe die Katzenphobie und arbeite in <strong>de</strong>rZoohandlung, Abteilung Katzen." 527 )Am naheliegendsten wäre es für Kilian, zu kündigen. Aberdiese Lösung verwirft er:"Noch nie ist es mir in <strong>de</strong>n Sinn gekommen zu kündigen,zugunsten wovon? Die Arbeit, die ich zu tun habe,liegt mir, das heißt, sie liegt meinen Augen und Fingern.Aber ich bestehe nicht nur aus Augen und Fingern,vielleicht zerquetscht sie mich." 528 )Zum Glück kommt sein Chef auf eine Lösung: Er versetzt Kilianan seinen ehemaligen Redaktionsplatz im Sport zurückund verhin<strong>de</strong>rt damit, daß er weiterhin mit <strong>de</strong>n Nachrichtendirekt konfrontiert wird.Diese Maßnahme scheint erfolgreich zu sein: Kilian kannfortan ungezwungener mit Nachrichten umgehen, sieht Kriegdistanziert-ironisch als sportliches Ereignis und hat die523) ebenda, S. 360524) ebenda, S. 361525) Jurek Becker: Aller Welt Freund, a.a.O., S. 50526) ebenda, S. 91527) ebenda, S. 108528) ebenda


I<strong>de</strong>e von vorgefertigten Kommentaren, stuft <strong>de</strong>ren Be<strong>de</strong>utungalso herab. 529 )Seine Haltung mün<strong>de</strong>t in eine Art pessimistischen Lebenspragmatismus:"Solange ich nicht tot bin, muß ich versuchen zuleben, ich meine, man kann nicht alles auf einmalhaben." 530 )In<strong>de</strong>m Becker eine Figur vorstellt, die Nachrichten wörtlichnimmt, zeigt er, wie oberflächlich auch die schrecklichstenNeuigkeiten konsumiert wer<strong>de</strong>n. Die Katastrophen dieser Weltwer<strong>de</strong>n durch ihre Behandlung in <strong>de</strong>n Medien scheinbar bewältigtund scheinen daher nicht mehr bedrohlich.Insofern greift die Literaturkritik zu kurz, wenn sie - wieetwa Wolfgang-Michael Böttcher - nur die direkt negativeSeite Kilians betrachtet:"Kilian ist nur sein auf sich selber bezogener Pessimismuswichtig. Damit reproduziert er aber gera<strong>de</strong>die Gleichgültigkeit, Beziehungslosigkeit und Lieblosigkeit,die er <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren (...) vorwirft." 531 )Jurek Becker selbst hofft je<strong>de</strong>nfalls, mit seiner Literaturdirekte positive Verän<strong>de</strong>rungen zu bewirken:"Ich glaube, die positivste Folge, die Literatur habenkann, - so scheint es mir - ist, Leute sich ihrer Situationbewußter wer<strong>de</strong>n zu lassen als sie vorherwaren, Leute gewissermaßen aus <strong>de</strong>r Sprachlosigkeit,die letzten En<strong>de</strong>s auch Gedankenlosigkeit be<strong>de</strong>utet,herauszuführen (...)." 532 )An<strong>de</strong>re Protagonisten steigen entdgültig aus und ziehendamit die Konsequenz aus ihrer völligen beruflichen Hoffnungslosigkeit.Ihre Autoren machen mit diesen Figuren<strong>de</strong>utlich, für wie bedrohlich sie die gegenwärtige Medienrealitäthalten.Endgültige Aussteiger sind Don Sensburg aus Rainer Horbelts529) ebenda, S. 179 und 184. Hier gibt es <strong>de</strong>utliche Parallelenzu Laschen (Kriegsberichterstattung) und Tolm(Vorgefertigte Kommentare)!530) ebenda, S. 184531) Wolfgang-Michael Böttcher: Von falsch verstan<strong>de</strong>nerHarmonie. Zu Jurek Beckers Roman 'Aller Welt Freund',in: Allgemeine jüdische Wochenzeitung, 11. März 1983532) Jurek Becker, in: Jürgen Werth: Über Jurek Becker, in<strong>de</strong>r Sen<strong>de</strong>reihe "Am Abend vorgestellt": "...daß Fortschrittauch in Ernüchterung bestehen kann", WDR, Abt.Kultur und Wissenschaft (Red.: Brigitte Granzow),7.12.1981, 22.30-23 Uhr, 3. Progr.


"Das Projekt E<strong>de</strong>n" und Blumer aus Otto F. Walters "Die Verwil<strong>de</strong>rung".Heinrich Immanuel Bo<strong>de</strong> zieht in Gert Hei<strong>de</strong>nreichs"Der Ausstieg" sogar die letzte aller <strong>de</strong>nkbaren Konsequenzenund begeht Selbstmord.Ganz direkt rechnet Rainer Horbelt mit <strong>de</strong>n Medien ab, vorallem mit <strong>de</strong>m Rundfunk. In seinem Roman wer<strong>de</strong>n eine Reihevon Namen genannt, die für ihn in Verbindung mit journalistischerUnfreiheit und Zensur stehen. 533 )Die Geschehnisse wer<strong>de</strong>n nur geringfügig mit Fiktionangereichert, unter an<strong>de</strong>rem mit <strong>de</strong>m die Zukunft projizierten'Projekt E<strong>de</strong>n', <strong>de</strong>ssen Einbindung in <strong>de</strong>n Gesamtzusammenhangmir aber mißlungen scheint. Außer<strong>de</strong>m wird dieFiktion einer Herausgeberschaft aufgebaut, vermutlich, umdie Direktheit <strong>de</strong>r Darstellung doch noch abzumil<strong>de</strong>rn.Der Roman hat stark autobiographische Züge, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Autorhat sich in <strong>de</strong>r Figur <strong>de</strong>s Don Sensburg auch selbst abgebil<strong>de</strong>t.534 )Don Sensburg verkörpert einen frustrierten Rundfunkredakteurund Drehbuchschreiber, <strong>de</strong>r sich von Zensurmaßnahmengebeutelt sieht und kaum noch an eine Wirkung <strong>de</strong>r Medienglaubt:"'Du kannst durch Massenmedien kein Verhalten verän<strong>de</strong>rn.Das geht nicht. Ein Fernsehfilm, ein Vi<strong>de</strong>ospielliefert Mo<strong>de</strong>lle. Du mußt die Umsetzung von <strong>de</strong>r einenRealität in die an<strong>de</strong>re Realität ermöglichen.'" 535 )Das aber scheint unmöglich, schon <strong>de</strong>shalb, weil <strong>de</strong>rartigeVersuche auf <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand von Intendant und Rundfunkratstoßen. Don Sensburg sieht keine Möglichkeiten, diese Kontrollenzu umgehen, die Devise heißt:"Terrain zurückgewinnen, wie<strong>de</strong>rgutmachen. Sich einstellenauf die verän<strong>de</strong>rte Situation. Sich anpassen.Öffentlich." 536 )533) Im Roman selbst sind die Namen verschlüsselt, sie wer<strong>de</strong>naber in einem umfangreichen Anhang aufgelöst.534) Diesen Zusammenhang schlüsselt er selbst auf: RainerHorbelt: Das Projekt E<strong>de</strong>n..., a.a.O., S. 339: "Semnureiso<strong>de</strong>r Don Sensburg. Projektionen <strong>de</strong>s Ichs."535) ebenda, S. 210536) ebenda, S. 37


Wer dazu nicht bereit ist, bekommt die Macht <strong>de</strong>r Vorgesetztenzu spüren o<strong>de</strong>r wird gleich "gefeuert". 537 ) Als einzigeChance, sich für die Unterdrückung zu rächen, bleibt, sich<strong>de</strong>r Korruptheit <strong>de</strong>r Kollegen anzupassen 538 ).Don Sensburg paßt sich jedoch nicht an und wird mehrfachverwarnt. Als vor einem "Tribunal" beschlossen wird, daß ervorerst nicht mehr mitarbeiten darf, kündigt er. 539 )Don Sensburgs Ausstieg zeigt mit seinen Anspielungen aufdie reale Medienlandschaft die politischen Abhängigkeiten<strong>de</strong>s Journalismus beson<strong>de</strong>rs kraß. Gleichzeitig macht es sichHorbelt aber auch sehr einfach, <strong>de</strong>nn er braucht keine Lösung<strong>de</strong>r Probleme aufzuzeigen, wenn er seinen Protagonistenendgültig scheitern läßt. Der Ausstieg zeigt die Ratlosigkeit<strong>de</strong>s Autors.Ähnliche Ratlosigkeit fin<strong>de</strong>t man auch bei Gert Hei<strong>de</strong>nreichwie<strong>de</strong>r. Sein Protagonist Heinrich Immanuel Bo<strong>de</strong> sieht sichimmer konkreteren Zensurmaßnehmen gegenüber, <strong>de</strong>nen er sichaber auf keinen Fall beugen will."An seinem Gegenüber hat Bo<strong>de</strong> eine neue Qualität registriert:Kein Versuch zur Verschleierung mehr. KeinGere<strong>de</strong> von Sparmaßnahmen, Etat, Umstrukturierung. EinKa<strong>de</strong>r wird eingesetzt und erfüllt seinen Auftrag.Keine Scham. Pressefreiheit gut und schön.Bo<strong>de</strong> hat die Bombe im Kopf." 540 )Bo<strong>de</strong> erfährt sogar, wie Journalisten von Behör<strong>de</strong>n ohne Umschweifebestochen wer<strong>de</strong>n; selbst als er dies publik macht,reagiert die Öffentlichkeit nicht. 541 )Aus Frustration darüber, nichts än<strong>de</strong>rn zu können, läßt Bo<strong>de</strong>schließlich alles stehen und liegen und kauft ein Haus in<strong>de</strong>r Normandie, direkt an <strong>de</strong>r Küste. Hier rekapituliert ersein Leben, seine Einstellungen und seine Hoffnungen. 542 )In <strong>de</strong>m sarkastisch-pessimistischen Arzt Bazille fin<strong>de</strong>t ereinen verständigen Gesprächspartner. Bazille ist ebenfallsvon <strong>de</strong>r Trostlosigkeit <strong>de</strong>r Zustän<strong>de</strong> überzeugt, hat aber an<strong>de</strong>rsals Bo<strong>de</strong> nicht <strong>de</strong>n I<strong>de</strong>alismus, diesen Zustand fürverän<strong>de</strong>rbar zu halten.Auch <strong>de</strong>r Aufenthalt in <strong>de</strong>r Normandie kann Bo<strong>de</strong>s Depressionennicht heilen. Er kommt zu <strong>de</strong>m Schluß, daß seine Hoff-537) ebenda, S. 99, 136538) ebenda, S. 144539) ebenda, S. 283, 300540) Gert Hei<strong>de</strong>nreich: Der Ausstieg, a.a.O., S. 34541) ebenda, S. 79ff.542) ebenda, S. 23. Zu Beginn <strong>de</strong>s Romans bewohnt Bo<strong>de</strong> diesesHaus bereits, <strong>de</strong>r ganze Roman umfaßt die Rekapitulation.


nungen nicht einlösbar sind:"Ich habe in meinem Rahmen Än<strong>de</strong>rung versucht, hatteBo<strong>de</strong> gesagt. Meine Bewegungen waren die eines Nachtfalters,<strong>de</strong>r immer wie<strong>de</strong>r gegen das erleuchtete Fensterschlägt." 543 )Auch Marzin, sein Jugendfreund, kann ihn nicht von dieserMeinung abbringen. Marzin versucht, Bo<strong>de</strong> davon zu überzeugen,daß es noch an<strong>de</strong>res als <strong>de</strong>n Journalismus im Lebengibt, daß Bo<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Beruf wechseln und etwa eine Kneipeeröffnen sollte. 544 ) Aber Bo<strong>de</strong> verharrt lustvoll in seinenDepressionen und gibt sich ganz <strong>de</strong>m 'Elend <strong>de</strong>r Welt' hin -sein Lebensgefühl ist das <strong>de</strong>r Ohnmacht.Der Ausstieg aus <strong>de</strong>m Beruf in die Normandie reicht nicht,Bo<strong>de</strong> steigt nochmals aus, diesmal endgültig: Eines Nachtsschwimmt er ohne Wie<strong>de</strong>rkehr in <strong>de</strong>n Atlantik hinaus:"Bo<strong>de</strong> hat's gut.Er stirbt nicht in <strong>de</strong>r endlosen Barmherzigkeit einerStation. Er muß keine Apparate in Gang halten.Er stirbt dort, wo er vor Jahren mit Marianne gestan<strong>de</strong>nund gesagt hatte: Hier wäre <strong>de</strong>r Tod vielleichterträglich." 545 )Der Roman Gert Hei<strong>de</strong>nreichs basiert auf tatsächlichenBegebenheiten und hat stark autobiographische Züge. Hei<strong>de</strong>nreichschreibt selbst:"Die geschil<strong>de</strong>rte Medienwirklichkeit im Roman istvollkommen i<strong>de</strong>ntisch mit eigenen Erfahrungen. (ca.1977 ff)Die Handlung geht lediglich insofern über die historischeRealität hinaus, als die Konsequenzen <strong>de</strong>sJournalisten Bo<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re sind als meine persönlichen."546 )Die Handlung ist Reaktion auf eine Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit<strong>de</strong>m Bayrischen Rundfunk. Hei<strong>de</strong>nreich, <strong>de</strong>r Mitarbeitermehrerer Rundfunkanstalten ist und für "Die Zeit" arbeitet,zog sich 1977 von <strong>de</strong>r Rundfunkarbeit zurück und begann eineneue schriftstellerische Karriere. Hermann Glaser beschreibtdiese Entwicklung in seiner Literaturkritik zumRoman:"Um einige sozialkritische Feuilletons, Glossen undu.a. ein Interview mit Heinrich Böll gab es im BR-Hör-543) ebenda, S. 75544) ebenda, S. 32545) ebenda, S. 126; ähnlich beginnt <strong>de</strong>r Roman auch (S. 7)546) Gert Hei<strong>de</strong>nreich: Brief an <strong>de</strong>n Verfasser vom 8.11.1988


funk München (vor zwei bis drei Jahren) in <strong>de</strong>r inzwischenlegendären 'Notizbuch'-Reihe Unruhe, Ärger und'Konsequenzen': Mitarbeiter, kritischer Motor, unbequemerMuntermacher Gert Hei<strong>de</strong>nreich, Jahrgang 1944,geriet in die konservativen Polit-Mühlen. Er wur<strong>de</strong> aufgewisse Weise - wenn er auch ein brillianter Sprecherist und u.a. als hervorragen<strong>de</strong>r Essayist zum Team <strong>de</strong>sWDR zählt - zum 'Aussteiger'. In <strong>de</strong>r Folgezeit avancierteGert Hei<strong>de</strong>nreich, <strong>de</strong>ssen Bühnenerstling beim 4.'Münchener Theaterfestival' gestartet wur<strong>de</strong>, mit seinemvierten Stück 'Strafmündig' nach <strong>de</strong>r Uraufführung1981 am Staatstheater Braunschweig zum interessanten,vielseitigen Schriftsteller. So legte er in diesenTagen sein Roman-Debüt 'Der Ausstieg' vor, in <strong>de</strong>mverschlüsselt die Erfahrungen mit <strong>de</strong>m BR-Kulissentheaterverarbeitet wur<strong>de</strong>n." 547 )In Marzin und Bo<strong>de</strong> zeigt Hei<strong>de</strong>nreich gleichzeitig zwei Entwicklungsmöglichkeiten<strong>de</strong>r `68er-Generation. Wo Marzin sichmit <strong>de</strong>m gesellschaftlichen System arrangiert hat undZugeständnisse ohne Gewissensbisse eingeht, bleibt Bo<strong>de</strong>aufrichtig und will seine moralischen und politischen Ansichtenum keinen Preis aufgeben.Otto F. Walters Protagonist Blumer erlebt einen ähnlichenBewußtseinsprozeß wie Bo<strong>de</strong>, sein Selbstmordversuch in <strong>de</strong>rHeimatstadt mißlingt jedoch. So kommt er dazu, neue Strategienauszuprobieren, die ihn vom Journalismus allmählichentfernen.Blumer hat nicht nur mit Zensurmaßnahmen zu kämpfen, son<strong>de</strong>rnvor allem mit Beschäftigungslosigkeit. Aus finanziellerNot ist er gezwungen, auch unpolitische Aufträgezu übernehmen, zum Beispiel eine Reportage über Wildkatzenim Jura. 548 ) Wie Bo<strong>de</strong> , so lei<strong>de</strong>t auch er an <strong>de</strong>r Trennungvon Realität und <strong>de</strong>m, was über sie geschrieben wird:"Ach, ich habe diese Schreiberei so satt, so satt. Ichwollte aus <strong>de</strong>m Schreibzwang heraus, ich wollte, aufeinen Schlag, diesen ewigen Riß zwischen Papier undWelt überspringen (...)." 549 )Auch Blumer gehört <strong>de</strong>r `68er-Generation an, er ist ebenfallsI<strong>de</strong>alist geblieben, was man ihm als "unerwachsen"ankrei<strong>de</strong>t. 550 )Es gelingt ihm, Anschluß an eine alternative Kooperative zu547) Hermann Glaser: Spiel mit toten Seelen. Abgesang zwischen<strong>de</strong>n Übeln - Zu <strong>de</strong>m Roman-Debüt "Der Ausstieg"<strong>de</strong>s Essayisten Gert Hei<strong>de</strong>nreich, in: Nürnberger Nachrichten,28.5.1982548) Otto F. Walter: Die Verwil<strong>de</strong>rung, a.a.O., S. 167549) ebenda, S. 94550) ebenda, S. 110


fin<strong>de</strong>n, die seinen gesellschaftlichen I<strong>de</strong>alismus teilt. Nurnebenher, vor allem aus finanziellen Erwägungen, arbeiteter zunächst noch für Zeitungen. Später kündigt er und wen<strong>de</strong>tsich damit endgültig von <strong>de</strong>r für ihn unwirklichen "Papierwelt"ab. 551 )In <strong>de</strong>r Kooperative gelingt es Blumer, <strong>de</strong>m Schreiben allmählichein Han<strong>de</strong>ln folgen zu lassen und, wenn auch nur inkleinem Rahmen, seine I<strong>de</strong>ale aus <strong>de</strong>r Stu<strong>de</strong>ntenzeit zuleben."Blumer schreibt - Blumer schreibt nicht - Schreibt amalten Manuskript weiter - Schreibt statt daß er lebte,Schreibt Fiktives - Schreibt Autobiographisches -Schreibt nicht, son<strong>de</strong>rn han<strong>de</strong>lt." 552 )Über diesen Umweg fin<strong>de</strong>t er auch zu einer neuen Form <strong>de</strong>sSchreibens, <strong>de</strong>r Literatur. Blumer beginnt mit einem Roman:"Schreiben, wie ich es mir jetzt vorstelle, hätte ja damitzu tun, daß einer mel<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>r drin ist und mitbeteiligt."553 ) Die negativ empfun<strong>de</strong>ne Position <strong>de</strong>s Journalistenals außenstehen<strong>de</strong>r Beobachter wird damit überwun<strong>de</strong>n.Obwohl <strong>de</strong>r Roman negativ en<strong>de</strong>t - die Kooperative wird überfallen,bei <strong>de</strong>n Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen gibt es Tote - soll erdoch Mut machen. Schon die Frage am Schluß: "Aber wirmachen doch weiter, du he! - wir machen doch weiter?" 554 )<strong>de</strong>utet darauf hin.Walter erzeugt die in <strong>de</strong>r Handlung enthaltene Perspektive<strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rung nicht zuletzt durch die Form <strong>de</strong>s Romans. DieMontage von Erzählteilen und Zitaten verschie<strong>de</strong>nster Artermöglicht eine Quasi-Teilnahme <strong>de</strong>s Lesers am Geschehen.Elsbeth Pulver beschreibt das Verfahren:"Die Montageform (...) enthält Möglichkeiten <strong>de</strong>rZukunft, <strong>de</strong>r Autor umreißt Hoffnung auf Utopie, ohneihr mögliches Scheitern und die Trauer darüber zu verschweigen.Gera<strong>de</strong> weil die Collageform vieles offen551) ebenda, S. 235552) ebenda, S. 219553) ebenda, S. 241554) ebenda, S. 279


läßt, leere Stellen zwischen <strong>de</strong>n einzelnen, gegensätzlichenTexten, wird <strong>de</strong>r Leser zum Mitautor <strong>de</strong>s Buches;er sieht sich konfrontiert mit I<strong>de</strong>en von provozieren<strong>de</strong>rNeuartigkeit (..)." 555 )5.6. Zusammenfassen<strong>de</strong> BeobachtungenObwohl die untersuchten Erzähltexte ein differenziertesSpektrum von journalistischen Charaktertypen beinhalten,lassen sich <strong>de</strong>ren Eigenschaften mit Hilfe von fünf grobenKategorien gut beschreiben:Die meisten Protagonisten können einer dieser Kategorie zugeordnetwer<strong>de</strong>n, wenn auch kaum eine <strong>de</strong>r Figuren nur einedieser <strong>de</strong>ren Eigenschaften aufweist. Vielmehr gibt es häufigbestimmte Kombinationen von Charaktereigenschaften o<strong>de</strong>rEntwicklungen von bestimmten Merkmalen.Zwei große Obergruppen lassen sich bil<strong>de</strong>n, zwischen <strong>de</strong>nenkaum Verbindungen bestehen. Die eine besteht aus <strong>de</strong>n "Machern"und "Gerissenen", die trotz gelegentlicher Zweifelan ihrer Arbeit in <strong>de</strong>r Regel so selbstbewußt sind, daß sieeine ernsthafte Verän<strong>de</strong>rung nicht zulassen. Die an<strong>de</strong>reGruppe besteht aus <strong>de</strong>n "I<strong>de</strong>alisten" und <strong>de</strong>nen, die diesenI<strong>de</strong>alismus nicht durchhalten und sich entwe<strong>de</strong>r anpasseno<strong>de</strong>r aussteigen.In diesen bei<strong>de</strong>n Obergruppen lassen sich gegensätzlicheVorstellungen von Journalismus erkennen.Das eher traditionelle Bild <strong>de</strong>s Journalisten bezieht sichauf die klassische Vorstellung von "Hel<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Rotation",die sich unbeirrbar <strong>de</strong>r Wahrheit verpflichtet fühlen undvor Risiken nicht zurückschrecken. Allerdings wird diesesBild in <strong>de</strong>r neueren Literatur <strong>de</strong>r verän<strong>de</strong>rten Mediensituationangepaßt: Auch die Macher sind Zwängen unterworfen undhaben Schwächen, auf die sie entwe<strong>de</strong>r mit Härte (Macher)o<strong>de</strong>r Dynamik (Gerissene) reagieren.Sehr differenziert wer<strong>de</strong>n die Protagonisten <strong>de</strong>r zweitenObergruppe gezeichnet. Es zeigt sich, daß viele AutorenSensibilität statt Härte im Journalismus propagieren undI<strong>de</strong>alismus als vorbildliche Berufsmotivation ansehen.Dieses Ziel wird in vielen Erzähltexten in direkte555) Elsbeth Pulver: Otto F. Walter, in: Kritisches Lexikonzur <strong>de</strong>utschsprachigen Gegenwartsliteratur, Ludwig Arnold(Hg.), München 1978, (KLG), Artikel über O.F.Walter, S. 8


Beziehung zum oft ernüchtern<strong>de</strong>n Medienalltag gesetzt, <strong>de</strong>rsich durch Zensurmaßnahmen, daraus resultieren<strong>de</strong>r Selbstzensurund/o<strong>de</strong>r Korruption auszeichnet.Im Konflikt zwischen I<strong>de</strong>al und Berufsalltag können nurwenige Journalisten bestehen - manche nur aus einem anNaivität grenzen<strong>de</strong>n Optimismus heraus. Die meisten i<strong>de</strong>alistischenProtagonisten unterwerfen sich schließlich <strong>de</strong>m Medienalltag("Angepaßte") o<strong>de</strong>r kehren <strong>de</strong>m Beruf - zum Teilnur vorübergehend - <strong>de</strong>n Rücken. So kann gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ausstiegin bestimmten Fällen als Zeichen ungebrochener (o<strong>de</strong>rüberzogener?) I<strong>de</strong>alvorstellungen gesehen wer<strong>de</strong>n.Bezeichnend ist, daß sich Figuren <strong>de</strong>r Trivialliteratur in<strong>de</strong>n Kategorien "Aussteiger" und "Angepaßte" nicht fin<strong>de</strong>n.Die Autoren <strong>de</strong>r Unterhaltungsromane bevorzugen offenbarklare, unkomplizierte Charaktere, die sich ein<strong>de</strong>utig einemdurch "gut" und "böse" gekennzeichneten Schema unterordnen.In <strong>de</strong>r Trivialliteratur sind folglich auch die meistenJournalismus-Klischees zu fin<strong>de</strong>n.


