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Von KH Käsinger - Gesellschaft für Nordhessische Mundarten

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Der Mundart-Kurier<br />

Nr. 12 / April 2008 Mitteilungen der <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Nordhessische</strong> <strong>Mundarten</strong> e.V.<br />

Nee, nee, hä sifft nit<br />

Warum Pfarrer Dieter Otto im Ruhestand nicht mehr so gaagen muss <strong>Von</strong> Reinhard Berger<br />

„Sifft hä dann?“<br />

Titel des ersten Mundartbuches von<br />

Pfarrer Dieter Otto<br />

SCHWALM-EDER. Ach ja, der Opa.<br />

Ein Glück, dass der so schwerhörig<br />

war. „Ich habe immer gegaaget,<br />

dass der mich überhaupt verstehen<br />

konnte.“ Damals war Dieter Otto<br />

noch Enkel und brauchte dank seines<br />

Trainings nie ein Mikrofon. Heute<br />

muss er nicht mehr brüllen. Er ist im<br />

Ruhestand, und seine Frau Rosemarie<br />

versteht ihn auch so ganz gut. Wir<br />

haben seinen letzten und seinen ersten<br />

Tag beobachtet.<br />

Dieter Otto, Pfarrer, zuletzt 25 Jahre<br />

in Metze, Ermetheis und Gleichen.<br />

63 Jahre, Mundartspezialist, Buchautor.<br />

Ruheständler.<br />

Uttershausen hat einen Promi, und<br />

zwar gleich neben dem Krizzebäumchen.<br />

Dort an der alten Buche, wo sich<br />

die Wege kreuzen, da hat der i.R. sein<br />

Häuschen. Er blickt direkt auf die Urheimat<br />

Wabern, wo die legendäre Oma<br />

Knatz das Dorf aufgemischt hat. [. . .]<br />

Nee, nee, hä sifft nit. Obwohl am<br />

Sonntag groß gefeiert wurde. Abschied<br />

von Metze, Abschied von der alten Gemeinde.<br />

Abschied an den Südost-Hang<br />

mit Balkon.<br />

Pfarrer Dieter Otto, d e r nordhessische<br />

Mundartschnuddler, hat sich<br />

wahrhaftig aufs Altenteil begeben.<br />

Und zwar so:<br />

Sonntag, [10. Febr.,] 14 Uhr: Gottesdienst<br />

in der Metzer Kirche. 270 Schäflein<br />

sind da. Ria Ahrend und Almut<br />

Weingart führen einen Sketch auf.<br />

16 Uhr: Kinder singen frohe Lieder.<br />

16.30 Uhr: Kaffee und Kuchen im<br />

Gemeinschaftshaus.<br />

17.00 Uhr: Die Kindertheatergruppe<br />

spielt, Redner<br />

reden.<br />

19.00 Uhr:<br />

Eintreffen im<br />

neuen Heim<br />

in Uttershausen.<br />

Montag, 7.30<br />

Uhr: aufstehen.<br />

Frühstück<br />

<strong>für</strong> die alte<br />

Mutter (lebt<br />

mit im Haus).<br />

8.30 Uhr:<br />

Geschenke<br />

sichten, Freude<br />

über die Ahnentafel bis ins<br />

18. Jahrhundert. Autorin: Elke Hohmann.<br />

9 Uhr: Pressetermin.<br />

10.40 Uhr: Ruhestand. Endlich.<br />

Das neue Heim ist kurz nach dem<br />

Umzug schon erstaunlich aufgeräumt.<br />

Sogar im Arbeitszimmer hat alles seinen<br />

Platz. Die intellektuelle Unruhe,<br />

die noch im alten Pfarrbüro jeden<br />

Quadratzentimeter beherrscht hatte,<br />

ist nicht mit umgezogen.<br />

Aber Marthchen (Martha, 16) und<br />

Christoph (19) haben das Heim<br />

gewechselt. Tobias (29), Katharina<br />

(„Inses“, 26) und Johannes (23) gehen<br />

längst ihre eigenen Wege.<br />

Genau so wie der Herr Papa, der ihn<br />

aber erst noch finden muss, den Weg.<br />

„Ich suche nach meinem Rhythmus.“<br />

Der Rentner-Dreikampf ist nichts<br />

<strong>für</strong> den Pensionär. Reparieren, renovieren,<br />

Straße kehren. Zwei linke<br />

Hände sind im Weg. Vielleicht schiebt<br />

Nordhessens größter seelsorgerischer<br />

Spender seinen 22 Büchern noch ein<br />

paar nach. Wie immer <strong>für</strong> einen guten<br />

Zweck.<br />

Aus: HNA v. 12. 2. 2008<br />

Der Geschichtenerzähler hat<br />

selbst Geschichten erlebt – und<br />

was <strong>für</strong> welche<br />

Foto: Berger<br />

[. . .]<br />

Der Schnaps. Das schönste<br />

Erlebnis aber ist und bleibt die<br />

Geschichte, die zum ersten Buch<br />

„Sifft hä dann?“ führte. Dieter<br />

Otto ging natürlich immer zu den<br />

Geburtstagen der ahlen Liere, der<br />

alten Leute, im Dorf. Eines Tages<br />

hatte er schon zwei Stationen hinter<br />

sich und jede Menge Kaffee<br />

im Bauch, als er zum letzten Jubilar<br />

kam.<br />

„Wollt Ihr einen Kaffee?“ wurde<br />

er wieder gefragt.<br />

In Anbetracht des vorausgegangenen<br />

Koffeinkonsums schüttelte<br />

der Parr den Kopf: „Lieber einen<br />

Schnaps!“<br />

Das hörte die aus Kirchbauna<br />

angereiste Tante am Kaffeetisch<br />

und flüsterte den Verwandten<br />

ganz leise diese Frage ins Ohr:<br />

„Sifft hä dann?“<br />

R. Berger, HNA v. 12. 2. 2008


2 Der Mundart-Kurier 12 / 2008<br />

Der Mundart-Kurier<br />

erscheint dreimal jährlich: Anfang<br />

April, August, Dezember. Er wird als<br />

vereinsinternes Mitteilungsblatt<br />

herausgegeben von der<br />

<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Nordhessische</strong><br />

