DT Magazin | Ausgabe 2 - Spielzeit 2011/12 - Deutsches Theater
DT Magazin | Ausgabe 2 - Spielzeit 2011/12 - Deutsches Theater
DT Magazin | Ausgabe 2 - Spielzeit 2011/12 - Deutsches Theater
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Können Sie so etwas nachvollziehen?<br />
Schamoni: Ich kann es auch nachvollziehen. Wenn ich mir<br />
vorstelle, dass mir so etwas passiert, würde in mir auch<br />
sofort der Gedanke aufblitzen: Ich kauf mir eine Knarre und<br />
versuche den Typen umzubringen.<br />
Palminger: Du weißt, dass das so gedruckt wird ...<br />
Schamoni: Ja, soll es ja auch. Ich glaube, dieser Gedanke ist<br />
in uns allen drin und manche können ihn eben besser<br />
beherrschen und manche haben ihn vielleicht auch weggelesen.<br />
Und deswegen sprudelt es dann auch extrem hoch,<br />
wenn so etwas passiert.<br />
Das wurde im Sommer deutlich, als der Entführer Magnus Gäfgen<br />
eine Entschädigung bekam, weil ihm ein Polizist mit Folter<br />
gedroht hatte, um herauszufinden, wo das Opfer versteckt war.<br />
Da schrien auch viele Menschen empört auf, denen sonst rechtsstaatliche<br />
Prinzipien sehr wichtig sind.<br />
Palminger: Ja, man wundert sich, bei wem dieses archaische<br />
Gefühl, das bei den meisten von uns gedeckelt ist,<br />
manchmal durchbricht.<br />
Schamoni: Grundsätzlich finde ich die Idee von Rache aber<br />
ganz großartig. Ich hätte mich in meinem Leben gerne viel<br />
öfter gerächt an Leuten, die mir aus erstarrten Positionen<br />
heraus Schlechtes getan haben.<br />
An wem zum Beispiel?<br />
Schamoni: Ich habe mich leider nie an einem Anwalt gerächt,<br />
der mich einmal vor Gericht wegen Trunkenheit am Steuer<br />
vertreten hat. 0,3 Promille zu viel. „Sie halten den Mund“<br />
sagte der Anwalt, „Wir kriegen das schon hin“. Auf sein<br />
Anraten hin habe ich sogar auf mein Revisionsrecht verzichtet<br />
– am Ende bekam ich 18 Monate Führerscheinentzug<br />
und sechs Monate Haft auf Bewährung.<br />
Hatte der Anwalt eine Erklärung?<br />
Schamoni: Ich dachte die ganze Zeit: Gleich kommt der Trick!<br />
Der Anwalt gab mir zu verstehen, dass ich das Urteil annehmen<br />
sollte – also nahm ich das Urteil an. Wieder dachte ich:<br />
Gleich kommt wirklich der Trick! Aber dann war alles vorbei<br />
und der Anwalt sagte nur: „Ich muss dann mal los, Wiedersehen!“<br />
Aber es kam nie zu einer Rache?<br />
Schamoni: Ich habe lange überlegt, ihm jeden Tag riesige<br />
Schinken, Taxis und Pizzalieferungen nach Hause zu bestellen.<br />
Um ihn mürbe zu machen, dieses Dreckschwein! Irgendwann<br />
wurden dann wieder andere Sachen wichtiger und<br />
deshalb beschränkt sich meine Rache darauf, andere Menschen<br />
vor diesem Mann zu warnen: ein Hamburger Anwalt<br />
namens Abrahams. Aber vielleicht kommt meine Stunde<br />
eines Tages auch noch.<br />
Der verstorbene Krimiautor und Journalist Stieg Larsson hielt<br />
Rache sogar für eine Pflicht: Man müsse sich immer merken, wer<br />
einem Unrecht getan hat, schrieb er in einem seiner Bücher. Und<br />
wenn man irgendwann zurückschlagen kann, müsse man das<br />
unbedingt tun. Selbst wenn es gar nicht mehr nötig ist.<br />
Strunk: Rache ist dann nötig, wenn unser Rechtssystem<br />
nicht greift. Bei einem Polizisten, der Folter androht, gibt es<br />
eine Dienstaufsichtsbehörde, die dem nachgehen kann. Aber<br />
in so vielen anderen Bereichen, wo einen jemand verarscht,<br />
Studio Braun<br />
10<br />
da gibt es nichts Justitiables. Da gibt es nur eins: auf die<br />
Glocke, auf die Nuss. Andererseits ist es ja oft die Boulevardpresse,<br />
die den Eindruck schürt, dass die Welt immer<br />
gefährlicher und immer brutaler wird und dass man sich,<br />
wenn überhaupt, nur noch selbst schützen kann.<br />
Aber kann Selbstjustiz – oder Rache ganz allgemein – dem Ausübenden<br />
wirklich Frieden geben?<br />
Palminger: Ich glaube, es ist weniger befriedigend als die<br />