6. Der Journalismus in <strong>de</strong>r Handlungsführung am Beispiel<strong>de</strong>s Romans "Die Fälschung" von Nicolas BornDas vergleichen<strong>de</strong> Vorgehen <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n letzten Kapitel ließkeine <strong>de</strong>tailierte inhaltliche Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mitEinzeltexten zu. Daß aber gera<strong>de</strong> ein interpretieren<strong>de</strong>sVorgehen die Grün<strong>de</strong> dafür liefern kann, warum ein Autorsich mit journalistischen Themen in seinem Erzähltextbeschäftigt, möchte ich an einem Beispieltext zeigen.An Nicolas Borns "Die Fälschung" läßt sich beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlichverfolgen, wie <strong>de</strong>r journalistische Beruf <strong>de</strong>s Protagonistenin <strong>de</strong>r Handlung eingesetzt wird, um <strong>de</strong>ssen Gefühleund Beweggrün<strong>de</strong> gleichzeitig zu motivieren und zu ver<strong>de</strong>utlichen.Deshalb wer<strong>de</strong> ich an diesem Text zu belegen versuchen,daß Journalismus kein zufällig gewähltes Thema mo<strong>de</strong>rnerLiteratur ist, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Autoren dazu dienen kann,Gedanken und Gefühle <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n verständlich zu machenund allgemein gesellschaftliche Phänomene exemplarisch zuzeigen.Meine Interpretation ist zweckgerichtet. Sie soll <strong>de</strong>n Textnicht umfassend erklären, son<strong>de</strong>rn nur <strong>de</strong>n Zusammenhangzwischen Journalismus und <strong>de</strong>r Handlungsführung zeigen - <strong>de</strong>nich allerdings in diesem Roman für zentral halte. Deshalbwer<strong>de</strong> ich auch auf die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung um die Metho<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Interpretation, die in <strong>de</strong>r Germanistik nach wie vorgeführt wird 556 ), nicht eingehen und mich in meiner primärtextimmanenten Interpretation von pragmatischen Gesichtspunktenleiten lassen. Zusammenhänge, die in vorangehen<strong>de</strong>nKapiteln bereits in Bezug auf diesen Roman erläutert wur<strong>de</strong>n,sollen nicht noch einmal aufgenommen wer<strong>de</strong>n.Am Schluß meiner Interpretation wer<strong>de</strong> ich kurz auf VolkerSchlöndorffs Verfilmung <strong>de</strong>s Romans eingehen, die <strong>de</strong>n journalistischenAspekt noch stärker betont als <strong>de</strong>r Roman undgleichzeitig Laschens Konfliktsitation <strong>de</strong>utlicher akzentuiert.Der Roman beginnt und en<strong>de</strong>t mit jeweils einem Aufbruch: ZuBeginn ist es <strong>de</strong>r Aufbruch <strong>de</strong>s Reporters hin zum Ort seinerTätigkeit als Berichterstatter, am En<strong>de</strong> steht die Rückkehr556) diese Auseinan<strong>de</strong>rsetzung betrifft primär <strong>de</strong>n Bereich<strong>de</strong>r Literatursoziologie; siehe z.B.: Dieter Kimpel,Beate Pinkerneil (Hg.): Methodische Praxis <strong>de</strong>r Literaturwissenschaft.Mo<strong>de</strong>lle <strong>de</strong>r Interpretation, Kronberg/Ts. 1975.


von diesem Einsatzort Beirut, an <strong>de</strong>m sich in <strong>de</strong>n Empfindungen<strong>de</strong>s Reporters vieles verän<strong>de</strong>rt hat; es steht ihm <strong>de</strong>shalbein Aufbruch in seiner persönlichen Lebensumweltbevor.Dazwischen bewegt sich <strong>de</strong>r Hauptteil <strong>de</strong>r Handlung im durchBürgerkrieg und unklare Machtverhältnisse geprägten Beirut,einem Ort, <strong>de</strong>r nicht nur exemplarisch für sinnlose Gewaltund unklare Machtverhältnisse stehen kann, son<strong>de</strong>rn auch dieOrientierungslosigkeit <strong>de</strong>r Hauptfigur Georg Laschen metaphorischbeinhaltet.Laschens Schwierigkeiten mit <strong>de</strong>r Situation in Beirutberuhen nicht ursächlich auf <strong>de</strong>r Brutalität <strong>de</strong>s Bürgerkriegso<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong>r persönlicher Konfrontation mitGrausamkeit und Tod - seine Reaktionen darauf zeigen dasKonfliktpotential nur beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich.Auch die in Briefen und Gedanken immer wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong> Auseinan<strong>de</strong>rsetzungmit seiner Frau Greta ist nicht <strong>de</strong>r eigentlicheGrund für Laschens anhalten<strong>de</strong> Mutlosigkeit. Vielmehrstellt er selbst noch vor Abreise in <strong>de</strong>n Libanon fest, dasals Ursache seiner Probleme "Schwierigkeiten mit sichselbst" in Betracht kommen. 557 )Den im Libanon spielen<strong>de</strong>n Hauptteil <strong>de</strong>r Handlung könnte manals einen Versuch Borns bezeichnen, diese Schwierigkeiteneinzukreisen und verständlich zu machen.Auf <strong>de</strong>n ersten Blick macht die Handlungsführung einen weitgehendgleichförmigen Eindruck. Ähnliche Szenen in Hotelzimmer,Bars und Arianes Wohnung wie<strong>de</strong>rholen sich, es gibtwenig wirkliche Handlung - ein krasser Gegensatz zum hektischenAktivismus <strong>de</strong>s Bürgerkrieges.Auf 'action' kommt es Born offensichtlich auch gar nichtan. Größere Ereignisse, etwa Arianes Adoption einesWaisenkin<strong>de</strong>s 558 ) o<strong>de</strong>r die im wahrsten Wortsinne im Dunklenbleiben<strong>de</strong> Ermordung eines Einheimischen 559 ) wer<strong>de</strong>n ingedanklicher Reflexion vorbereitet und klingen lange inGesprächen und Gefühlsbeschreibungen nach.Die Handlung gibt quasi nur Anstöße zu neuen Eindrückeno<strong>de</strong>r Überlegungen. Spannungsmomente wechseln wellenförmigmit Phasen <strong>de</strong>r Ruhe ab, diese Konzeption empfin<strong>de</strong>t dasNebeneinan<strong>de</strong>r von Erregung und Normalität <strong>de</strong>s Bürgerkriegesnach.557) Nicolas Born: Die Fälschung, a.a.O., S. 8558) ebenda, S. 150ff.559) ebenda, S. 271


Der Handlungsablauf läßt sich in vier größere Abschnitteeinteilen, die durch Kulminationspunkte markiert sind undaufeinan<strong>de</strong>rfolgen<strong>de</strong> Phasen <strong>de</strong>s Umgangs <strong>de</strong>r HauptfigurLaschen mit <strong>de</strong>r ihn umgeben<strong>de</strong>n Realität enthalten. Leitmotiveund Erinnerungen verbin<strong>de</strong>n diese Handlungsphasen.Die erste Phase <strong>de</strong>r Handlung zeigt Laschens Ausgangszustand,<strong>de</strong>r geprägt ist von beruflicher Unzufrie<strong>de</strong>nheit undpersönlicher Verunsicherung. Er ist gefangen in einemSchwebezustand zwischen Tatenlosigkeit und Agression. DieBeziehung zu seiner Frau Greta haben einen toten Punkt erreicht,<strong>de</strong>r metaphorisch mit <strong>de</strong>r Beschreibung von Kältegekennzeichnet wird:"Alles gera<strong>de</strong> noch Schmelzen<strong>de</strong>, hinfällig Einfarbigewar wie<strong>de</strong>r fest, erstarrt in einem einzigen Kälteschock."560 )Laschen reist in <strong>de</strong>n Libanon ab, ohne Greta noch einmalgesehen zu haben, die bei<strong>de</strong>n telefonieren nur noch einmalmiteinan<strong>de</strong>r. 561 )Während <strong>de</strong>s Fluges erinnert sich Laschen an das, was erzurückläßt: Greta, die Kin<strong>de</strong>r, die Wohnung in Hamburg unddas Haus in <strong>de</strong>r Lüneburger Hei<strong>de</strong>. Grund genug, sich schonwie<strong>de</strong>r auf zu Hause zu freuen. 562 ) Aber die Freu<strong>de</strong> ist nichtungetrübt, Erinnerungen an offenliegen<strong>de</strong> Heizungsrohre un<strong>de</strong>inbetonierte Verteiler weisen auf auf Verletzlichkeitenund die Zerfahrenheit <strong>de</strong>r Situation hin. Laschen schwanktzwischen Gefühlen <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong> und Melancholie, in seinerwechseln<strong>de</strong>n Handschrift kommt das auch bildlich zum Ausdruck:"(...) auf <strong>de</strong>m einen Blatt verlief sie scharf undschräg mit zugespitzten Kurven, auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren offenund großzügig bauchig. Manchmal wechselte das Schriftbildauch mitten auf <strong>de</strong>m Blatt." 563 )Die Abreise ist Flucht vor dieser Zerfahrenheit, die sogarin offene Agression umzuschlagen droht, <strong>de</strong>nn die Laschensonst nicht zuzutrauen<strong>de</strong> Gewalt gegen <strong>de</strong>n Heizungsinstallateurist wohl als Ersatzhandlung zu <strong>de</strong>uten. 564 )560) ebenda, S. 7561) ebenda, S. 8562) ebenda563) ebenda, S. 14564) ebenda, S. 13


Der Aufenthalt in Beirut verschafft Laschen zunächst Abstand.Obwohl er Sehsucht nach Hause hat und sofort beginnt,einen Brief an Greta zu schreiben, beruhigt er sichdoch zunächst. Allerdings ist diese Ruhe gefähr<strong>de</strong>t, imBrief an Greta schreibt er:"Hier ist es ruhig nach unserer Ankunft, aber ichfühle, daß alles Ruhige und Beruhigte je<strong>de</strong>rzeit - dashat auch mit Dir zu tun - explodieren kann." 565 )Ausdruck dieser Ahnung ist seine Unzufrie<strong>de</strong>nheit mit <strong>de</strong>neigenen Arbeiten. Denn in <strong>de</strong>r vorgefun<strong>de</strong>nen Beiruter Wirklichkeitexplodiert es fortwährend, und gera<strong>de</strong> das läßtsich für Laschen nicht in die passen<strong>de</strong>n Worte fassen. Ergerät in einen neuen, nun beruflichen Rollenkonflikt, <strong>de</strong>rseine alten Konflikte jedoch wie<strong>de</strong>rspiegelt: Die Spannungzwischen <strong>de</strong>r Tatenlosigkeit <strong>de</strong>s Reporters und <strong>de</strong>r Agressivität<strong>de</strong>s Betroffenen steigert sich in <strong>de</strong>r Person Laschensbis zur Unerträglichkeit und führt zu Agressionen gegen <strong>de</strong>nBeruf:"Wie<strong>de</strong>r lauter erklären<strong>de</strong> und klarmachen<strong>de</strong> Sätze, Mischungen,da stand es. Wie er turnte. Wo war dasWichtige? Und wie er das Wichtige haßte, wie er dashaßte, <strong>de</strong>n Tod, <strong>de</strong>r so etwas wie eine Vergeßlichkeitwar, hinüberzuretten in ein Weiterleben, das ein Weiterlesenwar, ein Kannibalismus, ein Dabeisein ohneDasein. Abgeschmackt." 566 )Schnell sieht er ein, daß er aus <strong>de</strong>m Kreislauf immer gleicherSchwierigkeiten nicht herauskommt, wenn er sich inErinnerungen an zu Hause und Sehnsucht nach Greta verliert.Deshalb sucht Laschen nach neuen Kontakten. Im Hotel lernter Rudnik kennen, einen erfahrenen Weltenbummler, <strong>de</strong>r trotzBürgerkrieg im Libanon bleiben will. Durch ihn eröffnensich später Kontakte zu einer <strong>de</strong>r kämpfen<strong>de</strong>n Parteien.Ein an<strong>de</strong>rer Kontakt ist noch wesentlich wichtiger: Laschenfrischt seine Freundschaft zu <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen BotschaftsangehörigenAriane Nassar auf. Sie berichtet, was in seiner Abwesenheitvorgefallen ist und wird bald zur guten Vertrauten,bei <strong>de</strong>r er in seiner Verstörung Zuflucht fin<strong>de</strong>t:"Es kam ihm so vor, als sei er auf einem trostlosen,durch schwieriges Gelän<strong>de</strong> führen<strong>de</strong>n Umweg bei ihrangekommen." 567 )565) ebenda, S. 19566) ebenda, S. 54567) ebenda, S. 74


Ariane ist selbstbewußt und selbstsicher. Sie hat großePläne, will ein Kind adoptieren und Araberin wer<strong>de</strong>n. Damitentwirft sie Perspektiven, um die sie <strong>de</strong>r mutlose Laschennur benei<strong>de</strong>n kann. Arianes unkomplizierte Hoffnung gibt ihmneue Zuversicht.Wie Laschen neue Hoffnung schöpft, erkennt man zuerst anseiner Arbeit. Arianes Selbstsicherheit geht auf Laschenüber, und nach einer Nacht mit ihr hat er zunächst keineAngst mehr, daß seine Berichte Fälschungen sein könnten:"Er war zufrie<strong>de</strong>n. Es schien gute Arbeit zu sein, o<strong>de</strong>rnicht. Doch. Es fehlten noch genaue Verknüpfungen,mehr Fälle, zurückgeholt ins Persönliche, mehr Namen,mehr Zitate.Er steigerte sich noch. Es war die Steigerung seinesnoch immer nicht ruhen<strong>de</strong>n Glaubens an das Geschriebene.Etwas war wirklich erlebt wor<strong>de</strong>n, er konnte esschreiben." 568 )Diese positive Erfahrung wird in einen krassen Gegesatz zurvon Laschen erinnerten Vergangenheit gesetzt, wenige Sätzeweiter heißt es:"Greta las konzentriert, was er geschrieben hatte,während er zu Hause an <strong>de</strong>m kleinen Ecktisch Bildunterschriftenfälschte."Laschen zieht aus diesem gedanklichen Vergleich die Konsequenz:"Mit meinem Geschäft in Deutschland habe ich Konkursgemacht. Was Deutschland anbetrifft, da bin ich pleite,da kann ich nicht hin zurück." 569 )Laschen plant <strong>de</strong>shalb, durch die Erfahrungen mit Arianebestärkt, länger im Libanon zu bleiben. Er will mit Arianezusammenleben und durch sie Teilhaber am Beiruter Lebenwer<strong>de</strong>n, an <strong>de</strong>m er bisher nur Beobachter war.Dieser Entschluß bil<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n ersten Kulminationspunkt, auf<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r erste Handlungsteil <strong>de</strong>s Romans als eine Art 'Eingewöhnungsphase'in <strong>de</strong>n Libanon zuläuft. 570 )568) ebenda,S. 89569) bei<strong>de</strong> Zitate: ebenda570) ebenda, S. 92


An diesem Punkt fließen Erfahrungen, Erlebnisse und Gefühlezu einem die Ereignisse rekapitulieren<strong>de</strong>n und in dieZukunft weisen<strong>de</strong>n Tagtraum zusammen. Laschen sieht während<strong>de</strong>s Schreibens, wie gleichzeitig Greta neben ihm rauchendBriefe abheftet und Ariane ihr so begehrtes Kind in Armenhält, sieht <strong>de</strong>n Graben mit <strong>de</strong>n offenen Heizungsrohren,<strong>de</strong>rdie verletzte Beziehung zu Greta versinnbildlicht und erinnertsich an Arianes Berührungen. 571 ) Laschen erreicht offenbarnur während seiner journalistischen Produktion einensolchen Zustand allumfassen<strong>de</strong>r Beobachtung, <strong>de</strong>r ihmÜberblick über seinen gesamten Lebenszusammenhang gibt.Deshalb sind Empfindungen und <strong>de</strong>r Schreibvorgang beiLaschen untrennbar miteinan<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n. Immer sindwährend <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rschrift von Artikeln Gedanken an zuHause, an Greta o<strong>de</strong>r Ariane prägend, sie scheinen sogarwesentlich zu beeinflussen, ob Artikel gelingen. Laschenbraucht diese Einstimmung, regelmäßig wird sie von Bornbeschrieben:"Auch (...) fehlte seinen Vorstellungen, seinem Denkendie entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Kraft. Sanft, erfüllt von einer erleichtern<strong>de</strong>n,nur noch erleichtern<strong>de</strong>n Nachgiebigkeitdachte er an Ariane. Dann kamen ihm ein paar Erinnerungenan die Kin<strong>de</strong>r - Erinnerungen schon, er winkteihnen zu als ein für unabsehbare Zeit internierter.Greta lebte in einer Vergeßlichkeit, die nicht mehrseine Vergeßlichkeit war, sie brauchte ihn nichtmehr." 572 )Diese Textstelle zeigt gleichzeitig die zunehmen<strong>de</strong> Ablösungvon Greta und eine Hinwendung zu Ariane, die Laschen allerdingsnoch mit schlechtem Gewissen vollzieht, <strong>de</strong>nn erschiebt seine zunehmen<strong>de</strong> Vergeßlichkeit Greta zu.Laschen ist zunächst nicht fähig, sich für eine <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>nFrauen und damit ein <strong>de</strong>utsches o<strong>de</strong>r libanesisches Leben zuentschei<strong>de</strong>n. Zwar wen<strong>de</strong>t er sich Ariane mit <strong>de</strong>r Absichteiner festen Beziehung zu, will aber Greta gleichzeitignicht verlassen:"Von <strong>de</strong>n Gedanken an Ariane lenkte er sich nur ab, umwie<strong>de</strong>r auf sie zurückkommen zu können, und es wur<strong>de</strong>ihm allmählich bewußt, daß er für sie arbeitete, soals hätte sie ihm <strong>de</strong>n Auftrag dazu erteilt. Gretawollte er nicht verlassen, die Kin<strong>de</strong>r stellte er sichin seiner Abwesenheit vor, die aber nur eine vorübergehen<strong>de</strong>bleiben sollte." 573 )571) ebenda, S. 90572) ebenda, S. 138573) ebenda, S. 92f.


Allerdings schreitet die Ablösung von Greta fort. Die bei<strong>de</strong>nfolgen<strong>de</strong>n Höhepunkte in <strong>de</strong>r Handlung, die Adoptioneines Kin<strong>de</strong>s und die Entscheidung, in Beirut zu bleiben, 574 )untermauern Laschens Bindung an Ariane und lassen ihn dieHeimat fast vergessen. Ariane wird zur neuen Bezugsgröße,die auch wesentlichen Einfluß auf sein Schreiben gewinnt.Mit Arianes Adoption wird allerdings bereits die kommen<strong>de</strong>Trennung angelegt: Zwar empfin<strong>de</strong>t Laschen durch sein Beiseinbei <strong>de</strong>r Adoption eine direkte Beteiligung und fühltsich als Vater-Ersatz, gleichzeitig löst sich Ariane aberzunehmend von ihm und weist ihn später sogar ab.Vom Zeitpunkt <strong>de</strong>r Adoption bis zur Abreise Hoffmanns machtsich Laschen in Bezug auf Ariane wachsen<strong>de</strong>, aber ebensovergebliche Hoffnungen. Er steigert sich in nicht einlösbareZukunftsphantasien hinein, will ganz im Libanonbleiben und beschließt, ein neues Leben zu beginnen. AlsHoffmann abreist, will er sich Ariane als fester Lebensbegleiteranbieten:"Im Moment allerdings, so sah es aus, bot er sichAriane als ein Anfänger an, weil er sein Leben erstanfangen wollte. Zu aller Vergangenheit sollte eineknappe, vergeßliche Verbindung aufrechterhalten wer<strong>de</strong>n(...)." 575 )Dieses Angebot wäre aber viel zu naiv und wenig selbstbewußt,um von Ariane ernst genommen zu wer<strong>de</strong>n. Das weiß auchLaschen selbst und führt diesen Plan gar nicht aus.Denn sein Entschluß zu einem Neuanfang basiert eher aufPhantasiegebil<strong>de</strong>n <strong>de</strong>nn auf realistischen Überlegungen.Schließlich weiß er, daß Ariane einen an<strong>de</strong>ren Freund hatund spürt, daß sie sich von ihm zurückzieht. Sein naiverWunsch nach einem neuen Leben ist <strong>de</strong>r eines Kin<strong>de</strong>s nachZuwendung und Schutz, seine Annäherung an Ariane ist nichtzuletzt Spiegelung <strong>de</strong>r von Laschen nicht bewältigten Adoption.Laschen hat Arianes Zuwendung zu <strong>de</strong>m adoptierten Kindnicht wirklich verstan<strong>de</strong>n und ist eifersüchtig. Dafürsprechen auch seine Assoziationen <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s mit <strong>de</strong>m totenFerkel <strong>de</strong>r Nachbarin und <strong>de</strong>m toten Kind, das eine BeiruterMutter nach einem Beschuß bei sich trägt. 576 ) Für die These,daß Laschen am liebsten bemuttert wer<strong>de</strong>n möchte, sprichtsein Rückzug in eine herbeigesehnte Krankheit:574) ebenda, S. 155 und 217f., <strong>de</strong>r vierte Höhepunkt <strong>de</strong>rHandlung ist die Tötung eines Einheimischen, S. 271575) ebenda, S. 210576) ebenda, S. 163 und 179