<strong>Mundarten</strong> e.V.,<br />

gegr. 1999, Sitz Niedenstein.<br />

* * *<br />

Vorstand<br />

Vorsitzender: Dieter Otto, Heerstraße 28,<br />

34590 Wabern-Uttershausen,<br />

Tel. 05683 – 364944<br />

Stellvertreter: Reinhard Umbach<br />

Schriftführerin: Karin Werner, Körle<br />

Stellvertreter: Karl Heinz <strong>Käsinger</strong>,<br />

Neukirchen-Christerode<br />

Schatzmeister: Bernd Rembiak,<br />

Homberg-Mühlhausen<br />

Stellvertreter: Heinrich Rehm,<br />

Homberg-Lützelwig<br />

Pressesprecher: Reinhard Umbach<br />

Beisitzer: Friedrich Dreytza, Homberg;<br />

Herbert Jacob, Wolfhagen-Bründersen;<br />

Anne Pritschens, Trendelburg-Eberschütz<br />

* * *<br />

Organisation des Mundarttags<br />

Reinhard Umbach,<br />

Mühlenstraße 1a, 37073 Göttingen,<br />

Tel. 0551 – 44639<br />

* * *<br />

Schriftleitung des Mundart-Kuriers<br />

Werner Guth, Bergstraße 5,<br />

34305 Niedenstein-Kirchberg,<br />

Tel. 05603 – 1269<br />

Beiträge <strong>für</strong> den Mundart-Kurier<br />

bitte an die Schriftleitung richten. Bei<br />

Mundartbeiträgen sollte angegeben<br />

werden, in welcher Orts- oder Gebietsmundart<br />

sie abgefaßt sind. Beiträge<br />

sollten bis spätestens vier Wochen vor<br />

dem Erscheinen eingereicht werden.<br />

* * *<br />

Bankverbindung<br />

Kreissparkasse Schwalm-Eder<br />

BLZ 520 521 54, Kto-Nr. 80 00 07 22<br />

* * *<br />

Mitgliedsbeitrag<br />

15,00 € jährlich.<br />

Der Beitrag schließt den Bezug des<br />

Mundart-Kuriers mit ein.<br />

Aus der Redaktionsstube + + + + +<br />

Wie die meisten sicherlich wissen:<br />

Unser Vorsitzender Dieter Otto ist<br />

vor etlichen Wochen pensioniert worden.<br />

Als Medzer Parr natürlich,<br />

nicht als Vorsitzender. Sein neuer<br />

Wohnsitz: Wabern-Uttershausen.<br />

*<br />

Wir wünschen Dieter Otto<br />

alles Gute <strong>für</strong> seinen neuen<br />

Lebensabschnitt! Dem bei solchen<br />

Anlässen obligatorischen Wunsch, der<br />

zukünftige Altenteiler möge einem<br />

ruhigen und beschaulichen Lebensabend<br />

entgegensehen und was der<br />

ähnlichen Worte mehr sind, schließen<br />

wir uns ausdrücklich nicht an. Wir<br />

wünschen ihm vielmehr: Möge sein<br />

Ruhestand – wenigstens zu Teilen – ein<br />

rechter Un-Ruhestand sein! Natürlich<br />

ein ganz und gar kreativer. Im Interesse<br />

und zur Freude der näheren und<br />

weiteren Region. Aber auch zu seiner<br />

eigenen.<br />

*<br />

Mit einem vergleichbaren Wunsch<br />

hat Reinhard Berger in der Fritzlar-<br />

Homberger Allgemeinen v. 12. 2. seine<br />

launige Beschreibung von Dieter Ottos<br />

letzten Dienststunden in Metze abge-<br />

Knatzes Hänschen un sinne Umma<br />

Aus Dieter Ottos erstem Buch „Sifft hä dann?“ (1992)<br />

D’m Hänschen sinne Schwesder äs<br />

hirre nu een Johr ahld worren. De<br />

Ummas un de Danden sin kummen un<br />

guggen nur als dos Kleene ohn.<br />

Se blädschen in de Hänge: „Wo äs<br />

dann nur dos kleene Schädzchen – wo<br />

äs es dann?“<br />

Dos Hänschen äffeld än no: „Wäwäwäwäwä!“<br />

Dann sprichd hä: „Umma, sin sä<br />

dann bleng? Do lichd doch dis Googedengen<br />

in sinnem Bedde!“<br />

Do merged de gurre Umma, doß<br />

dos Hänschen atzelich äs, weil sich<br />

keen Mensche mid emme befassd un<br />

deshalb froochd sä: „Hänschen, es äs<br />

doch hibsch, noch so’n Schwesderchen<br />

zu hon?“<br />

„Nä“, sprichd hä do doddruff, „dos<br />

schlossen (s. S. 1).<br />

Kaum waren drei Tage vergangen, da<br />

stand in derselben Zeitung:<br />

In Kleinenglis??<br />

Ich war ganz erschrocken, als ich<br />

das las.<br />

War er denn nicht nach Uttershausen<br />

gezogen? Sollte ich denn alles durcheinandergebracht<br />

haben? Altersdemenz?<br />

Die Lektüre des Berichts ließ jedoch<br />

erkennen, daß hier nicht der bisherige<br />

Medzer Parr gemeint war, sondern ein<br />

Namens-Doppelgänger. Dieter Otto<br />

der Andere ist Vorsitzender des Sportvereins<br />

Schwarz-Weiß Kleinenglis.<br />

So mögen denn beide Otto-Ären<br />

erfolgreich weitergehen, die eine in<br />

Kleinenglis, die andere aber in Uttershausen<br />

sowie im ganzen Landstrich<br />

um Uttershausen herum.<br />

*<br />

Mit freundlichem Gruß<br />

Ihr Werner Guth<br />

kleene Oosd krischd als. Awwer,<br />

Umma, wenn me emme was ins Müll<br />

stobbed, mo ne Flieche, mo ne Spinne,<br />

mo Rähnwirmer, doß frißd dann alles,<br />

sisde, dos äs so hibsch an emme – es<br />

hod immer Hünger!“<br />

*<br />

Son Mann iwwerfährd im Dorfe en<br />

Huhn. He hild ohn, stichd üs un nimmed<br />

dos Huhn un bringed es ins Hüß<br />

näwen d’r Stroße. „Es tut mir leid, daß<br />

ich das Huhn überfahren habe. Ich<br />

möchte es Ihnen auch gerne ersetzen<br />

und bezahlen. Was kostet es denn?“<br />

De Umma gugged dos Huhn ohn<br />

un dann d’n fremmeden Kerle un<br />

sprichd: „Nä, nä. Dos äs inse Huhn<br />

nid. So bladde Hinner hon mä nämlich<br />

nid!“


Der Mundart-Kurier 12 / 2008 3<br />

Brääd vär d’m Kobbe <strong>Von</strong> Dieter Otto<br />

Ach, dä Liere, nu sinn me immegezohn.<br />

Wor dos en Unmuss un<br />

Gewerche. Nu sidzen me im nüchen<br />

Hüüse un lööfen dorim wie Falschgäld<br />

orrer wie’n Huhn ohne Schwanz.<br />

Mä kummen ins immer<br />

noch vär wie in ner Ferienwohnünge.<br />

Also, mid<br />

angeren Worden, mä sinn<br />

alle noch gänz d’rwärschd.<br />

De Sicherei nimmed keen<br />

Enge.<br />

Ich wor je in Medze<br />

schun vergäßlich un honn<br />

alszus min Gelirre verlähd,<br />

awwer nu fänge ich gor nix meh. D’n<br />

gänzen Dooch gid’s nur als: „Wo äs<br />

dann – min Brill, min Bordmanee,<br />

min Derminkalänner. Wo sinn dann<br />

minne Strimbe, minne Üngerhoose. In<br />

welchen Kardong honn ich dann diss<br />

gelähd?“<br />

Ja, dä Liere, so ässes allewille bie<br />

ins. Un dann de Schlooferei uff d’n<br />

nüchen Madradzen. Hädde ich doch<br />

nur minne ahle Schabragge behahlen.<br />

Ach, wie wor die so hibsch inngelähn.<br />

Nu wiggel ich mich noochds uff<br />

dissem knochenhorden Dengen rimmhär.<br />

Wann de bie Dooch un bie Noochd<br />

kenne Ruh krichesd, dann besde doch<br />

Ria Ahrend und Almut Weingart ließen es sich nicht<br />

nehmen, ihren Mundartfreund Dieter Otto anlässlich<br />

seiner Verabschiedung als Pfarrer in Metze (10. 2. 2008)<br />

mit einem Sketch, der begeistert aufgenommen wurde,<br />

zu überraschen. Als Geschenk überreichten sie eine<br />