meisten denken. Das stellt man sich immer so schön vor,<br />
aber ein zufriedenes Gefühl der Erleichterung stellt sich<br />
durch Rache nicht ein.<br />
Schamoni: Marianne Bachmeier hat das im Nachhinein auch<br />
gesagt.<br />
Palminger: Ich glaube, man ist besser beraten, wenn man<br />
den Täter zwingt, sich mit seiner Tat auseinanderzusetzen.<br />
Als Opfer würde ich – vielleicht mit professioneller Hilfe –<br />
eher versuchen, selbst über das Unrecht hinwegzukommen<br />
als Rache zu nehmen. Bei harmloseren Fällen, bei denen es<br />
nicht um Mord und Totschlag geht, kann ich aber sehr<br />
em pfehlen, Hundescheiße unter die Autogriffe zu schmieren.<br />
Jacques Palminger geht zur Autotür, Rocko Schamoni bestellt<br />
das Pizzataxi und Heinz Strunk gibt gleich eins auf die Nuss.<br />
Funktioniert so auch die Arbeitsteilung, wenn Studio Braun <strong>Theater</strong><br />
macht?<br />
Strunk: Studio Braun gibt es jetzt seit 16 Jahren. Und das<br />
Schöne ist, dass – egal ob eine CD mit Scherzanrufen oder<br />
ein <strong>Theater</strong>stück rauskommt – am Ende immer jeder ein Drittel<br />
beigesteuert hat. Bei diesem Stück hatte Jacques die<br />
Grundidee mit ‚Ein Mann sieht rot‘ – und dann setzen wir<br />
uns zusammen und arbeiten das aus. Die klassische Studio-<br />
Braun-Zeit ist 11 bis 15 Uhr.<br />
Und beim Inszenieren – auch alles Teamwork?<br />
Strunk: Um die Schauspieler nicht zu verwirren, haben wir<br />
Szenenpatenschaften eingeführt. Jeder von uns ist für die<br />
Szenen verantwortlich, die ihm besonders am Herzen liegen.<br />
Eine klassische Arbeitsteilung gibt es jedoch nicht, am Ende<br />
machen wirklich alle alles.<br />
Was solange gut klappt, so lange alle derselben Meinung sind.<br />
Wenn die Meinungen auseinander gehen – reicht dann eine<br />
2:1-Mehrheit oder muss alles einstimmig beschlossen werden?<br />
Schamoni: Das Prinzip ist immer: Die beste Idee gewinnt.<br />
Wenn jeder von uns eine Idee auf den Tisch legt, fällt eine<br />
meist sowieso weg, weil klar ist, dass sie die schwächste<br />
ist. Die anderen beiden werden dann etwa zehn Minuten<br />
diskutiert. Ab einem gewissen Punkt erkennen wir alle, was<br />
die beste Idee ist. Und da ein gutes Ergebnis am Ende immer<br />
unseren Ruhm mehrt, ist das ein ganz pragmatisches Prinzip,<br />
von dem wir alle profitieren: Nur die beste Idee darf auf<br />
dem Tisch bleiben.<br />
Strunk: Das Prinzip, dass die beste Idee gewinnt, gilt ja nicht<br />
nur für uns, sondern auch für die Schauspieler oder zum Beispiel<br />
Eva Koennemann, die bei unserem Stück für die Videos<br />
verantwortlich ist. Alle im Team merken, dass ihre Ideen<br />
auch gefragt sind und genauso viel Wert sind wie unsere<br />
und die gleichen Chancen haben.<br />
Angefangen hat Studio Braun mit Telefonstreich-CDs und dazugehörigen<br />
Tourneen. Später haben Sie unabhängig voneinander<br />
mit ‚Fleisch ist mein Gemüse‘ oder ‚Dorfpunks‘ sehr erfolgreiche<br />
Bücher geschrieben. Wie entstand die Liebe zum <strong>Theater</strong>?<br />
Schamoni: Mit dem Pudel Club haben wir schon vor 17 Jahren<br />
im Hamburger Schauspielhaus Veranstaltungen gemacht,<br />
weil ich den Raum so super fand. Als Christoph<br />
Schlingensief dann ‚Chance 2000‘ im und neben dem Schauspielhaus<br />
gemacht hat, wurden wir gefragt, ob wir uns<br />
beteiligen wollen. Danach haben wir erst mal ein paar Jahre<br />
in Zürich unter Marthaler ein paar Sachen machen dürfen<br />
und ab 2005 kamen dann Inszenierungen am Schauspielhaus<br />
Hamburg.<br />
Und was hat sie nach Berlin ans Deutsche <strong>Theater</strong> gebracht?<br />
Palminger: Im Scherz sagen wir immer, dass wir einfach<br />
unserem Lieblingsschauspieler Felix Goeser gefolgt sind.<br />
Auf den Proben zu ‚Fleisch ist mein Gemüse‘ hat er zuerst<br />
die Figur des ‚Nilz mit Z‘ vorgestellt. Da ist uns die Kinnlade<br />
runtergefallen. Bei der nächsten Probe stellte er ‚Gurki‘ vor,<br />
