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„Als Schuldner nackt an den Pranger gestellt, leidet ein Land“1 – die ...

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DIE GRIECHISCHE UND EUROPÄISCHE STAATSSCHULDENKRISE 27gen Rücktritt von Präsi<strong>den</strong>t Pap<strong>an</strong>dreou und dem <strong>an</strong>schliessen<strong>den</strong> Wahldebakel derbei<strong>den</strong> bisherigen, domin<strong>an</strong>ten (konservativen und sozialdemokratischen) Parteien.Die griechische Regierung geriet jedoch nicht nur von innen, sondern auch vonaussen unter zunehmen<strong>den</strong> Druck. So gewährten <strong>die</strong> Gläubiger, unter der Führungder Europäischen Kommission (EC), der Europäischer Zentralb<strong>an</strong>k (EZB) und desInternationalen Währungsfonds (IWF), <strong>die</strong> zugesagte Fin<strong>an</strong>zhilfe nur in vierteljährlichenTr<strong>an</strong>chen, <strong>die</strong> jeweils erst nach <strong>ein</strong>gehender Kontrolle und <strong>ein</strong>em positiven Bericht<strong>ein</strong>er Experten- und Fin<strong>an</strong>zkontrollkommission der sogen<strong>an</strong>nten Troika (ausEC, EZB und IWF) ausbezahlt wur<strong>den</strong>. Diese vierteljährlichen Fin<strong>an</strong>zkontrollen sowie<strong>die</strong> unrealistischen S<strong>an</strong>ierungsziele und Fin<strong>an</strong>zbedürfnisse, <strong>die</strong> fortlaufend nachunten (Sparziel) bzw. nach oben (Fin<strong>an</strong>zierungsbedarf, Zeithorizont der Hilfe) revi<strong>die</strong>rtwer<strong>den</strong> mussten, trugen zur zunehmen<strong>den</strong> Verunsicherung der Fin<strong>an</strong>zmärkteund zur Ausweitung der Staatsschul<strong>den</strong>krise auf <strong>an</strong>dere europäische Länder bei. Somusste das erste, im Mai 2010 gewährte Fin<strong>an</strong>zhilfeprogramm für Griechenl<strong>an</strong>d (imUmf<strong>an</strong>g von 110 Milliar<strong>den</strong> Euro) durch mehrere weitere Notprogramme ergänztund ausgeweitet wer<strong>den</strong>. Der „Sinn“ <strong>die</strong>ser Fin<strong>an</strong>zhilfen best<strong>an</strong>d in erster Linie darin,<strong>ein</strong>e formelle („technische“) Zahlungsunfähigkeit des L<strong>an</strong>des zu verhindern undGriechenl<strong>an</strong>d <strong>ein</strong>e „geordnete“ Be<strong>die</strong>nung der Kredite zu ermöglichen.Ein Blick zurück zeigt, dass der griechische Staat seit l<strong>an</strong>gem überschuldet ist unddass das hohe („strukturelle“) Budgetdefizit in der Verg<strong>an</strong>genheit eher <strong>die</strong> Norm als<strong>die</strong> Ausnahme bildete. Entsprechend hoch lag <strong>den</strong>n auch über <strong>die</strong> gesamten letztenzw<strong>an</strong>zig Jahre hinweg <strong>die</strong> Schul<strong>den</strong>lastquote, der Prozent<strong>an</strong>teil der Staatsschul<strong>den</strong> amBruttoinl<strong>an</strong>dprodukt. Dieser Risikoindikator, der das Vorh<strong>an</strong><strong>den</strong>s<strong>ein</strong> von Schul<strong>den</strong>undSolvenzproblemen <strong>an</strong>zeigt, ist auch <strong>ein</strong>er der zentralen Stabilitätskriterien, <strong>die</strong> <strong>die</strong>EU-Länder im Rahmen der europäischen Währungsunion ver<strong>ein</strong>bart haben. Seit Einführungdes Euro <strong>–</strong> aber auch bereits l<strong>an</strong>ge zuvor <strong>–</strong> überstieg <strong>die</strong> Schul<strong>den</strong>lastquoteGriechenl<strong>an</strong>ds durchwegs und in erheblichem Ausmass <strong>die</strong> von der EU festgelegteMaximalgrenze von 60%. Aufgrund des in <strong>den</strong> Jahren vor Ausbruch der globalen Fin<strong>an</strong>zkrisevon 2008-09 erzielten (bzw. in der Statistik ausgewiesenen) Wirtschaftswachstumsblieb <strong>die</strong> Schul<strong>den</strong>lastquote trotz der Budgetdefizite und der wachsen<strong>den</strong>Staatsschul<strong>den</strong> l<strong>an</strong>ge Zeit relativ konst<strong>an</strong>t, wenngleich sich der Wert auf <strong>ein</strong>em sehrhohen Niveau von ca. 100% bewegte.Trotz <strong>die</strong>ser konst<strong>an</strong>t hohen potentiellen Krisengefährdung bzw. des Insolvenzrisikosblieb