Videoaufzeichnung ihres gemeinsamen Auftritts im Juli<br />

2007 in Metze.<br />

om Enge gänz querch - orrer? Dos äs<br />

alles nid so eenfach. Nu sidz ich im<br />

fremmenden Zimmer in ungewohnder<br />

Immegäwünge un mä filld nix Gescheeres<br />

in. Hirre sprichd me, me äs<br />

bloggierd. Me kinnde’s awwer<br />

ö so sprähn: Ich honn<br />

en Brääd vär d’m Kobbe.<br />

Ach, un dann missde<br />

noch so väles gemachd wären.<br />

Awwer ich benn doch<br />

so wos von ungeschigged<br />

un kann noch niddemo<br />

en Nööhl in de Wänd<br />

klobben. Also, wann ich<br />

dogehn angere Männer säh, wos die geschigged<br />

sinn, dann wäre ich so kleene<br />

mid Huud.<br />

Also, do äs je minne liewe Fröh mid<br />

mä meh wie gestroofd. Zwäh linge<br />

Hänge, ne Gladze, en Büch un üsser’m<br />

Schwadzen keene angere Begawünge.<br />

Godd sei Dang giwweds bie ins immer<br />

ö hilfsbereide Menschen, die mid<br />

mä ungeschiggeden Manne Erbarmen<br />

honn un ins hälfen.<br />

Wos lernen mä dorüss: De Begawüngen<br />

sinn verschieden verdilld.<br />

Selden kann een Mensch alles. Also<br />

muss eener däm angeren mid sinnen<br />

Talenden üngerstidzen un hälfen. Un:<br />

Alle Begawüngen honn d’n sälwen<br />

Liewer Herr Parr,<br />

Termine:<br />

•Sonnabend, 24. Mai 2008<br />

Jahreshauptversammlung, Metze,<br />

Gaststätte Hahn, 15.00 Uhr<br />

•Bis zum 15. Juni 2008<br />

sollten diejenigen, die am kommenden<br />

Mundarttag aktiv teilnehmen<br />

wollen, ihren vorgesehenen<br />

Beitrag bei Reinhard Umbach<br />

einreichen.<br />

•Sonntag, 7. Sept. 2008<br />

11. <strong>Nordhessische</strong>r Mundarttag<br />

in Edermünde-Besse<br />

Wärd. Es stidd d’r Parr nid iwwer d’m<br />

Handwerger.<br />

Un wo me grohre bie’m Handwerger<br />

sinn. Do wor d’r Malermeisder<br />

bie Parrsch, imme zu renevieren. Do<br />

sprichd de Parrschen: „Nun, Meister<br />

Müller, kommen Sie doch bitte mit mir<br />

ins Bad. Ich will Ihnen die Stellen zeigen,<br />

wo mein Mann immer hinfasst.“<br />

Do sprichd d’r Miller: „Ach, Frau Parr,<br />

en Schnäbschen wär mir liwwer.“<br />

Na, dann hahled üch dapfer un macheds<br />

gud bis de angere Woche,<br />

ücher Medzer Ex-Parr<br />

Aus: Fritzlar-Homberger Allgemeine v.<br />

25. 1. 2008, „Friddoochs-Gemähre“<br />

best de aan einem Taach moh schlapp<br />

unn kimmest gaar nit meh uff Trab,<br />

unn ärchert dich jemand ungemein,<br />

dann guck in disses Vidjo rein.<br />

Ärcher unn Sorchen verschwennen baale,<br />

äs wird däh ganz heiß, äs wird däh kaale.<br />

D’s Annchen unn d’s Ria schwatzen so allerlei.<br />

glich fiehlst de dich munner unn au sorchenfrei!<br />

Äs äs ’ne hibsche Erinnerung aan friehere Zieten,<br />

desweechen musste disse Schiewe au hieten!<br />

D’s Annchen unn d’s Ria winschen däh veele Glicke,<br />

unn denke bloß draan: Guck au moh zerricke<br />

unn denke aan de scheene aale Metzer Zitt,<br />

doch krischen brucheste desweechen nit!<br />

Veele gesunne Johre sunn däh gegäwen sinn,<br />

veele Pangsionsjohre met veele Drimmerimm!<br />

Ria


4 Der Mundart-Kurier 12 / 2008<br />

Meh geheeren au derbie ! <strong>Von</strong> Almut Weingart<br />

Kimmed am Mondare bie uns ins<br />

Rodhus en fremeder Mannskerle<br />

middem Agdenkoffer derch de Glosdeere<br />

geschdiwweld un frochd, wo’s<br />

bien Birjemeisder gehd. Doh honn ich<br />

erschdemoh gefrochd, wosse von emme<br />

will. Me kann jo nid jeden einfach bien<br />

Scheff lossen. Wer weiß dann, wos dobie<br />

russkimmed.<br />

Wie me uns ne Zidd unnerhahlen<br />

hadden, schbrichd doch der Fremede<br />

for mich, uss welchem Bundesland ich<br />

dann käme, wall ich so ’n merkwürdijen<br />

Dialegd schbrechen däde. „Na, hier<br />

uss Hessen“, honn ich emme geandworded.<br />

Doh meinde hä, dos könnde<br />

nid sinn. In Hessen „däde de Leid babbele,<br />

Äbbelwoi saufe un Frankfodder<br />

Werschdche esse!“<br />

Doh krichde ich soo ’n Hals, ich<br />

schbreche’s uch! Es wor widder moh<br />

sonnenklar: <strong>Von</strong> uns hier owen wissen<br />

de Liede gar nischd! Dass meh au derbie<br />

geheeren, hodd immer noch kinner<br />

middegekrichd! Unse Land von Herkeles,<br />

Ahler Worschd un Weggewerg<br />

kennd kinn Mensch!<br />

Un de Schdadt Kassel, die machd<br />

doch au nischd, dass meh alle ’n besschen<br />

bekannder wären! Die meinen, es<br />

schigged, wann se alle fimf Johre en<br />

baar Worren kinn Schberrmill abfohren<br />

un iwwerall kwärcher Krom in dr<br />

Schdadt dorum lichd – dos nennen se<br />

dann Doggemenda. Doh missde schon<br />

en besschen mehr bassieren!<br />

De einzjen, die wos fer uns dun, dos<br />

sinn die vom ZedDehEff, die honn<br />

Kassel hebsch midden druffe uff dr<br />

Wedderkarde.<br />

Dofor muss me danggbar sinn. Also,<br />

wann ich de Gebiehren iwwerwiese fer<br />

Radjo un Fernsehn, dann mache ich<br />

immer noch drei Euro egsdra derbie<br />

un schriewe druff: for ds ZedDehEff.<br />

Wann dos noch en baar annere marren<br />

däden, könnden me vielleichde erreichen,<br />

dass se dos Word Kassel egsdra<br />

scheene digge druggen uff dr Wedderkarde.<br />

Uff dr anneren Siede hilfd uns dos<br />

awwer au nid veele, wall middem<br />

Wedder simme doch au meisdens ohngeschmeerd:<br />

Wann’s im Norden drei Worren<br />

in Schdrömen rächned un sonsd ess<br />

scheenes Wedder, dann geheeren meh<br />

bien Norden. Wann im Wesden de<br />

Schdirme iwwers Land fejen, Bäume<br />

ussrubben un immeschmissen, während<br />

im Süden, Osden un Wesden kinn<br />

Hauch ze schbieren ess, dann geheeren<br />

meh in dn Norden. Wann’s im Süden<br />

de greeßde Hidse aller Zieden giwwed,<br />

alles verderrd, de Liede schwidsen un<br />

ds Selderswasser wird knabb, awwer<br />

rundrum is laues Sommerwedder,<br />

dann liejen meh unner Garandie im<br />

Süden.<br />

Bie dn Osden geheeren meh, wann<br />

doh ne Schnee- un Eiswisde herrschd<br />

un im Resde von dr Rebubligge schon<br />

de linden Friehlingslifde wehen.<br />

Un wann de Liede meinen, Hessen,<br />

dos wäre bloß Frankfurt un Umgäwunge,<br />

dann missme dogäjen moh<br />

wos marren.<br />

Die behaubden jo sogar, de Griene<br />

Soße käme von doh! Nä, nä, nä, die ess<br />

von hie! Vergesdern homme se erschd<br />

gegessen.<br />

Deh Liede, meh honn schließlich au<br />

Kuldur – äwen nordhessische! Es wird<br />

Zidd, dasses alle anneren endlich begriffen:<br />