"Er wollte auch, daß es mit ihm noch schlimmer komme.Da wür<strong>de</strong> er die Entschuldigung für seinen Zustand,sein Versagen auch, fin<strong>de</strong>n, die er jedoch dann nichtmehr vorbringen wollte. Unglücklich brauchte er dannauch nicht mehr zu sein, im Gegenteil." 577 )In<strong>de</strong>m Ariane ihn abweist, ist Laschen gezwungen, eigenePerspektiven zu entwickeln und beginnt, sein Leben selbstin die Hand zu nehmen.Die Entscheidung Laschens, ein neues Leben zu beginnen unddie Fälschungen abzustreifen, ist <strong>de</strong>r Drehpunkt <strong>de</strong>s Romans,an <strong>de</strong>m sich die Konflikte in ihrer Wendung vereinigen. 578 )Die Wendung besteht darin, daß Laschen nach seiner Abweisungvon Ariane seinen unrealistischen Träumereien einEn<strong>de</strong> setzt und Zukunftspläne entwirft, in <strong>de</strong>nen auch dieinzwischen vergessene Greta wie<strong>de</strong>r einen Platz hat.Gleichzeitig ent<strong>de</strong>ckt er <strong>de</strong>n Grund für seine berufliche Unzufrie<strong>de</strong>nheitund das Gefühl <strong>de</strong>r journalistischen Fälschung:Es ist die <strong>de</strong>m Ausnahmezustand Bürgerkrieg nichtangemessene journalistische For<strong>de</strong>rung nach Objektivität.Denn gera<strong>de</strong> in seinem Blick von außen bleibt LaschensSichtweise distanziert und stumpft durch Gewöhnung schnellab. Aus distanziertem Entsetzen wird allzu schnell Gefühllosigkeitgegenüber <strong>de</strong>r in Recht und Unrecht ununterscheidbarenBrutalität:"Es war fortan ein bezugloses Sehen, er hätte auchsagen können, ein reines Sehen. Und wo waren dieGefühle, die Wahrheiten <strong>de</strong>s eigenen Körpers geblieben,wo die Schmerzen, das heillose und untröstliche Mitgefühl,die, wenn schon, ohnmächtige Wut, die wüten<strong>de</strong>Trauer um das Leben <strong>de</strong>r Welt, um das Leben von dirselbst, Laschen, die dich nie<strong>de</strong>rwerfen müßte in <strong>de</strong>nStaub. Er selbst hatte aufgehört, wahr zu sein, wolltedoch offensichtlich nicht mehr jemand sein, dann schonlieber ein Abgeschickter, ein ferngesteuerter Beobachter,ein reines Sehen, ein Werkzeug <strong>de</strong>r Leser." 579 )Insofern sind nicht die Aussagen und Motive <strong>de</strong>r am BürgerkriegBeteiligten von vornherein falsch, wie Laschenzunächst vermutet hatte, son<strong>de</strong>rn auch die überhebliche Bemessungdieser Motive an europäischen Normen <strong>de</strong>r Objektivität.Zu dieser Einsicht bringt ihn ausgerechnet jener Offizier,<strong>de</strong>r zuvor zwei Menschen hatte hinrichten lassen:577) ebenda, S. 172578) ebenda, S. 217579) ebenda, S. 188


"Der Offizier sagte, Sie sind ein Fatalist. Einensolchen Standpunkt kann ich nicht verstehen. Ich habemich entschie<strong>de</strong>n, ein Recht wie<strong>de</strong>rherzustellen, zukämpfen für die Befreiung Palästinas, und insofernverstehe ich sie nicht.Laschen wun<strong>de</strong>rte sich. Er fuchtelte mit seiner Meinungherum, als sei es eine moralische Instanz. Er konnteja gar nicht leugnen, daß ihm entschie<strong>de</strong>nes, zielgerichtetesTun gefiel. Er konnte nicht einmal einemMann, <strong>de</strong>r einen an<strong>de</strong>re töten wollte, überzeugend in<strong>de</strong>n Arm fallen." 580 )Daß er seine "mör<strong>de</strong>rische Objektivität" 581 ) ablegen müßte,um zu einer neuen Sichtweise zu kommen, hatte Laschen schonbei <strong>de</strong>r Adoption <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s gespürt:"Was sah man, was <strong>de</strong>nn schon? Etwas blind mußte manschon wer<strong>de</strong>n, um überhaupt noch etwas zu sehen,betäubt wer<strong>de</strong>n, um noch ein bißchen zu fühlen, verwirrtund verrückt wer<strong>de</strong>n, um noch einen Gedankenaushalten zu können." 582 )Schließlich gelingt ihm eine neue Art eines beteiligtenSchreibens. Er läßt die Schranke <strong>de</strong>r differenzierten Betrachtungin einem Artikel über Damur fallen und gibt sicheiner "fiebrigen, alle Tore öffnen<strong>de</strong>n Schreibwut" 583 ) hin.Das Experiment gelingt, Laschen stößt sich nicht mehr anseinem früheren "doch verraten<strong>de</strong>n Grimmassieren":"Dieses Geschriebene, sich noch immer weiter Schreiben<strong>de</strong>war etwas gänzlich an<strong>de</strong>res. Es war alles dasErlebte, so als sei Laschen auf einmal und zum erstenmalan ein Ereignis, wie von einem Engel, herangeführtwor<strong>de</strong>n. Es war alles das Erlebte, allerdings ineinem an<strong>de</strong>ren Raum, in an<strong>de</strong>rer Geschwindigkeit. Alleswar seine Erinnerung, je<strong>de</strong> Einzelheit stimmte, aber erkonnte sich nicht erinnern, es so auch in Damur erlebtzu haben. Diese Wahrheit, ein Gefühl und dann eineGewißheit, erregte ihn." 584 ) (...)"Er wußte nicht und verstand auch nicht, woher dieseWahrheit, diese Qualität <strong>de</strong>s Schreibens gekommen war.Vielleicht nur aus <strong>de</strong>m Ekel an seiner gewöhnlichenBerufsausübung, die darin bestand, alles in eine ewigeEreignisfrische zu verwan<strong>de</strong>ln (...)." 585 )580) ebenda, S. 184f.581) ebenda, S. 167582) ebenda, S. 160f.583) ebenda, S. 219584) ebenda, S. 219585) ebenda, S. 220


Laschen gewinnt mit diesem zentralen Erlebnis neue Sicherheitund Selbstbewußtsein. Objektivität als jornalistischesGrundprinzip verliert an Be<strong>de</strong>utung, die Abreise Hoffmanns,<strong>de</strong>r im Roman Inbegriff <strong>de</strong>s unterkühlten Beobachters ist, 586 )erlangt symbolische Be<strong>de</strong>utung: Laschen kommt nun alleinzurecht.Die Ent<strong>de</strong>ckung eines neuen Schreibstils verbin<strong>de</strong>t sich innun an<strong>de</strong>rer Weise ebenfalls mit <strong>de</strong>r Neugeborenenmetapher:Laschen fühlt sich als ein "Mann, <strong>de</strong>r sich selbst nur anerkennenkonnte als ein gera<strong>de</strong>zu neu Geborener, als erwachsenGeborener". 587 ) Ariane hat ihn auf einen neuen persönlichenund journalistischen Weg gebracht, <strong>de</strong>r auch das Verhältniszu seiner Frau und <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn verän<strong>de</strong>rt.So kann Laschen nach einer Art 'Inventur' seiner bisherigenArbeit auch wie<strong>de</strong>r an zu Hause <strong>de</strong>nken und sich eine Zukunftdort vorstellen:"Das war immer ein heller, warmer Sonntagmorgen, undimmer bereitete Greta das Essen vor. Die Kin<strong>de</strong>r spieltenauf <strong>de</strong>m Gartenweg mit Steinen in einer ruhigen,göttlichedn Selbstvergessenheit. Das waren heitere,unabsehbare Zukunft versprechen<strong>de</strong> Minuten an einemblauen tiefen Ort. Laschen war dankbar, daß er jetztdaran <strong>de</strong>nken konnte." 588 )Der dramatische Höhepunkt, <strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> auch sein journalistischesSelbstverständnis beeinflußt, steht Laschenallerdings noch bevor.Der zunächst waffenlose Journalist wird endgültig und unwi<strong>de</strong>rruflichein Beteiligter, als er einen Menschen tötetund sich damit mitschuldig macht. Zwar ist <strong>de</strong>r Getötetenicht einer <strong>de</strong>r Bürgerkriegsparteien zuzuordnen und vermutlichhan<strong>de</strong>lt es sich auch nicht um einen Kämpfer - genaueresbleibt im Dunkel <strong>de</strong>s von ihm aufgesuchten Schutzkellersverborgen - aber Laschen selbst empfin<strong>de</strong>t direkte Beteiligung:"Einen Anlaß gar, abzureisen, gab es nicht. Statt<strong>de</strong>ssen sich wie<strong>de</strong>rholen<strong>de</strong> Momente hän<strong>de</strong>reiben<strong>de</strong>rGenugtuung über seine 'Einmischung', ausgekochterFreu<strong>de</strong> darüber, nicht wie<strong>de</strong>r nur empört zu sein undbefrem<strong>de</strong>t über die Ruchlosigkeit <strong>de</strong>r Menschen, son<strong>de</strong>rnendlich heimlich dazuzugehören, eingemischt zu sein,ein verzweifeltes Interesse am Tod eines an<strong>de</strong>rengehabt zu haben." 589 )586) ebenda, S. 93587) ebenda, S. 229f.588) ebenda, S. 229589) ebenda, S. 275


Dieses Ereignis begrün<strong>de</strong>t einen letzten Schub <strong>de</strong>r Zuneigungzu Ariane, ein letztes Nach<strong>de</strong>nken über eine endgültigeTrennung von Greta. Immer noch will Laschen am liebsten imLibanon bei Ariane bleiben, "alle Spuren, die zurückführtenzu Greta, zu <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>m Haus und <strong>de</strong>r Landschaft, verwischen"590 ). Er wird jedoch sofort aufs neue ettäuscht, alser bei Ariane auf ihren arabischen Freund Ahmed trifft undsich endgültig gezwungen sieht, die Trennung zu ihr zuakzeptieren.Eine anhalten<strong>de</strong> Beteiligung scheint für Laschen im Libanonnicht möglich. Sein Abschied von Ariane ist daher endgültig,Laschen reist anschließend nach Hamburg ab:"Er ging langsam die Treppe hinunter wie einer, <strong>de</strong>rhofft, zurückgerufen zu wer<strong>de</strong>n - aber er wäre nichtmehr stehengeblieben. Je<strong>de</strong>r sollte in seinem Teil <strong>de</strong>sMißverständnisses weiterleben. Es machte nichts aus.590) ebenda, S. 277


Etwas wie ein Stolz war da, weil er sich fallenließ,weil er es zuließ, daß er unbrauchbar wur<strong>de</strong>, weil ernur noch wegging, auch von seinem letzten Anfall vonLiebe." 591 )Die letzten in Hamburg spielen<strong>de</strong>n vier Kapitel <strong>de</strong>s Romansfassen die Handlung noch einmal zusammen und entwerfenSchlußfolgerungen.Erst in Hamburg kommt Laschen zu einer distanzierten Einschätzungseines Verhaltens, er sieht Ariane nun als austauschbareFreundin an und beschließt, eine neue Annäherungan Greta zu versuchen.Zunächst muß er jedoch einen neuen, eigenen Standpunktfin<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn kurz nach <strong>de</strong>r Rückkehr verbin<strong>de</strong>n sich Gegenwartund Vergangenheit, Wirklichkeit und journalistischesAbbild <strong>de</strong>r Wirklichkeit zu untrennbaren Traumbil<strong>de</strong>rn.Wie<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n diese verschwimmen<strong>de</strong>n Bezugspunkte an journalistischenZusammenhängen zuerst <strong>de</strong>utlich:"(...) wenn er nämlich las und <strong>de</strong>r Text ihm erschienals poröse, wabenartige, geraffte und gekürzte Wirklichkeit,und das, was wirklich geschah o<strong>de</strong>r geschehenwar, war die Illustration davon. (...) Und dasGeschriebene stürzte ein, <strong>de</strong>r Maschinensatz stürzte,Schwelbrän<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Papierlagern." 592 )Zurück bleibt die Ohnmacht angesichts <strong>de</strong>r automatisiertenNachrichtenproduktion, die Laschen in <strong>de</strong>r Heimatredaktionso unwirklich vorkommt wie nie zuvor: "Die ganzen Weltereignissegeschahen eigentlich erst hier." 593 )Damit wer<strong>de</strong>n Realität und <strong>de</strong>ren Abbild endgültig umgedreht,Laschen kann inmitten <strong>de</strong>r "Strolche, die immer auf Hautnäheaus waren, alles und je<strong>de</strong>s in eine gute allgemeine Verträglichkeitummünzen" 594 ), nur Unverständnis empfin<strong>de</strong>n:"Vielleicht kam man bei dieser Arbeit nur zu Verstand,in<strong>de</strong>m man <strong>de</strong>n Verstand erst einmal verlor und zu stotternund zu lallen anfing, mündlich undschriftlich." 595 )591) ebenda, S. 290592) ebenda, S. 295593) ebenda, S. 299594) ebenda, S. 3021595) ebenda, S. 301


Laschen kann die gedankenlose Geschäftigkeit <strong>de</strong>r Redaktionnicht ertragen, "er wäre gern augenblicklich bei Greta und<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn gewesen, heraus aus dieser Windstille und Spurlosigkeit."596 ) Er kündigt und entschließt sich, "ein neuesLeben zu entwerfen o<strong>de</strong>r das alte mit allen Gewohnheiten je<strong>de</strong>nfallsnicht mehr weiterzuführen." 597 ) Er möchte sichwie<strong>de</strong>r an Greta annähern, obwohl diese sich eher abweisendverhält. Vielleicht weist Born parabelhaft auf eine möglichepositive Wendung hin, in<strong>de</strong>m er Greta die "anmutigriskanteGeschichte einer Lei<strong>de</strong>nschaft" 598 ) <strong>de</strong>r Ada vonVladimir Nabokov lesen läßt. 599 )In<strong>de</strong>m Born seinen Protagonisten Laschen aus <strong>de</strong>r befremdlichenHarmonie <strong>de</strong>s Alltags 600 ), die als "Totenstarre<strong>de</strong>r Dinge" empfun<strong>de</strong>n wird 601 ), ausbrechen läßt, ergreift erPartei für das Individuum, das sich aus <strong>de</strong>m geschäftigen,aber gefühllosen Alltag auf das eigene Erleben und Empfin<strong>de</strong>nzurückzieht. Er proklamiert eine fortwähren<strong>de</strong> Überprüfung<strong>de</strong>s Alltags an subjektiven Lebensentwürfen, um einUntergehen in Konsum und Manipulation zu verhin<strong>de</strong>rn.Zwar läßt sich nicht sagen, ob Laschen sich im Verlauf <strong>de</strong>rHandlung weiterentwickelt hat und ob er seine Erfahrungenwird umsetzen können - am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Romans kriecht erzunächst ganau so in Gretas Bett, wie er es sich zu Beginnvorgestellt hatte. 602 ) Aber in<strong>de</strong>m er seine Arbeit und seinLeben in <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong> fortwährend in Frage stellt, bricht ersein verfestigtes Leben auf und wirbelt <strong>de</strong>n Staub, <strong>de</strong>r sichin seiner Erinnerung auf seinen Allag gelegt hatte, wie<strong>de</strong>rauf.596) ebenda, S. 303597) ebenda, S. 304598) Hans-Bernhard Moeller: Ada or Ardor. A Familiy Chronicle,in: Kindlers Literatur Lexikon im DTV, Band 24,München 1974, S. 10429; Der Roman "Ada" beschreibt diein eine Familienchrionik eingebettete ebenso kompliziertewie unglückliche Liebesbeziehung, die erst nachlanger Trennung ein glückliches En<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>t.599) Nicolas Born: Die Fälschung, a.a.O., S. 295600) ebenda, S. 301; für Laschen ist die Ruhe und Normalitätin <strong>de</strong>r Redaktion kaum erträglich: "Konnte nichteine Schlacht entbrennen um diesen Tisch herum (...)".601) ebenda, S. 306602) ebenda, S. 317 bzw. S. 7


Gera<strong>de</strong> die Staub-Metapher bil<strong>de</strong>t eines <strong>de</strong>r verbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>nElemente zwischen <strong>de</strong>r in Hamburg und Beirut spielen<strong>de</strong>nHandlung und stellt gleichzeitig <strong>de</strong>ren Gegensätze heraus:In Hamburg hatte sich "auf <strong>de</strong>r Ablage eine feine, schonfettige Staubschicht" gebil<strong>de</strong>t. Dieser Staub bil<strong>de</strong>t zusammenmit <strong>de</strong>m Paßfoto von Greta und <strong>de</strong>n flüchtig durchgeblättertenZeitungen Hinweise auf Laschens verfestigte undvielleicht gera<strong>de</strong> darum bedrohte Lebenszusammenhänge. 603 )In Beirut dagegen wird fortwährend Staub aufgewirbelt.Gleich nach <strong>de</strong>r Ankunft fegt <strong>de</strong>r "aufgewirbelte Staub (...)ihnen stechend in die Gesichter" 604 ) und sie sehen "aufgewirbeltenStaub und Papierfetzen nie<strong>de</strong>rschweben" 605 ),Metaphern dafür, daß neue Bewegung in Laschens Leben kommt.Das Bild wird noch dadurch verstärkt, daß Staub und Fetzenzunächst bei Autofahrten wahrgenommen wer<strong>de</strong>n, also dann,wenn sie durch die eigene Bewegung aufgewirbelt wer<strong>de</strong>n:"(...) und wie<strong>de</strong>r sah Laschen durch das Rückfensterdie aufgewirbelten Papierfetzen nie<strong>de</strong>rschweben." 606 )Die Metapher ist so gleichzeitig auf <strong>de</strong>n Zustand <strong>de</strong>r zerstörtenund zerriebenen Stadt Beirut wie auch <strong>de</strong>r sie erleben<strong>de</strong>nHauptfigur Laschen bezogen.Aber das Bild taucht auch in direktem Zusammenhang zuLaschens Arbeit als Journalist auf: Als er das Interviewmit Tony nie<strong>de</strong>rschreibt, ist "im Mund (...) ein Geschmacknach <strong>de</strong>m Staub großer Säle" 607 ), weiterer Hinweis vielleichtauf Laschens Schreibkonflikt, <strong>de</strong>r darin besteht, zunächstin <strong>de</strong>r verhaßten Objektivität gefangen zu bleiben. Und alser Zeuge brennen<strong>de</strong>r Häuser wird, ist es ausgerechnet "dieAsche verbrannten Papiers", die im auffällt, als sie "dieStraße heraufweht". 608 )So ist es nicht verwun<strong>de</strong>rlich, daß Hoffmanns Abreise ebenfallsmit <strong>de</strong>r Staub-Metapher in Zusammenhang gebracht wird:"Das rieseln<strong>de</strong> Geräusch <strong>de</strong>s Staubsaugers drang herübero<strong>de</strong>r drang durch die Wand wie ein feiner, durch nichtsaufzuhalten<strong>de</strong>r Staub." 609 )603) ebenda, S. 7604) ebenda, S. 16605) ebenda, S. 17606) ebenda, S. 42607) ebenda, S. 124608) ebenda, S. 177609) ebenda, S. 233


Dieser feine Staub legt sich nun quasi auf Laschen, <strong>de</strong>ssenLeben in Beirut inzwischen wie<strong>de</strong>rum von Verfestigungbedroht ist - so taucht <strong>de</strong>r wirbeln<strong>de</strong> Staub nach dieserSzene auch nicht mehr auf.Positionsbestimmen<strong>de</strong> Funktion erfüllt auch die Figur Rudniks.An Laschens Einschätzung dieses Libanon-Deutschenwird seine eigene, sich immer wie<strong>de</strong>r verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Positionerkennbar.Obwohl zunächst an <strong>de</strong>r Person Rudniks interessiert - undvor allem an <strong>de</strong>n Informationen, die er vielleicht über Waffenlieferungenvermitteln kann 610 ) - verachtet Laschen ihnspäter, weil Rudnik sich auf Tony eingelassen hat unddiesen aber gleichzeitig bloßstellt. Auch dieses Verhaltenwertet Laschen wohl als Fälschung. 611 ) Und: "Rudnik wußtenicht soviel, wie Laschen ihm zugetraut hätte." 612 )Aber Rudnik übernimmt auch Vorbildfunktion für Laschen. Erist von Anfang an Beteiligter und wird zunehmend alsGesprächspartner gesucht, vor allem, nach<strong>de</strong>m Hoffmannabgereist ist und Laschen ebenfalls 'Beteiligter' gewor<strong>de</strong>nist:"Wie<strong>de</strong>r hoffte er, Rudnik zu treffen, worüber er verwun<strong>de</strong>rtwar. Rudnik wäre jemand, <strong>de</strong>m er vielleicht <strong>de</strong>nVorfall von gestern nacht erzählen wür<strong>de</strong>. Er glaubte,Rudnik wür<strong>de</strong> das alles auf Anhieb verstehen (...)." 613 )Schließlich war es Rudniks Ratschlag, sich zu bewaffnen. 614 )Weitere verbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Leitmotive sind die Briefe, die Laschenan Greta schreibt und seine Erinnerungen an die offenliegen<strong>de</strong>nHeizungsrohre zu Hause. Da diese Motive aberkeinen direkten Zusammenhang zur journalistischen Produktionhaben, sollen sie hier nicht näher untersucht wer<strong>de</strong>n.In direktem Zusammenhang mit <strong>de</strong>r journalistischen Produktionsteht dagegen Laschens Kälte- und Wärmeempfin<strong>de</strong>n, dasim Roman übertragene Be<strong>de</strong>utung gewinnt. Dabei kommt esnicht darauf an, wie warm es an einem Ort objektiv ist,son<strong>de</strong>rn wie Laschen die Wärme o<strong>de</strong>r Kälte subjektivempfin<strong>de</strong>t.610) ebenda, S. 29, 70f.611) ebenda, S. 115612) ebenda, S. 117613) ebenda, S. 275614) ebenda, S. 116


So wird die Kälte in Hamburg immer wie<strong>de</strong>r betont, währenddie offenbar recht große Hitze im Libanon, in <strong>de</strong>r sich dieFrauen "dick eingecremt" und in Bikinis ans Swimming-poollegen 615 ), allenfalls als "lau" gekennzeichnet wird. 616 )Kälte und Wärme sind als symbolische Hinweise auf LaschensGefühlswelt interpretierbar. Nur bei Ariane empfin<strong>de</strong>t er eswirklich als warm, die Kälte draußen tritt mit dieserEmpfindung in direkten Wi<strong>de</strong>rspruch:"Es war warm im Zimmer, aber wenn er hinausschaute in<strong>de</strong>n kräftig strahlen<strong>de</strong>n Morgen, fühlte er, gera<strong>de</strong>zudurch die Augen, die frische Kälte." 617 )Parallel zu seiner sich zuspitzen<strong>de</strong>n Unzufrie<strong>de</strong>nheit, diedirekt mit <strong>de</strong>r Unzufrie<strong>de</strong>nheit als Journalist zusammenhängt,erlei<strong>de</strong>t Laschen Anfälle von Schüttelfrost, in <strong>de</strong>nenWärme und Kälte aufeinan<strong>de</strong>rtreffen. 618 ) Immerhin empfin<strong>de</strong>tLaschen sein mit <strong>de</strong>r vorübergehen<strong>de</strong>n Krankheit verbun<strong>de</strong>nesFieber als "gut, es machte energisch." 619 )Erst als Laschen unmittelbar ins Geschehen hineingerissenwird, wird das 'normale' Wärmegefühl übermächtig und erfühlt "<strong>de</strong>n Schweiß ausbrechen". 620 )Die Entwicklung von <strong>de</strong>r Kälte Deutschlands zur Wärme <strong>de</strong>r'Beteiligung' unterstützt die Aussage <strong>de</strong>s Romans. Der Umschwungdazwischen bekommt als Krankheit, als Fieber beson<strong>de</strong>resGewicht und betont die Verän<strong>de</strong>rung:"Der neue Zustand unterschied sich großartig von <strong>de</strong>m<strong>de</strong>r vergangenen Tage. Er brauchte noch das Fieber, dieSchmerzen, Verspannungen, die er zu gegebener Zeitsicher ausräumen konnte." 621 )Die leitmotivischen Metaphern Staub, Briefe, Warm-Kalt unddie wie verletzt offenliegen<strong>de</strong>n Heizungsrohre zeigen parallelzum verän<strong>de</strong>rten Umgang mit journalistischer Produktionzeitweilige Verän<strong>de</strong>rungen und Entwicklungen <strong>de</strong>r HauptfigurLaschen auf. Dennoch kehrt die Handlung letztlich an ihrenAusgangspunkt zurück, Laschen bleibt innerhalb <strong>de</strong>r heimischenFamilie auch weiterhin ein Fremdkörper:615) ebenda, S. 103616) ebenda, S. 114617) ebenda, S. 119618) zum Beispiel ebenda, S. 118619) ebenfa, S. 92620) ebenda, S. 171621) ebenda, S. 92