Griechenl<strong>an</strong>d in <strong>den</strong> letzten vierzig Jahren erstaunlicherweise von <strong>ein</strong>er(offenen) Staatsschul<strong>den</strong>krise verschont. Dies obgleich seit <strong>den</strong> Siebzigerjahren immerwieder Länder in <strong>die</strong> Schul<strong>den</strong>falle gerieten und faktisch zahlungsunfähig wur<strong>den</strong>.Eine solche Phase gehäufter Zahlungsschwierigkeit ereignete sich Anf<strong>an</strong>g der1980er Jahre, als über 40 Länder v.a. aus Lat<strong>ein</strong>amerika aber auch aus Ost- und Südosteuropa(wie beispielsweise Polen, Jugoslawien, Rumänien oder <strong>die</strong> Türkei) mitZahlungsproblemen und Überschuldung konfrontiert waren. Aber auch <strong>die</strong> 1990er


28 CHRISTIAN SUTERJahre verzeichneten mehrere Fälle von Fin<strong>an</strong>z- und Staatsschul<strong>den</strong>krisen, etwa <strong>die</strong>„Tequilakrise“ in Mexiko (1994-95), <strong>die</strong> ostasiatische, russische und brasili<strong>an</strong>ischeKrise (1997-98) und schliesslich <strong>die</strong> „T<strong>an</strong>gokrise“ in Argentinien und Uruguay mitihrem Höhepunkt in <strong>den</strong> Jahren 2001-02. Im Unterschied zur Krise der 1980er Jahreh<strong>an</strong>delt es sich jedoch dabei um lokal begrenzte Krisen, <strong>die</strong> relativ rasch beigelegtwer<strong>den</strong> konnten. Neben der grossen Schul<strong>den</strong>krise der 1980er Jahre ist der argentinischeStaatsb<strong>an</strong>krott von 2001-02 von besonderem Interesse: Im Unterschied zu <strong>an</strong>deren<strong>Schuldner</strong>länder suchte Argentinien k<strong>ein</strong>e Fin<strong>an</strong>zhilfe bei <strong>den</strong> Gläubigern oderdem IWF, sondern erklärte sich <strong>ein</strong>seitig als zahlungsunfähig und erreichte so von<strong>den</strong> Gläubigern <strong>ein</strong>e Abschreibung mit <strong>ein</strong>en Schul<strong>den</strong>verzicht von 75%.Geht m<strong>an</strong> historisch noch weiter zurück, erweist sich das moderne Griechenl<strong>an</strong>dseit s<strong>ein</strong>er Unabhängigkeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts als ausgesprochenes Krisenl<strong>an</strong>d,was s<strong>ein</strong>e Staatsschul<strong>den</strong> <strong>an</strong>bel<strong>an</strong>gt. Bis heute erlebte das L<strong>an</strong>d vier (kurze)Boomphasen ausländischer Kreditaufnahme, <strong>die</strong> letztlich alle in <strong>den</strong> Staatsb<strong>an</strong>krottmündeten. Dabei fallen <strong>die</strong> Staatsschul<strong>den</strong>krisen Griechenl<strong>an</strong>ds immer zusammenmit generellen Krisenphasen der Weltwirtschaft.So erfolgte <strong>die</strong> erste Staatsschul<strong>den</strong>krise Griechenl<strong>an</strong>ds 1826, nur kurz nach Ausbruchder griechischen Revolution, <strong>die</strong> zur Loslösung und Unabhängigkeit des L<strong>an</strong>desvom Osm<strong>an</strong>ischen Reich führte. Neben Griechenl<strong>an</strong>d suspen<strong>die</strong>rten damals verschie<strong>den</strong>e<strong>an</strong>dere Staaten ihre Ausl<strong>an</strong>dsschul<strong>den</strong> (darunter Sp<strong>an</strong>ien, Kolumbien, Mexiko,Brasilien und Peru). Die von der griechischen Regierung suspen<strong>die</strong>rten Ausl<strong>an</strong>dschul<strong>den</strong>beliefen sich auf 3 Mio. £ und waren für <strong>den</strong> Kauf von Rüstungsgüternfür <strong>den</strong> Unabhängigkeitskrieg bestimmt; erst fünfzig Jahre später, im Jahre 1878 erreichteGriechenl<strong>an</strong>d mit <strong>den</strong> Gläubigern <strong>ein</strong>e Regelung <strong>die</strong>ser Ausl<strong>an</strong>dsschul<strong>den</strong>,wobei <strong>die</strong> Gläubiger auf 90% ihrer Forderungen verzichteten.Mit <strong>die</strong>ser Regelung erhielt <strong>die</strong> griechische Regierung wieder Zug<strong>an</strong>g zu <strong>den</strong> internationalenKapitalmärkten. Zwischen 1879 und 1890 nahm Griechenl<strong>an</strong>d sechsAusl<strong>an</strong>ds<strong>an</strong>leihen auf. Die Gelder wur<strong>den</strong> v.a. zur Fin<strong>an</strong>zierung der laufen<strong>den</strong> Budgetdefiziteund zur