Meh geheeren au derbie!<br />

*<br />

Mundart: Kaufungen<br />

Der nebenstehende Text ist entnommen<br />

aus Almut Weingarts<br />

„Ich will’s uch schbrechen. ’s Annchen<br />

rimmed uff“ (2005). Die<br />

Autorin schreibt im Vorwort:<br />

Dieses Buch ist in nordhessischem<br />

Dialekt geschrieben, einer<br />

Sprache, die mehr und mehr aus<br />

dem Alltag verschwindet. Wir<br />

Nordhessen sprechen nicht so<br />

selbstverständlich „platt“ wie<br />

viele Menschen in anderen deutschen<br />

Regionen.<br />

Bestenfalls bei volkstümlichen<br />

Veranstaltungen taucht unsere<br />

Mundart auf, wenn launige Geschichten<br />

aus alten Zeiten erzählt<br />

werden.<br />

Wenige ältere Menschen auf<br />

dem Lande drücken sich in unserer<br />

ursprünglichen Sprache aus,<br />

die meisten halten sie <strong>für</strong> unfein<br />

und plump.<br />

Unser Dialekt ist so wenig<br />

bekannt, dass die Öffentlichkeit<br />

häufig der Auffassung ist, typisch<br />

hessisch sei das „Gebabbele“ der<br />

Leute, die im Frankfurter Raum<br />

leben. Worüber wir Nordhessen<br />

uns zwar häufig aufregen, was<br />

uns aber nicht veranlasst, unsere<br />

eigene Mundart zu pflegen.<br />

Denn schließlich verrät der<br />

Dialekt einer Gegend viel über<br />

ihre Bewohner, über ihre Geschichte<br />

und den ihnen eigenen<br />

Humor und ist damit ein Stück<br />

Identität. Mit den Geschichten<br />

des „Annchens“ möchte ich zeigen,<br />

dass unsere Sprache durchaus<br />

eine Berechtigung im heutigen<br />

täglichen Leben hat, und sie<br />

den Menschen auf humoristische<br />

Weise näher bringen.<br />

Auch die neuen Geschichten<br />

aus dem Leben des „Annchens“,<br />

der Putzfrau des Kaufunger<br />

Bürgermeisters, sollten laut gelesen<br />

werden, weil die Worte so<br />

geschrieben sind, wie man sie<br />

spricht. Ich hoffe, Sie entdecken<br />

dabei den Reiz unseres Dialekts<br />

und haben Spaß, ihn zu sprechen.


Der Mundart-Kurier 12 / 2008 5<br />

Plattgeschwatze uut Hessens Nordspitze <strong>Von</strong> Herbert Jacob<br />

Watt me alle kann<br />

Derr Karle waar keine graute Lüchte.<br />

An derr Schaule hadde hee mehr deilgenummen<br />

als wie watt gelehrd. Wenn<br />

enn watt intresseerte, frochte hee sinn<br />

Gejjenöwwer en Loch in en Buuk.<br />

Derr Karle hadde nu datt Buurswerk<br />

öwwernummen un ging noch Wintersdaach<br />

in Wald.<br />

En Holthöjjer mott jo nu Kraffd<br />

hann. Wie ätt nu datt Unglücke woll,<br />

derr Karle hadde seck denn Aarmen<br />

gebrooken.<br />

In Krankenhuuse stoppeten se änn<br />

ärsdemo int Waater, bevörr se watt<br />

an änn gemachd hann. Ne Schwäster<br />

hätt denn Karlen dann richdich geschrupped,<br />

un hee hadde gemeind,<br />

datt noch gar kein Sunnoowed wöör.<br />

De Schwäster saach au, datt me seck<br />

an denn ärsden Daage in der Wecke nit<br />

so dräckisch maaken kann. Lange hann<br />

se an änn rümmgedokterd, bis hee als<br />

geheild endlooten weeren konnte.<br />

Nu mochte derr Karle ärsd mo<br />

froogen: „Herr Dokter, kann eck dann<br />

wedder allet mett minn Aarmen maaken?“<br />

„Ja, gewiß können Sie das“, sächte<br />

W.G.<br />

derr Dokter.<br />

„Kann eck dann au wedder de Akkesd<br />

schwingen?“ so derr Karle.<br />

„Gewiß können Sie das“, wedder<br />

derr Dokter.<br />

„Kann eck dann au de Schroodsaage<br />

teen?“ boorte derr Karle wieder.<br />

„Können Sie“, so derr Dokter.<br />

Derr Karle gaaf nit<br />

up: „Kann eck dann<br />

au Schriefmaschine<br />

schriewen?“<br />

„Lieber Gott noch<br />

einmal“, sächte do<br />

derr Dokter ungedullich,<br />

„bestimmt<br />

können Sie das!“<br />

„Datt eß äwwer<br />

fein“, freute seck derr<br />

Karle, „bis jötz konnte<br />

eck datt noch nit, Herr Dokter!“<br />

Goh nit up dat Ies<br />

Derr Menske eß doch en originället<br />

Weesen. Als Sammeler hewwed hee<br />

vellet up, watt hee garnit brüchte.<br />

Doch werr eß mett wennich defrädde?<br />

Werr en Häupken hätt, will en<br />

Haupen. Werr en Haupen hätt, derr<br />

will en grauten Haupen. Un werr denn<br />

hätt, derr will en Bärch. Mett en Bärje<br />

gett seck mansker nit defrädde, weil<br />

hee en Gebirje hann will. Mett angeren<br />

Wooren: Werr vell Gäld hätt – un datt<br />

eß meisdens speckeleertet –, will datt<br />

vermehren. Mett derr Henge Aarweid<br />

kann me nit rieke weeren, deshalf mott<br />

Gäld aarweiden. Weil me up denn<br />

Spaarbauke nit velle Tinsen kriejed,<br />

mott no angeren Weejen gesochd<br />

weeren. Also Akzijjen keupen.<br />

Doch do hätt au schonnemo so<br />

mansker sinn betken Erspaartet klenner<br />

gemachd. Do eß nu uut nen Haupen<br />

en Häupken gewooren. Schatt nis,<br />

kann me seejen, denn werr seck up datt<br />

Ies wooged, mott domedde räcken,<br />

datt hee innbrecked.<br />

Ne waarme Stoowe un saad de eeten<br />

schicked jo eijendleck, doch ätt eß so,<br />

wie an Aanfange gesächd.<br />

„Woförr sall eck spaaren?“ hadde<br />

derr Karle gesächd. „Wenn eck up<br />

denn Daudenhoowe lejje, hilped ätt<br />

meck nis, wenn de Lüüde seejen: Do<br />

lejjed derr rieke Karle!“<br />

Keine Expärimänte<br />

Velle Sprüche weeren lausgelooten, au<br />

vun bekannten Lüüden hörrd oder<br />

lessed me welke.<br />

Derr Mark Twain hätt gesächt: „Derr<br />

leewe Gott hätt denn Mensken erschaffen,<br />

weil hee von denn Affen<br />

endtäusked war. Donoo hätt<br />

hee up wiedere Expärimänte<br />

verzichted.“<br />

Me kann do nur lachend<br />

mett denn Koppe schüddeln,<br />

doch wenn me ümme seck<br />

rümm kücked, kann einen au<br />

datt Lachen vergohn.<br />

In der Flimmerkiste zeijen<br />

se de dullsten Sachen, un velle<br />

Lüüde verseuken dann sowatt<br />

noodemaaken. „Beziehungskonflikte“,<br />

dee do gezeijet weeren, wedderhollen<br />

seck bie mansken Päärken.<br />

„Na, wie geid ätt dann denn Jungverfrijjeten?“<br />

woor mo en Meeken<br />

gefrochd.<br />

W.G.<br />

„Prima“, sejjed datt, „eck haale änn<br />

sinne Suuperijje vörr un hee schmitt<br />

meck minn Eeten no!“<br />

Do kann me nur seejen: Datt eß je nu<br />

schonn en guder Anfang.<br />

MA: Wolfhagen-Bründersen<br />

Seejed ätt nit so lichte dohenn,<br />

derr Blödsinn hödde keinen Sinn.<br />

In Stunnen, wo derr Blödsinn<br />

walted,<br />

do sinn de Sorjen uutgeschalted.<br />

Sorchlaus sinn, datt hett Gewinn,<br />

dorümme hätt derr Blödsinn Sinn.