"Schweigen schon <strong>de</strong>shalb, weil das Sprechen eine nochgrößere Gemeinheit wäre. Bei<strong>de</strong> wollten sie einan<strong>de</strong>rnicht quälen. Und manches Nach<strong>de</strong>nken darüber warnichts wert, weil danach auch nichts weiterging, weileiner danach nur immer auf dieselbe Stelle prallte unddaran kratzte und pochte." 622 )Born gibt seinem Roman kein vor<strong>de</strong>rgründig positives En<strong>de</strong>.Dennoch meine ich - an<strong>de</strong>rs als etwa Ulrich Greiner inseiner Rezension 623 ) - daß <strong>de</strong>r Roman positive Handlungsansätzeund Hoffnungen vermittelt. Allerdings sind sieweniger am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Handlung als vielmehr in ihren HöheundWen<strong>de</strong>punkten ablesbar, wärend <strong>de</strong>r Romanschluß - <strong>de</strong>r immerhineinen Neuanfang markiert - eher vor überzogenenIllusionen warnt.Kernpunkt <strong>de</strong>r Aussage ist, daß das Individuum Farbe bekennenmuß, um aus einer tatenlosen Hilflosigkeit zu aktiverTeilnahme zu gelangen. Selbstmitleid, das bei Laschen biszur Selbstverachtung führt 624 ), soll überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n zugunsteneiner Selbstsicherheit, die in Ariane vorgeführtwird und die auch Laschen in Momenten <strong>de</strong>r Zufrie<strong>de</strong>nheitmehrfach erreicht.Gera<strong>de</strong> in diesem Zusammenhang kommt <strong>de</strong>m Thema Journalismusin Borns Roman zentrale Be<strong>de</strong>utung zu. Denn es sind meistjournalistische Zusammenhänge, in <strong>de</strong>nen Zufrie<strong>de</strong>nheit undSelbstsicherheit - aber auch Rückfälle daraus - beschriebenwer<strong>de</strong>n. Laschens Entwicklung von gefühllosem Verständnis<strong>de</strong>r Bürgerkriegsparteien, das zwar neutral, aber letztlichbezuglos bleibt, zu streitbarer persönlicher Teilnahme wirdgera<strong>de</strong> in seinem journalistischen Umschwung von 'mör<strong>de</strong>rischer'Objektivität zu 'fiebriger Schreibwut' ver<strong>de</strong>utlicht.In<strong>de</strong>m Laschen diese Entwicklung aufgrund von Rückfällenin die "gewohnte und verachtete Art" <strong>de</strong>s Schreibens625 ) mehrfach durchläuft, tritt die darin vermittelteAussage ins Zentrum <strong>de</strong>s Romans.622) ebenda, S. 317623) Ulrich Greiner: Dies bleibt uns. Nicolas Borns Roman"Die Fälschung" und ein Nachtrag, in: Merkur. DeutscheZeitschrift für europäisches Denken, hg. von HansSchwab-Felisch, 34. Jg., 1980, S. 87ff.624) Nicolas Born: Die Fälschung, a.a.O., S. 67625) ebenda, S. 220


Mit diesen Entwicklungsansätzen seiner Hauptfigur Laschenwill Born <strong>de</strong>m Leser bewußt machen, daß er sich nicht passivund ohnmächtig <strong>de</strong>n bequemen Manipulationen von Politik undMassenmedien ausliefern sollte, weil nur in streitbarensubjektiv begrün<strong>de</strong>ten Entscheidungen Individualität bewahrtwer<strong>de</strong>n kann.Insofern spiegelt dieser Roman vielleicht wirklich dieStimmung <strong>de</strong>s Jahrzehnts seiner Entstehung, ist das Gefühl<strong>de</strong>r Fälschung über Laschen hinausgehend "die Krankheitdieser Zeit" 626 ). Der Roman zeigt die Sehnsucht nach menschlicherBeteiligung und Gefühl in einer durch Kriege und <strong>de</strong>rsich verselbstständigen Berichterstattung über sie geprägtenWelt. Born hält diese Sehsucht lebendig, in<strong>de</strong>m er keinversöhnen<strong>de</strong>s 'Happy end' anbietet. "Seine einzige Moralbleibt: Fragwürdigkeiten herzustellen und zu erhalten." 627 )Diese Fragwürdigkeiten läßt auch Schlöndorffs Verfilmung<strong>de</strong>s Romans 628 ) offen stehen, wenn auch <strong>de</strong>utlicher auf einemögliche Annäherung Laschens an Greta 629 ) hingewiesen wird.Allerdings wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Verfilmung journalistische Zusammenhängestärker betont als im Roman, vermutlich, weil siesich prägnanter filmisch darstellen lassen.Zu<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n Gegensätze stärker herausgearbeitet: Laschengerät noch tiefer in <strong>de</strong>n Bürgerkrieg hinein und wird sogarkurz gefangengenommen. Den Kampfhandlungen kapp entronnen,geht er direkt zu Ariane - gera<strong>de</strong> in dieser Szene wird <strong>de</strong>rGegensatz von Agressivität <strong>de</strong>s Krieges und persönlicherWärme <strong>de</strong>utlich.626) Stephan Reinhardt: Zum wirklichen Leben. Nicolas BornsRoman "Die Fälschung", in: Frankfurter Rundschau,3./4.11.1979, S. II627) Reinhard Baumgart: Unser Mann in Beirut. Nicolas Born:"Die Fälschung", in: Der Spiegel, Nr. 46, 12.11.1979,S. 261628) Volker Schlöndorff (Regie): Die Fälschung. Spielfilmnach <strong>de</strong>m Roman von Nicolas Born, 1979, Deutsch-FranzösischeGemeinschaftsproduktion unter Beteiligung <strong>de</strong>sHessischen Rundfunks. Hauptrollen: Bruno Ganz (Laschen)und Hannah Schygulla (Ariane).629) gespielt von Gila von Weitershausen.


Um die Gegensätze filmisch zu akzentuieren, bedient sichSchlöndorff einiger Nebenfiguren, die im Roman nichtvorkommen: Ein konservativer Kollege Laschens 630 ) ver<strong>de</strong>utlichtmit seinen überzogenen journalistischen Moralvorstellungendie Überheblichkeit <strong>de</strong>s Mediengewerbes, und einearabische Mitbewohnerin Arianes 631 ) betont <strong>de</strong>ren Anäherungan das Beiruter Leben.Damit sind <strong>de</strong>utlich die bei<strong>de</strong>n Pole markiert, zwischen <strong>de</strong>nensich Laschen im Film bewegt. Die Figuren Hoffmann undRudik wer<strong>de</strong>n dagegen an <strong>de</strong>n Rand gedrängt. 632 )Stärker als <strong>de</strong>r Roman arbeitet <strong>de</strong>r Film <strong>de</strong>n beruflichenKonflikt Laschens heraus, <strong>de</strong>r darin besteht, zwischen journalistischerÜberheblichkeit und 'Beteiligung' nichtentschei<strong>de</strong>n zu können. Prägnanter als <strong>de</strong>r Roman zeigt <strong>de</strong>rFilm auch, wie Laschen sich vom Journalismus trennt un<strong>de</strong>inen eigenen Lebensentwurf zu verfolgen beginnt, <strong>de</strong>r zwarnicht in einer Beteiligung im Libanon mün<strong>de</strong>t, wohl aber ineiner selbstbewußten Hinwendung zur Individualität unddamit zu seiner Frau Greta.630) Die Figur heißt Berger (gespielt von Martin Urtel).631) Es ist die Schwester von Arianes verstorbenem Mann(gespielt vo Sarah Salem).632) Hofmann wird gespielt von Jerzy Skollmowskj, Rudnikvon Jean Carmet.


7. Das Verhältnis <strong>de</strong>r Autoren zu ihrem Erzählgegenstand7.1. Journalistisches versus literarisches Schreiben:Schreiben<strong>de</strong>r Journalist o<strong>de</strong>r interessierter Schriftsteller?Von <strong>de</strong>n 32 in dieser Untersuchung vertretenen Autoren verfügennur sechs nicht über journalistische Erfahrungen. Dasläßt eine enge Verbindung zwischen <strong>de</strong>m Thema <strong>de</strong>r Erzähltexteund <strong>de</strong>r Berufserfahrung ihrer Autoren vermuten.Beson<strong>de</strong>rs eng besteht dieser Zusammenhang bei <strong>de</strong>n Autoren,die sich vorrangig als Journalisten verstehen. Das ist bei15 <strong>de</strong>r betrachteten Autoren <strong>de</strong>r Fall 633 ): Christine Grän,Wolfgang Ebert, Rainer Horbelt, Paul Kersten, BrigitteKlump, Irmtraud Morgner, Jost Nolte, Mathias Nolte, GüntherSeuren, Franz J. Wagner und Geert Zebothsen sind o<strong>de</strong>r warenin Printmedien hauptberuflich beschäftigt. Jürgen Breest,Gert Hei<strong>de</strong>nreich, Otto Jägersberg und Eckhart Schmidt sin<strong>de</strong>ng mit <strong>de</strong>m Rundfunk verbun<strong>de</strong>n.Die Erzähltexte von Jürgen Breest, Gert Hei<strong>de</strong>nreich, RainerHorbelt, Brigitte Klump, Mathias Nolte und Geert Zebothsensind epische Erstlingswerke.Alle diese Autoren berichten in ihren Erzählungen auseigener Anschauung, ihre Texte sind <strong>de</strong>halb geprägt vonSachkompetenz und Einfühlungsvermögen in die journalistischeRealität. In <strong>de</strong>r Regel sind die geschil<strong>de</strong>rten Ereignisse,wenn auch manchmal verfrem<strong>de</strong>t o<strong>de</strong>r überspitzt, <strong>de</strong>rRealität direkt entnommen und spiegeln in <strong>de</strong>r Fiktion dieMedienwirklichkeit wie<strong>de</strong>r. Beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich wird dies beiRainer Horbelt o<strong>de</strong>r Gert Hei<strong>de</strong>nreich, <strong>de</strong>r selbst schreibt,er habe eigene Erfahrungen direkt abgebil<strong>de</strong>t. 634 )Über die Romane von Seuren und Breest schreibt Hans C. Blumenberg:"Seuren hat, wie sein Erzähler, Fernsehspiele für dieARD und das ZDF geschrieben. Der Sen<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>n er in <strong>de</strong>r'Fünften Jahreszeit' beschreibt, läßt sich mühelos als<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Mainzer Lerchenberg i<strong>de</strong>ntifizieren, un<strong>de</strong>inige Redakteure wer<strong>de</strong>n sich leicht wie<strong>de</strong>rerkannt633) Nicht von allen Autoren lagen mir direkte Aussagen zumBerufsverständnis vor. Ich gehe zum Teil von Aussagenin Literaturkritiken aus o<strong>de</strong>r betrachte <strong>de</strong>n Wer<strong>de</strong>gang<strong>de</strong>r Autoren (so war Gert Hei<strong>de</strong>nreich zunächst Journalistund hat erst später Theatererfahrungen gesammelt).634) Gert Hei<strong>de</strong>nreich: Brief an <strong>de</strong>n Verfasser vom 8.11.1988


haben. Bei Breest dürfte es kaum an<strong>de</strong>rs sein, auch ergeht gewiß mit vertrauten Figuren, gewöhnlichen Ärgernissenum, wütet gegen die eigenen Zwänge: Kassiberaus <strong>de</strong>r Zwangsanstalt." 635 )Die Abwendung von Journalisten aus ihrem Medium an die literarischeÖffentlichkeit scheint ein relativ neues Phänomenzu sein. Die ersten Autoren dieser Untersuchung, diediesen Weg beschritten, waren En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r siebziger Jahre JostNolte, Otto Jägersberg und Jürgen Breest. Breest griff <strong>de</strong>nRundfunk am schärsten an und verurteilte Bürokratie undZensur, <strong>de</strong>ren persönliche Folgen Hei<strong>de</strong>nreich beschrieb.Jägersberg zog sich dagegen hinter das literarische Vorbild<strong>de</strong>s Doktor Murke zurück und übte eher versteckt Kritik.Eine Reihe von Journalisten vollzog Anfang <strong>de</strong>r achtzigerJahre diese literarisieren<strong>de</strong> Entwicklung nach. Beson<strong>de</strong>rsscharfe Kritik an <strong>de</strong>r journalistischen Realität äußerten inErzählungen nun Gert Hei<strong>de</strong>nreich, Rainer Horbelt und PaulKersten.Daß ihre Kritik trifft, bestätigen Literaturkritiken, dieja selbst von Journalisten geschrieben sind. Walter Gallaschschreibt etwa über Breests Roman:"Autor Jürgen Breest (...) hat hier wohl keine Dichtunggeschrieben. Sein Buch ist das Werk eines Journalisten,handfest, zupackend, nicht ohne Sensibilität(...). Mit soviel Wahrheit, wie man nur einfangenkann, wenn die Infamie dieser unserer Arbeitsweltbeschrieben wer<strong>de</strong>n soll." 636 )Ähnlich positiv äußert sich Manfred Bosch zu Gert Hei<strong>de</strong>nreichs"Der Ausstieg":"(...) hier setzt dieser - ich meine es respektvoll -'Indizienroman' <strong>de</strong>n Leser in die Rolle <strong>de</strong>s Anwalts:<strong>de</strong>r Demokratie, <strong>de</strong>r sozialen und humanitären Kulturund stattet ihn mit einem unbestechlichen Blick dafüraus, was so nicht bleiben kann." 637 )Es entsteht <strong>de</strong>r Eindruck, als wollten die Journalisten mit<strong>de</strong>r literarischen Umsetzung ihrer Erfahrungen die Medienrealitätdirekt positiv beeinflussen, also einem bestimmtenZweck dienen. Der Erzähltext wird eingesetzt, um Mißstän<strong>de</strong>635) Hans C. Blumenberg: Kassiber aus <strong>de</strong>r Zwangsanstalt,a.a.O.636) Walter Gallasch: Feldmanns sicherer Abstieg, a.a.O.637) Manfred Bosch: Die Tötlichkeit <strong>de</strong>r inneren und <strong>de</strong>räußeren Zustän<strong>de</strong>. 'Der Ausstieg' von Gert Hei<strong>de</strong>nreichfragt nach <strong>de</strong>m Zustand unserer Gesellschaft, in: DieTat, Nr. 29/1982, S. 11


in <strong>de</strong>n Medien - und darüberhinaus in <strong>de</strong>r Gesellschaft -publik zu machen und indirekt Verän<strong>de</strong>rungen im Umweg überdie öffentliche Meinung zu erreichen.Die Autoren selbst kalkulieren diesen Einfluß von Literaturallerdings eher vorsichtig ein. Jürgen Breest zielt zunächstauf eine Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Bewußtseins:"Wenn man Unbehagen beim Leser erreicht, ist das schonviel - Ich wollte Zustandsschil<strong>de</strong>rung und mehr nicht.Ob Literatur ein neues Bewußtsein schaffen kann, weißich nicht. Ich hoffe es natürlich, <strong>de</strong>nn mein Bewußtseinwur<strong>de</strong> von Literatur entschei<strong>de</strong>nd geprägt. Aberist das übertragbar?" 638 )Etwa Mitte <strong>de</strong>r achziger Jahre erscheint <strong>de</strong>r vorerst letzteRoman eines hauptberuflichen Journalisten, <strong>de</strong>n diese Untersuchungerfaßt. Ob damit eine vorübergehen<strong>de</strong> Erscheinungwie<strong>de</strong>r zu En<strong>de</strong> geht, läßt sich aus <strong>de</strong>m begrenzten Textkanonnicht ableiten.Zu vermuten ist allerdings, daß <strong>de</strong>r Vorstoß <strong>de</strong>r Journalistenin die 'an<strong>de</strong>re' Öffentlichkeit <strong>de</strong>r Literatur mit einergleichzeitig voranschreiten<strong>de</strong>n Verhärtung politischer Zustän<strong>de</strong>um 1977 in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik - <strong>de</strong>m sogenannten'<strong>de</strong>utschen Herbst' - zusammenhängt. Diese Verbindung ziehtzum Beispiel Volker Lilienthal in seiner Kritik zu "DerAusstieg":"Zeitlich im '<strong>de</strong>utschen Herbst' situiert, wartet dieGeschichte in überperfekter Manier mit allen <strong>de</strong>nkbaren<strong>de</strong>utschen Greueln auf. Berufsverbote, Son<strong>de</strong>rgesetze,Antikommunismus, Bürgerüberwachung, Polizeiallmacht,ja selbst die Diffamierung <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nsbewegung sindin diesem Buch genannt." 639 )Und Joseph Vogel fin<strong>de</strong>t, daß Hei<strong>de</strong>nreichs Roman <strong>de</strong>n gleichenNachgeschmack hinterläßt wie "(...) die Politik dieserZeit selbst: eine Mischung aus Betroffenheit und Überdruß".640 )Die Zeit <strong>de</strong>s '<strong>de</strong>utschen Herbstes' wird auch von Autorenthematisiert, die in ihrer Berufsrolle zwischen Journalismusund Literatur anzusie<strong>de</strong>ln sind.Beson<strong>de</strong>rs kraß wer<strong>de</strong>n die Bedrohungen durch Terrorismus undPolizeigewalt sowie <strong>de</strong>ren Wie<strong>de</strong>rspiegelung in <strong>de</strong>r Sensa-638) Jürgen Breest: Brief an <strong>de</strong>n Verfasser vom 31.10.1988639) Volker Lilienthal: Immer wie<strong>de</strong>r Journalisten. Bißchenflippen, in: Die Neue, Berlin, 25.6.1982, S. 27640) Joseph Vogel: Mischung aus Betroffenheit und Überdruß.Gert Hei<strong>de</strong>nreichs Roman 'Der Ausstieg' im Claasen Verlag,in: Mannheimer Morgen, 1.10.1982


tionspresse von Heinrich Böll in die Literatur eingebracht.Sein umstrittener Roman "Die verlorene Ehre <strong>de</strong>rKatharina Blum" hatte wohl vor allem <strong>de</strong>shalb ein so großesEcho in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit.Einige Kritiker werfen Böll allerdings vor, auf Kosten literarischerQualität politische Ziele zu verfolgen und aufeinen Massenerfolg spekuliert zu haben. Helmut M. Braem bemängelt,daß Bölls "(...) neue Erzählung plump [wirkt], wiemit <strong>de</strong>r Faust geschrieben" 641 ) und Gümther Zehm fragt vorwurfsvoll:"Sollte das Büchlein etwa unbedingt noch vor <strong>de</strong>m Beginn<strong>de</strong>s Hauptverfahrens gegen die Baa<strong>de</strong>r/Meinhof-Leute auf <strong>de</strong>m Markt sein, um <strong>de</strong>n Prozeß beeinflussenzu können?" 642 )Daß seine direkten realpolitischen Zielsetzungen die Qualität<strong>de</strong>r literarischen Schil<strong>de</strong>rung beeinträchtigen, wirftdie Kritik auch F.C. Delius vor. Volker Hage hält ihm zwarzugute, "ohne Skrupel <strong>de</strong>n Institutionen direkt ins Herzgesprungen" zu sein 643 ), gibt aber zu be<strong>de</strong>nken:"Mit 'Ein Held <strong>de</strong>r inneren Sicherheit' hat FriedrichChristian Delius einen ernsthaften Roman geschrieben,aber ein gelungenes Stück Literatur ist es <strong>de</strong>nnochnicht gewor<strong>de</strong>n. Und das liegt daran, daß <strong>de</strong>r Autor anseiner Strategie gescheitert ist: Er wollte alles unddamit ein wenig zuviel." 644 )Auch bei Ingeborg Drewitz beherrscht das journalistischeThema die literarische Gestalt <strong>de</strong>s Romans. Elke Herms-Bonhoffstellt fest, daß das in <strong>de</strong>r Erzählung enthaltene dokumentarischeMaterial die Handlungsführung bestimmt:641) Helmut M. Braem: Im Zorn erzählt - und wie mit <strong>de</strong>rFaust geschrieben. Heinrich Bölls neue Erzählung 'Dieverlorene Ehre <strong>de</strong>r Katharina Blum', in: StuttgarterZeitung, 17.9.1974642) Günter Zehm: Heinrich <strong>de</strong>r Grätige. Macht Bölls neueErzählung Stimmung für ein restriktives Pressegesetz?in: Die Welt, 16.8.1974643) Volker Hage: Als Held eine Charge. Friedrich ChristianDelius' erster Roman, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung,21.2.81644) ebenda


Beson<strong>de</strong>re, Individuelle, Zufällige zum Allgemeinen,gesellschaftlich relevanten, je<strong>de</strong>n Betreffenentritt." 648 )Sölle meint, daß Bölls Erzählung dieses Kriterium erfüllt,für sie ist seine Mediendarstellung nicht überzogen realistisch,son<strong>de</strong>rn weist mahnend in die Zukunft. 649 )Für Autoren, die <strong>de</strong>r Literatur näher sind als <strong>de</strong>n Medien,steht das Thema Journalismus <strong>de</strong>nn auch eher in übertragenemSinne für bestimmte gesellschaftliche o<strong>de</strong>r persönlicheProbleme <strong>de</strong>r Realität.Dies zeigen beispielhaft die Erzähltexte von Jurek und JürgenBecker. Obwohl bei<strong>de</strong> Autoren auch für Rundfunk undFernsehen arbeiten, geht es ihnen in ihren Texten wenigerum die Medienrealität. Vielmehr wollen sie die Eingebun<strong>de</strong>nheitvon Individuen in berufliche und gesellschaftlicheZwänge zeigen, für die die Medien ihnen gera<strong>de</strong> typischeBeispiele liefern.So stehen bei Jurek Becker die Nachrichten für die schnelllebigeund rücksichtslose westliche Zivilisation und verweisengleichzeitig auf die empfindungslosen Konsumenten.Jürgen Becker betont durch die unzusammenhängen<strong>de</strong> Formseiner 'Erzählung' die Zerrissenheit <strong>de</strong>r Gesellschaft, in<strong>de</strong>r auch die Medien nur verwirrend unzusammenhängen<strong>de</strong>Botschaften aussen<strong>de</strong>n.Die Beliebigkeit <strong>de</strong>r Nachrichten wird für die Beliebigkeit<strong>de</strong>r Existenz eingesetzt: Jürgen Beckers Figur Johann konstatiertdiese Beliebigkeit, Jurek Beckers Kilian erlei<strong>de</strong>tsie.Kilian hat sie sogar bereits verinnerlicht und überläßtseine Entscheidungen <strong>de</strong>m Zufall, <strong>de</strong>nn seine innere Stimmeist verlorengegangen:"Auch das ist mir recht, ich brauche nur in michhineinzuhorchen, und schon erhalte ich alle Informationen,die zum Entschei<strong>de</strong>n nötig sind. Ich horche,ich horche noch einmal, das Resultat ist seltsam: ichmöchte nicht zu Hause bleiben, ich möchte aber auchnicht nicht zu Hause bleiben. Dann eben an<strong>de</strong>rs, ichsehe auf die Küchenuhr. Der Sekun<strong>de</strong>nzeiger bewegt sich<strong>de</strong>utlich in <strong>de</strong>r linken Hälfte, ich bin krank." 650 )648) Dorothee Sölle: Heinrich Böll und die Eskalation <strong>de</strong>rGewalt, in: Merkur, Heft 316, 28. Jahrgang, 1974,S. 885649) "Böll baut ein realistisches 1984 auf(...)", ebenda,S. 886650) Jurek Becker: Aller Welt Freund, a.a.O., S. 103