Aufrechterhaltung der Schul<strong>den</strong><strong>die</strong>nstzahlungen verwendet. Eserstaunt deshalb nicht, dass das L<strong>an</strong>d nach kurzer Zeit, zu Beginn der 1890er Jahre,mit Ausl<strong>an</strong>dsschul<strong>den</strong> von 22 Mio. £ zum zweiten Mal zahlungsunfähig wurde. Wie1826 war auch <strong>die</strong>se Schul<strong>den</strong>krise mit <strong>ein</strong>er globalen Fin<strong>an</strong>zkrise verknüpft, <strong>die</strong> u.a.zum B<strong>an</strong>krott des Londoner B<strong>an</strong>khauses Barings führte. Neben Griechenl<strong>an</strong>d warenauch Argentinien (das damals mit Abst<strong>an</strong>d grösste <strong>Schuldner</strong>l<strong>an</strong>d), Portugal, Brasilien,Uruguay, Venezuela, Kolumbien und Serbien von <strong>ein</strong>er Staatsschul<strong>den</strong>krise betroffen.Nach l<strong>an</strong>gwierigen fünfjährigen Verh<strong>an</strong>dlungen mit <strong>den</strong> Gläubigern akzeptierte<strong>die</strong> griechische Regierung <strong>ein</strong>e Schul<strong>den</strong>regelung, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Errichtung <strong>ein</strong>er internationalenFin<strong>an</strong>zkontrolle b<strong>ein</strong>haltete. Dabei trat <strong>die</strong> griechische Regierung derSchul<strong>den</strong>kontrollstelle <strong>die</strong> Erträge verschie<strong>den</strong>er Staatsmonopole ab, so etwa <strong>die</strong> Ein-


DIE GRIECHISCHE UND EUROPÄISCHE STAATSSCHULDENKRISE 29künfte aus dem Tabak- und Salzmonopol, <strong>den</strong> Stempelsteuern sowie <strong>den</strong> Zoll<strong>ein</strong>künftendes wichtigen Hafens von Piräus.Die dritte Krisenepisode Griechenl<strong>an</strong>ds erfolgte in Zusammenh<strong>an</strong>g mit der Weltwirtschaftskrisezu Beginn der 1930er Jahre. Wie viele <strong>an</strong>dere Länder <strong>–</strong> darunterDeutschl<strong>an</strong>d, Österreich, Rumänien, Jugoslawien, Polen, Ungarn, Brasilien, Mexiko,Chile, Kolumbien, Peru <strong>–</strong> war <strong>die</strong> griechische Regierung nicht mehr im St<strong>an</strong>de, <strong>die</strong>aufgelaufenen Staatsschul<strong>den</strong> (im Umf<strong>an</strong>g von ca. 380 Mio. $) zu be<strong>die</strong>nen und suspen<strong>die</strong>rteim April 1932 alle Zins- und Amortisationszahlungen. Erst mehr als dreissigJahre später, Mitte der 1960er Jahre, kam es zu <strong>ein</strong>er Regelung <strong>die</strong>ser Altschul<strong>den</strong>.Allerdings hatte das L<strong>an</strong>d bereits vor <strong>die</strong>ser Schul<strong>den</strong>regelung aufgrund s<strong>ein</strong>er grossenstrategischen Bedeutung im Kalten Krieg von grosszügigen Fin<strong>an</strong>zhilfen der USAprofitiert.Die gegenwärtige Strategie der Gläubiger und der griechischen Regierung zur Lösungder Staatsschul<strong>den</strong>krise erinnern <strong>an</strong> <strong>die</strong> Situation Griechenl<strong>an</strong>ds während derKrise der 1890er Jahre, aber auch <strong>an</strong> <strong>die</strong> lat<strong>ein</strong>amerik<strong>an</strong>ische Schul<strong>den</strong>krise der1980er Jahre. So ähnelt <strong>die</strong> derzeit von der Troika durchgeführte Fin<strong>an</strong>zkontrollestark der 1898 von <strong>den</strong> Gläubigern <strong>ein</strong>gesetzten externen Schul<strong>den</strong>- und Fin<strong>an</strong>zverwaltung.Wie damals verstricken sich Gläubiger und <strong>Schuldner</strong> dabei in l<strong>an</strong>gwierigenUmschuldungsverh<strong>an</strong>dlungen, <strong>an</strong>statt <strong>ein</strong>en raschen Schul<strong>den</strong>schnitt zu ver<strong>ein</strong>baren.Der Preis <strong>die</strong>ser wiederholten Umschuldungen und Restrukturierungen ist jedoch<strong>ein</strong>e Verlängerung des Lei<strong>den</strong>sweges: Griechenl<strong>an</strong>d (und Europa) droht <strong>ein</strong> l<strong>an</strong>gwieriger,schmerzhafter Anpassungsprozess, ähnlich demjenigen der lat<strong>ein</strong>amerik<strong>an</strong>ischenLänder während ihres „verlorenen Jahrzehnts“ nach der globalen Staatsschul<strong>den</strong>krisevon 1982-83.

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