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Von KH Käsinger - Gesellschaft für Nordhessische Mundarten

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8 Der Mundart-Kurier 12 / 2008<br />

D’r Erlkeenig <strong>Von</strong> Christejahn Duckefedd (1910)<br />

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?<br />

(So lossen, so lossen doch rieden!)<br />

Es ist der Vater mit seinem Kind.<br />

(Der kunnde ’ne Droschke sich mieden!)<br />

Er hat den Knaben wohl in dem Arm,<br />

(Sall hä’n uffen Buckel sich hangen?)<br />

Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.<br />

(Das kann me vunn’n Vadder verlangen!)<br />

„Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?“<br />

(Was siehd hä bi schdockfinsteren Himmel?)<br />

„Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?<br />

(Der Junge hodd, glauw’ ich, en Fimmel!)<br />

Den Erlenkönig mit Kron’ und Schweif?“<br />

(Ne Krone wohl, awwer kinn Schwänzchen!)<br />

„Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.“<br />

(Du faselst, minn liewes Hänschen!)<br />

„Du liebes Kind, komm geh’ mit mir!<br />

(Der Junge, der äß doch in Läddschen!)<br />

Gar schöne Spiele spiel ich mit dir!<br />

(Das Kend sall Kahrden nidd bläddschen!)<br />

Manch bunte Blume wächst an dem Strand,<br />

(Die hodd hä d’rheime in Dibben!)<br />

Meine Mutter hat manch gülden Gewand.“<br />

(Dodrimm’ bruchd hä au nidd ze hibben!)<br />

„Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,<br />

(So loß doch in Ruh dinnen Ahlen!)<br />

Was Erlenkönig mir leise verspricht?“<br />

(Glich wedde de Schnudde wohl hahlen?)<br />

„Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind!<br />

(Sunst gewwed’s verhafdich noch Schmisse!)<br />

In dürren Blättern säuselt der Wind.“<br />

(Mä sinn an d’r Schwanenwisse.)<br />

Elsebach – der Respektlose<br />

Unter dem Pseudonym „Christejahn<br />

Duckefedd“ – siehe oben – verbirgt sich<br />

der Kasseler Autor Hermann Elsebach<br />

(s. S. 15, „Blick zurück“).<br />

Elsebach war ein respektloser Spötter:<br />

So schrieb er zu Heinrich Jonas’<br />

ernstem, kunstvollem Gedicht „O<br />

Mensch, du dinne Augen uff“ (s. MAK<br />

1, S. 11) die Persiflage „O Mensch,<br />

knibb dinne Augen zu“.<br />

Elsebach nimmt ausdrücklich auf Jonas’<br />

Gedicht Bezug. In der zweiten Strophe<br />

seines „Gegengedichts“ heißt es:<br />

Was d’r Jonas dodrinne geschrewwen<br />

hodd,<br />

Das äß de Wohrheid, ganz ohne Schbodd!<br />

Un doch, d’s Dingen rimmegedrehd,<br />

Me dann d’n Sinn erschd rechd verschdehd.<br />

Un rimmegedrehd, do honn mä nu:<br />

„O Mensch, knibb dinne Augen zu!“<br />

Auch Goethe kommt nicht ungeschoren<br />

davon – siehe Elsebachs obige<br />

Persiflage auf die Ballade „Erlkönig“.<br />

Auch hier wird rimmegedrehd: Der<br />

Originaltext wird zwar belassen, aber<br />

durch einen Zweittext kräftig gegen<br />

den Strich gebürstet.<br />

Elsebachs „Erlkeenig“ ist <strong>für</strong> den<br />

Vortrag durch zwei Personen gedacht.<br />

Linksbündig ist Goethes Originaltext<br />

gesetzt, der durch einen Hochdeutschsprecher<br />

vorzutragen ist; eingerückt<br />

„Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?<br />

(Midd dä? Wohenne, du Driewer?)<br />

Meine Töchter sollen dich warten schön!<br />

(Der Junge geheerd nidd bi Wiewer!)<br />

Meine Töchter führen den nächtlichen Reih’n<br />

(Die Mäderchen g’heeren in’s Bedde!)<br />

Und wiegen und tanzen und singen dich ein!“<br />

(Minne schnarchen schund imme de Wedde!)<br />

„Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort<br />

(Nu hahl awwer bahle de Klabbe!)<br />

Erlkönigs Töchter am düsteren Ort?“<br />

(Baß uff! Wenn ich dä einen schnabbe!)<br />

„Mein Sohn, mein Sohn, ich seh’ es genau,<br />

(D’r Ahle geheerd bi de Kälwer!)<br />

Es scheinen die alten Weiden so grau!“<br />

(Ich glauwe, hä firchded sich selwer!)<br />

„Ich liebe dich! – Mich reizt deine schöne Gestalt!<br />

(Hä äß doch in Diecher gewickeld!)<br />

Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt!“<br />

(Jetzd hodd sich d’r Junge verschdickeld!)<br />

„Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!<br />

(Dinn Ahler häld dich doch blos feste!)<br />

Erlkönig hat mir ein Leid’s getan!“<br />

(En richdiger Unleid bäste!)<br />

Dem Vater grauset’s. – Er reitet geschwind.<br />

(Ich sahde’s je schund: hä hodd Bange.)<br />

Er hält in den Armen das ächzende Kind.<br />

(So Umschdänne machd’ ich nidd lange!)<br />

Erreicht den Hof mit Müh’ und Not!<br />

(Jetzd kann hä’n awwer verdreschen!)<br />

Und – kommt doch noch pünktlich zum Abendbrot!<br />

(Ach! – dodrimme hodd hä gekreschen!)<br />

Mundart: Kassel<br />

und in Klammern gesetzt sind Elsebachs<br />

Zusätze, mit denen ein Mundartschnuddler<br />

die jeweils vorhergehende<br />

Zeile mehr oder weniger scharfsinnig<br />

kommentiert.<br />

Goethes Text läßt Elsebach unangetastet<br />

– bis auf die letzte Zeile. Sie<br />

heißt im Original: „In seinen Armen<br />

das Kind war tot.“<br />

Wer Spaß an solch schimpflichem<br />

Umgang mit unseren Großen hat, der<br />

mag sich einmal im Duett am „Erlkeenig“<br />

versuchen! (Nicht zu berücksichtigen<br />

braucht er dabei Elsebachs konsequentes<br />

Vermeiden des Dativ-m. Zu<br />

diesem merkwürdigen Phänomen ein<br />

andermal mehr.) W.G.

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