In <strong>de</strong>r Flut von Informationsangeboten und Unterhaltung sinddie Orientierungspunkte untergegangen, das Individuum stehtratlos in einer disparaten Welt von unpersönlichen WortundBe<strong>de</strong>utungshülsen. Birgitta Ashoff interpretiert dieSituation Johanns:"Innenwelt und Außenwelt <strong>de</strong>r in Frage gestellten Wirklichkeitlösen sich in Bestürzung auf. Mit beruflicherRoutine kaschiert <strong>de</strong>r zutiefst verunsicherte Johannseine Zweifel an Wahrnehmungen und Vorstellungen. Einefast ausweglose Situation für <strong>de</strong>n Nachrichtenredakteur,<strong>de</strong>r, wie zum Hohn, auch noch beruflich gezwungenist, Wirklichkeit qua Information zu vermitteln." 651 )Der sinnentleerte Umgang mit Nachrichten ist sowohl bei Johannals auch bei Kilian nur ein Symptom für die Gesamtsituation<strong>de</strong>r Figuren, an <strong>de</strong>m ihre gestörte Realitätsempfindung<strong>de</strong>utlich wird. Gleichzeitig wird gezeigt, daßauch in <strong>de</strong>n Medien <strong>de</strong>r Umgang mit Nachrichten besinnungslosvor sich geht. Es kommt nicht darauf an, was Nachrichtenbe<strong>de</strong>uten, son<strong>de</strong>rn wie sie verbreitet und damit vermarktetwer<strong>de</strong>n können. Die Information wird austauschbar.Dennoch hat die literarische Darstellung eigener Erfahrungengera<strong>de</strong> für Jürgen Becker - er leitet die Hörspielredaktion<strong>de</strong>s Deutschlandfunks - einen großen Stellenwert inseiner Erzählung:"Für mich war es sehr interessant zu sehen, wie einesolche Figur einen Autor auch viel freier macht, in<strong>de</strong>mdiese Figur viel mehr übernehmen, tragen kann alsjenes Rollen -'Ich', das mit <strong>de</strong>r Person <strong>de</strong>s Autorsi<strong>de</strong>ntisch ist." 652 )Sehr stark aus eigenen Erfahrungen heraus schreiben die indieser Untersuchung vertretenen Autorinnen. Sie selbst bewegensich zumeist in bei<strong>de</strong>n Metiers, <strong>de</strong>m journalistischenwie <strong>de</strong>m schriftstellerischen - nur Barbara Frischmuth arbeitetnicht selbst in <strong>de</strong>n Medien.In allen vorliegen<strong>de</strong>n Erzähltexten schreiben<strong>de</strong>r Frauentaucht <strong>de</strong>r Konflikt zwischen Beruf und Privatleben an zentralerStelle auf. Bei Brigitte Klump und Monika Maron651) Birgitta Ashoff: Jürgen Becker: 'Erzählen bis Osten<strong>de</strong>',in: Bayerisches Fernsehen, Redaktion Kultur undNaturwissenschaften, Kunst und Literatur, Sendung: Bücherbeim Wort genommen, 1.11.1981, 22.05 Uhr, III.Programm.652) Jürgen Becker (Zitat) in: Kölner Stadt-Anzeiger, 3.12.1981: Die Rückkehr <strong>de</strong>s Landschaftsmalers. Gespräch mit<strong>de</strong>m Kölner Schriftsteller Jürgen Becker


ücken daneben auch Berufsbeschränkungen in <strong>de</strong>n Mittelpunkt<strong>de</strong>r Handlung. Alle von Autorinnen gestalteten Figuren sindweiblich und unterliegen in <strong>de</strong>r Mehrzahl <strong>de</strong>r Doppelbelastungvon Beruf und Familie.Außer bei Brigitte Klump, die mit ihrem Erzähltext <strong>de</strong>n engumrissenen Zweck verfolgt, über die Ausbildungsmetho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>rFakultät Journalistik in Leipzig aufzuklären, haben dieErzählungen von Autorinnen stark literarischen Anspruch,gehen also über die Problematik <strong>de</strong>s Journalismus weit hinaus.Ein gutes Beispiel ist die Erzählung von IrmtraudMorgner, die in ihrem literarischen Text die Produktioneines journalistischen Textes beschreibt.Dargestellt wird, was das erzählen<strong>de</strong> Ich (ein direkterBezug zur Autorin ist wahrscheinlich) unternimmt, um Zirbel,<strong>de</strong>n zu porträtieren<strong>de</strong>n Oberbauleiter, kennenzulernen.Einbezogen in die Erzählung sind Interviews,Rechercheergebnisse, Beobachtungen - quasi das ganze Rohmaterial.Die Verschränkung dieses journalistischen Materials mitliterarischen Überlegungen fin<strong>de</strong>t dadurch statt, daß sichdas erzählerische Ich gedanklich fortwährend mit Goethes"Wilhelm Meister" beschäftigt und einen Zusammenhang zwischenReportagetätigkeit und <strong>de</strong>m Goethe-Text herzustellensucht. Schon die Erzählerfigur blickt also, über die direktjournalistische Absicht hinaus, in <strong>de</strong>n zu beschreiben<strong>de</strong>nMenschen hinein, versucht ihn zu verstehen, sein Lebennachzuvollziehen und die Erkenntnisse in ein literarischesund gesellschaftliches Ganzes zu stellen.Obwohl die Reportage zum Schluß "rund" wird, ist das Ichnicht völlig zufrie<strong>de</strong>n, weil es die inneren Beweggrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>rbeobachteten Person noch nicht gänzlich verstan<strong>de</strong>n hat. DieReporterin zitiert zweifelnd Goethe:"Wer<strong>de</strong> ich irgendwann 'bis zu <strong>de</strong>m Kerne zu gelangendas Glück haben'?" 653 )Hier zeigt sich, was in <strong>de</strong>r literarischen Produktion über<strong>de</strong>n Journalismus hinausgeht: das Medium Zeitung verlangtzunächst nur unreflektierte Realität, auf Fakten reduzierteWahrheit. Literatur aber fragt auch nach Zusammenhängen,Gefühlen und Lebenseinstellungen, es steckt auch viel zwischen<strong>de</strong>n Zeilen.Journalisten aus <strong>de</strong>n Kulturredaktionen sind Bin<strong>de</strong>gliedzwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Berufsgruppen. Nicht umsonst sind es653) Irmtraud Morgner: Bis man zu <strong>de</strong>m Kerne zu gelangen...,a.a.O., S. 24


auch Kulturjournalisten, <strong>de</strong>ren Romane zuweilen weit überdie Reflektion ihres Berufes hinausreichen. Paul Kersten,er ist Fernsehredakteur beim NDR, beschreibt in seinem Roman"Absprung" seinen Protagonisten Rolf Klaus bis in psychologischeTiefen hinein. Gabriele Dietze lobt in <strong>de</strong>r Süd<strong>de</strong>utschenZeitung:"[Es, P.B.] kann doch nicht übersehen wer<strong>de</strong>n, daß <strong>de</strong>rRoman sorgfältig konstruiert und mit einigen beeindrucken<strong>de</strong>nkathartischen Momenten versehen eine gutdurchdachte und präzise Fallstudie ist. Die Beschäftigung<strong>de</strong>s Protagonisten mit sich selbst durchläuft dreiPhasen, die auch <strong>de</strong>r kindlichen Entwicklungsgeschichteje<strong>de</strong>s einzelnen Menschen entsprechen. Die erste Phaseist das Ich: Bedürfnisse, Triebe, Versagungen, Urängste;die zweite Phase beschäftigt sich mit <strong>de</strong>r An<strong>de</strong>ren(beim Kind die Mutter, im Roman die Liebesbeziehung),die dritte Phase umfaßt das An<strong>de</strong>re (Außenwelt, Dingwelt,Natur)." 654 )Auch Martin Walser, <strong>de</strong>r ebenfalls für <strong>de</strong>n Rundfunk arbeitet,geht es erst in zweiter Linie um direkte Medienschil<strong>de</strong>rungen.Seine Journalisten sind in die Gesellschafteingebun<strong>de</strong>n und lei<strong>de</strong>n an Konflikten, wie sie auch Lehrero<strong>de</strong>r Ärzte haben.Aber die Figur <strong>de</strong>s Journalisten eignet sich zur literarischenReflektion seiner Umgebung, dies wird vor allem inWalsers "Ehen in Phillipsburg" <strong>de</strong>utlich.Hans Beumann, <strong>de</strong>r zwar zunächst nicht Teil <strong>de</strong>r PhilippsburgerGesellschaft ist, an ihr aber teilnimmt, lieferteine genaue Beobachtung <strong>de</strong>s dortigen Machtzentrums. DerJournalist diagnostiziert in ebenso naiver wie treffen<strong>de</strong>rWeise die Morbidität <strong>de</strong>r Philippsburger Führungsschicht,wenn er auch in seiner Einfältigkeit keine Än<strong>de</strong>rung herbeizuführenweiß. Aber für Walser hat damit die journalistischeFigur als "Schlüssellochgucker" 655 ) ihren Zweck erfüllt,<strong>de</strong>nn sie macht aufmerksam für sonst Ver<strong>de</strong>cktes:"Martin Walsers Buch ist im ganzen ein Gewinn, weil esmit <strong>de</strong>r Diagnose zugleich <strong>de</strong>n ersten Schritt einer654) Gabriele Dietze: Anton Reiser auf Gotland. Paul KerstensRoman 'Der Absprung', in: Süd<strong>de</strong>utsche Zeitung,12.1.1980655) Josef Mühlberger: Am Schlüsselloch zu allen Türen, in:Eßlinger Zeitung, 6.12.1957


Therapie einschließt, nämlich <strong>de</strong>n Entschluß <strong>de</strong>s ernsthaftenLesers, über Wert und Wirkung einer Gesellschafteinmal gründlich nachzu<strong>de</strong>nken und damit überdie Gegenwart seiner eigenen Daseinsform." 656 )Auch in "Das fliehen<strong>de</strong> Pferd" erfüllt <strong>de</strong>r Journalist einebestimmte Funktion, in<strong>de</strong>m er das zur Pose erstarrte Bedürfnisverkörpert, <strong>de</strong>n Schaltstellen <strong>de</strong>r Macht zugeordnet zuwer<strong>de</strong>n und entsprechen<strong>de</strong>s Ansehen zu genießen. Klaus Buchpaßt sich äußerlich <strong>de</strong>m Schema <strong>de</strong>s Erfolgreichen an un<strong>de</strong>ntspricht damit vor<strong>de</strong>rgründig <strong>de</strong>m Zeitgeist, <strong>de</strong>r eineleichtfüßige Einflußnahme i<strong>de</strong>alisiert. In seiner Personwird dieses I<strong>de</strong>al zugleich erfüllt und <strong>de</strong>maskiert, hinter<strong>de</strong>r glatten Oberfläche tritt mehr und mehr das verletzteund verstörte Individuum zutage.Obwohl mit an<strong>de</strong>ren erzählerischen Mitteln, führt WalsersErzählung zu einer ähnlichen Einsicht wie die Texte Jürgenund Jurek Beckers:"Sie [die Protagonisten, P.B.] taumeln in einem leerenRaum, ohne Halt, ohne Beziehungen: Das ist ihre Krankheit,nicht die Ursache ihres Krankseins. Dieses Lei<strong>de</strong>n,diese Lügen im Leben <strong>de</strong>r vier Personen sind einfachgegeben, ohne weitere Erklärung." 657 )Damit ist auch diese Novelle "eine Parabel von <strong>de</strong>r Hilflosigkei<strong>de</strong>s Menschen inmitten seiner menschengemachtenKraft- und Potenzwelt." 658 ) Es zeigt sich, daß Klaus Buchähnlich mittelmäßig ist wie Helmut Halm, und daß bei<strong>de</strong> ineiner monotonen Fortexistenz gefangen sind:"(...) Alles, erfolgreicher Journalismus, körperfreudigesTrimmen, optimistische Thesenproduktion,strahlen<strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>look <strong>de</strong>r Gesichter und Gefühle, alleswar Täuschung, Fassa<strong>de</strong> für eine Umwelt, die auf Gegenseitigkeitgetäuscht sein will." 659 )Eine ähnlich funktionale Einbindung von Journalistenfigurenfin<strong>de</strong>t sich auch in <strong>de</strong>n Erzähltexten <strong>de</strong>r Autoren, die keine656) Herbert Ahl: Klima einer Gesellschaft. LiterarischeMarginalien, in: Diplomatischer Kurier, Heft 2/1958,S. 169657) Aurel Schmidt: Martin Walser, das Lei<strong>de</strong>n und das Eingespielte,in: Basler Zeitung, 4.2.1978658) <strong>Peter</strong> Wapnewski: Männer auf <strong>de</strong>r Flucht. Die Unmöglichkeit,sich selber zu entgehen, in: Deutsche Zeitung,10.3.1978659) Uwe Schultz: Der Mensch auf <strong>de</strong>r Flucht und ein fliehen<strong>de</strong>sPferd. Martin Walser:'Ein fliehen<strong>de</strong>s Pferd',Suhrkamp-Verlag, in: Sendung <strong>de</strong>s SFB, 18.5.1978, Sen<strong>de</strong>manuskriptS. 13


direkten Verbindungen zum Journalismus haben.Die Schriftsteller Nicolas Born, Günther <strong>de</strong> Bruyn, JörgFauser und die Schriftstellerin Barbara Frischmuth nutzenjournalistische Themen, um gesellschaftliche Entwicklungenprägnant vorzuführen. Der Beruf <strong>de</strong>s Journalisten hat offenbarin seinem direkten Bezug auf Öffentlichkeit eine 'Vorreiterrolle'.Daneben eignet sich <strong>de</strong>r Stoff aber auch dazu, die emotionalenBewegungen <strong>de</strong>r Protagonisten plausibel nach außenzu kehren: Laschen und Harry Gelb beobachten sich auch <strong>de</strong>shalbselbst so treffend, weil sie genaues Beobachten beruflichgewohnt sind. Bei Born und <strong>de</strong> Bruyn mag es auch dieAbsicht <strong>de</strong>r Verfremdung sein, die <strong>de</strong>n fiktionalen Hauptpersonenihrer Erzählungen eben nicht <strong>de</strong>n Beruf <strong>de</strong>s Schriftstellers,son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Reporters bzw. Literaturkritikerszuweist. Literatur und Medienarbeit sind hinreichend verwandt,um Vergleichbares an ihnen ver<strong>de</strong>utlichen zu könnenund über einen Umweg Erfahrungen <strong>de</strong>s Schriftstellers zuvermitteln.Für Born dürfte ein wichtiger Grund für die Verwendungeiner journalistischen Figur gewesen sein, daß ein Reporter<strong>de</strong>m Spannungsverhältnis von Politik und Privatem - das in"Die Fälschung" eine zentrale Be<strong>de</strong>utung erhält - beson<strong>de</strong>rsausgesetzt ist; gera<strong>de</strong> dann, wenn er in Kriesengebieteneingesetzt wird. Weil dieser Konflikt von Journalistennicht wirklich lösbar ist, kann mit einer solchen Figurauch ausführlich experimentiert wer<strong>de</strong>n.Die Literaturkritik lobt auch an diesem Roman, daß in ihmallgemein-gesellschaftliche Konflikte <strong>de</strong>utlich wer<strong>de</strong>n:"In<strong>de</strong>s besteht Borns schriftstellerische Leistung vorallem darin, daß es ihm gelungen ist, eine Figur zuschaffen, <strong>de</strong>ren scharf umrissene, unverwechselbare Individualitätsehr wohl zu tun hat mit unserer Epoche.An<strong>de</strong>rs ausgedrückt: Laschens Unruhe und Labilität,seine Komplexe und Hemmungen sind privater und intimerArt und hängen schließlich doch mit <strong>de</strong>m zusammen, wassich heute abspielt. Das Singuläre ist das Exemplarische,das Persönliche geht fast unmerklich insGleichnishafte über." 660 )Ein Son<strong>de</strong>rfall ist <strong>de</strong>r Roman <strong>de</strong>s Autors Michael Springer.Zwar hat auch Springer inzwischen intensiven Kontakt mit<strong>de</strong>n Medien, <strong>de</strong>nn er schrieb mehrere Hörspiele und arbeitetals Zeitschriftenredakteur. Eigentlich kommt er aber aus660) Marcel Reich-Ranicki: Der Durchbruch zum Schmerz, zumSehen. Nicolas Borns Roman 'Die Fälschung', in: FrankfurterAllgemeine Zeitung, 9.10.1979, Literaturbeilage


einem ganz an<strong>de</strong>ren Beruf: Springer ist promovierter Physikerund begann erst während seiner Tätigkeit in einem Kernenergie-Institutzu schreiben.Der Roman "Bronnen" ist aus Springers Berufserfahrung entstan<strong>de</strong>nund kann <strong>de</strong>shalb auch als "Ökologie-Roman" - sobezeichnet ihn Volker Lilienthal - verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n 661 ).Denn <strong>de</strong>r in diesem Roman beschriebene Journalist <strong>de</strong>cktökologische Mißstän<strong>de</strong> und politische Mauscheleien um Giftabfälleauf und übernimmt damit Aufklärungsfunktionen.Die Figur <strong>de</strong>s Seebaum erfüllt dabei eine doppelte Aufgabe:Sie zeigt Mißstän<strong>de</strong> auf und enthüllt gleichzeitig, warumdiese normalerweise nicht aufge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n. In<strong>de</strong>m Seebaumgleichzeitig Privatbürger und Journalist ist, kann er nichtnur das journalistische Vorgehen (und Stillhalten) zeigen,son<strong>de</strong>rn es gleichzeitig kritisieren. Bürger und Journalistbeobachten und entlarven sich in <strong>de</strong>r Figur Seebaums quasigegenseitig.Ein weiterer Roman sticht aus an<strong>de</strong>ren Grün<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>renErzähltexten ab. Dieter Wellershoffs "Einladung anAlle" beschäftigt sich nicht mit einem einzelnen Journalisten,son<strong>de</strong>rn beschreibt die Wirkung <strong>de</strong>r Presse als diffuseInstanz gegenüber einem zunächst harmlosen Gelegenheitsdieb,<strong>de</strong>r dann bis zum Mord getrieben wird.Wellershoff bedient sich dabei einer von ihm entwickeltenMischform von Dokumentarliteratur und Sachbuch, die StephenLamb folgen<strong>de</strong>rmaßen abgrenzt:"Ausdrücke wie 'schil<strong>de</strong>rn', 'darstellen', 'gestalten'o<strong>de</strong>r sogar 'erzählen' sind unbrauchbar; sie wecken Assoziationenan eine Schreibweise, in <strong>de</strong>r ein allwissen<strong>de</strong>rErzähler seinem Stoff Einheit und Geschlossenheitzu verleihen versuchte." 662 )Wellershoff selbst bezeichnet seine Form <strong>de</strong>s Schreibens als"realistisch" und sieht in ihr eine Verbindung von Fiktionund Praxis. Eike H. Vollmuth erläutert dieses Konzept:"Zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Positionen: Spiel (Fiktion) o<strong>de</strong>rEngagement (Praxis) - entwickelte Wellershoff ein Literaturkonzept,das unter <strong>de</strong>n Begriffen 'Realismus'und 'Probehan<strong>de</strong>ln' die falsche Antithese aufhebt, abertrotz<strong>de</strong>m sowohl <strong>de</strong>n handlungsbezogenen Funktionscha-661) Volker Lilienthal: Gegen die Welt aus zweiter Hand.Medienkritik in <strong>de</strong>r neueren Literatur, in: FrankfurterHefte, Heft 9, 9/1984, S. 70662) Stephen Lamb: Einladung an alle - Dokumentation undWirklichkeit, in: R. Hinton Thomas: Der SchriftstellerDieter Wellershoff. Interpretationen und Analysen,Köln 1975, S. 73


akter <strong>de</strong>r Literatur ('Verän<strong>de</strong>rung') als auch <strong>de</strong>renFiktionalität genügend akzentuiert. Der Pilotaufsatzseines Essayban<strong>de</strong>s thematisiert die Synthese <strong>de</strong>s vermeintlichenWi<strong>de</strong>rspruchs in die Formel 'Fiktion undPraxis'." 663 )Wellershoff bin<strong>de</strong>t damit <strong>de</strong>n ebenfalls unter <strong>de</strong>m Begriff<strong>de</strong>r Realität zu fassen<strong>de</strong>n Journalismus systematisch in seinLiteraturkonzept ein, und er nutzt <strong>de</strong>ssen Metho<strong>de</strong>n, um infiktionaler Literatur anhand von Fakten direkt aufzuklären.Die Techniken zur Verbindung von Realität und Fiktionalitätsind für Wellershoff Collage und Montage, <strong>de</strong>nn er willreale Elemente nicht in die Fiktion einarbeiten, son<strong>de</strong>rnfür <strong>de</strong>n Leser erkennbar belassen. Wellershoffs Schreibweisegeht über die Montage sogar noch hinaus, weil er auch inihr die Gefahr <strong>de</strong>s Realitätsverlustes sieht:"Natürlich könne man die Innovationen einer in diesemSinn realistischen Literatur nicht mit traditionalistischenTechniken produzieren. Die 'neuen Erfahrungen'wer<strong>de</strong>n durch neue Darstellungsmittel ermöglicht,durch Filmtechniken, durch die 'Technik <strong>de</strong>r Dissoziation,Isolierung und Häufung'; durch Beschreibung vonZufall, Wi<strong>de</strong>rspruch und Sinnlosigkeit, <strong>de</strong>s 'Eigenlebens'<strong>de</strong>r Dinge, <strong>de</strong>r Diskontinuität <strong>de</strong>r Person, Subjektivität<strong>de</strong>r Weltsicht; durch Techniken <strong>de</strong>r Bewußtmachungvon Vorbewußtem (...), - kurz, diese Literaturverwen<strong>de</strong>t Mittel, welche die Unausschöpflichkeit <strong>de</strong>sDaseins gegen die Realitätsabwehr mobilisiere." 664 )Ausgangspunkt <strong>de</strong>s Romans ist ein realer Fall, nämlich dieFahndungsaktion nach Bruno Fabeyer Mitte <strong>de</strong>r sechzigerJahre. Die von Wellershoff beschriebenen Polizeiaktionenhaben in ihrer Mehrzahl tatsächlich so stattgefun<strong>de</strong>n, viele<strong>de</strong>r Zeitungsartikel sind echt.Wellershoff erweitert diese reale Grundlage, um das Geschehenbesser verständlich zu machen. Er fügt Fiktion hinzu,um <strong>de</strong>r Realität näher zu kommen, als dies durch Faktenmöglich ist. Er konstruiert die Gedanken, Gefühle und nichtbelegte Handlungen <strong>de</strong>r Beteiligten nach und schafft damiteine Fiktion, die aber insoweit nahe an die Realität heranreicht,als daß es so gewesen sein könnte."Wirklichkeitsmächtig be<strong>de</strong>utet für Wellershoff dabei,663) Eike H. Vollmuth: Dieter Wellershoff - Romanproduktionund anthrophologische Literaturtheorie. Zu <strong>de</strong>n Romanen'Ein schöner Tag' und 'Die Schattengrenze', München1979,S 63f.; <strong>de</strong>r Essayband ist: Dieter Wellershoff:'Literatur und Verän<strong>de</strong>rung'. Versuche zu einer Metakritik<strong>de</strong>r Literatur, Köln 1969664) ebenda, S. 73