6 Der Mundart-Kurier 12 / 2008<br />

Boß bleit <strong>Von</strong> K. H. <strong>Käsinger</strong> Räntna <strong>Von</strong> K. H. <strong>Käsinger</strong><br />

Die Jugend, die blickt net zereck<br />

en die Vergangenheit,<br />

die sicht im Vörwätts ähre Gleck – –,<br />

net en de aale Zeit – – !<br />

Em Mörjelicht, so häll on weit<br />

leit’s Lääwe öusgebrett – –,<br />

die Häzze voll, zur Tat bereit – –,<br />

on Hoffneng, die gett met.<br />

Die Wält brüch fresche Mörjeloft.<br />

Es Ongräächt wonn meer bann – – – !<br />

So hon meer all doch mool gedocht – –.<br />

Es woor mool – – –, irgendwann.<br />

On irgendwann broch ins de Schwong,<br />

do langts ins’s Lääwe en – – !<br />

Die Hoffneng bleit Erinnareng<br />

on hött doch heit noch Senn – – !<br />

Die Pflichte, die ins offgelodt,<br />

drochte de Kopp nooch enge – – –.<br />

Da Johr feer Johr im Schrett on Trott – – !<br />

Bäär woll da doch noch senge – – ?<br />

Bäär woll noch treeme vonn’em Gleck,<br />

von nauwer, bess’rer Zeit – – ! ?<br />

Boß blebb, woor nur de Blick zereck<br />

en gold’ne Jugendzeit.<br />

Betrachte meer es Lääwe so,<br />

nooch reckwärts nur, nooch henge,<br />

da bleit de Lääwensalltag groo – –.<br />

Meer dunn nur Laste fenge.<br />

De Öuswääg siche meer da schnäll<br />

en Gäld on Gut on Lost – – – !<br />

Doch dodörch wätt’s en ins net häll,<br />

wätt öö net frei die Brost.<br />

On krampfhaft gräll on krampfhaft löut,<br />

so mache meer ins breet – – !<br />

Doch gett woß enger inse Höut,<br />

dunn meer ins selwer leed.<br />

Seng meer da aalt on ohne Kraft,<br />

stellt sich Erkenntnis en – –.<br />

Boß en de Jugend meer gehofft,<br />

kreit etzt äscht räächte Senn – – ! !<br />

Meer sähn nu klaarer on en Ruh,<br />

boß meeglich woor, baß net – – !<br />

On dankbaar seng meer, ich on du,<br />

feer jeeren kleene Schrett – – !<br />

Meer spearn da all om Eng, delest:<br />

es gung nie met Gewalt – – !<br />

Doch bäär nie rechtich jong gewääst,<br />

wätt öö nie rechtich aalt – – ! !<br />

Beste enn die Johrn nennkomme,<br />

höst dich oft schon ewwernomme,<br />

glööbst, du kinnst noch Beem emsprenge,<br />

kinnst noch monzeln, daanze, senge – – !<br />

Doch die Zeire seng vabei – –,<br />

Härbst es nu, on net mieh Mai – – ! !<br />

’s es zum Krische, net zum Lache – –.<br />

Deng Gelenke dunn deer krache –.<br />

Denge Frää sengt Klojjelierer,<br />

bremm de schlapp on immer mierer – –.<br />

On es kemmt deer nu in Kopp:<br />

Hänns, ich glööb, es gett bärgobb – – ! !<br />

Deng Gebeß, die Drette, klappern,<br />

dust beim Soppeleffeln schlappern,<br />

off’em Kopp nur noch poor Fonzeln,<br />

ewwerall schon Masse Ronzeln – –.<br />

Nur de Ranze es gesongd,<br />

es vom Bier schee glood on rongd – – ! !<br />

Denge Frää, die Leisewitt,<br />

die noch flink on gutt im Trett,<br />

schmeert deer dauernd nu off’s Brot,<br />

däß’e deng Gehönchel sott – –.<br />

On ähr Kommentar es etze:<br />

Du deest nur beim Ässe schwetze – – !<br />

Beste da ree dörchenee,<br />

froost, bie salls nu weirergeeh,<br />

kreijst om Eng noch Depressione,<br />

glööbst, ’s deet alles net mieh lohne – –,<br />

da gäbb deer en Ruck, in hatte – –.<br />

Bleib gefällichst off de Matte – – ! !<br />

Heer nu off met dämm Gewinsel – – !<br />

Du best lang kinn aaler Binsel – –.<br />

Raff dich off, geh nauwe Schrett – – !<br />

On gett denge Frää dä mett,<br />

dä maschiert ehr, Haand in Haand,<br />

hoffnengsvoll enns Aalerschlaand – – !<br />

Eens, doß duste dä vasteeh:<br />

Jeere Lääwenszeit es schee<br />

oder truurich, bie ma’sch nemmt,<br />

bremm’s off dich allee ookemmt – – !<br />

Dremm, net knottern, weirer strääwe,<br />

öö als Räntna, doß es Lääwe – – – ! ! !<br />

Mundart: Äußere Schwalm<br />

Beide Gedichte aus: Karl Heinz <strong>Käsinger</strong>, „Bo meer deheem seng“,<br />