seine zweite Rolle, einen komplett anderen Typen. Da sind<br />
wir hinten übergefallen und dachten in unserer anfänglichen<br />
Naivität: Der kann zwei Typen spielen, das ist vermutlich<br />
der beste Schauspieler der Welt! Als Felix dann nach<br />
Berlin ging, dachten wir, da müssen wir auch mal hin.<br />
Schamoni: Wir mussten aber ein bisschen schmunzeln, als<br />
wir sahen, dass das größte Haus hier in Berlin gerade mal<br />
halb so groß ist wie das, in dem wir in Hamburg gespielt<br />
haben. Aber egal, spielen wir eben doppelt so lange! (lacht)<br />
Sehen Sie sich als Teil des <strong>Theater</strong>betriebs? Reisen Sie zum Beispiel<br />
in andere Städte, um sich Inszenierungen anzusehen – oder<br />
machen Sie lieber Ihr eigenes Ding?<br />
Schamoni: Ich sehe uns eher als Teil einer Kunstwelt, die<br />
alle Bereiche umfasst – bildende Kunst, Literatur, Popmusik<br />
und so weiter. Diese Spezialisierung finde ich persönlich<br />
wahnsinnig öde. Mein Anspruch an ein modernes <strong>Theater</strong>stück<br />
ist, dass ich merke, dass der Typ die Welt weiter umschaut<br />
als nur seinen kleinen <strong>Theater</strong>ausschnitt. Und dass<br />
er mir auch etwas über mein Leben und meine Welt zu sagen<br />
hat.<br />
In Hamburg waren Studio Braun Zugpferde, die für ein volles<br />
Haus sorgen. Sind die Erwartungen in Berlin jetzt ähnlich hoch?<br />
Strunk: Das wollen wir doch mal hoffen!<br />
Schamoni: Eine Freundin hat neulich gesagt, Studio Braun<br />
seien die Roland Emmerichs des deutschen Regietheaters.<br />
Dem möchte ich entschieden widersprechen: Wir sind die<br />
Wolfgang Petersens des deutschen Regietheaters! Mit dieser<br />
Haltung treten wir auch in Berlin an: Es wird ein großes<br />
Schiff sein, das hier aufgetaktelt wird, mit vier Masten und<br />
den ganz großen Segeln. Aber ob wir es aufs Meer rauskriegen?<br />
Das liegt an den Berlinern und daran, ob sie genug<br />
Puste haben.<br />
Interview: Christoph Koch<br />
Studio Braun<br />
11<br />
Fahr zur Hölle, Ingo Sachs<br />
Ein Actionmusical von und mit Studio Braun<br />
1974 kam Michael Winners Film ‚Ein Mann sieht rot‘ in die Kinos, in der<br />
Hauptrolle Charles Bronson, der den erfolgreichen Architekten Paul Kersey<br />
spielt. Bei einem brutalen Überfall wird Kerseys Frau getötet, seine Tochter<br />
überlebt nur knapp. Als Kersey merkt, dass die Polizei hilflos ist und er selbst<br />
Opfer eines Überfalls wird, greift er zur Waffe. Aus dem eingefleischten<br />
Pazifisten wird ein selbsternannter Rächer, der unter den Verbrechern New<br />
Yorks aufräumen will. Der Film zählt zu den großen Klassikern des Rache-<br />
Thriller-Genres, trotz oder weil er moralisch fragwürdig und zynisch die<br />
Frage nach der Rechtfertigung von Selbstjustiz unbeantwortet lässt.<br />
Regie und Konzept Studio Braun (Rocko Schamoni, Heinz Strunk,<br />
Jacques Palminger), Bühne Janina Audick, Kostüme Marysol del Castillo,<br />
Video: Eva Koennemann, Musik Sebastian Hoffmann, Studio Braun,<br />
Orchesterleitung Sebastian Hoffmann,<br />
Dramaturgie Anika Steinhoff<br />
Es spielen Felix Goeser, Moritz Grove, Ole Lagerpusch, Jacques<br />
Palminger, Jens Rachut, Rocko Schamoni, Heinz Strunk, Anita Vulesica,<br />
Katrin Wichmann, Orchester Tom Berkmann (Bass), Johannes Böhmer<br />
(2.Trompete), Christopher Colaco (Piano), Geoffroy Dabrock (Posaune),<br />
Jenny Marielle Dilg (1. Geige), Gregor Fuhrmann (Cello), Charlotte Greve<br />
(Altsaxophon, Flöte, Bassklarinette), Jörg Hochapfel (Keyboard), Runa<br />
Isene (1. Geige), André Matov (Gitarre), Florian Menzel<br />
(1. Trompete), Derek Scherzer (Schlagzeug), Malte Schiller (Tenorsaxofon,<br />
Flöte), Marie Renault (Bratsche), Sherin Sorour (2.Geige),<br />
Isabel Würdinger (2.Geige)<br />
Felix Goeser, Anita Vulesica<br />
Uraufführung am 18. November <strong>2011</strong>, <strong>Deutsches</strong> <strong>Theater</strong><br />
© Arno Declair