daß die rein sachliche Information über das objektivNachprüfbare nicht ausreicht, um die Realität zu erfassen,während <strong>de</strong>r Roman eine umfassen<strong>de</strong>re Darstellungsformermöglicht." 665 )Mit diesen fiktionalen Teilen kann <strong>de</strong>r Romanautor versuchen,was sich ein Journalist traditionellen Verständnissesauf je<strong>de</strong>n Fall 'verkneifen' muß: Den Leser zu einerbestimmten Meinung über die geschil<strong>de</strong>rten Ereignisse zu bewegen.Wolfgang Werth weiß, was Wellershoff beabsichtigt:"Der Leser soll sich nicht irgen<strong>de</strong>ine Meinung über dieim Buch dargestellte ungewöhnliche Affäre bil<strong>de</strong>n. Ersoll durch die Lektüre zu <strong>de</strong>r Erkenntnis gelangen, dieWellerrshoff - wie er nach Abschluß <strong>de</strong>s Romans ineinem Gespräch mit seinem Verleger bekun<strong>de</strong>t - beiseinen Recherchen gewonnen haben will: daß <strong>de</strong>r Fallauf exemplarische Weise zeige, wie das Verhältnis <strong>de</strong>rGesellschaft und ihrer scheitern<strong>de</strong>n Außenseiter heuteaussieht." 666 )Die in dieser Untersuchung behan<strong>de</strong>lten Erzähltexte habenalso zwei grundsätzlich unterscheidbare Grundmuster, sichmit <strong>de</strong>m Thema Journalismus zu befassen.Die <strong>de</strong>m Journalismus nahestehen<strong>de</strong> Autorengruppe übt inihren Texten zunächst direkte Kritik am Berufsbild und <strong>de</strong>nvon ihnen selbst erlittenen o<strong>de</strong>r beobachteten Zustän<strong>de</strong>n in<strong>de</strong>r Medienrealität. Die Handlung ist meistens realitätsnahgestaltet und macht die Medien auch für Außenstehen<strong>de</strong> einsehbar.Von <strong>de</strong>r Literaturkritik wer<strong>de</strong>n solche Erzähltextenicht beson<strong>de</strong>rs geschätzt, mehrfach wur<strong>de</strong> in Kritiken diemangeln<strong>de</strong> gesellschaftliche Relevanz <strong>de</strong>r Handlung bemängelt.Eine Reihe von Journalisten geht in ihren Romanen allerdingsüber diesen engen Berufsbezug hinaus und zeigt inihren Protagonisten exemplarische Züge <strong>de</strong>r Gesellschaft. Soschreibt Jürgen Breest:"Der journalistische Aspekt war beim Schreiben ehernebensächlich. Mir ging es mehr um die Psychologie <strong>de</strong>sFELDMANN als um die Kritik am Medium. Ich habe einen'Mann im Beruf' beschreiben wollen und dabei eine Arbeitsweltgewählt, die mir vertraut war. Ich wolltedie Übertragbarkeit <strong>de</strong>s Falles Feldmann auf die665) Hans Helmreich: Dieter Wellershoff, München 1982, Autorenbücher29, S. 95666) Wolfgang Werth: Jagdszenen aus Nie<strong>de</strong>rsachsen. DieterWellershoffs Dokumentar-Roman 'Einladungan alle', in:Die Zeit, Nr. 39, 29.9.1972


gesamte von Männern beherrschte Berufswelt." 667 )Diesen exemplarischen Anspruch <strong>de</strong>s Erzählens fin<strong>de</strong>t man vorallem bei <strong>de</strong>n 'reinen' Schriftstellern. In einer von Informationsüberflußgekennzeichneten Zivilisation wird <strong>de</strong>rJournalismus hier Synonym für Orientierungslosigkeit. DieFigur <strong>de</strong>s Journalisten wird eingesetzt, um funktional bestimmteEntwicklungen innerhalb <strong>de</strong>r Gesellschaftaufzuzeigen. Diese Generalisierbarkeit honoriert die traditionelleLiteraturkritk auffallend stark, sie wird nichtselten als alleiniges Qualitätskriterium von Literatureingesetzt.Nur Dieter Wellershoff versucht eine radikale Neuorientierunginnerhalb <strong>de</strong>r traditionell getrennten BereicheJournalismus (Realität) und Literatur (Fiktion). Er versucht,bei<strong>de</strong> Sparten zu einer neuen Literaturform zusammenzuschweißen,die eine möglichst realistische Fiktion zumZiel hat.Es zeigt sich, daß die von vielen Autoren gleichermaßenausgeübten Tätigkeiten <strong>de</strong>s journalistischen und literarischenSchreibens Verbindungsstellen haben, die in <strong>de</strong>rerzählerischen Literatur - außer durch journalistische Figuren- erst zögernd ausgelotet wer<strong>de</strong>n. Neben Wellershoffunternehmen aber auch fast alle an<strong>de</strong>ren Autoren zumin<strong>de</strong>sterste Ansätze, journalistische Formen konstruktiv in dieLiteratur einzubeziehen. Das Zitat o<strong>de</strong>r die einfügen<strong>de</strong> Montagevon journalistischen Texten sind dabei die häufigstenFormen, die am intensivsten bei Otto F. Walter erscheinen.Allein diese formale Beeinflussung <strong>de</strong>r Literatur durch <strong>de</strong>nJournalismus eröffnet ein weites Untersuchungsfeld, auf dashier jedoch nicht weiter eingegangen wer<strong>de</strong>n kann.667) Jürgen Breest: Brief an <strong>de</strong>n Verfasser vom 31.10.1988


7.2. EXKURS: Journalistische Aspekte <strong>de</strong>s Schriftstellersin <strong>de</strong>r DDRDie Tatsache, daß die journalistische Berichterstattung in<strong>de</strong>r DDR eng an Kontrollorgane <strong>de</strong>r SED gekoppelt ist und daherfast in allen Einzelheiten auf eine offizielle staatlicheLinie festgelegt wird, führt zu <strong>de</strong>r skurrilen Situation,daß so manche Nachricht - wenn überhaupt - erstüber fiktionale Texte die Bürger <strong>de</strong>r DDR erreicht.Dieses Phänomen ist darauf zurückzuführen, daß die SED in<strong>de</strong>r Literatur Lockerungen <strong>de</strong>r politischen Doktrin offenbarnoch am ehesten hinnimmt, während die Beschränkungen <strong>de</strong>rPresse konstant bleiben o<strong>de</strong>r sich sogar noch verschärfen.668 )Vor Beginn <strong>de</strong>r Leipziger Buchmesse 1988 wur<strong>de</strong> eine Reihevorher in <strong>de</strong>r DDR verbotener Bücher zur Veröffentlichungangekündigt. Darunter befand sich zunächst auch <strong>de</strong>r Roman"Flugasche" von Monika Maron. Allerdings wur<strong>de</strong> dieseAnkündigung später zurückgezogen, weil es zu Unstimmigkeitenzwischen <strong>de</strong>r Autorin und <strong>de</strong>n DDR-Behör<strong>de</strong>n gekommenwar:"1986 [hatte, P.B.] Klaus Höppke, für Literaturzuständiger Kultusminister <strong>de</strong>r DDR, in einem West-Interview[erklärt], man wer<strong>de</strong> das Buch drucken, wennsich die Autorin mit einem Verlag verständige. Sienahm ihn beim Wort, und <strong>de</strong>r Aufbau-Verlag sagte tatsächlichdie Veröffentlichung zu. Doch dann begann <strong>de</strong>rBriefwechsel zwischen Monika Maron und Joseph vonWestfalen im ZEITmagazin und bot einen Vorwand, dasVersprechen nicht einzuhalten. 'Unappetitlich' nannte<strong>de</strong>r Verlagsleiter Elmar Faber die Briefe <strong>de</strong>r Maron inaller Öffentlichkeit während <strong>de</strong>r LeipzigerBuchmesse." 669 )Dieses restriktive Vorgehen zeigt, wie schwer es ist, dieGenehmigungsbehör<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r DDR einzuschätzen. Die Autorenhaben letztlich keine Rechtssicherheit, weil ihre Textenicht nach festen Kriterien, son<strong>de</strong>rn auch nach <strong>de</strong>m politischemKlima beurteilt wer<strong>de</strong>n. Wohl nicht zuletzt aufgrunddieses Vorfalls entschloß sich Monika Maron, in <strong>de</strong>n Westen668) Für eine Verschärfung <strong>de</strong>r Presserestriktionen sprechendie Verbote von Kirchenzeitungen sowie einiger sowjetischerPublikationen (z.B. "Sputnik") im Jahr 1988.669) Volker Hage: Alles zu wenig, alles zu spät. Steht dieKulturpolitik <strong>de</strong>r DDR vor einer Wen<strong>de</strong>?, in: Die Zeit,Nr. 25, 17.6.1988, S. 38


umzusie<strong>de</strong>ln, sie lebt seit <strong>de</strong>m 3.6.1988 in Hamburg - allerdings,wie Jurek Becker, mit Son<strong>de</strong>rstatus und DDR-Paß, eineRückkehr ist also möglich. 670 )An diesem Beispiel wird <strong>de</strong>utlich, welche Wirkungen <strong>de</strong>r Literaturvon <strong>de</strong>n offiziellen Stellen zugetraut wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nnwer verbietet, befürchtet wohl politische und gesellschftlicheFolgen einer Veröffentlichung.Tatsächlich wer<strong>de</strong>n literarische Texte in <strong>de</strong>r DDR an<strong>de</strong>rsrezipiert als im Westen, <strong>de</strong>nn von <strong>de</strong>n Autoren wird nichtnur Unterhaltung, son<strong>de</strong>rn auch Orientierungshilfe erwartet.Irma Hanke schil<strong>de</strong>rt in einer Untersuchung über die erzählen<strong>de</strong>Gegenwartsliteratur <strong>de</strong>r DDR, warum dies so ist:"Sie [Irma Hanke, P.B.] macht <strong>de</strong>utlich, daß dasLesepublikum in <strong>de</strong>r DDR ganz wesentlich auf dieSchriftsteller <strong>de</strong>r eigenen Gesellschaft angewiesen istund daß von diesen daher Orientierungshilfe erwartetwird. Diese Orientierungshilfe wer<strong>de</strong> umso wichtiger,je mehr die Glaubwürdigkeit und Aussagefähigkeit öffentlicherMedien in Frage gestellt erscheinen." 671 )Die Erwartung <strong>de</strong>s Publikums beinhaltet aber auch gleichzeitigeine große Verantwortung für die Autoren. Sie müssenabwägen zwischen Anpassung an staatliche literarische Vorstellungen,die eine Veröffentlichung sicherstellen, undoffener Kritik, die immer <strong>de</strong>r Gefahr <strong>de</strong>s Verbots ausgesetztist und <strong>de</strong>shalb für das Publikum <strong>de</strong>r DDR vielleicht unerreichbarbleibt.Schon die wenigen in meiner Untersuchung enthaltenen Textevon DDR-Autoren zeigen, wie groß diese Bandbreite <strong>de</strong>r Kritiksein kann. Sie reicht von vorsichtigen An<strong>de</strong>utungen <strong>de</strong>ssystemtreuen Hermann Kant über verstecktes, wenn auch <strong>de</strong>utlichesAnprangern von Konformität bei Günter <strong>de</strong> Bruyn biszu offener Systemschelte bei Monika Maron o<strong>de</strong>r - noch direkter- Britte Klump.Keiner dieser Autoren stellt allerdings das sozialistischeSystem grundsätzlich in Frage, selbst Brigitte Klump nicht.Ihnen geht es durchgängig um konstruktive Verbesserungeninnerhalb <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n 'realsozialistischen' DDR, <strong>de</strong>renunerträgliche Auswüchse sie bekämpft wissen wollen: Bespitzelungund Kontrolle, Willkür und Zensur.Brigitte Klump formuliert, wo für viele Autoren ein670) ebenda671) Piet Hein: Autoren, Literatur und Publizistik in <strong>de</strong>rDDR: Sagbares und seine Grenzen (Literaturkritik vonWissenschaftsliteratur über die DDR), in: Das Parlament,Nr. 25/26, 17./24.6.1988, S. 15


erträgliches Maß überschritten wird:"Ich war an die Fakultät gekommen, um ein guter Journalistzu wer<strong>de</strong>n. Sprachrohr <strong>de</strong>r Partei? Das war nochzu akzeptieren. Aber nicht Kontrolleur von Gesinnungen."672 )Kritische DDR-Autoren nehmen die politische Verantwortung<strong>de</strong>r Literatur an, in<strong>de</strong>m sie die politischen Normen ihresStaates an <strong>de</strong>r Realität messen und Unterschie<strong>de</strong> zwischenAnspruch und Wirklichkeit offen aussprechen. In <strong>de</strong>n vonDDR-Behör<strong>de</strong>n kritisierten offenen Briefen Monika Marons anJoseph von Westphalen wird diese aufklären<strong>de</strong> Auffassung vonLiteratur entwickelt:"Nun be<strong>de</strong>utet Wi<strong>de</strong>rstand ja nicht mehr, als gegen etwaszu stehen, sich o<strong>de</strong>r etwas zu behaupten, einerSache standzuhalten; einer Mo<strong>de</strong>, einer Versuchung,einer Macht zu wi<strong>de</strong>rstehen, in<strong>de</strong>m man die eigene Positionnicht preisgibt. In diesem Sinne halte ich Wi<strong>de</strong>rstandfür eine Existenzform <strong>de</strong>r Literatur und die Literaturfür eine Existenzform <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstands." 673 )In einem späteren Brief bekennt sich Monika Maron <strong>de</strong>utlichzur journalistischen Aufgabe <strong>de</strong>r DDR-Literatur. Zwar seisie als Autorin "keine Nachrichtenagentur", <strong>de</strong>nnoch könneLiteratur eine Art Ersatzfunktion zukommen:"Da in <strong>de</strong>r DDR Politik und Alltag für <strong>de</strong>n Einzelnenspürbar und unausweichlich miteinan<strong>de</strong>r verwoben sindund gera<strong>de</strong> darin oft <strong>de</strong>r Ursprung lebensbestimmen<strong>de</strong>rKonflikte liegt, nehmen die konkreten politischen Verhältnissein unserer Literatur einen an<strong>de</strong>ren Rang ein.Hinzu kommt <strong>de</strong>r oft besprochene Umstand, daß dieSchriftsteller <strong>de</strong>r DDR im ohnehin schlecht besetztenChor <strong>de</strong>r öffentlichen Meinung <strong>de</strong>n Part <strong>de</strong>r Journalistenmitsingen müssen, weil die entwe<strong>de</strong>r in falschenTönen trällern o<strong>de</strong>r gar schweigen. Mich überkommt beimSchreiben manchmal die unbezähmbare Lust, etwas ganz<strong>de</strong>utlich, ganz klar und ein<strong>de</strong>utig auszusprechen, nurweil ich es sonst nirgends lesen kann. Das sind dannoft die Stellen, die von meinen Lesern hier [in <strong>de</strong>rDDR, P.B.] am gierigsten gelesen wer<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>n West-Rezensenten am häufigsten zitiert, und die mir späterin <strong>de</strong>r Regel am wenigsten gefallen." 674 )672) Brigitte Klump: Das rote Kloster, a.a.O., S. 272673) Monika Maron: Ein asymmetrisches Problem, offenerBrief an Joseph von Westphalen, in: Die Zeit, BeilageZEITmagazin, Nr. 43, 16.10.1987, S. 6674) Monika Maron: Geformt durch die gleiche Kultur, offenerBrief an Joseph von Westphalen, in: Die Zeit, BeilageZEITmagazin, Nr. 45, 30.10.1988, S. 6; zur Zeit<strong>de</strong>s Briefwechsels 1987 lebte Monika Maron noch in Ost-


Daß in <strong>de</strong>n Erzähltexten <strong>de</strong>r DDR Journalisten als informieren<strong>de</strong>Handlungsträger auftauchen, ist schon ausdiesen Grün<strong>de</strong>n naheliegend. Hinzu kommt, daß sich gera<strong>de</strong> andieser Berufsgruppe Einschränkungen <strong>de</strong>r bürgerlichen Freiheitam besten illustrieren lassen, weil sie von solchenMaßnahmen am stärksten betroffen ist.Es kann wenig verwun<strong>de</strong>rn, daß dies von <strong>de</strong>r offiziellenSeite <strong>de</strong>r DDR ganz an<strong>de</strong>rs interpretiert wird. Hermann Kantgibt in einer 1973 gehaltenen Re<strong>de</strong> die offizielle Erklärungsversion:"In das beinahe massenhafte Auftreten von Schreibernin Geschriebenem sollte man nicht allzuviel hineingeheimnissen,aber es kommt we<strong>de</strong>r durch Zufall noch Autorenabre<strong>de</strong>zustan<strong>de</strong>; es hat mit großer Wahrscheinlichkeitauch mit <strong>de</strong>m zu tun, wovon dieser Re<strong>de</strong>abschnitthan<strong>de</strong>lt: mit <strong>de</strong>m Eintritt <strong>de</strong>r DDR-Literatur inein neues Selbstverständnis, das sich aus neuen Aufgabenund bewältigten Aufgaben ergibt; (...) und sie[die Literatur, P.B.] hat die Gewißheit, von ihrenGefährten und Genossen auf <strong>de</strong>m gesellschaftlichenPlatz gesehen zu wer<strong>de</strong>n, auf <strong>de</strong>n sie sich immerwünschte und an <strong>de</strong>n einzig in einer sozialistischenOrdnung sie auch gehört: 'Schulter an Schulter mit <strong>de</strong>nArbeitern, <strong>de</strong>n Genossenschaftsbauern, <strong>de</strong>r Jugend' -dies war ein Zitat aus <strong>de</strong>m Interview mit <strong>de</strong>m GenosseErich Honecker, und gera<strong>de</strong> weil dies nicht die ersteÄußerung ihrer Art seit <strong>de</strong>m VIII. Parteitag war, gera<strong>de</strong>weil <strong>de</strong>r Erste Sekretär <strong>de</strong>s Zentralkommitees <strong>de</strong>rSED immer wie<strong>de</strong>r und mit einer gewissen Hartnäckigkeitauf diese Platzbestimmung zurückkommt, wollen wir hiernoch einmal versichern, daß wir <strong>de</strong>m ehren<strong>de</strong>n Vertrauenmit Genugtuung begegnen und mit <strong>de</strong>m Verantwortungsbewußtsein,zu <strong>de</strong>m uns dieser Vertrauensbeweisverpflichtet." 675 )Hermann Kant versucht also mit argumentativen Kunstgriffen,die Schriftsteller und Journalisten in eine Reihe mit <strong>de</strong>nArbeitern und Bauern zu stellen, die gemäß <strong>de</strong>r DDR-Kulturdoktrinin <strong>de</strong>r Literatur vordringlich thematisiert wer<strong>de</strong>nsollen. Die Absichten einer verän<strong>de</strong>rten Literaturthematikwer<strong>de</strong>n mit solch scheuklappenbewehrtem Blick freilich nichterkannt: Es kann nicht sein, was nicht sein soll.Immerhin wird gedul<strong>de</strong>t, was sich nicht allzu aufdringlichBerlin.675) Hermann Kant: Unsere Worte wirken in <strong>de</strong>r Klassenauseinan<strong>de</strong>rsetzung,in: Leonore Krenzlin: Zu <strong>de</strong>n Unterlagen.Hermann Kant, Publizistik 1975-1980, Berlin(Ost) / Weimar 1981


von <strong>de</strong>r DDR-Literaturauffassung entfernt. Auch massive Kritikkann so "(...) sorgsam verpackt in dunkle Metaphern, umdie Botschaft auch wohlbehalten bis zum Leser durchzuschmuggeln"676 ) geäußert wer<strong>de</strong>n. Das ist die Metho<strong>de</strong> vonGünter <strong>de</strong> Bruyn: Behutsam die Freiräume ausloten undnutzen.Marcel Reich-Ranicki erläutert die Schreibweise <strong>de</strong> Bruyns:"Nur mit Hilfe von Rückblen<strong>de</strong>n in die fünfziger Jahrekonnte <strong>de</strong> Bruyn in diesem scheinbar überaus harmlosenBuch sagen, was er sagen wollte. Denn mag er auch vonLiebe, Ehe und Freundschaft, von <strong>de</strong>r Aufsässigkeit <strong>de</strong>rJugendlichen und <strong>de</strong>r Bequemlichkeit <strong>de</strong>r Erwachsenen,von verän<strong>de</strong>rten gesellschaftlichen Verhältnissen undkeineswegs verän<strong>de</strong>rten gesellschaftlichen Konventionenerzählen - das einzige Thema, das <strong>de</strong>n meist munterplau<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Autor aus <strong>de</strong>r Reserve lockt, lautet: dieBevormundung <strong>de</strong>r Literatur in <strong>de</strong>r DDR." 677 )Auch <strong>de</strong> Bruyn ist sich <strong>de</strong>r journalistischen Rolle <strong>de</strong>r Literaturin <strong>de</strong>r DDR bewußt. In einem Interview mit MarliesMenge begrün<strong>de</strong>t er, warum er die Literatur in <strong>de</strong>r DDR fürwirksamer hält als im Westen:"Es ist wichtiger und wirksamer, hier [in <strong>de</strong>r DDR,P.B.] zu schreiben als etwa in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik(...). Romane sind bei uns so wichtig, weil sie Informationenvermitteln können, die <strong>de</strong>r Leser vielleichtvon an<strong>de</strong>rswo nicht bekommt." 678 )Daß <strong>de</strong> Bruyn einen mo<strong>de</strong>raten Kurs <strong>de</strong>r Systemkritik verfolgt,kann man auch in neuester Zeit erkennen. Nach <strong>de</strong>rAbschiebung von Freya Klier und Stephan Krawczyk schrieb erfolgen<strong>de</strong>n Appell, <strong>de</strong>r nicht offene Konfrontation, son<strong>de</strong>rnDiskussionsbereitschaft signalisieren soll (Auszug):"Die kulturpolitischen und ökologischen Fragen, dieüberall laut wur<strong>de</strong>n, waren an die dafür zuständigenStellen gerichtet gewesen. Geantwortet haben aber nunan<strong>de</strong>re Behör<strong>de</strong>n, und die wählten an Stelle <strong>de</strong>s Gesprächs,<strong>de</strong>m sie sich offensichtlich nicht gewachsenfühlen, die Gewalt. Den notwendigen Dialog <strong>de</strong>r Regierermit <strong>de</strong>n Regierten können aber Polizei und Staatsanwaltnicht ersetzen, und nie ist <strong>de</strong>ren Wirksamwer<strong>de</strong>n676) Joseph von Westphalen: Wie man Wahrheit verpackt, offenerBrief an Monika Maron, in: Die Zeit, BeilageZEITmagazin, Nr. 46, 6.11.1987, S.6677) Marcel Reich-Ranicki: Neuer Realismus in <strong>de</strong>r DDR. I.Günter <strong>de</strong> Bruyns zwei verschie<strong>de</strong>ne Schuhe, in: Merkur.Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Heft 12,1973, S. 1169-1174, S. 1170678) Marlies Menge: Briefe von Frauen. Ein Besuch bei Günter<strong>de</strong> Bruyn, in: Die Zeit, Nr. 47, 16.11.1973, S. 66


ein Argument. Politische Probleme wer<strong>de</strong>n durch Zwangsmaßnahmennicht gelöst, son<strong>de</strong>rn aufgeschoben, wennnicht gar verschärft. (...)Zu wünschen ist <strong>de</strong>n Mächtigen die baldige Einsicht,daß sich gesellschaftliche Konflikte nur mit Feinfühligkeitund Geduld lösen lassen und daß Gewalt nurneue Konflikte schafft." 679 )Die Schriftsteller setzen ihr Ansehen bei <strong>de</strong>n Lesern alsoauch politisch ein und verstehen sich als Sprachrohr einerpolitisch aufgeklärten Bevölkerung. Schriftsteller in <strong>de</strong>rDDR, so behaupte ich, sind wesentlich intensiver am politischemGeschehen beteiligt als etwa in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik- und das nicht immer gezwungenermaßen.Sowohl das Phänomen journalistischer Aufgaben <strong>de</strong>r DDR-Literaturals auch die außerliterarischen Betätigungen <strong>de</strong>r Autorenin <strong>de</strong>r DDR konnten hier nur angerissen wer<strong>de</strong>n. Sielohnen, wie ich meine, eingehen<strong>de</strong>re wissenschaftlicheBeschäftigung.679) Günter <strong>de</strong> Bruyn: Toleranz muß wachsen. Appell von DDR-Autor Günther [muß Günter heißen, P.B.] <strong>de</strong> Bruyn, in:Die Zeit, Nr. 6, 5.2.1988, S. 14