Gedichte, Theaterstücke und Lieder in Schwälmer Mundart und<br />

Hochdeutsch, Eigenverlag [Neukirchen-Christerode] 1995.<br />

*


Der Mundart-Kurier 12 / 2008 7<br />

Wisente hinner Battenberch <strong>Von</strong> Reinhard Umbach<br />

Ach, du liewes Beßchen! Hilfe! Alarm<br />

im Wittgensteiner Land! An däär Ecke<br />

hinner Battenberch bän-ech vääle Moo<br />

schonn remmgelatscht.<br />

Wenn-me nämlich<br />

hinner’m Eddersee<br />

beß zur Quelle noffmacht,<br />

dann kemmetme<br />

joo erchendwanne<br />

automatisch öwwer de<br />

hessische Grenze. Onn<br />

doo wäären nuu demnächst<br />

au desse Wisente<br />

doremmlattern. Der<br />

zuständiche Prinz von<br />

Sayn-Wittgenstein und<br />

Berleburch, dääme’s<br />

Areal gehört, hodd doß ganz klar<br />

gesprochen, daß hä sech Wisente von<br />

Polen hollt. Die munn joo hochgradich<br />

imposant sinn onn honn alle Gardemaß.<br />

Bie’m Aahlen Fritz in Preußen<br />

weeren die alle bie de berittene Gebirchsmarine<br />

gekommen, wenn-me-sä<br />

gemostert hätte. Der letzte freilaufende<br />

Wisent äß awwer schonn-en baar<br />

Jahre eher wie der Aahle Fritz sällwer<br />

in de ewichen Jachdgründe gewechselt,<br />

schonn vor’m Siebenjährichen Krieche.<br />

Onn es äß nadüürlich klar, daß-en<br />

zwei Meter hoher Wisent net in so’m<br />

Quadratmetergatterställchen bliewet.<br />

Nä, däär bruchcht onnenweg ’s halwe<br />

Roothaargebirche. Schonn vom Auslauf<br />

häär. Die rammeln nämlich als<br />

Herde wie desse rechtichen Büffel in<br />

Amerika därch-en Wald onn därch-en<br />

Flur onn honn einen förchterlichen<br />

Affenzahn droffe. Die hört-me dann<br />

schonn ’ne Vertelstunne vorhäär,<br />

wenn-sä äähre Panik machen. So kannme-sech<br />

zum Glöcke ammoo noch<br />

biezieten off-en Hochsitz machen.<br />

Der zuständiche Ferschter vom<br />

Wisentbüro in Berleburch hodd sogar<br />

gesprochen, im Grunde<br />

weeren so Wisente<br />

ganz schichch onn<br />

duuse onn deeden<br />

sech von alleine in de<br />

Bösche machen, wenn<br />

der Homo Sapiens<br />

off-em Wanderwääche<br />

ankeeme onn sinn<br />

Liedchen päffe. Es<br />

weeren ääben wie de<br />

Hirsche onn de Elche<br />

Pflanzenfresser onn<br />

hätten met Fleische<br />

nex am Hute oder Horne.<br />

Na ja, ganz ohne sinn-sä allerdings<br />

woll au net. Schonn alleine wäächen<br />

dääm Gewichte! ’ne Tonne ungefähr.<br />

Onn doo honn-ech-mää vor Jooren<br />

schonn gedichtet onn minnen Reim<br />

droff gemacht: „Der Wisent läuft im<br />

Grase romm onn trampelt alle Halme<br />

kromm. Doch au wenn’s Wisent<br />

anners hieße: es äß das Ende desser<br />

Wiese.“ Doß äß ääben doß, woß-ech<br />

immer spreche . . .<br />

Onn Wand’rer hänn nuu<br />

oder häär: Zum Glöcke honnmä<br />

joo in Deutschland keine<br />

Eisernen Vorhänge mee onn me<br />

sitt net immer, wann-me-moo<br />

grenztechnisch öwwergetreten<br />

äß so wie bie’m Weitsprung<br />

öwwer’n Balken. Onn woß<br />

schonn innsereinem bassierd,<br />

kann nadüürlich au-em Wisent<br />

in sinner Panik in Hessen onnerwäächs<br />

bassieren. So werd’s<br />

dann ääben Bundesangeleechenheit.<br />

Denn woß vääle gar net wessen:<br />

deß Wittgesteiner Land hatte lange<br />

Erbvereinichung met Hessen onn äß<br />

erst bie Preußen gekommen, wo der<br />

Aahle Fritz schonn net mee lääwete.<br />

Also hodd so’n Wisent doch praktisch<br />

als Ureuropäer desse politische<br />

Landkarte von damals noch in sinnen<br />

Genen! Onn wenn’s de Hufe sinn oder<br />

einfach’s Fell jucket,<br />

net-woor-net-moo-net . . .<br />

hr 4. – 1105. Sendung „Hessen-Henner“ v.<br />

3. 3. 2008.<br />

Nacht über Afrika<br />

<strong>Von</strong> Reinhard Umbach<br />

Ich war ein MALI n Afrika,<br />

wo ich sehr viele Tiere sah,<br />

wos Löwen GABUN d Tiger,<br />

das heißt: die ehr we NIGER.<br />

Ein Löwe KAMERUN ternahm<br />

nicht viel; es war sein Fraß<br />

bloß ekelhaftes Aas.<br />

Den Löwen scheint beim<br />

Fres SENEGAL, was sie so essen.<br />

Das Le BENIN der Steppe<br />

gleicht dem auf einer Treppe.<br />

Es geht bergab, es geht bergauf,<br />

das Zebra frönt dem Dauerlauf.<br />

Wenn vom Bal KONGO rillas<br />

springen,<br />

zähl TSCHAD ensanspruch zu den<br />

Dingen,<br />

die insbesondere Touristen<br />

den Aufenthalt befristen.<br />

Der SUDAN ihren Haxen<br />

scheint aus dem Sand zu wachsen.<br />

Doch kommt auch Nilschlamm in<br />

Betracht<br />

und über Afrika die Nacht.<br />

Aus: „taz“ v. 13. 2. 2008, Rubrik „Die<br />

Wahrheit“.<br />

*<br />

Der Wisent (Abb. links) war nicht Teil<br />

der Hessen-Henner-Sendung v. 3. 3.,<br />

Umbach ist ja nicht beim Fernsehen.<br />

Der grimme Wisent, gezeichnet von<br />

Carsten Hildebrandt, ist vielmehr<br />

Reinhard Umbachs „Großem Buch der<br />

Bauernregeln“ von 1984 entnommen.