8. ZusammenfassungDie dieser Arbeit zugrun<strong>de</strong>liegen<strong>de</strong> Überlegung, daß aufgrund<strong>de</strong>s wachsen<strong>de</strong>n Einflusses journalistischer Inhalte auf alleBereiche <strong>de</strong>s täglichen Lebens Journalisten auch in <strong>de</strong>r Fiktionzunehmend an Be<strong>de</strong>utung gewinnen, hat sich klar bestätigt.Selbst die erzählen<strong>de</strong>n Literaturformen sind mit <strong>de</strong>nhier untersuchten Texten bei weitem nicht ausgeschöpft.Die Vermutung, daß sich in Erzähltexten mit jouralistischenThemen die aktuellen Entwicklungen in <strong>de</strong>r Medienlandschaftwie<strong>de</strong>rfin<strong>de</strong>n lassen wür<strong>de</strong>n, ließ sich jedoch nicht so klarbestätigen.Insbeson<strong>de</strong>re die spektakulären technischen Entwicklungen imRundfunk, die zu in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik vorher nicht vorhan<strong>de</strong>nenprivaten Programmen führten, bleiben in <strong>de</strong>r Erzählliteraturfast durchweg unberücksichtigt.Das Argument, daß diese Verän<strong>de</strong>rungen erst in <strong>de</strong>n letzenJahren konkret gewor<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>shalb zu aktuell für eineliterarische Umsetzung sind, kann dabei nicht ausschlaggebendsein, <strong>de</strong>nn schließlich wer<strong>de</strong>n die "Neuen Medien"schon min<strong>de</strong>stens seit En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r sechziger Jahre ausgiebigund kontrovers diskutiert. Außer<strong>de</strong>m fin<strong>de</strong>n auch die schonlänger etablierten neuen Techniken <strong>de</strong>r Presse - sie lassensich mit <strong>de</strong>m Stichwort 'Computersatz' umreißen - nur wenigWi<strong>de</strong>rhall in <strong>de</strong>n von mir untersuchten Erzählungen.An<strong>de</strong>rs als diese technisch begrün<strong>de</strong>ten Verän<strong>de</strong>rungen wer<strong>de</strong>ndie zeitlosen und grundlegen<strong>de</strong>n Konflikte <strong>de</strong>r traditionellenMedien, insbeson<strong>de</strong>re Machtfragen und ihre gesellschaftlicheEingebun<strong>de</strong>nheit, in <strong>de</strong>n Erzähtexten sehr genauund differenziert beschrieben.Vor allem bei Autoren mit journalistischer Berufserfahrungsind sehr präzise Schil<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Berufsumfel<strong>de</strong>s zufin<strong>de</strong>n. Die Autoren zeigen die Arbeitsweise <strong>de</strong>r Redaktionen,das kollegiale Mit- und Gegeneinan<strong>de</strong>r am Arbeitsplatzund die Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen mit Vorgesetzten und Zwängen<strong>de</strong>r Medien. Diese genauen Darstellungen rücken die Machtstrukturenim Journalismus in <strong>de</strong>n Mittelpunkt und zeigen<strong>de</strong>n einzelnen Redakteur als von diesen strukturellen Zwängengeprägtes Individuum.Viele <strong>de</strong>r Autoren verfolgen in diesem Zusammenhang offenbaraufklärerische Absichten: Sie vermitteln Verständnis fürdie zunehmen<strong>de</strong>n Abhängigkeiten, <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r einzelne Journalistausgesetzt ist und damit auch für die daraus resultieren<strong>de</strong>,als unzureichend empfun<strong>de</strong>ne Berichterstattung.


In <strong>de</strong>r Mehrzahl <strong>de</strong>r untersuchten Texte bil<strong>de</strong>t die Beschreibungjornalistischer Arbeit einen Schwerpunkt <strong>de</strong>r Handlung.Themenwahl, Recherche und Nie<strong>de</strong>rschrift von Berichten wer<strong>de</strong>ndazu benutzt, die jeweils beschriebenen Redakteure undReporter zu charakterisieren und ihr Berufsverständnis zuzeigen. Gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r zentrale Prozeß <strong>de</strong>s Schreibens gibt <strong>de</strong>nAutoren in seiner Darstellung die Möglichkeit, <strong>de</strong>n Lesermit Bewußtseinsprozessen <strong>de</strong>s Journalisten zu konfrontierenund zugleich <strong>de</strong>n eigenen literarischen Produktionsprozeß zureflektieren.In fast allen Erzähltexten mit journalistischen Thementauchen Journalisten auch als Protagonisten auf. Obwohl siesehr individuell ausgestaltet sind, lassen sich wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong>Charaktermuster herausarbeiten. Daraus einen 'typischen'fiktiven Berufsvertreter zu konstruieren, wie esStefan Pannen versucht hat 680 ), halte ich allerdings fürunzuläassig, weil damit die Beobachtungen übermäßig uniformiertwür<strong>de</strong>n. Vielmehr kristalisieren sich eine Handvoll,zum Teil miteinan<strong>de</strong>r unvereinbarer Merkmale heraus,die zu einem groben Typenraster führen.Selbstbewußtsein und Egozentrik kennzeichnen "Macher" und"Gerissene". Sie verfolgen ihren Beruf mit unerbittlicherZielstrebigkeit und scheuen auch vor Risiken nicht zurück,um spektakuläre Storys zu recherchieren. Bei<strong>de</strong> Charaktergruppenverkörpern das traditionelle Bild <strong>de</strong>s Journalismus.Nicht selten sind ihre Vertreter Hel<strong>de</strong>nfiguren (Morlock inF.J. Wagners "Big Story") 681 ) o<strong>de</strong>r verkörpern undurchschaubareMännlichkeit (Hoffmann in Nicolas Borns "Die Fälschung").Nicht umsonst arbeiten diese 'Siegertypen' vorwiegendin großen Zeitschriftenredaktionen o<strong>de</strong>r beklei<strong>de</strong>nChefpositionen, <strong>de</strong>nn sie verfügen über in <strong>de</strong>r Realität nurdort vorfindbare Freiheiten (Siehe 3.5., These 1).Auch wer<strong>de</strong>n die klassischen Vorstellung <strong>de</strong>r 'Hel<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Rotation'<strong>de</strong>r neuen Mediensituation angepaßt. So sind die"Macher" keineswegs unangreifbar und wer<strong>de</strong>n nicht seltenals überheblich, gewissenlos o<strong>de</strong>r letztlich sogar hilflos(Klaus Buch in Martin Walsers "Ein fliehen<strong>de</strong>s Pferd")geschil<strong>de</strong>rt. Die "Gerissenen" neigen dazu, sich gelegentlichanzubie<strong>de</strong>rn und tragen Konflikte nur dann aus,wenn ihre eigene Position gefähr<strong>de</strong>t ist.680) Stefan Pannen: Die mutlosen Meinungsmacher, a.a.O.,S. 151681) Die Nennungen in Klammern sind zum Teil Beispiele.


Der Typ <strong>de</strong>s "Gerissenen" stellt eine Art Weiterentwicklung<strong>de</strong>s "Machers" in Hinblick auf die verän<strong>de</strong>rten Medien dar:Er reagiert dynamisch auf Verän<strong>de</strong>rungen und versteht es,die Medienstrukturen taktisch zu seinem Vorteil auszunutzen.Gera<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>n "Machern" lassen sich erste Formen <strong>de</strong>s'neuen', eingreifen<strong>de</strong>n Journalismus erkennen. So ist es <strong>de</strong>rMacher Hanno Fries (Hinrich Matthiesen: "Tombola"), <strong>de</strong>r imEingriff ins Geschehen seine eigentliche Berufsmotivationerkennt, und auch Morlock (F.J. Wagner: "Big Story") erkenntdie "Marktlücke <strong>de</strong>s investigative journalism" 682 ).Der Härte dieser bei<strong>de</strong>n Charaktergruppen sind die an<strong>de</strong>renProtagonisten als sensiblere Typen gegenüberzustellen. Dervon <strong>de</strong>n Autoren favorisierte Typ ist dabei <strong>de</strong>r "I<strong>de</strong>alist",<strong>de</strong>r einen vorbildlich recherchieren<strong>de</strong>n und angemessenenschreiben<strong>de</strong>n Journalismus vertritt. Gera<strong>de</strong> in Texten aus<strong>de</strong>n 70er Jahren sind diese Redakteure infolge <strong>de</strong>r EntwicklungenEn<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 60er Jahre vorbildlich engagiert und entwickelnkämpferische Ambitionen, wenn es darum geht, Parteifür Betroffene zu ergreifen und gegen Medienzensuranzukämpfen.Insbeson<strong>de</strong>re die weiblichen fiktiven Journalisten investierenviel Mühe und Geduld in eine möglichstangemessene Berichterstattung, die gelegentlich sogar überdas rein journalistische Interesse hinausgeht (IrmtraudMorgner).Das journalistische I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r Objektivität wird aber auchbei <strong>de</strong>n männlichen "I<strong>de</strong>alisten" weitgehend beibehalten, nurLaschen (Nicolas Born: "Die Fälschung") tendiert schließlichzu einer Anteil nehmen<strong>de</strong>n Position und erlangt einverän<strong>de</strong>rtes Berufsverständnis.Protagonisten, die diesen I<strong>de</strong>alismus zwar einmal vor Augenhatten, dann aber daran scheiterten, fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>nCharaktergruppen <strong>de</strong>r 'Angepaßten' und 'Aussteiger'.682) F.J. Wagner: Big Story, a.a.O., S. 290; mit dieserEntwicklung wird die Realität nachgebil<strong>de</strong>t, siehe Kapitel3.5., These 5.


Angepaßte verzichten auf Kampfgeist und Konflikt und ziehensich auf eine bequeme Position <strong>de</strong>s Machbaren zurück. Dabeisind sie gezwungen, parteiliche Berichterstattung und journalistischunehrenhafte Rücksichtnahmen zu akzeptieren.Diese Anpassung wird entwe<strong>de</strong>r offen zugegeben (Jostes inOtto Jägersbergs "Der Fernsehreporter unterwegs, hoppla")o<strong>de</strong>r hinter einer vor<strong>de</strong>rgründig i<strong>de</strong>alistischen Maske versteckt(Dohl in Wolfgang Eberts "Der Blattmacher"). 683 )Aussteiger ziehen die an<strong>de</strong>re mögliche Konsequenz aus enttäuschtemI<strong>de</strong>alismus: Sie fügen sich nicht, son<strong>de</strong>rn kehren<strong>de</strong>m Beruf <strong>de</strong>n Rücken. In <strong>de</strong>r Regel haben sie ihren Optimismusnicht eingebüßt und suchen Erfüllung in an<strong>de</strong>ren Berufen;nur wenige sehen auch darin keinen Ausweg und planeneinen Selbstmord, <strong>de</strong>r nur einem Protagonisten wirklichgelingt (Bo<strong>de</strong> in Gert Hei<strong>de</strong>nreichs "Der Ausstieg").Die fiktiven Journalisten wer<strong>de</strong>n nur in einem Teil <strong>de</strong>rTexte direkt dazu eingesetzt, Kritik am Journalismus zuliterarisieren - dies ist vor allem bei Autoren mit journalistischerVergangenheit bzw. journalistischem Hauptberuf<strong>de</strong>r Fall.Vor allem die Autoren, die sich vorrangig als Schriftstellerverstehen, nutzen das journalistische Metier inihren Erzähltexten, um beispielhaft gesellschaftliche Phänomenezu beschreiben.Offenbar eignen sich journalistische Figuren aufgrund ihresBeobachtungsvermögens und analytischer Fähigkeiten beson<strong>de</strong>rsgut dazu, gesellschaftliche Strukturen in <strong>de</strong>r Handlungsführungzu offenbaren und sowohl Zusammenhänge alsauch Handlungsperspektiven zu zeigen. Dies konnte in dieserArbeit beispielhaft an Nicolas Borns Roman "Die Fälschung"gezeigt wer<strong>de</strong>n, gilt aber auch für eine Reihe an<strong>de</strong>rer untersuchterTexte.Daß sich Journalismus und Literatur zunehmend gegenseitigbeeinflussen, wird in einer Vielzahl von Erzähltexten direktangesprochen. Nicht wenige <strong>de</strong>r journalistischen Protagonistenplanen, einen Roman zu schreiben o<strong>de</strong>r tun diestatsächlich.683) Hier wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Fiktion Konsequenzen aus <strong>de</strong>n Beschränkungenrealer Medienarbeit vorgeführt, vergleicheKapitel 3.5., Thesen 2 und 4.


Dabei wird thematisiert, was die bei<strong>de</strong>n Formen unterschei<strong>de</strong>t:Der Journalismus bleibt <strong>de</strong>r Aktualität verbun<strong>de</strong>n undkann nur begrenzt Hintergrün<strong>de</strong> und Zusammenhänge aufzeigen,die Literatur dagegen füllt genau diese Lücke, in<strong>de</strong>m sieaktualitätsunabhängig ist und Gefühle, Gedanken und weitläufigeHintergrün<strong>de</strong> mit einbezieht. Der Anspruch <strong>de</strong>rLiteratur ist insofern 'höher', als daß sie sich <strong>de</strong>n dauerhaftenStrukturkonflikten widmet o<strong>de</strong>r dies wenigstensanstrebt - zumin<strong>de</strong>st wird sie in <strong>de</strong>r Literaturkritik nachdiesem Maß beurteilt.In einigen Texten wird versucht, journalistische Formen inliterarische Texte einzubin<strong>de</strong>n, um damit größere Autentizitätzu erreichen. Deutlichstes Beispiel ist Dieter WellershoffsRoman "Einladung an Alle", <strong>de</strong>r eine neue Form <strong>de</strong>r"realistischen Literatur" einführt. Diese formalen Einflüsseauf die Literatur konnten in dieser Arbeit allerdingsnur ange<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n.Beson<strong>de</strong>rs intensiv ist das Verhältnis von Journalismus undLiteratur in <strong>de</strong>n Texten aus <strong>de</strong>r DDR. Weil dort <strong>de</strong>r Journalismusrigi<strong>de</strong>n staatlichen Beschränkungen unterworfen ist,übernimmt die Literatur zum Teil journalistische Aufgaben.684 )Die Schriftsteller in <strong>de</strong>r DDR bringen durchweg politischeKritik in ihre Erzähltexte ein, allerdings ist sie, je nachpolitischem Standort und befürchteten Zensurmaßnahmen, mehro<strong>de</strong>r weniger offen. Aber auch die kritischen Autoren wollenihre Kritik als konstruktiv verstan<strong>de</strong>n wissen und stellendie DDR-Politik nicht grundsätzlich in Frage - selbst dannnicht, wenn sie ihre Texte erst nach <strong>de</strong>r Übersiedlung in<strong>de</strong>n Westen schreiben (Brigitte Klump: "Das rote Kloster").Schriftsteller in <strong>de</strong>r DDR sind stärker als ihre westlichenKollegen mit politischer Realität konfrontiert. Wenn siesich entschei<strong>de</strong>n, die von ihren Lesern erwartete kritischePosition einzunehmen und zu gesellschaftlichen Fragen Stellungbeziehen, sind sie gezwungen, taktisches Geschick zuentwickeln. Denn nur, wenn ihre Texte in <strong>de</strong>r DDR auch erscheinendürfen, kann ihre Kritik die Adressaten erreichenund - möglicherweise - wirken.Zuletzt noch eine zusammenfassen<strong>de</strong> Schlußfolgerung, die ichpersönlich aus <strong>de</strong>r Beschäftigung mit <strong>de</strong>m Forschungsgegenstandziehe:684) Die Autoren nehmen insofern direkten Bezug auf dieDDR-Medienrealität, vergleiche Kapitel 3.5., These 6.


Informelle journalistische Strukturen lassen sich in wissenschaftlichenUntersuchungen kaum erfassen, weil dieseauf Befragungen basieren und damit lediglich das subjektiveSelbstbild <strong>de</strong>r Journalisten erfassen können.Erzähltexte mit journalistischen Themen bieten also Einblickin einen schwer mit objektiven Kriterien vermeßbarenBeruf. Die Autoren schreiben - wie diese Untersuchungzeigte - vorwiegend aus genauer Kenntnis <strong>de</strong>r internenStrukturen <strong>de</strong>s Journalismus. Ihr Bild <strong>de</strong>s Berufs und ihreKritik daran läßt <strong>de</strong>shalb besser als je<strong>de</strong>s statistische MaterialRückschlüsse auf Problemfel<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Medienrealitätzu.So bieten diese Erzähltexte neben literarischem Lesevergnügenauch unterhaltsam verpacktes und <strong>de</strong>nnoch verläßlichesWissen über die unsere Informationsgesellschaft zunehmendprägen<strong>de</strong>n Medien. Undzwar aus einer Sicht, die an<strong>de</strong>rs nichtzu bekommen ist: Von innen.


9. Anhang9.1. PrimärtexteJürgen Becker: Erzählen bis Osten<strong>de</strong>, Frankfurt am Main 1984Jurek Becker: Aller Welt Freund, Frankfurt am Main 1982,hier 1985Heinrich Böll: Doktor Murkes gesammeltes Schweigen, Köln1958, hier Köln 1987Heinrich Böll: Die verlorene Ehre <strong>de</strong>r Katharina Blum o<strong>de</strong>r:Wie Gewalt entstehen und wohin sie führenkann, Köln 1974, hier München 23 1978Heinrich Böll: Fürsorgliche Belagerung, Köln 1979, hierMünchen 1982Nicolas Born: Die Fälschung, Reinbek bei Hamburg 1979, hierReinbek 1986Jürgen Breest: Dünnhäuter, Frankfurt am Main 1979, hierFrankfurt am Main 1981Günter <strong>de</strong> Bruyn: Preisverleihung, Halle-Leipzig 1972, hierFrankfurt am Main 1982Friedrich Christian Delius: Ein Held <strong>de</strong>r inneren Sicherheit,Reinbek bei Hamburg 1981, hier Reinbek1984Ingeborg Drewitz: Gestern war Heute. Hun<strong>de</strong>rt Jahre Gegenwart,Düsseldorf 1978, hier München 1987Wolfgang Ebert: Der Blattmacher, München 1983Jörg Fauser: Rohstoff, Berlin o.J., hier Gütersloh o.J.Barbara Frischmuth: Kai und die Liebe zu <strong>de</strong>n Mo<strong>de</strong>llen,München 1985Christine Grän: Ein Brand ist schnell gelegt..., Thriller(Kriminalroman), Reinbek bei Hamburg 1989Christine Grän: Nur eine läßliche Sün<strong>de</strong>. Thriller (Kriminalroman),Hamburg 1988Gert Hei<strong>de</strong>nreich: Der Ausstieg, Frankfurt am Main, Berlin,


Wien 1982, hier Frankfurt am Main 1984Rainer Horbelt: Das Projekt E<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r die große Lüge <strong>de</strong>rFernseh-Macher, Frankfurt am Main 1984Otto Jägersberg: Der letzte Biß, in: Otto Jägersberg: Derletzte Biß. Geschichten aus <strong>de</strong>r Gegenwart,Zürich 1977, hier Zürich o.J.Otto Jägersberg: Der Fernsehreporter unterwegs, hoppla, in:Otto Jägersberg: Der letzte Biß. Geschichtenaus <strong>de</strong>r Gegenwart, Zürich 1977, hier Züricho.J.Hermann Kant: Das Impressum, Berlin (Ost) 1972, hier Frankfurtam Main 1972Paul Kersten: Absprung, Köln 1979, hier München 1985Brigitte Klump: Das rote Kloster. Eine <strong>de</strong>utsche Erziehung,Hamburg 1978, hier Hamburg 4 1986Herbert Lichtenfeld: Die Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Löwen, München o.J.,hier Berlin 1985Monika Maron: Flugasche, Frankfurt am Main 1981, hier 1987Hinrich Matthiesen: Tombola, München 1977, hier Augsburg1985Christoph Meckel: Licht, München 1978, hier Frankfurt amMain 1988Irmtraud Morgner: Bis man zu <strong>de</strong>m Kerne zu gelangen dasGlück hat, auch veröffentlicht im RomanAmanda, Darmstadt/Neuwied 1985 (im Roman1983)Jost Nolte: Eva Krohn o<strong>de</strong>r Erkundigungen nach einem Mo<strong>de</strong>ll,Frankfurt am Main 1976Mathias Nolte: Großkotz, Zürich 1984Eckhart Schmidt: Die Story, München 1984, gleichzeitig alsFilm erschienenGünter Seuren: Die fünfte Jahreszeit, Reinbek bei Hamburg1979Günter Seuren: Die Asche <strong>de</strong>r Davidoff, Reinbek bei Hamburg1985


Michael Springer: Bronnen, Hamburg 1981, hier München 1983Franz Josef Wagner: Big Story, München 1984Martin Walser: Ehen in Philippsburg, Frankfurt am Main1957, hier Frankfurt am Main 1985Martin Walser: Ein fliehen<strong>de</strong>s Pferd, Frankfurt am Main 1980Otto F. Walter: Die Verwil<strong>de</strong>rung, Reinbek bei Hamburg 1981Dieter Wellershoff: Einladung an alle, Köln 1972, hierFrankfurt am Main 19869.2. Sekundärtexte9.2.1. MonographienMichael Beckert: Untersuchungen am Erzählwerk HeinrichBölls. Themen - Gestalten - Aspekte. Inaugural-Dissertation,Erlangen-Nürnberg 1970Verena Blaum : I<strong>de</strong>ologie und Fachkompetenz. Das journalistischeBerufsbild in <strong>de</strong>r DDR, BibliothekWissenschaft und Politik, Band 34, Köln 1985Petru Dumitriu : Die neuen Medien, (Hei<strong>de</strong>lberger Wegweiser),Hei<strong>de</strong>lberg 1985James H. Dygert: The investigative Journalist, EnglewoodCliffs, New York 1976Karl d' Ester: Die Presse und ihre Leute im Spiegel <strong>de</strong>rDichtung. Eine Ernte aus drei Jahrhun<strong>de</strong>rten,Würzburg 1941Hans Heinz Fabris: Journalismus und bürgernahe Medienarbeit.Formen und Bedingungen <strong>de</strong>r Teilhabe angesellschaftlicher Kommunikation, Salzburg1979, Seite 31Bernward Frank / Walter Klinger: Die verän<strong>de</strong>rteFernsehlandschaft. Zwei Jahre ARD/ZDF-Begleitforschungzu <strong>de</strong>n Kabelpilotprojekten.


Schriftenreihe Media Perspektiven 7, Frankfurtam Main 1987Jürgen Friedrichs, Metho<strong>de</strong>n empirischer Sozialforschung,Opla<strong>de</strong>n 1980Erhard Friedrichsmeyer: Die satirische Kurzprosa HeinrichBölls, (University of North Carolina Studiesin the Germanie Languages and Literatures,97) Chapel Hill 1981Anneliese Große: Vom Werk <strong>de</strong>r Geschichte. Interview mitHermann Kant, in: Auskünfte. Werkstattgesprächemit DDR-Autoren, Berlin(Ost), Weimar,1974, S. 273-318Heinz Halbach: Zur Spezifik <strong>de</strong>s sozialistischen Journalismus.Fragen, Antworten, Überlegungen, Karl-Marx-Universität Leipzig, Sektion Journalistik,1979Hans Helmreich: Dieter Wellershoff, München 1982, Autorenbücher29Dieter Kimpel, Beate Pinkerneil (Hg.): Methodische Praxis<strong>de</strong>r Literaturwissenschaft. Mo<strong>de</strong>lle <strong>de</strong>r Interpretation,Kronberg/Ts. 1975Marina Knippel: Das Bild <strong>de</strong>s Journalisten in <strong>de</strong>r neueren<strong>de</strong>utschsprachigen Literatur: Von Angepassten,Aussenseitern und Aussteigern, Diplomarbeitan <strong>de</strong>r Universität Dortmund 1983Leonore Krenzlin: Hermann Kant. Leben und Werk, Berlin(Ost) 1979, hier: Berlin (West) 1979Leonore Krenzlin: Zu <strong>de</strong>n Unterlagen. Hermann Kant, Publizistik1975-1980, Berlin (Ost) / Weimar1981Stephen Lamb: Einladung an alle - Dokumentation und Wirklichkeit,in: R. Hinton Thomas: Der SchriftstellerDieter Wellershoff. Interpretationenund Analysen, Köln 1975Gisela Marx: Eine Zensur fin<strong>de</strong>t nicht statt. Vom Anspruchund Elend <strong>de</strong>s Fernseh-Journalismus, Reinbekbei Hamburg 1988Hermann Meyn: Massenmedien in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland,Berlin 1985


Stefan Pannen: Die machtlosen Meinungsmacher. Zur politischenRolle und zum Berufsbild <strong>de</strong>s Journalistenin <strong>de</strong>r Prosaliteratur <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublikDeutschland, Diplomarbeit, sozialwissenschaftlicheFakultät <strong>de</strong>r Ludwig-Maximilians-UniversitätMünchen, Sept. 1987Anette <strong>Peter</strong>sen: Die Rezeption von Bölls "Katharina Blum"in <strong>de</strong>n Massenmedien <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublikDeutschland, Kopenhagen/Nünchen 1980Walter von La Roche: Einführung in <strong>de</strong>n praktischen Journalismus.Mit genauer Beschreibung aller Ausbildungswege,9. neubearbeitete Auflage,München 1975Wilfried Scharf: Das Bild <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland in<strong>de</strong>n Massenmedie <strong>de</strong>r DDR, EuropäischeHochschulschriften, Reihe XXXI, Band 68,Frankfurt a.M. 1985Ferdinand Simoneit: Indiskretion Ehrensache. Ein Buch füralle, die Journalisten wer<strong>de</strong>n, und für alle,die Journalisten verstehen wollen, München1985Wolf Schnei<strong>de</strong>r: Unsere tägliche Desinformation. Wie dieMassenmedien uns in die Irre führen, Hamburg1984Cecilia von Studnitz: Kritik <strong>de</strong>r Journalisten. Ein Berufsbildin Fiktion und Realität, Dortmun<strong>de</strong>rBeiträge zur Zeitungsforschung, Band 36,München, New York, London, Paris 1983Gudrun Traumann: Journalistik in <strong>de</strong>r DDR. SozialistischeJournalsitik und Journalistenausbildung an<strong>de</strong>r Karl-Marx-Universität Leipzig, München-Pullach/Berlin 1971Eike H. Vollmuth: Dieter Wellershoff - Romanproduktion undanthrophologische Literaturtheorie. Zu <strong>de</strong>nRomanen 'Ein schöner Tag' und 'Die Schattengrenze',München 1979


9.2.2. Aufsätze, Rundfunkbeiträge, Zeitungs- undZeitschriftenartikelBemerkung: Zeitungsartikel wer<strong>de</strong>n in Verlagsarchivenin <strong>de</strong>r Regel ohne Angabe vonSeitenzahlen abgelegt. Wo ich auf Archivmaterialzurückgegriffen habe, ist <strong>de</strong>shalb auchhier keine Seitenbezeichnung angegeben.Herbert Ahl: Klima einer Gesellschaft. LiterarischeMarginalien, in: Diplomatischer Kurier, Heft2/1958, S. 16Birgitta Ashoff: Jürgen Becker: 'Erzählen bis Osten<strong>de</strong>', in:Bayerisches Fernsehen, Redaktion Kultur undNaturwissenschaften, Kunst und Literatur,Sendung: Bücher beim Wort genommen,1.11.1981, 22.05 Uhr, III. Programm.Jörg Aufermann: Rundfunkfreiheit und Programmausgewogenheit,in: Jörg Aufermann, Wilfried Scharf,Otto Schlie: Fernsehen und Hörfunk für dieDemokratie. Ein Handbuch über <strong>de</strong>n Rundfunk in<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland, Opla<strong>de</strong>n 2 1981Armin Ayen: Ein Frauenleben und fünfzig Jahre <strong>de</strong>utschesSchicksal. Ingeborg Drewitz und ihr Roman'Gestern war heute', in: Frankfurter AllgemeineZeitung, 17.10.1978Reinhard Baumgard: Unser Mann in Beirut. Nicolas Born: "DieFälschung", in: Der Spiegel, Nr. 46,12.11.1979, SW. 259-261Jürgen Becker (Zitat) in: Kölner Stadt-Anzeiger, 3.12.1981: Die Rückkehr <strong>de</strong>s Landschaftsmalers.Gespräch mit <strong>de</strong>m Kölner Schriftsteller JürgenBeckerWolfgang Bittner (mit Kurt B. Flaake): Zwei Romane, einThema. Die Journalisten und ihre Konflikte,in: Welt <strong>de</strong>r Arbeit, Nr. 25, 19.6.1980Wolfgang Bittner: Zwischen Atemnot und Überdruß", in NürnbergerNachrichten, 24./25.11.1979Hans B. Blumenberg: Kassiber aus <strong>de</strong>r Zwangsanstalt. Die Arbeitswelt<strong>de</strong>s Fernsehens in zwei Romanen, in:Die Zeit, 12.10.1979, Literatur, S. 4Manfred Bosch: Die Tötlichkeit <strong>de</strong>r inneren und <strong>de</strong>r äußeren


Zustän<strong>de</strong>. 'Der Ausstieg' von Gert Hei<strong>de</strong>nreichfragt nach <strong>de</strong>m Zustand unserer Gesellschaft,in: Die Tat, Nr. 29/1982, S. 11Wolfgang-Michael Böttcher: Von falsch verstan<strong>de</strong>ner Harmonie.Zu Jurek Beckers Roman 'Aller WeltFreund', in: Allgemeine jüdische Wochenzeitung,11. März 1983Vera Botterbusch: Ingeborg Drewitz "Gestern war Heute", in:Sendung <strong>de</strong>s Bayerischen Frnsehens: Bücherbeim Wort genommen. Kultur - Belletristik -Wissenschaft, vom 26.11.1978, III. Programm,22.10 UhrHelmut M. Braem: Im Zorn erzählt - und wie mit <strong>de</strong>r Faustgeschrieben. Heinrich Bölls neue Erzählung'Die verlorene Ehre <strong>de</strong>r Katharina Blum', in:Stuttgarter Zeitung, 17.9.1974Günter <strong>de</strong> Bruyn: Toleranz muß wachsen. Appell von DDR-AutorGünther [muß Günter heißen, P.B.] <strong>de</strong> Bruyn,in: Die Zeit, Nr. 6, 5.2.1988, S. 14Manfred Buchwald: Darstellungs- und Sen<strong>de</strong>formen, in: GerhardSchult/Axel Buchholz: Fernsehjournalismus.Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis,München, 2 1984Sibylle Cramer: Großmutter bis Enkelin. Ingeborg Drewitz'neuer Roman, in: Frankfurter Rundschau,19.10.1978, Seite 19Claus Detjen: Neue Medien, in: Koszyk/Pruys: Handbuch <strong>de</strong>rMassenkommunikation, Münche 1981, S. 207-211Helmut H. Die<strong>de</strong>richs: Daten zur Konzentration <strong>de</strong>rPublikumszeitschriften in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublikDeutschland im IV. Quartal 1986, in: MediaPerspektiven, 1987, Heft 8Gabriele Dietze: Anton Reiser auf Gotland. Paul KerstensRoman 'Der Absprung', in: Süd<strong>de</strong>utscheZeitung, 12.1.1980Margret Ebert: Hun<strong>de</strong>rt Jahre Frauenleben. Ingeborg Drewitz'Roman "Gestern war heute", in: DeutscheVolkszeitung, 30.11.1978


Walter Gallasch: Das beson<strong>de</strong>re Buch: Feldmanns sicherer Abstieg.Ein Mann vom Fernsehen schrieb einenRoman über das Fernsehen, in: NürnbergerNachrichten, 19.3.1979, S. 5Hermann Glaser: Spiel mit toten Seelen. Abgesang zwischen<strong>de</strong>n Übeln - Zu <strong>de</strong>m Roman-Debüt "Der Ausstieg"<strong>de</strong>s Essayisten Gert Hei<strong>de</strong>nreich, in: NürnbergerNachrichten, 28.5.1982<strong>Peter</strong> Glotz/Karl Hugo Pruys: Kommunikationspolitik, in:Kozyk/Pruys: Handbuch <strong>de</strong>r Massenkommunikation,a.a.O., S. 117-122Christiane Grefe und Marie-Luise Hauch-Fleck: "Mami, holPudding!" Mit Spielen, Fußball und Filmkonservensuchen die privaten Fernsehsen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nDurchbruch, in: Die Zeit, Nr.27, 1.7.1988,S.11ffUlrich Greiner: Dies bleibt uns. Nocolas Borns Roman "DieFälschung" und ein Nachwort, in: Merkur.Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken,34.Jg., 1980, S. 87-91Volker Hage: Alles zu wenig, alles zu spät. Steht die Kulturpolitik<strong>de</strong>r DDR vor einer Wen<strong>de</strong>?, in: DieZeit, Nr. 25, 17.6.1988, S. 38Volker Hage: Als Held eine Charge. Friedrich ChristianDelius' erster Roman, in: Frankfurter AllgemeineZeitung, 21.2.81Piet Hein: Autoren, Literatur und Publizistik in <strong>de</strong>r DDR:Sagbares und seine Grenzen (Literaturkritikvon Wissenschaftsliteratur über die DDR), in:Das Parlament, Nr. 25/26, 17./24.6.1988,S. 15Elke Herms-Bonhoff: Eine Frau zu je<strong>de</strong>r Jahreszeit, in:dasda avanti, Oktober 1978"HJT": Heinrich Böll und die (Bild-)Zeitung, Erzählung 'DieEhre <strong>de</strong>r Katharina Blum'/Rache am Sensations-Journalismus, in: Deister- und Weserzeitung,Hameln, 26.8.1974Martha Christine Körling: Doppeltes Versteckspiel auf <strong>de</strong>rFlucht vor <strong>de</strong>r Wirklichkeit. In seiner Novelle'Ein fliehen<strong>de</strong>s Pferd'beschreibt MartinWalser die Finten <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen Intellektuellen,in: Berliner Mor-genpost,4./5.5.1978


Werner Lambertz: Probleme <strong>de</strong>r weiteren journalistischen Arbeitnach Annahme <strong>de</strong>r sozialistischen Verfassung<strong>de</strong>r DDR. Schriftenreihe <strong>de</strong>s VDJ, Heft44, Berlin 1968, S. 29Christiane Landfried: Was private Radio- und Fernsehveranstalterbeachten müssen. Zum vierten Rundfunkurteil<strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverfassungsgerichts, in:Das Parlament, Nr 46-47, 15./22.11.1986Leitsätze <strong>de</strong>s Urteils <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverfassungsgerichts(BVerfG) vom 4.11.1986, 1 BvF 1/84, zumBeispiel abge-druckt in: Das Parlament, Nr.46-47, 15./22.11.1986Volker Lilienthal: Gegen die Welt aus zweiter Hand. Medienkritikin <strong>de</strong>r neueren Literatur, in: FrankfurterHefte, Heft 9, 9/1984, S. 69-72Volker Lilienthal: Hel<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Aufklärung? Auskunft überJournalisten in <strong>de</strong>r neueren Literatur (I),Medium 5/1984, S. 27Volker Lilienthal: Immer wie<strong>de</strong>r Journalisten. Bißchen flippen,in: Die Neue, Berlin, 25.6.1982, S. 27Monika Maron: Ein asymmetrisches Problem, offener Brief anJoseph von Westphalen, in: Die Zeit, BeilageZEITmagazin, Nr. 43, 16.10.1987, S. 6Monika Maron: Geformt durch die gleiche Kultur, offenerBrief an Joseph von Westphalen, in: Die Zeit,Beilage ZEITmagazin, Nr. 45, 30.10.1988, S. 6Alexan<strong>de</strong>r U. Martens: Das System ist schuld - wer sonst?Ein Abteilungsleiter beim Fernsehen schreibtüber einen Abteilungsleiter beim Fernsehen,in: Darmstädter Echo, 14.7.1979Marlies Menge: Briefe von Frauen. Ein Besuch bei Günter <strong>de</strong>Bruyn, in: Die Zeit, Nr. 47/1973, 16.11.1973,S. 66Hans-Bernhard Moeller: Ada or Ardor. A Family Chronicle,in: Kindlers Literatur Lexikon im DTV, Band24, München 1974, S. 10429-10430Josef Mühlberger: Am Schlüsselloch zu allen Türen, in:Eßlinger Zeitung, 6.12.1957N.N. (nicht namentlich gekennzeichnet): Falsch reingeeiert,in: Der Spiegel, Nr. 37/1988, S. 93-95


Angela Oelkers: Wer, bitte, sen<strong>de</strong>t hier? Wie die Leute vonRadio Korah <strong>de</strong>n Bankrott ignorieren, in: DieZeit, Nr. 38, 16.9.1988, S. 18Karl Hugo Pruys: Ausgewogenheit, in: Koszyk/Pruys: Handbuch<strong>de</strong>r Massenkommunikation, a.a.O., S. 16-19Elsbeth Pulver: Otto F. Walter, in: Kritisches Lexikon zur<strong>de</strong>utssprachigen Gegenwartsliteratur, siehedort.Marcel Reich-Ranicki: Der Durchbruch zum Schmerz, zum Sehen.Nicolas Borns Roman 'Die Fälschung', in:Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.10.1979,LiteraturbeilageMarcel Reich-Ranicki: Martin Walsers Rückkehr zu sichselbst. Seine beschei<strong>de</strong>nste und überzeugendsteArbeit: die Novelle 'Ein fliehen<strong>de</strong>sPferd', in: Frankfurter Allgemeine Zeitung,4.3.1978Marcel Reich-Ranicki: Neuer Realismus in <strong>de</strong>r DDR. I. Günter<strong>de</strong> Bruyns zwei verschie<strong>de</strong>ne Schuhe, in:Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäischesDenken, Heft 12, 1973, S. 1169-1174,Stephan Reinhardt: Zum wirklichen Leben. Nicolas Borns Roman"Die Fälschung", in: Frankfurter Rundschau,3./4.11.1979, S. IIIngrid Scheithauer: Im "Media Monopoly" hat SAT1 die Nasevorn. Der Kampf <strong>de</strong>r privaten Fernsehsen<strong>de</strong>r umhöhere Einschaltquoten und Werbeeinnahmen,in: Frankfurter Rundschau, Nr. 199,27.8.1988, S. 6Wolf Scheller: Die verlorene Ehre <strong>de</strong>r Katharina Blum,Einige Bemerkungen zu <strong>de</strong>m neuesten Buch vonHeinrich Böll, in: General-Anzeiger, Bonn,23.8.1974Holger Schlod<strong>de</strong>r: Nichts als Sex und Suff im Sen<strong>de</strong>r, in:Hei<strong>de</strong>lberger Tageblatt, 5.10.1979Aurel Schmidt: Martin Walser, das Lei<strong>de</strong>n und das Eingespielte,in: Basler Zeitung, 4.2.1978Cordt Schnibben: Seid ihr alle da? Nach <strong>de</strong>m Fußball-Coup:Nun kommen die Privaten - aber womit? EinBlick in die tägliche Nachrichtenschau vonRTL-plus, in: Die Zeit, Nr. 25, 17.6.1988,S. 55


Uwe Schultz: Der Mensch auf <strong>de</strong>r Flucht und ein fliehen<strong>de</strong>sPferd. Martin Walser:'Ein fliehen<strong>de</strong>s Pferd',Suhrkamp-Verlag, in: Sendung <strong>de</strong>s SFB,18.5.1978, Sen<strong>de</strong>manuskript S. 13Volker Schulze: Ten<strong>de</strong>nzschutz, in: Koszyk/Pruys: Handbuch<strong>de</strong>r Massenkommunikation, a.a.O., S. 310-312Walter J. Schütz: Zeitungen in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland.In: Das Parlament, 34, 1984, Nr. 37Dorothee Sölle: Heinrich Böll und die Eskalation <strong>de</strong>rGewalt, in: Merkur, Heft 316, 1974, S. 885-887Joseph Vogel: Mischung aus Betroffenheit und Überdruß. GertHei<strong>de</strong>nreichs Roman 'Der Ausstieg' im ClaasenVerlag, in: Mannheimer Morgen, 1.10.1982Jürgen P. Wallmann: Kalte Abrechnung mit einer Hetzkampagne,Zu Heinrich Bölls neuer Erzählung 'Dieverlorene Ehre <strong>de</strong>r Katharina Blum', in:Badische Zeitung, 10.11.1974<strong>Peter</strong> Wapnewski: Männer auf <strong>de</strong>r Flucht. Die Unmöglichkeit,sich zu entgehen, in: Deutsche Zeitung,15.3.1978Siegfried Weischenberg: Journalismus, in: Koszyk/Pruys:Handbuch <strong>de</strong>r Massenkommunikation, a.a.O., S.96-99Siegfried Weischenberg: Pressetechnik, in: Koszyk/Pruys:Handbuch <strong>de</strong>r Massenkommunikation, a.a.O., S.249-254Wolfgang Werth: Jagdszenen aus Nie<strong>de</strong>rsachsen. DieterWellershoffs Dokumentar-Roman 'Einladunganalle', in: Die Zeit, Nr. 39, 29.9.1972Jürgen Werth: Über Jurek Becker, in <strong>de</strong>r Sen<strong>de</strong>reihe "AmAbend vorgestellt": "...daß Fortschritt auchin Ernüchterung bestehen kann", WDR, Abt.Kultur und Wissenschaft (Red.: BrigitteGranzow), 7.12.1981, 22.30-23 Uhr, 3. Progr.Joseph von Westphalen: Wie man Wahrheit verpackt, offenerBrief an Monika Maron, in: Die Zeit, BeilageZEITmagazin, Nr. 46, 6.11.1987


Gabriele Wiechatzek: Bei<strong>de</strong>rseitige "Abrüstung" ist dringendgeboten. Journalistische Leistung muß Vorrangvor parteipolitischem Lager<strong>de</strong>nken im Öffentlich-rechtlichenRundfunk haben, in: DasParlament, Nr. 40-41, 30.9./7.10. 1988, S. 9Günter Zehm: Heinrich <strong>de</strong>r Grätige. Macht Bölls neue ErzählungStimmung für ein restriktives Pressegesetz?in: Die Welt, 16.8.19749.2.3. Nachschlagewerke, HandbücherJörg Aufermann, Wilfried Scharf, Otto Schlie (Hg.): Fernsehenund Hörfunk für die Demokratie. Ein Handbuchüber <strong>de</strong>n Rundfunk in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublikDeutschland, Opla<strong>de</strong>n 2 1981Klaus Brepohl: Lexikon <strong>de</strong>r neuen Medien. Von Abonnement-Fernsehen bis Zweiwegkommunikation, Köln 1985Brockhaus Enzyklopädie in zwanzig Bän<strong>de</strong>n, 17. völligneubearbeitete Auflage, Wiesba<strong>de</strong>n 1970ff.;Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bän<strong>de</strong>n,19. völlig neu bearbeitete Auflage,Mannheim 1988 (bislang erste fünf Bän<strong>de</strong> erschienen)KLG: Kritisches Lexikon <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschsprachigen Gegenwartsliteratur, Hg.: Ludwig Arnold, München 1978(mit Nachlieferungen)Heijo Klein: DuMont's kleines Sachwörterbuch <strong>de</strong>r Drucktechnikund grafischen Kunst, Köln 1975, hierKöln 1981Kurt Koszyk / Karl Hugo Pruys: Handbuch <strong>de</strong>r Massenkommunikation,München 1981Langenscheidts Taschenwörterbuch <strong>de</strong>r Englischen undDeutschen Sprache, Hg. von Edmund Klatt,Dietrich Roy, 6. Neubearbeitung,Berlin/München 1970


Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 9. völlig neu bearbeiteteAuflage, Bibliographisches Institut,Mannheim, Wiern, Zürich, 25 Bän<strong>de</strong>, Mannheim1975 (und später)Gero von Wilpert: Sachwörterbuch <strong>de</strong>r Literatur, Stuttgart61979Kurt Weichler (Hg.): Ratgeber für freie Journalisten.Ein Handbuch, Berlin 1987Wörterbuch <strong>de</strong>r sozialistischen Journalistik, Karl-Marx-UniversitätLeipzig, 19819.2.4. Briefe an <strong>de</strong>n VerfasserJürgen Breest: Brief vom 31.10.1988Friedrich Christian Delius: Brief vom 5.12.1988Gert Hei<strong>de</strong>nreich: Brief vom 8.11.1988Eckhart Schmidt: Brief vom 9.10.1988


Ei<strong>de</strong>sstattliche VersicherungHiermit versichere ich, daß ich diese Hausarbeit selbstständigverfaßt und keine an<strong>de</strong>ren Quellen und Hilfsmittelals die angegebenen benutzt habe. Alle wörtlich o<strong>de</strong>r sinngemäß<strong>de</strong>n Schriften an<strong>de</strong>rer entnommenen Stellen habe ichunter Angabe <strong>de</strong>r Quellen kenntlich gemacht.Göttingen, <strong>de</strong>n 31.1.1989

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