8 Der Mundart-Kurier 12 / 2008<br />

D’r Erlkeenig <strong>Von</strong> Christejahn Duckefedd (1910)<br />

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?<br />

(So lossen, so lossen doch rieden!)<br />

Es ist der Vater mit seinem Kind.<br />

(Der kunnde ’ne Droschke sich mieden!)<br />

Er hat den Knaben wohl in dem Arm,<br />

(Sall hä’n uffen Buckel sich hangen?)<br />

Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.<br />

(Das kann me vunn’n Vadder verlangen!)<br />

„Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?“<br />

(Was siehd hä bi schdockfinsteren Himmel?)<br />

„Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?<br />

(Der Junge hodd, glauw’ ich, en Fimmel!)<br />

Den Erlenkönig mit Kron’ und Schweif?“<br />

(Ne Krone wohl, awwer kinn Schwänzchen!)<br />

„Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.“<br />

(Du faselst, minn liewes Hänschen!)<br />

„Du liebes Kind, komm geh’ mit mir!<br />

(Der Junge, der äß doch in Läddschen!)<br />

Gar schöne Spiele spiel ich mit dir!<br />

(Das Kend sall Kahrden nidd bläddschen!)<br />

Manch bunte Blume wächst an dem Strand,<br />

(Die hodd hä d’rheime in Dibben!)<br />

Meine Mutter hat manch gülden Gewand.“<br />

(Dodrimm’ bruchd hä au nidd ze hibben!)<br />

„Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,<br />

(So loß doch in Ruh dinnen Ahlen!)<br />

Was Erlenkönig mir leise verspricht?“<br />

(Glich wedde de Schnudde wohl hahlen?)<br />

„Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind!<br />

(Sunst gewwed’s verhafdich noch Schmisse!)<br />

In dürren Blättern säuselt der Wind.“<br />

(Mä sinn an d’r Schwanenwisse.)<br />

Elsebach – der Respektlose<br />

Unter dem Pseudonym „Christejahn<br />

Duckefedd“ – siehe oben – verbirgt sich<br />

der Kasseler Autor Hermann Elsebach<br />

(s. S. 15, „Blick zurück“).<br />

Elsebach war ein respektloser Spötter:<br />

So schrieb er zu Heinrich Jonas’<br />

ernstem, kunstvollem Gedicht „O<br />

Mensch, du dinne Augen uff“ (s. MAK<br />

1, S. 11) die Persiflage „O Mensch,<br />

knibb dinne Augen zu“.<br />

Elsebach nimmt ausdrücklich auf Jonas’<br />

Gedicht Bezug. In der zweiten Strophe<br />

seines „Gegengedichts“ heißt es:<br />

Was d’r Jonas dodrinne geschrewwen<br />

hodd,<br />

Das äß de Wohrheid, ganz ohne Schbodd!<br />

Un doch, d’s Dingen rimmegedrehd,<br />

Me dann d’n Sinn erschd rechd verschdehd.<br />

Un rimmegedrehd, do honn mä nu:<br />

„O Mensch, knibb dinne Augen zu!“<br />

Auch Goethe kommt nicht ungeschoren<br />

davon – siehe Elsebachs obige<br />

Persiflage auf die Ballade „Erlkönig“.<br />

Auch hier wird rimmegedrehd: Der<br />

Originaltext wird zwar belassen, aber<br />

durch einen Zweittext kräftig gegen<br />

den Strich gebürstet.<br />

Elsebachs „Erlkeenig“ ist <strong>für</strong> den<br />

Vortrag durch zwei Personen gedacht.<br />

Linksbündig ist Goethes Originaltext<br />

gesetzt, der durch einen Hochdeutschsprecher<br />

vorzutragen ist; eingerückt<br />

„Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?<br />

(Midd dä? Wohenne, du Driewer?)<br />

Meine Töchter sollen dich warten schön!<br />

(Der Junge geheerd nidd bi Wiewer!)<br />

Meine Töchter führen den nächtlichen Reih’n<br />

(Die Mäderchen g’heeren in’s Bedde!)<br />

Und wiegen und tanzen und singen dich ein!“<br />

(Minne schnarchen schund imme de Wedde!)<br />

„Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort<br />

(Nu hahl awwer bahle de Klabbe!)<br />

Erlkönigs Töchter am düsteren Ort?“<br />

(Baß uff! Wenn ich dä einen schnabbe!)<br />

„Mein Sohn, mein Sohn, ich seh’ es genau,<br />

(D’r Ahle geheerd bi de Kälwer!)<br />

Es scheinen die alten Weiden so grau!“<br />

(Ich glauwe, hä firchded sich selwer!)<br />

„Ich liebe dich! – Mich reizt deine schöne Gestalt!<br />

(Hä äß doch in Diecher gewickeld!)<br />

Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt!“<br />

(Jetzd hodd sich d’r Junge verschdickeld!)<br />

„Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!<br />

(Dinn Ahler häld dich doch blos feste!)<br />

Erlkönig hat mir ein Leid’s getan!“<br />

(En richdiger Unleid bäste!)<br />

Dem Vater grauset’s. – Er reitet geschwind.<br />

(Ich sahde’s je schund: hä hodd Bange.)<br />

Er hält in den Armen das ächzende Kind.<br />

(So Umschdänne machd’ ich nidd lange!)<br />

Erreicht den Hof mit Müh’ und Not!<br />

(Jetzd kann hä’n awwer verdreschen!)<br />

Und – kommt doch noch pünktlich zum Abendbrot!<br />

(Ach! – dodrimme hodd hä gekreschen!)<br />

Mundart: Kassel<br />

und in Klammern gesetzt sind Elsebachs<br />

Zusätze, mit denen ein Mundartschnuddler<br />

die jeweils vorhergehende<br />

Zeile mehr oder weniger scharfsinnig<br />

kommentiert.<br />

Goethes Text läßt Elsebach unangetastet<br />

– bis auf die letzte Zeile. Sie<br />

heißt im Original: „In seinen Armen<br />

das Kind war tot.“<br />

Wer Spaß an solch schimpflichem<br />

Umgang mit unseren Großen hat, der<br />

mag sich einmal im Duett am „Erlkeenig“<br />

versuchen! (Nicht zu berücksichtigen<br />

braucht er dabei Elsebachs konsequentes<br />

Vermeiden des Dativ-m. Zu<br />

diesem merkwürdigen Phänomen ein<br />

andermal mehr.) W.G.


Der Mundart-Kurier 12 / 2008 9<br />

Wie sä ’s verstehd<br />

<strong>Von</strong> Heinrich Jonas (1905)<br />

In ’s Dorf war en neier Parr gekummen,<br />

der es dann au’ bahle in Ansproch genummen:<br />

D’m Märden sinne Frau kamb noh emme henne,<br />

die bruchde en Daufschein vun ährem Kenne.<br />

D’rwille d’r Parr ähr den hodd geschrewwen,<br />

hodd sä sich domidde de Zitt verdrewwen,<br />

daß sä in der Stowwe sich imme dahd gucken;<br />

do sahg se am Klaviere – se krechde d’n Plarr! –<br />

drei ardige Kennerchen vun d’m Herr Parr<br />

in einer Reih’ newen enanner hucken,<br />

die hon de geklimberd un Dakte gezähld,<br />

noh Noden en Sticke sechshännig gespähld. –<br />

D’r Schein war ferdig, se hodd en berabbed<br />

un es dann d’rmidde heimen gedabbed<br />

strackus noh d’m Märden in de Stowwe nin;<br />

do stund se, un alzd mid d’m Kobbe schiddeln dad se:<br />

„Nä, Märden, äs kann ei’m du’ren,“ so sahd’ se,<br />

„Parrs missen doch rechd arme Liede sin –<br />

do spälen ’er drei uff einem Klaviere.“<br />

Aus: Heinrich Jonas, „Der Kurferschd un das ahle Wibb us<br />

Zwehren“ un annere Geschichderchen un Gedichderchen in<br />

Kasseler Mundart, hrsg. v. Horst Hamecher, Kassel 1980,<br />

S. 91. – Das Gedicht wurde von Hamecher erstmals veröffentlicht<br />

(Manuskript in seinem Besitz).<br />

D’r Gescheitste gewwed nooch <strong>Von</strong> Heinrich Ruppel<br />

Die Gemeenge Kebbelbach hadde mo<br />

’n Parr, der huß Isenboort. Dos wor<br />

awwer keen Obstamm vom Doktor<br />

Isenboort, der die Wöngerkuren machte<br />

on in Hannoversch-Münden begrowen<br />

lejed. Nä, medd dämm hadde hä<br />

nex ze dunn.<br />

Wie d’r Porr Isenboort kümm een<br />

Johr in Kebbelbach wor, wull hä d’s<br />

Porrhüs on die Kärche on alles hebsch<br />

in die Reeje gemacht honn. Gudd, d’s<br />

Porrhüs lussen se ämme machen on<br />

minnten, nu hädden se of ’ne Zidd<br />

laang Ruhe vär emme. Wie dos awwer<br />

fertig wor on ennewendig on üssewendig<br />

wie geläcket dostüng, koom hä d’m<br />

Kärchenvärstaand öh glich medd d’r<br />

Kärche oon. Die sill on midde nu öh<br />

in ’nen wärrdigen Zustand gebroocht<br />

wären. Hä machte änn dos so scheen<br />

gloot on eenfach vär, wie dos die<br />

studierten Herren so dunn, wann se<br />

wos honn wunn. Dodroff honn se jo<br />

studiert. Hä säde, es wär je nur ’ne<br />

eenmolige Üsgoobe, on die midden<br />

sä schon ewwernämmen. Die Herren<br />

vom Presbyterium machten domme<br />

Gesechter on neckten<br />

net on scherrelten net.<br />

Sä warteten ob, beß<br />

d’r rechtige Mann d’s<br />

rechtige Wort sprechen<br />

werrde.<br />

Do stüng d’r Borjemeester<br />

Flosboort of<br />

on minnte: „Dos äß jo<br />

alles ganz scheen on<br />

gudd, Herr Porr! Awwer<br />

dos gett net! Dozu<br />

honn mä keen Gäld!“<br />

D’r Porr worr stitzig,<br />

on dann worr hä lüüt<br />

on v’rsüchchede es noch emo medd<br />

aller Forsche.<br />

D’r Flosboort blebb ruhig on säde:<br />

„Herr Porr, es bliewed, wie ’s äß! Mä<br />

honn do keen Gäld d’rzu. Dos setzt die<br />

Gemeenge net därch.“<br />

Do worr d’r Porr noch lürer, on hä<br />

gaakede, wie wann hä Konfermaanden<br />

vär sich hädde.<br />

Awwer d’r Flosboort luß sich net üs<br />

d’r Wolle brengen on säde: „Me wunn<br />

’n angermo d’rvonne sprechen, Herr<br />

Dem Kander vun Abderode,<br />

däm fählte uff eimoh ’ne Node.<br />

Hä kroff bie’n Aldar,<br />

sucht’, ob se do war,<br />

do drott en der Parr uff de Pode.<br />

W.G.<br />

Guth<br />

Porr! Me wunn ins<br />

doch net zäänken!“<br />

Doch d’r Porr ruhte<br />

net on gobb keen Bardong.<br />

Do säde d’r Borjemeester:<br />

„Sä sinn ’n<br />

Isenboort, Herr Porr,<br />

on ich ben ’n Flosboort!<br />

Isen äß härter<br />

als Flos. Ich gäwe<br />

nooch!“<br />

On die Kärche<br />

worr neigemacht on<br />

üsgemoolt, daß es ’ne<br />

Herrlichkeet wor. On speerer gefull’s<br />

änn allen so gudd, daß se ’s net meh<br />

wie friher honn wullen.<br />

Mundart: Homberg<br />

sill on midde ‚sollte und müßte‘ – neckten<br />

‚nickten‘ – scherrelten ‚schüttelten‘ – Flosboort<br />

– Flachsbart.<br />

*<br />

Aus: „Schnurrant aus Hessenland“. Hrsg.<br />

v. Heinrich Ruppel und Johann Heinrich<br />

Schwalm, Melsungen [1933].


10 Der Mundart-Kurier 12 / 2008<br />

Mundart-Lexikon (9)<br />

„Das Adel“ <strong>Von</strong> Werner Guth<br />

„Arbeit adelt“ – so nannte Detlev v.<br />

Liliencron 1887 eines seiner Theaterstücke.<br />

Bei uns in Hessen adelt aber nicht<br />

nur die Arbeit, sondern von alters her<br />

auch der Bauer, und zwar seine Äcker.<br />

Er erhebt die Äcker damit allerdings<br />

keineswegs in den Adelsstand, sondern<br />

– er düngt sie mit Jauche.<br />

Ob das alte Wort Adel <strong>für</strong> Jauche<br />

– je nach Ortsmundart auch Odel und<br />

Orel ausgesprochen – bei hessischen<br />

Junglandwirten tatsächlich noch zum<br />

festen Vokabular gehört, entzieht sich<br />

meiner Kenntnis. Jauche dürfte geläufiger<br />

sein, scheint aber heutigentags wie<br />

Adel ebenfalls auf der Aussterbeliste<br />

zu stehen. Denn Jauche hat in Gülle<br />

einen Konkurrenten bekommen, der<br />

offenbar das Rennen macht. Zweifellos<br />

klingt das Wort Gülle erheblich lieblicher<br />

als Jauche, erinnert es doch an gülden,<br />

hat also gegenüber der prosaischen<br />

Jauche etwas geradezu Poetisches.<br />

Was hat es mit dem Wort Adel und<br />

seinen Nachfolgern auf sich?<br />

Daß das hier in Rede stehende<br />

Wort Adel mit dem Adelsstand nichts<br />

zu tun hat, versteht sich. Bereits der<br />

Artikel zeigt es: Die Mistbrühe heißt<br />

„das“ Adel, nicht „der“ Adel. Eigentlich<br />

müßte man noch weiter unterscheiden:<br />

In korrektem Hochdeutsch müßte<br />

Piston<br />

In einer kleinen nordhessischen Ackerbürgerstadt<br />

hat eine Familie seit Generationen<br />

den Beinamen Piston.<br />

Die Familie erklärt den Namen<br />

– nicht ohne Stolz – folgendermaßen:<br />

Der Urgroßvater von Piston-Ernst,<br />

dem jetzigen Familienoberhaupt, sei<br />

sehr musikalisch gewesen und habe das<br />

Piston geblasen. Seine Kunstfertigkeit<br />

auf diesem Instrument habe dann zu<br />

jenem Beinamen geführt.<br />

Die Leute im Ort erklären den<br />

Namen allerdings ganz anders: Jener<br />

angeblich so musikalische Urgroßvater<br />

soll nach deren Version regelmäßig<br />

in einer großen Tonne Adelsutte auf<br />

seine Ländereien gefahren haben. Da<br />

der Verschluß der Jauchetonne undicht<br />

das Dialektwort Atel heißen, vgl.<br />

mittelhochdt. atel ‚Schlamm, Morast,<br />

schlammiges Wasser‘.<br />

August Vilmar schreibt in seinem<br />

„Idiotikon von Kurhessen“ von 1868<br />

unter dem Stichwort „Adel“ (S. 4):<br />

„Mistbrühe, Jauche. In ganz Hessen<br />

üblich, oft zusammengesetzt mit sutte:<br />

ôdelsotte, adelsette, âlsutte, welche<br />

Composition nicht anderes als das<br />

einfache Wort bedeutet. [. . .] Das Wort<br />

[Adel] ist sehr alt (angelsächsisch adelseád),<br />

[. . .] Nach dem Teutonista [. . .]<br />

ist am Niederrhein adel ein Sumpf,<br />

Pfuhl.“ Vilmar führt weiterhin an,<br />

„daß in der schwedischen Provinz Ostgotland<br />

koadel Kuhharn, in Dalekarlien<br />

adla harnen bedeutet.“<br />

Die verwandten Wörter jenseits des<br />

Ärmelkanals und in Skandinavien zeigen,<br />

daß es sich bei Adel um ein altes<br />

germanisches Wort handelt. Die weitere<br />

Herkunft des Wortes Adel konnte<br />

bisher noch nicht befriedigend geklärt<br />

werden.<br />

In Deutschland ist es außer im Hessischen<br />

vor allem im Niederdeutschen<br />

belegt. Im Niedersächsischen gibt es<br />

z. B. Adele ‚Jauche, Kloake, Urin, Pfütze‘,<br />

Adelewörm ‚Regenwurm‘, Adelfatt<br />

‚Jauchefaß‘, in Schleswig-Holstein Addel<br />

‚Mistjauche‘.<br />

Interessant ist, daß mit diesem Wort<br />

gewesen sei, habe der Transport im<br />

Ort nicht nur eine deutliche optische<br />

Spur hinterlassen, sondern zum Leidwesen<br />

mancher Nachbarn auch eine<br />

deutliche Geruchsspur. Gutes Zureden<br />

habe wenig geholfen: Der Mann habe<br />

die Tonne weitertropfen lassen.<br />

„Hä kimmet widder mit sinner<br />

Pißtonne“, habe es dann ergrimmt geheißen,<br />

später vereinfacht zu der Feststellung:<br />

„De Pißtonne kimmet“, oder:<br />

„De Pißtonne war schon widder do.“<br />

Damit habe der Urgroßvater seinen<br />

Spitznamen weggehabt.<br />

Welcher Version darf man trauen?<br />

Beide Seiten beharren auf der Richtigkeit<br />

ihrer Namenserklärung. Da es<br />

sich um sog. „narrative Geschichte“<br />

in Deutschland und England auch<br />

einige Ortsnamen gebildet sind, z. B.<br />

Adelhorn (b. Diepholz), Addelhoff (b.<br />

Neumünster) und jenseits des Ärmelkanals<br />

Adel (b. Leeds), Adellmeade<br />

(Wüstung in Gloucestershire).<br />

Wie sieht es nun mit Jauche und Gülle<br />

aus, den Kokurrenten von Adel?<br />

Jauche ist slawischen Ursprungs,<br />

vgl. sorbisch jucha ‚flüssiger Stalldünger,<br />

Brühe, Suppe‘, und ist erstmals<br />

im Schlesischen im 15. Jh. als jauche<br />

belegt, dann im 16. Jh. im Obersächsischen<br />

als Mistgauche. Jauche ist also,<br />

von seiner slawischen Herkunft einmal<br />

abgesehen, eigentlich ein Dialektwort.<br />

Erst spät, nämlich im 18. Jh., erlangte<br />

es hochsprachliche Geltung.<br />

Gülle ist als hochsprachliches Wort<br />

derartig neu, daß es in Kluges „Etymologischem<br />

Wörterbuch“ (22. Aufl.<br />

1989), dem Standardwerk <strong>für</strong> Fragen<br />

der Wortherkunft, nicht einmal verzeichnet<br />

ist. Gülle ist eigentlich ebenfalls<br />

ein Dialektwort, gebräuchlich in<br />

Südwestdeutschland und der Schweiz,<br />

wo es ‚Jauche‘, aber auch ‚Pfütze‘ bedeutet.<br />

Hochsprachlich ist das Wort<br />

zwar jung, <strong>für</strong> sich genommen aber<br />

hohen Alters. Es hat Verwandte in<br />

Skandinavien und läßt sich übers Germanische<br />

an das noch ältere Indogermanische<br />

anschließen.<br />

handelt – schriftliche Quellen fehlen<br />

also –, werden es selbst gewiefte Historiker<br />

schwer haben, diesen äußerst<br />

schwierigen Fall zu klären. W.G.<br />

Klapphorn<br />

Das französisch benannte Piston,<br />

ein Ventilkornett, hat auch eine<br />

deutsche Bezeichnung: Klapphorn.<br />

Das Klapphorn ist namengebend<br />

<strong>für</strong> die bekannten Klapphorn-Verse,<br />

deren berühmtester lautet:<br />

Zwei Jungen gingen durch das Korn,<br />

der andre blies das Klappenhorn.<br />

Er konnt’ es zwar nicht richtig<br />

blasen,<br />

doch blies er es so einigermaßen.

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